Terror in Paris, KKS gegen Resettlement, Rassismus statt Opferschutz

Proteste gegen rechten Terror in Paris

Was ist neu?

Rechter Terror in Paris

In Paris in der Rue d’Enghien im zehnten Arrondissement hat ein 69-jähriger Franzose drei Menschen ermordet. Weitere Menschen wurden verletzt. Mindestens eine Person befindet sich noch in Lebensgefahr.

Bild: Nach dem Attentat in der Rue d’Enghien in Paris: Demonstrant*innen bekunden Unmut, Wut und Trauer

Der Täter eröffnete Freitagmittag das Feuer auf das kurdische Zentrum Ahmet Kaya (welches nach dem kurdischen Sänger Ahmet Kaya benannt ist), sowie auf ein gegenüberliegendes Restaurant und einen Friseursalon. Ein Künstler, der in dem Zentrum arbeitet, geht von einem gezielten Angriff auf die kurdische Community aus. „Wieder einmal haben es die französischen Behörden versäumt, uns zu schützen“, sagte ein Sprecher des Zentrums.

Der Täter war gerade aus der Untersuchungshaft entlassen worden, nachdem er letzten Dezember mit einem Säbel ein Zeltlager von obdachlosen geflüchteten Menschen angegriffen hatte. Zudem habe er sowohl im Jahr 2016, als auch im Jahr 2021, versuchte Morde aus rassistischen Motiven begangen und hatte als Sportschütze Zugang zu Waffen. Trotzdem galt er bei den Behörden nicht als „Ultrarechter“ und seine Taten wurden nicht als „politischer Extremismus“ eingestuft. Hier kann nur von grob fahrlässigem Behördenversagen die Rede sein. Wie kann es möglich sein, dass jemand, der bereits drei zutiefst gewaltvolle rassistische Hassverbrechen durchführte, weiterhin über zahlreiche Waffen verfügen darf? Dass er nur zehn Tage nach seiner Entlassung einen rassistischen Terroranschlag durchführt, zeigt, wie sehr die französische Justiz auf dem rechten Auge blind ist.

Alle Opfer sind laut „Conseil démocratique kurde en France“ (CDK-F) kurdische Aktivist*innen. Sie befanden sich gerade in einer Vorbereitungssitzung für eine Gedenkdemonstration des zehnjährigen Jahrestages eines Attentates auf drei kurdische Aktivistinnen. Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Söylemez waren am 9. Januar 2013 im kurdischen Informationszentrum nahe des Nordbahnhofs hingerichtet worden. In mehreren europäischen Städten kam es zu Spontan-Kundgebungen von Exil-Kurd*innen und Unterstützer*innen.

https://taz.de/Rassismus-als-Motiv-vermutet/!5904565/
https://www.derstandard.de/story/2000142067227/drei-tote-durch-schuesse-in-paris-buergermeisterin-spricht-von-rechtsextremem
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/tote-nach-schuessen-in-paris-101.html
https://www.deutschlandfunk.de/offenbar-rassistisches-motiv-bei-toedlichem-schusswaffenangriff-in-paris-100.html
https://www.zeit.de/gesellschaft/2022-12/paris-schuesse-tote-verletzte-frankreich
https://www.spiegel.de/ausland/paris-anne-hidalgo-bezeichnet-mutmasslichen-taeter-als-rechtsextremisten-a-aa6121cb-78df-4843-8acf-3b0b3a5a6c77
https://www.inventati.org/ali/index.php/archiv/internationalismus/1926-drei-kurdische-politikerinnen-in-paris-hingerichtet.html

Grossbritannien: Vier Tote im Ärmelkanal und Urteil des High Court

Unter der neuen Regierung von Premierminister Rishi Sunak und Innenministerin Suella Braverman soll es zu weiteren Verschärfungen des Asylregimes kommen. Genauso hat der High Court in London die Rechtmässigkeit der Regierungspläne bestätigt, ‚illegal’ eingereiste Asylsuchende nach Ruanda abzuschieben. Und dies vor dem Hintergrund eines weiteren Seenotfalls auf dem Ärmelkanal, bei dem mindestens vier Personen starben.

