Medienspiegel 15. Dezember 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Asylunterkunft in Forum Sumiswald beschäftigt weiterhin
An der Gemeindeversammlung vom Mittwoch Abend stand das Forum Sumiswald nicht auf der Traktandenliste. Zum Thema wurde es aber trotzdem.
https://www.neo1.ch/artikel/asylunterkunft-in-forum-sumiswald-beschaeftigt-weiterhin


+++AARGAU
Integration von ukrainischen Flüchtlingen: Der Aargauer Bildungsdirektor Alex Hürzeler hat mehrere Schulen besucht. Derzeit funktioniere die Integration sehr gut – auch dank grosser Solidarität von verschiedenen Seiten. (ab 08:48)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/stromeinkauf-auf-freiem-markt-kommt-kanton-teuer-zu-stehen?id=12302620


+++BASELLAND
Nutzung der temporären Asylunterkunft in der Kasernenhalle Liestal wird verlängert
Aufgrund der weiterhin angespannten Lage im Asylbereich und im Hinblick auf den anhaltenden Krieg in der Ukraine wird das Staatssekretariat für Migration (SEM) die Nutzung der Dreifachturnhalle Kaserne Liestal als temporäre Asylunterkunft mit 200 Unterbringungsplätzen verlängern. Der Kanton Basel-Landschaft hat einer letztmaligen Verlängerung bis Ende März 2023 zugestimmt.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-92225.html


+++SCHWEIZ
Asylproblematik: Grenzreportage aus Basel – 10vor10
Die Zahl der Flüchtlinge, die über die Schweiz nach Deutschland reisen, hat sich vervielfacht. Die deutsche Bundespolizei hat deshalb das Personal an der Schweizer Grenze aufgestockt. Unsere Reportage.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/asylproblematik-grenzreportage-aus-basel?urn=urn:srf:video:7efcfa06-26e0-4db5-9ba0-acc783a81be0


+++DEUTSCHLAND
Wenn es mitten in der Nacht an der Tür klopft…
…bleiben den Menschen oft nur wenige Minuten, um ihre Sachen zu packen. Dann werden sie unvermittelt aus ihrem gewohnten Leben gerissen und abtransportiert. Für die meisten von uns unvorstellbar, für viele Geflüchtete eine ständig präsente Angstvorstellung über viele Jahre. Denn so unmenschlich funktioniert die deutsche Abschiebepraxis.
https://www.proasyl.de/news/wenn-es-mitten-in-der-nacht-an-der-tuer-klopft/


+++ÖSTERREICH
Österreich: 100’000 Asylanträge in nur einem Jahr – Rendez-vous
Seit Anfang Jahr hat Österreich über 100’000 Asylanträge entgegengenommen. So viele wie seit langem nicht mehr. Die Themen Asyl und Migration dominieren die politische Debatte in Österreich deshalb immer stärker. Was aber sind die Ursachen der hohen Asylzahlen und wie könnte Österreich die Lage beruhigen?
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/oesterreich-100-000-asylantraege-in-nur-einem-jahr?partId=12302482


“Asyltourismus” oder: Wie wir uns an den allgegenwärtigen Zynismus gewöhnen
Es ist ein fader Tabubruch, der ein ums andere Mal geschieht. Beim Thema Asyl wird verbal gekraftmeiert und immer abstrusere neue Begriffe erfunden. Jetzt hat die ÖVP unter Karl Nehammer wieder den “Asyltourismus” heraus gekramt.
https://www.moment.at/asyltourismus


+++OSTEUROPA
Litauen: Wiederholte Pushbacks bei eisigen Temperaturen
Dutzende Menschen werden an der litauischen und lettischen Grenze zu Belarus immer wieder zurückgedrängt und müssen bei eisiger Kälte bis zu mehreren Wochen im Wald ausharren.
https://www.aerzte-ohne-grenzen.at/artikel/litauen-wiederholte-pushbacks-bei-eisigen-temperaturen


+++ÄRMELKANAL
Vier Tote bei Bootsunglück im Ärmelkanal
Bei einem Bootsunglück im Ärmelkanal sind am Mittwoch mindestens vier Migranten gestorben. Menschenrechtsorganisationen fordern legale Fluchtrouten. Die britische Regierung bleibt bei ihrem harten Kurs
https://www.derstandard.at/story/2000141818748/vier-tote-bei-bootsunglueck-im-aermelkanal?ref=rss


+++GROSSBRITANNIEN
nzz.ch 15.12.2022

Neues Bootsunglück auf dem Ärmelkanal befeuert britische Migrationsdebatte – nun will Sunak Albaner auf direktem Weg zurückschaffen

Erneut sind vor der Küste Grossbritanniens mindestens vier Bootsmigranten ertrunken. Premierminister Rishi Sunak hat die Migrationskrise zur Chefsache erklärt – und setzt auf ebenso ambitionierte wie umstrittene Asylreformen.

Niklaus Nuspliger, London

Auf dem Ärmelkanal zwischen Frankreich und Grossbritannien spielten sich in der Nacht auf Mittwoch tragische Szenen ab. Vor der Küste von Dungeness, knapp fünfzig Kilometer westlich von Dover, kenterte in den frühen Morgenstunden ein Flüchtlingsboot. Es kam zu einer dramatischen Rettungsaktion der britischen und der französischen Küstenwache, von Militär, Polizei sowie einer privaten Rettungsorganisation.

Involviert war auch ein lokales Fischerboot, dessen Skipper in der Nähe Schreie gehört hatte. «Es war wie aus einem Weltkriegsfilm, überall im Wasser waren Menschen, schreiend», erzählte der Mann dem Sender Sky News, nachdem er und seine Crew rund 30 Schiffbrüchige gerettet hatten. Die Geretteten hätten ihm erzählt, sie hätten etwa 5000 Pfund an einen Schleuser in Frankreich bezahlt.

Zahl der Migranten steigt an

Im Verlauf des Mittwochs bestätigten die britischen Behörden, dass mindestens vier Bootsmigranten im eiskalten Wasser des Ärmelkanals ums Leben gekommen sind. 43 Personen wurden gerettet. Am Mittwoch suchten Helikopter weiter nach Überlebenden. Der britische Premierminister Rishi Sunak sprach im Parlament von einem «tragischen Verlust von Menschenleben».

Im laufenden Jahr sind bereits rund 45 000 Bootsmigranten über den Ärmelkanal nach Grossbritannien gelangt – bis Ende Jahr rechnen die Behörden mit über 50 000. Das ist fast doppelt so viel wie der bisherige Rekord aus dem Jahr 2021, als 28 461 Personen die Überfahrt geglückt war. Die Fahrt übers Meer im Gummiboot ist gefährlich, dennoch sind tödliche Unfälle eher selten. Für Schlagzeilen sorgte im November 2021 ein Unglück, bei dem auch wegen Unterlassungen der Behörden mindestens 27 Migranten ertranken.

Das Unglück vom Mittwoch wirft ein zusätzliches Schlaglicht auf die Krise am Ärmelkanal, die neben der miserablen Wirtschaftslage und der Streikwelle zu den grössten politischen Herausforderungen von Sunak zählt. Der Premierminister hat die Migrationskrise nun zur Chefsache erklärt. Am Dienstag hatte er im Unterhaus ein neues Massnahmenbündel angekündigt, um die Zahl der Bootsmigranten am Ärmelkanal drastisch zu reduzieren.

