Medienspiegel 30. November 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++AARGAU
Geflüchtete mit Status F in Ausbildung oder Studium sollen keine Stipendien erhalten, findet das Aargauer Kantonsparlament. Eine deutliche Mehrheit stimmte gegen eine Forderung linker Parteien.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/schwerer-unfall-velofahrerin-in-seon-von-zug-erfasst?id=12295357


+++BASELLAND
Vorerst keine Asylbewerberinnen und -bewerber mehr in der Zivilschutzanlage in Allschwil (ab 04:09)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/weil-nur-noch-wenige-impfen-wollen-impfzentrum-pratteln-geht-zu?id=12295348


+++FRIBOURG
Freiburg bekommt neue Asylunterkunft. (ab 02:42)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/so-verzweifelt-suchen-emmentaler-firmen-nach-fachkraeften?id=12295660


+++ZÜRICH
Nicht behindertengerecht: Zürcher Gemeinde muss bei Asyl-Containern über die Bücher.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/oh-du-froehliche-weihnachts-shopping-zeit?id=12295360
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-gemeinde-muss-bei-asyl-containern-ueber-die-buecher-00200017/


+++SCHWEIZ
augenauf-Bulletin Nr. 112 Dezember 2022
https://www.augenauf.ch/images/BulletinProv/Bulletin_112_Dez_2022.pdf


Was weiter geschah: Schon wieder von KKS ausgetrickst
Seit Jahren schon äussern verschiedene Schweizer Städte den Wunsch, mehr Geflüchtete aufzunehmen. Und seit Jahren schon lassen Bund und Justizministerin Karin Keller-Sutter diese Bemühungen ins Leere laufen. Das jüngste Kapitel der Tragödie: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hatte auf Drängen der Städte hin eine Studie versprochen, um neue Möglichkeiten auszuloten. Man werde Massnahmen prüfen, «um die notwendigen Rechtsgrundlagen zur Unterstützung komplementärer Zugangswege schaffen zu können», hielt das SEM in einem Schreiben an den Städteverband fest.
https://www.woz.ch/2248/was-weiter-geschah/was-weiter-geschah-schon-wieder-von-kks-ausgetrickst/%21MPM4049W2EWD


Mehr Zivildienst-Einsätze zur Unterstützung in Bundesasylzentren
In den Bundesasylzentren des Staatssekretariats für Migration SEM wird angesichts der hohen Zahlen von Schutz- und Asylsuchenden dringend mehr Personal zur Betreuungsunterstützung benötigt. Das Bundesamt für Zivildienst ZIVI bietet daher von Januar bis April 2023 Zivildienstpflichtige (Zivis) auf, um knapp 140 Einsatzplätze zu besetzen. Dafür werden auch Zivis aus bereits aufgebotenen oder laufenden Einsätzen umgeteilt, die sie in anderen Tätigkeitsbereichen leisten.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-91997.html


Vorzeitige Zuweisung von Asylsuchenden an Kantone wird Mitte Dezember aufgehoben
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wird den Kantonen ab Mitte Dezember keine Asylsuchenden mehr vorzeitig zuweisen, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist. In den Bundesasylzentren stehen wieder genügend Unterbringungsplätze für neu eintretende Asylsuchende zur Verfügung.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-91995.html


+++SPANIEN
nzz.ch 30.11.2022

Spaniens Innenminister steht nach Gewaltexzessen am Grenzzaun von Melilla unter Druck

Im Sommer stürmten mehr als tausend Migranten den Grenzzaun der spanischen Exklave. Es kam zu Toten und vielen Verletzten. Nun fordert die Opposition in Madrid den Rücktritt des Innenministers.

Ute Müller, Madrid

Mehr als fünf Monate sind seit dem tragischen Massenansturm auf die Grenze der spanischen Exklave Melilla vergangen. Rund 1700 Migranten versuchten damals den sechs Meter hohen Zaun zwischen Spanien und Marokko zu überwinden, um so in die Europäische Union zu gelangen. Ein Grossteil schaffte es nicht, sondern wurde von Sicherheitskräften mit Gewalt zurückgedrängt oder zurückgeschafft. Mindestens 23 Menschen kamen bei dem Ansturm ums Leben, Hunderte wurden verletzt. Dies, nachdem es zu einer Massenpanik gekommen war.

Die spanische Regierung erklärte nach den Ereignissen, dass es keine Tote auf ihrem Territorium gegeben habe. Eine Erklärung, warum die am Boden liegenden Verletzten stundenlang keine medizinische Hilfe erhalten hatten, gab es ausserdem nie. Ebenso ungeklärt ist das Schicksal von 77 Migranten, die laut Menschenrechtsorganisationen noch immer vermisst werden.

Am Mittwoch musste der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska vor dem Parlament in Madrid nun zu den Vorfällen vom 24. Juni Stellung beziehen.

Pünktlich zum Auftritt des sozialdemokratischen Ministers veröffentlichte Spaniens führende Tageszeitung «El País» gemeinsam mit anderen europäischen Medien eine mehrteilige Rekonstruktion der Ereignisse. Diese widersprechen der Darstellung der spanischen Regierung und folgen auf eine Dokumentation des britischen Senders BBC, die Anfang November erschienen war.

