Medienspiegel 12. Dezember 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BASELLAND
150 Asylsuchende mussten Unterkunft verlassen – wegen offenen Fenstern
Rund 150 Asylsuchende mussten vorübergehend aus der Unterkunft in Liestal in andere Zentren umverteilt werden. Der Grund: Die Fenster klemmten.
https://telebasel.ch/2022/12/12/150-asylsuchende-mussten-unterkunft-verlassen-wegen-offenen-fenstern/


+++ST. GALLEN
Ehemaliges Pflegezentrum in Uznach wird vielleicht auch in Zukunft als Unterkunft für Flüchtlinge genutzt (ab 03:43)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/schwere-vorwuerfe-gegen-buendner-richter?id=12300766


+++SCHWEIZ
Externe Beschwerdestelle – Asylsuchende können neu anonym Vorfälle melden
Der Bund reagiert auf frühere Vorwürfe, dass es in den Bundesasylzentren zu Gewalt gekommen sei.
https://www.srf.ch/news/schweiz/externe-beschwerdestelle-asylsuchende-koennen-neu-anonym-vorfaelle-melden
-> https://www.watson.ch/schweiz/migration/917096202-beschwerdestellen-in-bundesasylzentren-eingerichtet
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/neu-gibt-es-beschwerdestellen-in-bundesasylzentren-66365306
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/imagekampagne-nach-esaf-pratteln-macht-werbung-in-eigener-sache?id=12300628
-> https://www.blick.ch/politik/pilotprojekt-in-bern-und-zuerich-bund-schafft-beschwerde-stelle-fuer-asylsuchende-id18136580.html
-> https://telebasel.ch/2022/12/12/neu-gibt-es-beschwerdestellen-in-bundesasylzentren/?channel=105100


Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund hat in der Schweiz seit 2012 um 4 Prozentpunkte zugenommen
Der Anteil der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren mit Migrationshintergrund ist zwischen 2012 und 2021 von 35% auf 39% gestiegen. Das geht aus den Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) hervor. Wie die Analyse zeigt, ist die Bevölkerung mit Migrationshintergrund bis auf einige Ausnahmen schlechter gestellt als jene ohne Migrationshintergrund. Die Zahl der schweizerischen und ausländischen Migrantinnen und Migranten hat 2021 zugenommen. Dies sind einige der Ergebnisse, die das Bundesamt für Statistik (BFS) in einer neuen Publikation zum Thema Migration und Integration veröffentlicht.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-92147.html


+++OSTEUROPA
derbund.ch 12.12.2022

Flüchtlinge aus Weissrussland: Wer es über die EU-Grenze schafft, wird zurückgejagt

Wie vor einem Jahr irren Flüchtlinge wieder im Grenzgebiet zwischen Weissrussland und Litauen, Lettland und Polen umher. Die Anwohner und Helfer fühlen sich alleingelassen.

Viktoria Grossmann aus Warschau

Ende des Jahres werden die Ärzte ohne Grenzen ihre Mission in Litauen beenden. Seit mehr als einem Jahr haben sie dort Flüchtlinge betreut, die über die Grenze aus Weissrussland in die EU-Länder gelangt waren. Die Menschen kommen immer noch, aber die Helfer können sie in den riesigen Wäldern kaum erreichen. Um medizinische und psychologische Unterstützung oder auch nur Erste Hilfe erhalten zu können, müssten die Flüchtlinge erst einmal tatsächlich auf der EU-Seite ankommen können.

Doch meist werden sie einfach nach Weissrussland zurückgedrängt. Ärzte ohne Grenzen und die litauische Hilfsorganisation Sienos Grupe sprechen von bis zu 100 Prozent Pushbacks. Mit anderen Worten: Jeder, der es über die Grenze schafft, wird gleich wieder zurückgejagt. In Weissrussland unterhalten die Ärzte ohne Grenzen zwar auch eine Mission, aber ins Grenzgebiet lässt man sie nicht.

Im Sommer 2021 hatte der weissrussische Diktator Alexander Lukaschenko eine beispiellose Fluchtbewegung ausgelöst, als er Menschen etwa aus kurdischen Gebieten im Irak, aus Syrien, Afghanistan und verschiedenen afrikanischen Ländern regelrecht einlud, nach Minsk zu reisen, um von dort aus zur EU-Aussengrenze zu gelangen. Tausende Menschen kamen damals gleichzeitig, von den weissrussischen Grenzern vorwärtsgedrängt. Weissrussland nahm durch die organisierte Flucht Hunderttausende Euro an Devisen ein. Die EU-Länder intervenierten und erreichten in einigen Herkunftsländern, dass Fluglinien blockiert wurden, Menschen wurden in ihre Heimatstaaten zurückgeschickt.

Doch diese Fluchtroute, einmal geöffnet, wird weiterhin genutzt. Mehrere Hundert versuchen nach Angaben von Hilfsorganisationen jeden Monat, auf diesem Weg in die EU zu kommen. Wieder ist Winter, wieder ist es kalt, wieder werden Menschen im Grenzgebiet hin und her gestossen. Und wieder berichten Helfer von Verletzten, von Vermissten und von Toten. Alle drei an Weissrussland angrenzenden EU-Länder haben das vergangene Jahr genutzt, um Zäune – oder besser: Stahlmauern – zu bauen. Litauen und Polen sind damit fertig, Lettland arbeitet noch daran. Alle drei sichern zudem ihre Grenzen zu Russland, beziehungsweise zur russischen Exklave Kaliningrad, mit meterhohem Stacheldraht.

«Der Zaun hat gar nichts gebracht», sagt Rita Skriadaite von der litauischen Sienos Grupe. Genauso sehen das auch Helfer und Aktivisten auf der polnischen Seite, die sich zur Dachorganisation Grupa Granica zusammengeschlossen haben und eine Pressekonferenz organisiert haben. Skriadaite wirft den litauischen Grenzbeamten vor, Flüchtlinge immer wieder über die Grenze zurückzudrängen. «Sie bekommen keinerlei Möglichkeit, um Asyl zu bitten», sagte sie. «Sie bekommen keine Hilfe, keine Lebensmittel, keine Kleidung, keine Schuhe.»

Dabei hatte die litauische Innenministerin Agne Bilotaite erst vor zwei Wochen genau das zugesagt. Bilotaite hatte den weissrussischen Behörden vorgeworfen, sie hielten Migranten dazu an, bei kaltem Wetter barfuss zu versuchen, die EU-Grenze illegal zu überqueren. Damit solle Druck auf den litauischen Grenzschutz ausgeübt werden. Litauen aber werde Flüchtlinge weiterhin zurückweisen. «Die Tatsache, dass Menschen barfuss an der Grenze ankommen, wird kein Grund sein, sie hereinzulassen.» Die Leute erhielten aber ein Versorgungspaket.

Rita Skriadaite erzählt von zwei jungen Männern um die zwanzig, die es aus Sri Lanka über diesen Weg doch nach Litauen geschafft haben. Sie hätten den Helfern berichtet, mehrmals an der Grenze zurückgestossen worden zu sein. Ihre Schuhe hätten sie in den Wäldern im Morast verloren, neue erhielten sie trotz Bitten nicht. Ihre Füsse seien erfroren. In einem litauischen Spital sei einem der Männer ein Fuss, dem anderen seien beide Füsse amputiert worden.