Abkommen mit Albanien

Ein Kernstück von Sunaks Plan ist ein neues Abkommen mit Albanien. Aus dem Balkanstaat stammten im laufenden Jahr etwa ein Drittel aller Bootsmigranten – also etwa 13 000 Personen. Dank dem Pakt mit Tirana sollen nun albanische Asylsuchende sofort in ihr Heimatland zurückgeschickt werden können. «Albanien ist ein sicheres, florierendes europäisches Land», betonte der Premierminister.

Sunak verwies auf die EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Schweden, die fast 100 Prozent der albanischen Asylanträge ablehnten, während die Ablehnungsquote in Grossbritannien im letzten Jahr bloss bei 45 Prozent lag. 400 Beamte sollen sich darum kümmern, dass Asylanträge von Albanern im Schnellverfahren bearbeitet werden. Am wichtigsten Flughafen des Balkanstaats sollen zudem britische Grenzschützer stationiert werden. Die Beamten sollen laut Sunak helfen, das organisierte Verbrechen einzudämmen.

Asyl-Rückstau abbauen

Darüber hinaus enthält Sunaks Plan einen bunten Strauss von mehr oder weniger umstrittenen Massnahmen, die sich in der Praxis noch bewähren müssen. Ins Auge sticht das Versprechen, bis Ende 2023 den massiven Rückstau im Asylwesen abzubauen. Insgesamt warten fast 150 000 Asylsuchende auf einen Entscheid – manchmal zieht sich das Verfahren Jahre hin. Nun sollen eine Verdoppelung der Beamten sowie administrative Erleichterungen das Prozedere beschleunigen.

Daneben setzt Sunak auf die umstrittenen Ausschaffungen nach Rwanda, die allerdings noch immer gerichtlich blockiert sind. Zudem kündigte er mehrere Gesetzesrevisionen an. Die Regierung will verhindern, dass abgewiesene Asylsuchende missbräuchlich geltend machen, sie seien Opfer von Menschenhandel. Zuletzt hatten sich auffallend viele Albaner mit diesem juristischen Kniff einer Ausschaffung zu entziehen versucht.

Zudem soll die irreguläre Einreise nach Grossbritannien künftig offiziell unter Strafe gestellt werden: Wer mit einem Gummiboot den Ärmelkanal überquert, soll in Grossbritannien nie die Möglichkeit erhalten, einen legalen Aufenthaltstitel zu erlangen. Schliesslich will Sunak die Zahl der Asylsuchenden mit einer jährlichen Quote begrenzen. Erst die konkrete Ausgestaltung der Gesetze wird zeigen, ob und wie sich diese mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Grossbritanniens vereinbaren und in der Praxis umsetzen lassen.
(https://www.nzz.ch/international/bootsunglueck-im-aermelkanal-sunak-macht-migration-zur-chefsache-ld.1717011)


+++EUROPA
EU-Gipfeltreffen: Dauerthema Migration – 10vor10
In Brüssel sind die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten zum letzten Gipfeltreffen in diesem Jahr zusammengekommen. 28 Mitgliedsstaaten, 28 nationale Interessen: Die Vielfalt wird bei der Flüchtlingsfrage zum Problem.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/eu-gipfeltreffen-dauerthema-migration?urn=urn:srf:video:25d0b553-74bf-4bb5-8608-e4fa94ba685f


+++GASSE
«Fertig Luschtig»
Die rund zwei Millionen von Armut betroffenen oder gefährdeten Menschen treffe die aktuelle Krise unverhältnismässig, kritisiert das Bündnis «Fertig Luschtig».
https://journal-b.ch/artikel/fertig-luschtig/


Stadt Bern ruft auf: «Bettlern aus Osteuropa kein Geld geben»
Die Stadt Bern warnt: Bettlern aus Osteuropa sollte man kein Geld geben, sie seien Teil oder Opfer von Banden. Hilfswerke sind entsetzt. Das sei rassistisch.
https://www.nau.ch/news/schweiz/stadt-bern-ruft-auf-bettlern-aus-osteuropa-kein-geld-geben-66368924
https://www.20min.ch/story/organisierte-banden-bern-warnt-vor-bettlern-aus-osteuropa-791988515326


„+Meldung+ In der Stadt Bern gibt es ein erhöhtes Aufkommen von Reto Nause (rechts im Bild). Die Bevölkerung wird dazu angehalten, diesem Mann KEIN Geld zu geben. Er gehört einer autoritären Bande an & das Geld fliesst direkt in Repression & Einschränkung der politischen Rechte.“
(https://twitter.com/jusinakerosina/status/1603429798394707991)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Klima- statt Präsidialdepartement? Klimabewegung trollt den Regierungsrat
Unter #nidRegierigsrot postet eine anonyme Gruppe Medienmitteilungen, welche den Kanton zum Handeln bewegen sollen. Dahinter steckt wohl Basels Klimabewegung.
https://telebasel.ch/2022/12/15/klima-statt-praesidialdepartement-klimabewegung-trollt-den-regierungsrat/?channel=105100


+++ANTITERRORSTAAT
Ausschaffung von IS-Terroristen in unsichere Länder ist vom Tisch
(sda) Die Eidgenössischen Räte verlangen keine Sonderregeln mehr für die Ausschaffung von Personen, welche im Zusammenhang mit Verbrechen der Terrormiliz IS verurteilt worden sind. Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat der Abschreibung einer Motion von Fabio Regazzi (Mitte/TI) zugestimmt.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2022/20221215102757482194158159038_bsd082.aspx


+++JUSTIZ
Neue Leitung für das Rechtsamt der Direktion für Inneres und Justiz
Der Regierungsrat hat Anna Bäumlin und Andrea Schnyder Niedermann als Co-Leiterinnen des Rechtsamts der Direktion für Inneres und Justiz (DIJ) per 1. Mai 2023 gewählt. Anna Bäumlin arbeitet seit 2008 im Rechtsamt der DIJ. Seit Mitte 2021 ist sie stellvertretende Amtsvorsteherin. Sie hat ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bern absolviert und anschliessend das Anwaltspatent erworben. Die 45-jährige Rechtsanwältin wohnt in Bern. Andrea Schnyder Niedermann arbeitet seit 2006 als Gerichtsschreiberin am Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Seit März 2013 ist sie Geschäftsleitende Gerichtsschreiberin an der verwaltungsrechtlichen Abteilung. Sie hat an der Universität Fribourg Rechtswissenschaften studiert und anschliessend das Anwaltspatent erworben. Die 46-jährige Fürsprecherin wohnt in Burgdorf. Die Gewählten ersetzen Roland Wittwer, der pensioniert wird.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=275b35df-5f0c-40a1-8ffd-971245989fbb#577568e8-89fd-4b43-b5fe-96987b752847


+++PSYCHIATRIE
tagblatt.ch 15.12.2022

«Diese Zahlen machen mich stutzig»: St.Galler Psychiatrien setzen häufig Zwangsmassnahmen ein – Grüne möchten wissen, weshalb

21,5 Prozent in der Psychiatrie Nord, 17,5 Prozent in den Psychiatrie-Diensten Süd: So hoch sind die Anteile an freiheitsbeschränkenden Massnahmen in den beiden psychiatrischen Kliniken des Kantons St.Gallen. Sie liegen deutlich über dem schweizerischen Durchschnitt von 11,8 Prozent. In einem Vorstoss möchte die Grünen-Kantonsrätin Jeannette Losa wissen, weshalb der St.Galler Wert so hoch ist.