So soll mindestens einer der 23 Toten, ein Sudanese namens Anwar, auf spanischem Boden gestorben sein. In dem Bericht erklärt einer seiner Freunde, wie Anwar nach einem Tränengaseinsatz nach Luft gerungen und von einem marokkanischen Soldaten einen Schlag in den Nacken erhalten habe. Am Boden soll er dann weiter geschlagen worden sein, bis er schliesslich tot war.

Es sind zahlreiche Zeugnisse dieser Art, die das brutale Vorgehen der Grenzbeamten aufzeigen und auch die europäischen Institutionen auf den Plan riefen. So erklärte die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, nach einem Besuch in Melilla diese Woche, dass Spanien den Verletzungen der Menschenrechte dort nicht weiter tatenlos zuschauen dürfe. Sie kritisierte die rechtswidrigen Pushbacks von Migranten, die dazu führten, dass diese keinen Asylantrag auf spanischem Boden stellen könnten, obwohl sie aus Krisenländern wie dem Sudan, dem Südsudan oder Tschad stammten.

Der Innenminister hält an der Regierungsposition fest

Trotz anderslautenden Recherchen mehrerer Medien bestritt Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska bei seinem Auftritt vor dem Parlament, dass Migranten im Juni auf spanischem Territorium ums Leben gekommen seien.

Vielmehr verteidigte er in einer 36-minütigen Ansprache erneut die spanischen Grenzwächter. Den Einsatz der Beamten bezeichnete er als angemessen, professionell und legitim. «Kein Land der Welt kann einen gewaltsamen Ansturm auf seine Grenzen hinnehmen.» Die Aktion sei organisiert gewesen, und viele der Migranten seien mit Knüppeln, Macheten und Steinen bewaffnet gewesen, als sie auf den Grenzzaun zumarschiert seien.

Mit Gewalt hätten sie sich Zugang zum abgesperrten Transitbereich verschafft. Der Beweislast der Bilder zum Trotz bestritt Grande-Marlaska, dass einer der Migranten auf spanischem Terrain zu Tode gekommen sei. «Wir reden von tragischen Vorfällen, die ausserhalb unserer Landesgrenzen stattfanden.» Der Innenminister ging auch nicht auf die Vorwürfe ein, dass die spanischen Beamten den verletzten Migranten keine ärztliche Hilfe gewährt hätten, obwohl ein Ambulanzfahrzeug ganz in der Nähe gestanden sei.

Doch der Auftritt im Parlament überzeugte die anwesenden Parteien wenig. So fordern neun Parteien einen Untersuchungsausschuss zu den Vorfällen. Darunter auch die katalanischen Linksrepublikaner von der ERC, die die Minderheitsregierung von Pedro Sánchez stützen. Die konservative Opposition hingegen will den Rücktritt des Innenministers, der bis jetzt jedoch die Unterstützung von Sánchez geniesst.
(https://www.nzz.ch/international/spanien-innenminister-wegen-ansturm-auf-grenzzaun-unter-druck-ld.1714797)


+++EUROPA
European politicians accused of conspiring with Libyan coastguard to push back refugees
NGO alleges ‘crimes against humanity’ in complaint to international criminal court
https://www.theguardian.com/world/2022/nov/30/european-politicians-accused-of-conspiring-with-libyan-coastguard-to-push-back-refugees


+++GASSE
Sucht und Armut : Das volle Paket
Mehr Tote, mehr junge Süchtige, mehr Arme in St. Gallen – Einrichtungen für Menschen mit Suchterkrankungen schlagen Alarm. Was ist da los? Ein Besuch in der Gassenküche.
https://www.woz.ch/2248/sucht-und-armut/sucht-und-armut-das-volle-paket/%21F80G0Z2KN4C3


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
DEFEND KURDISTAN – SMASH FASCIST REGIMES!
Am Sonntagabend zogen wir in einer lautstarken Demo zur türkischen, iranischen und irakischen Botschaft. Solidarität heisst Widerstand!
https://barrikade.info/article/5497


Basel: AXA ist Faschismusprofiteur: Eingehämmert!
Während die Angriffe des türkischen Faschismus auf Rojava weitergehen und auch die Giftgasbomben weiter fallen, müssen wir hier in Europa Druck aufbauen!
https://barrikade.info/article/5502


Das Communiqué zu der Platzbesetzung in Zürich
Gerne leiten wir das unterstehende Pressecommuniqué weiter – zur Aktion, die heute in Zürich stattfand.
Stoppt den Angriffskrieg der Türkei in Rojava und in den Bergen von Südkurdistan #YourSilenceKills
https://rojavaagenda.noblogs.org/post/2022/11/30/das-communique-zu-der-platzbesetzung-in-zuerich/
-> https://twitter.com/AgendaRojka
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/kurden-aktivisten-blockieren-albisriederplatz-in-zurich-66354426


«Angst ist berechtigt» – das droht Schweiz-Chinesen, die demonstrieren
Chinesen in der Schweiz haben Angst, sich öffentlich gegen die chinesische Politik aufzulehnen. Experten erklären, welche Konsequenzen ihnen drohen könnten.
https://www.20min.ch/story/angst-ist-berechtigt-das-droht-schweiz-chinesen-die-demonstrieren-880657232125


27 Klimaaktivisten vom Freiburger Kantonsgericht freigesprochen
Das Freiburger Kantonsgericht hat am Mittwoch in zweiter Instanz 27 Klimaaktivistinnen und -aktivisten freigesprochen. Sie hatten am Black Friday 2019 den Zugang zu einem Einkaufszentrum in Freiburg blockiert.
https://www.swissinfo.ch/ger/27-klimaaktivisten-vom-freiburger-kantonsgericht-freigesprochen/48099356


