Medienspiegel 6. Januar 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Ukrainische Geflüchtete feiern in Melchnau Weihnachten – Schweiz Aktuell
In der kleinen Berner Gemeinde Melchnau leben seit letztem März 70 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer. Sie feiern nun, am 6. Januar, das orthodoxe Weihnachtsfest. Auf das traditionelle Weihnachtsgericht wird auch fernab der Heimat nicht verzichtet.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/ukrainische-gefluechtete-feiern-in-melchnau-weihnachten?urn=urn:srf:video:3c640531-7be3-497f-b6cb-1056f9e95a32
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/ukrainer-feiern-in-reussbuehl-weihnachten-149572324


+++AARGAU
Wegen hoher Zuweisungszahlen: In Aarau haben jetzt mehr unbegleitete minderjährige Asylsuchende Platz
Die Unterkunft an der Weihermattstrasse, wo alleinreisende minderjährige Asylsuchende leben, wurde erweitert. Die Zuweisungszahlen durch den Bund sind hoch: Ende 2022 lebten 210 sogenannte «UMA» im Kanton Aargau.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/aarau/uma-ld.2396219


Zusätzliche Asylunterkunft nötig: Wohncontainer sollen Platz für 12 Flüchtlinge bieten
Die Gemeinde Zufikon braucht mehr Raum für die Aufnahme von geflüchteten Personen. Deshalb entsteht an der Aettigüpfstrasse eine Lösung mit dem Bau von Wohnmodulen. Aktuell liegt das Baugesuch auf.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/freiamt/zufikon-zusaetzliche-asylunterkunft-noetig-wohncontainer-sollen-platz-fuer-12-fluechtlinge-bieten-ld.2397090



aargauerzeitung.ch 06.01.2023

Kein Platz mehr für Geflüchtete im Februar? Netzwerk Asyl Aargau fordert Massnahmen gegen Unterkunfts-Notstand

Regierungsrat Jean-Pierre Gallati geht davon aus, dass die Aargauer Flüchtlingsunterkünfte im Februar oder März voll sind. Um zusätzliche Plätze zu schaffen und den Zivilschutz einzusetzen, will er den Notstand ausrufen. Das Netzwerk Asyl Aargau fordert mehr Geld und zusätzliche Fachleute zur Betreuung der Flüchtlinge.

Fabian Hägler

«Wenn zehn Personen aus der Ukraine und zehn Personen aus anderen Ländern pro Tag in den Aargau kommen, dann können wir hochrechnen, wann wir ‹Full House› haben», sagte Jean-Pierre Gallati (SVP) im «TalkTäglich» von Tele M1. Es sehe derzeit so aus, als gäbe es bereits im Februar oder März keine freien Plätze für Flüchtlinge mehr im Kanton, ergänzte der Aargauer Landammann und Sozialdirektor.

Die Folgen sind laut Gallati klar: «Dann müssen wir im Regierungsrat darüber nachdenken, nach Corona bereits wieder eine Notsituation nach Zivilschutzgesetz auszurufen.» So würde der Kanton schneller an geeignete Unterkünfte kommen und könnte mehr Angehörige des Zivilschutzes aufbieten, um die vielen geflüchteten Personen im Aargau zu betreuen.

Netzwerk Asyl: Ja zu Notrecht, Nein zu Zivilschutz-Betreuung

Für den Verein Netzwerk Asyl Aargau kommt Gallatis Aussage, im Verlauf der nächsten Wochen den Notstand aufrufen zu müssen, wenig überraschend. Seit Monaten deuteten die Erhebungen zu den verfügbaren Kapazitäten bei der Unterbringung von geflüchteten Menschen im Aargau auf eine baldige Lücke hin. Die Einschätzung von Migrationsbewegungen durch internationale Organisationen oder der Anstieg der Asylgesuche beim Staatssekretariat für Migration zeigten den Handlungsbedarf schon länger.

Nicht zuletzt deshalb habe der Verein letztes Jahr mit anderen Organisationen und Parteien eine Taskforce mit Fachleuten für Bildung, Gesundheit und Integration gefordert. Diese sollte Herausforderungen früh erkennen und über alle Staatsebenen antizipieren. Die Ankündigung von Gallati, «mit dem Notrecht mehr Handlungsspielraum zu erlangen, ist schlüssig und in der Sache berechtigt», teilt das Netzwerk Asyl mit. Der Idee, vermehrt Geflüchtete durch Zivilschützer betreuen zu lassen, steht der Verein jedoch skeptisch gegenüber.

«Oftmals sind die Menschen traumatisiert und wurden auf ihrem leidensvollen Weg in die Schweiz Opfer von Gewalt und Missbrauch», gibt Präsident Rolf Schmid zu bedenken. Vor allem bei der unterirdischen Unterbringung in den Geschützten Operationsstellen (Gops) der Spitäler oder Zivilschutzanlagen sowie Grossunterkünften sei unbedingt fachlich ausgebildetes Personal notwendig, schreibt der Verein.

Verdichtung in Unterkünften bringt grosse Herausforderungen

Nebst der Wiedereröffnung der unterirdischen Operationsstelle beim Spital Muri im Dezember 2022 haben die Behörden die Belegung in bestehenden Unterkünften markant erhöht. Damit soll mehr Kapazität geschaffen werden, wie Stefan Müller, Leiter Sektion Betreuung beim Kantonalen Sozialdienst, vor einem Monat sagte. Das Erstaufnahmezentrum in Buchs sei mit 300 statt 200 Personen belegt, in den kantonalen Unterkünften würden die Plätze verdichtet, «wir stellen 240 zusätzliche Betten auf.»

Doch für Netzwerk-Asyl-Präsident Rolf Schmid ist klar, dass dies zu Herausforderungen im alltäglichen Zusammenleben führt. «Vielerorts mögen die Platzverhältnisse in den Unterkünften als Schlafplätze vielleicht genügen, jedoch ist die weitere Infrastruktur wie die Anzahl Toiletten, Duschen oder Kochmöglichkeiten nicht dafür ausgelegt.»

Zusätzlich fehle es an Raum für Rückzug, Lernen und Privatsphäre. Spannungen und Konflikt seien kaum vermeidbar. «Darum bedarf es einer Intensivierung und Verbesserung der Betreuung vor Ort», fordert Schmid. Dafür fehlten dem Kanton und den Gemeinden jedoch das Geld und die Fachkräfte, gibt er zu bedenken. Er betont: «Die Politik ist gefordert, dafür ausreichend Ressourcen zu sprechen.»

Private Unterbringung als Wohnform für Geflüchtete

Auffallend an den Prognosen des Kantons sei, dass die freien Kapazitäten zur privaten Unterbringung bei Gastpersonen oder Familien den Menschen mit Schutzstatus S vorbehalten seien. Das Netzwerk Asyl fordert die Regierung auf, die Ungleichbehandlung zwischen Ukrainern und anderen Geflüchteten spätestens mit dem aktuellen «Notstand» zu beseitigen. In geeigneten Fällen müsse die private Unterbringung von vorläufig Aufgenommenen oder Asylsuchenden im Verfahren vereinfacht werden.