Luca Hochreutener

Es sei zwar nicht mehr so dramatisch wie früher, sagt Grünen-Kantonsrätin Jeannette Losa. Die Zwangsjacke beispielsweise sei passé. «Allerdings gibt es immer noch viele Massnahmen, um Patientinnen und Patienten in ihrer Freiheit einzuschränken», so Losa.

Besagte Massnahmen scheinen im Kanton St.Gallen besonders häufig eingesetzt zu werden. Der Anteil liegt in der Psychiatrie St.Gallen Nord bei 21,5 Prozent, bei den St.Gallischen Psychiatrie-Diensten Süd bei 17,5 Prozent. Diese Werte habe der Nationale Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ) im Jahr 2021 ermittelt. Im Vergleich zum schweizerischen Durchschnitt von 11,8 Prozent sind die St.Galler Werte ziemlich hoch.

Starker Eingriff in Persönlichkeitsrechte

Freiheitsbeschränkende Massnahmen werden laut einem Dokument der psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, das auf der Website des ANQ zu finden ist, zur Gewaltabwendung oder zur Verhinderung von Selbstschädigung angewendet. Im medizinischen Kontext können diese gegen den Willen einer Patientin oder eines Patienten, also unter Zwang durchgesetzt werden und stellen daher einen starken Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar. Es gebe hierbei ein breites Spektrum von verschiedenen Massnahmen, sagt Jeannette Losa. Beispiele sind Fixierungen zur Bewegungseinschränkung, Isolation oder auch medikamentöse Ruhigstellung. Für eine Zwangsmassnahme sei stets eine ethische Rechtfertigung nötig, heisst es in besagtem Dokument.

Während die St.Galler Werte stark über dem Durchschnitt liegen, biete in anderen Kantonen bereits ein Wert von 14,6 Prozent Anlass für Kritik, schreibt die Grüne Partei St.Gallen in einer Medienmitteilung. Darin informiert sie über einen Vorstoss, mit dem sich die Kantonsrätin Jeannette Losa an die St.Galler Regierung wendet. Losa fragt in der Interpellation nach den Gründen, weshalb der hiesige Anteil an freiheitseinschränkenden Massnahmen so hoch ist. Weiter will Losa wissen, ob der hohe Wert «mit dem akuten Personalmangel in der Pflege oder mit der Organisation, den baulichen Strukturen und der strategischen Ausrichtung der Kliniken» in Zusammenhang stehe.

Überforderung als Grund für Zwang

Diese Zahlen machten sie stutzig, sagt Jeannette Losa. «Es ist verwunderlich, dass wir als Kanton so hoch über dem Schweizer Durchschnitt liegen. Ich denke, es ist es wert, dass man da mal genauer hinschaut, um die Situation zu verbessern und solche Massnahmen auf ein Minimum zu reduzieren.»

Losa vermutet, der hohe St.Galler Wert habe etwas mit dem Personalmangel in medizinischen Einrichtungen zu tun, wie sie in der Medienmitteilung schreibt. Auf die Frage, welchen Zusammenhang der häufige Einsatz von Zwangsmassnahmen mit einem Personalnotstand hat, antwortet sie: «Es kann vorkommen, dass das Personal mit einzelnen Patientinnen und Patienten überfordert ist.» In so einem Fall gebe es keinen anderen Ausweg, als eine Person auf diese Weise unter Kontrolle zu halten. «Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben vielleicht gar keine andere Möglichkeit.»

Ihr sei es wichtig, dem Personal mit ihrer Interpellation keinen Vorwurf zu machen. «Meine Frage wäre, wie man das Personal unterstützen könnte, damit es solche Zwangsmassnahmen gar nicht erst anwenden muss.»

Auch angesichts der Annahme der Pflege-Initiative sei das Thema äusserst relevant. «Meine Interpellation ist verbunden mit der Frage, was man tun muss, um die Leute im Beruf zu halten», sagt Losa.

Deshalb erwarte sie, dass die Regierung in ihrer Antwort Stellung nimmt zu den Gründen für den hohen Anteil an Zwangsmassnahmen in St.Galler Psychiatrien. «Auch hoffe ich, dass man sich Massnahmen überlegt, um Verbesserungen einzuleiten», so Losa.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/vorstoss-diese-zahlen-machen-mich-stutzig-stgaller-psychiatrien-setzen-haeufig-zwangsmassnahmen-ein-gruene-moechten-wissen-weshalb-ld.2388341)


+++KNAST
Regierungsrat will die multireligiöse Seelsorge in kantonalen Institutionen verbessern
Das Seelsorgeangebot für Angehörige öffentlich-rechtlich nicht anerkannter Religionsgemeinschaften in Spitälern, Gefängnissen und Asylzentren soll schrittweise verbessert werden. Der Regierungsrat will damit die Ungleichbehandlung im Vergleich zu Angehörigen der Landeskirchen reduzieren. Gestützt auf einen umfassenden Bericht beauftragt der Regierungsrat die Direktion für Inneres und Justiz damit, in einer Pilotphase 2023-2025 weitere Erkenntnisse zu sammeln und konkrete Massnahmen zu erarbeiten.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=a3087cbb-4bed-4f2d-8608-ddd5ca2ffb5f
-> https://www.derbund.ch/berner-regierung-will-seelsorge-fuer-alle-religionen-unterstuetzen-329777734982
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/bundesrat-erlaubt-mehr-leistung-fuer-walliser-hochspannungsleitung?id=12302455 (ab 04:18)


Kredit für bauliche Anpassungen im Regionalgefängnis Thun
Der Regierungsrat hat einen Kredit von 850’000 Franken für bauliche Anpassungen im Regionalgefängnis in Thun bewilligt. Die Kosten stehen in Verbindung mit einem wissenschaftlich begleiteten Modellversuch in den Kantonen Bern und Zürich, der die Haftbedingungen von Personen in Untersuchungs- und Sicherheitshaft verbessern soll. So werden in den Normalvollzugsabteilungen zusätzliche Freizeit- und Beschäftigungsangebote ermöglicht und mehr offene Besuchsräume ohne Trennscheiben geschaffen.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=275b35df-5f0c-40a1-8ffd-971245989fbb#564f8d64-2cab-4876-84ae-68d1ae7fd726


BRIAN:
-> https://www.20min.ch/story/obergericht-hat-entschieden-brian-bleibt-weiterhin-hinter-gittern-586775137196
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/beschwerde-im-fall-carlos-abgewiesen-brian-bleibt-weiterhin-in-u-haft-id18147950.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/z%C3%BCrich/917421881-brian-bleibt-in-untersuchungshaft-beschwerde-abgelehnt
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/brian-muss-in-untersuchungshaft-bleiben-66369333
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/brian-muss-in-untersuchungshaft-bleiben-00201271/
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/zuercher-obergericht-laesst-brian-nicht-aus-dem-gefaengnis-149245766



nzz.ch 15.12.2022

Weil er als gefährlich gilt: Der Straftäter Brian bleibt in Untersuchungshaft – seine Anwälte kritisieren das scharf

Zürcher Obergericht weist Beschwerde ab. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen.