+++SPORT
Personalisierte Tickets für FCL-Fans entzweit Kantonsparlament
Der Luzerner Kantonsrat hat kein Patentrezept gegen Gewaltausbrüche im Umfeld von Matches des FC Luzern. Während viele in den personalisierten Tickets eine mögliche Lösung sehen, bezweifeln andere deren Wirkung.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/personalisierte-tickets-fuer-fcl-fans-entzweit-kantonsparlament?id=12295345


+++KNAST
Menschenrechte in Untersuchungshaft
Update zur Studie „Untersuchungshaft – Menschenrechtliche Standards und ihre Umsetzung in der Schweiz“ vom Mai 2015
Personen in Untersuchungshaft gelten als unschuldig. Ihre Freiheit darf nicht mehr eingeschränkt werden als unbedingt nötig. 2015 zeigte eine Studie des SKMR, dass dies in der Schweiz nur ungenügend umgesetzt wurde. Heute ist die Situation besser – zumindest in einigen Kantonen.
https://www.skmr.ch/de/themenbereiche/justiz/publikationen/update-menschenrechte-in-untersuchungshaft.html?zur=2


+++POLICE BE
Grosser Rat spricht Kredit: 343 Millionen Franken für neues Berner Polizeizentrum
Der Kanton Bern kann in Niederwangen ein neues Polizeizentrum bauen. Der Grosse Rat hat den Kredit über 343 Millionen Franken mit 113 zu 9 Stimmen angenommen.
https://www.derbund.ch/343-millionen-franken-fuer-neues-berner-polizeizentrum-513278925871
-> https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern-kann-polizeizentrum-fuer-343-millionen-bauen-148984153
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/ja-zu-343-millionen-franken-fuer-das-neue-berner-polizeizentrum?id=12295456
-> https://www.gr.be.ch/de/start/geschaefte/geschaeftssuche/geschaeftsdetail.html?guid=44d0e57e41a34a099cd9f149e35b9413
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/so-verzweifelt-suchen-emmentaler-firmen-nach-fachkraeften?id=12295660


+++POLIZEI BS
Eskalation nach Demonstration: (Polizei-)Gewalt an Frauen
Nach einem Gummischroteinsatz der Basler Polizei bei einer unbewilligten Demonstration landen mehrere Frauen im Spital, auch ein Polizist wurde verletzt. Ist das verhältnismässig? Nein, findet die Basta und reicht nun eine Interpellation ein.
https://bajour.ch/a/clb3o1knc158214054fn9nyw5vee/demonstration-gegen-gewalt-an-frauen-eskaliert


+++POLIZEI ZH
tagesanzeiger.ch 30.11.2022

Umstrittene Elektroschockgeräte: Linke verhindern mehr Taser für die Zürcher Stadtpolizei

Frontpolizisten in Zürich werden nicht mit Elektro­schock­geräten ausgerüstet. Eine Mehrheit im Stadtparlament hat einen SVP-Vorstoss versenkt – gegen den Willen der grünen Sicherheits­vorsteherin.

Martin Huber

Mit 72 zu 40 Stimmen hat der Gemeinderat am Mittwochabend ein Postulat von Walter Anken (SVP) und Samuel Balsiger (SVP) abgelehnt. Es verlangte, dass alle Stadtzürcher Frontpolizistinnen und -polizisten mit Elektroschockgeräten, sogenannten Tasern, ausgerüstet werden. Bis anhin führen nur die Mitglieder der Interventionseinheit die sogenannten «Destabilisierungsgeräte» mit sich.

Wenn mehr Polizeibeamte einen Taser mit sich tragen würden, liessen sich Schusswaffeneinsätze vermeiden, argumentierte Anken. Taser-Einsätze seien im Gegensatz zum Schusswaffeneinsatz nicht tödlich.

Weiter verwies die SVP darauf, dass auch die Kantonspolizei Zürich vermehrt auf Elektroschocker setze. Der frühere Stadtzürcher Polizeikommandant Daniel Blumer sei ebenfalls der Meinung, dass mehr Polizisten Taser tragen sollten, nicht nur Mitglieder der Interventionseinheit.

Warnung vor gefährlichen Waffen

Doch Grüne, SP und AL sträubten sich gegen die Aufrüstung. Sie kritisierten, die Elektroschockwaffen seien gefährlich, weil sich die Angegriffenen verletzen könnten. Und sie äusserten Bedenken, Taser würden bei einer Aufrüstung häufiger eingesetzt. Luca Maggi (Grüne) bezweifelte zudem, dass dank der Taser die Zahl von Schusswaffeneinsätzen bei der Stadtpolizei verringert werden könnte.

Reis Luzhnica (SP) warnte vor einer Verharmlosung: «Auch Taser können eine tödliche Waffe sein.»

Moritz Bögli (AL) befürchtete, die «Sicherheit der Menschen in der Stadt» werde mit der Taser-Aufrüstung verschlechtert. Die Hemmschwelle für den Gebrauch der Elektroschocker sinke, es drohten Verletzte oder gar Tote. «Wir brauchen eine Polizei, die deeskalierend wirkt», sagte Bögli.

