Medienspiegel 10. Dezember 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++DEUTSCHLAND
Jan Böhmermann öffnet einen Adventkalender voller Untaten deutscher Ausländerbehörden
Nächtliche Abschiebung einer Schwangeren aus Krankenhaus, mit Spionagesoftware durchsuchte Mobiltelefone, stählerne Hand- und Fußschellen
https://www.derstandard.at/story/2000141676275/jan-boehmermann-oeffnet-einen-adventkalender-voller-untaten-deutscher-auslaenderbehoerden


+++KROATIEN
Menschenrechtsverletzungen zum Trotz: Deutsche Unterstützung des kroatischen Grenzschutzes
Kroatien verletzt an den EU-Außengrenzen systematisch und auf brutalste Weise internationales Recht. Dennoch erhält Kroatien Millionen an Unterstützung und politische Rückendeckung – gerade von Deutschland. In einer Recherche geht das Border Violence Monitoring Network (BVMN), unterstützt durch PRO ASYL, der Zusammenarbeit nach.
https://www.proasyl.de/news/menschenrechtsverletzungen-zum-trotz-deutsche-unterstuetzung-des-kroatischen-grenzschutzes/


+++MITTELMEER
“Humanity 1”: Deutsches Schiff darf 261 Geflüchtete nach Italien bringen
Seit Ende November ist die “Humanity 1” im Mittelmeer unterwegs und rettet Geflüchtete. Nun darf es einen Hafen ansteuern. Offen ist, ob alle Menschen von Bord dürfen.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2022-12/humanity-1-seenot-rettungsschiff-italien-fluechtlinge


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Demonstrationen gegen die Wahl von Ölbert Rösti in Basel und Zürich
Der Alptraum für die Schweizer Klimapolitik ist wahr geworden: Ölbert Rösti, ein Klimaskeptiker und ein engagierter Erdöllobbyist hat das UVEK übernommen und ist somit direkt für die Umsetzung der Klimaschutz-Massnahmen auf Bundesebene verantwortlich. Um für eine klimagerechte Umwelt- und Energiepolitik und gegen die Wahl von Ölbert Rösti zu protestieren, veranstaltete der Klimastreik heute eine Demonstration in Basel und Zürich.
https://climatestrike.ch/posts/pr-election-oelbert-10-12
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/waldenburg-feiert-seine-neue-bahn?id=12300361
-> https://www.derbund.ch/menschen-demonstrieren-gegen-wahl-von-oelbert-roesti-in-basel-und-zuerich-853659842977
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/weil-roesti-umweltminister-wird-klimastreik-protestiert-gegen-oelbert-id18133320.html


Missstände im Iran
Rund 15 Stunden brauchte ein Kurde, um von Neuenburg nach Bern zu wandern. Mit dieser Aktion will er auf die Missstände im Iran aufmerksam machen. Das Ziel der Wanderung: Die Kundgebung heute Nachmittag in Bern.
https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/missstaende-im-iran-149161106
-> https://www.baerntoday.ch/bern/mann-wandert-15-stunden-von-neuenburg-bis-bern-um-gegen-den-iran-zu-protestieren-149159898
-> Basel: https://twitter.com/i/status/1601639330623418368


200 Menschen zeigen ihre Solidarität mit der Ukraine
Bei klirrender Kälte haben heute 200 Menschen in Zürich am Tag der Menschenrechte ihre Solidarität mit der Ukraine gezeigt.  (ab 01:53)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/200-menschen-zeigen-ihre-solidaritaet-mit-der-ukraine?id=12300376


+++MENSCHENRECHTE
Start der Schweizer Menschenrechtsinstitution – Neuorientierung für humanrights.ch
Zum heutigen Menschenrechtstag sprechen wir über unsere Situation als Menschenrechtsorganisation. Ende 2022 sieht sich humanrights.ch mit der abrupten Reduktion der zur Verfügung stehenden Mittel von rund einem Sechstel des Gesamtbudgets konfrontiert. Gleichzeitig muss sich die Organisation neu positionieren und eine neue Identität aufbauen. Grund dafür ist die Nationale Menschenrechtsinstitution, die im Jahr 2023 gegründet wird.
https://www.humanrights.ch/de/ueber-uns/start-schweizer-menschenrechtsinstitution-neuorientierung-humanrightsch