Bild: Proteste gegen die geplanten Abschiebungen nach Ruanda vor dem High Court in London

Die geplante Verschärfung des Asylregimes der britischen Regierung soll konservative Wähler*innen-Stimmen generieren, Stimmen von den noch rechteren Parteien abschöpfen, zu denen mit diesem Programm jedoch mittlerweile keine Unterschiede zu erkennen sind. Zuerst soll die Anzahl der Sachbearbeiter*innen im Asylsystem verdoppelt werden, um alle unbearbeiteten Asylanträge (mehr als 100.000) so schnell wie möglich zu bearbeiten. Das ist grundsätzlich keine schlechte Idee, schliesslich ist die Ungewissheit und die lange Wartezeit häufig unerträglich für die geflüchteten Menschen.

Leider geht es bei dieser schnellen Bearbeitung aber wohl vor allem darum, diese Menschen so schnell wie möglich loszuwerden. Denn Sunaks und Bravermans Pläne sehen auch vor, keiner Person, die ‚illegal‘ eingereist ist, Asyl zu gewähren. Bereits nächstes Jahr soll ein diesbezüglicher Gesetzesentwurf vorgelegt werden. U.a. wird auch dauerhafte Internierung ohne Verfahren als Möglichkeit in Betracht gezogen werden.

Des weiteren beinhalten die Pläne, Albanien als ‚sicheres Herkunftsland‘ einzustufen. Ebenfalls will die Regierung die Bestimmungen zu moderner Sklaverei verschärfen. Diese drastische Massnahme zielt darauf ab, es Menschen zu erschweren, mit Verweis auf ihre Versklavung Asyl beantragen zu können. »Die meisten dieser Vorschläge sind grausam, wirkungslos und gesetzeswidrig, und sie werden nichts erreichen, um die wirklichen Probleme im System zu beheben.«, kommentiert Tim Naor Hilton, der Vorsitzende der Flüchtlingsstiftung Refugee Action.

Zusätzlich hält auch die neue Regierung an den entrechtenden Plänen fest, Menschen nach Ruanda zu deportieren. Diese waren bereits unter Premierminister Boris Johnson und Innenministerin Priti Patel entstanden und dieses Jahr in Ruandas Hauptstadt Kigali unterzeichnet worden. Umgerechnet sind bereits 140 Mio. in den Deal geflossen, bevor der erste geplante Deportations-Flug im Juni 2022 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gestoppt wurde. Geplant sind 1,6 Mrd. Euro jährlich, die in das Asylsystem in Ruanda fliessen sollen. Erschreckenderweise hat der High Court in London diese Woche die Rechtmässigkeit der Deportationen nach Ruanda und die dortige Einrichtung eines Asylsystems bestätigt.

Acht Kläger*innen, die im Juni von Deportation bedroht waren, waren vor Gericht gezogen. Die Enttäuschung und Ungläubigkeit über das Urteil ist gross, aber die Kläger*innen werden entweder Berufung einlegen oder das Urteil vor den Supreme Court weiterziehen. Die Regierung bezieht sich tatsächlich ganz offiziell auf den Bericht eines Rechten, ‚Think Tanks‘, Braverman verfasste das Vorwort dazu. Und um nur ein Beispiel der menschenverachtenden, rassistischen und verzerrenden Rhetorik von Regierungsmitgliedern aufzuzeigen, hier ein Zitat von Migrationsminister Robert Jenrick: „Das bedeutet auch, dass wir uns überlegen müssen, wie wir die Menschen bei ihrer Ankunft behandeln, damit niemand denkt, dass die Einreise ins Vereinigte Königreich ein Kuschelkurs ist und dass das Vereinigte Königreich kein besserer Ort für ‚Asyl-Shopper*innen‘ ist als unsere EU-Nachbar*innen.“

Uns von antira.org kommt bei diesen Worten die Galle hoch. Vor allem, wenn man bedenkt, wie viele Menschen die lebensgefährliche Überfahrt nach Grossbritannien auf sich nehmen. Erst letzte Woche starben mindestens vier Menschen bei einem Seenotfall auf dem Ärmelkanal südlich von Kent. Es gab ein grosses Aufgebot an Rettungskräften.43 Menschen konnten gerettet werden, mehr als dreissig von ihnen mussten bereits aus dem Wasser geborgen werden. Das Unglück erinnert an den Seenotfall vom 24. November 2021, bei dem 27 Menschen ums Leben kamen. In diesem Fall können jedoch die Überlebenden Aufschluss darüber geben, was in der Nacht auf den 14. Dezember vorgefallen ist.