Giorgio Scherrer

Erst sollte er nach über fünf Jahren Untersuchungs- und Sicherheitshaft freikommen. Dann wurde er im letzten Moment doch im Gefängnis behalten – und dort bleibt er nun vorerst.

Das Zürcher Obergericht hat die Untersuchungshaft bestätigt, die das Zürcher Zwangsmassnahmengericht vor einigen Wochen für Brian angeordnet hatte, den wohl bekanntesten Straftäter der Schweiz. Als Grund führt das Obergericht an, dass Brian in Stresssituationen zu aggressivem Verhalten neige und dass er wegen versuchter schwerer Körperverletzung vorbestraft sei.

«Es besteht daher die ernstzunehmende Gefahr, dass er im Falle einer Haftentlassung erneut schwere Körperverletzungsdelikte verüben könnte», schreibt das Gericht in einer Mitteilung.

Umstrittenes Gutachten kommt zur Anwendung

Diese Wiederholungsgefahr hatten Brian und seine Anwälte stets bestritten und den Haftentscheid deshalb vor Obergericht angefochten. Nach dem nun publik gewordenen Entscheid äussern sie sich enttäuscht. Der Anwalt Philip Stolkin: «Die Zürcher Justiz nimmt Brian mit dieser Haft schon wieder jede Chance auf ein Leben in Freiheit.»

Zur Last gelegt werden Brian 33 Delikte, die er allesamt in Haft begangen haben soll. Es geht um einen Fall von versuchter schwerer Körperverletzung und mehrere Fälle von einfacher Körperverletzung, Beschimpfung, Sachbeschädigung sowie Gewalt und Drohungen gegen Behörden und Beamte.

Brians Anwälte machten geltend, ihr Klient habe die mutmasslichen Delikte in einer Ausnahmesituation begangen, da er damals fast ununterbrochen in Einzelhaft gesessen habe – unter Bedingungen, die unter anderem von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter kritisiert wurden.

Wiederholungsgefahr besteht laut den Anwälten in Freiheit nicht, da die fraglichen Vorfälle (wenn überhaupt) alle hinter Gittern stattfanden und spezifisch gegen Aufseher gerichtet waren.

Das sieht das Obergericht nun anders. Man habe sich beim Urteil auf die letzte forensisch-psychiatrische Begutachtung aus dem Jahr 2019 gestützt, so das Gericht. Diese hatte Brian eine psychische Störung und eine ungünstige Rückfallprognose attestiert. Von Brians Anwälten war das Gutachten scharf kritisiert worden, da es nicht auf Gesprächen mit ihm, sondern allein auf Akten beruht.

Auch darauf hat das Obergericht reagiert: Es hat die Staatsanwaltschaft angewiesen, beim Gutachter unverzüglich eine ergänzende Beurteilung der Rückfallgefahr einzuholen. Anwalt Bernard Rambert ist damit nicht zufrieden: «Die Justiz nimmt einmal mehr ihre Verantwortung nicht wahr und schiebt sie an befangene Psychiater ab.»

Besserung brachte nichts

Bis die neue Begutachtung vorliegt, soll Brian in Haft bleiben. Das, obwohl er seit über fünf Jahren ohne rechtsgültige Verurteilung in Haft sitzt. Und obwohl er sich seit Anfang Jahr ruhig verhält, was ihm auch das Obergericht zugutehält. Seit Januar befindet sich Brian unter gelockerten Haftbedingungen im Gefängnis Zürich, nachdem er auf Geheiss des Bundesgerichts aus der Einzelhaft entlassen worden war.

Das letzte Wort in der Causa Brian ist mit dem Urteil des Obergerichts allerdings nicht gesprochen. Brians Anwälte haben bereits angekündigt, den Haftentscheid ans Bundesgericht weiterzuziehen.

Besonders kritisch sehen sie das Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Ende Oktober hatte das Obergericht im Rahmen eines anderen Verfahrens nämlich noch Brians Freilassung verfügt. Kaum war das bekannt geworden, beantragte die Staatsanwaltschaft wegen des Verfahrens zu den Vorfällen in der Pöschwies erneut Untersuchungshaft.

Brians Anwalt Bernard Rambert sagte damals dazu: «Das soll man mal einem Menschen erklären: Er wird entlassen – und bleibt doch im Gefängnis.»

Ein Machtkampf

Die Geschichte von Brian – einst unter dem Pseudonym «Carlos» bekannt – ist die Geschichte eines Seilziehens zwischen ihm und den Justizbehörden. Bereits als Jugendlicher wurde Brian mehrfach eingesperrt, später wurde ein Sondersetting für den jugendlichen Straftäter zum Medienskandal. Brian ist mehrfach vorbestraft.

Während seiner Zeit in der Strafanstalt Pöschwies ab 2017 schaukelt sich der Konflikt zwischen ihm und den Aufsehern zusehends hoch. 2019 kommt es zum schwersten Vorfall, dessentwegen er momentan in Untersuchungshaft sitzt: Er wirft ein Glasstück in Richtung eines Aufsehers, dieses trifft ihn am Kopf und hinterlässt zwei kleine Schnittwunden.

Brian trägt es den schwersten der ihm nun zur Last gelegten Straftatbestände ein.

Im Gefängnis sei er von den Aufsehern provoziert, durch die «unmenschlichen Haftbedingungen» fast um den Verstand gebracht worden, machten Brian und seine Anwälte geltend. Er habe sie mit dem Tod bedroht, sie immer wieder beleidigt und attackiert, halten die Aufseher und die Staatsanwaltschaft dagegen.

«Wieso haben Sie uns angegriffen?»

Fest steht: Während mehrere Verfahren gegen Brian laufen, versuchen seine Verteidiger auch seit Längeren, solche gegen die Aufseher anzustrengen. Diese bemühten sich zum Teil mit grossem Körpereinsatz, ihn unter Kontrolle zu bringen – was angesichts ihrer Übermacht auch stets gelang.

Wie verfahren die Situation in der Strafanstalt Pöschwies war, zeigt beispielhaft ein Austausch zwischen Brian und seinen Aufsehern, der in den Prozessakten dokumentiert ist.

Brian: «Wieso habe ich ein blaues Auge und einen geschwollenen Arm?» – Aufseher: «Wieso haben Sie uns angegriffen?»