Rolf Schmid ist überzeugt: «Insbesondere für Menschen in Ausbildung oder junge Erwachsene, die bis zur Volljährigkeit in Strukturen für unbegleitete minderjährige Asylsuchende untergebracht waren, ist das Leben in einer Gastfamilie oder mit Gastpersonen aufbauend und integrationsfördernd.» Doch auch hier brauche es gute Betreuungsstrukturen durch Kanton und Gemeinden. «Die Verantwortung dafür darf nicht blindlings an freiwillige Gastgeberinnen und Gastgeber übertragen werden», stellt Schmid klar.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/asylwesen-kein-platz-mehr-fuer-gefluechtete-im-februar-netzwerk-asyl-aargau-fordert-massnahmen-gegen-unterkunfts-notstand-ld.2396923)


+++BASEL
Wochengast: Miriam Behrens, Schweizerische Flüchtlingshilfe (ab 12:22)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/linker-streit-bringt-jungpartei-in-bredouille?id=12314347


+++TESSIN
Mutter und Tochter aus Afghanistan sollen ausgewiesen werden: Das ganze Verzascatal kämpft für die kleine Sara (8)
Über vier Jahre sind Anna B. und ihre Tochter aus Afghanistan auf der Flucht. Im Tessiner Tal haben die Frauen endlich eine neue Heimat gefunden. Doch nun droht den beiden die Ausschaffung. Die Bevölkerung protestiert und sammelt an Weihnachten über 2700 Unterschriften.
https://www.blick.ch/schweiz/mutter-32-und-tochter-8-aus-afghanistan-sollen-ausgewiesen-werden-das-ganze-verzascatal-kaempft-fuer-die-kleine-sara-8-id18201394.html


+++WAADT
(FB Solidarité sans frontieres)
Der Kampf organisiert sich, Protestbewegung in Vallorbe

Im Bundesasylzentrum in Vallorbe verweigerten heute rund 50 Personen, denen die Rückführung nach Dublin-Kroatien drohte, aus Protest das Frühstück und das Mittagessen. Sie weigerten sich auch, an den kollektiven Aufgaben im Zentrum teilzunehmen. Sie forderten einen sofortigen Stopp der Abschiebungen nach Kroatien. Derzeit ist der Druck sehr hoch und mehrere Personen in Vallorbe haben Flugpläne nach Zagreb erhalten. Sie wurden heute Morgen von der Leitung des Zentrums angehört, die sich darauf beschränkte, ihnen zu sagen, dass Gesetze Gesetze sind und man nichts dagegen tun kann.

Auf den Tischen in der Cafeteria gingen sie und hinterließen diese auf mehreren Blättern abgeschriebene Botschaft:
“Wir sagen Nein :
– Gegen die Zwangsabschiebungen nach Kroatien!
– Gegen die Gendarmen im Zentrum von Vallorbe!
– Hört auf, uns in die Fingernägel des Löwen zu werfen!”
#StopDublinKroatien
https://scontent.fqls2-1.fna.fbcdn.net/v/t39.30808-6/322739751_1218411522427077_8376846420995620225_n.jpg?stp=dst-jpg_p526x296&_nc_cat=110&ccb=1-7&_nc_sid=a26aad&_nc_ohc=_R0YgEvVTwIAX8YBwMm&_nc_ht=scontent.fqls2-1.fna&oh=00_AfCQa-cC56KHAjMgGxKTHXVmdcYvuh_tY4QB-0DkTsd_Hg&oe=63BD4CAD
-> https://migrant-solidarity-network.ch/2023/01/06/proteste-gegen-kroatienabschiebungen-in-vallorbe/


+++SCHWEIZ
Fluchtroute verschiebt sich: Flüchtende erreichen die Schweiz vermehrt über das Tessin
Die Migrationslage an der Schweizer Südgrenze verschärft sich. Neuerdings kommen mehr Flüchtlinge durch das neue Schengen-Land Kroatien nach Italien und von dort in die Schweiz.
https://www.derbund.ch/fluechtende-erreichen-die-schweiz-vermehrt-ueber-das-tessin-621411294696


+++DEUTSCHLAND
Asyl für Iraner*innen: Kein bisschen besser geschützt
Das iranische Regime geht brutal gegen die Protestierenden im Land vor. Auf deutsche Asylentscheidungen hat das bisher offenbar keinen Einfluss.
https://taz.de/Asyl-fuer-Iranerinnen/!5904043/


+++GRIECHENLAND
Griechische Abschreckungspolitik: Von der schützenden Wohnung zurück ins Lager
Während in Griechenland Weihnachten gefeiert wurde, mussten Hunderte Flüchtlinge ihre Wohnungen, vertraute Nachbarschaften, Schulen und Jobs verlassen und in kalte Lager-Container ziehen, darunter kleine Kinder und kranke Menschen. Refugee Support Aegean, Partnerorganisation von PRO ASYL, hat mit Betroffenen gesprochen.
https://www.proasyl.de/news/griechische-abschreckungspolitik-von-der-schuetzenden-wohnung-zurueck-ins-lager/


+++FLUCHT
Zahl vermisster Flüchtlingskinder auf höchstem Stand seit 3 Jahren
Das Deutsche Kinderhilfswerk hat die Zahl der vermissten Flüchtlingskinder veröffentlicht. Sie ist auf dem höchsten Stand seit drei Jahren.
https://www.nau.ch/politik/international/zahl-vermisster-fluchtlingskinder-auf-hochstem-stand-seit-3-jahren-66386943


+++GASSE
Bern/Zeugenaufruf: Mann mit schweren Verletzungen ins Spital gebracht
Am Mittwochabend ist ein Mann in der Nähe des Skateparks bei der Reitschule in Bern aufgefunden und mit schweren Verletzungen ins Spital gebracht worden. Gemäss Aussagen könnte es vorgängig zu einer Streiterei gekommen sein. Die Kantonspolizei Bern sucht Zeuginnen und Zeugen, um die Umstände zu klären.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=838dcfed-ddfe-42dd-9609-3223347583cc
-> https://www.derbund.ch/23-jaehriger-in-bern-mit-schweren-inneren-verletzungen-aufgefunden-680841140337
-> https://www.watson.ch/schweiz/polizeirapport/941613182-polizei-findet-mann-mit-schweren-verletzungen-bei-berner-reitschule
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/zwischenfall-in-bern-mann-23-erleidet-nach-streit-schwere-innere-verletzungen-id18203198.html



derbund.ch 05.01.2023

Reto Nause nach Gewalt in Bern-West: «Ich will nicht in ein Bümpliz-Bashing einsteigen»

Erst eine Prügelattacke, dann Messerstiche, jetzt Schüsse: Die jüngste Eskalation in Bümpliz ist dort nicht die erste. Hat Bern-West ein Gewaltproblem?

Christoph Albrecht

Es geschieht am helllichten Tag: In einer Einstellhalle in Bümpliz kommt es am Mittwochnachmittag zu einem Streit mit mehreren Beteiligten. Die Situation eskaliert, jemand zückt eine Waffe, feuert einen Schuss ab. Die Polizei rückt aus, nimmt diverse Personen auf die Wache. Eine Ambulanz transportiert einen Verletzten ins Spital. Was ist da genau passiert?

Auch am Tag danach sind die Hintergründe unklar. Offenbar ging es um einen Streit zwischen Teenagern und einem erwachsenen Mann. Laut der Kantonspolizei Bern hat ein Beteiligter im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung einen Schuss aus einer Schreckschusspistole abgefeuert – allerdings nicht in Richtung des späteren Opfers, sondern in die Decke.

Mann am Auge verletzt

Fakt ist: Beim Streit wurde ein Mann – Medienberichten zufolge der Hauswart der Siedlung – am Auge verletzt. Gemäss Kapo allerdings nicht lebensbedrohlich. Wie genau der Mann verletzt wurde, sei Gegenstand der laufenden Ermittlungen. Ein Jugendlicher meldete sich noch am Mittwoch von sich aus bei der Polizei. Gemäss eigenen Aussagen habe er die Platzpatrone abgefeuert. Er wurde wie zehn andere Jugendliche einvernommen und anschliessend wieder entlassen. Mehreren beteiligten Personen droht nun eine Anzeige wegen Drohung, Körperverletzung und Angriff.

