Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++BERN
Anpassung bei Bemessung der Sozialhilfe von vorläufig aufgenommenen Personen
Der Regierungsrat des Kantons Bern hat die Verordnung über die öffentliche Sozialhilfe angepasst. Der Grundbedarf für den Lebensunterhalt (GBL) für vorläufig Aufgenommene in Gemeindezuständigkeit wird ab 10 Jahren nach Erteilung der vorläufigen Aufnahme auf 85 Prozent des regulären Grundbedarfs erhöht. Bisher lag er bei 70 Prozent und die Reduktion betrug somit 30 Prozent. Dieser Ansatz gilt weiterhin für alle vorläufig aufgenommenen Personen, deren vorläufige Aufnahme weniger als 10 Jahre zurückliegt. Das Berner Verwaltungsgericht hatte sich mit der Bemessung der Sozialhilfe von vorläufig aufgenommenen Personen befasst. Die Anpassungen werden aufgrund der getroffenen Urteile vorgenommen. Die Änderungen treten per 1. Januar 2023 in Kraft. Die Sozialdienste erhalten eine Frist bis 1. April 2023, um die Neuberechnung der Sozialhilfebudgets der in Frage kommenden Personen vorzunehmen.
Verordnung über die öffentliche Sozialhilfe (SHV) / Teilrevision / 2023 (Anpassung GBL VA7+)
https://www.rr.be.ch/de/start/beschluesse/suche/geschaeftsdetail.html?guid=bbc1ab0590c14251a411002a0d3b5803
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=be2a8a8d-73a5-4e08-a4d1-a15da33616de#1195e7bf-3ae8-402a-97d9-0e4cceb6d35d
-> https://www.derbund.ch/kanton-passt-sozialhilfe-fuer-vorlaeufig-aufgenommene-personen-an-435693678609
+++ST. GALLEN
tagblatt.ch 08.12.2022
Steigende Asylzahlen: St.Galler SVP-Nationalräte erhöhen den Druck in Bern
Die Lage im Asylbereich hat sich laut dem Kanton St.Gallen markant verschärft. Im Nationalrat fordern Mike Egger und Esther Friedli härtere Massnahmen.
Adrian Vögele
Dieses Jahr hat die Zahl der illegalen Einreisen in den Kanton St.Gallen deutlich zugenommen. Viele dieser Personen, vor allem Männer etwa aus Afghanistan, reisten mit dem Zug über die Grenzbahnhöfe Buchs und St.Margrethen ein. Die Behörden stellten zunächst fest, die meisten dieser Migranten würden kein Asyl beantragen, sondern sogleich weiterreisen.
Inzwischen zeigt sich jedoch, dass auch mehr Asylgesuche gestellt werden. Im Oktober 2022 waren es schweizweit 3200 – knapp 20 Prozent mehr als im Vormonat, und mehr als doppelt so viele wie im Oktober 2021, gemäss der Statistik des Staatssekretariats für Migration. Die meisten Asylsuchenden stammen aus Afghanistan und der Türkei.
St.Galler Regierung lehnte Armeeeinsatz ab
Der Kanton St.Gallen vermeldete vergangene Woche, die Lage im Asylbereich habe sich «markant verschärft» – man sei mit deutlich höheren Zuweisungen von Asylsuchenden durch die Bundesstellen konfrontiert und nehme daher das kantonale Asylzentrum Linth in Uznach vorzeitig in Betrieb.
Die SVP hat deswegen vergangene Woche im Kantonsparlament interveniert: Sie fragte etwa nach Unterstützung für die Grenzwache durch die Armee und schlug «temporäre Haftanstalten» für die Reisenden vor. Die Regierung lehnte dies ab.
Ein Armeeeinsatz sei nicht angemessen, die Inhaftierung der Migranten rechtlich nicht zulässig. Das Problem müsse auf nationaler und internationaler Ebene gelöst werden. «Solange Österreich keine illegal eingereisten Migrantinnen und Migranten zeitnah zurücknimmt, sind dem Kanton St.Gallen die Hände gebunden.»
Aktionsplan mit Österreich
Im Nationalrat hakte dann Esther Friedli (SVP/SG) beim Bundesrat nach: Sie wollte in der Fragestunde wissen, welche zusätzlichen Massnahmen die Schweiz und Österreich in den vergangenen Wochen zur Bekämpfung der sogenannten «irregulären Sekundärmigration» beschlossen hätten.
Die Antwort: Justizministerin Karin Keller-Sutter und der österreichische Innenminister Gerhard Karner haben Ende September einen gemeinsamen Aktionsplan verabschiedet. «Dieser sieht eine engere Zusammenarbeit unter anderem im grenzpolizeilichen Bereich sowie gemeinsame migrationspolitische Initiativen auf europäischer Ebene vor.» Dabei stehe die Visumspolitik einzelner Westbalkanstaaten im Fokus, schreibt der Bundesrat – man habe dort Anpassungen erwirkt.
«Ziel ist, dass die Visaregeln der Westbalkanstaaten möglichst weitgehend denjenigen der Schengenstaaten entsprechen. Nur so kann verhindert werden, dass eine zu liberale Visumspolitik zu einem Treiber der irregulären Migration auf der Balkanroute wird.» Allerdings wolle Österreich das Rückübernahme-Abkommen mit der Schweiz weiterhin nicht anpassen, weil das österreichische Asylsystem nach wie vor überlastet sei.
Schweiz soll Zahl der Gesuche limitieren
Jetzt verlangt die SVP, dass der Bundesrat härtere Massnahmen ergreift. Mike Egger reicht eine Motion ein, die den Bundesrat beauftragt, «den Asylnotstand auszurufen und eine zahlenmässige Obergrenze für die Annahme von Asylgesuchen festzulegen, die dem Mittel der Jahre 2020 und 2021 entspricht». Egger nimmt in seinem Vorstoss direkten Bezug auf die Situation in der Ostschweiz.
