Medienspiegel 9. Dezember 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++APPENZELL
«Kunst erfordert eine Freiheit, die es in der Türkei nicht gibt»: Ein Herisauer Künstlerpaar musste aus der Türkei fliehen – OhO ermöglicht den beiden einen Deutschkurs
Sie ist studierte Theaterkritikerin und Dramaturgin, er ist Schauspieler und Regisseur. Zusammen mussten sie vor zweieinhalb Jahren aus der Türkei in die Schweiz fliehen. Um hier ihre Arbeit fortzusetzen, wollen Yeliz Yilmaz und Ahmet Denizer möglichst schnell Deutsch lernen. «Ostschweiz hilft Ostschweiz» (OhO) finanziert ihnen deshalb einen Sprachkurs.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/ostschweiz-hilft-ostschweiz-kunst-erfordert-eine-freiheit-die-es-in-der-tuerkei-nicht-gibt-ein-herisauer-kuenstlerpaar-musste-aus-der-tuerkei-fliehen-oho-ermoeglicht-den-beiden-einen-deutschkurs-ld.2385130


+++GENF
Proteste gegen Zustand in Genfer Asylzentrum – Schweiz Aktuell
Ein Asylbewerber aus Afghanistan erhält in Genf einen negativen Asylentscheid und nimmt sich daraufhin das Leben. Nun formiert sich Widerstand gegen die Bedingungen, unter denen unbegleitete minderjährige Asyl-Suchende in den Zentren leben müssen.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/proteste-gegen-zustand-in-genfer-asylzentrum?urn=urn:srf:video:992a9031-b385-4053-a527-7740d0dc4d11
-> https://www.20min.ch/fr/story/les-jeunes-migrants-tonnent-alireza-avait-droit-a-la-vie-769383243109
-> https://www.rts.ch/info/13601421-tristesse-et-colere-dans-le-foyer-genevois-du-jeune-afghan-qui-sest-suicide.html


+++LUZERN
Ukraine-Flüchtlinge: Mehr Geld vom Bund: Guido Graf gegen Damian Müller
Die Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine ist nicht die grösste Sorge des Luzerner Sozialdirektors Guido Graf (Mitte): Er will mehr Geld vom Bund, um die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auf die Unterstützung von Ständerat Damian Müller (FDP) kann er dabei nicht zählen.
https://www.zentralplus.ch/politik/mehr-geld-vom-bund-guido-graf-gegen-damian-mueller-2500483/


+++ZÜRICH
Was wir Jugendlichen zumuten
Die Situation von unbegleiteten Kindern im Asylwesen ist schon lange prekär. Nun hat Gemeinderat Walter Angst bekannt gemacht, dass der Bund 16-Jährigen einen Teil ihres Status als Jugendliche aberkennt.
https://www.pszeitung.ch/was-wir-jugendlichen-zumuten/#top


Geflüchtete im Kanton Zürich: 200 neue Plätze für Asylsuchende
Der Kanton richtet zwei weitere Asylunterkünfte ein. Beide befinden sich an Standorten in der Stadt Zürich.
https://www.tagesanzeiger.ch/200-neue-plaetze-fuer-asylsuchende-788088919136
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/asylwesen-kanton-zuerich-schafft-weitere-200-plaetze-fuer-asylsuchende-ld.2385563
-> https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2022/12/kanton-schafft-weitere-unterbringungsplaetze-fuer-asylsuchende.html



tagesanzeiger.ch 09.12.2022

Bundesasylzentrum Zürich: Mehr Sicherheitspatrouillen auf Schulweg neben Asylzentrum

Nach Klagen von Eltern über mutmassliche Belästigungen von Schulkindern durch Bewohner des Bundesasylzentrums in Zürich-West reagieren die Behörden.

Martin Huber

Sie liegen nur wenige Schritte voneinander entfernt: das Bundesasylzentrum (BAZ) und das Primarschulhaus Pfingstweid im Zürcher Kreis 5. Verbunden sind sie durch eine Passerelle, die über die viel befahrene Pfingstweidstrasse führt. Täglich nutzen Schulkinder diesen Übergang auf ihrem Schulweg.

So auch an diesem nasskalten Freitagnachmittag. Kleine Gruppen von Schulkindern eilen im Schneegestöber über die Brücke, gehen an Gruppen von jungen Männern in Daunenjacken vorbei, die beim Treppenaufgang lautstark miteinander reden.

Die Passerelle ist in den letzten Tagen in den Fokus der Öffentlichkeit geraten – weil der Gang über die Brücke für manche Schulkinder offenbar zu einer Art Spiessrutenlauf wurde. Auf der Treppe und der Passerelle halten sich häufig Asylsuchende des Bundesasylzentrums auf, die Kinder ansprechen sollen.

Durchlass nur gegen High Five

Eltern von Schülerinnen und Schülern seien beunruhigt, weil der Schulweg über die Brücke zu gewissen Tageszeiten nicht mehr sicher sei, sagt Barbara Friedrich, Vorstandsmitglied des Elternrats der Schule Pfingstweid, auf Anfrage. Sie bestätigt einen entsprechenden Bericht der NZZ. Manche Kinder fühlten sich unwohl, weil sie auf der Brücke von Asylsuchenden angesprochen oder gar belästigt worden seien.