FDP wirft Linken «Verantwortungs­losigkeit» vor

Andreas Egli (FDP) befürwortete das Postulat. Der Taser sei in bedrohlichen Situationen oft das einzige verbleibende sinnvolle Einsatzmittel. Der links-grünen Ratsseite warf Egli «Verantwortungslosigkeit» vor. Mit ihrer Haltung erschwere sie die Arbeit der Stadtpolizei, weil sie ihr die nötigen Einsatzmittel verweigere.

Auch Peter Anderegg (EVP) betonte, Polizisten müssten sich adäquat schützen können. Erfahrungen der Kantonspolizei zeigten, dass nur schon das Androhen eines Taser-Einsatzes oft nütze.

«Präventive Wirkung»

Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) war trotz Kritik aus den eigenen Reihen bereit, das Postulat entgegenzunehmen. «Wir möchten das Anliegen ernsthaft und genau prüfen.» Auf viele Fragen zum Taser gebe es keine einfachen Antworten. Das medizinische Risiko sei zwar sehr gering, aber es bestehe.

Aber der Taser habe in den meisten Fällen eine deeskalierende Wirkung, sagte Rykart. Gefährliche Situationen könnten rasch unter Kontrolle gebracht werden. Oft wirke der Taser rein präventiv, weil die mündliche Androhung bereits genüge. In dieser Hinsicht habe sich der Taser bewährt, sagte Rykart. Bei der Stadtpolizei seien derzeit 24 Taser im Einsatz.

Ja zu Polizeiwache mit Angebot für Opfer sexueller Gewalt

Mit 98 zu 13 Stimmen hat der Gemeinderat zudem ein Postulat der SP überwiesen, das eine eigene Anzeigestelle für Sexualdelikte und häusliche Gewalt fordert. Die Stadtpolizei soll auf einer ihrer Wachen eine solche Annahmestelle einrichten, wo ausgebildete Spezialistinnen bereitstehen.

Wer in Zürich eine Vergewaltigung anzeigen will, müsse bis anhin eine gewöhnliche Polizeiwache aufsuchen, sagte SP-Gemeinderätin Fanny de Weck. Dort herrsche womöglich gerade Hektik, und die Mitarbeitenden der Polizei, welche die erste Befragung durchführten, wiesen keine Spezialisierung im Bereich sexueller Gewalt auf. Diese Situation könne abschreckend auf Opfer wirken.

Das Postulat stiess auf breite Zustimmung, einzig die SVP war dagegen. Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) war bereit, den Vorstoss entgegenzunehmen, wies allerdings darauf hin, dass die Stadtpolizei bereits jetzt «sehr gut aufgestellt» sei bei dem Thema. Und sie erinnerte daran, dass die personelle Situation bei der Stadtpolizei derzeit sehr angespannt sei.
(https://www.tagesanzeiger.ch/linke-verhindern-mehr-taser-fuer-die-zuercher-stadtpolizei-711440516223)



nzz.ch 30.11.2022

«In den meisten Fällen haben Taser eine deeskalierende Wirkung», sagt die grüne Zürcher Stadträtin Karin Rykart – und unterstützt eine Forderung der SVP

Taser bleiben in der Stadtpolizei der Spezialeinheit vorbehalten. Die Linken befürchten, die Geräte könnten missbraucht werden.
Isabel Heusser

Am 27. Dezember 2015 kommt es in der Stadt Zürich zu einem folgenschweren Polizeieinsatz. Es ist sechs Uhr morgens, als nahe der Schmiede Wiedikon ein Äthiopier mit einem 25 Zentimeter langen Messer in der Hand auf eine Gruppe von Polizisten zurennt. «Kill me, kill me!» schreit der Mann.

Eine Ausnahmesituation. Insgesamt elf Mal wird einer der fünf Polizisten auf den damals 42-jährigen Angreifer schiessen, der Mann wird durch die Schüsse schwer verletzt. Später stellt sich heraus, dass der Äthiopier unter paranoider Schizophrenie leidet.

Der Polizist, der die Waffe gezückt hatte, muss sich später vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchte Tötung vor. Es folgt ein juristisches Hin und Her, bis das Obergericht den Polizisten schliesslich freispricht.

Noch während der Verhandlung stellt der Verteidiger des beschuldigten Polizisten eine entscheidende Frage: Warum trugen die Polizisten keine Taser auf sich, mit der sie den Angreifer ausser Gefecht hätten setzen können? Die Antwort: Weil bei der Stadtpolizei nur die Interventionseinheit mit Tasern ausgerüstet ist. Anders sieht es bei der Kantonspolizei aus. Im letzten Jahr hat die Kantonspolizei angekündigt, die Einsatzkräfte mit bis zu 191 neuen Tasern auszurüsten – auch bei der Regionalpolizei.

Der ehemalige Kommandant der Stadtpolizei Daniel Blumer sagte im Frühling vor seinem Abtritt zur NZZ, er wünsche sich mehr Taser für Polizisten. Im Gegensatz zu Schusswaffeneinsätzen seien Einsätze mit Tasern nicht tödlich.

«Milder als Schusswaffen»

Der Vorfall von 2015 hat eine Debatte über den Einsatz von Elektroschockgeräten ausgelöst. In der Politik sind sie umstritten. Ein Jahr, nachdem der Äthiopier auf die Polizisten losgegangen war, reichte die SVP im Stadtparlament einen Vorstoss ein mit der Forderung, Polizisten an der Front mit Tasern auszurüsten. Er scheiterte.