Die Polizei hat die verwendete Schreckschusspistole sichergestellt. Eine solche gibt im Gegensatz zu scharfen Schusswaffen keine Projektile ab, sondern Platzpatronen. Auch Schreckschusspistolen können jedoch gefährlich sein und je nach Entfernung zu tödlichen Schussverletzungen führen.

Prügelattacke und Messerstecherei

Der Vorfall spielte sich in Bümpliz ab und damit in jenem Stadtteil, wo es in der jüngsten Vergangenheit bereits zu anderen gewalttätigen Vorfällen gekommen war. Kein Jahr ist es her, dass Jugendliche bei der Endhaltestelle Bümpliz einen Tramchauffeur spitalreif schlugen. Nur einen Steinwurf davon entfernt, bei der Statthalterstrasse, ging ein Streit im Frühling tödlich aus. Ein Mann erstach damals einen anderen Mann an der Bushaltestelle.

Kaum hat das neue Jahr begonnen, häufen sich die Meldungen aus Berns Westen nun wieder. Am Silvesterabend warfen Unbekannte aus einem Wohnblock heraus Böller auf ein Paar, das gerade mit dem Hund spazieren war, wie «20 Minuten» berichtete. Der Mann soll seither Probleme mit dem Gehör haben. Und nun der blutige Streit in der Tiefgarage.

Auffällig: Alle Vorfälle ereigneten sich im Bümplizer Kleefeld. «Das Quartier ist ein sozialer Brennpunkt», sagt Miriam Albisetti. Sie ist Präsidentin der Kirchgemeinde Bümpliz, die vor Ort seit Jahren auch Jugendarbeit leistet. Ihr Team hilft den Teenagern unter anderem bei der Lehrstellensuche.

Siedlungen von sozial Benachteiligten

In den preisgünstigen Siedlungen des Quartiers lebten rund 3500 Menschen in zum Teil schwierigen Verhältnissen, sagt Albisetti. «Viele sind sozial benachteiligt.» Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund sowie Arbeitslosen sei verhältnismässig hoch. «Ich habe den Eindruck, dass einige Quartierbewohner von den Folgen der Pandemie noch härter getroffen wurden als anderswo.»

Von einem expliziten Gewaltproblem würde Albisetti indes nicht sprechen. Es seien zudem Unterstützungsangebote geschaffen worden. So gebe es nebst dem Jugendtreff der Kirche etwa auch ein von der Stadt finanziertes Team von Sozialarbeitenden, das sich um die Quartierarbeit kümmere, sowie eine Interessengemeinschaft aus Bewohnenden.

Ob es in Bümpliz im Gegensatz zu anderen Berner Quartieren insgesamt häufiger zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, ist nicht klar. Auf Anfrage konnte die Kantonspolizei Bern am Donnerstag keine Zahlen zu Delikten in den einzelnen Stadtteilen nennen.

Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause (Die Mitte) bestätigt jedoch, dass es in Bümpliz immer wieder zu Polizeieinsätzen wegen Vorfällen komme. «Wo die Bevölkerungsdichte hoch ist, besteht auch ein erhöhtes Risiko für Konflikte», sagt er mit Blick auf die teilweise dicht bewohnten Siedlungen in Berns Westen. Dort herrschten andere Voraussetzungen als in einem Einfamilienhausquartier.

Reto Nause relativiert

Zum aktuellen Vorfall äussert sich Nause wegen der laufenden Ermittlungen nicht. Er relativiert aber: «Ähnliche Einsätze kommen auch in anderen Quartieren vor.» Als Beispiele nennt er etwa Orte wie die Ausgangsmeile Aarbergergasse, den Berner Bahnhof oder die Schützenmatte, die genauso Brennpunkte seien. «Ich will deshalb jetzt nicht in ein Bümpliz-Bashing einsteigen.»

Von einer kippenden Stimmung im Stadtteil will der Sicherheitsdirektor jedenfalls nichts wissen. «Es gibt keinen Grund, in Alarmstimmung zu verfallen.» Nause glaubt vielmehr, dass die Konflikte zum Teil immer noch Spätfolgen von Corona sind. «Das Nervenkostüm ist bei einigen Leuten dünner als früher.» Gerade bei Jugendlichen sei es dabei wichtig, dass man mit ihnen in Kontakt trete. Die Kantonspolizei Bern versucht dies seit einigen Jahren – spezifisch in Bümpliz – unter anderem mit einer eigenen Jugendpatrouille.
(https://www.derbund.ch/mit-schreckschusspistole-teenager-attackieren-mann-in-tiefgarage-386100614999)



Patient erzählt: «Methadon verhindert, dass ich wieder auf die schiefe Bahn gerate»
U.L. nimmt seit über 20 Jahren an einem Methadonprogramm teil. Er erzählt, was ein Engpass für Patientinnen und Patienten bedeuten könnte.
https://www.20min.ch/story/methadon-verhindert-dass-ich-wieder-auf-die-schiefe-bahn-gerate-494676971300


Grosse Angst: Wir haben mit Süchtigen über den möglichen Methadon Engpass geredet.
Die Aargauer Firma Amino AG in Gebenstorf darf momentan weder Medikamente produzieren noch verkaufen. Wir haben gestern darüber berichtet. Dass es dadurch u.a. zu einem Engpass bei Methadon kommt, ist für Süchtige ein Horrorszenario. Wir haben mit Betroffenen gesprochen und wissen, was das für sie bedeutet:
https://www.telem1.ch/aktuell/grosse-angst-wir-haben-mit-suechtigen-ueber-den-moeglichen-methadon-engpass-geredet-149571359


Methadon-Engpass: Hier stapelt sich das Methadon – Video aus der stillstehenden Produktionsstätte
Swissmedic entzog dem grössten Schweizer Hersteller von Methadon-Tabletten die Bewilligung. Der Grund: Der Inhaber der Firma, der auch die Medikamentenproduktion verantwortet, sei nicht vertrauenswürdig. Nun hat die Firma bei Swissmedic ein Gesuch für die Nachfolge eingereicht.
https://www.20min.ch/video/hier-stapelt-sich-das-methadon-video-aus-der-stillstehenden-produktionsstaette-639463881053


Zürich: Jugendgang macht Seebach unsicher – «die älteren Leute fürchten sich»
Jugendgruppen pöbeln in Seebach regelmässig Anwohnerinnen und Anwohner an. Verschiedene Personen berichten, dass sie sich im Quartier nicht mehr sicher fühlen.
https://www.20min.ch/story/jugendgang-macht-seebach-unsicher-die-aelteren-leute-fuerchten-sich-635157668007


Migrationsforscher: Integrationsdebatte führt in die Sackgasse
In der Debatte über die gewaltsamen Vorkommnisse in der Silvesternacht wird auch über den Migrationshintergrund von Tätern diskutiert. Das gehe jedoch am Problem vorbei, sagt der Ethnologe Jens Schneider. Denn mittlerweile sei ein Migrationshintergrund normal – und die wirklichen Ursachen gerieten aus dem Fokus.
https://www.ndr.de/nachrichten/info/Migrationsforscher-Integrationsdebatte-fuehrt-in-die-Sackgasse,migrationshintergrund112.html


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Polizei und Hausbewohner äussern sich zu Polizeieinsatz an der Markgräflerstrasse
Die Bewohner der Liegenschaft sparen nicht mit Anschuldigungen. Die Polizei hingegen hat nach Polizeigesetz gehandelt.
https://telebasel.ch/2023/01/06/der-hintergrund-des-einsatzes-ist-extrem-fraglich/
-> https://www.20min.ch/story/grossaufgebot-wegen-sehr-junger-ausgesprochen-zierlicher-person-596229552295



bzbasel.ch 06.01.2023

Nach Grosseinsatz sprechen zwei Aktivistinnen von Schikane: «Niemand wollte mit uns reden»

Das Kollektiv, das zwei Häuser im Matthäusquartier nutzt, meldet sich zu Wort, nachdem am Donnerstag die Kantonspolizei Basel-Stadt die Liegenschaften durchsucht hat. Es stellt die Verhältnismässigkeit des Einsatzes in Frage.