Friedrich berichtet von Schülerinnen, die aufgefordert worden sein sollen, den jungen Männern ein High Five zu geben, sonst würden sie auf der Brücke nicht durchgelassen. Mädchen seien auch schon mit «dumme Kuh» tituliert worden.

Einmal sollen Asylsuchende die Kinder nach ihrem Vornamen gefragt und sie erst durchgelassen haben, als sie diesen nannten.

Wie oft es zu solchen Vorfällen gekommen ist, wie viele Schulkinder betroffen sind und wie viele Eltern sich beim Elternrat gemeldet haben, ist allerdings nicht bekannt.

Inzwischen schicken manche Eltern ihre Kinder nicht mehr über den Steg, sondern über die fünfspurige Pfingstweidstrasse, wie Friedrich sagt. Vermehrt würden Kinder auch abgeholt. Der Elternrat überlege sich, wie Eltern sich am besten organisieren könnten, damit kein Kind allein unterwegs ist, vor allem am späteren Nachmittag. Sie selber meide die Brücke: «Als Frau will ich dort beim Eindunkeln nicht vorbeigehen.»

«Nehmen Besorgnis sehr ernst»

Er könne die Eltern schon verstehen, meint ein Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts, der am Freitagnachmittag beim BAZ patrouilliert. Er habe an diesem Tag «schon drei-, viermal» Gruppen von jungen Flüchtlingen aufgefordert, sich vom Treppenaufgang zur Passerelle zu entfernen. Aber es nütze jeweils wenig, kurz darauf seien die jungen Männer wieder dort.

Katrin Wüthrich, Präsidentin der Kreisschulbehörde Limmattal, sagt auf Anfrage: «Wir nehmen die Besorgnis der Eltern sehr ernst.» Sie verstehe, dass die Gruppen von Asylsuchenden auf der Passerelle für Kinder bedrohlich wirken könnten.

478 Personen im Bundesasylzentrum

Dass die Asylsuchenden sich vor dem Zentrum und auf der Passerelle aufhalten, führt Wüthrich auf das derzeit überlastete BAZ zurück. Die 2019 eröffnete Unterkunft bietet eigentlich Platz für 360 Bewohnerinnen und Bewohner, derzeit sind laut dem zuständigen Staatssekretariat für Migration (SEM) 478 Personen dort wohnhaft.

In früheren Jahren habe es nie Schwierigkeiten mit der Nähe der Schule zum Bundesasylzentrum gegeben, sagt Wüthrich. Sie weist darauf hin, dass es den Bewohnenden nicht verboten sei, sich draussen bei der Passerelle aufzuhalten. Es handle sich nicht um eine «Sperrzone», wie sie sagt. Es lasse sich nicht vermeiden, dass ein Bundesasylzentrum mitten in der Stadt für Anwohnerinnen und Anwohner spürbar sei und zu Belastungen und Beeinträchtigungen führen könne.

Laut Wüthrich steht die Schule in engem Kontakt mit dem SEM, der Stadtpolizei und der aufsuchenden Sozialarbeit SIP, um die Situation für die Kinder zu verbessern.

Fixe Aussenpatrouille ab Januar

SEM-Sprecher Samuel Wyss erklärt auf Anfrage, es seien bereits eine Reihe von Massnahmen beschlossen oder geplant. So kontrolliere der private Sicherheitsdienst des SEM ab sofort den Bereich um den Treppenaufgang zur Passerelle und die unmittelbare Umgebung. Personen, die sich dort niederliessen und alkoholisiert seien, würden weggewiesen.

SVP verlangt Auskunft

Zudem will das SEM ab Anfang 2023 eine fixe Aussenpatrouille beim Bundesasylzentrum einführen. Bis diese zum Einsatz kommt, werde die Stadtpolizei Zürich ihren Fokus vermehrt auf dieses Gebiet legen und zusammen mit SIP stärker vor Ort präsent sein. Weiter sollen der Treppenaufgang und die Passerelle öfter gereinigt werden; statt wie bisher zweimal täglich mindestens dreimal.

Im Zürcher Stadtparlament haben Stefan Urech und Susanne Brunner von der SVP einen Vorstoss eingereicht. Darin verlangen sie vom Stadtrat Auskunft darüber, wie er die Sicherheit bei der Passerelle erhöhen will.
(https://www.tagesanzeiger.ch/mehr-sicherheitspatrouillen-auf-schulweg-neben-asylzentrum-737944593746)


+++SCHWEIZ
Flüchtlinge protestieren gegen UNHCR: „UNHCR kämpft nicht für uns!“
Vor dem Sitz des Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Genf kritisieren Flüchtlinge dessen Politik gegenüber Libyen. Sie fühlen sich alleingelassen.
https://taz.de/Fluechtlinge-protestieren-gegen-UNHCR/!5902274/
-> Medienkonferenz (ab 06:00): https://www.youtube.com/watch?v=6yr0vcAGTD0


+++ZÜRICH
Kanton Zürich schafft weitere 200 Plätze für Asylsuchende (ab 16:00)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/limmattalbahn-verbindet-jetzt-zuerich-und-aargau?id=12300118