Der Bund verlange von den Kantonen, dass sie mit der Unterbringung von bis zu 1000 Asylsuchenden pro Woche rechnen müssten, und zwar bevor deren Asylgesuche abgeschlossen seien, heisst es in der Motion. «Diese Forderung kommt einer Aufhebung der Asylgesetzrevision von 2019 gleich, die mit der Einrichtung von Bundesasylzentren genau diese Entwicklung hätte vermeiden sollen.»
Weitere Vorstösse aus der SVP-Fraktion zum Thema seien geplant, sagt Egger.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/migration-steigende-asylzahlen-stgaller-svp-nationalraete-erhoehen-den-druck-in-bern-ld.2384801)
+++ZÜRICH
Zürcher Kinder fühlen sich auf Schulweg unwohl – wegen Asylsuchenden
Der Weg zum Pfingstweid-Schulhaus führt am Bundesasylzentrum Zürich vorbei. Für Schülerinnen und Schüler wird dies zunehmend zu einem Problem – sie spüren, wie das Asylzentrum überbelegt ist. Die Stadtpolizei hat erste Massnahmen beschlossen.
https://www.zueritoday.ch/zuerich/zuercher-kinder-fuehlen-sich-auf-schulweg-unwohl-wegen-asylsuchenden-149117669
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/das-zuercher-stadtparlament-bleibt-im-exil?id=12299215
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nzz.ch 08.12.2022
Kinder fühlen sich von Asylsuchenden belästigt – nun soll ein privater Sicherheitsdienst patrouillieren
Das Bundesasylzentrum Zürich ist überfüllt. Das spüren nun auch die Kinder, deren Schulweg am Zentrum vorbeiführt. Eltern sind besorgt.
Claudia Rey
Für 250 Kinder ist der Weg in die Schule seit dem Spätsommer nicht mehr so, wie sie ihn gewohnt sind. Auf der Passerelle, die über die Hauptstrasse zum Schulhaus Pfingstweid führt, liegt Abfall, auch der Schulhausplatz selbst ist häufig zugemüllt. Im Sandkasten und unter Laubhaufen liegen benutzte Spritzen. Der Hausdienst der Schule ist am Anschlag.
Wenn die Schülerinnen und Schüler am späten Nachmittag beim Eindunkeln nach Hause gehen, müssen sie sich einen Weg suchen vorbei an unbekannten Personen. Manche sind alkoholisiert und sprechen die Kinder in Sprachen an, die diese nicht verstehen. Die Unbekannten sind Asylsuchende aus dem Bundesasylzentrum, das nur wenige Schritte von der Schule entfernt auf der anderen Strassenseite steht.
Am heikelsten ist die Situation bei Schulschluss
Barbara Friedrich, Vorstandsmitglied des Elternrats der Schule Pfingstweid, sagt: «Wir Eltern haben festgestellt, dass der Schulweg zu gewissen Tageszeiten nicht mehr sicher ist. Die Kinder fühlen sich unwohl und werden von Flüchtlingen belästigt, wenn sie die Brücke passieren und die Treppe hinuntergehen.»
Friedrich sagt weiter: «Inzwischen sind wir Eltern so weit, dass wir die Kinder nicht mehr über die Brücke schicken, sondern über die Hauptstrasse.» Die Kinder würden auch vermehrt abgeholt, und der Elternrat überlege sich, wie die Eltern sich am besten organisieren könnten, damit kein Kind allein unterwegs sei. Am heikelsten sei die Situation bei Schulschluss zwischen 16 und 18 Uhr 15 – auch weil es jetzt bereits früh dunkel werde.
Das Problem hat auch die Schule erkannt. Am Dienstag hat die Schulleitung eine Mail an alle Eltern verschickt. Darin steht: «Seit den Herbstferien sind vermehrt besorgte Eltern und Mitglieder des Schulteams an uns gelangt und haben uns ihre Beobachtungen zu Menschengruppen auf der Treppe der Passerelle und auf dem Spielplatz West Park geschildert.»
Gegenwärtig sei die Schule in Kontakt mit der Polizei, der Regionalwache Industrie sowie der Sozialambulanz Sip. Auch vonseiten des Bundesasylzentrums sei man einig mit den Eltern und der Schule, dass etwas unternommen werden müsse, damit sich die Kinder wieder sicher fühlten.
«Die schiere Menge der Asylsuchenden ist ein Problem»
Katrin Wüthrich, die Präsidentin der Kreisschulbehörde Limmattal, sagt: «Die schiere Menge der Asylsuchenden ist ein Problem.» In früheren Jahren habe es nie Schwierigkeiten gegeben mit der Nähe der Schule zum Bundesasylzentrum – erst seit dieses überlastet sei und sich deshalb mehr Personen im Freien aufhielten, habe sich die Situation verschlechtert.
In Zürich sind die Flüchtlingszahlen zuletzt rasant gestiegen: Per Ende November hat der Kanton 14 200 Schutzsuchende registriert. Unter ihnen sind 12 600 Kriegsvertriebene aus der Ukraine, welche den Status S erhalten haben, und etwa 1600 Asylsuchende. An einer Medienkonferenz Anfang Dezember sagte der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos), er rechne damit, dass der Kanton bis Ende Jahr 15 000 Zugänge verbuchen werde. Zum Vergleich: Das wären etwa gleich viele Personen, wie im Jahr 2021 in der gesamten Schweiz ein Asylgesuch gestellt haben.