Georgina Brown hat bereits drei solcher Fälle gezählt. Die Engländerin ist ausgebildete Hebamme und leitet seit Jahren Einsätze bei Ärzte ohne Grenzen, seit November 2021 ist sie in Litauen. Fünfzehn Leute gehörten ursprünglich zu ihrer Gruppe, jetzt sind sie noch zu acht. Litauens Grenze zu Weissrussland ist 680 Kilometer lang. Davon, dass jemand von den litauischen Grenzschützern Schuhe oder Lebensmittel erhalte, weiss Brown nichts. «Selbst wenn, nützt es nichts. Die Menschen irren weiter in der Kälte umher», erzählt sie am Telefon. Es ist ein makabres Spiel. Die weissrussischen Grenzer drängten die Menschen wiederum auf EU-Gebiet. Tage, manchmal Wochen, sagt Brown, seien die Menschen auf diese Weise wie gefangen im Grenzgebiet.

Ärzte ohne Grenzen war lange Zeit die einzige internationale Hilfsorganisation, die überhaupt an dem Abschnitt der EU-Aussengrenze unterwegs war. Erst seit kurzem ist die italienische Inter SOS in Polen tätig. Viele Anwohner und freiwillige Helfer fühlen sich im Grenzgebiet völlig alleingelassen. Die polnische Seite etwa beklagt immer wieder fehlende Unterstützung etwa durch das Rote Kreuz oder die Caritas. Somit bleibt auch das Sammeln von Kleider- oder Geldspenden Freiwilligen überlassen. Viele kamen eher zufällig dazu, den Menschen im Wald zu helfen. Einfach, weil sie im Grenzgebiet leben und dort bei vorher harmlosen Spaziergängen oder Wanderungen auf einmal auf Menschen in Not trafen – denen vom Staat keine Hilfe gewährt wird.

Abschiebung eines Syrers unrechtmässig

Dabei ist die rechtliche Situation eigentlich klar: Der Grenzübertritt ohne die entsprechenden Papiere ist illegal. Ein Pushback ohne Möglichkeit, um Asyl zu bitten, aber auch. Polnische Gerichte haben in Einzelfällen Pushbacks verurteilt, so urteilte Anfang Dezember ein Warschauer Gericht, die Abschiebung eines Syrers im November 2021 sei unrechtmässig gewesen. Die Personalien des Mannes seien nicht aufgenommen worden, er habe keine Begründung für die Rückschiebung erhalten. Ein ähnliches Urteil erging im September im Fall einer Familie aus dem Irak. Auch der polnische Ombudsmann für Bürgerrechte hat die Praxis der illegalen Pushbacks verurteilt.

Die polnische Organisation Helsinki-Stiftung für Menschenrechte wendet sich nun bewusst an die Mitarbeiter des polnischen Grenzschutzes. In einem juristischen Leitfaden hat sie zusammengestellt, womit sich Grenzbeamte strafbar machen können. Etwa, indem sie humanitäre Hilfe verweigern. Nach ersten Urteilen hatten zudem Grenzschützer in einem offenen Brief in der Tageszeitung «Gazeta Wyborcza» erklärt, sie würden nur Befehle von Vorgesetzten ausführen. Wenn sie diese nicht befolgten, drohten berufliche Konsequenzen. Bei einer Straftat nützt der Verweis auf einen Befehl von oben aber nichts, erklären die Anwälte der Helsinki-Stiftung und bieten den Grenzschützern Rechtsbeistand gegen Vorgesetzte an.

Doch die Menschen zu erreichen, die in den Wäldern frieren, krank werden, verloren gehen, wird für die Helfer auf allen Seiten immer schwerer. Ärzte ohne Grenzen hatte anfangs noch in kleineren Erstaufnahmezentren direkt an den Grenzen, dann in grösseren Auffanglagern medizinische und psychologische Hilfe leisten können.

Auf polnischer Seite berichten Menschen, die Decken, Schlafsäcke, Lebensmittel in den Wald bringen, dass sie sich selbst in Gefahr bringen, weil sie als Schlepper verdächtigt und verhaftet werden könnten. Grupa Granica und die Sienos Grupe befürchten weitere Vermisste und Tote in diesem Winter in den Wäldern zwischen Weissrussland und der EU. Die Freiwilligen schaffen es nicht allein, sie werben weiter um internationale Aufmerksamkeit und Hilfe.
(https://www.derbund.ch/wer-es-ueber-die-eu-grenze-schafft-wird-zurueckgejagt-926661616978)



Traumatisierte Geflohene, die über Bulgarien kamen, auch in Spielfeld
Von internationalem Recherchenetzwerk dokumentierte „Geheimgefängnisse“ sorgen bei Flüchtenden für Angst und Schrecken
https://www.derstandard.at/story/2000141701005/traumatisierte-geflohene-die-ueber-bulgarien-kamen-auch-in-spielfeld?ref=rss


+++MITTELMEER
EU will illegale Migration über Mittelmeer eindämmen
Um illegale Migration einzuschränken, will die EU mehr mit afrikanischen Ländern zusammenarbeiten. Ziel ist es, Grenzkontrollen zu verstärken und Schleuser zu bekämpfen.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-12/europa-illegale-migration-kooperation-afrika


+++GASSE
Betteln in Basel – Bettlerinnen und Bettler übernachten im Ausland
Eine neue Studie deutet an, dass kaum mehr ganze Roma-Gruppen zum Betteln nach Basel kommen, sondern einzelne Menschen aus verschiedenen Ländern Osteuropas. Nachts verlassen sie die Schweiz und schlafen in Frankreich oder Deutschland.
https://www.srf.ch/news/schweiz/betteln-in-basel-bettlerinnen-und-bettler-uebernachten-im-ausland


+++SEXWORK
solothurnerzeitung.ch 12.12.2022

Offiziell gibt es im Kanton Solothurn weniger Prostituierte – doch stimmt das wirklich?

Die Zahlen sinken, aber es ist anzunehmen, dass mehr illegale Sexarbeit stattfindet. Dafür gibt es mehrere Gründe und viele Nachteile für die Betroffenen.

Christina Varveris

Auch wenn das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit keine genauen Zahlen liefern kann: «Die Meldungen von selbstständigen Personen, die Sexarbeit anbieten, hat seit 2019 deutlich abgenommen», sagt Daniel Morel, Leiter Arbeitsbedingungen.

Auch die Fachstelle Lysistrada, die Sexarbeitende unterstützt, hat weniger Kontakte. Gibt es also weniger Sexarbeitende als vorher? «Definitiv nicht», sagt Melanie Muñoz von der Fachstelle. «Aber die Mobilität hat zugenommen», sagt sie. Sexarbeit sei an sich bereits ein hochmobiles Gewerbe. Und Corona habe das nochmals verschärft. «Es kann sein, dass wir heute eine Frau sehen, die aber morgen schon wieder weg ist.»
Abwanderung in Nachbarkantone

Dass die Zahlen der gemeldeten Sexarbeitenden sinken, hat also einerseits mit den Corona-Lockdowns zu tun. Solothurn war – mit wenigen anderen Kantonen – strenger als der Rest der Schweiz und hat die Sexarbeit lange verboten. Melanie Muñoz: «Das Sexgewerbe hat sehr unter den Lockdowns gelitten.»