+++ITALIEN
Migranten in Lampedusa gelandet
Lampedusa. Einen Monat nach dem Eklat von Sizilien hat erstmals wieder ein ziviles Seenotretterschiff Migranten in einen italienischen Hafen gebracht. Das deutsche Boot »Louise Michel« der gleichnamigen Hilfsorganisation durfte in der Nacht zum Freitag auf Lampedusa anlegen. Es hatte 33 Menschen an Bord, die im zentralen Mittelmeer gerettet worden waren. Den Angaben der Helfer zufolge bekam das Schiff »im letzten Moment« die Erlaubnis, in den Hafen der Insel einzufahren, weil sich das Wetter auf See verschlechterte. Die »Louise Michel« ist deutlich kleiner und anfälliger für stürmisches Wetter als andere derzeit ebenfalls auf einen Hafen wartende Schiffe. Die deutsche «Humanity 1» harrte mit 261 aus Seenot geretteten Menschen vor der Ostküste Siziliens aus.
https://www.jungewelt.de/artikel/441065.migranten-in-lampedusa-gelandet.html


+++EUROPA
Schwarzbuch über Pushbacks: Gewalt statt Menschenrecht
An EU-Außengrenzen weisen Behörden illegal Menschen ab, zeigen Berichte. Das Ausmaß sogenannter Pushbacks stellt ein neues Schwarzbuch dar.
https://taz.de/Schwarzbuch-ueber-Pushbacks/!5897144/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169231.schwarzbuch-pushbacks-brutalste-gewalt-gegen-menschen.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169235.pushbacks-gefluechtete-verloren-im-niemandsland.html


Instrumentalisierung von Geflüchteten: Keine Aufweichung des EU-Asylrechts
Die EU-Kommission wollte das Asylrecht verschärfen, damit Flüchtende nicht als Druckmittel eingesetzt werden. Doch der Vorstoß ist gescheitert.
https://taz.de/Instrumentalisierung-von-Gefluechteten/!5902233/


+++LIBYEN
Von Tripolis nach Genf
Morgen ist der 10. Dezember, der internationale Tag der Menschenrechte. Schutz vor Folter, ein Recht auf Familienleben, die Unantastbarkeit der menschlichen Würde: Leere Versprechen in Anbetracht der humanitären Situation von Flüchtenden in Libyen. Dagegen entfachten letztes Jahr Proteste: Tausende protestierten über Monate in der Hauptstadt Tripolis. Direkt vor dem Büro des UNHCR, dem Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen. Das UNHCR würde ihr Mandat, Menschen auf der Flucht zu schützen, nicht wahrnehmen, so der Vorwurf.
https://rabe.ch/2022/12/09/von-tripolis-nach-genf/


+++GASSE
Obdachlose erhalten ab Januar 261 Franken mehr
Der Kanton Basel-Stadt stellt armen Menschen mehr Geld zur Verfügung. Auch der kantonale Mindestlohn wird angehoben.
https://telebasel.ch/2022/12/09/obdachlose-erhalten-ab-januar-261-franken-mehr/?channel=105100
-> https://www.bs.ch/nm/2022-erhalt-der-kaufkraft-erhoehungen-in-der-sozialhilfe-und-beim-mindestlohn-wsu.html


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Rösti braten
REVOLTE JETZT: Protest des Klimastreiks gegen Ölbert als neuer Uvek-Vorsteher. Mit Exklusiv-Interview!
https://www.youtube.com/watch?v=6PPixznu4d0


+++PSYCHIATRIE
Motion (Grüne) Vertrauen in unsere Psychiatrie und Justiz stärken
https://www.gr.be.ch/de/start/geschaefte/geschaeftssuche/geschaeftsdetail.html?guid=b642341e8c1b465781228e342998e42e


+++FRAUEN/QUEER
LGBT-Personen: Bericht stellt gesundheitliche Ungleichheiten fest
Ein Forschungsbericht zeigt, dass lesbische, schwule, bisexuelle oder trans Personen (LGBT) in der Schweiz gesundheitlich benachteiligt sind. Dies vor allem hinsichtlich psychischer und sexueller Gesundheit sowie Substanzkonsum. Der Bundesrat will daher prüfen, wie LGBT-Personen besser erreicht werden können. Er hat an seiner Sitzung vom 9. Dezember 2022 einen entsprechenden Postulatsbericht verabschiedet.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-92125.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/bundesrat-prueft-massnahmen-lgbt-personen-leiden-gemaess-studie-oefter-an-depressionen


+++RECHTSPOPULISMUS
Klassenkampf von oben: Fleißige vs. Faule
Konservative behaupten, die „Faulen“ liegen den „Fleißigen“ auf der Tasche. Diejenigen, die einfach etwas erben, ohne zu leisten und Steuern zu bezahlen? Nein, sie meinen damit Bezieher:innen von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld. Natascha Strobl erklärt uns den Klassenkampf, der von oben nach unten tritt.
https://www.moment.at/story/klassenkampf-fleissig-vs-faule


