Klagen im Mittelmeer, Licht in Amsterdam, Gesundheitszugang in Zürich

Lichterkette mit den Worten "Freedom of Movement for all" an einer Brücke in Amsterdam.
Lichterketten-Aktion in Amsterdam.

Was ist neu?

Mittelmeer: Anklage trotz Videobeweis, Anzeige gegen tatsächlich Verantwortliche, neue Fluchtroute über das östliche Mittelmeer

Während zahlreiche Menschen im Mittelmeer ertranken, werden in Griechenland weiterhin alltäglich Menschen kriminalisiert, die selbst auf der Flucht sind. Vor dem internationalen Strafgerichtshof wird nun endlich auch Anklage gegen die Verantwortlichen einer tödlichen Abschottungspolitik gefordert. Seit 2014 kamen 50’000 Menschen auf der Flucht ums Leben.

Knapp über der Wasserlinie überlebten drei Männer die elftägige Überfahrt von Nigeria nach Gran Canaria auf der Schiffsschraube eines Tankers.
Knapp über der Wasserlinie überlebten drei Männer die elftägige Überfahrt von Nigeria nach Gran Canaria auf der Schiffsschraube eines Tankers.

In Griechenland steht am Montag einmal mehr ein Mann vor Gericht, der angeklagt wird, im März 2020 ein Boot mit 28 Migrant*innen über die Ägais von der Türkei nach Griechenland gesteuert zu haben. Wie willkürlich diese alltäglichen Kriminalisierungen sind, zeigt sich an einer Besonderheit des Falls: Ein Video beweist, dass er das Boot nicht gesteuert hat. Deshalb kam der Mann bereits aus der Untersuchungshaft frei. Dennoch muss er vor Gericht erscheinen, wo ihm mehr als 60 Jahre Haft drohen.

Über das östliche Mittelmeer hat sich seit Beginn des Sommers eine neue Fluchtroute abgezeichnet. Vom Osten Libyens aus reisen Migrant*innen mit meist grösseren und sicheren Booten nach Süditalien. Vergangene Woche wurde eines dieser Boote mit fast 500 Menschen, darunter 130 Kinder und Jugendliche, vor Kreta entdeckt. Nach einem Notruf wurde das rostige Fischerboot von der griechischen Küstenwache an Land gebracht. Auch von diesen Menschen wurden sieben herausgegriffen, die nun des Schmuggels angeklagt werden. Die östliche Route über das Mittelmeer ist mit 1’200 km deutlich länger als die hoch frequentierte westliche Mittelmeerroute von Tripolis nach Sizilien. Dafür können die Migrant*innen den gefährlichen und weiten Landweg durch Libyen vermeiden.

Ein weiterer Vorteil der östlichen Mittelmeerroute: Bisher finden dort deutlich weniger Pullbacks durch die sogenannte libysche Küstenwache statt. Seit der Unterzeichnung des Italien-Libyen-Memorandums 2017 hat diese über 100’000 Migrant*innen auf See abgefangen und nach Libyen zurückgeschleppt. Gegen die Verantwortlichen dieser Politik haben das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und Sea-Watch am Mittwoch Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) eingereicht.

Diese bezieht sich schwerpunktmässig auf die individuelle strafrechtliche Verantwortung hochrangiger Entscheidungsträger*innen von EU-Mitgliedstaaten und EU-Agenturen im Zusammenhang mit zwölf dokumentierten Fällen von schwerer Freiheitsberaubung, die mit Abfangaktionen auf See zwischen 2018 und 2021 begannen, darunter der frühere italienische Innenminister Matteo Salvini und der ehemalige Frontex-Chef Fabrice Leggeri.

Das Abfangen von Booten und die anschliessende Rückführung von Migrant*innen nach Libyen sind keine Such- und Rettungsaktionen, die Leben retten. Stattdessen argumentiert das ECCHR in der Strafanzeige, dass diese Operationen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von schwerer Freiheitsberaubung darstellen, da sie Teil eines weit verbreiteten Systems der Ausbeutung sind, das sich gegen diese vulnerablen Gruppen richtet. Im vergangenen Herbst wurde bereits die Einleitung einer Untersuchung über die Verantwortung bewaffneter Gruppen, Milizen und staatlicher libyscher Akteure an Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Migrant*innen in Libyen gefordert.