Rahel Künzler und Laura Ferrari

Am Donnerstag kam es im Matthäusquartier im Kleinbasel zu einem Grosseinsatz von Polizei und Feuerwehr, wobei Einsatzkräfte in die Liegenschaften an der Ecke Müllheimerstrasse/Markgräflerstrasse eindrangen. Die Polizei begründete den Einsatz mit der Fahndung nach einer Person, die «am 3. Januar aus einer Liegenschaft heraus eine Mitarbeiterin der Kantonspolizei mit Feuerwerk angegriffen hatte».

Während der Aktion seien sieben Personen angehalten und kontrolliert sowie eine Person festgenommen worden. Diese wurde bereits wieder freigelassen.

Grundlage für legales Wohnverhältnis ist vorhanden

Das Kollektiv, das die durchsuchten Liegenschaften derzeit nutzt, hat sich am Freitagmorgen an die Medien gewandt, um den Vorfall aus ihrer Sicht zu schildern: Der Einsatz der Polizei sei unverhältnismässig verlaufen. Vor allem aber liege für beide Häuser ein Duldungsvertrag vor, der das Wohnverhältnis legalisiere. Diese Tatsache sei von den Einsatzkräften ignoriert worden. Beim Besuch vor Ort sagt eine der Aktivistinnen: «Wir standen draussen und vor uns war eine Wand aus Polizisten. Niemand wollte mit uns reden.»

Zu den Vorwürfen der Polizei will sich das Kollektiv nicht äussern, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt.

Das Kollektiv schildert die Durchsuchung als gewaltsam. Es seien Türen aufgebrochen worden, Zimmer durchsucht und private Gegenstände der dort wohnenden Menschen mitgenommen worden. «Wir sind überzeugt, dass die Polizei in einer normalen Mietwohnung nie so vorgegangen wäre», sagt die Aktivistin. Dies zeige, dass die Vorurteile gegenüber der linken Besetzerszene sehr viel auslösen.

Nicht der erste grosse Polizeieinsatz an dieser Ecke

Empört zeigt sich das Kollektiv auch darüber, dass die Polizei während ihres Einsatzes auch nach wiederholten Nachfragen keinen Durchsuchungsbefehl vorgelegt habe. Die Polizei wiederum beruft sich auf Artikel 51 des Polizeigesetzes als rechtliche Grundlage für den Einsatz. Gemäss diesem ist das Durchsuchen von nicht öffentlichen Räumen erlaubt, «wenn der Verdacht besteht, dass sich dort eine Person befindet, die in Gewahrsam genommen werden darf». Laut Staatsanwaltschaft lag im Vorfeld kein Haftbefehl für die festgenommene Person vor.

Für das Kollektiv stehe das Grossaufgebot der Polizei vor allem für Machtdemonstration und Schikane: «Der Polizei ist unsere Liegenschaft wahrscheinlich ein Dorn im Auge.»

Es sei nämlich nicht das erste Mal, dass die Polizei, ohne eine Begründung zu nennen, in die Liegenschaften eingedrungen sei.

Kollektiv will sich für den Erhalt der Quartierkultur einsetzen

Die beiden Liegenschaften an der Ecke Markgräflerstrasse/Müllheimerstrasse, die im Besitz der SRE Immobilien aus Binningen stehen, wurden Anfang Mai 2022 von Aktivistinnen und Aktivisten besetzt. Dies aus «politischen Gründen, um gegen die Gentrifizierung vorzugehen», sagt das Kollektiv. Die beiden Häuser seien ein wichtiger Quartiertreffpunkt gewesen und unter anderem für Mittagstische und Flohmärkte genutzt worden.

2014 wurde allen Mietparteien gekündigt, da die Häuser abgerissen und einem Neubau mit Eigentumswohnungen weichen sollten. Die Liegenschaften standen danach aber jahrelang leer, bis das Kollektiv sie im Mai 2022 besetzte. Nur vier Tage später wurden sie von der Polizei geräumt und die Türen und Fenster mit Backsteinen zugemauert.

Von der Besetzung zur Zwischennutzung

Im August zog das Kollektiv wieder ein und erarbeitete daraufhin in Gesprächen mit dem Verwalter einen Duldungsvertrag, der dieser Redaktion teilweise vorliegt. Gemäss diesem dürfen die einstigen Besetzerinnen und Besetzer die Häuser kostenlos nutzen. Sie müssen lediglich für die Strom- und Wasserrechnung aufkommen.

Im Gegenzug verpflichtet sich das Kollektiv, die Liegenschaft beim Abriss freiwillig zu verlassen. Ein Datum ist noch nicht bekannt. Falls sie dieser Abmachung nicht nachkommen, müssen sie Busse bezahlen. Das Kollektiv kläre derzeit mit einer Anwältin ab, ob gegen den Einsatz der Polizei rechtlich vorgegangen werden könne.
(https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/kleinbasel-nach-grosseinsatz-sprechen-zwei-aktivistinnen-von-schikane-niemand-wollte-mit-uns-reden-ld.2397150)



«Mahnwachen sind nun mal keine Demonstrationen»
287 Demonstrationen zählte die Polizei 2022. Bürgerliche fühlen sich in ihrer Kritik («immer mehr Demos») bestätigt. Ein zweiter Blick zeigt: Bei den meisten Demos handelt es sich um Standkundgebungen.
https://bajour.ch/a/clcknm1iu121083454fb4yjzpxyr/die-meisten-demos-in-der-demonstrationsstatistik-sind-mahnwachen


+++ANTI-WEF
Armeeeinsatz am WEF in Davos hat begonnen
Auch dieses Jahr ist die Schweizer Armee am WEF im Einsatz. Die Arbeiten der Armeeangehörigen in Davos GR haben nun begonnen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/armeeeinsatz-am-wef-in-davos-hat-begonnen-66387034
-> https://www.blick.ch/wirtschaft/bis-zu-5000-soldaten-armee-beginnt-mit-dem-einsatz-fuers-wef-in-davos-id18204493.html


+++PSYCHIATRIE
Zwangseinweisungen –Therapien gegen den eigenen Willen? – 10vor10
Menschen werden in die psychiatrischen Kliniken eingeliefert, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, zu helfen. Die Schweiz hat im internationalen Vergleich eine eher hohe Zahl solcher Zwangsmassnahmen – jetzt werden Forderungen laut, diese Zahl zu reduzieren.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/fokus-zwangseinweisungen–therapien-gegen-den-eigenen-willen?urn=urn:srf:video:413534f5-71ed-496c-b764-53816be28313


+++POLICE BE
Revision Berner Polizeigesetz: Durch Kanton angeordnete Videoüberwachung sorgt für Kritik
Bern, Biel und verschiedene Parteien sehen bei der Anordnung einer Videoüberwachung durch den Kanton die Gemeindeautonomie verletzt.
https://www.derbund.ch/durch-kanton-angeordnete-videoueberwachung-sorgt-fuer-kritik-774624173208
-> https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/parteien-kritisieren-wenige-punkte-des-berner-polizeigesetzes-149563424
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/polizeigesetz-kommen-jetzt-gemeinden-unter-druck?id=12314263
-> https://gbbern.ch/blog/news/mm-vernehmlassung-polizeigesetzrevision-2023
-> https://www.inside-it.ch/parteien-kritisieren-videoueberwachung-des-berner-polizeigesetzes-20230106
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/nun-gibt-es-velos-im-ueberfluss?id=12314377
-> https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/kritik-am-polizeigesetz-149571647



ajour.ch 06.01.2023

Sicherheitspolitik – Biel geht auf die Barrikaden: Kanton will rot-grüne Städte zu Videoüberwachung zwingen können

Spurt eine Gemeinde nicht, will der Kanton künftig die Überwachung von öffentlichem Raum anordnen können. Biel sieht dadurch seine Gemeindeautonomie verletzt.