Das Bundesasylzentrum in Zürich-West wurde 2019 eröffnet und bietet eigentlich Platz für 360 Bewohnerinnen und Bewohner – zurzeit sind es wohl deutlich mehr. Betreut werden die Asylsuchenden durch die Asylorganisation Zürich, die im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) arbeitet.
Daniel Bach, Leiter Kommunikation beim SEM, bestätigt die Probleme rund um die Schule Pfingstweid. Sie seien der Stadt Zürich und dem SEM bekannt. «Um die Situation rasch zu verbessern, sind eine Reihe von Massnahmen bereits beschlossen oder geplant», so Bach.
So werde etwa der private Sicherheitsdienst des SEM in Zusammenarbeit mit der Stadtpolizei den Bereich um den Treppenaufgang zur Passantenbrücke und die Umgebung kontrollieren. Personen, die sich dort niederliessen und alkoholisiert seien, würden weggewiesen. «Diese Massnahme wird spätestens Anfang nächster Woche umgesetzt», verspricht Bach.
Die Stadtpolizei Zürich werde in den nächsten Wochen zudem gemeinsam mit der Sozialambulanz Sip im Gebiet rund um das Bundesasylzentrum verstärkt patrouillieren. Ab Januar soll es eine fixe Aussenpatrouille des SEM geben. Der Treppenaufgang und die Passantenbrücke sollen öfter gereinigt werden – statt wie bisher zwei Mal täglich mindestens drei Mal. Zudem hat das SEM angeboten, den Hausdienst bei der Reinigung des Schulareals zu unterstützen.
(https://www.nzz.ch/zuerich/bundesasylzentrum-zuerich-schuelerinnen-fuehlen-sich-belaestigt-ld.1715927)
+++SCHWEIZ
Sri Lanka Ausschaffungen: KKS foutiert sich um das Non-Refoulement-Gebot
Karin Keller Sutter (KKS) und das Staatssekretariat für Migration haben erneut nach Sri Lanka abgeschoben. Gestern Abend um 18.20 h ging ein Linienflug vom Flughafen Zürich. Ein dem MSN nahestehende Person aus Gampelen, dessen Rekurs auf den Negativentscheid vor Kurzem abgelehnt wurde, wurde vergangenen Dienstag in Gampelen von der Polizei abgeholt und nach Zürich gebracht. Wir haben bis jetzt noch keine sicheren Informationen wie es ihm nach der Ankunft in Sri Lanka geht.
https://migrant-solidarity-network.ch/2022/12/08/sri-lanka-ausschaffungen-kks-foutiert-sich-um-das-non-refoulement-gebot/
+++OSTEUROPA
Pushbacks in Bulgarien – Eingesperrt und misshandelt an der EU-Aussengrenze
Beamte an der bulgarischen EU-Grenze gehen illegal gegen Flüchtlinge vor. Das zeigen Recherchen von SRF Investigativ zusammen mit Lighthouse Reports. Bulgarien betreibt ein inoffizielles Gefängnis. Auf Flüchtlinge soll auch geschossen worden sein.
https://www.srf.ch/news/international/pushbacks-in-bulgarien-eingesperrt-und-misshandelt-an-der-eu-aussengrenze
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/illegales-gefaengnis-in-bulgarien?partId=12299557
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/bulgarien-misshandelt-fluechtlinge?urn=urn:srf:video:529eee11-b3c4-440c-9850-64d15436eaf3
-> https://www.derstandard.at/story/2000141638271/bericht-asylsuchende-an-eu-aussengrenze-eingesperrt-und-misshandelt?ref=rss
EU-Außengrenze Asylsuchende eingesperrt und misshandelt
Misshandelt und gefangen gehalten: Sicherheitskräfte halten laut Monitor an der EU-Außengrenze Bulgariens, Ungarns und Kroatiens Flüchtlinge an geheimen Orten fest – dann bringen sie sie illegal zurück über die Grenze.
https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/eu-aussengrenze-fluechtlinge-frontex-101.html
-> Monitor: https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/verbotene-orte-europas-duestere-fluechtlingspolitik-100.html
+++EUROPA
EU-Bürgerbeauftragte: EU-Überwachungshilfen gefährden Menschenrechte
Fördergelder aus einem EU-Nothilfe-Fonds fließen unter anderem in Überwachungstechnologien für repressive Regime und Institutionen, die Menschen an der Flucht nach Europa hindern. Die EU prüft die Folgen für die Menschenrechte nicht genau genug, hat die EU-Bürgerbeauftragte jetzt entschieden.
https://netzpolitik.org/2022/eu-buergerbeauftragte-eu-ueberwachungshilfen-gefaehrden-menschenrechte/
+++GASSE
Knapper Wohnraum für Suchtkranke oder Menschen mit psychischen Problemen – wichtig ist die Wohnkompetenz (ab 01:52)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/gegen-neue-zuger-spitalliste-regt-sich-widerstand?id=12299212
Die Basler Polizei und das Veterinäramt kontrollieren vermehrt Bettler:innen mit Hunden, zum Schutz der Hunde (ab 03:51)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/enttaeuschte-stimmen-aus-der-basler-politik-zur-nicht-wahl-herzogs?id=12299197
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Gemeinderatswantwort auf Kleine Anfrage David Böhner (AL) und Simone Machado (GaP): Hält sich der Gemeinderat an das Kundgebungsreglement, wenn er in der Stadt Bern Kosten an Teilnehmende von Kundgebungen überwälzt?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=5cf983c02ab34f1a89a99a435eac6603
Gemeinderatsantwort auf Kleine Anfrage Fraktion SVP (Alexander Feuz/Thomas Glauser, SVP): Antifaschistischer Abendspaziergang. Was unternimmt der Gemeinderat?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=a7cbcbfffcb24b71b19f3f526516593f
+++POLICE BE
Kanton Bern: 50 Jahre Enzian: damals – heute – morgen
2022 feiert die Sondereinheit der Kantonspolizei Bern ihr 50-jähriges Bestehen. 1972 gegründet, hat sich das Dezernat über die Jahre weiterentwickelt und ist heute ein wichtiger Bestandteil des Polizeikorps.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=1c864902-e9f8-4ea8-9268-b49823742a0c
+++RECHTSPOPULISMUS
Rechte Polemik in der Öffentlichkeit: Gefährliches Zündeln
Die Empörung gegen die Letzte Generation folgt polemischen Logiken. Sie fördert ein Klima, das rechte Hetze und Gewalt normalisiert. Ein Gastbeitrag.