+++FRAUEN/QUEER
Ausbreitung von Transfeindlichkeit
Ein Gespenst geht um im Westen – das Gespenst der Transgeschlechtlichkeit. Und alle Mächte der Cisnormativität haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, „Radikalfeministinnen“ und Bürgerlich-Konservative, die AfD und Querdenker*innen, rechtsradikale Trolle und Neonazis.
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/ausbreitung-von-transfeindlichkeit


Bundesrat will «Konversionstherapien» (noch) nicht verbieten
Eine Motion im Nationalrat verlangt ein landesweites Verbot von «Konversionstherapien» an LGBTQ-Personen. Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Vorlage.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/bundesrat-will-konversionstherapien-noch-nicht-verbieten-66363144


+++RECHTSEXTREMISMUS
Warum die Medien schon Bescheid wussten
Am Morgen der bundesweiten Razzia gegen Reichsbürger waren viele Medien bereits informiert und hatten ihre Berichte vorbereitet – auch tagesschau.de. Wie kann das sein?
https://www.tagesschau.de/inland/reichsbuerger-razzia-medien-101.html


Österreichische Nazis kleben sich vor Asylzentrum fest
Mehrere «Aktivisten» der Nazi-Gruppierung «Letzte Generation für Remigration» haben sich in Österreich auf einer Asylzentrum-Einfahrt festgeklebt.
https://www.nau.ch/news/europa/osterreichische-nazis-kleben-sich-vor-asylzentrum-fest-66364147


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Irrer Rationalismus
Verschwörungsmythen gehörten immer zur modernen Gesellschaft. Warum aber sind sie momentan allgegenwärtig? Zwei neue Bücher versuchen eine Aufklärung
Verschwörungsdenken boomt – nicht nur bei Reichsbürgern oder Querdenkern. Was macht solche wirren Fantasien so attraktiv? Zwei neue Bücher fragen nach der Rolle des Irrationalismus und der falschen Wahrheiten.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169215.verschwoerungsdenken-irrer-rationalismus.html


+++HISTORY
tagblatt.ch 10.12.2022

Adoption, Zwangsmedikation und Sterilisation: Historikerin untersucht dunkles Kapitel der Nidwaldner Geschichte

Die Historikerin Sonja Matter arbeitet die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen im Kanton Nidwalden auf – und stösst dabei auf viel Leid und Unrecht.

Interview: Simon Mathis

Die Historikerin Sonja Matter von der Universität Bern arbeitet zurzeit ein düsteres Kapitel der Nidwaldner Geschichte auf: die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen, die von Behörden zwischen 1912 und 1981 angeordnet wurden. Gemeinsam mit Historikerin Tanja Rietmann forscht sie dazu in Archiven, spricht aber auch mit betroffenen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Gegen Ende 2024 ist ein Buch zum Thema geplant. Im Interview gewährt Matter Einblick in ihre anspruchsvolle Arbeit.

Wenn Sie von «fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen» sprechen, was meinen Sie damit?

Sonja Matter: Es sind hier unterschiedliche Massnahmen angesprochen, die in der Schweiz im 20. Jahrhundert praktiziert wurden. Dazu gehört, dass Kinder von ihren Familien getrennt, auf Bauernhöfen platziert und als billige Arbeitskräfte ausgebeutet wurden. Ebenso die «administrative Versorgung» von Menschen in Erziehungs-, Arbeits- oder Strafanstalten. Bestimmte Massnahmen zielten vor allem auf Frauen ab. So wurden sie beispielsweise unter Druck gesetzt, einer Sterilisation zuzustimmen oder bei einer unehelichen Schwangerschaft ihr Kind zur Adoption freizugeben. Schliesslich waren Menschen auch Zwangsmedikationen ausgesetzt. Gemeinsam ist all diesen Massnahmen, dass Betroffene vielfach schwer unter diesen Eingriffen gelitten haben.

Wer ordnete diese Massnahmen an?