Lino Schaeren

Der Kanton Bern will aufmüpfige Gemeinden künftig zur Videoüberwachung von «Hotspots» im öffentlichen Raum zwingen können. Gleichzeitig sollen die Gemeinden in einem solchen Fall auch noch für die anfallenden Kosten aufkommen. So steht es im Entwurf zur Revision des Polizeigesetzes, das die kantonale Sicherheitsdirektion von Vorsteher Philippe Müller (FDP) in die Vernehmlassung geschickt hat. Die Eingabefrist ist am Freitag abgelaufen. Die Möglichkeit zur Mitwirkung haben diverse Parteien und Gemeinden genutzt, um scharfe Kritik an den Plänen zu äussern – darunter auch die Städte Bern und Biel.

Der Grund: Die kantonale Sicherheitsdirektion will künftig bei einer «erhöhten Gefahrenlage» die Videoüberwachung eigenhändig anordnen können, vorausgesetzt, die betroffene Gemeinde kommt einer «entsprechenden Empfehlung» nicht selbst nach. Der kritisierte Artikel im Entwurf zum revidierten Polizeigesetz geht auf einen Vorstoss der bürgerlichen Mehrheit im Grossen Rat zurück, der 2021 an den Regierungsrat überwiesen wurde. Biels Stadtpräsident Erich Fehr (SP) hatte bereits damals gegen das Vorhaben opponiert. In den Zeitungen von Tamedia sprach er von einem «Angriff auf links-grün regierte Städte», der die Gemeindeautonomie «eiskalt» beschneide.

Dies wohl vor dem Hintergrund, dass sich die beiden von einer linken Mehrheit regierten Städte in der Vergangenheit immer wieder gegen eine Videoüberwachung im öffentlichen Raum ausgesprochen hatten. In seiner Vernehmlassungsantwort wehrt sich der Bieler Gemeinderat denn auch gegen die Beschneidung seiner Kompetenzen durch das neue Polizeigesetz. Gleichzeitig hält er fest, dass die Kriminalitätsbekämpfung und damit auch deren Finanzierung Sache des Kantons und nicht der Gemeinden sei.

In einer «erhöhten Gefahrenlage» in Bezug auf Kriminalität, so die Bieler Stadtregierung, würde sich höchstens eine vorübergehende Videoüberwachung rechtfertigen – die nach Verlagerung der Kriminalität wieder abgebaut würde. Der Gemeinderat spricht sich damit zumindest indirekt auch generell gegen die ständige Videoüberwachung von neuralgischen Gebieten aus.

In den letzten gut zehn Jahren wurde in Biel immer mal wieder die Videoüberwachung debattiert, mit dem stets gleichen Ergebnis: Der öffentliche Raum wird bis heute nirgends auf Anordnung der Politik überwacht. 2011 sollte die Anordnung von Videoüberwachung gar noch erschwert werden, indem im Ortspolizeireglement festgeschrieben werden sollte, dass das Stadtparlament im Grundsatz über die Anordnung einer Überwachung befinden soll.

2012 wurde diese Bestimmung dann aber wieder aus dem Entwurf gestrichen. Dies, weil der Grosse Rat im Sommer 2011 beschlossen hatte, dass in allen bernischen Gemeinden die Regierung das letzte Wort in Sachen Videoüberwachung haben soll. Der Vorstoss im Kantonsparlament, dem sich auch Biel zu beugen hatte, stammte vom damaligen Grossrat und heutigen Sicherheitsvorsteher in der Kantonsregierung Philippe Müller.

Erneut aufgeflammt ist die Grundsatzdiskussion um die Videoüberwachung im öffentlichen Raum in Biel 2014 kurz vor der Fertigstellung der Tissot Arena. Das rechts-bürgerliche Lager wollte damals im Bözingenfeld präventiv Kameras installieren lassen, um Ausschreitungen bei Sportveranstaltungen vorbeugen und Sicherheitspersonal sparen zu können. Der Gemeinderat hielt dies damals gemessen am Sicherheitsrisiko bei Eishockey- und Fussballspielen für nicht verhältnismässig. Auch das Stadtparlament lehnte das Anliegen ab.

Dass der Kanton die Anordnung solcher Massnahmen in Zukunft nicht mehr allein den Gemeinden überlassen will, begründet die Sicherheitsdirektion mit möglichen Einzelfällen. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit sei eine gemeinsame Aufgabe von Gemeinden und Kanton, hielt der Kanton in der Herleitung zum Gesetzesentwurf fest.

Die Videoüberwachung solle dabei «grundsätzlich» in der Kompetenz der Gemeinden bleiben. Aber: Es könne vorkommen, «dass eine Gemeinde auch trotz einer Empfehlung keine Videoüberwachung anordnet und auch von anderen Massnahmen absieht», wie es weiter in den Erläuterungen heisst. In einem solchen Fall sei es sinnvoll, wenn der Kanton «ersatzweise» die Videoüberwachung anordnen könne.

Aktuelle Fälle, in denen sich Gemeinden den Empfehlungen der Kantonspolizei widersetzten, sodass sich die Anordnung einer Videoüberwachung durch den Kanton rechtfertigen könnte, konnte die Sicherheitsdirektion von Philippe Müller indes gegenüber dem «Bund» keine nennen. Die Lage könne sich aber auch wieder ändern. Auch die Direktion von Biels Sicherheitsvorsteher Beat Feurer (SVP) wollte sich auf Anfrage nicht zu möglichen «Hotspots» äussern, bei denen der Kanton mit neuen Kompetenzen möglicherweise eingreifen könnte. Dies, weil bei Inkrafttreten des revidierten Gesetzestextes einzig der Kanton dies bestimmen könnte und weil ein Blick in die Zukunft diesbezüglich nicht möglich sei.

Und was ist mit dem Vorwurf von Biel, durch den neuen Artikel im Polizeigesetz würde die Gemeindeautonomie beschnitten? Diesem Argument kann der Kanton offenbar nichts abgewinnen. Die Gemeindeautonomie werde nach Massgabe des kantonalen Rechts definiert, heisst es im Begleittext zum Revisionsentwurf.

Anders sehen das nebst den rot-grün regierten Städten Bern und Biel offenbar auch die Parteien SP, Grüne, GLP und EVP, die laut einer Mitteilung der Agentur Keystone-SDA den neuen Gesetzesartikel ablehnen. Begrüssen würde den Vorschlag grundsätzlich die SVP. Wobei sie bemängle, dass die Sicherheitsdirektion allein Videoüberwachung anordnen könnte. Die Partei würde es vorziehen, wenn jeweils stattdessen der gesamte Regierungsrat über diese Frage befinden würde.
(https://ajour.ch/de/story/biel-geht-auf-die-barrikaden-kanton-will-rotgr%25C3%25BCne-st%25C3%25A4dte-zu-video%25C3%25BCberwachung-zwingen-k%25C3%25B6nnen/49493)


+++RECHTSPOPULISMUS
Krawalle in Berlin – «Reines Ausländerproblem»: SVP-Glarner teilt im «TalkTäglich» aus
In der Silvesternacht kam es in Berlin zu brutalen Ausschreitungen gegen Beamte. Hat Migration etwas mit Gewaltbereitschaft zu tun? SVP-Nationalrat Andreas Glarner, Extremismus-Experte Dirk Baier und Ivica Petrušić, Mitglied der Migrationskommission Kanton Aargau, diskutieren.
https://www.argoviatoday.ch/videos/reines-auslaenderproblem-svp-glarner-teilt-im-talktaeglich-aus-149566663