https://taz.de/Rechte-Polemik-in-der-Oeffentlichkeit/!5896926/
+++RECHTSEXTREMISMUS
Christian Fuchs: Razzia gegen «Reichsbürger»
Einer der grössten Anti-Terror Einsätze in der Geschichte Deutschlands: Spezialkräfte haben Razzien bei «Reichsbürgern» durchgeführt, die das politische System in Deutschland stürzen wollten. Christian Fuchs, Extremismus-Experte bei der «Zeit» ist zu Gast im «Tagesgespräch» bei David Karasek.
https://www.srf.ch/audio/tagesgespraech/christian-fuchs-razzia-gegen-reichsbuerger?id=12299437
-> https://taz.de/Von-Notz-Gruene-zu-Reichsbuerger-Razzien/!5901867/
-> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/anti-terror-aktion-gegen-reichsbuerger-afd-richterin-birgit-malsack-winkemann-soll-aus-dem-dienst-entfernt-werden-a-cfe99923-9a9c-4c4c-903d-215d664cdc3e
-> https://www.tagesspiegel.de/politik/wer-wusste-von-der-reichsburger-razzia-es-kann-sein-dass-die-polizei-nachste-woche-kommt-8996353.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afd-malsack-winkemann-razzia-reichsbuerger-100.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/reichsbuerger-szene-101.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/razzia-reichsbuerger-staatsstreich-geplant-105.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/reichsbuerger-rechtsextremismus-103.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169207.razzia-gegen-reichsbuerger-bka-rechtfertigt-zeitpunkt-von-razzien.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169190.terrorrichterin-reichsbuergerin-ohne-reich.html
-> https://www.srf.ch/news/international/antiterror-razzien-das-weiss-man-ueber-die-reichsbuerger-gruppe
Die österreichischen Freunde der deutschen Reichsbürger
2019 standen in Graz 14 Angehörige des staatsfeindlichen Staatenbundes vor Gericht, nach langjährigen Haftstrafen zog sich der Rest der Szene zurück – und tauchte auf Corona-Demos wieder auf
https://www.derstandard.at/story/2000141616232/die-oesterreichischen-freunde-der-deutschen-reichsbuerger?ref=rss
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
derbund.ch 08.12.2022
Razzien in Verschwörungsszene: Verhafteter Reichsbürger sieht für Schweizer Kinder tödliche Gefahr
Der ehemalige Bundeswehr-Offizier Maximilian Eder behauptet, Mädchen und Buben würden in der Schweiz über ein Tunnelsystem entführt und dann gefoltert.
Anielle Peterhans, Bernhard Odehnal
«Deutschland geht kaputt. Gehst du mit?», steht auf einer Tafel auf der Bühne. Doch der Mann hinter der Tafel spricht nicht nur über seine angeblich verlotterte Heimat. Er warnt auch vor dem Nachbarland Schweiz: Dort werde ein geheimes Tunnelsystem gebaut, um Kinder zu entführen, zu verstecken und zu foltern: «Wenn Sie von Erdbeben in der Schweiz oder im Schwarzwald hören, dann wissen Sie, dass wieder solche Gänge gebaut werden.» Die Spitzen aus Politik, Justiz und Wirtschaft seien an den Entführungen beteiligt. Wer das aber aufdecken wolle, der werde eliminiert.
Der seltsame Auftritt fand im Mai 2022 in Baden-Baden statt. Der Mitschnitt ist bis heute über das bei Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern besonders beliebte Videoportal «Bitchute» abrufbar. Auf der Bühne stand damals der ehemalige Oberst der Bundeswehr Maximilian Eder.
Diese Woche wurde der pensionierte Offizier Eder im Zuge einer Grossrazzia gegen die Reichsbürger im italienischen Perugia verhaftet. Er gilt als einer der Köpfe eines geplanten Umsturzes in Deutschland. Offenbar arbeitete er eng mit dem als «Staatsoberhaupt» vorgesehenen Heinrich XIII. Prinz Reuss zusammen. Reuss, Eder und 23 weitere Personen wurden am Mittwochmorgen festgenommen. Bei den gleichzeitigen Razzien in elf Bundesländern waren insgesamt 3000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz.
Eder befehligte ein Panzergrenadierbataillon, war auch in Kosovo im Einsatz. Dann aber glitt er immer mehr in die Querdenker-Szene ab. In seiner Rede im Mai in Baden-Baden sagt er stolz, dass er schon längst «eine rote Linie überschritten» habe, und kündigt wiederholt dramatische Ereignisse an. In derselben Rede gibt der ehemalige Offizier aber auch zu, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz die Justiz gegen ihn ermittelt. Die angefragten Staatsanwaltschaften wollten sich nicht zu mutmasslichen Verfahren äussern.