Im November sind wieder zahlreiche Menschen auf der Flucht nach Europa ums Leben gekommen. Am 9. November sank ein Schiff mit 16 Menschen an Bord nur zwei Kilometer vor der tunesischen Küste. 10 Menschen wurden gerettet oder schwammen in Sicherheit, aber 4 andere werden noch vermisst. Bislang wurden 2 Leichen gefunden. Am 10. November ertranken drei Kinder, nachdem ein Schiff der tunesischen Küstenwache ein Boot mit Migrant*innen and Bord gerammt hatte. Am 14 November sank ein Boot bei schlechtem Wetter etwa 60 Kilometer vor der tunesischen Küste. Die tunesische Küstenwache sagte, sie habe zehn Menschen gerettet und vier Leichen aus dem Meer geborgen, zwei Menschen wurden nicht gefunden. Am 20. November starben mindestens vier Migrant*innen im zentralen Mittelmeer. Eine Gruppe von 13 Personen war in der algerischen SAR-Zone in Seenot geraten. Vier von ihnen starben beim Versuch, ein nahendes Rettungsschiff schwimmend zu erreichen, zwei werden vermisst. Es ist leider anzunehmen, dass wir von vielen weiteren Menschen nicht erfahren, die auf dem Mittelmeer in Seenot geraten und sterben. Seit 2014 gab es auf der Mittelmeerroute laut aktuellen Zahlen mindestens 25.104 Todesopfer, weltweit starben in diesem Zeitraum mehr als 50’000 Menschen auf der Flucht.

https://www.borderline-europe.de/unsere-arbeit/lesbos-weil-ihm-vorgeworfen-wird-das-boot-gesteuert-zu-haben-drohen-irakischem
http://www.infomigrants.net/en/post/45041/mediterranean-sea-migrant-boat-departures-from-eastern-libya-on-the-rise

https://www.infomigrants.net/en/post/45016/greece-7-egyptians-detained-on-suspicion-of-crewing-migrant-boat

https://www.ecchr.eu/en/press-release/das-abfangen-auf-see-von-gefluechteten-und-migranten-und-deren-rueckfuehrung-nach-libyen-sind-ein-verbrechen-gegen-die-menschlichkeit/

http://www.infomigrants.net/en/post/44764/four-dead-two-missing-after-migrant-boat-sinks-off-tunisia

https://europa.today.it/attualita/guardia-costiera-sperona-barcone-bambini-morti.html

https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/kuestenwache-vier-migranten-im-mittelmeer-gestorben,TNieLBl

https://www.tagesschau.de/ausland/europa/migration-fluechtlinge-mittelmeer-iom-todesfaelle-101.html
https://www.theguardian.com/world/2022/nov/28/migrants-travel-from-nigeria-to-canary-islands-balanced-on-ships-rudder

Rassismus in Grossbritannien: strukturell und alltäglich

Über das Lager in Manston, das nach einem Todesfall geschlossen wurde, kommt nun mehr ans  Licht: Fast hundert Jugendliche wurden dort einem Erwachsenenverfahren unterzogen. Anscheinend ignorierten oder veränderten Beamt*innen des Innenministeriums routinemässig die Altersangaben der Jugendlichen. Des weiteren tritt eine Angestellte des Königshauses wegen Rassismusvorwürfen zurück.

Die Antwort von Ngozi Fulani, dass sie aus Hackney im Osten Londons stammt, wurde nicht akzeptiert.
Die Antwort von Ngozi Fulani, dass sie aus Hackney im Osten Londons stammt, wurde nicht akzeptiert.