SPD-Politiker vergleicht Silvester-Randalierer mit Affen (Video)
In einer Wutrede schießt ein Lokalpolitiker der SPD nach den Silvester-Krawallen gegen Migranten. Sie sollten „zu Hause“ randalieren, „aber nicht bei uns“.
https://www.berliner-zeitung.de/news/spd-politiker-thomas-baeppler-wolf-vergleicht-silvester-randalierer-mit-affen-video-li.304626


+++RECHTSEXTREMISMUS
Musigburg Aarburg, weiterhin ein Konzertlokal der anderen Art
Am 7.1.2023 findet (zum 13. Mal) die Onkelz Cover Nacht in der Musigburg Aarburg (AG) statt.
Bereits 2017 hat das Lautstark Magazin eine Recherche zur Musigburg veröffentlicht.
Auch wenn das Programm des Lokals in Aarburg mit diversen Veranstaltungen und Bands aufwartet, ein Blick hinter die Kulissen zeigt nämlich, wer die Geschäftsführung und was für ein Lokal das insgesamt ist.
Brisant sind der Umgang der Gemeinde Aarburg damit und die Aktivitäten der Geschäftsführung als Investor in eine neue Bar in Olten.
Eine Zusammenfassung früherer Recheren und neue Erkenntnisse.
https://barrikade.info/article/5558


„Die letzten Männer des Westens“
Interview mit dem Autor Tobias Ginsburg zu den Themen Antifeminismus, (extreme) Rechte und Transfeindlichkeit.
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/%E2%80%9Edie-letzten-m%C3%A4nner-des-westens%E2%80%9C
-> https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/reichsbuerger-gespraech-mit-tobias-ginsburg-100.html


+++HISTORY
Traumatische Geschichten von Saisonniers in der Schweiz
Ein neuer Film der Luzerner Filmschaffenden Jörg Huwyler und Beat Bieri beleuchtet das Schicksal von Gastarbeiter-Familien in der Schweiz. Bis 2002 versteckten Saisonniers oft ihre Familien, weil der Familiennachzug offiziell verboten war. Der Film lässt erstmals Betroffene zu Wort kommen.  (ab 04:05)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/traumatische-geschichten-von-saisonniers-in-der-schweiz?id=12314395



derbund.ch 05.01.2023

Detonation vor 30 Jahren  in Bern: Die Bombe, die den Jurakonflikt entschärfte

Ausgerechnet der Explosionstod des Aktivisten Christophe Bader in Bern entschärfte im Januar 1993 die Jurafrage. Aber ist sie wirklich geklärt?

Stefan von Bergen

In der Nacht auf den 7. Januar 1993 kommt Marianne Milani spät ins Bett. Die Modedesignerin hat in den Abend hinein gearbeitet und mit ihrem Partner gegessen. Er verlässt ihre Wohnung am Berner Nydeggstalden erst um halb drei Uhr. Vor der Tür, durch die er in die kalte Winternacht hinaus schreitet, gibt es nur eine halbe Stunde später eine ohrenbetäubende Detonation.

Schlimmer als der Knall sei die Druckwelle gewesen, erzählt Milani, die auch 30 Jahre danach in derselben Wohnung lebt. Dort erinnert sie sich nun: «Es war, als ob mich jemand gepackt und aufs Bett gedrückt hätte. So etwas hatte ich noch nie erlebt, das war der grösste Schreck meines Lebens.»

Sie hört das Splittern von Glas. In ihrem Kopf pocht die bange Frage, was da draussen gerade abgeht. Als Milani aufstehen kann, bläst ihr kalte Luft entgegen. Alle ihre Fensterscheiben sind zerborsten.

Sie deutet jetzt auf die Fensterbank, auf der damals ihre Katze schlief. Nach dem grossen Knall entdeckt sie das Tier unter einem Scherbenhaufen. Mit blossen Händen schiebt sie das Glas weg, ohne sich zu schneiden. «Ich arbeite mit Nadel und Faden, meine Hände sind Feinarbeit gewohnt», sagt Milani. Kaum ist die Katze befreit, rennt sie in gestrecktem Galopp davon und verkriecht sich für den Rest des Tages unter Milanis Bettdecke.

Erst jetzt wagt Milani einen Blick aus ihrem Fenster. Das parkierte Auto direkt darunter ist ein Wrack. Und darin liegt gut erkennbar ein lebloser Körper.

«Ein wahnsinniges Chaos»

In den stillen Nydeggstalden kommt nun Leben. Lichter gehen in den Häusern an, Anwohner rennen auf die Strasse. Das Kopfsteinpflaster ist übersät von Scherben und Wrackteilen. «Es war ein wahnsinniges Chaos», sagt Milani. Die aufgescheuchten Anwohner reimen sich zusammen, dass ein Sprengsatz vorzeitig explodiert sein muss. Sie schütteln den Kopf über das Missgeschick des Opfers – und sind erleichtert, dass die Explosion offenbar nicht ihnen galt.

Schnell trifft die Polizei ein und sperrt den Nydeggstalden ab. Sie organisiert gar Handwerker, die am Morgen behelfsmässig die kaputten Fensterscheiben ersetzen. Von der Polizei hört Marianne Milani erstmals die Vermutung, dass die Explosion mit dem Jurakonflikt zu tun habe.

Am nächsten Tag erhält der Tote einen Namen, den sogar die damals diskrete Presse nennt: Christophe Bader, 21 Jahre jung, Metzgerlehrling aus St-Brais in den jurassischen Freibergen. Der «Blick» spricht von «Jura-Terror» und nennt Bader einen «Bombenleger». Die Medien zitieren spektakuläre Enthüllungen der Bundesanwaltschaft: Der junge Mann habe einen Sprengstoffanschlag auf das Berner Rathaus vorgehabt und mit zwei Komplizen eine ganze Anschlagsreihe geplant.

Rote Linie überschritten

Der Knall vom 7. Januar 1993 sollte ein lang anhaltendes Echo haben. Er war nicht nur ein Weckruf für die Menschen am Nydeggstalden, sondern für die politische Schweiz. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ein Gewaltakt schliesslich zur Beruhigung des Jurakonflikts führte. Der Tag ist ein Wendepunkt in der Jurafrage.

Mit dem Todesfall mitten in der Kantonshauptstadt wird eine rote Linie der Gewalt überschritten. Danach beginnt ein exemplarischer Versöhnungsprozess des Bundes mit den zerstrittenen Kantonen Bern und Jura. Ihr Ende findet dieser gemäss einer Vereinbarung von 2012 mit der Abstimmung von Moutier im März 2021. Das Städtchen entscheidet sich da für den Wechsel zum Kanton Jura. Offiziell gilt die Jurafrage seither als gelöst.

Der 7. Januar 1993 läutet auch die Entspannung ein, die es am 7. Dezember möglich macht, dass mit Elisabeth Baume-Schneider erstmals eine Jurassierin Bundesrätin wird.

30 Jahre zuvor aber ist das Klima im Jura vergiftet. Auch nach der Gründung des neuen Kantons im Nordjura 1979 brodelt der Konflikt weiter um den Südjura, der sich damals für einen Verbleib beim Kanton Bern ausgesprochen hatte. Die Wiedervereinigung von Nord- und Südjura bleibt die Doktrin der jurassischen Kantonsregierung. Separatistische Gruppierungen wie die militante Jugendorganisation der Béliers (Widder) kämpft weiterhin für diesen Traum.

Für einen klandestinen Kreis junger Radikaler gehen diese Bemühungen zu wenig weit. Für sie fährt der neue Kanton, der sich in die Eidgenossenschaft einfügen muss, einen viel zu zahmen Kurs. Sie sind verärgert über das Bundesgericht, das harte Urteile gegen Béliers fällt. Etwa gegen Pascal Hêche, obwohl der bestreitet, 1986 die Figur auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in der Berner Altstadt vom Sockel gestürzt zu haben.