Für die Sexarbeitenden im Meldeverfahren war kein Sozialstaat da, um sie aufzufangen. «Sie mussten arbeiten, um zu überleben.» Also sind sie in andere Kantone gegangen. Zum Beispiel in den Kanton Bern. «Ja, wir haben eine Zunahme an Sexarbeitenden während Corona festgestellt», bestätigt Christa Ammann von Xenia, der Fachstelle Sexarbeit in Bern.
Vermehrt wird im Internet geworben

Während Corona hat sich das Sexbusiness auch vermehrt ins Internet verlagert. Sexarbeitende machen nun online Werbung für ihre Dienste. Dort schaffen sie erste Kontakte und bedienen die Kunden dann in Privatwohnungen, Hotelzimmern oder Airbnbs. «Die offiziellen Etablissements, wo Sex angeboten wird, sind nicht mehr ausgelastet», weiss Melanie Muñoz. Und so hätten bereits einige Bordelle und Bars ihre Türen geschlossen.

Nicht so der grösste Sauna-Club der Schweiz, das «Freubad» in Recherswil. Es steht zwar seit diesem Sommer zum Verkauf, aber nicht, weil das Geschäft nicht läuft. «Wir haben konstant 30 bis 50 Frauen, die arbeiten», sagt Thomy Baur, der für die Bewilligungen zuständig ist.

Aber er weiss vom Problem, dass es Frauen gibt, die ihre Dienste in Privatwohnungen anbieten. «Auf eigene Faust zu arbeiten, ist aufwendiger, und die Frauen sind nicht geschützt», sagt er. Nebst dem, dass der Betrieb die ganze Administration mit Quellensteuer, AHV und Versicherung für sie erledigt, habe es im «Freubad» Sicherheitspersonal. «Bei uns ist noch nie etwas passiert», sagt Baur.

Die Verlagerung vom Sexgewerbe ins Internet ist für die Polizei ein Problem. Denn: «Die genaue Adresse wird in den Inseraten nicht bekanntgegeben», sagt Bruno Gribi, Mediensprecher der Kantonspolizei Solothurn. «Vielmehr wird diese erst nach der Terminvereinbarung mit der Kundschaft genannt.» Dieser Umstand erschwere die polizeilichen Kontrollen und die Entdeckung möglicher Fälle von Menschenhandel oder Förderung der Prostitution.
Gesetz ist kompliziert und unnötig

Aber nicht nur Corona ist schuld daran, dass Sexarbeitende vermehrt ohne Bewilligung arbeiten. «Ein Grund könnte auch sein, dass mit der Einführung des Personenfreizügigkeitsabkommens Personen, die aus Drittstaaten stammen und die Sexarbeit ausüben wollen, weder im Meldeverfahren zugelassen sind noch eine Aufenthaltsbewilligung erhalten», so Daniel Morel vom Amt für Wirtschaft und Arbeit.

Für Melanie Muñoz ist klar auch das neue Wirtschafts- und Arbeitsgesetz schuld: «Seit der Kanton Solothurn 2016 das Prostitutionsgesetz in Kraft setzte, haben wir eine kontinuierliche Abnahme von Kontakten», sagt sie. Ihre Erklärung: «Wenn die administrativen Hürden zu hoch sind, um legal zu arbeiten, dann wählen die Sexarbeitenden den einfacheren Weg.»

Das Gesetz habe zwar hehre Absichten, aber es sei eine Rechtsunsicherheit entstanden, so Muñoz. Zum Beispiel sei nun nicht mehr klar, ob jemand selbstständig oder unselbstständig arbeitet. Sogar für sie sei es schwierig, sich im Paragrafenwirrwarr zurechtzufinden. Klar war, dass während Corona niemand zuständig sein wollte und daher gerade Migrantinnen im Meldeverfahren in die Illegalität getrieben wurden.

Und mit diesem Status sind sie verletzlich. Sie laufen in Gefahr, von Kunden oder vom Chef missbraucht, verletzt und ausgebeutet zu werden. «Sie sind unsicher und zeigen ihre Widersacher nicht an», sagt Muñoz. Und: Sie haben kein Vertrauen in die Polizei, da sie das Gefühl hätten, sie würden sowieso nicht ernst genommen.
Hehre Absichten werden zu Hindernissen

Früher war Sexarbeit legal, weil sie nicht explizit verboten war. Jetzt wolle man alles regulieren, so Muñoz. Zum Beispiel müssen ausländische Sexarbeitende jetzt beweisen, dass sie in ihrem Heimatland auch schon dieser Arbeit nachgegangen seien. Um sicherzugehen, dass sie das freiwillig machten. Das sei am Ziel vorbeigeschossen. «Wie soll eine Frau das beweisen?», fragt Muñoz. «Vielleicht kommt sie sogar aus einem Land, in dem Sexarbeit verboten ist.»

Zudem müssten die Betreiber von Etablissements nun die Sexarbeitenden registrieren – ein weiteres Problem, vor allem für jene, die ihren Lebensmittelpunkt in der Schweiz und vielleicht Kinder in der Schule haben. «Die haben Angst, dass es plötzlich der Lehrer erfährt», sagt Muñoz.

Auch die Kondompflicht sei überflüssig. Das Recht auf ein Kondom habe jede Frau. «Es gibt ein Strafrecht, ein Mietrecht und andere Gesetze, die das alles bereits regeln», sagt Muñoz. Spezielle Gesetze für Sexarbeitende seien stigmatisierend. «Wieso müssen Sexarbeitende so wahnsinnig fest beweisen, dass sie das freiwillig machen?»

Im Kanton Bern müssten sie sogar persönlich vorsprechen. Da platzte einer Sexarbeiterin einmal der Kragen, erzählt Muñoz eine Episode. Nachdem sie zum x-ten Mal gefragt wurde, ob kein Zuhälter hinter ihr stehe, habe sie gesagt: «Doch, ich habe zwei Zuhälter. Meine Söhne. Sie sind beide noch minderjährig und für sie muss ich Geld verdienen, um ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen.»
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/sexarbeit-offiziell-gibt-es-im-kanton-solothurn-weniger-prostituierte-doch-stimmt-das-wirklich-ld.2386218)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Interpellation Fraktion GB/JA! (Jelena Filipovic, GB / Lea Bill, GB / Mahir Sancar, JA! / Anna Jegher, JA!): Wie kommt es zur willkürlichen Bewilligungspraxis der Berner Orts- und Gewerbepolizei?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=7e62bac880364dd2a48ba477cda749e1


Trotz bedingter Geldstrafe: Klimaaktivisten protestieren weiter und kommen ungeschoren davon
Wer eine Straftat begeht und dafür ein bedingtes Urteil kassiert, der wird im Wiederholungsfall bestraft. Das gilt offenbar nicht für Klimaaktivisten, wie ein neues Urteil zeigt. Eine Aktivistin, die in Rümlang ein Tanklager blockierte und auch bei anderen Protestaktionen involviert hat, kommt ungeschoren davon.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/trotz-bedingter-geldstrafe-klimaaktivisten-protestieren-weiter-und-kommen-ungeschoren-davon-149194790