Es waren in Nidwalden, ähnlich wie in anderen Kantonen, unterschiedliche Akteure involviert. Die Armen- und Vormundschaftsbehörden der Gemeinden konnten Massnahmen wie Fremdplatzierungen anordnen. Aber auch der Regierungsrat verfügte über entsprechende Befugnisse und liess Menschen beispielsweise «administrativ versorgen». Die staatlichen Behörden arbeiteten in der Umsetzung fürsorgerischer Zwangsmassnahmen aber auch mit privaten Organisationen oder der Katholischen Kirche zusammen. Die Massnahmen waren also durch ein breites gesellschaftliches Netzwerk getragen. Betroffene hatten dabei nur beschränkt Möglichkeiten, sich gegen die Entscheide zu wehren.

Die Nidwaldner Armengemeinden führten eigene Armenhäuser. Wer war dort untergebracht?

Betroffen waren unterschiedliche Personen: Alte, Kranke, Kinder, Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen oder psychischen Krankheiten. Bis weit ins 20. Jahrhundert führten sie vielfach ein hartes Leben in diesen Armenhäusern.

Können Sie dieses harte Leben näher beschreiben?

Detailliert kann ich noch nicht Auskunft geben, wir stecken noch mitten in der Forschung. Aber klar ist: Das Zusammenleben von Menschen mit solch unterschiedlichen Eigenschaften unter einem Dach war schwierig. Auch war lange zu wenig Personal beschäftigt, das die Menschen in diesen Institutionen hätte versorgen können. Schliesslich zeigen unsere ersten Forschungsergebnisse, dass Kinder in den Armen- und Waisenhäusern unterschiedlichen Formen von Gewalt ausgesetzt waren.

Wurden Männer häufiger in Arbeits- und Strafanstalten «administrativ versorgt» als Frauen?

Ja, Forschungen zu anderen Kantonen bestätigen diese These. Für den Kanton Nidwalden arbeiten wir diese Frage gerade auf. Sicher ist, dass bei den Begründungen für die Massnahmen andere Massstäbe galten. Bei Männern hat man eher bemängelt, dass sie zu wenig arbeiteten und zu viel Alkohol tranken. Frauen hingegen wurden «administrativ versorgt», weil man sie verdächtigte, den sexuellen Normen nicht zu entsprechen.

Wieso griffen die Behörden überhaupt auf derart fragwürdige Methoden zurück?

Die betroffenen Menschen verstiessen in den Augen der Behörden gegen die herrschende Ordnung oder passten nicht ins Bild der Gesellschaft. Sie sollten mit der Massnahme der Einsperrung und dem Arbeitszwang an ein normkonformes Leben gewöhnt werden. Die Behörden nahmen dabei in Kauf, dass elementare Grundrechte verletzt wurden. Denn Menschen wurden weggesperrt, ohne dass sie durch ein Strafgericht verurteilt worden wären.

Sie sprechen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen wurden. Wie gehen Sie dabei vor?

Die Betroffenen melden sich bei uns, um ihre Geschichte zu erzählen. Ich überlasse es ihnen, wie detailliert sie berichten wollen. Niemand wird dazu gedrängt, etwas preiszugeben. Und natürlich garantieren wir allen Betroffenen, dass sie absolut anonym bleiben, wenn sie das wollen. Manchmal hilft es, dass wir uns mehrfach treffen. Solche Geschichten brauchen Zeit.

Was wollen Sie mit diesen Gesprächen herausfinden?

Wir versuchen, die Erfahrungen der Betroffenen zu einem Narrativ zu bündeln und historisch einzubetten. Es geht weniger um Einzelschicksale, sondern um sich deckende Erlebnisse, die ein gemeinsames Bild ergeben. Das ist deshalb wichtig, weil die Sicht der Betroffenen in den Archiven extrem unterrepräsentiert ist. Abgesehen von einzelnen Briefen gibt es nur wenige schriftliche Quellen von ihnen. Die vorliegenden Protokolle und Akten geben vor allem die Sicht der Behörden wieder. Deshalb soll die Stimme der Betroffenen im Buch ein angemessenes Gewicht erhalten. Wir wollen ihre Erfahrungen ausleuchten – und zeigen, wo sie in ihren Grundrechten verletzt wurden.

Geht es im Buch darum, Schuldige ausfindig zu machen?