Welche der beiden Seiten recht hat, wird dereinst ein Gericht entscheiden müssen. Bis dahin bleibt Brian für die einen ein Justizopfer und für die anderen ein gefährlicher Wiederholungstäter. Und er bleibt nun nach dem jüngsten Gerichtsentscheid wohl auch dort, wo sich seine Kämpfe der letzten Jahre zutrugen: im Gefängnis.
(https://www.nzz.ch/zuerich/obergericht-zuerich-brian-muss-in-untersuchungshaft-bleiben-ld.1717279)


+++POLIZEI ZH
Zürcher Polizeien müssen Nationalitäten von Straftätern weiterhin nennen
Die Zürcher Polizeikorps müssen die Nationalität von Verdächtigen und Straftätern weiterhin angeben. Das Bundesgericht hat entschieden, dass diese Vorgabe rechtens ist. Mehrere Personen hatten verlangt, dass sie aufgehoben wird.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-polizei-kann-nationalitaet-von-straftaetern-weiterhin-nennen-1-00201252/


+++POLIZEI DE
Tod nach Polizeieinsatz: Koste es, was es wolle
Medard Mutombo soll von der Berliner Polizei in die Psychiatrie gebracht werden. Der Einsatz endet tödlich. Sein Bruder fordert Konsequenzen.
https://taz.de/Tod-nach-Polizeieinsatz/!5896276/


+++FRAUEN/QUEER
Gravierende Defizite bei der Schweizer Bekämpfung von Geschlechtsbezogener Gewalt
Am 15. November 2022 wurde der erste Bericht über die Umsetzung der Istanbul-Konvention in der Schweiz veröffentlicht. Die Expert*innen des Europarats kommen darin zum Schluss, dass die Schweiz viele Anforderungen der 2018 in Kraft getretenen Europaratskonvention zur Verhütung von Geschlechtsbezogener, Sexualisierten und Häuslicher Gewalt nicht erfüllt.
https://www.humanrights.ch/de/news/defizite-schweizer-bekmpfung-geschlechtsbezogener-gewalt


+++++RASSISMUS
Dieser Lehrer liest Dürrenmatts «Die Physiker» nicht mehr in der Klasse – wegen Rassismus
Ein Lehrer stört sich über rassistische Äusserungen in einem Klassiker von Friedrich Dürrenmatt. Er fordert den Verlag auf, eine angepasste Buchversion zu veröffentlichen – sonst boykottiere er das Werk in der Schule.
https://www.watson.ch/schweiz/literatur/345311958-lehrer-will-kein-duerrenmatt-mehr-lesen-wegen-rassistischer-passagen
-> https://www.baerntoday.ch/schweiz/lehrer-boykottiert-duerrenmatts-die-physiker-wegen-n-wort-149247963


+++RECHTSPOPULISMUS
Budget-Debatte im Gemeinderat eskaliert
Die SVP beantragte im Gemeinderat, die Beiträge der Stadt ans Tanzhaus zu streichen. Stein des Anstosses ist die Drag Queen-Lesestunde für Kinder. Damit löste die SVP einen Sturm der Entrüstung aus.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/budget-debatte-im-gemeinderat-eskaliert-149250119
-> https://www.zueritoday.ch/videos/widerliche-schande-so-emotional-war-der-dragqueen-eklat-im-gemeinderat-149248029


+++RECHTSEXTREMISMUS
REICHSBÜRGERPUTSCHPLÄNERAZZIA:
https://taz.de/Razzia-gegen-Reichsbuerger/!5899210/
-> https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/id_100096496/mutmassliche-terrorgruppe-hoffte-auf-hilfe-von-aliens.html
-> https://jungle.world/artikel/2022/50/hoffen-auf-den-staatsstreich
-> https://jungle.world/artikel/2022/50/uniformiert-im-untergrund
-> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/reichsbuerger-wie-gefaehrlich-sind-die-verschwoerer-podcast-a-d44deb03-712a-4b08-8419-be4469330c9b
-> https://www.tagesanzeiger.ch/immer-neue-details-zu-den-reichsbuergern-ist-die-gefahr-gebannt-571526094727


Bericht zum Verbot von nationalsozialistischen und rassistischen Symbolen
In einem Bericht vom 15. Dezember 2022 zeigt das Bundesamt für Justiz (BJ) die aktuelle Rechtslage bezüglich strafbarer und strafloser Verwendung nationalsozialistischer und rassistischer Symbole auf. Der Bericht im Auftrag von Bundesrätin Keller-Sutter enthält auch Einschätzungen aus der Praxis zum Handlungsbedarf und diskutiert die Vor- und Nachteile von rechtlichen Möglichkeiten für ein allfälliges Verbot der Verwendung solcher Symbole.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-92233.html


„Am Samstag findet im @kulturhof1 ein Metall-Festival statt. Als Headliner spielt die ital. Band #ForgottenTomb, welche der National Socialist Black Metall NSBM-Szene zugeordnet werden kann.„
Mehr: https://twitter.com/antifa_bern/status/1603465217379385344



tagblatt.ch 15.12.2022

Verbot von Hakenkreuz und Hitlergruss: Bund sieht keine Notwendigkeit – jüdische Dachverbände protestieren

Das Bundesamt für Justiz ist skeptisch gegenüber einem möglichen Verbot von NS-Symbolen und anderen gewaltverherrlichenden und rassendiskriminierenden Symbolen. Es lasse sich nur schwer umsetzen. Den Dachverbänden der jüdischen Gemeinden ist das zu wenig. Sie sehen dringenden Handlungsbedarf.

Christoph Bernet

Der Bund steht einem möglichen Verbot von nationalsozialistischen Symbolen wie dem Hakenkreuz und anderen rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden und extremistischen Symbolen skeptisch gegenüber. Das geht aus einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht des Bundesamts für Justiz hervor.

Den Auftrag dazu erteilte Justizministerin Karin Keller-Sutter im Februar als Reaktion auf mehrere parlamentarische Vorstösse zum Thema. So hatte Mitte-Nationalrätin Marianne Binder (AG) in einer Motion vom November 2021 vom Bundesrat gefordert, die öffentliche Zurschaustellung von «bekannten Kennzeichen des Nationalsozialismus» unter Strafe zu stellen. Der Bundesrat lehnte das Anliegen im Februar ab, unter anderem mit Verweis auf die Meinungsäusserungsfreiheit.

Auch die beiden SP-Vertreter Angelo Barrile (ZH) und Gabriela Suter (AG) verlangten in Vorstössen ein Verwendungsverbot von gewaltverherrlichenden, rassistischen, extremistischen und rassendiskriminierenden Symbolen in der Öffentlichkeit.

In seinem Bericht hat Bundesamt für Justiz eine rechtliche Analyse der Vor- und Nachteile verschiedener Verbotsnormen unternommen. Es kommt zum Schluss, dass es grundsätzlich möglich wäre, die Verwendung solcher Symbolen auf Bundesebene und in den kantonalen Gesetzen zu verbieten.

Geltendes Recht bietet schon Möglichkeiten

Doch würde die konkrete Ausgestaltung eines Verbots «eine grosse Herausforderung darstellen». Zum einen müsste die Norm ausreichend offen formuliert sein, damit die Gerichte den spezifischen Kontext eines Falls berücksichtigen können. Zum anderen müsste die Formulierung genügend klar sein, damit für die Bevölkerung klar ist, was erlaubt und was verboten ist. Zudem bräuchte es Ausnahmeregelungen für die Verwendung der Symbole zu wissenschaftlichen, schulischen, künstlerischen oder journalistischen Zwecken.

Ausserdem biete bereits das geltende Recht eine Handhabe gegen «diskriminierende, rassistische, gewaltverherrlichende, extremistische und nationalsozialistische Symbole». Werbe jemand damit öffentlich für eine entsprechende Ideologie, so kann die Person gemäss der Rassismusstrafnorm bestraft werden. Die Ordnungskräfte hätten durch die kantonalen Polizeigesetze «taugliche Interventionsinstrumente» zur Hand, um etwa auf Demonstration einzuschreiten, wenn die Symbole auftauchen. Insgesamt seien die Hürden für eine Strafbarkeit «unter Umständen schon heute relativ tief». Auch drei für den Bericht befragte Praktiker aus Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht sehen keine Notwendigkeit einer Neuregelung.