Angebliche Verschwörung von Satanisten
Eder spricht von «zwei Familien», die er beschützen müsse. Ein Fall wurde in der ganzen Schweiz bekannt: Das Solothurner Mädchen Nathalie und ihre Mutter behaupteten 2019, dass die damals 7-Jährige von ihrem Vater missbraucht worden sei. Behörden in der Schweiz und Deutschland ermittelten, kamen Anfang Mai 2022 jedoch zum Schluss, dass die Vorwürfe erfunden waren. Die «Basler Zeitung» recherchierte.
Die Querdenker-Szene in der Schweiz, Österreich und Deutschland griff den Fall Nathalie dennoch auf und konstruierte daraus eine angebliche Verschwörung von Satanisten, die kleine Kinder rituell schlachteten. Daran beteiligt seien «korrupte Beamte» aus Justiz, Polizei und Politik. Drei Wochen nach Einstellungen aller Ermittlungen gegen den Vater griff Maximilian Eder die Schweizer Justiz frontal an: Wenn dem Mädchen nun was passiere, «dann ist klar, wer verantwortlich ist».
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Der Auftritt von Maximilian Eder fand im Mai 2022 in Baden-Baden statt. Der Mitschnitt ist bis heute über das bei Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern besonders beliebte Videoportal «Bitchute» abrufbar.
Video: Tamedia – https://unityvideo.appuser.ch/video/uv447246h.mp4
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Im zweiten Fall beliess es der nun verhaftete Eder nicht bei rhetorischen Drohungen. Er handelte und brachte – wie er in seiner Rede selbst sagt – im Herbst 2021 einen damals 5-jährigen Jungen aus der Region Basel gemeinsam mit seiner Mutter über die Grenze in sein Haus im bayerischen Wald. Der Grund sei angeblich auch in diesem Fall der Vorwurf, dass der Vater das Kind sexuell missbraucht habe. Die Polizei fand dafür keinen Hinweis. Der Schweizer Vater erstritt das Sorgerecht, das Kind und sein mutmasslicher Entführer wurden von Interpol gesucht und nach über einem Monat in Bayern gefunden.
In seinen Reden vor der Querdenker-Szene berief sich der deutsche Ex-Soldat auch gern auf eine Schweizerin mit dem Pseudonym «Chantal Frei». Die Frau, die angeblich aus der Westschweiz stammt und die bei ihren Youtube-Auftritten nie ihr Gesicht zeigt, behauptet, sie sei seit ihrem sechsten Lebensjahr immer wieder Opfer von rituellen Folterungen geworden, durchgeführt von Staatsoberhäuptern und Prominenten. So sei sie unter anderem in London in Anwesenheit der Queen auf eine Streckbank gelegt worden.
Maximilian Eder hält das für «Realität»: vor allem in der Schweiz, denn da gebe es Tausende Bunker. «Da werden junge Frauen und Kinder festgehalten, an denen Politiker dann satanische Rituale begehen», behauptete er in seiner Rede im Mai. Schon damals kündigte er Aktionen gegen die Regierung an, gemeinsam mit «Kameraden mit militärischer Vorbildung». In seinem neuesten Video von Anfang Dezember verspricht Eder, noch vor Weihnachten zahlreiche «Beweise» für die angebliche Verschwörung der Eliten zu liefern. Seit Mittwochmorgen sitzt der Möchtegern-Putschist nun in Untersuchungshaft. Es gilt die Unschuldsvermutung.
(https://www.derbund.ch/verhafteter-reichsbuerger-sieht-fuer-schweizer-kinder-toedliche-gefahr-980609787621)
+++HISTORY
Wie weiter mit Schepenese? (ab 01:41)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/der-mit-dem-orient-express-hans-kaufmann-im-gespraech?id=12299524
+++BERN 2
derbund.ch 08.12.2022
Abgewiesene Asylsuchende: Warum Berhe Goytom die Stillhards wohl bald verlassen muss
Für gewöhnlich bleibt nur das Rückkehrzentrum. Ein Zuhause, wie es Berhe Goytom gefunden hat, ist die glückliche Ausnahme. Nun könnte er auch das verlieren.
Cedric Fröhlich
Als Berhe Goytom bei den Stillhards einzieht, richten sie ihm das Nähzimmer her. Seit drei Jahren lebt er jetzt beim Ehepaar in Wichtrach, in dessen Haus mit den weissen Fliesen und hölzernen Bücherregalen. Berhe nennt Stillhards seine «Schweizer Eltern», Iris und Paul sagen «Sohn» zu ihm. Sie haben einen hübschen Garten, einen grossen Küchentisch und ein Problem.
Wenn sich Berhe nicht bald auf der eritreischen Botschaft meldet, muss er ausziehen. Nicht dass die Stillhards das möchten, nein, das Gesetz schreibt es so vor.
Berhe Goytom ist 29 Jahre alt, und seine Erzählung beginnt, wie viele eritreische Geschichten beginnen: mit einer Flucht vor dem Militärdienst. Vor acht Jahren kam er hier an. Iris und Paul Stillhard – pensioniert und tiefgläubig – lernte er per Zufall kennen. Iris erteilte ihm Deutschunterricht. Sie nahmen ihn bei sich auf, auch weil Iris das System als «so willkürlich» empfindet, «so unfair».
Das System, in ihren Augen sind das die Migrationsbehörden und Gerichte. Sie sagen über Berhe, er erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht und müsse daher zurückkehren. «Die verschliessen die Augen vor meiner Realität», erwidert er und meint damit die Konfliktherde am Horn von Afrika, die Zwangsrekrutierungen, die Furcht vor dem autoritären Regime in der Heimat.