Bild: Die Koordinaten des Seenotfalls in der Nacht auf den 14. Dezember. Vier Personen starben.

Sunak und Braverman zeigen sich betroffen in der Öffentlichkeit, halten jedoch in aller Doppelmoral an ihren Aussagen und der Umsetzung ihrer Pläne fest.
Die vermehrte Ankunft von Booten mit Menschen auf der Flucht wird von der britischen Regierung zum grosses Problem erklärt. Tatsächlich sind die Ankünfte per Boot seit letztem Jahr um mehr als 10.000 von 28.500 im Jahr 2021 auf mehr als 40.000 im Jahr 2022 gestiegen. Aber vor allem der Brexit, Einreiseverschärfungen aufgrund der Coronapolitik, sowie die restriktive Asylpolitik haben dazu geführt, dass Menschen auf der Suche nach Asyl kaum mehr auf anderen Wegen in das Land einreisen können. Auch die Überfahrten in Zügen und Lastwägen bargen selbstverständlich Risiko, aber die Lage spitzt sich für die flüchtenden Menschen zusehends zu. Erst im November hatte die britische Regierung zudem einen millionenschweren Deal mit Frankreich unterzeichnet, damit mehr französische Grenz-Beamt*innen die Küsten patrouillieren und Boote am Ausfahren hindern. Auch Überwachungsdrohnen wurden angeschafft.

Gegen alle diese Schritte gibt es aber auch Widerstand: So werden kritische Stimmen von Aktivist*innen und NGOs, sowie aus der Labour-Party laut, nach denen als einzige Lösung ein ‚Safe Passage Visa‘ gelten kann, welches Menschen auf der Flucht eine sichere Einreise bieten soll.

https://alarmphone.org/en/2022/12/14/the-deadly-line-militarised-borders-lead-to-more-deaths-in-the-english-channel/?post_type_release_type=post&fbclid=IwAR3W18EUmT04SEid6vjJMHoPCJnXCZexMb79I_f9e_x0eFvElOv1bslC6oo
https://www.spiegel.de/ausland/grossbritannien-mehrere-tote-nach-bootsunglueck-im-aermelkanal-befuerchtet-a-e7c7061f-e2c2-4556-876b-af77ad2e546a
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169350.migration-london-will-asylrecht-verschaerfen.html
https://www.theguardian.com/uk-news/2022/dec/14/uk-coastguard-responds-to-small-boat-incident-in-channel-search-and-rescue
https://www.theguardian.com/uk-news/2022/dec/11/home-office-staff-call-for-unpalatable-small-boats-deal-to-be-scrapped
https://www.derstandard.at/story/2000141924042/gericht-london-darf-asylsuchende-nach-ruanda-schicken?ref=rss
https://www.derstandard.at/story/2000141939641/punktsieg-fuer-die-britische-ruanda-politik?ref=rss
https://taz.de/Asyldeal-von-Grossbritannien-und-Ruanda/!5903335/
https://www.woz.ch/zoo/2022/12/20/festung-grossbritannien
https://www.srf.ch/news/international/umstrittene-fluechtlingsdeals-ruanda-hat-von-uns-profitiert-und-uns-dann-weggeworfen

Was geht ab beim Staat?

Karin Keller Sutter setzt Resettlement-Programm aus

Nun ist auch noch der letzte schmale Pfad, auf dem schutzbedürftige Menschen legal in die Schweiz kommen konnten, versperrt. Karin Keller-Sutter stoppt das Resettlement-Programm und blockiert hunderte Aufnahmeplätze, die vom UNHCR insbesondere traumatisierten Frauen und Kindern zugesagt wurden.