Protestbesuch der schwedischen Botschaft in Bern
Protestaktion gegen die Auslieferung von Mahmut Tat bei der Schwedischen Botschaft in Bern.
https://barrikade.info/article/5515


Buttersäure gegen Laden von türkischem Faschist
Murat Sahin ist eine zentrale Figur des türkischen AKP-MHP-Faschismus in der Schweiz. Er verkehrt mit den Spitzen der AKP (siehe Bilder: Sahin mit Aussenminister Cavusoglu 2017 in Genf und mit Erdogan 2022 in Ankara) und organisiert über Strukturen wie die von ihm geleitete UID ihre Unterstützung. Sein Firmennetzwerk ist gross und es wurde oft angegriffen. In Solidarität mit Kurdistan haben auch wir nun den netto Markt in Schlieren, bzw die Falken Forum GmbH (eine seiner Firmen) mit Buttersäure angegriffen. Es ist eine antifaschistisch verordnete Ladenschliessung.
https://barrikade.info/article/5520


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
derbund.ch 12.12.2022

Häusliche Gewalt: Kanton nimmt Täter mit Migrationshintergrund ins Visier

Es geht vor allem um Täter aus dem Ausland und um die Kürzung oder Streichung der Sozialhilfe: Die Neuausrichtung der Opferhilfe sorgt für Kritik.

Bernhard Ott

Die Kriminalstatistik sei eindeutig, sagte Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (SVP) Ende November in einem Interview mit dieser Zeitung: «Nehmen Sie die Opferhilfestatistik. Von wo kommen die Täter, von wo kommen die Opfer? Das sind Fakten», sagte der Vorsteher der bernischen Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion.

Schneggs Aussage bezog sich auf die damalige Weigerung des Kantons, junge Asylsuchende im Containerdorf auf dem Viererfeld unterzubringen, das ursprünglich für ukrainische Familien vorgesehen war. «Mischt man diese Gruppen, führt dies zu Spannungen», sagte er.

Die Aussage passt aber auch auf die jüngst verabschiedete Opferhilfestrategie des Kantons. Denn diese nimmt im Kapitel «Prävention» insbesondere männliche Täter mit Migrationshintergrund ins Visier: «Wer im Kontext Asyl und Flüchtlinge sowie allgemein im Migrationsbereich häusliche Gewalt ausübt, wird systematisch sanktioniert», hält der von Schneggs Direktion herausgegebene Bericht des Regierungsrats fest. Dies könne beispielsweise durch eine Kürzung oder Einstellung der Sozialhilfe geschehen.

Umstrittener Täter-Fokus

Täterarbeit und Prävention sind eigentlich Aufgaben der Sicherheitsdirektion. Warum beschäftigt sich nun auch Schneggs Direktion damit? Sprecher Gundekar Giebel begründet dies damit, dass der Grosse Rat eine «ganzheitliche Opferhilfestrategie» verlangt habe. Es handle sich daher um eine «gemeinsame Strategie aller betroffenen Direktionen», bei welcher die Gesundheitsdirektion lediglich die Federführung innehabe.

Zudem gehöre es zu einem ganzheitlichen Ansatz, sowohl Opfer als auch Täter ins Blickfeld zu nehmen. In der Opferhilfe habe der Fokus in der Vergangenheit stark auf den Opfern und der Prävention gelegen. «Die Analyse der aktuellen Situation zeigte auf, dass ein Ausgleich in Richtung Täter und Intervention nötig ist», hält Giebel fest.

Die Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern betreibt zwei der drei Frauenhäuser im Kanton Bern sowie zwei Opferhilfe-Beratungsstellen. Dort kann man die Argumentation von Schneggs Direktion nicht nachvollziehen. «Selbstverständlich ist es wichtig, sowohl mit Opfern als auch mit Täterinnen und Tätern zu arbeiten», sagt Geschäftsführerin Marlies Haller. Die Arbeit mit Gewaltausübenden dürfe aber nicht über das Opferhilfebudget finanziert werden.

Zudem handle es sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, da häusliche Gewalt in allen sozialen Schichten stattfinde. Im Migrationskontext sei sie bloss besser sichtbar, weil die Ressourcen knapp und die sozialen Auffangnetze weniger eng gestrickt seien. «In der Villa in Muri merkt die Nachbarschaft nicht, wenn nebenan häusliche Gewalt Alltag ist. In der Wohnung in Bümpliz schon.»

So gesehen, müssten zusätzlich die diskriminierenden Faktoren beseitigt werden, die häusliche Gewalt in Familien mit Migrationshintergrund beförderten. So seien Personen aus diesen Familien öfters arbeitslos, weniger gebildet und schlechter entlöhnt als Angehörige von Familien, die seit jeher in der Schweiz lebten. «Man kann nicht per se Kriminalstatistiken nehmen, wenn es um Opferhilfe geht», sagt Haller. Mit diesen werde zudem auch die Dunkelziffer nicht erfasst, da viele Vorfälle gar nicht zur Anzeige gebracht würden.

Asylsuchende im Visier

Bei der Gesundheitsdirektion geht man nicht nur von Kriminalstatistiken aus, sondern beruft sich auch auf Studien des Eidgenössischen Gleichstellungsbüros. Dies sei ein «evidenzbasiertes Vorgehen», schreibt Giebel. So komme das Gleichstellungsbüro zum Schluss, dass ein Migrationshintergrund «nicht nur ein wesentliches Täterrisiko, sondern auch das zentrale Opfermerkmal ist». Das sei aber keine Frage der Nationalität, sondern der «spezifischen Charakteristika» junger Männer, «die im Heimatland bereits Gewalterfahrungen hatten», sagt Giebel.

Laut Bundesamt für Statistik wurden letztes Jahr über 10’000 Personen der häuslichen Gewalt beschuldigt. Rund die Hälfte davon sind Ausländer und Ausländerinnen mit Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung. Aus dem Asylbereich stammen 240 Personen. Warum Letztere in der Opferhilfestrategie trotzdem vergleichsweise viel Platz einnehmen, kann Giebel nicht sagen. So verlangt die Strategie etwa, dass Gewalt in den Asylunterkünften gegenüber der Öffentlichkeit durch «anonymisierte Statusberichte» sichtbar gemacht werden müsse. Zudem ist geplant, Täter und Täterinnen zum Schutz anderer Personen aus den Asyl- und Kollektivunterkünften wegzuweisen.

«Wir beziehen uns auf die Migrationsbevölkerung und nicht nur auf den Asylbereich», hält Giebel fest. Aber wenn es in einer Asylunterkunft zum Beispiel drei Fälle von häuslicher Gewalt gebe, «dann kann man nicht behaupten, das Problem existiere nicht». Wenn man über häusliche Gewalt schweige, würden die Opfer «doppelt zum Opfer gemacht», sagt Giebel.

Gewaltentrennung verletzt?

Die Fokussierung der Opferhilfestrategie auf Personen mit Migrationshintergrund stösst auch bei den Gemeinden auf Kritik – etwa in Ostermundigen, einer Gemeinde mit vergleichsweise hohem Ausländeranteil. «Es ist schwierig, Gewaltausübende mit Migrationshintergrund über die Sozialhilfe zu bestrafen», sagt Melanie Gasser (GLP), Gemeinderätin und Leiterin der Abteilung Soziales. Das verletze die Gewaltentrennung, denn für Bestrafungen sei die Justiz zuständig. «Wenn zusätzlich im Verwaltungsverfahren Strafen ausgesprochen werden, kann dies zu einer Doppelbestrafung führen», sagt Gasser.

