Themen
- Deutschland: Grossrazzia im Reichsbürger*innen-Milieu
- Kriminalisierung: Freispruch und Strafminderung für Amir und Razuli in Griechenland
- Der minimale Handlungsspielraum im Nothilferegime muss von den Kantonen mehr genutzt werden
- Bundesamt für Statistik: Neue Zahlen zu einem Jahrzehnt rassistischer Schlechterstellung
- Burgdorf: Mann in Regionalgefängnis verstorben
- Frontex informiert systematisch Libyen, anstatt Seenotrettungen zu veranlassen
- Neue Meldestelle für Misstände in Bundesasyllagern
- Protest gegen Dublinabschiebungen nach Kroatien
- Direkte Aktion für Rojava
Was ist neu?
Deutschland: Grossrazzia im Reichsbürger*innen-Milieu
Ein rechtsterroristisches Netzwerk plante die Stürmung des Bundestags. Adlige, AfD-Politiker*innen, ehemalige Soldat*innen und Polizeibeamt*innen sind involviert.
Letzte Woche wurden mehr als 130 Wohnungen, Büros und Lagerräume von über 50 Verdächtigen in elf verschiedenen Bundesländern in Deutschland durchsucht. 25 Menschen wurden festgenommen.
Schwerpunkte der Durchsuchungen lagen in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Hessen und Thüringen. Die Kaserne des Kommando Spezialkräfte (KSK) wurde ebenfalls durchsucht, sowie Liegenschaften im österreichischen Kitzbühel und im italienischen Perugia.
Bei den Festgenommenen handelt es sich um Teile eines rechtsterroristischen Netzwerks, welches plante, den Bundestag zu stürmen, Politiker*innen festzunehmen und eine neue monarchistische Regierung einzusetzen. In ihrer verzerrenden Sprechweise soll von ‚Nürnberg 2.0′ die Rede gewesen sein. Die Gruppierung hatte Waffen gekauft und Schiessübungen organisiert. Durch Black-Outs sollte die Bevölkerung verunsichert werden.
Nicht überraschend: Einige ehemalige und aktive Soldat*innen sind im Netzwerk organisiert. Vor allem ehemalige Fallschirmjäger*innen, (deren Ausbildung ein grosses Traditionsbewusstsein mit sich bringt, bis hin zu Wehrmachtsverherrlichung) oder Mitglieder des KSK, das immer wieder durch seine Nähe zu rechtsextremistischem Gedankengut auffiel. Es gab Protestaktionen, das KSK aufzulösen, doch die Mühlen der Institutionen mahlen behäbig, unwillig und langsam. Mitglieder des ‚militärischen Arms‘ des Netzwerks kundschafteten offenbar gezielt Kasernen aus, um Soldat*innen und auch Polizist*innen anzuwerben. Es sollten sogenannte Heimatschutzkompagnien gegründet werden.
Dass ein ehemaliger Polizist und mehrere AfD-Mitglieder Teil des Netzwerks sind, ist genausowenig verwunderlich. Eine der AfD-Politiker*innen wurde als eine der mutmasslichen Anführerinnen festgenommen. Sie sass bis 2021 im Bundestag und war daraufhin wieder als Richterin in Berlin tätig. Die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Die Linke) hatte versucht, sie aufgrund ihrer rechten hetzerischen Aussagen aus dem Amt zu entheben, doch vergeblich.
Ein weiterer Anführer des Netzwerks war ein Adliger, der bereits 2019 durch seine antisemitischen Hetzreden auffiel. Janine Wissler von der Partei Die Linke liess verlauten, die Großrazzia sei „ein weiterer Beleg für die besorgniserregende Präsenz einer militanten, bewaffneten und international vernetzten rechten Szene in Deutschland“. Und der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Kommitees Christoph Heuber kommentierte: „Die Bewaffnung der Betroffenen ist mehr als besorgniserregend, ebenso wie ihre augenscheinlichen Verbindungen in Bereiche des Militärs und der Polizei.“ Bleibt nur zu hoffen, dass die Gefahr von rechts und oben genannte Verbindungen zu Militär und Polizei endlich einmal ernst genommen werden.