«Ich möchte arbeiten», sagt Berhe. «Ich kann nicht zurück.» Jüngst eröffneten ihm die Behörden, dass seine Zeit bei den Stillhards abläuft.
Um zu verstehen, wie das gekommen ist, ein paar Grundsätze.
Das eigene Zimmer als Ausnahme
Ein eigenes Zimmer, wie es Berhe gefunden hat, ist die Ausnahme. Die private Unterbringung ist primär abgewiesenen Familien vorbehalten und jenen, die seit Jahren hier festsitzen. Im Kanton Bern wohnen aktuell knapp 140 Menschen bei Privaten.
Für gewöhnlich leben abgewiesene Asylsuchende in Rückkehrzentren. Davon gibt es fünf im Kanton Bern. Es sind Parallelwelten, in denen ein Arbeitsverbot gilt und niemand Deutsch lernen oder eine Ausbildungen absolvieren darf. Hier soll die Einsicht reifen: Es ist besser, du gehst freiwillig.
Das ist gewollt und Teil eines grösseren Ganzen:
Im Februar kritisierte die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter die Bedingungen in den Berner Rückkehrzentren. Seither ist der Kanton um Besserung bemüht. Das entscheidende Problem wird er nicht lösen können: Wie soll ein Land mit jenen verfahren, die wieder gehen müssen? Wie damit umgehen, dass sich manche schlicht weigern zurückzukehren?
Weder Europa noch die Schweiz haben darauf eine Antwort. Die Ratlosigkeit führt einen an Orte wie Wichtrach. Denn die private Unterbringung fusst immer darauf, dass Menschen wie Berhe eine Iris und einen Paul finden. Auf zivilgesellschaftlichem Engagement.
Zwang zum Botschaftsgang
Der Kanton Bern hat per Anfang November erstmals eine klare gesetzliche Grundlage für die private Unterbringung geschaffen. Deren Befürworter wollten Härten in der bisherigen Praxis abfedern und dieses Engagement ein Stück weit würdigen. Darum bezahlt der Staat jetzt auch an Menschen wie Berhe die Nothilfe aus. Davor kamen die Privaten für die Untergebrachten auf.
Betroffene allerdings fürchten, wieder in den Rückkehrzentren zu landen, weil die Voraussetzungen strenger geworden seien. Die stehen nämlich jetzt schwarz auf weiss im Gesetz. Darunter: die aktive Mithilfe bei der Beschaffung von Ausreisepapieren. Verschiedene privat Untergebrachte – auch Berhe Goytom – berichten von einer neuen Passage in den Vereinbarungen mit den Migrationsbehörden. Da steht: «Sollten Sie unserer Aufforderung nicht nachkommen, wird die Vereinbarung nicht weiter verlängert.»
Sie beziehen sich auf folgenden Abschnitt:
https://cdn.unitycms.io/images/Cx9wvYbk4jR8qxpUhhlkg_.png
Für viele Abgewiesene birgt die Papierbeschaffung zwei Probleme: Erstens bietet ein gültiger Reisepass Angriffsfläche, er erleichtert eine Ausschaffung. Zweitens fürchten Betroffene den langen Arm ihrer Herkunftsstaaten, Repressalien für Familienangehörige in der alten Heimat – in China, im Iran oder in Eritrea.
Die Mitwirkungspflicht ist keine Erfindung des Kantons Bern. Sie steht so im nationalen Asylgesetz und stand in allgemeiner Form in den Vereinbarungen zwischen dem Kanton und den privat Untergebrachten. In der Praxis spielte die Papierbeschaffung bislang aber kaum eine Rolle, das sagen zumindest Leute wie Jürg Schneider.
Die explizite Verknüpfung der Wohnsituation mit der Mitwirkungspflicht sei eine «klare Praxisverschärfung», so Schneider. Er ist Mitglied der Aktionsgruppe Nothilfe, einer Organisation, die sich für Abgewiesene einsetzt. Für die, die in der «Sackgasse» sässen, wie es Schneider formuliert.
Von einem hoffnungslosen Fall zum nächsten
Schneider fährt einen silbernen Peugeot, und sein Glaube an dieses Land geriet 2015 ins Wanken. Es war Flüchtlingskrise, er unterrichtete in Niederscherli Geflüchtete. Ein junger Afghane zeigte ihm seinen negativen Asylentscheid. «Dabei war der Mann so klar politisch verfolgt.» Also schrieb er eine Beschwerde – und bekam recht.
Es sei seine Bürgerpflicht, den Mahnfinger zu heben, sagt Schneider. «Wir leben in einem Rechtsstaat, der inhaltlich vor allem im Asylwesen höchst problematisch agiert.» Er sei ein Befürworter von speditiven Asylverfahren, habe Mühe mit den Leuten, die ein «grenzenloses Hereinspazieren» propagierten. Aber er sei für Standards, die einem zivilisierten Land würdig seien.
Schneider dozierte einst Managementlehre an Fachhochschulen. Als Kind wuchs er mit Kriegswaisen aus Luxemburg, Belgien und Holland auf. Sein Vater führte in Gstaad ein Internat. Seither weiss er: «Mensch ist Mensch, basta!»
Heute ist er 78 Jahre alt und ständig unterwegs. Oft von einem hoffnungslosen Fall zum nächsten. Der Mann hat etwas Renitentes – er rüttelt am Grundsatz, der in die landläufigen Asylgesetze und Meinungen gezimmert wurde: wonach sich jedes Anklopfen in der Schweiz, jedes Gesuch abschliessend beantworten lässt. Mit einem Ja oder einem Nein. Bleiben oder gehen.
Aber Schneiders Welt und die seiner Klienten ist nicht schwarz, nicht weiss. Sie ist vor allem grau.