Nachdem sich ein Mann im Auffanglager in Manston bei Kent, UK, mit Diphtherie infizierte und nur wenige Tage später im Krankenhaus verstarb (sh. antira-Wochenschau von letzter Woche), wurde das Lager letzte Woche endlich geräumt. Bereits lange wurde es von aktivistischen Gruppierungen kritisiert. Es war massiv überbelegt, dem Wachpersonal wurde vorgeworfen, Drogen zu verkaufen und im letzten Monat hatte es einen Ausbruch von Diphtherie in dem Lager gegeben – mit tödlichen Folgen für den oben erwähnten Mann. In Grossbritannien gab es allein im letzten Monat fünfzig Fälle von Diphtherie in Asyllagern, obwohl es zumeist in einem Jahr nur um die zehn Fälle in ganz Grossbritannien gibt. Dies ist auf die horrenden hygienischen Bedingungen und die Überbelegung in Asyllagern zurückzuführen. Obwohl das Lager in Manston z.B. darauf ausgelegt war, Menschen zur sog. Identitäts- und Sicherheitskontrolle für 24h, maximal 5 Tage unterzubringen, waren viele Menschen wochenlang dort und schliefen in Zelten auf dem Boden.

Nun stellte sich zusätzlich heraus, dass das Personal des Innenministeriums im Lager in Manston auch routinemässig die Altersangaben von Jugendlichen ignorierte oder veränderte, sodass diese einem Erwachsenenverfahren unterzogen wurden.
Mindestens 92 Jugendlichen ist dies passiert, selbst wenn Fotos von Dokumenten vorlagen. Die meisten waren im Alter zwischen 15 und 17 Jahren. Und dies, obwohl das Innenministerium in einem Statement behauptet: “Wenn es Zweifel gibt, ob ein Antragsteller ein Erwachsener oder ein Kind ist, wird er an eine lokale Behörde verwiesen und als Kind behandelt, bis eine Entscheidung über sein Alter getroffen ist.“

Der britische Flüchtlingsrat konnte teilweise intervenieren und die Jugendlichen wurden in Obhut genommen. Eine Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats liess verlauten: “Dies ist ein Machtmissbrauch durch die Regierung. Diese Kinder sind sehr verletzlich und haben schon so viel durchgemacht.“ 16 von ihnen wurden zu dem Verfahren und zu dem Lager in Manston befragt: Ein Junge aus Afghanistan erzählt: “Ich habe so sehr geweint, aber sie haben es immer noch nicht rückgängig gemacht.“ Ein anderer berichtet, dass er im Lager von Erwachsenen angegriffen wurde. Ein Junge aus Syrien sagt: “Ich hatte noch nie so viel Angst wie in Manston.“ Ein anderer aus dem Sudan fügt hinzu: “Es ist der schlimmste Ort, an dem ich je war.“

Vor dem Hintergrund dessen, was an rassistischer Asylpolitik in Grossbritannien in den letzten Monaten durchgesetzt wurde, ohne dass ein breiter Aufschrei durch die Massen ginge, ist es erstaunlich und begrüssenswert, dass die britische weisse Adlige Susan Hussey als ‚Woman of Household’ zurückgetreten ist. Sie hatte auf einer Konferenz zu sexualisierter Gewalt die Schwarze Britin Ngozi Fulani mit Fragen gelöchert, wo sie und ihr ‚Volk’ denn wirklich herkämen. Hussey ignorierte weiter die Aussagen von Fulani, dass sie in Grossbritannien geboren sei.
Fulani, Gründerin der Londoner Frauen-Organisation ‚Sistah Space‘, kommentierte hierzu im BBC, sie habe sich unwillkommen gefühlt und das, obwohl sie sich in einem Raum aufhielt, „in dem Frauen sich gegenüber jeder Art von Gewalt sicher fühlen sollten.“
Obwohl es erstrebenswert und notwendig ist, dass Alltagsrassismus endlich auch Folgen für die Menschen hat, die ihn ausüben, wäre es ebenso angebracht, dass gegen die rassistische Asylpolitik Grossbritanniens genauso lautstarker Widerstand ausbricht.

https://www.theguardian.com/uk-news/2022/nov/27/child-asylum-seekers-detained-as-adults-after-uk-home-office-alters-birth-dates
http://www.infomigrants.net/en/post/45043/uk-reports-50-cases-of-diphtheria-among-migrant-arrivals
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/rassismus-vorwuerfe-gegen-buckingham-palast-18502425.html?xtor=EREC-7-%5BFruehdenker%5D-20221202&campID=MAIL_REDNL_AUDI_OWN_na_na_na_na_na_na_na_Fruehdenker-Ab

Was ist aufgefallen?