https://antira.org/2022/12/08/medienspiegel-7-dezember-2022/
Kriminalisierung: Freispruch und Strafminderung für Amir und Razuli in Griechenland
Amir Zahiri und Akif Razuli waren im März 2020 aus Afghanistan über die Türkei Richtung Griechenland geflohen. Das Fehlen legaler Reiserouten liess ihnen keine andere Möglichkeit, Europa zu erreichen. In dieser Zeit hatte Griechenland systematisch damit begonnen, Menschen auf der Flucht zu kriminalisieren. Aus den ankommenden Booten greifen die Behörden seither einzelne Männer heraus, die sie für das Steuern des Bootes verantwortlich machen und wegen «Menschenschmuggels» zu langen Haftstrafen verurteilen. Laut einer aktuellen Statistik wurden mehr als 20 % der Inhaftierten in Griechenland wegen Menschenschmuggels verurteilt oder angeklagt.
https://www.borderline-europe.de/unsere-arbeit/nach-3-jahren-haft-berufungsverfahren-gegen-amir-zahiri-und-akif-razuli-findet-auf?l=de
Was geht ab beim Staat?
Der minimale Handlungsspielraum im Nothilferegime muss von den Kantonen mehr genutzt werden
Im Februar dieses Jahres reichten 500 Gesundheitsfachpersonen den Behörden den offenen Brief «Für eine humane Behandlung von abgewiesenen Asylsuchenden» ein. Darin kritisieren sie, dass das Nothilferegime die aktuell rund 6500 abgewiesenen Asylsuchende krank mache. Nun haben die NGOs Solinetz, NCBI und terre des hommes Schweiz einen Überblick zu den Kantonen erstellt. Gewisse Kantone nutzen ihren Handlungsspielraum, um den unwürdigen Bedingungen im Nothilfesystem nicht in voller Härte zu begegnen. Gewisse Kantone jedoch stellen sich durchgehend gegen die Menschen in der Nothilfe.
Die Beschreibung des krankmachenden Zustand im Nothilfesystem von den Gesundheitsfachpersonen war vernichtend: „Es resultieren Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Stresssymptome und Angstzustände, Apathie, sozialer Rückzug, Depressionen, Aggressivität, erhöhte Suizidalität, Suchtverhalten, psychosomatische Störungen, post-traumatische Belastungsstörungen respektive Retraumatisierungen, körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magendarmsymptome, geschwächtes Immunsystem sowie erhöhte Anfälligkeit für Infektionskrankheiten“, hiess es im Brief und in einem Hintergrundbericht der diesem zugrundliegt. Die Kantone nutzen den Handlungsspielraum, der das Nothilfe-Regime ermöglicht, ungleich. Die Kantone haben Handlungsspielraum bei der Umsetzung des Nothilfesystems. Dies zeigen die Antworten aus den Kantonen und die erheblichen Unterschiede bei der Umsetzung der Nothilfe. Sie entscheiden, wie die Nothilfe im Kontext der Menschenwürde und Gesundheitsschädigung ausgelegt wird.
Die Nutzung der finanziellen Unterstützung ist ungleich. So wird der Spielraum in diesem Bereich zugunsten der Betroffenen v.a. vom Kanton Basel genutzt, der 12.-/Tag ausbezahlt. Es gibt Kantone, die nur Naturalien und Gutscheine abgeben, ein völliger Verlust von selbstständigen Entscheidungen geht damit einher. Auch die Unterschiede bei den Wohnbedingungen für abgewiesene Geflüchtete sind laut Studie je nach Kanton gross. Einige Kantone bieten v.a. Familien Wohnungen oder Wohngemeinschaften. Andere Kantone, wie der Kanton Zürich, schliessen abgewiesene Geflüchteten über Jahre trotz grosser Proteste in unterirdische Bunker. Je nach Kanton ist die Bewegungsfreiheit auch unterschiedlich eingeschränkt. Einige dürfen die Gemeindegrenzen nicht überschreiten, andere dürfen in andere Kantone gehen. Führend in Repression ist erneut der Kanton Zürich, der laut Studie das «volle Repertoire repressiver Instrumentarien» nutzen. Medizinisch ist die Übernahme der Krankenversicherungsprämien sowie der Zugang zur medizinischen Grundversorgung gesetzlich vorgeschrieben. Laut Kenntnis der drei unterzeichnenden Organisationen findet die Grundversorgung in Kollektivunterkünften meist restriktiv statt. Im besten Fall kommen einmal wöchentlich eine Pflegefachkraft in die Camps. Auch gibt es Zugang zu Asylärzt*innen, meist ohne professionelle Dolmetscher*innen. Diese Angebote sind jedoch meist zu wenig für die Anzahl der Personen in den Camps. Besonders störend ist, dass in «extreme Notlage immer wieder erst wahrgenommen werden, wenn es infolge eines psychotischen Zusammenbruchs zu einer Hospitalisierung oder einem Suizid(versuch) kommt.»