+++RECHTSEXTREMISMUS
taz-Recherche zu Reichsbürger-Razzia: Eine Liste mit 18 Namen
Bei einem Terrorverdächtigen wurde eine mutmaßliche Feindesliste gefunden. Darauf stehen Spitzenpolitiker:innen und Journalist:innen.
https://taz.de/taz-Recherche-zu-Reichsbuerger-Razzia/!5902188/
-> https://taz.de/taz-Recherche-zu-Reichsbuerger-Razzia/!5898528/
-> https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-12/reichsbuerger-feindesliste-annalena-baerbock-friedrich-merz
-> https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/id_100093882/reichsbuerger-razzia-ex-kommandeure-spielten-in-terrorgruppe-schluesselrolle.html
-> https://www.der-postillon.com/2022/12/hochverrat.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/politik/reichsbuerger-razzia-eder-bundeswehr-100.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/reichsbuerger-sondersitzung-bundestag-101.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/reichsbuerger-razzia-afd-101.html
-> https://taz.de/Razzia-gegen-Reichsbuerger/!5898636/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169233.rechte-netzwerke-wendezeit-noch-vor-weihnachten.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/440475.staat-und-nazis-im-visier-des-geheimdienstes.html


Razzia gegen Reichsbürger: «Die Pandemie führte zu mehr Extremismus und Gewalt»
In Deutschland haben tausende Polizisten mehrere Personen verhaftet, die Teil einer terroristischen Reichsbürger-Gruppe sein sollen. Im Interview sagt der Sozialwissenschaftler Marko Ković, wie gefährlich solche Verschwörungsideologien sind und ob es auch in der Schweiz eine Anhängerschaft gibt.
https://www.beobachter.ch/gesellschaft/razzia-gegen-reichsburger-experte-fur-verschworungstheorien-klart-im-interview-auf-553988


Phänomen Reichsbürger und Staatsverweigerer – Echo der Zeit
Mitte Woche haben in Deutschland mehrere Tausend Polizisten Wohnhäuser von so genannten Reichsbürgern und Staatsverweigerern durchsucht und 23 Personen verhaftet. Auch in der Schweiz machen Staatsverweigerer immer wieder Schlagzeilen. In den letzten Monaten nahmen die Berichte zu.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/phaenomen-reichsbuerger-und-staatsverweigerer?partId=12300094
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-12/rechtsextremismus-reichsbuerger-sachsen-afd-cdu/komplettansicht
-> https://www.aargauerzeitung.ch/news-service/ausland/kommentar-die-deutschen-reichsbuerger-sind-groteske-figuren-doch-mit-einer-waffe-in-der-hand-ist-kein-spinner-mehr-harmlos-ld.2385375



tagblatt.ch 09.12.2022

Sie zahlen keine Steuern und wollen einen neuen Lebensraum gestalten: Wie Staatsverweigerer und Reichsbürger in der Ostschweiz Fuss fassen

Bei einer Razzia wegen eines geplanten Staatsstreichs wurden in Deutschland 25 Menschen aus dem Reichsbürgermilieu verhaftet. Auch in der Ostschweiz findet die Ideologie immer mehr Anhänger. Insbesondere der Fantasiestaat «Königreich Deutschland» (KRD) erlebt einen Aufschwung.

Enrico Kampmann

Deutsche Medien sprechen vom grössten Anti-Terroreinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Am Mittwoch durchsuchten 3000 Polizeibeamte 130 Objekte in elf Bundesländern, nahmen 25 Personen in drei Nationen fest.

Gemäss der Bundesstaatsanwaltschaft soll eine bewaffnete Gruppe von Reichsbürgern und Querdenkern geplant haben, das Reichstagsgebäude zu stürmen und «die bestehende staatliche Ordnung unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen». Unter den insgesamt 52 Beschuldigten sind Ex-Elitesoldaten, Ex-Polizisten sowie eine frühere Richterin und AfD-Bundestagsabgeordnete.

Festnahmen gab es in Deutschland, Österreich und Italien, nicht aber in der Schweiz. Dennoch sollte die Affäre zu denken geben. Denn auch hierzulande fassen Organisationen und Ideologien, die dem Dunstkreis der Reichsbürgerszene zuzuordnen sind, verstärkt Fuss – insbesondere in der Ostschweiz.

Staatsverweigerer nehmen zu

So gibt es beispielsweise im Thurgau auffallend viele Staatsverweigerer. Sie weigern sich, Bussen oder Steuern zu zahlen, oder erklären Gerichtsentscheide für nichtig. Dies mit der Begründung, es fehle den entsprechenden Institutionen die gesetzliche Legitimation. Roger Wiesendanger, Leiter des Thurgauer Amtes für Betreibungs- und Konkurswesen, sagte im April zu dieser Zeitung, dass er mehrmals pro Woche Schreiben von Staatsverweigerern erhalte. Kam dies vor ein paar Jahren nur vereinzelt vor, werde sein Amt heute mit den endlos langen Schreiben buchstäblich vollgemüllt.

Zumindest einige von ihnen sind Anhänger des «Global Court of the Common Law» (GCCL), eine Art Pseudogerichtshof und eine sektenartige Gruppierung zugleich, die im Thurgau besonders viele Anhängerinnen und Anhänger hat. Diese anerkennen weder das Gesetz noch die Justiz und berufen sich auf Naturrecht und scheinbar biblische Grundsätze. Von den rund 1500 Personen, die schweizweit auf den Telegram-Kanälen des GCCL aktiv sind, zählt der Thurgauer Kanal allein 255.

Systemausstiegsseminar verschoben

Und auch in der restlichen Ostschweiz fällt die Reichsbürger-Ideologie offenbar auf fruchtbaren Boden. Insbesondere der Fantasiestaat «Königreich Deutschland» (KRD) scheint in den letzten Monaten Aufschwung zu geniessen.