Pilotprojekt in Zürich: Zugang zu medizinischer Versorgung für alle!

Ein gebrochener Fuss, ein hartnäckiger Husten, chronische Rückenschmerzen: Um sicherzugehen, dass es allen in der Schweiz lebenden Menschen möglich ist, Verletzungen und Krankheiten, die eine medizinische Versorgung benötigen, behandeln zu lassen, wurde 1996 das Krankenkassenobligatorium eingeführt. Die Einführung des KVG (Krankenversicherungsgesetz) führte aber auch dazu, dass Menschen in prekären Lebenssituationen den Zugang zum Gesundheitssystem verloren.

Ein Pilotprojekt in Zürich soll es Sans-Papiers ermöglichen, auch das Stadtspital Triemli aufzusuchen.
Ein Pilotprojekt in Zürich soll es Sans-Papiers ermöglichen, auch das Stadtspital Triemli aufzusuchen.

In den meisten Kantonen ist beispielsweise ein Spitalaufenthalt nicht möglich, wenn die Person nicht krankenversichert ist. Der grösste Teil der in der Schweiz lebenden Personen ohne Krankenversicherung sind Sans-Papiers. Angst vor der Datenweitergabe an die Migrationsbehörden, unbezahlbare Prämien, fehlendes Wissen zum Zugang, administrative Hürden beim Abschluss oder drohende rückwirkende Prämienrechnungen führen dazu, dass höchstens 5% der Sans-Papiers versichert sind (Schätzung der Stadt Zürich). Die medizinische Unterversorgung hat tragische Folgen, wie eine Studie aus Genf zeigt: Rund 71% der im Kanton Bern lebenden Sans-Papiers weisen mindestens eine chronische Erkrankung auf. Und das in einem Kanton, in dem im schweizweiten Vergleich mit dem kantonal finanzierten Angebot CAMSCO der Zugang zu medizinischer Versorgung für Sans-Papiers einfacher sein sollte. In allen anderen Kantonen ist die Situation für unversicherte Sans-Papiers, Sexarbeiter*innen oder Menschen ohne festen Wohnsitz noch viel prekärer. Grundsätzlich muss der Staat die medizinische Versorgung aller gewährleisten – auch der Menschen, die illegalisiert werden. Das bedeutet auch, dass diese Menschen Anrecht auf eine obligatorische Krankenversicherung haben. Um dem gerecht zu werden und den bestehenden Notstand anzugehen, läuft in der Stadt Zürich seit Anfang Jahr ein Pilotprojekt, das sich an den Strukturen im Kanton Genf orientiert.

Bisher bestehen in Zürich wie in vielen anderen Städten in der Schweiz niederschwellige medizinische und soziale Anlaufstellen. Diese erbringen ihre Leistungen durch zivilgesellschaftliches Engagement von Freiwilligen in Vereinen und Hilfswerken. Das Projekt in Zürich soll durch eine Leistungsvereinbarung mit der medizinischen Anlaufstelle für Sans-Papiers “Meditrina” diese bestehenden Einrichtungen stärken und stabilisieren. Mit dem vorgesehenen Beitrag der Stadt könne laut “Meditrina” der Betrieb im aktuellen Umfang finanziert werden. Zudem ist es seit Anfang Jahr für Menschen ohne Krankenversicherung möglich, im Stadtspital Triemli behandelt zu werden, falls es das Ausmass der Behandlung erlaubt, auch ohne eine Versicherung abschliessen zu müssen. Wenn die Kosten nicht von den Patient*innen übernommen werden können, soll die Stadt bezahlen. Ab 2023 startet im Rahmen des Pilotprojekts ein mehrstufiger “geregelter Versorgungsprozess”.