«Wann immer Karin Keller-Sutter gefragt wurde, ob es legale Fluchtrouten nach Europa brauche, verwies sie auf die Kontingente für UNHCR-Flüchtlinge: «Legale Zugangswege gibt es schon heute, zum Beispiel in Form von Resettlement-Programmen des UNHCR», antwortete sie vor einem Jahr in der NZZ. (…) Auch in einer aktuellen Studie des Staatssekretariats für Migration (SEM) über Zugangsmöglichkeiten für Geflüchtete wird die Aufnahme von besonders vulnerablen Personen aus Kriegsgebieten betont. Auf die Erörterung von zusätzlichen Wegen in die Schweiz verzichtet der Bericht, obwohl das SEM dem Städteverband genau dies versprochen hatte,» fasst Kaspar Surber in der WOZ treffend die politische Argumentation von Karin Keller-Sutter in den vergangenen Jahren zusammen.

Dass der Bericht des SEM auf keine alternativen Möglichkeiten eingeht, wie man legal in die Schweiz einreisen kann, wenn man ein Asylgesuch stellen möchte, liegt vermutlich daran, dass es keine gibt. Vorschläge gibt es dafür hingegen zahlreiche: Wiedereinführung des Botschaftsasyls! «Brauchen wir nicht, wir haben ein Resettlement-Programm.» Freiwillige Aufnahme durch Städte und Gemeinden! «Brauchen wir nicht, wir haben ein Resettlement-Programm.» Menschen aufnehmen, die bereits als besonders schutzbedürftig ausgewählt wurden und «echte Flüchtlinge» sind? Ja, genau das wäre noch im Resettlement vorgesehen gewesen. Jetzt ist auch damit Schluss.

Die Schweiz hatte in der Vergangenheit Kontingente von maximal 2’000 Resettlement-Plätzen in zwei Jahren ausgesprochen. Ein Tropfen auf den heissen Stein, angesichts von Millionen Menschen auf der Flucht, der weiteren Verschlechterung der Situation im Iran, in Afghanistan, in Kurdistan und in zahlreichen anderen Ländern. Plätze im Programm bekommen aktuell vor allem Menschen aus Syrien, Afghanistan oder dem Sudan, die vom UNHCR ausgewählt und dem SEM vorgeschlagen werden. Bislang hat die Schweiz lediglich 641 der vorgesehenen 1’820 Personen aufgenommen.

Begründet wird die Aussetzung der Aufnahme mit einer «Überlastung des Asylsystems». In diesem Jahr rechnet das SEM nach eigenen Angaben mit bis zu 75’000 Menschen aus der Ukraine und 24’000 Menschen aus anderen Ländern, die in die Schweiz kommen oder schon gekommen sind. Dass es für diese Menschen an Unterkunft und Betreuung fehlt, liegt an einer nachhaltigen Fehlplanung, die immer mit einem Minimum an ankommenden Personen rechnet und Plätze streicht, wo immer es möglich erscheint. Nun soll die Armee mit der Bereitstellung von tausenden provisorischen Betten aushelfen. Zusätzlich kann das SEM gemäss eines Beschlusses des Bundesrats je nach tatsächlichem Bedarf auf die Unterstützung von bis zu 500 Angehörigen der Armee zurückgreifen.

Wie geht es weiter? Die Aussetzung des Resettlements empfohlen hatte der Sonderstab Asyl (Sonas), unter der Leitung der SEM-Chefin Christine Schraner Burgener. Im Frühjahr soll durch diesen eine neue Überprüfung stattfinden. Ein Kampf für die Wiederaufnahme des Programms ist eine Minimalforderung. Unser Ziel heisst weiterhin: Keine Grenzen, Aufnahme für alle, Festung Europa einreissen.

https://www.woz.ch/2251/fluechtlingskontingente/fluechtlingskontingente-keller-sutters-vermaechtnis/%21YVM77YCYGNBY
https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/schweiz/schweiz-laesst-uno-fluechtlinge-warten-ld.1717650
https://www.srf.ch/news/schweiz/volle-asylzentren-die-armee-greift-dem-asylwesen-unter-die-arme

Was ist aufgefallen?