Die Handlungsspielräume könnten laut Studie wie folgt genutzt werden: Ansätze der Nothilfe für Familien mit Kindern anheben (Basel); für Kinder in Ausbildung zusätzliche Mittel für Bildung generieren (Genf); zumindest besonders vulnerable Personen in Wohngemeinschaften und Wohnungen statt Bunkern unterbringen; die Bewegungsfreiheit, die mit dem System einhergeht nicht restriktiv einschränken und zusätzliche Rayonverbots (ZH) einrichten; wenn immer möglich das Recht auf angemessene Teilhaben nutzen, wie z.B. der Kanton Genf für Jugendliche für Ausbildungen oder der Kanton AG für psychisch belastete Personen tut. Auch sollen die Härtefallkriterien für die abgewiesenen Geflüchteten und nicht gegen sie genutzt werden (Basel).
Die Studie zeigt die Handlungsmöglichkeiten der Kantone in dem restriktiv gesetzten Rahmen des Nothilferegimes. Weil das Nothilferegime so hart ist, gilt es jeden Millimeter zu nutzen. Jedoch zeigt diese Studie auch – was allerdings zu wenig in den Fokus gerückt wurde – dass die Spielräume sehr klein sind und es deshalb als Forderung immer auch klar um die Abschaffung des gesamten Systems gehen muss. Denn Logik der Nothilfelager lässt sich nicht aufbrechen.
Studie: https://solinetz-zh.ch/wp-content/uploads/Analyse-der-Antworten-auf-den-Nothilfe-Brief.pdf
Was ist aufgefallen?
Bundesamt für Statistik: Neue Zahlen zu einem Jahrzehnt rassistischer Schlechterstellung
Die Zahlen zur Ungleichheit zwischen Personen mit und ohne Migrationsgeschichte stammen aus der schweizerischen Arbeitskräfteerhebung. Untersucht wurden die Jahre zwischen 2012 und 2021. „Die Analyse zeigt, dass die Bevölkerung mit Migrationshintergrund insgesamt schlechter gestellt ist“, schreibt das Bundesamt für Statistik (BFS). Die Unterschiede seien nicht zufällig und unbedeutsam, sondern „signifikant“.
Beim Lesen der BFS-Medienmitteilung entsteht leider der Eindruck, dass das Erschütternde verschleiert werden soll. Die Ungleichheiten werden zwar erwähnt, doch im nächsten Atemzug mit Verweisen auf Ausnahmen relativiert. In der Studie selbst wird erst nach 51 Seiten Statistik – auf Seite 52 – ein erklärender Satz für die Ungleichheiten geliefert: „Diese können auf unterschiedliches Verhalten oder Partizipationschancen zurückzuführen sein“. Es bleibt bei diesem einen Satz. Somit stellt das BFS rassistischen Erklärungen, die den Migrant*innen aufgrund ‚individuellen Verhaltens‘ die Schuld für ihre gesellschaftliche Schlechterstellung in die Schuhe schieben, nichts entgegen: z.B. kritische Theorien, die die Schlechterstellung auf Rassismus als gesellschaftliches Herrschaftsverhältnis zurückführen.
Bedeutsamer als die BFS-Erklärungen sind die BFS-Zahlen zu Ungleichheiten in verschiedenen Bereichen:
Einen Job haben: „Die Erwerbsquote der 15- bis 64-Jährigen ist in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund leicht tiefer als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Werden die Erwerbsquoten in Vollzeitäquivalenten betrachtet, ist das Gegenteil der Fall. Dann hat die Bevölkerung mit Migrationshintergrund die höhere Erwerbsquote. (…) Das lässt darauf schliessen, dass Personen mit Migrationshintergrund öfter ein höheres Arbeitspensum aufweisen als jene ohne Migrationshintergrund“.