Kein Graubereich für NS-Symbole

Anders sehen dies die beiden jüdischen Dachverbände, der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Plattform der Liberalen Juden der Schweiz (PLJS), laut einer Medienmitteilung vom Donnerstag. Gemeinsam mit weiten gesellschaftspolitischen Kreisen sehen sie «einen dringenden Handlungsbedarf». Die Lücken im bestehenden Recht würden gezielt ausgenutzt. So würden nationalsozialistische Symbole für eine «Akzentuierung und Skandalisierung politischer Botschaften» missbraucht. Dies sei mit dem Hitlergruss oder abgewandelten Judensternen am Rande von Coronademonstrationen zu beobachten gewesen.

Weil breiter gefasste Verbote schwierig sind, wollen SIG und PLJS auf ein Verbot nationalsozialistischer Symbole fokussieren. Sie fordern Parlament und Bundesrat auf, rasch ein solches umzusetzen. Einen Graubereich bei der Verwendung nationalsozialistischer Symbole dürfe es in der Schweiz nicht mehr geben.

Zunächst liegt der Ball bei der Rechtskommission des Nationalrats. Diese hatte die Beratungen der parlamentarischen Initiativen zum Thema im August 2022 sistiert, um die Erkenntnisse des Berichts aus dem Bundesamt für Justiz abzuwarten.
(https://www.tagblatt.ch/schweiz/extremismus-verbot-von-hakenkreuz-und-hitlergruss-bund-sieht-keine-notwendigkeit-juedische-dachverbaende-protestieren-ld.2388469)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Massnahmengegner künden drittes Referendum gegen Covid-Gesetz an
Die Gegner der Corona-Massnahmen des Bundes wollen zum dritten Mal das Referendum gegen das Covid-Gesetz ergreifen. Dies kündigte die Bürgerbewegung «Mass-voll!» am Donnerstagabend in einer Mitteilung an.
https://www.baerntoday.ch/schweiz/massnahmengegner-kuenden-drittes-referendum-gegen-covid-gesetz-an-149251518
-> https://www.derbund.ch/massnahmengegner-kuenden-drittes-referendum-gegen-covid-gesetz-an-175559687299


Fragwürdige Traumatherapie Unwissenschaftliche Methode an Hochschule
Der Münchener Professor Franz Ruppert behauptet, dass ein Großteil der Menschheit früh traumatisiert wurde – das aber vergessen habe. Ruppert will eine Methode entwickelt haben, um die Erinnerungen zurückzuholen. Wissenschaftlich anerkannt ist sie nicht. Mittels so genannter Anliegen-Aufstellungen zeigt er seinen Patientinnen und Patienten die angeblich vergessenen Ereignisse. Sogar Traumatisierungen, die vor der Geburt stattgefunden hätten, könne er so aufdecken. Kontraste-Recherchen zeigen: Auffällig häufig ist das Ergebnis von Rupperts Methode, dass die Patienten sexuelle Gewalt durch ihre Familie erlitten hätten. Fragwürdige Anschuldigungen, die ganze Familien zerstören können.
https://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-vom-15-12-2022/fragwuerdige-traumatherapie-sexuelle-gewalterfahrung-eingeredet.html


+++HISTORY
derbund.ch 15.12.2022

Berns erster «Negro»: Die Stimme des schwarzen Mannes in der weissen Stadt

Der afroamerikanische Künstler Vincent O. Carter lebte 30 Jahre in Bern. Seinem Vermächtnis, dem «Bernbuch», ist jetzt ein Podcast gewidmet – mit zwölf Hörstationen.

Alexander Sury

Der junge Afroamerikaner traf ausgerechnet in der Woche in der Bundesstadt ein, als 600 Jahre Zugehörigkeit des Kantons Bern zur Eidgenossenschaft mit einem historischen Umzug durch die Altstadt gefeiert wurde. Der Stadtpräsident hiess damals Otto Steiger. Im Café du Commerce ist knapp 70 Jahre später der aktuelle Stadtpräsident Alec von Graffenried in einem Podcast zu hören, wie er die Impressionen von Vincent O. Carter (1924–1983) über diese Jubiläumsfeier 1953 liest.

Die Podcasts dauern zwischen fünf und zwölf Minuten und sind teils an Orten zu hören, wo Carter einst Stammgast war, im Café du Commerce, im Casino oder im Café des Pyréenés: Dort geht es um die «verhasste Frage», die Carter über all die Jahre immer wieder von Einheimischen halb mitleidig, halb verständnislos gestellt wurde: Warum ausgerechnet Bern?

Der «erste Schwarze Berns», wie sich Carter auch nannte, war eigentlich gekommen, um Freunde zu besuchen, er blieb dann 30 Jahre in der Bundesstadt bis zu seinem frühen Tod. Carters «Bern Book» ist im vergangenen Jahr in deutscher Übersetzung erschienen. Bereits 1957 hatte Carter das Manuskript fertiggestellt. Nach seiner Veröffentlichung 1970 in den USA wurde es allerdings kaum wahrgenommen. Der Autor wandte sich enttäuscht der Malerei zu.

Zuerst «Befreier», dann Fremder

Die deutschsprachige Veröffentlichung des «Bernbuchs» hat einiges angestossen: Zum Beispiel ist ein Dokumentarfilm über Carter von Dieter Fahrer in Arbeit. Und dann gibt es eben diesen Podcast, der das Buch zurückbringt in die Stadt seiner Entstehung. Ab sofort bis Ende April 2023 gibt es in zwölf Stadtberner Lokalen insgesamt 19 Lesungen aus dem «Bernbuch» zu hören.
Die Gymnasiallehrerin und Literaturvermittlerin Nicole Widmer hat den Podcast zum «Bernbuch» konzipiert.

Das Projekt der Berner Gymnasiallehrerin und Literaturvermittlerin Nicole Widmer bringt die Aufzeichnungen Carters aus dem Bern der 1950er-Jahre in das Bern von heute und zeigt: Carters Erfahrungen und Reflexionen sind auch 70 Jahre nach der Niederschrift aktuell. Für die Lesungen hat Widmer teils prominente Namen wie Stadtpräsident Alec von Graffenried oder die Schriftstellerin Meral Kureyshi gewonnen; alle haben sie sowohl einen Bezug zur Stadt als auch zu den von Carter angesprochenen Themen.

Geboren 1924 in Kansas City, wuchs Vincent O. Carter als Angehöriger der schwarzen Unterschicht auf. 1944 landete er als Angehöriger der Versorgungstruppen nach der Invasion in der Normandie. Er gehörte zu den gefeierten «Befreiern» von Paris. 1953 kehrte er als Zivilist nach Paris zurück.

Über Stationen in Amsterdam und München traf er am 18. Juni 1953 in Bern ein. Die Zimmersuche gestaltete sich schwierig; überall wurde er angestarrt. Wie das gewesen sein muss, erfährt man im Café Littéraire der Buchhandlung Stauffacher, wo der Schauspieler Jonathan Loosli Carters Notate über seine Ankunft in Bern liest.