Der Iran, die Bibel, Gampelen
Auf dem Beifahrersitz blickt Mojtaba Pishevar – 44, Iraner, Lastwagenchauffeur – aus dem Fenster. Pishevar fand im islamischen Gottesstaat zur Bibel, wie er sagt. Das gab seinem Leben neuen Sinn und endete übel: Auch Pishevar floh, auch seine Gesuche wurden abgelehnt.
Seine private Unterbringung haben die Behörden im August beendet. Das macht ihn zu einem der wenigen, die bereits vor Inkrafttreten der Gesetzesrevision wegen mangelhafter Mitwirkung abgestraft wurden. Gemäss der kantonalen Sicherheitsdirektion kam das in den letzten Jahren insgesamt achtmal vor.
Pishevar hatte zwar seine «Shenasnameh», seine iranische Personenstandsurkunde, in der Schweiz vorgelegt. Die aber gilt nicht als Reisedokument. «Ich gehe nicht auf die iranische Botschaft, weil mein Leben im Iran in Gefahr ist. Ich fürchte mich vor dem Regime», sagt er. Pishevar lebt jetzt wieder im Rückkehrzentrum in Gampelen.
Gemäss Jürg Schneider sind mit der Gesetzesrevision viele private Settings «akut bedroht». Betroffen seien insbesondere Menschen aus dem Iran und Eritrea.
Das entspreche nicht der Idee, die am Ursprung der Gesetzesänderung gestanden habe, so Schneider.
«Das war einfach nicht richtig»
Walter Schilt – Schnauz, Berner Bär am Revers – sitzt allein in einer Bar in der Berner Altstadt. Der SVP-Grossrat ist ein durch und durch wertkonservativer Mensch. Anständiges Benehmen, korrektes Grüssen, gesunder Menschenverstand. «Darauf lege ich grossen Wert», sagt er. Und: «Wir haben ein Problem mit der Zuwanderung, es kommen zu viele.»
In seiner Partei ist er damit nicht allein. Trotzdem wurde der Mann zum Paria in den eigenen Reihen. Er stellte sich offen gegen seine Fraktion, die seit je restriktive Positionen vertritt, wenn es um Asyl, Migration und Integration geht. Schilt wollte, dass der Kanton die Nothilfe an die privat Untergebrachten auszahlt.
Mit seinem Vorstoss fing alles an. Das Gesetz war schliesslich ein klassischer Kompromiss, getragen von einer überparteilichen Allianz: Die Mitteparteien gaben die Richtung vor, die EDU zog mit, die Linke sowieso.
Walter Schilt ist es einst ergangen wie vielen, die Sympathien für Menschen entwickeln, die faktisch illegal in der Schweiz sind. Er hat sie kennen gelernt. Bei ihm waren es abgewiesene Frauen aus Tibet, die in Vechigen wohnten. Schilt war 14 Jahre Gemeindepräsident des Berner Vororts.
Die Frauen erhielten keine Nothilfe, weil sie privat untergekommen waren. «Das war einfach nicht richtig.» Es könne nicht sein, dass die einfach nur vor sich hin dümpeln dürften. «Die sind da, und alle wissen es, sie können nicht zurück.»
Schilts Reaktion ist recht typisch. Er ist hier geboren und hat verstanden, dass das eine doch recht glückliche Fügung des Schicksals war. Sitzt so einer einem Menschen gegenüber, der dieses Glück nicht hatte, überkommt es ihn fast zwangsläufig: das schlechte Gewissen.
Am liebsten hätte er die Tibeterinnen damals «la wärche», sagt Schilt. Und schiebt gleich nach: «Was nicht geht, schon klar.»
Sie hätten «Härten» abfedern, nicht das System unterlaufen wollen, fasst Schilt schliesslich zusammen. Ihm sei es nur um «die paar Fränkli» Nothilfe gegangen. Aber die private Unterbringung komplizierter zu machen, nein, das habe er nicht beabsichtigt.
Irgendwann malt er mit dem Finger Kreise auf die Zeitung vor ihm auf dem Tisch. «Sobald irgendwo ‹Flüchtlinge› draufsteht, bekommen wir es einfach nicht hin.»
Am System geschraubt
Die Mehrheit des Grossen Rats wollte mit der Revision das Schicksal der Berhe Goytoms und Mojtaba Pishevars etwas erträglicher machen, so viel lässt sich nach den Gesprächen mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern festhalten. Sie wollten den kleinen Handlungsspielraum, den der Bund den Kantonen gewährt, nutzen.
Hanspeter Steiner, EVP-Grossrat, war ein entscheidender Mann für die Gesetzesrevision. Angetrieben habe ihn vor allem die Situation von Familien mit kleinen Kindern. «Sie gehören in eine Wohnung, nicht in ein Asylzentrum.»
Man müsse jetzt genau hinschauen, ob sich die Situation für privat Untergebrachte tatsächlich verschärfe, so Steiner. Noch sei ja nichts passiert. Politisch könne man erst reagieren, wenn Menschen aus der privaten Unterbringung zurück in die Zentren geschickt würden.
Die SP-Grossrätin und Könizer Gemeindepräsidentin Tanja Bauer zieht ein angriffigeres Fazit: «Der Kanton missachtet den Willen des Parlaments», sagt sie. Verantwortlich macht sie dafür, wie Asylhelfer Jürg Schneider, den zuständigen Sicherheitsdirektor.
Fakt bleibt: Schilt, Steiner und Bauer, ja die Ratsmehrheit – sie alle haben der Revision zugestimmt. Und damit auch den Voraussetzungen, die sich jetzt als umstritten herausstellen.