Arbeitslos sein: „Der Ausschluss aus dem Erwerbsleben ist eine der Hauptursachen für Armut. Die Erwerbslosenquote der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund ist weniger als halb so gross wie jene der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Die Unterschiede zwischen den nach Migrationsstatus gegliederten Bevölkerungsgruppen nehmen mit dem Alter zu. So sind zum Beispiel Personen mit Migrationshintergrund im Alter von 15 bis 24 Jahren doppelt so häufig erwerbslos wie Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Bei den Personen zwischen 55 und 64 Jahren liegt dieses Verhältnis bei 3 :1.“
Überqualifiziert sein: „Arbeitnehmende aus der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, insbesondere der ersten Generation, üben häufiger einen Beruf aus, für den sie überqualifiziert sind, als jene ohne Migrationshintergrund. (…) Die Unterschiede zwischen der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund und der Bevölkerung mit Migrationshintergrund der ersten Generation nehmen mit steigendem Alter zu. (…) In den Altersklassen ab 40 Jahren beträgt dieses Verhältnis hingegen 2 :1.“
Arm sein: „Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund, insbesondere die erste Generation, weist eine höhere Armutsquote auf als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. (…) In der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund haben viermal mehr von Armut betroffene Erwerbstätige keine nachobligatorische Ausbildung als einen Tertiärabschluss. In der Bevölkerung mit Migrationshintergrund liegt dieses Verhältnis bei 3 :1. (…) Ein Haushalt gilt als arm, wenn das verfügbare Haushaltseinkommen unterhalb der Armutsgrenze liegt. Im Jahr 2020 betrug die Armutsgrenze durchschnittlich 2’279 Franken pro Monat für eine Einzelperson und 3’963 Franken pro Monat für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren.“
Über die Runden kommen können: „Personen mit Migrationshintergrund, die Staatsangehörige eines nord- oder westeuropäischen Landes sind, erwähnen weniger oft Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen, als Personen mit anderen ausländischen Staatsangehörigkeiten.“
Sozialhilfe beziehen: Bei Schweizer*innen liegt der Anteil der Gesamtbevölkerung, die Sozialhilfe bezieht, bei 2% und bei Nicht-Schweizer*innen ist die Sozialhilfequote dreimal höher (6%), während der Durchschnitt bei 3% liegt. „Schweizer weisen eine höhere Sozialhilfequote auf als Schweizerinnen. (…) Bei den Personen ausländischer Staatsangehörigkeit verhält es sich genau umgekehrt. Dort beziehen Männer seltener Sozialhilfeleistungen als Frauen.“
Gut wohnen: „Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist häufiger von Wohnproblemen wie Feuchtigkeit in der Wohnung, zu dunkle Wohnung, keine Dusche oder Badewanne, kein WC in der Wohnung für den alleinigen Gebrauch betroffen als jene ohne Migrationshintergrund. Auch der Anteil der Personen, die in einem als zu lärmig empfundenen Quartier leben, ist bei Personen mit Migrationshintergrund deutlich höher.“
Gesund sein: „Personen mit Migrationshintergrund schätzen ihre Gesundheit seltener als gut oder sehr gut ein als Personen ohne Migrationshintergrund. Männer ohne Migrationshintergrund schätzen ihre Gesundheit signifikant häufiger als gut oder sehr gut ein als Männer mit Migrationshintergrund (…) 25- bis 39-jährige Personen ohne Migrationshintergrund geben signifikant häufiger an, dass sie an einer chronischen Krankheit oder einem dauerhaften Gesundheitsproblem leiden, als Gleichaltrige mit Migrationshintergrund. Bei den Personen ab 55 Jahren verhält es sich umgekehrt. Dort ist die Bevölkerung mit Migrationshintergrund häufiger von dauerhaften gesundheitlichen Problemen betroffen“.