Bern: Rassistische Repression gegen migrantische Täter*innen auf Kosten des Opferschutzes

Der Berner Regierungsrat Pierre Alain Schnegg nutzt die neue kantonale Opferhilfestrategie für einen rassistischen Angriff. Statt mehr Mittel für Opfer von Straftaten zur Verfügung zu stellen, will er einseitig die Repression gegen die Täter*innen erhöhen – allerdings nur gegen migrantische geflüchtete Täter*innen.

Bild: Stopp häusliche und sexualisierte Gewalt, stopp strukureller Rassismus

Das Opferhilfegesetz schreibt an sich nur vor, dass Hilfsangebote für Opfer von Straftaten existieren und finanziert werden. Im Kanton Bern sind es die telefonischen Hotlines AppElle und Dargebotene Hand, die Opferberatungsstellen Lantana, Vista und FIZ mit ihren Gratisanwält*innen sowie die Frauenhäuser in Bern, Biel und Thun, die diesen Gesetzesauftrag sicherstellen. Opfer erhalten (1) Beratung, (2) Soforthilfe und längerfristige Hilfe (z. B. juristische, psychologische oder medizinische Hilfe sowie Unterbringung in einer Schutzunterkunft) sowie (3) finanzielle Leistungen (Genugtuung und Entschädigung).

Der Ausbau dieser Angebote wäre dringend nötig und ist seit langem gefordert. Doch trotz feministischen Kämpfen bleiben die Forderungen unerhört: „Die Opferhilfe wird zukünftig nicht mehr finanzielle Mittel als heute zur Verfügung haben. Neuerungen, Innovationen und Optimierungsmassnahmen müssen auf Kostenneutralität hin ausgerichtet werden“, heisst es in der neu präsentierten Strategie. So werden die fortgeschrittenen Pläne für das dringend benötigte Mächenhaus wieder auf Eis gelegt und bei den drei unterfinanzierten und zu kleinen Frauenhäusern werden gar 50 000 Franken eingespart. Die drei Häuser bieten zusammen 41 Betten an. Das reicht nicht aus für die 1497 Fälle von häuslicher Gewalt oder 838 Fällen von Sexualdelikten, die 2021 registriert wurden.

Statt Opferschutz fokussiert Schneggs Strategie auf Repression gegen Täter*innen. Doch nicht alle Täter*innen haben etwas zu befürchten, sondern ausschliesslich die migrantischen und speziell die geflüchteten Täter*innen. In den kommenden Jahren soll die Umsetzung fünf rassistisch-repressiver Massnahmen geprüft werden:

  •  Ausschluss geflüchteter Täter*innen aus Asylcamps: „Es muss ermöglicht werden, dass Täterinnen und Täter zum Schutz anderer Personen aus einer Asyl- oder Kollektivunterkunft weggewiesen werden können.“
  • Brandmarken von Täter*innen, die in Asylcamps isoliert sind: „Die Gewalt in den Asylunterkünften muss der Öffentlichkeit gegenüber sichtbar gemacht werden, z. B. durch anonymisierte Statusberichte.“
  •  Ausschluss aus der Sozialhilfe von geflüchteten Täter*innen: „Wer im Kontext Asyl und Flüchtlinge sowie allgemein im Migrationsbereich häusliche Gewalt oder eine andere Art von Gewalt ausübt (Schlägereien), wird systematisch sanktioniert (…) Die Sanktionen können beispielsweise das Aussetzen von Anreizen / Privilegien oder die Kürzung bzw. Einstellung der Sozialhilfe darstellen.“
  • Sprachkurszwang für geflüchtete Täter*innen: „Fehlende Integration, ein geringes Bildungsniveau und ein tiefer sozioökonomischer Status sind Treiber von Gewalttaten. Die vorhandenen Instrumente (…) werden genutzt, um die Täterinnen und Täter verpflichten zu können, ihre Sprachkompetenz zu verbessern sowie das Bildungsniveau zu steigern, um dadurch die Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern“.
  • Senkung der Sozialhilfe für nicht-geflüchtete migrantische Täter*innen – was einer Sippenhaft für deren Haushalte bzw. Familien gleichkommt.