Projektionsfläche Müller
Philippe Müller sagte einmal über sich, er spitze zu, weil man ihn sonst nicht wahrnehme. Meist ist das Kalkül, wenn er sich politischer Gegner oder unliebsamer Medienleute annimmt. Wenn er schon vor dem Einstecken mit Austeilen beschäftigt ist. In der Asylfrage aber wirkt es, als treffe ihn die Kritik persönlich.
Müllers Büro befindet sich an der Kramgasse, mitten in der Berner Altstadt. Von hier führt der Freisinnige seine Sicherheitsdirektion, die die neuen Artikel seit Anfang November umsetzt. Er sagt: «Wir verschärfen weder die Praxis, noch wollen wir die Privatunterbringung abschaffen.»
Der Vorwurf der Verschärfung sei geradezu grotesk, «ein Märchen». Die Pflicht zur Mitwirkung bei der Beschaffung der Dokumente sei nichts Neues. Die Privatunterbringung, Müller nennt sie ein Privileg, erhalte nur, wer bedürftig sei. Und mit den Behörden kooperiere.
«Früher riskierten jene, die nicht kooperierten, ebenfalls das Ende der Privatunterbringung. Genau wie heute.» Was denn konkret «schärfer» geworden sei?, fragt er. «Nichts», antwortet er sich selbst. Das alles sei reine Stimmungsmache der Asylorganisationen und bringe den Direktbetroffenen nichts.
Fakt bleibt: Sämtliche für diesen Artikel besuchten Abgewiesenen verfügen über keinen Reisepass. Sie wurden dennoch jahrelang privat untergebracht. Und allen wird nun der Abbruch angedroht.
Nach Müller wäre dies ohnehin geschehen: Die Praxis sei schon immer so gewesen. «Die Androhung erfolgte früher einfach mündlich.» Jetzt steht sie eben schwarz auf weiss in den Vereinbarungen. Ob es effektiv zum Abbruch komme, werde im Einzelfall geprüft und hänge von der Kooperation der Betroffenen ab.
Der Regierungsrat sieht die gesetzlichen Neuerungen als eine Präzisierung. Seine Gegner als das drohende Ende der privaten Unterbringung. Die Dissonanz ist letztlich auf das Dilemma zurückführen, das weder die eine noch die andere Partei lösen kann: Was tun mit jenen, die gehen müssen und trotzdem bleiben?
Müllers Antwort geht so: «Wer abgewiesen wird, der kann zurück. Denn das wird im Verfahren auf Bundesstufe ebenfalls geprüft.» Er ist kraft seiner Funktion ein Verfechter dieser Prämisse. Er lässt keine Grautöne zu, weil es das Asylsystem Schweiz ebenso wenig tut.
Beides macht ihn zur Projektionsfläche für den Frust, den Geflüchtete und ihre Unterstützer empfinden. Er erwidert: «Wem das Schweizer Asylrecht als zu streng erscheint, soll es auf demokratischem Weg und auf nationaler Ebene ändern.»
Ziel Belgien, Sackgasse Schweiz
Ali Keshavarz möchte, dass man ihn Alex nennt. Auch er ist Iraner, ein Abgewiesener und Konvertit. Er zeigt auf seinem Smartphone Powerpoint-Präsentationen, die er in Schweizer Kirchgemeindehäusern hielt. Er wohnte zunächst in einer grossen WG in Spiez, seit sechs Monaten lebt er mit seiner Partnerin in einer unauffälligen Wohnung in Hünibach. Einen gültigen Pass besitzt er nicht.
Keshavarz hatte den Behörden geschrieben, dass er «in Anbetracht der aktuellen Situation im Iran» und der Probleme, die er dort hatte, «wirklich nicht in der Lage» sei, auf die Botschaft zu gehen. Ali hat eine dreijährige Tochter aus einer früheren Beziehung. Seit er in Hünibach zum ersten Mal seit Jahren so etwas wie Privatsphäre habe, könne er seine Tochter endlich auch zu sich holen und Zeit mit ihr verbringen. «Sollte ich zurück ins Lager versetzt werden, dann verliere ich die Gelegenheit, sie betreuen zu können.»
Die Antwort des Berner Migrationsdienstes kam am 30. November: «Wir stellen fest, dass Sie bis heute keinen iranischen Reisepass bei uns eingereicht haben. Deshalb wird die Vereinbarung zur Unterbringung bei einer Privatperson nicht mehr verlängert.»
Alex Keshavarz stammt aus Shiraz, einer 1,5-Millionen-Stadt im Zentrum des Landes. Dort arbeitete er als Assistent an der Universität. Geflüchtet ist er laut eigenen Aussagen vor drei Jahren, weil er sich in einer Pause seinen Studierenden gegenüber abschätzig über das Regime geäussert hatte und dabei heimlich gefilmt wurde. Die Aufnahmen landeten beim Sicherheitsdienst der Hochschule. Die Schweizer Behörden glaubten ihm nicht.
Keshavarz erzählt von der Balkanroute, einer Infektion, hohem Fieber. Davon, wie er es bis nach Belgien schaffen wollte, wo seine Eltern und die Schwester leben, die ebenfalls geflohen sind. Alle drei erhielten in Belgien mindestens den Status von vorläufig Aufgenommenen, seine Schwester wurde eingebürgert. Er legt Fotos ihrer Ausweise vor.
Alex Keshavarz geriet 2018 bei der Durchreise in eine Polizeikontrolle. Die Beamten holten ihn aus dem Zug, sagten ihm, dass sie ihn nicht weiterfahren liessen. Er müsse sein Asylgesuch in der Schweiz stellen.
(https://www.derbund.ch/warum-berhe-goytom-die-stillhards-wohl-bald-verlassen-muss-884974401754)