Zum Zahnarzt gehen: „Personen mit Migrationshintergrund, insbesondere die erste Generation, verzichten häufiger aus finanziellen Gründen auf zahnärztliche Leistungen als Personen ohne Migrationshintergrund. Frauen mit Migrationshintergrund können sich doppelt so oft keine zahnärztlichen Leistungen leisten wie Frauen ohne Migrationshintergrund. Bei den Männern beträgt dieses Verhältnis 3 :1.“
Studie: https://dam-api.bfs.admin.ch/hub/api/dam/assets/23828703/master
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/aktuell/neue-veroeffentlichungen.assetdetail.23647670.html
Burgdorf: Mann in Regionalgefängnis verstorben
Erneut ist ein Mensch in einem Gefängnis ums Leben gekommen. Der Mann war 29-jährig und stammte aus Somalia. Am 13. Dezember verstarb er im Regionalgefängnis Burgdorf.
Die Behörden finden es angebracht, sich nur kyptisch zu den Todesursachen zu äussern: „Ein inneres Geschehen steht im Vordergrund. Es liegen keine Hinweise auf Dritteinwirkung vor“. Die Zeitung der Bund versuchte mehr Informationen herauszufinden. Der Mann sei “auch nicht durch Selbstmord gestorben. Es sei ein medizinisches Problem vorgelegen“. Was für ein ein medizinisches Problem? Wohl nicht eine Krankheit oder ein Unfall, sondern eher fehlerhafte Strukturen oder Fehlverhalten von Personen. Was für Untersuchungen wurden eingeleitet? Die Behörden sagen nichts dazu. Die Mainstreammedien stellen dazu keine Fragen. Wäre es gleich herausgekommen, wenn es sich um einen jungen Schweizer gehandelt hätte? Auch diese Frage bleibt ungeklärt, obwohl sie uns brennend interessieren würde. Seit 2018 hat es mindestens 50 Todesfälle in schweizer Polizeigewahrsam gegeben und nicht annähernd ausreichende Aufklärung. In Gedenken an sie wurden am 10. Dezember auf dem Waisenhausplatz in Bern fünfzig Kerzen angezündet.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=ce99c18e-b04b-40a2-ab37-aa66b74b158f
https://www.neo1.ch/artikel/mann-in-regionalgefaengnis-burgdorf-verstorben
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/205735/
https://www.humanrights.ch/de/fachstellen/fachstelle-freiheitsentzug/50-todesfaelle-freiheitsentzug-2018
Was tut Frontex?
Frontex informiert systematisch Libyen, anstatt Seenotrettungen zu veranlassen
Die Arbeit von Frontex im zentralen Mittelmeer an einem Beispiel vom 31. Juli 2021: Eine Luftaufnahme zeigt ein kleines, überfüllte Holzboot mitten im Mittelmeer, dass davonfährt, während das Schiff der sog. libyschen Küstenwache, die Ras Jadir, es verfolgt. Die Ras Jadir holt das Boot schliesslich ein und zwingt die etwa 20 Männer an Bord ihres Patrouillenschiffs zu gehen. Danach bricht das Video ab. Wahrscheinlich wurden die Menschen auf dem Boot anschliessend gewaltsam nach Libyen zurückgebracht, wo sie mit ziemlicher Sicherheit inhaftiert und misshandelt wurden. Die Europäische Union und ihre Grenzschutzagentur Frontex hinterlassen überall auf diesem Vorfall ihre Fingerabdrücke. Die EU-Marinemission EUNAVFOR MED hat die sog. libysche Küstenwache ausgebildet. Italien stellte die Ras Jadir zur Verfügung. Eine Analyse der Flugspuren einer Drohne, die Frontex von Malta aus betreibt, legt nahe, dass sie das Holzboot sehr wahrscheinlich entdeckt hat, da sie an diesem Tag in der Gegend flog. Wahrscheinlich schickte sie Video- und andere Daten an ihr Hauptquartier in Warschau, wo die Mitarbeitenden die Informationen an die Küstenbehörden, einschliesslich der sog. libyschen Küstenwache, weitergaben. Kurz gesagt: Ohne die materielle, operative und politische Unterstützung durch die EU wären diese und viele andere Abfangaktionen auf See nicht möglich gewesen.
Was nun?