Nachdem Vertreter des Fantasiestaats im Oktober einen Vortrag in Uzwil Organisiert hatten, sollte Ende November das erste «Systemausstiegsseminar» der Schweiz in Wattwil folgen, wie diese Zeitung berichtete. Dort sollten den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für den bescheidenen Preis von 700 Euro «verschiedene legale Ausstiegskonzepte aus dem destruktiven System» vermittelt werden.

Durch die Recherchen der Redaktion alarmiert, untersagte die Vermieterin der Liegenschaft, wo der Anlass stattfinden sollte, kurzerhand dessen Durchführung. Wie weitere Recherchen dieser Zeitung nun ergeben haben, wurde das Seminar aber nicht abgesagt, wie ursprünglich angenommen, sondern lediglich verschoben. In ein Gewerbehaus in Wolfhalden, Appenzell Ausserrhoden.

«Mindset auf neuem Level»

Als Eigentümer der Liegenschaft sind zwei Immobilienfirmen eingetragen. Bei beiden Firmen ist gemäss Handelsregister ein Ausserrhoder Gastro- und Immobilienunternehmer involviert, der gemeinsam mit seinem Bruder unter anderem einen Club in der St.Galler Innenstadt führt.

Wie aus dem Telegram-Chat der Gruppe KRD-Schweiz hervorgeht, war der Unternehmer selbst anwesend. Am Tag nach Abschluss des Ausstiegsseminars schrieb er in die Gruppe: «Sehr gerne habe ich dafür meinen Raum zur Verfügung gestellt und dafür Sorge getragen, dass wir das Seminar ungestört abhalten konnten.» Ebenfalls bedankte sich der Unternehmer bei allen «und insbesondere bei Peter». «Ihm zuzuhören ist einfach fantastisch und hat mich tief berührt und mein Mindset auf das nächste Level gebracht.»

Wer mit Peter hier genau gemeint ist, geht aus dem weiteren Chatverlauf nicht hervor. Doch es liegt die Vermutung nahe, dass es sich um Peter Fitzek höchstpersönlich handelt. Fitzek, auch bekannt als Peter der Grosse, liess sich 2012 bei einer pompösen Zeremonie – mit Reichsapfel, Schwert und Krone – vor rund 600 Anhängerinnen und Anhängern zum König von Deutschland krönen.

Seither ist Fitzek fleissig damit beschäftigt, im Bundesland Sachsen, wo sich das ursprüngliche «Hoheitsgebiet» des KRD befindet, mit den Spendengeldern seiner Anhängerinnen und Anhänger Immobilien aufzukaufen. Darunter auch zwei Schlösser für 1,3 und 2,3 Millionen.

«Ein neuer Lebensraum in der Schweiz »

Vor diesem Hintergrund lässt aufhorchen, dass der erwähnte Ausserrhoder Unternehmer seit 2021 auch Präsident einer Wohnbaugenossenschaft ist. Diese verfolgt gemäss Business Monitor den Zweck, «in gemeinsamer Selbsthilfe und Mitverantwortung ihren Mitgliedern guten und preisgünstigen Wohnraum zu verschaffen und zu erhalten» und das Zusammenleben «im Sinne gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und gegenseitiger Solidarität» zu fördern. Zu erreichen sei dies unter anderem durch den Erwerb von Bauland, Baurechten und Immobilien.

Ob die Genossenschaft und die Immobilienfirmen des Unternehmers tatsächlich zum Kauf für Liegenschaften für das KRD genutzt werden sollen, ist zu diesem Zeitpunkt unklar.

Einen etwas unangenehmen Beigeschmack erhält das Projekt anlässlich folgender Aussage des Unternehmers im Telegram-Chat: «Ebenfalls freue ich mich über alle jene, die nun ins Handeln kommen und zusammen mit mir/uns hier in der Schweiz einen neuen Lebensraum gestalten werden.»
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/reichsbuerger-sie-zahlen-keine-steuern-und-wollen-einen-neuen-lebensraum-gestalten-wie-staatsverweigerer-und-reichsbuerger-in-der-ostschweiz-fuss-fassen-ld.2385672)



Festgenommener Reichsbürger glaubt an Kinder-Folter in der Schweiz
Bei Razzien in Deutschland wurden 25 Reichsbürger festgenommen. Einer der Verhafteten behauptet, in der Schweiz würden Kinder über Tunnel entführt.
https://www.nau.ch/news/europa/festgenommener-reichsburger-glaubt-an-kinder-folter-in-der-schweiz-66362927
-> https://www.blick.ch/ausland/reichsbuerger-razzia-deutscher-ex-oberst-glaubt-an-kinderfolter-tunnels-in-der-schweiz-id18131393.html



solothurnerzeitung.ch 09.12.2022

Einer der verhafteten Reichsbürger soll ein Kind aus dem Kanton Solothurn entführt haben

In Deutschland konnten Ermittler bei einer Grossaktion 25 Personen verhaften, die einen Umsturz geplant haben sollen. Einer der Verhafteten, ein ehemaliger Offizier, hat Verbindungen in den Kanton Solothurn. Er soll sich sogar an der Entführung eines Kindes beteiligt haben.