Zudem seien im Asylbereich bereits heute Sanktionen wie etwa eine Kürzung der Sozialhilfe oder die Wegweisung gewaltausübender Personen aus den Unterkünften in ein Bundesasylzentrum für renitente Asylsuchende möglich. Einzig die vollständige Streichung der Asylsozialhilfe verstosse mutmasslich gegen Bundesrecht, sagt Gasser.

Natürlich sei Migration auch ein Thema bei häuslicher Gewalt. «Das kann man nicht ausblenden.» Aber in der Opferhilfestrategie des Regierungsrats nehme sie «extrem viel Raum ein». Dadurch sei die Gefahr gross, dass Unterstützungsgelder nicht mehr zu den Opfern fliessten, sagt Gasser.

Der Grosse Rat wird sich im Frühling nächsten Jahres mit der Opferhilfestrategie befassen. Er kann sie allerdings nurmehr zur Kenntnis nehmen – entweder zustimmend oder ablehnend. Allerdings könnte die vorberatende Gesundheits- und Sozialkommission das Papier zurückweisen.



Frauenhäuser platzen aus allen Nähten

Der Grosse Rat hat eine «ganzheitliche Opferhilfestrategie» gewünscht. Darin sollte der Regierungsrat aufzeigen, wie die Betreiberinnen von Frauenhäusern und Beratungsstellen der Opferhilfe künftig entschädigt werden. Von einer Änderung bei der Finanzierung wollte der Regierungsrat aber nichts wissen. Er legte stattdessen eine Strategie unter der Prämisse der Kostenneutralität vor. Dabei sollen zusätzliche Mittel zur Deckung neuer Ausgaben durch eine Optimierung der Opferhilfe-Strukturen erreicht werden.

«Wir begrüssen die Verschlankung der Strukturen», sagt Marlies Haller, Geschäftsführerin der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern. Aber damit würden nicht genug Ressourcen frei, um die rapide steigende Nachfrage in der Beratung aufzufangen. Zudem platzten die Frauenhäuser im Kanton aus allen Nähten, sodass Frauen und Kinder zum Teil in Hotels untergebracht werden müssen. Verschärft wird die Situation durch den Verzicht auf die Einrichtung eines Mädchenhauses, das ebenfalls vom Grossen Rat verlangt wurde. Stattdessen sieht die Opferhilfestrategie die Schaffung von vier Plätzen für Mädchen in den bestehenden Frauenhäusern vor. (bob)
(https://www.derbund.ch/kanton-nimmt-taeter-mit-migrationshintergrund-ins-visier-999924819505)


+++BIG BROTHER
Resultat der Administrativuntersuchung im NDB liegt vor
Im Zusammenhang mit Informationsbeschaffungen des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) im Bereich Cyber, für die keine Genehmigungen vorlagen, hat das VBS Anfang 2022 eine unabhängige Administrativuntersuchung in Auftrag gegeben. Die Untersuchung des ehemaligen Bundesrichters Niklaus Oberholzer zeigt, dass der NDB nicht schuldhaft gegen Bestimmungen des Nachrichtendienstgesetzes (NDG) verstossen hat, sondern die Rechtslage verkannt und die fernmelderechtliche Dimension der Datenbeschaffung und -bearbeitung nicht erkannt hatte. Der Bericht enthält verschiedene Empfehlungen im Hinblick auf das weitere Vorgehen. Die Chefin VBS hat den NDB angewiesen, diese Empfehlungen zu prüfen und umzusetzen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-92154.html
-> https://www.derbund.ch/cyber-truppe-des-nbd-ging-unrechtmaessig-gegen-hacker-vor-467745961167
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/nachrichtendienst-hat-illegal-spioniert?partId=12300793
-> https://www.baerntoday.ch/schweiz/schweizer-geheimdienst-hat-rechtslage-missverstanden-149188583
-> https://www.blick.ch/politik/trotz-illegaler-schnueffeleien-nachrichtendienst-des-bundes-kommt-ungeschoren-davon-id18137408.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/schweizer-nachrichtendienst-spionageabwehr-im-netz-was-illegal-war-soll-legal-werden
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/ndb-hat-bei-informationsbeschaffung-rechtslage-verkannt-66365536
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/untersuchungsbericht-ndb-hat-sich-illegaler-methoden-bedient?urn=urn:srf:video:52845fc2-e453-41e0-b96f-74b1abf019c9
-> https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/geheimdienst-jahrelange-ohne-bewilligung-daten-beschafft-bericht-sieht-fuehrungsmaengel-beim-nachrichtendienst-ld.2385955



nzz.ch 12.12.2022

Keine Lizenz für die Jagd auf Cyberspione: Der Nachrichtendienst hat jahrelang unrechtmässig gearbeitet

Ein Untersuchungsbericht zeigt, wie der Nachrichtendienst jahrelang ohne Bewilligungen technische Daten bearbeitet hat. Die Führung hat versagt. Jetzt wird der ganze Geheimdienst reorganisiert.

Lukas Mäder

Wenn Sicherheitsleute im Internet Jagd auf Cyberspione machen, müssen sie Informationen austauschen. Auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hat jahrelang solche technischen Daten ausgewertet, um ausländische Spionage zu entdecken und abzuwehren. Dazu hätte der NDB eigentlich jedes Mal eine spezielle Bewilligung einholen müssen, was er aber nicht getan hat.

Der NDB hat damit gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstossen. Zu diesem Schluss kommt der frühere Bundesrichter Niklaus Oberholzer, der am Montag die Ergebnisse seiner Untersuchung präsentiert hat. Das Ressort Cyber des NDB habe während Jahren «unrechtmässig Daten beschafft und bearbeitet», heisst es in der Zusammenfassung. Den rund neunzigseitigen Untersuchungsbericht selbst hat das Verteidigungsdepartement als geheim klassifiziert und nicht publiziert.

Oberholzer relativiert die Verfehlungen des NDB gleichzeitig. Es habe sich bei den Informationen nicht um besonders schützenswerte Personendaten, sondern um Randdaten des Fernmeldeverkehrs gehandelt. Die Daten seien zudem rein technisch analysiert worden. Es sei nicht um die Überwachung einzelner Personen gegangen.

Das entspricht durchaus der Logik von technischen Indikatoren, welche weltweit zwischen IT-Sicherheitsfirmen, Nachrichtendiensten oder Internetprovidern ausgetauscht werden. Dabei handelt es sich oft um IP-Adressen oder Domainnamen der Server, welche Spione oder auch Kriminelle für ihre Cyberangriffe verwenden. Diese Server können dann zum Beispiel überwacht werden, um mehr Informationen über das Vorgehen der Täter zu erlangen oder die Opfer zu erkennen.