Die erste Stufe ist eine niederschwellige, kostenlose medizinische Erstkonsultation in einer der bereits bestehenden Anlaufstellen in der Stadt oder im Spital. Bei Bedarf nach Folgekonsultationen werden Beratungsgespräche für den Abschluss einer Krankenversicherung und mögliche Prämienverbilligungen durchgeführt. Im Projektbeschrieb wird ausserdem betont, wie wichtig es ist, die Zusammenarbeit von medizinischen und sozialen Beratungen der verschiedenen Stellen zu verbessern, um die Menschen überhaupt auf das Angebot aufmerksam zu machen und um die gesundheitliche Situation der Patient*innen nachhaltig zu verbessern. Eine gute Zusammenarbeit des Netzwerkes ist laut der Beratungsstelle für Sans-Papiers Bern zentral: “Insbesondere wenn die Ursachen einer Krankheit durch die prekären Lebensbedingungen ausgelöst wurden, ist die Zusammenarbeit auf allen Ebenen unerlässlich. Nur so kann die krankmachende Prekarisierungsspirale durchbrochen werden.”

Diesen Gedanken konsequent zu Ende denkend, sind die Massnahmen der Stadt Zürich trotz allem nur Symptombekämpfung. Um den Zugang zu medizinischer Versorgung zu garantieren und die Lebenssituation von Sans-Papiers allgemein zu verbessern, braucht es eine Regularisierung des Aufenthaltsstatus, und zwar jetzt! Das Pilotprojekt in Zürich läuft noch zwei Jahre. Ob sich der Zugang zu medizinischer Versorgung für Sans-Papiers tatsächlich verbessert, hängt wohl stark davon ab, wie der an sich sehr vielversprechende Projektentwurf der Alternativen Linken konkret von der Stadt umgesetzt wird.            

https://www.stadt-zuerich.ch/gud/de/index/departement/medien/medienmitteilungen/2022/november/221128a.html   
https://www.gemeinderat-zuerich.ch/Geschaefte/detailansicht-geschaeft/Dokument/e8fa7929-a6c0-4b2f-aeb4-0aeea2f01f40/2020_0478.pdf
https://daslamm.ch/sans-papiers-angst-macht-krank/

Kopf der Woche

Schnegg: «Von wo kommen die Täter, von wo kommen die Opfer? Das sind Fakten»

Der Berner SVP-Regierungsrat Pierre-Alain Schnegg schürt fremdenfeindliche Ängste und bedient rassistische Klischees. Der weisse alte Mann erhält damit medial viel Aufmerksamkeit. Dabei wäre er für die Integration verantwortlich. Die Zusammenstellung seiner jüngsten Äusserungen und Vorschläge zeigt kaum Unterschiede zu den Diskursen von Meloni oder Le Pen.

Schnegg muss weg.
Schnegg muss weg.

Am Anfang steht die Panikmache: «Das Migrationssystem ist am Anschlag». Allgemein herrsche Dichtestress: «Die Schweiz kann es sich schlicht nicht leisten, jedes Jahr 200’000 Menschen aufzunehmen». Es sei zu eng hier: «Wir sind jetzt über 8 Millionen in der Schweiz. Ist es wünschenswert, dass hier bald 10 oder 12 Millionen Menschen leben? Sicher nicht.» Bereits heute würden die Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Verkehrsysteme aufgrund der Einwanderung an ihre Grenzen stossen.

«So viele Asylsuchende können wir uns nicht leisten», laute die “vernünftige” Schlussfolgerung. Der «gute Menschenverstand» verlange dringend ein migrationspolitisches Umdenken. «Wir müssen darauf hinarbeiten, dass die Leute nicht mehr kommen und dies klar deklarieren», fordert der Berner Integrationsdirektor. «Warum hat der Bundesrat beispielsweise das Resettlement-Programm noch im Oktober neu gestartet? Das war doch ein Fehler. Aber wir möchten halt gerne zeigen, welch gute Menschen wir sind.» Wer wie er Klartext spreche, werde fertig gemacht und als Rassist betitelt.