Am Mittwoch machte die SVP nochmals einen Anlauf mit dem gleichen Anliegen. Walter Anken, der den Vorstoss zusammen mit Samuel Balsiger eingereicht hatte, schilderte, wie er im September eine Nacht mit Angehörigen der Stadtpolizei unterwegs gewesen sei. Diese hätten sich klar gewünscht, mit Elektroschockpistolen ausgestattet zu werden. Für Anken ist das nachvollziehbar: Taser seien ein milderes Mittel als Schusswaffen und würden Täter wie auch Polizisten schützen.

Mit dieser Argumentation konnten die Linken nichts anfangen. SP, AL und Grüne lehnten den Vorstoss ab, die GLP ebenfalls. «Es gibt die Tendenz, dass Taser unterschätzt und verharmlost werden», sagte Reis Luzhnica (SP). Sie könnten eine tödliche Waffe sein. «Wenn man einen Taser hat, setzt man ihn auch ein. Deeskalation und Dialog würden leiden.»

«Tödlich naiv»

Worte, die bei den Bürgerlichen Unverständnis auslösten. «Zu glauben, dass man mit netten Worten einen Angriff abwehren kann, ist tödlich naiv», sagte Andreas Egli (FDP). «Das ist eine spezielle Form von Verantwortungslosigkeit.»

Der Stadtrat war bereit, den Vorstoss anzunehmen, wie Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) erklärte. Noch im Jahr 2016 hatte Rykart, damals Gemeinderätin, den Vorstoss der SVP abgelehnt. Nun sagte sie: «In den meisten Fällen haben Taser eine deeskalierende Wirkung.» Diejenigen Polizisten, die Elektroschockgeräte einsetzen dürften, seien entsprechend ausgebildet. Zudem seien Polizisten bei Einsätzen zur Verhältnismässigkeit verpflichtet.

Die Linken liessen sich allerdings nicht umstimmen: Der Vorstoss wurde abgelehnt.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-linke-wollen-weiterhin-keine-taser-fuer-die-stadtpolizei-ld.1714835)


+++POLIZEI AT
Polizei verrechnete Klimaaktivisten Kosten für Helikoptereinsatz
Die Aktivisten und Aktivistinnen stellten den teuren Helikoptereinsatz infrage. Der Kostenpunkt liegt laut der Letzten Generation bei über 1.550 Euro pro Person
https://www.derstandard.at/story/2000141360692/polizei-verrechnete-klimaaktivisten-kosten-fuer-helikopter-einsatz


+++RASSISMUS
„Wir wollen bei Personen in Machtpositionen ansetzen“
Das kürzlich erschienene Buch „No to Racism – Grundlagen für eine rassismuskritische Schulkultur“ soll Schulakteur*innen dabei befähigen, ein rassismuskritisches Klima in Bildungseinrichtungen zu etablieren. Was das genau bedeutet, erklären Tilo Bur und Mani Owzar im Interview.
https://daslamm.ch/wir-wollen-bei-personen-in-machtpositionen-ansetzen/


+++RECHTSPOPULISMUS
TOP TALK: Anti-Chaoten-Initiative
Müssen Aktivisten künftig Schäden selber berappen? Dies will die «Anti-Chaoten-Initiative» von der Jungen SVP Zürich. Im TOP TALK kommen der Präsident des Initiativkomitees und die gegnerische Seite zu Wort.
https://www.toponline.ch/tele-top/detail/news/top-talk-anti-chaoten-initiative-00200066/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Mehrfache Nötigung: Massvoll-Präsident Nicolas A. Rimoldi ist verurteilt
Das Bezirksgericht Luzern hat Massvoll-Präsident Nicolas A. Rimoldi unter anderem der mehrfachen Nötigung und mehrfacher Teilnahme an unbewilligten Demonstrationen schuldig gesprochen. Der 27-Jährige kündigt an, den Urteil weiterzuziehen.
https://www.zentralplus.ch/justiz/massvoll-praesident-nicolas-a-rimoldi-ist-verurteilt-2498681/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/luzern-gericht-verurteilt-nicolas-rimoldi-wegen-noetigung-der-corona-gegner-fuehlt-sich-nun-geehrt-und-gelobt-ld.2380824
-> https://www.derbund.ch/demo-anfuehrer-rimoldi-wegen-noetigung-verurteilt-195524064492
-> https://www.baerntoday.ch/schweiz/massvoll-anfuehrer-rimoldi-wird-schuldig-gesprochen-148984624
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/nidwaldner-parlament-bewilligt-veloweg-spart-aber-12-zentimeter?id=12295504 (ab 01:48)
-> https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/luzern/wegen-unbewilligter-demo-corona-skeptiker-nicolas-rimoldi-verurteilt-id18100896.html
-> https://www.zueritoday.ch/schweiz/massvoll-anfuehrer-rimoldi-wird-schuldig-gesprochen-148984624?utm_source=shared-whatsapp&utm_medium=shared&utm_campaign=Social%20Media
-> https://www.aargauerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/luzern-gericht-verurteilt-nicolas-rimoldi-wegen-noetigung-der-corona-gegner-fuehlt-sich-nun-geehrt-und-gelobt-ld.2380824
-> https://www.watson.ch/schweiz/coronavirus/898164504-luzerner-gericht-verurteilt-lautesten-coronamassnahmen-skeptiker-rimoldi
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/luzerner-gericht-verurteilt-demo-anfuhrer-rimoldi-66353960