So wie der Autor vor 70 Jahren in Bern in den Cafés und Restaurants gesessen sei und die Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner beobachtet habe, so würden sich die Hörerinnen und Hörer in einem vergleichbaren Setting befinden, sagt Nicole Widmer. «Sie haben das heutige Bern vor Augen, während sie Carters Aufzeichnungen zuhören.» Das Bern, das sich ihnen zeige, sei ein anderes, «aber die Gedanken des Autors bieten auch heute viel Erhellendes».

Carter hält den Bernerinnen und Bernern schonungslos den Spiegel vor. Nicole Widmer legt jedoch Wert darauf, «ihn nicht einfach als Anklagenden darzustellen, sondern zu zeigen, dass er sich immer um ein Verstehen des Gegenübers bemüht hat, selbst dann, wenn er hart im Urteil war».

Die Klassengesellschaft im Tearoom

Das «Bernbuch» kann auch als literarischer Bericht über die Tücken einer Integration gelesen werden. Als Ethnograf beobachtet der Fremde den exotischen Volksstamm der Bernerinnen und Berner. Mitunter verpackt er seine Beobachtungen auch in Gleichnisse. Im Teehaus Länggass-Tee liest die Schriftstellerin Meral Kureyshi dazu zwei Parabeln.

Gattungsmässig ist das Buch schwer zu fassen, es ist in seinem verspielt-abschweifenden Stil eine Mischung aus Tagebuch, Essay, Roman und Brief. Im Wartsaal in der Lorraine liest die Autorin und Performerin Sarah Elena Müller Carters Gedanken über «Schreiben und Arbeit».

Dieser Autor hat viel zu sagen: über die Zerstörung der Landschaft und eine museale Stadtplanung, über den Umgang der Schweizer mit ihren Künstlern, über den Fetisch Lohnarbeit oder Überlegungen zur Tearoom-Kultur, wo er anhand des weiblichen Personals und gut situierter männlicher Kundschaft die horizontale Klassengesellschaft studierte. Die Journalistin und Buchautorin Angélique Beldner liest im Café Einstein aus Carters Beobachtungen im Tearoom.

Auch über die Rolle des anderen Geschlechts staunt der Fremde. Im «Apfelgold» im Brückfeldquartier liest die grüne Nationalrätin Nathalie Imboden Carters «Gedanken zur Schweiz und den Frauen». Der weibliche Teil der Bevölkerung werde wie Hausmädchen behandelt, die nicht abstimmen dürften und keine Rolle in der Gesellschaft spielten: «Sie sind bloss das Spielzeug der Männer.»

Zum Vermächtnis Carters gehört auch sein Sensorium für subtile Formen des Rassismus. So gesehen, ist das «Bernbuch» nicht nur ein historisches Dokument, sondern hat durchaus – man denke etwa an das Thema «kulturelle Aneignung» – eine zeitgenössische Dimension.
(https://www.derbund.ch/die-stimme-des-schwarzen-mannes-in-der-weissen-stadt-822570578046)


+++GASSE 2
tagblatt.ch 15.12.2022

«Wo sollen wir denn sonst hin?»: Alles wird teurer, die Gäste der St.Galler Gassenküche trifft das hart

Die Energiekrise bringt die Gassenküche St.Gallen an den Anschlag. Trotz Teuerung will das rein spendenfinanzierte Projekt unbedingt am günstigen Mittagstisch für alle festhalten. Zu Besuch bei denen, die oft nicht einmal drei Franken für ein Mittagessen haben.

Text: Julia Nehmiz Bilder: Ralph Ribi

Stefan und Kurt sitzen an einem der Achtertische. Stefan, speckige Jacke, ausgebleichtes Käppi, hat Hund Cello dabei. Der sei eineinhalbjährig, ein Collie-Labrador-Sennenhund-Mischling, sein Ein und Alles. Cello liegt brav unterm Tisch, freut sich über Streicheleinheiten und den Schinken von Kurts belegtem Brötchen. Das gibt es hier gratis, wie auch den Kaffee, den Kurt trinkt.

Seit 1987 hilft die Gassenküche in St.Gallen. Sie bietet Wärme, Kaffee, Essen, Unterstützung. Es ist familiär, alle sprechen sich mit Vornamen an. Die Gassenküche ist jeden Tag – bis auf die Sommerpause – geöffnet. Mehr Männer als Frauen kommen vorbei, viele suchtkrank, viele mit psychischen Erkrankungen.

Die Gassenküche ist schon immer rein spendenfinanziert. Kanton und Stadt spenden in der Regel nicht, sagt Regine Rust. Sie ist Leiterin der Stiftung Suchthilfe, die die Gassenküche betreibt. Dass die Gassenküche nur durch Spenden lebt, findet Rust wichtig: Es signalisiere den Menschen hier, dass sie nicht vergessen werden und dazugehören. Oft genug müssen sie erleben, dass das eben nicht so ist.

Die Energiekosten steigen, und die Lebensmittelkosten auch

Kurt wohnt im Appenzellerland, er komme fast täglich in die Gassenküche, sagt er. Gemeinschaft, Zeitung lesen, Gespräche, Kaffee – und Essen. In seine Tasche hat er Weintrauben und eine Ananas gepackt. Die wird er seiner Frau mitbringen. Stefan erzählt von seiner Drogensucht, er bekommt Substitution, sagt er, und zieht das Tütchen mit den Tabletten aus der Tasche. Die Gassenküche sei ein toller Ort. «Wo sollen wir denn sonst hin?», fragt Stefan.

Doch jetzt wird das Geld knapp. Regine Rust hat Angst vor explodierenden Energiekosten, die Gassenküche ist wie ein kleines Restaurant und auch so ausgestattet. Die Geräte fressen Strom, auch die Lüftung, die den ganzen Tag läuft. Dazu die Teuerung, die steigenden Lebensmittelkosten. Nach einem Hilferuf im November gab es zwar viele Rückmeldungen. Doch Rust weiss nicht, ob das Geld reichen wird. Den Jahresabschluss macht die Gassenküche erst im Januar. Und die Teuerungen bleiben.

Es ist kalt, die Menschen haben Hunger

An diesem Mittwoch Anfang Dezember wartet ein halbes Dutzend Gäste in der Kälte, bis die Gassenküche um 11 Uhr die Tür öffnet. Eine Frau geht gleich ins Fumoir, aus ihrer randvollen Kaffeetasse schwappt es auf den Boden. Keine Viertelstunde zuvor hatte Helfer Ronny den Boden frisch gewischt.

Um 12 Uhr gibt es Mittagessen. In der Küche bereiten zwei Frauen seit 9.30 Uhr alles dafür vor. Sie arbeiten gerne hier, die eine seit mehreren Jahren, die andere wird gerade angelernt, aber beide möchten anonym bleiben, lieber nicht öffentlich mit der Gassenküche in Verbindung gebracht werden. Da ist sie wieder, die Stigmatisierung, von der Bereichsleiter Mithat Foster später sagen wird, dass sie ihn stört und von der er sich wünscht, dass sie aufhört.

Spaghetti gibt es heute, die langjährige Köchin – rote Kochjacke, schwarze Kochschürze, die Haare zum Zopf gebunden – hat schon zwei Saucen aufgesetzt, Tomaten- und Speckrahmsauce. Jeweils drei, vier Liter, dazu fünf Kilo Spaghetti, und trotzdem wird es am Nachmittag knapp. Es ist kalt, die Menschen haben Hunger.