Die jetzige Integrationspolitik sei ein Fiasko. Wenn eine Person nach sieben Jahren in der Schweiz keinen Job habe, liege dies nicht etwa an Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, sondern allein an der Person und ihrem fehlenden Willen: «Wer gesund ist und nach so langer Zeit – trotz Vollbeschäftigung – noch immer keine Arbeitsstelle hat, der will doch einfach nicht arbeiten.» Dies gelte «absolut» und auch für Personen ohne oder mit schwachen Deutschkenntnissen.

Die Lösung sieht Schnegg in der Erhöhung des Drucks durch Freiheitsbeschränungen. Dies zeige die Reform des Berner Asylregimes vor einigen Jahren. Seither dürfen vorläufig aufgenommene Geflüchtete im Kanton Bern keine eigene Wohnung beziehen, wenn sie nicht ein A1-Sprachzertifikat und eine 60%-Stelle vorweisen können. Arbeitslose mit F-Ausweis bleiben somit – teilweise während Jahren – in entwürdigenden Asylcamps isoliert und blockiert. «Anerkannte» Geflüchtete sind von der Genfer Flüchtlingskonvention geschützt und dürfen nach dem Asylentscheid eine Wohnung beziehen. Dass nun offenbar vorläufig aufgenommene Personen häufiger als «anerkannte» Geflüchtete einen Job vorweisen, sieht Schnegg als Bestätigung seiner freiheitsbeschränkenden Integrationszwangs: «Man kann die Menschen bewegen.»

Warum Schnegg bereit ist, solche Ängste zu schüren und nicht-europäische Migrant*innen dermassen zu quälen, zeigt sich, wenn er darauf angesprochen wird, warum er nicht-euopäische Geflüchtete in den abgelegendsten Ecken des Kantons isolieren lässt und für Menschen aus der Ukraine im städtischeren Bereich Raum findet und teilweise neue Strukturen baut. Die vielen ukrainischen Frauen und Kinder wären sonst einer erhöhten Gefahr von sexuellen Übergriffen ausgesetzt: «Die Kriminalitätsstatistik ist doch eindeutig. Die Journalisten wollen darüber nur nicht schreiben. Aber nehmen Sie die Opferhilfestatistik. Von wo kommen die Täter, von wo kommen die Opfer? Das sind Fakten.»

Menschen nicht-europäischer Herkunft pauschal und herabsetzend als kriminelle Platzraubende zu brandmarken, ist rassistisch. Doch das arbeiten SRF, Bund und Co nicht heraus. So verfängt sich der Diskurs von Abschottung als Sachzwang und der strukturelle Rassismus erscheint einmal mehr unkommentiert in allen Medien – im Namen der Offenheit und des gesunden Menschenverstandes.

https://www.derbund.ch/so-viele-asylsuchende-koennen-wir-uns-nicht-leisten-890016991986
https://www.srf.ch/news/schweiz/asylsuchende-in-der-schweiz-berner-integrationsdirektor-migrationssystem-ist-am-anschlag

Was nun?

Petition unterstützen: Stopp Ausschaffungen nach Kroatien

Zahlreiche geflüchtete Menschen, Organisationen und Medien berichten von massiver Gewalt und rassistischen Drohungen durch die kroatische Polizei. Trotzdem will die Schweiz weiter nach Kroatien ausschaffen. Dublin – Ausschaffungen nach Kroatien müssen gestoppt werden – unterschreibe jetzt die Petition.

Das SEM ist Komplize der Polizeigewalt in Kroatien!
Das SEM ist Komplize der Polizeigewalt in Kroatien!

Eine dringende Petition an den Bundesrat, das Justiz- und Polizeidepartement und das Staatssekretariat für Migration fordert eine Änderung der Ausschaffungspraxis nach Kroatien. Unzählige schreckliche Berichte von Asylsuchenden, die aus Burundi, Afghanistan, Kurdistan und aus anderen Ländern oder Regionen fliehen, treffen jeden Tag in den Sprechstunden der Bleiberechtskollektive ein. Sie müssen angehört werden. Sie bezeugen die rassistische Gewalt und die Drohungen des kroatischen Staates gegenüber den geflüchteten Menschen. Ihnen droht die Gefahr von unrechtmässigen Pushbacks, gegen die bei verschiedenen internationalen Instanzen Klagen hängig sind. Weiterhin fehlt in Kroatien der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Asylsuchende