Unsere Aufgabe als Historikerinnen ist es, die Geschichte der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in ihrer ganzen Breite aufzuarbeiten. An diesem System waren sehr viele Personen, Institutionen und Organisationen beteiligt. Aber natürlich gilt es insbesondere zu fragen, wo der Staat seine Bürgerinnen und Bürger zu wenig geschützt, sie vielleicht sogar verletzt hat. Auch die Frage, wie so etwas in einer demokratischen Gesellschaft geschehen konnte, werfen wir auf. Unser Auftrag ist es, zu diesen Fragen wissenschaftlich fundierte Kenntnisse zu liefern.

Gab es damals überhaupt andere Möglichkeiten, mit Armen umzugehen?

Natürlich muss man die Massnahmen im historischen Kontext betrachten. Klar ist, dass ein grosser Teil der Nidwaldner Bevölkerung über lange Zeit sehr arm war. Doch in einer demokratischen Gesellschaft müssen Eingriffe in Grundrechte verhältnismässig sein. Dies gilt auch für Menschen am untersten Ende der sozialen Hierarchie. Und die teils massive Gewalt, die Betroffene in Heimen oder Pflegefamilien erlebten, kann nur als Unrecht bezeichnet werden. Wir fragen auch danach, wie sich Wandlungsprozesse durchsetzten. Die Stärkung der Menschenrechte und die Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention 1974 spielten eine wichtige Rolle.

Fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen gab es überall in der Schweiz. Wie unterscheidet sich Nidwalden von anderen Kantonen?

Diese Frage untersuchen wir gegenwärtig. Speziell ist sicher die zentrale Rolle der Armenhäuser, denn alle sechs Nidwaldner Armengemeinden hatten ein eigenes Armenhaus, teilweise existierten auch separate Waisenhäuser. Zudem bestand eine enge Zusammenarbeit zwischen den Armenverwaltungen und der Katholischen Kirche. Auffällig ist zudem, dass das Sozialwesen in Nidwalden später professionalisiert wurde als anderswo.

Was ist letztlich das Ziel der historischen Aufarbeitung?

Die Studie soll das Unrecht und Leid sichtbar machen, das Menschen durch fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen erlebt haben. Der Kanton Nidwalden, die Gemeinden und die Landeskirchen wollen mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung ein Zeichen der Erinnerung setzen. Dies soll dazu beitragen, dass das erlittene Leid im Bewusstsein der Öffentlichkeit bleibt. Es soll dafür sensibilisieren, dass sich solches Unrecht nicht wiederholt.

Hinweis: Der Autor Simon Mathis sitzt im Vorstand des Historischen Vereins Nidwalden, der das Buch zu den fürsorgerischen Zwangsmassnahmen veröffentlichen wird.



Zur Person

Die Historikerin Sonja Matter (46) ist in Engelberg aufgewachsen und arbeitet am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern. Ihre Dissertation schrieb sie über die Geschichte der Sozialen Arbeit in der Schweiz. In ihrer Forschung bewegt sie sich unter anderem in den Themenfeldern Armut, soziale Ungleichheit und sexualisierte Gewalt.



Zeitzeugen gesucht

Das Forschungsteam rund um Sonja Matter sucht weiterhin Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen im Kanton Nidwalden betroffen waren. Wer die eigene Geschichte erzählen will, ist dazu eingeladen, sich beim Staatsarchiv zu melden: 041 618 51 51 oder staatsarchiv@nw.ch oder sich direkt an Sonja Matter zu wenden: 031 684 53 58 oder sonja.matter@unibe.ch. Die Namen werden vertraulich behandelt. Das Recht von Zeitzeugen, auf Wunsch anonym zu bleiben, wird gewahrt.

Finanziert wird das Forschungsprojekt vom Kanton Nidwalden, den politischen Gemeinden und den beiden Landeskirchen. Das Buch wird voraussichtlich Ende 2024 vom Historischen Verein Nidwalden veröffentlicht.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/nidwalden/fuersorgerische-zwangsmassnahmen-adoption-zwangsmedikation-und-sterilisation-historikerin-untersucht-dunkles-kapitel-der-nidwaldner-geschichte-ld.2381225)