Neue Meldestelle für Misstände in Bundesasyllagern
Letztes Jahr gelang es nach aufwendigen Recherchen und Medienarbeit, die Gewalt der Securitas in Bundesasylcamps zu beweisen. Das SEM musste hinsehen und versprach Besserung. Im November wurden nun unabhängige Meldestellen geschaffen, allerdings nur in Basel und Zürich.
Das Schweizerische Arbeiter*innenhilfwerk SAH hat das 750’000 Franken-Mandat übernommen und liefert dem Staatssekretariat für Migration (SEM) alle drei Monate einen Bericht über gemeldete Missstände. Auch kann es Empfehlungen aufstellen, zu denen das SEM dann schriftlich Stellung nimmt.
Die beiden Stellen stehen erstaunlicherweise nicht nur den geflüchteten Personen offen, sondern auch den Mitarbeitenden der ORS und der Securitas. In den Camps, wo es keine externe Stelle gibt, können weiterhin auch die internen Beschwerdenstelle kontaktiert werden.
Wir finden, die externen Stellen sollen genutzt werden. Nicht weil wir denken, dass sich die Probleme damit lösen lassen, doch weil die Stellen die Probleme dokumentieren müssen und das SEM allenfalls anders dazu Stellung beziehen muss. Auch dies ist noch keine Lösung, wohl aber eine veränderte Ausgangslage, um den Widerstand gegen die Gewalt und die Isolation in den Bundesasylcamps weiterzuführen.
https://www.sah-zh.ch/fileadmin/user_upload/Dateien_SAH_Website/Angebote_Flyer/Flyer_Externe_Meldestelle_Zuerich_DE_2022_12_12_web.pdf
https://www.srf.ch/news/schweiz/externe-beschwerdestelle-asylsuchende-koennen-neu-anonym-vorfaelle-melden
https://www.sah-zh.ch/angebote/externe-meldestelle.html
Wo gabs Widerstand?
Protest gegen Dublinabschiebungen nach Kroatien
Vergangenen Mittwoch demonstrierten 120 Asylsuchende vor dem Bundeshaus in Bern gegen ihre bevorstehende Abschiebung nach Kroatien. Trotz dokumentierter Menschenrechtsverletzungen erhält das kroatische Grenzregime weiterhin breite Unterstützung, besonders aus Deutschland.
Es war die bisher grösste Mobilisierung von Menschen aus Bundesasylzentren. Ihnen allen droht die Abschiebung nach Kroatien, da sie auf ihrer Flucht dort registriert wurden. Gemäss dem Dublin-Abkommen darf die Schweiz die Menschen darum in den Balkanstaat zurückführen. Viele haben in Kroatien physische und psychische Gewalt, Pushbacks und Folter erlebt. Trotzdem halten Bundesrätin Karin Keller-Sutter, das SEM und das Bundesverwaltungsgericht die Rückführungen für zumutbar und rechtens. Während der Kundgebung wurden diverse Erfahrungsberichte verlesen, welche ihr hier findet (auf französisch). Ausserdem wurde dem SEM eine Petition überreicht, welche den sofortigen Stopp von Rückführungen nach Kroatien fordert.
Dass die offizielle Schweiz weiterhin an Rückführungen nach Kroatien festhält, ist eine Schande. Ein Anfang Dezember erschienener Report des Border Violence Monitoring Network (BVMN) und von PRO ASYL belegt erneut, wie das kroatische Grenzregime unterstützt durch Frontex und EU-Staaten systematisch Menschenrechtsverletzungen begeht. Der Report untersuchte, wie Deutschland finanziell und personell massive Unterstützung leistet. Unter anderem mit der Spende von Transportbussen. In diese werden geflüchtete Menschen gepfercht und unter miserablen Bedingungen stundenlang festgehalten. Trotz all dieses Wissens stimmten die 26 Schengen-Staaten letzten Donnerstag für die Aufnahme Kroatiens in den Schengenraum. Es braucht darum weiterhin Widerstand auf allen Ebenen, um das europäische Grenzregime zu bekämpfen.
https://www.proasyl.de/news/menschenrechtsverletzungen-zum-trotz-deutsche-unterstuetzung-des-kroatischen-grenzschutzes/
https://www.borderviolence.eu/special-report-german-funding-to-croatian-border-enforcement-2/
https://www.sosf.ch/cms/upload/stopdublin.pdf
https://act.campax.org/petitions/stop-dublin-kroatien
https://migrant-solidarity-network.ch/en/2022/12/14/kundgebung-gegen-dublinabschiebungen-nach-kroatien/
Direkte Aktion für Rojava
Auch letzte Woche gab es in der Schweiz wieder Protestaktionen gegen die türkischen Angriffe auf kurdische Gebiete.