“Wir, Migrantinnen und Migranten sowie solidarische Menschen in der Schweiz fordern,

→ dass die Souveränitätsklausel für die Personen, die diese Gewalt erlitten haben, angewendet wird und dass Dublin-Rückführungen nach Kroatien sowie in andere Länder, die systematisch die Menschenrechte von Asylsuchenden im Sinne von Artikel 3 EMRK verletzen, sofort ausgesetzt werden;

→ dass alle Personen, die Asyl beantragen und sich in der Schweiz aufhalten, würdig aufgenommen werden und Zugang zu allen medizinischen Behandlungen haben, die sie benötigen, um sich nach den erlittenen Traumata erholen zu können;

→ dass der Bund eine unabhängige Kommission beauftragt, um die Gewalt zu untersuchen, die Personen, die derzeit in der Schweiz um Asyl ersuchen, in Kroatien erlitten haben;

→ Personen, die Asyl beantragen, müssen klare Informationen über ihre Rechte und einen umfassenden und transparenten Zugang zum Stand ihres Verfahrens haben.”

https://act.campax.org/petitions/stop-dublin-kroatien

Was schreiben andere?

Statement zur Schliessung des Bunkers in Allschwil

Erschütternde Bilder und Videos von Menschen, die in der Zivilschutzanlage Hagmatten in Allschwil leben mussten, kamen in den vergangenen Wochen an die Öffentlichkeit. Nun ist die Anlage aktuell nicht mehr belegt.

Ein Kommentar von 3 Rosen gegen Grenzen.

Der Bunker in Allschwil ist wegen schlechten Bedingungen geschlossen worden. Noch immer leben die Menschen im ältesten Bunker von Basel an der Bonergasse in Kleinhüningen so: Die improvisierte Dusche müssen sie sich mit 100 Menschen teilen, Shampoos und Tücher selbst organisieren. Internet und damit die lebenswichtige Kommunikation nach aussen wird nicht zur Verfügung gestellt. In jedem Raum werden ca. 30 Personen untergebracht, ein Arztbesuch bedeutet gleichzeitig, kein Mittagessen zu erhalten.
Noch immer leben die Menschen im ältesten Bunker von Basel an der Bonergasse in Kleinhüningen unter miserablen Bedingungen.

“Nach unserem Wissenstand wurde die Zivilschutzanlage (Bunker) Hagmatten in Allschwil in den letzten Tagen wieder geschlossen. Dies geschah nach starker Kritik aufgrund von Videos, Bildern und Statements aus der Unterkunft, die von dort lebenden Menschen veröffentlicht wurden.

Wir verurteilen die Zwei-Klassen-Strategie des SEM, in dem die Geflüchteten aus der Ukraine in relativ guten Bedingungen untergebracht und selbst die Unterbringung in Privathaushalte gefördert wird. Gleichzeitig werden Menschen aus anderen Regionen, die aus unterschiedlichen Gründen den Weg hierhin gefunden haben, in Lager und Bunker untergebracht und teilweise eingesperrt.

Wir sind der Ansicht, dass allen Geflüchteten eine wesentlich bessere und menschlichere Unterbringung als Lager und Bunker organisiert werden sollte. Das aktuelle rassistische Regime gehört abgeschafft, weil es zu grossen Leid und Retraumatisierungen führt.

Selbstverständlich freuen wir uns, dass die Menschen nicht mehr im Bunker Hagmatten leben müssen. Jedoch sind wir traurig und wütend darüber, dass sie in die halbe Schweiz verlegt und auseinandergerissen worden sind. Auch das ist eine Folge und ein Ziel der Lagerpolitik: Isolation der Geflüchteten voneinander und von der Bevölkerung. Die Praxis der Verlegung zielt auch darauf ab, politische Organisierung zu unterbinden und zu bekämpfen.

Der Bunker in Allschwil hat viel mediale Aufmerksamkeit genossen und ist deswegen geschlossen worden. Andere Bunker sind – wie z.B. der Notunterkunft-Bunker in Urdorf ZH – seit Jahren in Betrieb.