Beim NDB ging es um Randdaten von Servern in der Schweiz, wie Oberholzer sagt. Dazu gehörten insbesondere die IP-Adressen der beteiligten Rechner, die Datenmengen und der Zeitpunkt der Verbindung. Diese Informationen seien dem NDB auf Anfrage freiwillig übermittelt worden. Von wem genau, wollte Oberholzer nicht ausführen. Aber die Hinweise sind klar: Die Daten dürften von Internetprovidern oder Cloud-Anbietern in der Schweiz stammen. Die grossen Anbieter der Branche haben üblicherweise eine Verbindungsperson beim NDB.

Absetzung des Cyberchefs sorgte für Unmut

Dass der NDB möglicherweise unrechtmässig Daten bearbeitet hat, war im Januar publik geworden. In der Folge gab die Verteidigungsministerin Viola Amherd die externe Administrativuntersuchung bei Oberholzer in Auftrag, welche unter anderem die Verantwortlichkeiten ausleuchten sollte. Im NDB selbst kamen bereits Ende 2020 Zweifel an der Rechtmässigkeit des Vorgehens auf, worauf die bisherige Praxis gestoppt und interne Abklärungen veranlasst wurden.

In der Folge sind bis heute nicht nur die Möglichkeiten des NDB zur Cyberabwehr beschränkt. Im Ressort Cyber kam es gleich zu zwei Wechseln in der Führung, es ist von einer verstärkten Fluktuation unter den Mitarbeitern zu hören, und die Stimmung scheint schlecht zu sein.

Intern hat die Absetzung des langjährigen Chefs des Ressorts Cyber im Frühjahr 2021 für Unmut gesorgt. Er wechselte damals zum Nationalen Zentrum für Cybersicherheit (NCSC), wo er das Schwachstellenmanagement aufbaute. Der Abgang erfolgte dem Vernehmen nach nicht freiwillig. Dass ihn die damalige NDB-Führung wegen der Untersuchung loswerden wollte, als eine Art Bauernopfer, ist wahrscheinlich.

Nachfolger an der Spitze des Ressorts Cyber wurde Ende 2021 der frühere Stellvertreter. Doch der neue Chef ist auch bereits wieder weg. Er wurde dem Vernehmen nach kurz vor Ablauf seiner Probezeit im Frühsommer dieses Jahres freigestellt wegen Unstimmigkeiten mit seiner direkten Vorgesetzten. Der Posten ist derzeit nur ad interim besetzt. Der NDB will sich dazu nicht äussern.

Mitarbeiter haben nicht vorsätzlich gehandelt

In seiner Untersuchung kann Oberholzer, der früher Bundesrichter der SP war, kein strafrechtlich relevantes Verhalten erkennen. Die Mitarbeiter des NDB hätten die Rechtslage verkannt und nicht vorsätzlich gehandelt. Sie seien offenbar davon ausgegangen, dass der NDB berechtigt sei, «von jeder Person Meldungen entgegenzunehmen, solange die Auskunft freiwillig erfolgt». Das Verteidigungsdepartement werde deshalb keine Strafanzeige einreichen, sagt der Kommunikationschef Renato Kalbermatten.

Den langjährigen Chef des Ressorts Cyber als Schuldigen zu bezeichnen, sei ihm zu einfach, sagt Oberholzer. Es seien zwei Kulturen aufeinandergeprallt: auf der einen Seite der bürokratisierte NDB, auf der anderen der innovative, erfolgreiche und bestens vernetzte Ressortleiter, der aus einem technischen Bereich stammte ohne Erfahrung in der Strafverfolgung.

In der Verantwortung sieht Oberholzer vielmehr die oberste Führung des NDB. Dass die Geschäftsleitung «die Unrechtmässigkeit der während Jahren geläufigen Praxis nicht erkannte», sei unverständlich. Die internen Kontroll- und Aufsichtsmassnahmen hätten versagt, hält der Bericht unmissverständlich fest. Konkrete Personen als politisch Verantwortliche zu benennen, sei aber nicht Aufgabe seiner Untersuchung gewesen, sagt Oberholzer.

Ins Auge sticht auch, dass der NDB über seine Arbeit offensichtlich nicht oder nur ungenügend Buch geführt hat. Die Abläufe im Ressort Cyber seien «nicht systematisch erfasst und dokumentiert worden», schreibt Oberholzer, weshalb das genaue Ausmass offenbleiben muss. Diese Lücke kann auch Kritikern Munition liefern, die den NDB pauschal im Verdacht haben, ausserhalb der rechtlichen Vorgaben zu agieren und sich einer wirksamen Kontrolle entziehen zu wollen.

Cyberabwehr des NDB ist derzeit eingeschränkt

Für die Cyberabwehr hat das unrechtmässige Vorgehen schwerwiegende Folgen. Die Aktivitäten des Ressorts Cyber im betroffenen Bereich wurden bereits im Frühjahr 2021 eingestellt. Künftig einfach für jede Bearbeitung eine Bewilligung einzuholen, ist keine praktikable Lösung, wie Oberholzer festhält. Die Bearbeitung solcher technischer Indikatoren muss rasch geschehen, damit die Angreifer wirksam bekämpft werden können. Der Prozess für eine Bewilligung des Bundesverwaltungsgerichts und der Departementschefin dauere aber Tage bis Wochen.

Der Untersuchungsbericht macht deshalb Empfehlungen, welche das Verteidigungsdepartement nun prüfen möchte. Dazu gehören organisatorische und gesetzliche Anpassungen – oder gar ein Herauslösen der betroffenen Analysten aus dem NDB. Dieses forensische Kompetenzzentrum für die Erkennung und Analyse könnte etwa dem Nationalen Zentrum für Cybersicherheit angegliedert werden. Dieses wird in den nächsten Monaten zu einem Bundesamt umgestaltet, das neu im Verteidigungsdepartement angesiedelt wird.

Gleichzeitig hat der NDB-Direktor Christian Dussey von seiner Chefin Amherd einen Auftrag zur Reorganisation des Nachrichtendienstes erhalten. Offenbar soll dabei kein Stein auf dem anderen bleiben und die gesamte Geschäftsleitung neu ausgeschrieben werden, was derzeit intern für einige Unruhe sorgt. Im Frühjahr will der NDB die Resultate der Neustrukturierung kommunizieren.
(https://www.nzz.ch/technologie/keine-bewilligungen-und-versagen-der-fuehrung-wie-der-nachrichtendienst-unrechtmaessig-cyberspione-gejagt-hat-ld.1716585)


+++POLIZEI AR
Ausserrhoder Polizei soll künftig präventiv ermitteln dürfen
Die Ausserrhoder Regierung hat das über 20-jährige Polizeigesetz überarbeitet und jetzt in die Vernehmlassung geschickt. Anpassungen gibt es unter anderem im Bereich der Prävention. So soll die Kantonspolizei künftig bereits ermitteln dürfen, bevor es zu einer Straftat kommt.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/ausserrhoder-polizei-soll-kuenftig-praeventiv-ermitteln-duerfen?id=12300616


+++FRAUEN/QUEER
Nationalrat will Konversionstherapien an LGBTQ-Personen verbieten
Der Nationalrat will minderjährige und junge LGBTQ-Menschen vor so genannten Konversions- oder Heilungsmassnahmen schützen. Methoden, die zur Umpolung der Geschlechtsidentität oder auch zu deren Unterdrückung führen sollen, will er per Gesetz verbieten.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2022/20221212173837639194158159038_bsd134.aspx