In Zürich wurde ein Laden von Murat Sahin, einer zentralen Figur des türkischen AKP-MHP-Faschismus, mit Buttersäure angegriffen. Die Urheber*innen schreiben zu ihrer Aktion: «Er verkehrt mit den Spitzen der AKP (siehe Bilder: Sahin mit Aussenminister Cavusoglu 2017 in Genf und mit Erdogan 2022 in Ankara) und organisiert über Strukturen wie die von ihm geleitete UID ihre Unterstützung. Sein Firmennetzwerk ist gross und es wurde oft angegriffen. In Solidarität mit Kurdistan haben auch wir nun den netto Markt in Schlieren, bzw die Falken Forum GmbH (eine seiner Firmen) mit Buttersäure angegriffen. Es ist eine antifaschistisch verordnete Ladenschliessung.»
https://barrikade.info/article/5520
Was steht an?
Bildung für Geflüchtete
19.12.22 I 19:00 I Basel, Planet 13
Geflüchtete und Sans-Papiers erhalten in vielen Fällen keine bezahlten und ausreichenden Deutschkurse. Die Integration in Schule, Ausbildung und Beruf ist ungenügend. Geflüchtete, Asylsuchende, Abgewiesene und Sans-Papiers, die sich bilden und arbeiten wollen, sehen sich oft fast unüberwindlichen Hürden gegenüber. Ihr Zugang zu Bildung muss deshalb dringend vereinfacht werden. Im Rahmen der Kampagne «Bildung für alle – jetzt!» wird der Kurzfilm «Wir haben einen Traum» gezeigt. Im Anschluss daran gibt es eine Diskussion. Präsentation und Moderation: Johannes Gruber.
https://www.bildung-jetzt.ch/
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Schwarzbuch über Pushbacks 2022: Gewalt statt Menschenrechte
Über 3’000 Seiten mit Zeugnissen von mehr als 25*000 Menschen, die auf der Flucht sind. Sie alle erlebten Gewalt an den EU-Grenzen und wurden illegal zurückgeschoben. Dabei handelt es sich nicht um sporadische Vorfälle, die von „ein paar schlechten Äpfeln“ verursacht wurden, sondern um einen „faulen Obstgarten“, in dem Gewalt normalisiert wird. Menschen werden geschlagen, missbraucht und gefoltert. Geschichten von Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen.
https://left.eu/issues/publications/black-book-of-pushbacks-2022/
From the abyss of Libyan detention to the forging of commonality through struggles
Why am I joining a demonstration in solidarity with migrants and refugees in Libya in front of the UNHCR in Geneva on the 9th and 10th of December? What may seem like the simplest of questions conjures a series of far more challenging ones. At stake are nothing less than the recognition of the depth of the wounds born by those who have been denied their humanity in Libya, how and why this should concern us all, and what humans might become in struggling together against and across the boundaries that cut across our life in common.
https://www.borderforensics.org/propositions/the-human-despite-all/
Die Junge Tat versucht ihre Themen in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Woher die Gruppe kommt, wie sie sich verorten lässt, wer die Köpfe dahinter sind.
https://www.woz.ch/2250/rechtsextremismus/rechtsextremismus-die-schwiegersohn-neonazis/%21JJPNM2QWZACD
Mit dem Russland-Ukraine-Krieg wurde in der Schweiz die private Unterbringung von Geflüchteten auf einen Schlag populär. Was dieses Modell kann – und was nicht.
Aktuell läuft die zweite Staffel von MOUMOUNI/GÜLTEKIN, der ersten post-migrantischen Late Night Show der Schweiz. Co-Moderator Uğur Gültekin spricht im Interview über migrantische Erfahrungen, Assimiliationsdruck und Humor als Bewältigungsstrategie.
https://daslamm.ch/ziel-ist-dass-das-publikum-die-show-verlaesst-und-bock-hat-weiter-zu-kaempfen/