+++HISTORY
Mumie Schepenese beschäftigt nun auch Politik (ab 04:13)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/finanzspritze-fuer-spitaeler-kantonsrat-bewilligt-160-millionen?id=12295462


Hippies, Hecht und Hermann-Stollen
Umfassend, dicht und reich bebildert: Mit der dokumentarischen Chronik Güllens grünes Gemüse liefert Jugendarbeiterin Simone Meyer das zeitgeschichtliche Grundlagenwerk über die Jugendkulturen der Stadt St.Gallen seit den 1960er-Jahren.
https://www.saiten.ch/hippies-hecht-und-hermann-stollen/


Die Streitbare – Wer hat Angst vor Alice Schwarzer? (Dokumentation)
Sie ist unbestritten die prominenteste und umstrittenste Persönlichkeit der deutschen Frauenbewegung. Als Emanze, Feministin Nummer eins wird sie gerne bezeichnet, mal respektvoll, mal kritisch. Ihre Verdienste um die Gleichberechtigung von Mann und Frau bestreitet kaum einer. Auch zu ihrem 80. Geburtstag bleibt ihr Anliegen aktuell. Seit 50 Jahren kämpft Alice Schwarzer für die Gleichberechtigung von Frau und Mann mit ihren Waffen – Sachkenntnis und Schlagfertigkeit, der Emma und mit Büchern, die Bestseller sind. Sexismus bekämpft sie seit den 70er Jahren, Porno und Prostitution sowieso, Kopftuch und Transsexualität, der Ukraine-Krieg sind ihre aktuellen Anliegen.
https://www.ardmediathek.de/video/alice/die-streitbare-wer-hat-angst-vor-alice-schwarzer-dokumentation/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2FsaWNlLzM0YWEzZTJhLTlmNWItNDgyNC04NzcwLWE4YjI5Y2FlYzNjNw


+++ANTI-WOKE-POPULISMUS
nzz.ch 30.11.2022

«Es war schon scheisse, die ganze Situation. Uns allen ging es nicht so gut deswegen»

Wegen eines unbeendeten Konzerts kam die Brasserie Lorraine zu zweifelhaftem Ruhm. Ein Blick auf die Geschichte eines Ortes, den es so nur in Berns Nordosten geben kann. Und ein Besuch in der Beiz, in der Uniformen verboten sind.

Nadine A. Brügger, Bern

Über dem Eingang steht in roter Farbe: «Wir gehen nicht unter in den Niederlagen, sondern in den Auseinandersetzungen, die wir nicht führen.» Der Spruch ist Programm – und dass das manchmal weh tut, hat die Brasserie Lorraine in diesem Sommer gelernt.

Der 18. Juli war ein sonniger Tag, es folgte ein heisser Abend. Vielleicht hätte man das Gewitter erahnen können, das bald über die «Brass» hinwegfegen sollte. Es mag eine gewisse Spannung in der Luft gelegen haben; die Band, die für das angesagte Montagskonzert gebucht war, sagte nämlich kurzfristig ab. Zum Glück wurde rasch Ersatz gefunden: «Lauwarm» sagte zu und spielte auf.

Musik und Militär

Lauwarm, das sind fünf junge, weisse Männer, die irgendetwas zwischen Mundartrock und Reggae machen. Zwei von ihnen tragen die langen blonden Haare zu Dreadlocks verfilzt. Das löste bei einigen Gästen in der Brasserie Lorraine Unwohlsein aus, wie sie in der Konzertpause den Beizern mitteilten.

Seither steht auf der Startseite von Lauwarm: «Bekannt geworden ist die Band durch den Vorfall in der Lorraine, Bern, wo ihr Konzert wegen des Vorwurfs von kultureller Aneignung abgebrochen wurde. Der Vorfall wurde über Nacht weltweit heiss diskutiert.»

Kurz darauf wollten einige Militärangehörige nach einer Weiterbildung in der Kaserne Bern auf ein Bier in den Garten der «Brass». In Uniform wird man dort aber nicht bedient. «Rassismus, Sexismus und Uniformen sind unerwünscht», steht auf der Website der Brasserie. Dieser Vorfall wiederum verleitete eine Handvoll national bekannter SVP-Politiker dazu, sich ebenfalls in die «Brass» zu begeben, um dort nicht bedient zu werden.

Die Lorraine ist ein Dorf

13. Oktober: Mail-Anfrage in Bern, man würde gerne mit den Beizern sprechen.

17. Oktober: Kurzes Nachfassen, ob sie die Anfrage in Bern bereits gelesen hätten.

Die Brasserie ist ein Kollektiv von Ideologen, die den Restaurationsbetrieb gemeinsam führen, die Bier zapfen und vegane Pasta kochen. Und manchmal Konzerte veranstalten. Keine Gruppe von Kommunikationsfachleuten. Also Geduld.

Der Ausländeranteil in der Lorraine ist hoch, ebenso jener von Familien und jungen Leuten, die lange Zeit vom günstigen Wohnraum profitierten. An Balkonen und unter den Fenstern flattern politische Botschaften im Wind. Die violette Fahne mit der geballten Faust des Frauenstreiks, die Regenbogenfahne für Peace und Gay-Pride, Gletscherinitiative oder No-Frontex. Fast jedes Haus hat mindestens ein Graffito abbekommen. Die meisten mehr. Vor den Haustüren stehen Fahrräder, viele mit Körbli und Kindersitzen, nicht alle abgeschlossen.