Schnegg missbraucht mit seiner Strategie das Opferhilfegesetz und verletzt rechtsstaatliche Prinzipien:

  • Dieses sieht ausschliesslich Opferschutz und keine Repression gegen Täter*innen vor.
  • Das Budget der Opferhilfe muss für Opfer genutzt werden und darf nicht für Täter*innen-Arbeit ausgegeben werden.
  • Bestrafung ist Aufgabe der Justiz und nicht der Opferhilfe oder einer Migrations- oder Asylbehörde. Die Strategie verstösst somit gegen die Gewaltentrennung.
  • Die Strategie führt zu einer Doppelbestrafung. Täter*innen werden von der Justiz verurteilt und von den Behörden der Bereiche Sozialhilfe, Asyl oder Migration ein zweites Mal sanktioniert.
  • Die Strategie zielt einseitig gegen migrantische und geflüchtete Täter*innen und ist somit strukturell rassistisch.

https://www.gsi.be.ch/de/start/ueber-uns/amt-fuer-integration-und-soziales/projekte-ais/kantonale-opferhilfestrategie.htmlhttps://www.derbund.ch/kanton-nimmt-taeter-mit-migrationshintergrund-ins-visier-999924819505https://stiftung-gegen-gewalt.ch/wsp/site/assets/files/1309/factsheet_zur_opferhilfe_strategie_juni_22.pdfhttps://www.bpb.de/themen/innere-sicherheit/dossier-innere-sicherheit/301624/migration-und-kriminalitaet-erfahrungen-und-neuere-entwicklungen/

Was nun?

Winterquartier gegen das WEF

Dieses Jahr findet das World Economic Forum wieder wie geplant im Januar statt. Führende Politiker:innen und Expert:innen aus aller Welt kommen in Davos zusammen, um sich mit den Herausforderungen der Gegenwart zu befassen. Es werden Themen wie der Ukrainekrieg diskutiert, auch der Umgang mit globalen Pandemien ist ein Diskussionsthema.
https://rabe.ch/2022/12/20/winterquartier-gegen-das-wef/

Crowdfunding: Halbtax gegen Isolation

Ab heute sammelt das Migrant Solidarity Network Geld für 300 Halbtax-Abos für geflüchtete Personen. Bis Ende Jahr brauchen wir insgesamt 55 500 Franken. Ein Halbtax-Abo kostet 185 Franken pro Jahr oder 15.50 Franken pro Monat. Spendet – auch kleine Beträge sind wichtig! Und helft mit, das Crowdfunding bekannt zu machen. Die ersten Tagen sind entscheidend.

https://wemakeit.com/projects/halbtax-gegen-isolation
https://migrant-solidarity-network.ch/2022/12/16/crowdfunding-halbtax-gegen-isolation/

Schweizerische Flüchtlingshilfe fordert Asyl für iranische Geflüchtete

„Nach Einschätzung der SFH besteht für Demonstrierende, Dissidenten und Menschenrechtsverteidigerinnen in Iran ein hohes Risiko, verhaftet und zu Haftstrafen oder Auspeitschungen verurteilt zu werden. Auch religiöse Minderheiten, wie zum Christentum Konvertierte, sind von massiver Repression bedroht. Frauen laufen Gefahr für «Verstösse gegen die Sitten» Opfer von Verbrechen im Namen der «Ehre» zu werden oder durch staatliche Akteure inhaftiert und bestraft zu werden. Schliesslich werden LGBTQI+-Personen unterdrückt und gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen können in Iran mit dem Tod oder Auspeitschen bestraft werden. Der Iran ist nach wie vor einer der führenden Vollstrecker der Todesstrafe. Im Jahr 2021 wurden mindestens 310 Menschen hingerichtet. Die Todesstrafe wird als Mittel der politischen Unterdrückung eingesetzt.