Raphael Karpf

Deutschen Ermittlern gelang ein grosser Schlag gegen die Reichsbürger-Szene. In elf Bundesländern sowie in Österreich und Italien wurden insgesamt 25 Personen festgenommen. Rund 3000 Beamten standen im Einsatz. Den Festgenommenen wird vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung gebildet und einen gewaltsamen Umsturz der Bundesrepublik Deutschland geplant zu haben.

Wie gross die Gefahr tatsächlich war, die von diesen Umstürzlern ausging, wird im Moment ziemlich kontrovers diskutiert. Immerhin sprach Thomas Haldenwang, Präsident des deutschen Verfassungsschutzes, von einer «recht realen Gefahr». Mehrere ehemalige wie auch aktive Bundeswehr-Soldaten sollen zu den Beschuldigten gehören, die ARD-«Tagesschau» berichtete zudem von einem bewaffneten Arm innerhalb der Gruppierung.

Einer der Festgenommenen ist gemäss «Tages-Anzeiger» Maximilian Eder. Der pensionierte Offizier soll einer der führenden Köpfe hinter dem geplanten Umsturz gewesen sein. Aber auch mit der Schweiz beschäftigte sich Eder: Er ist der festen Überzeugung, es gebe hier einen Zirkel machtvoller Personen, die im Geheimen (in Bunkern oder Ruinen zum Beispiel) Kinder vergewaltigen und bei satanistischen Ritualen sogar opfern.

Informationen dieser Zeitung zeigen nun: Auch die Solothurner Strafverfolgungsbehörden ermitteln gegen Eder.

Zwei Familien im Kanton Solothurn zerbrochen

Wie kam es dazu? Seine kruden Verschwörungstheorien hatten ganz konkreten Einfluss auf zwei Familien aus dem Solothurner Schwarzbubenland. Beide Fälle wurden schweizweit bekannt: Unter den Namen «Fall Nathalie» und «Fall Jonathan».

Die Fälle sind sehr ähnlich gelagert: Die Mutter eines Kindes beschuldigt den jeweiligen Vater, Teil dieses satanistischen Zirkels zu sein und das gemeinsame Kind zu missbrauchen. In beiden Fällen hatten sich die Väter nichts Derartiges zu Schulden kommen lassen. Im Fall «Nathalie» ermittelte die Solothurner Staatsanwaltschaft ganze zwei Jahre lang, bis sie sämtlichen Anschuldigungen nachgegangen war und festhielt: Es gebe keinerlei Hinweise auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten.

Das änderte aber nichts daran, dass die Mütter von «Nathalie» und «Jonathan» weiter von diesen Verschwörungen überzeugt waren. Die Ermittlungen wurden als Scheinermittlungen bezeichnet, ab jetzt war auch die Staatsanwaltschaft Teil dieses Verschwörungszirkels. Beide Familien sind heute zerbrochen.

Offen der Staatsanwaltschaft gedroht

In beide Fällen war Eder involviert. Er hat es sich offenbar persönlich zum Ziel gesetzt, diesen angeblichen satanistischen Zirkel auszuheben: Er hat «Informationen» zusammengetragen, zum Beispiel eine Liste mit hunderten Namen und Adressen von Leuten, die Teil dieser Verschwörung sein sollen. Auch dieser Zeitung hat er diese Liste und angebliche weitere «Beweise» geschickt, mit der Bitte, «frei und fair» darüber zu berichten.

Im Fall «Nathalie» hat Eder selbst mehrere Behörden im Kanton Solothurn angezeigt. Als die Ermittlungen nicht die von ihm gewünschte Entwicklung nahmen, schrieb er der Staatsanwaltschaft einen Brief, den er ebenfalls an diese Zeitung weiterleitete.

Darin drohte er der Staatsanwaltschaft offen: Sie solle die Familie von «Nathalie» in Ruhe lassen, jeder Eingriff würde «massive Konsequenzen» zur Folge haben: «Es wäre sehr angebracht für alle Betroffenen, sich zu erklären oder aber ihre Koffer samt ihren paar Kröten zu packen und sich rechtzeitig abzusetzen, bevor die Bombe platzen wird.»

Auch «Nathalies» Mutter war felsenfest überzeugt davon, dass irgendeinmal «die ganze Wahrheit» ans Licht kommen werde.

Solothurn Behörden ermitteln gegen Eder

Im Fall «Jonathan» ging Eder sogar noch einen Schritt weiter. «Jonathans» Mutter verkehrte in denselben Kreisen wie die Mutter von «Nathalie». Die Vermutung liegt nahe, dass sie deswegen kein Vertrauen in die Solothurner Strafverfolgungsbehörden hatte. Als sie den Vater von «Jonathan» beschuldigte, das gemeinsame Kind zu missbrauchen, brachte sie «Jonathan» kurzerhand nach Deutschland in «Sicherheit».

Gemäss «Tages-Anzeiger» soll Eder die Mutter und das Kind über die Grenze gebracht und in seinem Haus in Bayern untergebracht haben. Eder selbst hatte das zudem an einem öffentlichen Auftritt diesen Mai in Baden-Baden erzählt. Eine Videoaufnahme davon kursiert im Internet.

Rund einen Monat später konnten die Behörden – in Zusammenarbeit mit der deutschen Polizei – den Knaben ausfindig machen und zu seinem Vater zurück bringen. Gegen die Mutter läuft eine Strafuntersuchung wegen «Entzug von Minderjährigen und Entführung».