Das Lorraine-Quartier ist eigentlich ein Dorf: Man kennt sich auf diesem Flecken, der so klar begrenzt ist, von der Aare auf der langen und den grossen Strassen auf den übrigen Seiten. «Die Lorraine ist wie ein Mini-Berlin», sagt Marek Wieruszewski, der viele Jahre in Deutschlands Hauptstadt gelebt hat. Jetzt arbeitet er beim Solidaritätsnetz Bern, einer Anlaufstelle für Migrantinnen, die ihren Sitz in der Lorraine hat, direkt gegenüber der Brasserie. «Die meisten sind hier links, multikulti», sagt er. Und die Brasserie Lorraine, die gehöre unbedingt mit dazu. «Hilfsbereite Leute, sehr solidarisch.»

24. Oktober: «Liebes Brasserie-Team, ich wollte noch ein zweites Mal nachfragen, ob ihr bereit wärt, für einen Text in der NZZ mit mir zu sprechen.»

Von der Sinwel-Buchhandlung über den Quartier-Leist und die zahlreichen Cafés bis zum direkten Brasserie-Nachbarn, dem Restaurant La Carbonara, ist man sich einig: Das sind gute Leute in der «Brass». Irgendwie dumm gelaufen, das mit dem Konzert. Aber seit man in der Lorraine gehört hat, dass die Band auch für die «Weltwoche» aufgetreten ist, ist das mit dem Mitleid mit Lauwarm irgendwie durch.

Von Kukuz bis Zaffaraya

26. Oktober: Erfolgreicher Anruf in der Brasserie. Man habe die Mail womöglich bewusst übersehen. Man sei von allem etwas überfordert gewesen. Aber eigentlich klinge der Vorschlag, einmal zu erzählen, was für ein Ort die Brasserie überhaupt sei, nicht schlecht. Nur: Eine Person allein könne nicht für das Kollektiv entscheiden. Man werde sich besprechen – und sich melden.

Seit die Brasserie vor 41 Jahren eröffnet hat, wird sie von einem Kollektiv geführt. Die Kompliziertheit hat Tradition. Sie wurzelt in der Berner Jugendbewegung der achtziger Jahre. Junge Menschen forderten mehr Freiheit, mehr Raum und neue Strukturen. Sie wollten die Reitschule unterhalb des Berner Bahnhofs als autonomes Zentrum für sich und besetzten das Gaswerkareal im Marzili-Quartier, direkt an der Aare. Ein Zelt- und Wagendorf wurde aufgebaut und das «Freie Land Zaffaraya» ausgerufen.

Dagegen nimmt sich die Gründung der Genossenschaft Kulinarisches Kulturzentrum (Kukuz) im Jahr 1979, die eine Liegenschaft in Berns Nordosten erwarb und dort die Brasserie Lorraine installierte, geradezu gutbürgerlich aus. Selbst wenn das Restaurant «kollektiv, auf der Grundlage der Selbstverwaltung und in gemeinsamer Selbsthilfe der Mitglieder zu führen» sei. So wurde der Zweck der Genossenschaft Restaurant Brasserie Lorraine 1983 im Handelsregisteramt des Kantons Bern festgeschrieben.

Kurz darauf allerdings kam es zur ersten grossen Spaltung: «Die einen wollten kommerzieller wirtschaften, die anderen kollektiver», erinnert sich Jeanne Allemann, die dem Kollektiv vier Jahre nach der Gründung 1981 beitrat. Gewonnen haben die Kollektiven. «Wenn ich heute ab und an wieder in der ‹Brass› sitze, dann habe ich das Gefühl: Das hat sich auch nicht mehr geändert», sagt sie.

Darum hat sie der Konzertvorfall insgeheim auch gefreut. Er zeigt: «Die ‹Brass› ist jetzt noch genauso politisch, wie wir es damals waren.» Damals, als es etwas Besonderes war, in Hosen arbeiten zu dürfen: «In dem Tea-Room, in dem ich davor neben meiner Ausbildung zur Sozialpädagogin gekellnert hatte, wurde ich dafür vom Chef nach Hause geschickt.»

Auf Besuch in Bern

27. Oktober, erneuter Anruf in der Brasserie: «Konntet ihr euch besprechen und euch entscheiden?» Das Kollektiv tendiert zu einem Ja. Aber: Man will nach all der schlechten Presse diesmal alles richtig machen. Also Besprechung im Gesamtkollektiv.

Das Treffen im grossen Kreise findet aber erst ein paar Tage später statt. Die Journalistin ist mittlerweile in den Ferien – das Kollektiv hat also zwei Wochen Zeit, sich zu besprechen. Entscheid allerdings fällt keiner. Das Kollektiv hätte noch Fragen.

Nach den Ferien liegt eine Mail im Zürcher Postfach: «Verstehe, wenn du jetzt vielleicht ein wenig genervt bist von uns.» Man habe nur alle zwei Wochen eine Sitzung, an der auch grosse Entscheide getroffen werden könnten. «Das Hinhalten war in dem Sinn nicht böswillig gemeint, sondern halt auch unseren Strukturen geschuldet.» Man sei wirklich nicht grundsätzlich gegen ein Gespräch. Im Gegenteil. Aber: «Durch die Erfahrungen, die wir in den letzten Monaten mit den Medien gemacht haben, sind wir verunsichert.» Man bespricht sich erneut.