Im September und Oktober 2022 war gegenüber den Vormonaten ein deutlicher Anstieg der Asylgesuche von iranischen Staatsangehörigen in der Schweiz zu beobachten. Angesichts der aktuellen Lage in Iran fordert die SFH, dass geflüchteten Demonstrierenden in der Schweiz Asyl gewährt wird. Wie das kürzlich veröffentlichte Factsheet der SFH zur Lage in Iran zeigt, gibt es zahlreiche weitere Risikoprofile wie beispielsweise konvertierte Christen, LGBTQI+-Personen und von häuslicher Gewalt betroffene Frauen. Auch ihnen sollte in der Schweiz Schutz gewährt werden.“
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/standpunkt/brutale-repression-in-iran-hinschauen-und-schutz-gewaehren?_ga=2.3631600.198040294.1670942998-336379557.1670942998

Was schreiben andere?

Bundesasylcamp Boudry: Ein Suizid bleibt ohne Folgen

Am 23. Dezember 2020 nahm sich B. unweit des Bundesasylcamp Boudry das Leben. Eine externe Untersuchung stellte ein Jahr danach erschreckende Fehlhandlungen der zuständigen Akteur*innen im Bundesasylcamp fest. Zwei Jahre nach dem Suizid gibt es für die (Mit-)Verantwortlichen noch immer keine namhaften Konsequenzen. Das Migrant Solidarity Network verurteilt die folgenschwere Vernachlässigung von B. und erwägt, Strafanzeige einzureichen.

Bild: In Gedenken an B.

Vom Migrant Solidarity Network

B. war aus Pakistan geflohen und suchte in der Schweiz Schutz und Sicherheit. Anfangs Dezember 2020 wurde der 40-Jährige dem Bundesasylcamp Boudry zugeteilt. Der interne Gesundheitsdienst MedicHelp stellte gesundheitliche Probleme fest. B. war stark suchtkrank (Alkohol), litt unter Stress- und Angstzuständen sowie Schlafstörungen. Zudem äusserte er Suizidgedanken.

In den Wochen vor seinem Tod leitete die MedicHelp kaum angemessene psychologisch-psychiatrische Behandlung ein. Die für die Betreuung zuständige ORS AG bot ungenügend Unterstützung an und das Staatssekretariat für Migration intervenierte trotz der erhöhten Obhutspflicht nicht: Das Recht auf Leben wurde nicht geschützt.

Auf die Probleme von B. reagierte vorwiegend die private Sicherheitsfirma Protectas AG – mit Repression. Sie betrachtete B. trotz seiner Vulnerabilität einseitig als Gefahr und schloss ihn aufgrund von aggressivem Verhalten wiederholt vom Camp aus. In den drei Wochen vor seinem Suizid erfuhr B. erschütternde Repression.

Am 10. Dezember 2020 versucht B. sich ein erstes Mal das Leben zu nehmen. An diesem Tag wird B. der Zugang zum Camp verweigert, weil er betrunken ist. Die Temperaturen sind unter null Grad. B. geht zum Wartesaal des Caritas-Rechtsdienst. Er ist verzweifelt, äussert Suizidgedanken. Kurz darauf wird er von Mitarbeitenden des Caritas-Rechtsdienstes auf den Zugschienen ausserhalb des Camps gefunden. Er verbringt die Nacht auf dem Notfall. Bereits am nächsten Morgen wird er ohne weiteren Behandlungsplan entlassen. In den Akten des Sicherheitspersonal wird der Suizidversuch nicht erwähnt. Protokolliert wird einzig sein „Regelverstoss“. Die Felder „Verletzungen“, „Zustand“ „Spezielles“ bleiben leer. Eine dringende psychiatrische Behandlung aufgrund akuter Suizidalität wird nicht aufgegleist.

Am 12. Dezember – zwei Tage nach dem Suizidversuch – wird B. erneut aus dem Camp ausgeschlossen. Das Protectas-Personal erachtet sein Verhalten erneut als aggressiv, bedrohlich und entfernt B. aus den Räumlichkeiten des Bundesasylcamps. B. äussert Suizidgedanken. Er wird von der Polizei abgeführt. Zu einer (stationär-)psychiatrischen Behandlung aufgrund der akuten Suizidgefahr kommt es nicht.