Und wie die Solothurner Staatsanwaltschaft auf Anfrage bestätigt, führt sie in diesem Zusammenhang auch gegen Eder eine Strafuntersuchung, wegen «Freiheitsberaubung und Entführung». Die Ermittlungen sind im Gange. Es gilt die Unschuldsvermutung.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/umsturzplaene-in-deutschland-einer-der-verhafteten-reichsbuerger-soll-ein-kind-aus-dem-kanton-solothurn-entfuehrt-haben-ld.2385442)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Volksinitiative von Impfskeptikern kommt ins Parlament
Mitte Dezember 2021 gestartet, landet die «Stopp Impfpflicht»-Initiative nun beim Parlament.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/volksinitiative-von-impfskeptikern-kommt-ins-parlament-66363199
-> https://www.blick.ch/politik/bundesrat-ist-dagegen-volksinitiative-von-impfskeptikern-kommt-ins-parlament-id18130605.html


Coronavirus: Auf Rimoldi dürften weitere Verurteilungen folgen
Der Massnahmen-Kritiker Nicolas Rimoldi wurde vergangene Woche in Luzern verurteilt. Das dürfte erst der Anfang gewesen sein.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-auf-rimoldi-durften-weitere-verurteilungen-folgen-66354210


+++ANTI-WOKE-POPULISMUS
derbund.ch 09.12.2022

Nach «Winnetou»-Rückzug: Ravensburger entschärft Spiel nach Rassismusvorwurf

Der Kulturkampf hat dieses Jahr auch den Brettspielemarkt erreicht – Ravensburger hat reagiert. Kritisiert wird auch eine eroberungslustige russische Zarin.

Michael Feller

Es war ein Aufschrei, eine Debatte, die diesen Sommer in den sozialen Medien erbittert geführt wurde: Ravensburger zog sein Jugendbuch zum Film «Der junge Häuptling Winnetou» zurück. Demgegenüber ist fast untergegangen, dass der Verlag wenig später auch bei einem seiner Spieleklassiker Tabula rasa machte: «Puerto Rico», der Brettspielhit von 2002, ist überarbeitet worden. «Wegen problematischer Themen und Komponenten im Spiel», wie der Verlag auf Anfrage schreibt, ist seit September der Nachfolger «Puerto Rico 1897» auf dem Markt.

Im Original spielt man aus der Perspektive der europäischen Eroberer. Auf Plantagen werden Mais, Indigo, Zucker, Tabak und Kaffee angebaut und nach Europa verkauft. Im Spielbeschrieb von damals steht: «Siedler erschliessen neue Felder, der Bürgermeister teilt den Spielenden Kolonisten zu, die – vom Aufseher zur Arbeit angetrieben – entsprechend Waren produzieren.» Ganz offensichtlich geht es um Sklavenwirtschaft, nur werden die Sklaven verharmlosend «Kolonisten» genannt. Als Ressource erscheinen sie mit braunen Spielsteinen auf dem Brett.

Verniedlichte Gräuel

Die Erzählung im Spiel verniedlicht die tatsächlichen Gräueltaten der Europäer. Die Kolonialisierung von Puerto Rico begann 1493, als Christoph Kolumbus auf seiner zweiten Reise auf der Insel landete. Die Siedler versklavten die Taíno, die einheimische Bevölkerung. Nach einem Aufstand gegen die Besatzer 1511 fanden praktisch alle Taíno innert weniger Jahrzehnte den Tod. Durch Krankheiten, Mord und Selbsttötung.

Die Neuauflage «Puerto Rico 1897» behält die Spielmechanik bei, bettet das Spiel aber in eine andere Geschichte ein: 1897 erlangte die Karibikinsel ihre Unabhängigkeit. Dementsprechend handelt die neue Version nicht mehr von der Eroberung, sondern davon, wie Puerto Rico seine Wirtschaft in der Unabhängigkeit neu aufbaut. Die Eigenständigkeit der Karibikinsel war übrigens von kurzer Dauer. Seit 1898 ist die Insel unter US-amerikanischer Kontrolle.

Die Neuauflage ist unter Spielerinnen und Spielern in entsprechenden Blogs und auf Spielemessen kontrovers diskutiert worden. Beugt sich Ravensburger (mit seinem Tochterlabel Alea) der Political Correctness, dieser angeblichen «Cancel-Culture» – beschneidet in vorauseilendem Gehorsam die eigene Kunstfreiheit? Oder ist es sinnvoll, auch bei an sich harmlosen Brettspielen verharmlosende Geschichtsromantisierung auszumerzen?

Nach der Winnetou-Entrüstung

Die Frage hat sich vor 20 Jahren, als das Spiel herauskam, kaum jemand gestellt – oder zumindest hätte sie keine Konsequenzen nach sich gezogen und schon gar keine gesellschaftliche Debatte. Das sieht heute, wenn Klassiker wie die Karl-May-Bücher hinterfragt werden, anders aus.

