Medienspiegel 22. November 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Asylwesen: Im Weier i.E. wird ein Wohnheim für unbegleitete Minderjährige eröffnet
Die Anzahl der eingereichten Asylgesuche in der Schweiz ist stark zunehmend. Der Anteil an unbegleiteten Minderjährigen nimmt dabei proportional besonders zu.
Es ist geplant, im Dezember am Standort Kreuzgässli 3 im Weier i.E. ein neues Wohnheim für unbegleitete Minderjährige zu eröffnen. Der Gemeinderat der Gemeinde Affoltern im Emmental wurde durch die verantwortlichen Personen des Amtes für Integration und Soziales (AIS) der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern über die aktuelle Ausgangslage informiert. Das vorgesehene Wohnheim wird Platz für bis zu 30 unbegleitete Minderjährige bieten.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=1f0c15c9-fb34-47e1-ad2c-ad10404270fe
-> https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/kanton-schafft-platz-fuer-minderjaehrige-asylsuchende-im-emmental-148854877
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/grenzerfahrung-im-berufsalltag-was-macht-das-mit-uns?id=12290674
-> https://www.bernerzeitung.ch/platz-fuer-30-minderjaehrige-asylsuchende-in-affoltern-107920344047


Asylsuchende in Sumiswald: Gemischte Gefühle bei der Bevölkerung
Im Freizeit- und Sportzentrum Sumiswald sollen ab nächstem Februar rund 240 Asylsuchende untegebracht werden. Gestern Abend informierten die Behörden die Bevölkerung. Diese schaut dem neuen Asylzentrum mit gemischten Gefühlen entgegen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/asylsuchende-in-sumiswald-gemischte-gefuehle-bei-der-bevoelkerung?id=12290209
-> https://www.neo1.ch/artikel/sumiswald-infoanlass-zu-integrationszentrum-im-forum



derbund.ch 22.11.2022

Asylsuchende im ForumEinquartierung von Geflüchteten weckt in Sumiswald Kritik

Dass in einen Teil des Forums Asylsuchende einziehen werden, bringt in der Gemeinde viele auf – auch weil sie die Schliessung des Hallenbads noch nicht verschmerzt haben.

Susanne Graf

Die Medienmitteilung schlug in Sumiswald ein wie ein Blitz: Vor rund 10 Tagen teilte der Verwaltungsrat der Forum Sumiswald AG zusammen mit dem Kanton Bern mit, dass ein Teil des Kurs- und Sportzentrums in eine Kollektivunterkunft für Asylsuchende umfunktioniert werde. Gegen 240 Frauen, Männer und Kinder sollen darin Platz finden.

Das versetzte einen grossen Teil der Bevölkerung in Aufregung, wie sich an einer Informationsveranstaltung zeigte. Über 400 Personen kamen ins Forum, um Fragen zu stellen – und Ärger loszuwerden. Denn vor zwei Jahren sagte das Sumiswalder Stimmvolk Ja zu einem zinslosen Darlehen von 850’000 Franken und konnte so den Konkurs des Zentrums verhindern.

Aber nun jagt eine schlechte Nachricht die andere. Zuerst wurde bekannt, dass das Hallenbad zugeht – wegen der stark gestiegenen Stromkosten. Dann hiess es, auch der Hotelbetrieb werde geschlossen. Nur Kletterwand, Kegelbahn, Sporthalle und Auditorium können weiterhin genutzt werden. Dass nun ab 1. Februar 2023 Asylsuchende einquartiert werden, empfinden viele hier als weitere schlechte Neuigkeit.

Die Sumiswalderinnen und Sumiswalder kamen mit einem Kratten voll Fragen ins Forum. Hier die 11 wichtigsten:
1) Wer hatte die Idee?

Es war Claudia Rindlisbacher, die Regierungsstatthalterin der Region Emmental, die bei der Forum Sumiswald AG anklopfte mit der Frage, ob die leer werdenden Hotelzimmer für Asylsuchende umgenutzt werden könnten. Der Verwaltungsrat habe dann mit dem Besitzer eines ähnlichen Zentrums in Huttwil gesprochen und gehört, «dass es dort recht gut läuft», sagte Präsident Hans Grunder. Relativ schnell habe sich gezeigt, dass das eine Lösung wäre, die dem Kanton bei der schwierigen Suche nach genügend Unterkünften ebenso diene, wie sie den Forumverantwortlichen Luft verschaffe. Denn dank der Zwischennutzung habe der Verwaltungsrat nun drei Jahre Zeit, die Zukunft der Sportstätte zu planen.
2) Warum wurde die Bevölkerung nicht in den Entscheid einbezogen?