Am 16. Dezember ist B. betrunken, aggressiv und äussert Suizidgedanken. Die private Sicherheitsfirma ruft erneut die Polizei, statt zu helfen. Die Polizei führt ihn ab und hält ihn für eine Nacht fest. Als er am nächsten Tag im Camp ankommt, lässt ihn die private Sicherheitsfirma ausserhalb des Camps warten, weil er sich nicht ausweisen kann. B. ersucht beim Caritas-Rechtsdienst um Hilfe. Dieser bringt ihn zum internen Gesundheitsdienst MedicHelp. Trotz der akuten Suizidalität wird erneut keine Behandlung initiiert.

Auch am Abend seines Todes reagiert die private Sicherheitsfirma mit Repression. Am 23. Dezember 2020 ist B. aufgebracht, aggressiv und betrunken. Ihm wird die Hilfe verweigert. Er wird für eine ganze Nacht aus dem Camp ausschlossen. Kurze Zeit nach diesem Entscheid nimmt sich B. auf den Zugschienen das Leben.

Die akute Suizidalität und Hilfsbedürftigkeit von B. wurde ignoriert. In den Bundesasylcamps hat der Staat aufgrund der Freiheitsbeschränkung eine erhöhte Obhutspflicht für das Recht auf Leben der dort isolierten Personen. Einzelne Akteur*innen tragen somit für den Suizid eine (Mit-)Verantwortung. Bisher ist nicht bekannt, ob die Vernachlässigung für sie Konsequenzen hat. Das Migrant Solidarity Network erwägt, Strafanzeige einzureichen.

Die Untersuchung des Suizids von B. macht sichtbar, wie stark die klar definierten Abläufe innerhalb der Bundesasylcamps auf Repression ausgerichtet sind. Therapiebedürftige Personen bleiben in diesem System besonders in akuten Notlagen alleingelassen. Todesfälle wie der Suizid von B. werden systematisch in Kauf genommen.

Wurden die minimalen Empfehlungen umgesetzt? In der erwähnten Studie werden vier dringende Massnahmen vorgeschlagen:

  • Selbstschädigende Handlungen definieren und erfassen, um suizidalem Verhalten besser vorzubeugen;
  • dem in den Zentren tätigen Personal eine spezifische Schulung zur Suizidprävention und zum Umgang mit Suizidrisiken anbieten;
  • eine Anlaufstelle für das Personal schaffen;
  • regelmässige Supervisionen durch Führungskräfte einführen, um die Praxis zu verbessern.

Am 16. Mai 2022 versprach das SEM: „Das SEM ist daran, diese Empfehlungen zu evaluieren“.Ob dies reicht, um geflüchtete Personen vor psychischen Erkrankungen und Suizid zu schützen, sei dahingestellt.
https://migrant-solidarity-network.ch/2022/12/23/bundesasylcamp-boudry-ein-suizid-bleibt-ohne-folgen/
https://www.sem.admin.ch/dam/sem/fr/data/publiservice/service/forschung/2021-studie-suizidpraevention-baz.pdf.download.pdf/2021-studie-suizidpraevention-baz-f.pdf

Wo gabs Widerstand?

Nothilfe: 11.10 Franken pro Tag seien zu wenig
Ein Verein fordert mehr Geld für Flüchtlinge. Der Verein Solinetz wendet sich mit einem offenen Brief an die Luzerner Regierung. Der Verein fordert eine deutliche Erhöhung der Unterstützungsleistungen für Asylsuchende.
https://www.zentralplus.ch/news/verein-fordert-mehr-geld-fuer-fluechtlinge-2504472/

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Geflüchtete junge Männer – gestrandet im Nidwaldner Rotzloch
Im Kanton Nidwalden sind junge, geflüchtete Männer im Rotzloch in Stanstad untergebracht. Die Filmemacherin Maja Tschumi hat sie rund zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet. Entstanden ist ein Film über die Suche nach einem besseren Leben und Liebe. (ab 07:05)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/gefluechtete-junge-maenner-gestrandet-im-nidwaldner-rotzloch?id=12303937