Stilles Dorf, geschlossener Gasthof

Einer der jungen Radikalen ist Christophe Bader. In seinem Herkunftsort St-Brais in den Freibergen scheint jetzt im Winter die Zeit stillzustehen. Die paar Häuser des Dorfkerns ducken sich an einem Abhang unter einem grossen Windpropeller. Schon am frühen Nachmittag versinkt das Dorf im Schatten, nur das Hôtel du Soleil ist noch an der Sonne. Christophe Bader ist im Gasthof am Dorfplatz aufgewachsen. Weil er die «Sonne» nicht wie vorgesehen von seinem Vater übernehmen konnte, ist sie seit 2009 geschlossen.

Auf dem Friedhof am Dorfplatz befindet sich Christophe Baders Grab. Oben auf dem Grabstein steht zuerst sein Name, darunter der seines Vaters. Die verkehrte Reihenfolge lässt den Schmerz der Familie erahnen. 2013, als noch einmal über einen vereinigten Kanton Jura abgestimmt wurde, waren Angehörige von Christophe Bader bereit, mit dieser Zeitung zu reden. Nun, da der Jurakonflikt als beendet gilt, wollen sie nicht mehr Auskunft geben.

Am Dorfplatz in St-Brais steht ein von den Béliers einst geklautes Mühlrad. Auf einer Tafel schreiben sie: «Dieses Monument ist den verschwundenen jurassischen Militanten gewidmet, mit einem besonderen Gedenken an Christophe Bader.» Sie verehren das Explosionsopfer vom Nydeggstalden als Vorkämpfer für einen «freien und vereinigten Jura von Boncourt bis La Neuveville».

Am 7. Januar 1993 aber distanziert sich die ganze politische Klasse des Kantons Jura vom jungen Vorkämpfer, dessen militante Methoden sie zumindest befeuert hatte. Wie weit Bader gehen wollte, bleibt allerdings unklar. Plante er wirklich einen Anschlag auf das Berner Rathaus? Nach der Wirkung des Sprengsatzes am Nydeggstalden zu schliessen, wäre es eher ein Anschlag auf die Eingangstür gewesen.

Später nannten Medien gar das Bundeshaus als Anschlagsobjekt. Was Baders Ziel war, lässt sich derzeit nicht erhärten. Das Bundesarchiv findet auf Anfrage unter dem Stichwort «Christophe Bader» keine Akten mit den Aussagen der Bundesanwaltschaft. Sie würden ohnehin noch einer Sperrfrist unterliegen.

Marianne Milani erinnert sich an ein Detail, das eher auf das Rathaus deutet: 1993 durfte man den Nydeggstalden noch in beiden Richtungen und nicht nur abwärts befahren. Bader hätte also von seinem Parkplatz aus direkt das nahe Rathaus ansteuern können.

André Bandeliers Friedensinitiative

Der Friedensprozess, der 1993 lanciert wurde, hat mehrere Väter. Einer von ihnen ist der 2021 verstorbene, frühere Geschichtsprofessor André Bandelier aus Neuenburg. Der überzeugte, aber grosszügige Separatist aus der Region Moutier erklärte dieser Zeitung im Gespräch ein knappes Jahr vor seinem Tod: «Man muss lernen, mit Andersdenkenden zusammenzuleben und sie nicht als Feinde zu sehen.»

Kurz nach Christophe Baders Tod reist Bandelier mit drei Kollegen des Institut jurassien des Sciences, des Lettres et des Arts eigens nach Bern, um im Café Fédéral eine gut besuchte Pressekonferenz abzuhalten. Das Institut ist ein Verbund von Wissenschaftlerinnen und Kunstschaffenden aus der Juraregion. Ihre damalige Botschaft formulierte Bandelier im Gespräch 2021 so: «Jetzt muss man etwas machen, um das zerrissene Tischtuch zu flicken, sonst wird es gefährlich.»

Die Delegation warnt vor einer gefährlichen Eskalation in der friedlichen Schweiz. Und sie macht Vorschläge, wie sich die Kantone Bern und Jura mit dem Bund an einen runden Tisch setzen könnten. Es sind Rezepte, die sonst bei der Vermittlung zwischen Kriegsparteien zur Anwendung kommen. Bandelier wird darauf vom damaligen Justizminister Arnold Koller ins Bundeshaus zum Gespräch eingeladen. Bandelier überlässt dem Appenzeller Bundesrat seine Notizen.

Der heute 89-jährige Koller erinnert sich auf Anfrage gut an den 7. Januar 1993: «Der Explosionstod des jungen Jurassiers hat mir drastisch gezeigt, dass der Jurakonflikt nicht gelöst war.» Bader habe er nicht nur als Täter, sondern auch «als ein Opfer politischer Verblendung» gesehen. Die Jurafrage bezeichnet Koller als «die sicher grösste Herausforderung des föderalen Friedens in meiner Zeit als Bundesrat».

Nach Baders Tod habe sich «zum Glück die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine politische Lösung der Jurafrage nötig war». Koller griff auf das Modell direkter Treffen der Konfliktparteien unter Leitung des Bundes zurück. So einigte man sich schon auf die Abstimmungskaskade, die in den 1970er-Jahren zur Gründung des Kantons Jura führte.

1994 setzte er ein Gremium ein, wie es die Schweiz noch nie gesehen hatte. In die Interjurassische Versammlung (IJV) entsandten die beiden Kantonsregierungen je 12 Mitglieder. Heute blickt Arnold Koller befriedigt zurück: «Ich möchte den Behörden und dem Volk der Kantone Bern und Jura gratulieren, dass sie die schwierige Gebietsveränderung auf friedlichem, demokratischem Weg gelöst haben.»

Anschlag auf Mario Annonis Haus

Im symbolträchtigen Café Fédéral, wo André Bandelier einst zur Versöhnung im Jura aufrief, erzählt Mario Annoni (68) aus La Neuveville von den dramatischen Januartagen 1993. Er war damals im Berner Regierungsrat Vertreter des Berner Juras. Wie gefährlich der Jurakonflikt war, hat er selbst erlebt. Detailliert beschreibt er, wie im April 1992 ein Brandanschlag militanter Jurassier auf sein Haus in La Neuveville misslingt, weil die Zündschnüre erlöschen.

«Der Tod von Christophe Bader löste ein ungewöhnlich breites Echo aus und führte zu einem Meinungsumschwung», erinnert sich Annoni. Vorher habe der Emanzipationskampf der Jurassier viele Sympathien erhalten, 1993 aber habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es der Jurakonflikt nicht wert sei, so jung zu sterben. Der Druck auf die beiden zerstrittenen Kantone sei nun gewachsen.

Der Gründung der IJV ging laut Annoni ein bahnbrechender Kompromiss voraus, in dem beide Kantone über ihren Schatten springen mussten: Bern akzeptierte, noch einmal über eine Vereinigung von Nord- und Südjura zu reden. Der Kanton Jura anerkannte – gegen den Willen seiner militanten Veteranen – die Existenz eines bernischen Südjuras. «Dieser Kompromiss war für die Juraregion ein Entspannungszeichen», sagt Annoni. Auf einmal wurde eine interkantonale wirtschaftliche oder kulturelle Kooperation möglich.

2012 einigte sich die IJV auf eine von beiden Kantonsregierungen unterschriebene Roadmap. Am 24. November 2013 gab es im Kanton Jura und im Berner Jura noch einmal eine letzte Abstimmung über einen grösseren, vereinigten Kanton. Über 71 Prozent sprachen sich im Süden noch einmal für einen Verbleib bei Bern aus.