Die Schokolade wird rationiert, damit jeder etwas abbekommt

Der Zivildienstleistende hat die Theke im Gastraum im Griff: Kaffeekannen, Tassen, Zucker, Milch, eine Kanne Sirup, Gläser. Auf der anderen Seite der Theke: Ananas, Bananen, Schüsseln mit Birnen, Weintrauben, Chilis – alles gespendet, die Gäste dürfen sich bedienen. Auf der Fensterbank eine Kiste mit Wollsocken und Kleidern, am Abend wird nur noch eine orange Hose drin liegen.

Es wird voller im Gastraum, man kennt sich und hockt zusammen. Sozialarbeiterin Stefanie Stadelmann fragt einen jungen Mann im blauen Pullover, wie es ihm geht, füllt die Zuckerdose auf. Jemand wühlt in der Samichlaus-Schüssel zwischen den Erdnüssen nach Schokolade, «die Guten habt ihr ganz unten versteckt». Süssigkeiten kommen immer gut an, sagt Stefanie, sie werden rationiert, damit jeder was abbekommt.

Kurz wird es aggressiv. Wie aus dem Nichts flucht einer, pöbelt laut, schüttet seinem Gegenüber den Kaffee ins Gesicht. «Hey, hey», rufen die anderen. «So ein aggressives Arschloch», sagt einer. Der müsse immer motzen, dabei sei doch gar nichts vorgefallen. Stammgast Ami flucht jetzt auch, seine Jacke, die überm Stuhl hing, hat Kaffee abbekommen. Er versucht, sie mit Papierservietten sauber zu rubbeln. Der Pöbler geht raus, eine rauchen. Der Zivi putzt den Tisch. Alle haben sich wieder beruhigt.

Neulich sei es richtig aggressiv gewesen, erzählt Ami. Einer habe dem Zivi voll eine gelangt, der habe ins Spital gemusst. Stimmt nicht, sagt der Zivi, er habe zwar was abbekommen, aber überhaupt nicht heftig. Stiftungsleiterin Regine Rust darf dazu nichts sagen, «aufgrund des Datenschutzes».

Und vielleicht spielt auch Scheu mit: Angst vor Stigmatisierung, die Gassenküche und ihre Gäste könnten in ein schlechtes Licht gerückt werden.

Es habe sich gesellschaftlich schon viel getan in der Akzeptanz und im Umgang mit Suchtkranken, sagt Bereichsleiter Mithat Foster. Aber nicht genug. Er sitzt in seinem Büro im zweiten Stock über der Gassenküche, jeden Tag ist er unten im Gastraum oder im Katharinenhof, der zweiten Anlaufstelle für Suchtkranke in der Stadt. Schadensminderung, das sei das Konzept, dem man folge, sagt Foster. Schaden mindern für die Gesellschaft, und Schaden mindern für die Drogenabhängigen. Er mag das Wort Randständige nicht. Die Gäste der Gassenküche seien keine Randständigen, sie lebten mitten in der Gesellschaft. Was er sich für seine Arbeit wünscht? Er überlegt. «Dass unsere Leute nicht mehr stigmatisiert werden», sagt Foster.

Abgelaufene Waren darf die Gassenküche nicht annehmen

Unten im Gastraum haben sie das Mittagessen ausgegeben. Manche der Gäste, die schon seit 11 Uhr im Gastraum sitzen, trinken aber weiter nur Kaffee. Ein älterer Mann mit grüner Mütze unterhält sich mit Ronny, dem freiwilligen Helfer. Ronny, 68, hat Ende letzten Jahres seine Arztpraxis altershalber aufgegeben, auch seine Stelle am Kantonsspital, er war Magen-Darm-Leber-Spezialist. In der Gassenküche hilft Ronny seit dem Frühjahr aus, einmal die Woche, zuletzt auch öfter, es gab Personalmangel. Die Arbeit hier sei super, sagt Ronny, sinnvoll, gut, die Dankbarkeit, es sei einfach schön mit den Leuten. Er wird an Weihnachten kochen, was, weiss er noch nicht, je nachdem, was an Lebensmitteln gespendet wird.

Drei Mal pro Woche wird die Gassenküche von der Schweizer Tafel beliefert. Fleisch, Teigwaren, Reis, Milchprodukte kauft das Team oft auch selber ein. Oft spenden Private. Eine ältere Frau bringt eine Geschenktüte vorbei, drei Gläser Honig sind darin und zwei Flaschen Cola. Eine andere Frau hat abgepackte Wurstwaren dabei, die seien abgelaufen aber noch gut. Regine Rust bittet sie zum Gespräch, weg von den Gassenküchen-Gästen, sie möchte niemanden blossstellen. Aber abgelaufene Waren dürfen sie nicht annehmen. Die Gassenküche muss sich wie jeder Gastrobetrieb an die Hygiene- und Lebensmittelvorschriften halten.

Die Teuerung trifft die, die eh schon wenig haben

Es ist noch nicht 15 Uhr, da bildet sich die nächste Schlange vor der Theke. Dann wird das, was vom Mittagessen übrig ist, gratis ausgegeben. Manche, die seit dem Vormittag im Gastraum sitzen, stehen jetzt an. Drei Franken fürs Mittagessen sind für sie unbezahlbar. Das Gassenküchenteam merkt, dass es mehr werden, die kein Geld haben. Die erst spät und dafür gratis essen. Die Teuerung trifft vor allem die, die eh schon wenig haben.

Ronny muss die Spaghetti rationieren, damit es für möglichst viele reicht, doch die letzten drei Portionen gehen ohne Sauce raus. Stefanie holt Ketchup und Majo. Nachgekocht wird nicht. Es hat, was es hat, sagt Stefanie. Hungrig muss keiner die Gassenküche verlassen, es gibt immer Brot, Butter und Konfi; heute bekommen einige noch gespendetes Fertig-Curry.

Als würden sie den Abschied hinauszögern wollen

Kurz vor 17 Uhr ist der kleine Raucherraum voll, als würden die Gäste den Abschied so lange wie möglich rauszögern wollen. Der Zivi gibt der alten Frau, die den ganzen Nachmittag an ihrer Bierdose nippte, eine Tasche. In Tupperdosen abgefüllt bekommt sie das für sie aufbewahrte Mittagessen. Ronny stuhlt auf, desinfiziert Tische, Stühle, Bank und Griffe des Töggelikastens. Stefanie macht die Kasse. Um 17 Uhr schliesst die Gassenküche. «Ciao, ich wünsch Euch, schönen Abend miteinander», sagt einer, und zieht die Mütze über die Kapuze. Die Gäste müssen hinaus in die Kälte, in die Dunkelheit. Stefanie stellt das Radio ab und die Lüftung. Stille.

56 Essen haben sie heute ausgegeben, 20 davon gratis um 15 Uhr. Dazu Obst, belegte Brötchen, und was es sonst noch an Spenden zu verteilen gab. Und gut 20 Liter Kaffee. Stefanie schaltet das Licht im Gastraum aus und schliesst ab. Morgen wird sie es wieder einschalten. Die Gassenküche öffnen für die, die sie brauchen. Es sind viele.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/reportage-wo-sollen-wir-denn-sonst-hin-alles-wird-teurer-die-gaeste-der-stgaller-gassenkueche-trifft-das-hart-ld.2384810)