Auch der Kanton Basel-Stadt stellt dem SEM nach wie vor zwei Bunker im Kleinbasel zur Verfügung: Einen an der Neuhausgasse (IWB-Gelände) und einen an der Bonergasse 30. Die beiden Anlagen sind weiterhin geöffnet und Menschen müssen darin leben.

Unser Widerstand geht weiter! Bis auf dass alle Bunker und Lager geschlossen sind! #NoBunker #FightSEM”

https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=pfbid02RVZ16M2YYUr4yQchFCbgmr6WpMp2zeFUw2ckNmGWTLc2xsDpdqpNz9Pt3gUgNf8hl&id=100063625713191
https://twitter.com/3rosen/status/1597651727037394944
https://www.bazonline.ch/unterirdische-asylunterkunft-in-allschwil-aktuell-nicht-belegt-965104751203

Wo gabs Widerstand?

Antira-Lichterketten in Amsterdam

Personen aus dem Umfeld von Alarm Phone liessen in Amsterdam antirassistische Botschaften erleuchten. Auf Brücken schrieben sie mit Licherketten beispielsweise: “Bridges not Borders”, “No One is Illegal”, “Break Down Deadly Borders”. Damit erinnern sie daran, dass im Jahr 2021 mehr als 3’000 Menschen im Mittelmeer und im Atlantik starb. Die EU-Seegrenzen sind die tödlichsten Grenzen der Welt.

Bilderreihe: https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=pfbid02Yworqv784pjsLYUvgCXTckHQgMpbPqRnM1iKkAQKU1FzJqfWsN1t2nbiAFTrwzP5l&id=100064859584240

Was steht an?

Von Tripolis nach Genf: Bringen wir den Protest von „Refugees in Libya“ nach Europa!

09. – 10.12.22 I Genf
Vor einem Jahr hatten Tausende von geflüchteten Menschen mehr als 100 Tage lang vor dem UNHCR-Büro in Tripolis protestiert: Ein historischer Akt der Selbstorganisation unter härtesten Bedingungen. Anstatt zuzuhören und sich zu verbessern, kritisierte das UNHCR ihren Protest, ignorierte ihre Stimmen und schwieg angesichts der brutalen Räumung und Inhaftierung derjenigen, die ihre Grundrechte einforderten. Trotz der anhaltenden Repressionen und Drohungen bleiben die Forderungen von „Refugees in Libya“ bestehen und ihr Kampf geht in verschiedenen Formen weiter.
Um „Refugees in Libya“ in ihrem Kampf zu unterstützen und den Stimmen all jener Gehör zu verschaffen, die von einer Behörde, die sie eigentlich schützen sollte, ignoriert, bestraft und ungerecht behandelt werden, rufen wir zu zwei Aktionstagen vor dem UNHCR-Hauptsitz in Genf, am 9. und 10. Dezember 2022 auf.
https://unfairagency.org/call-to-geneva/

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Elephant in the Room #44 – No Borders Team about the developement at the polish-belarusian border
In this interview we are talking with people of the No Borders Team, an anarchist collective from Polans, about the situation at the polish-belarusian border in the past year.
https://a-dresden.org/2022/12/03/elephant-in-the-room-44-no-borders-team-about-the-developement-at-the-polish-belarusian-border/

«Das Ziel ist es, Furcht zu verbreiten»
Die Nato schweigt noch immer zum völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei gegen Nordostsyrien. Dabei spricht Präsident Recep Tayyip Erdoğan offen über geplante ethnische Säuberungen.
https://www.woz.ch/2248/krieg-in-rojava/krieg-in-rojava-das-ziel-ist-es-furcht-zu-verbreiten/%21MT8XSR35JTZV

How universities on Cyprus have joined the human trafficking game
The Republic of Cyprus is battling with a migrant influx which is overwhelming the small EU country’s resources. Now, a dubious higher education scheme in the north of the island has been found to be among the factors responsible for the trend. Human traffickers meanwhile are lining their pockets with the money of desperate foreigners.
http://www.infomigrants.net/en/post/44976/how-universities-on-cyprus-have-joined-the-human-trafficking-game