Die Vereinbarung von 2012 sah vor, dass Gemeinden mit einer Mehrheit für einen Kanton Jura kommunale Abstimmungen durchführen können. Belprahon und Sorvilier sprachen sich dabei für Bern aus, Moutier für den Wechsel zum Kanton Jura, der 2026 vollzogen sein soll.

Ende gut, alles gut? Hat der Weg seit Christophe Baders Tod ans Ende des Jurakonflikts geführt? «Die Jurafrage wird nach dem Übertritt von Moutier abgeschlossen sein. Ich bin froh, dass wir damit einen Strich darunter ziehen können», sagt auf Anfrage Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Bis Ende 2022 war sie Justizministerin und damit oberste Schirmherrin der Jurafrage. Von Amtes wegen leitete sie die tripartite Konferenz mit den Kantonen Jura und Bern, die zuletzt die Abstimmung in Moutier überwachte.

Es sei nun an den Kantonen und Akteuren vor Ort, noch offene Fragen im Interesse der Bevölkerung zu regeln, teilt Keller-Sutter mit. Und sie klopft allen Beteiligten auf die Schultern: «Die Jurafrage war ein Test der Widerstandsfähigkeit unserer Institutionen und eine Probe für den inneren Frieden im Land. Man kann sagen: Test bestanden!»

«Jurafrage noch nicht geklärt»

Das sehen nicht alle so. «Für uns ist die Jurafrage noch nicht geklärt», sagt Pierre-André Comte (68) militanter Veteran und Generalsekretär des Mouvement autonomiste jurassien (MAJ) mit Sitz im noch bernischen Moutier. Noch sei das Jurastädtchen nicht zum Jura übergetreten. Und die für das MAJ «irreguläre» Abstimmung in der Gemeinde Belprahon müsse wiederholt werden. «Die separatistische Minderheit im Südjura ist nicht einfach eine Quantité négligeable, sie muss sich ausdrücken können», findet Comte.

Er hat den jungen Christophe Bader gekannt. «Er war ein ungestümer Bélier», erinnert er sich. Ja, Bader habe 1993 eine rote Linie überschritten, denn die autonomistische Bewegung habe nie Blut vergossen. «In der tragischen Geschichte trägt aber auch Bern eine Mitverantwortung», behauptet Comte. Wenn die Demokratie keine Fortschritte bringe, würden Extremisten solche Methoden wählen. «Für einen Militanten wie mich genügt die institutionelle Klärung der Jurafrage nicht», sagt Comte. Die Wiedervereinigung der beiden Jurahälften bleibe «zumindest ein Fernziel».

Die Vereinigung ist allerdings selbst im Kanton Jura der verblassende Traum einer schrumpfenden und alternden Minderheit von Aktivisten wie Pierre-André Comte. Die jurassische Kantonsregierung hat im Rahmen der tripartiten Konferenz bestätigt, dass mit Moutiers Kantonswechsel auch für sie die Jurafrage geklärt ist. Laut dem bernjurassischen Regierungsrat Pierre Alain Schnegg haben die jurassischen Behörden gar angekündigt, umstrittene Wiedervereinigungsartikel aus ihrer Kantonsverfassung zu streichen.

Jura-Euphorie dank Baume-Schneider

Alt-Bundesrat Koller hat dem Volk im Jura vielleicht zu früh gratuliert. Zumindest im Städtchen Moutier ist der Konflikt emotional noch nicht beigelegt. Die berntreuen Abstimmungsverlierer lecken ihre Wunden, einige sind gar aus dem Städtchen weggezogen. Im jahrzehntelang heiss umkämpften Ort bleibt die Spaltung zwischen Bern und Jura virulent.

Dieses lokale Missbehagen aber wurde am 7. Dezember überstrahlt vom Glanz auf der nationalen Bühne, als die Jurassierin Elisabeth Baume-Schneider in den Bundesrat gewählt wurde. Wie sie mit ihrem Berner Kollegen Albert Rösti Seite an Seite den Eid und den Schwur ablegte, wurde wie eine Erfüllung der Friedensmission gefeiert, die Christophe Baders Tod in Gang gesetzt hat. Der Kanton Jura schien in der Schweiz anzukommen.

Es fiel nicht einmal auf, dass Baume-Schneider nach ihrer Wahl auf dem Berner Bundesplatz die Rauracienne, die Jurahymne, sang. Obwohl in deren Text – gegen den mehrfachen Entscheid des Südjuras für Bern – von einer «Wiedervereinigung vom Bielersee bis zu den Toren Frankreichs» die Rede ist.

Wer in der Jurageschichte etwas weiter zurückblickt, weiss, dass Baume-Schneider als jurassische Regierungsrätin eine flammende Separatistin war. In einem Interview mit dem «Bund» gestand sie 2013, dass sie als Jugendliche «Berndeutsch gehasst habe». Der langjährige Berner Regierungsrat Christoph Neuhaus bemerkt dazu: «Ich habe Frau Baume-Schneider bei all den Verhandlungen mit der jurassischen Regierung immer nur Französisch und nie Berndeutsch reden hören. Ich stelle nun mit Freude fest, dass sie quasi bilingue ist und auch dazu steht.»

Die einst flammende Separatistin ist nun als Justizministerin die neue Schirmherrin über der Jurafrage. Sie müsste bei neuen Differenzen vermitteln. Wie wäre das für sie? Baume-Schneider will vor ihrem Amtsantritt keine Fragen beantworten. Der Separatistensekretär Pierre-André Comte lobt ihre profunden Kenntnisse der Jurafrage. «Sie hat nun als Bundesrätin eine andere Rolle», sagt er, «aber sie wird auch in Bundesbern immer eine Jurassierin bleiben.»

Auf der Suche nach Normalität

30 Jahre nach dem traurigen Tod von Christophe Bader und einem beeindruckenden Verhandlungsprozess ist der Jura noch auf der Suche nach Normalität. Der Kanton Jura muss den Übergang vom heroisierten Unabhängigkeitskampf in die Gegenwart schaffen. Die Berner Politik aber lässt die schwierigen Jahre des Jurakonflikts gern hinter sich.

«Im Berner Jura ist eine neue Dynamik zu beobachten, die Menschen sind erleichtert, dass die Kämpfe um die Jurafrage beendet sind», sagt der bernjurassische Regierungsrat Pierre Alain Schnegg. Die Menschen könnten sich endlich auf ihre Zukunft und die Ausstrahlung ihrer Region konzentrieren. Allerdings muss der Kanton Bern dafür mit dem Projekt «Avenir Berne Romande» die Verwaltung im französischsprachigen Kantonsteil ohne den bisherigen Hauptort Moutier neu aufstellen.

Projektleiter ist der mit allen Wassern des Jurakonflikts gewaschene Mario Annoni. Er sieht den Berner Jura in einer «spannenden Phase der Entwirrung». Die Region werde nun ein eigener Teil der Romandie – und Bern dadurch ein wirklich zweisprachiger Kanton. Auch Annoni weiss aber: Dafür braucht es die Zustimmung und die finanziellen Mittel des ganzen Kantons. Die Neuerfinder des Berner Juras wollen sogar das politisch belastete Wort «Jura» vermeiden. Sie haben die neue regionale Marke «Grand Chasseral» geprägt. Mal sehen, ob sich diese Marketingidee durchsetzt.

Derweil ist man im Dorf St-Brais froh, dass das Hôtel du Soleil «in jurassischen Händen bleibt». Ein einstiger Freund von Christophe Bader soll es übernehmen und bald wieder eröffnen.

In einer früheren Version dieses Artikels stand fälschlicherweise, dass die Bundesratswahlen 2022 am 8. Dezember stattgefunden haben. Sie fanden am 7. Dezember 2022 statt.
(https://www.derbund.ch/wie-die-detonation-am-nydeggstalden-bis-heute-nachhallt-115018284092)