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Suizid im Camp Etoile, Protest gegen UNHCR, Schlägerpolizei in München
https://antira.org/2022/12/12/suizid-im-camp-etoile-protest-gegen-unhcr-schlaegerpolizei-in-muenchen/


+++RECHTSEXTREMISMUS
Nick Fuentes, Radikal-Influencer und neuer Star junger Extremisten
Der 24-Jährige ist Frauenhasser, Hitler-Fan, Rassist, lebt im unfreiwilligen Zölibat und möchte mit seiner Troll-Armee die Politik unterwandern
https://www.derstandard.at/story/2000141654750/nick-fuentes-radikal-influencer-und-neuer-star-junger-extremisten


REICHSBÜRGERPUTSCHRAZZIA:
-> https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/vereitelte-reichsbuerger-terrorplaene-die-fleissige-phalanx-der-verharmloser-kolumne-a-4530f1bd-14e9-43c5-9b3c-244cdf874248
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169281.bundesinnenministerin-nancy-faeser-konsequenzen-nach-reichsbuerger-verschwoerung.html
-> https://www.deutschlandfunk.de/hintergrund-gefluechtete-an-der-polnisch-belarussischen-grenze-100.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/reichsbuerger-razzia-forderungen-101.html
-> https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1126881.html
-> https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1126827.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/reichsbuerger-213.html
-> https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1126725.html
-> https://taz.de/Linke-ueber-rechte-Staatsstreichplaene/!5898971/
.-> https://taz.de/Gesetzentwuerfe-gegen-rechten-Terror/!5898972/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169281.bundesinnenministerin-nancy-faeser-konsequenzen-nach-reichsbuerger-verschwoerung.html
-> https://www.rnd.de/politik/reichsbuerger-gruppe-baute-heimatschutzkompanien-auf-IZ7HQAYMS2IU2REU5HNNNABIGI.html


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Weltwoche daily»-Spezial: Parlamentarier-Delegation aus Thüringen fordert nach Bundeshaus-Besuch mehr direkte Demokratie für Deutschland
https://weltwoche.ch/daily/weltwoche-daily-spezial-parlamentarier-delegation-aus-thueringen-fordert-nach-bundeshaus-besuch-mehr-direkte-demokratie-fuer-deutschland/
-> https://twitter.com/bfth_thl
-> https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrger_f%C3%BCr_Th%C3%BCringen


+++ANTI-WOKE-POPULISMUS
Diversity-Team soll aufgelöst werden – nun sprechen die Studierenden
Im Sommer übernahmen Queer-Aktivisten den Instagram-Kanal der ZHAW und sorgten für einen Eklat. Ein Kantonsrat will dem verantwortlichen Diversity-Stab nun das Budget streichen.
https://www.20min.ch/story/diversity-team-soll-aufgeloest-werden-nun-sprechen-die-studierenden-882122169661



nzz.ch 11.12.2022

ZHAW unter Druck: Zürcher Kantonsrat diskutiert Streichung des Diversity-Teams, Hochschule muss Stellung nehmen zu Leitfaden zu Gendersprache

Gerechtfertigt hat sich die Schulleitung inzwischen dafür, dass sie ihren Instagram-Kanal linksradikalen Queer-Aktivisten überlassen hat. Man habe die politische Dimension nicht erkannt.

Zeno Geisseler

Der Instagram-Account der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wird manchmal Dritten überlassen. Diese können die Reichweite des Kanals nutzen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Während des internationalen Hebammentages etwa durften angehende Geburtshelferinnen über ihre Ausbildung berichten.

Im Rahmen des Zürcher Pride-Festivals im letzten Juni überliess die Hochschule ihren Kanal Queer-Aktivistinnen und -Aktivisten. Das sollte sich im Nachhinein als grosser Fehler entpuppen. Denn die Aktivisten nutzten den Kanal nicht etwa, um für mehr Toleranz und Offenheit zu werben. Stattdessen platzierten sie einen Demo-Aufruf einer antikapitalistischen Organisation auf dem Instagram-Account der staatlichen Zürcher Bildungseinrichtung.

Der Post führte zu empörten Reaktionen. Die ZHAW drückte schnell öffentlich ihr Bedauern darüber aus, dass es zu einem Beitrag mit politischem Hintergrund gekommen sei. Auch politisch hatte der Vorfall Folgen. Eine Kantonsrätin und zwei Kantonsräte verlangten Auskunft über die Vorfälle.

    Hey @ZHAW – wisst ihr, dass euer Insta-Account gekapert wurde? Wtf? pic.twitter.com/rEdrmoMLMU
    — Përparim Avdili (@PerparimAvdili) June 19, 2022

Am Donnerstag nun hat die Regierung ihre Antwort zum Vorfall publiziert, welche wiederum auf Angaben der Hochschule basiert. Laut diesen hatten die Aktivisten nicht etwa völlig freie Hand über den Account. Stattdessen prüften gleich mehrere Mitarbeitende den Beitrag vor der Publikation, erkannten aber dessen politische Botschaft nicht. Man habe Massnahmen ergriffen, um solche Vorfälle künftig zu vermeiden.

Diversity-Team der ZHAW kostet eine halbe Million pro Jahr

Richtig ungemütlich werden könnte es für die ZHAW nun bei den Beratungen des kantonalen Budgets 2023. Dies aber nicht nur wegen der antikapitalistischen Aktion, sondern wegen eines Diversity-Teams der Hochschule. Dieses besteht aus fünf Personen und kostet pro Jahr über eine halbe Million Franken.

Die Stabsstelle beschäftigt sich mit Themen wie mit einem «Leitfaden für einen inklusiven Sprachgebrauch». Dieser nimmt «den aktuellen Diskurs zu Gender, Nonbinarität, Diversity und Inklusion auf», wie es in der Einleitung heisst. Selbst sprachlich so harmlos anmutende Ausdrücke wie «altersschwache Infrastruktur» sind laut dem Leitfaden diskriminierend; korrekt heisst es «marode Infrastruktur».

Im Kantonsrat sind dazu Anfragen hängig. So will der Parteilose Hans-Peter Amrein (Küsnacht) wissen, welche Konsequenzen es für die Bewertung einer Arbeit habe, wenn die Sprache nicht gendergerecht verwendet werde. Vor allem aber hat Amrein beim Budget den Antrag gestellt, der Hochschule 750 000 Franken zu streichen.

«Totalitäre Haltung wie in einer Diktatur»

Der Antrag richtet sich gegen die Diversity-Stabsstelle der ZHAW. Diese soll redimensioniert werden, ihre Mitarbeitenden sollen in andere Backoffice-Funktionen versetzt werden, wenn Stellen frei werden.

«Wenn eine Abteilung das Gefühl hat, sie müsse den Duden neu schreiben und einen Sprachleitfaden für gendergerechte Sprache erlassen, dann muss man sie auflösen und die Leute dort einsetzen, wo es der ZHAW etwas bringt», sagt Amrein. Die Diversity-Stelle lege eine totalitäre Haltung an den Tag, wie man sie sonst nur aus Diktaturen kenne.