14. November: «Wir machen mit. Wänn chunsch?»

15. November, Bern. Abends ist die Lorraine ein dunkles Quartier. Vor der Tür der Brasserie steht eine Frau, den Hund an der Leine, die Zigarette in den letzten Zügen. Aus einem Fenster fällt Licht auf die Strasse. Am Tisch dahinter sitzt eine fröhliche Männerrunde, Jasskarten in den Händen.

Drinnen hängt ein Kronleuchter von der Decke. In den Zeitungsständern ist die Auswahl bunter als an manchem Kiosk. In der Gaststube riecht es nach Essen. Zum Gespräch geht es in einen ruhigeren Raum. Auf dem Tisch dampft ein Zitronen-Ingwer-Tee.

Die Kollektiv-Mitglieder sind etwas nervös. Das legt sich erst, als sie davon erzählen, wie das so ist: im Kollektiv arbeiten. «Es braucht Selbstdisziplin, weil dir niemand sagt, was du zu tun hast», sagt jemand. Wer im Service oder in der Küche arbeitet, macht vielleicht zudem die Buchhaltung, zahlt die Löhne, organisiert einen Konzertabend – oder bearbeitet Medienanfragen.

In der «Brass» wird erwartet, dass alle anpacken. Was nicht erwartet wird, ist, dass man sich verstellt: «Wenn man mal einen schlechten Tag hat oder ein Gast sich schwierig verhält, dann müssen wir nicht so tun, als wäre alles gut.» Denn die Brasserie hat die Monarchie abgeschafft: Der Kunde ist nicht König – hier sind erst einmal alle gleich. «Es kommt immer auf das Verhalten an. Wir haben unsere Grundsätze, und danach handeln wir.» Auch wenn die SVP kommt?

«Wir fragen unsere Gäste nicht nach ihrer politischen Gesinnung. Aber als Erich Hess, Thomas Aeschi und die andern da waren, haben wir die halt erkannt. Und sofort gewusst, dass sie gekommen sind, um zu provozieren – und nicht, um einfach etwas zu trinken bei uns. Oder sogar das Gespräch zu suchen.»

Dabei sei man für Gespräche schon offen. Meistens. «Wir haben nach dem Lauwarm-Konzert und all den Medienberichten dazu viele Hassnachrichten bekommen. Und auch Drohungen. Das hat uns teilweise Angst gemacht. Bei denen, die einigermassen nett geschrieben oder gefragt haben, wollten wir aber erst trotzdem immer antworten. Aber irgendwann ist es uns komplett über den Kopf gewachsen. Und da haben wir beschlossen, dass wir uns auch selber schützen müssen.»

Die Fehlerkultur der «Brass»

Dabei war der erste Gedanke nach dem Konzert: Darüber müsse jetzt geredet werden. «Wir leben eine Fehlerkultur, hier in der ‹Brass›. Wenn etwas schiefläuft, ist das kein Problem, sondern eine Möglichkeit, etwas zu lernen oder über ein Thema nachzudenken.»

Ausserhalb der «Brass» allerdings scheine es anders zu sein. «Was uns überrascht hat, war, dass offenbar alle sofort wussten, was richtig oder falsch ist. Obwohl die meisten weder genau wussten, was passiert ist, noch, um was es eigentlich ging.»

Ärgerlich findet das Kollektiv vor allem, dass schliesslich meistens gar nicht über die Sache, nämlich die kulturelle Aneignung, diskutiert wurde. «Als wir mit der Kritik aus dem Publikum konfrontiert wurden, wollten wir das Konzert deswegen nicht gleich abbrechen. Wir wollten bloss in der Pause mit der Band darüber sprechen.» Die Band wiederum habe dann mit jenen sprechen wollen, die sich unwohl gefühlt hätten. Nur: Die waren bereits weg. «Danach war die Stimmung sowohl bei uns als auch bei der Band futsch, und es wäre komisch gewesen, wenn das Konzert nach der Pause weitergegangen wäre. Darum haben wir gemeinsam beschlossen, nach der Pause nicht weiterzumachen.»

Hass und Häme

Wenn das Kollektiv noch einmal zurück könnte: Würde es die Bedenken seiner Gäste erneut direkt an die Band weitergeben? Und danach auf Social Media zur Diskussion laden? Man überlegt. Dann hätte es all die Geschichten, all die Häme, den Hass und die Drohungen nicht gegeben.

«Es war schon scheisse», sagt ein Mitglied, «also die ganze Situation. Uns allen ging es nicht so gut deswegen.» Stille. «Aber wir haben auch sehr viel gelernt. Vor allem über das Thema selber, aber auch darüber, wie man vielleicht besser hätte kommunizieren können.» Verhaltenes Lachen, gelöster jetzt, zumindest ein bisschen.

Dann sagt ein anderes Mitglied: «Das sind halt unsere Werte: Wir wollen, dass die Leute sich nicht diskriminiert fühlen bei uns.» Erneut eine Pause. «Und wir finden es gut, dass das Thema nun im öffentlichen Bewusstsein ist.» Blicke werden ausgetauscht. «Ja, doch», sagt jemand, «wir würden es wieder genau gleich machen.» Aus der Gaststube hört man Menschen reden und Gläser klingen. Die «Brass» ist gut gefüllt an diesem Dienstagabend.
(https://www.nzz.ch/feuilleton/zur-brasserie-lorraine-das-konzert-der-ort-die-ueberforderung-ld.1706747)