Nach dem Rückzug des Winnetou-Buches – das als Lizenzprodukt zum Film vorgesehen war – war die Entrüstung in den sozialen Medien gross. Der weitverbreitete Tenor: Wir lassen uns die Helden unserer Kindheit doch nicht verbieten! Die Kritik zum Verkaufsstopp kam vor allem von rechts, aber nicht nur. Der ehemalige SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel twitterte: «Als Kind habe ich Karl Mays Bücher geliebt, besonders Winnetou. Als mein Held starb, flossen Tränen. Zum Rassisten hat mich das ebenso wenig gemacht wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn.»

Die Entrüstung wuchs, als bekannt wurde, dass die ARD die 2020 auslaufenden Winnetou-Lizenzen nicht erneuert habe. Auch SRF zeigt die Filme nicht mehr. Die Junge SVP lancierte deshalb eine Petition, dass der Sender die Karl-May-Werke wieder ins Programm aufnehmen müsse.

Diesen sich selbst verstärkenden Sturm der Entrüstung konnte Ravensburger bei «Puerto Rico» verhindern, obwohl der Verlag das Spiel bereits zum zweiten Mal entschärft hatte. 2020 wandte sich der Puerto Ricaner Jason Perez, Brettspiel-Youtuber und Kulturberater, in einem Video an die Ravensburger-Tochter Alea und bemängelte, die erste Überarbeitung schaffe den Rassismus nicht aus dem Spiel und er als Puerto Ricaner fühle sich unbehaglich beim Spiel. Daraufhin meldete sich Alea und nahm die Vorschläge des Spielbegeisterten auf. In Zusammenarbeit mit Teresita Levy, Professorin für Lateinamerika- und Latino-Studien, und Illustrator Jonny Morrow entstand die neue Version.

«‹Puerto Rico 1897› ist die thematisch und zeitlich neu eingekleidete Version des Klassikers», sagt Ravensburger-Sprecherin Katrin Seemann. Zu den Werten des Verlages gehörten Fairness und Offenheit gegenüber anderen Kulturen. «Der gesellschaftliche Diskurs um sensible Themen entwickelt sich stetig weiter, und unsere verlegerische Position tut dies selbstverständlich auch.» Spieleautor Andreas Seyfarth sei es wichtig gewesen, dass die Spielmechanik beibehalten worden sei, und habe dem gewählten Vorgehen dann auch «begeistert» zugestimmt.

Zarin liebäugelt mit Novorossiya

Ein weiteres Spiel wurde dieses Jahr von aktuellen Ereignissen eingeholt und in Fachkreisen entsprechend diskutiert. «Katharina» vom kleinen deutschen Verlag DLP kam im Frühling heraus, wenige Wochen nach der Invasion Russlands in die Ukraine. Es handelt von der gleichnamigen russischen Zarin. Ein Szenario im Spiel ist die Expansion, ein Gebiet auf dem Spielbrett heisst «Novorossiya» – zu Deutsch Neurussland.

Novorossiya ist ein historischer Begriff und bezeichnet ein Gebiet, das in der heutigen Südukraine liegt. Als das russische Kaiserreich 1764 die neue Verwaltungseinheit errichtete, war das Gebiet noch dünn besiedelt. Auch die Krim gehörte dazu.

Obwohl das Spiel ein historisch korrektes Umfeld beschreibt, führte es angesichts des Ukraine-Kriegs zu Kritik. Brettspielbox.de empfahl zwar das Spiel, aber monierte, das Setting sei «im Jahr 2022 unglücklich gewählt». Ein Blogger findet, «Katharina» hinterlasse einen «fahlen Beigeschmack».

Der Verlag gibt sich auf Anfrage einsilbig. DLP habe nicht erwogen, wegen des Kriegs das Spiel zu verschieben oder gar abzuändern, schreibt Geschäftsführerin Anja Stockhausen, «weil es ein tolles Spiel mit einem innovativen Mechanismus ist und allen viel Spass macht». Das Spiel gehört auch zu den Favoriten unseres Spieletesters.

Wie weit soll die Rücksicht auf Gefühlswelten gehen und wo geben die Erzeugnisse der Kulturproduktion auch – ganz legitim – eine bisweilen schreckliche Welt mit Unterdrückung und Krieg wieder? Klar ist nur, dass selbst Gesellschaftsspiele-Verlage heute darauf achten müssen, wie sie die Gesellschaft abbilden – auch weil sie mit hartem Gegenwind rechnen müssen.
(https://www.derbund.ch/ravensburger-entschaerft-spiel-nach-rassismusvorwurf-164850388476)


+++HISTORY
Wie weiter mit der Mumie Schepenese?
Aktuell lässt der katholische Administrationsrat des Kantons St. Gallen prüfen, ob die Mumie zurück nach Ägypten soll oder nicht. Sogenannte Rückführungen kommen häufiger vor, als man vielleicht denkt. Beim Bundesamt für Kultur gibt es dafür eine eigene Fachstelle.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/wie-weiter-mit-der-mumie-schepenese?id=12299965
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/st-galler-fachhochschule-fuer-agrarwissenschaften-gefordert?id=12299653
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/mumie-schepense-soll-nicht-nach-aegypten-gegenwind-aus-dem-st-galler-kantonsrat-149144329


Wie eine Fachstelle beim Bundesamt für Kultur Rückführungen von Kulturgütern regelt (ab 05:07
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/hsg-rektor-ehrenzeller-nimmt-stellung-zu-plagiatsvorwuerfen?id=12300106 (ab 05:07)