In den Aufgabenbereich der Diversity-Stelle fallen allerdings auch Aufgaben wie die Integration von behinderten Menschen. Sie sollen einen barrierefreien Zugang zum Studium erhalten. «Dagegen habe ich selbstverständlich überhaupt nichts», sagt Amrein. «Aber dann sollen sie die Zuständigen auch entsprechend benennen.» Sein Kürzungsantrag umfasse überhaupt keine Kürzung der Betreuung und Integration von behinderten Menschen an der ZHAW.

Die Hochschule wollte Amreins Kürzungsantrag auf Anfrage nicht kommentieren. Sollte der Antrag durchkommen – es wäre angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament doch eine Überraschung –, würde das die ZHAW finanziell allerdings nicht in den Grundfesten erschüttern. Ihr Jahresbudget liegt bei über einer halben Milliarde Franken.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zhaw-unter-druck-zuercher-kantonsrat-diskutiert-streichung-des-diversity-teams-hochschule-muss-stellung-nehmen-zu-leitfaden-zu-gendersprache-ld.1716358)


+++HISTORY
Buchbesprechung: Leben und sterben in der NS-Zeit
1943 aus Basel ausgewiesen und 1944 in Auschwitz ermordet. Das Buch von Antonia Schmidlin und Hermann Wichers erzählt die tragische Geschichte von Gaston Dreher.
https://bajour.ch/a/clbf44rvv86281455gis1dpv37a/die-buchbesprechung-ueber-das-schicksal-von-gaston-dreher


Rechte Gewalt und Popkultur: Warum redet niemand mehr vom Deutschen Herbst 1991?
Die Erinnerung an die rechte Gewalt Anfang der 1990er-Jahre verschwimmt oft zu einem Komplex, dabei war der „Deutsche Herbst“ 1991 ein ganz besonders dunkler Moment. Und es lohnt sich, die damalige Gewaltwelle genau zu analysieren.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/rechte-gewalt-und-popkultur-100.html



tagblatt.ch 12.12.2022

«Ich war geschockt über den extrem emotionalen Brief»: Milo Rau reagiert auf Vorwürfe von Museumsdirektor Peter Fux

Peter Fux, Direktor des Historischen und Völkerkundemuseums St.Gallen, kritisierte vergangene Woche Theatermacher Milo Rau für sein Vorhaben, die Mumie Schepenese aus der Stiftsbibliothek zu befreien. Nun kontert Rau die Vorwürfe in einem zweiseitigen Schreiben.

Claudio Weder

Die Debatte kommt nicht zur Ruhe. Nachdem der Katholische Konfessionsteil des Kantons St.Gallen vor fünf Tagen bekanntgegeben hatte, die Rückführung der Mumie Schepenese nach Ägypten zu prüfen, hat sich Peter Fux, Direktor des Historischen und Völkerkundemuseums, zu Wort gemeldet. Er bezeichnet die Aktion von Theatermacher Milo Rau als «billigen Populismus» und «verwerflich».

Daraufhin hat sich Rau am Montagmorgen mit einem zweiseitigen Schreiben an diese Zeitung gewendet. Er sei über den «extrem emotionalen Brief» von Herrn Fux, welcher den spezifischen Fall Schepenese faktisch völlig ignoriere, «geschockt» gewesen.

Schepenese als «Gruseleffekt»

In seinem Schreiben zeigt Rau nochmals auf, warum der Fall Schepenese aus wissenschaftlicher und juristischer Sicht «geklärt» sei. Er nimmt dabei Bezug auf den von 200 Ägyptologinnen und Menschenrechtlern unterzeichneten «Offenen Brief der ägyptischen Forschungs- und Zivilgesellschaft». Die Unterzeichnenden sprechen im Zusammenhang mit der Grabentnahme Schepeneses von einer «illegalen Handlung». Und selbst die Stiftsbibliothek unterstreiche in ihrem Standardwerk «Schepenese», dass es sich um eine «Raubgrabung» handle, so Rau.

Auch über die Ausstellungspraxis sei sich die Fachwelt einig, so Rau weiter. Er zitiert ein Interview mit dem international renommierten Ägyptologen Jan Assmann. Assmann wirft der Stiftsbibliothek «Pietätlosigkeit» in Bezug auf den Umgang mit Schepeneses sterblichen Überresten vor: In der aktuellen Ausstellungsform sei Schepenese nichts anderes als ein «Gruseleffekt» und ein Überbleibsel «europäischer Habgier».

Rau: «Warum dieses Theater?»

Dass der Katholische Konfessionsteil eine Rückführung prüft, sei eine «Notwendigkeit» und eine «grosse Entscheidung», schreibt Rau. Damit reihe sich die Stiftsbibliothek in eine aktuell übliche Restitutionspraxis ein. Rau nennt zwei Beispiele: Der Vatikan hat Mitte Oktober drei peruanische Mumien an ihr Heimatland zurückgegeben. Und die irische Universität von Cork hat angekündigt, eine Mumie inklusive aller Särge an Ägypten zurückzugeben. Rau betont, dass diese Mumie, im Gegensatz zu Schepenese, aus einer offiziellen archäologischen Ausgrabung stamme.

«Warum diskutieren wir den Fall noch immer?», fragt sich Milo Rau. «Die Fakten sind klar – warum dieses Theater?»

Nicht nur Peter Fux hat sich kürzlich in die Debatte eingeschaltet, auch SVP-Kantonsrat Michael Götte. Er hat eine Einfache Anfrage an den Regierungsrat eingereicht. Mit Raus Aktion werde «eine der führenden europäischen Gedächtnisinstitutionen und der bedeutendste kulturelle Tourismusmagnet der Ostschweiz diffamiert», heisst es darin. Gegenüber TVO sagt Götte: «Es nützt nichts, wenn wir die Geschichte bis 1820 zurückverfolgen. Die Mumie ist in St.Gallen sehr gut aufgehoben.»

Es geht nicht nur um eine Mumie

Am Beispiel Götte erklärt Milo Rau, warum wir immer noch über den Fall Schepenese diskutieren. «Schepenese mag zwar 3000 Jahre alt sein, nach 200 Jahren vor Ort gehört sie aber auch ein wenig zu St.Gallen», schreibt Rau. Und weiter: «Wir St.Gallerinnen und St.Galler haben Schepenese liebgewonnen, wie illegal oder amoralisch ihr erzwungener Aufenthalt in der Stiftsbibliothek auch sein mag.»

Laut Milo Rau reicht eine rein wissenschaftliche oder juristische Debatte über Schepenese nicht aus. Es brauche auch eine «Debatte der Gefühle, der Ängste». Es brauche eine öffentliche Debatte, «so tumultuös sie sein mag». Denn es gehe in diesem «Kulturkampf» nicht nur um eine Mumie: «In Wirklichkeit geht es darum, wer wir sind und was uns ausmacht: welche Werte, welche Geschichten, welche Dinge. Und zwar auf beiden Seiten, der ägyptischen wie der schweizerischen.» Deshalb sei es so wichtig, diese Debatte gemeinsam mit allen politischen Parteien, vor allem aber gemeinsam mit Ägypten zu führen.
(https://www.tagblatt.ch/kultur/ostschweiz/mumienstreit-ich-war-geschockt-ueber-den-extrem-emotionalen-brief-milo-rau-reagiert-auf-vorwuerfe-von-museumsdirektor-peter-fux-ld.2386258)