Das Forum gehört einer privaten AG, in der die Gemeinde Sumiswald zwar mit 36,6 Prozent die grösste Aktionärin ist, aber nicht das Sagen hat. «Wir fühlen uns in der Pflicht und spüren Druck vom Bund, auch im Emmental Asylsuchende aufzunehmen», sagte Gemeindepräsident Fritz Kohler (EDU). Der Vertrag für die Kollektivunterkunft wurde zwischen dem Kanton Bern und der Forum Sumiswald AG abgeschlossen.

3) Wer entscheidet in drei Jahren, ob der Vertrag allenfalls verlängert wird?

«Das läuft wieder so wie jetzt», sagte Hans Grunder – was mit lautstarkem Murren quittiert wurde. Grunder versicherte jedoch, dass der Verwaltungsrat das klare Ziel anstrebe, aus dem Forum wieder eine Sportstätte zu machen. Ob es wieder ein Hallenbad geben werde, hänge aber davon ab, ob die umliegenden Gemeinden bereit seien, sich finanziell zu beteiligen.

4) Wer streicht die Miete ein?

Die Forum Sumiswald AG. Die Gemeinde profitiere insofern davon, dass es dem Forum schneller möglich sein werde, das auf 10 Jahre befristete zinslose Darlehen zurückzubezahlen, sagte Hans Grunder auf diese Frage.
5) Wer sorgt für Ruhe und Ordnung in der Unterkunft?

Betrieben wird die Unterkunft von der ORS Service AG. Der für die Region Emmental zuständige Mattias Gabathuler sagte, man werde für die Betreuung der Kollektivunterkunft 12 bis 15 Personen anstellen. Sie werde rund um die Uhr betreut, auch nachts werde mindestens eine Person anwesend sein.

6) Aus welchen Nationen werden Asylsuchende nach Sumiswald kommen?

Das wissen auch die zuweisenden Stellen noch nicht. «Wir erfahren jeweils am Nachmittag um drei, wer am nächsten Tag kommen wird», sagte Manuel Haas, Leiter Abteilung Asyl und Flüchtlinge des Kantons Bern. Aktuell seien es vor allem Menschen aus Afghanistan, der Türkei und der Ukraine.

7) Wie viele schulpflichtige Kinder werden erwartet?

Auch diese Frage liess sich nicht beantworten. Aber laut Haas sind erfahrungsgemäss «zwischen 25 und 35 Prozent» der künftigen Bewohnerinnen und Bewohner schulpflichtige Kinder.

8) Wo werden diese Kinder eingeschult?

In Burgdorf habe man gute Erfahrungen gemacht mit Willkommensklassen und intensiven Deutschkursen, sagte Schulinspektor Christoph Schenk. Erst wenn ein Kind gut genug Deutsch könne, komme es in eine Regelklasse. Schenk sicherte dem Sumiswalder Lehrpersonal zu: «Ihr werdet Mittel zugesprochen bekommen für die Klassenführung, damit es zusätzliche Unterstützung gibt.» Gleichzeitig verschwieg er nicht, worin die Schwierigkeiten bestehen: «Dass man nicht genau weiss, was da kommt.» Dass die Gemeinde also nicht planen kann, ob sie zusätzlichen Schulraum mieten muss. Und dass angesichts des Lehrermangels auch nicht sicher ist, ob genügend Lehrkräfte bereit sein werden, die geflüchteten Kinder zu unterrichten.

9) Wer ist für die ärztliche Versorgung der über 200 Personen zuständig?

Die ORS werde Pflegefachpersonen anstellen, die in der Unterkunft Gesundheitssprechstunden anbieten würden, sagte Mattias Gabathuler. Daneben strebe man ein Hausarztmodell an und sei nun auf der Suche nach Hausärztinnen und Hausärzten, die Patienten übernehmen würden. Gelächter im Saal liess vermuten, dass das angesichts des Mangels an Hausärzten in der Region ein schwieriges Unterfangen werden könnte.

10)Wer lehrt die Asylsuchenden «Brauchtum, Ethik, Moral und Sitte»?

Die ORS will Erstinformationskurse anbieten, die den Geflüchteten Verhaltensregeln vermitteln und ihnen aufzeigen, wie das Gesundheitswesen, die Arbeitswelt und die Schule funktionieren.

11) Was wird nun aus der Gewerbeausstellung, die im Frühling auf dem Areal des Forums stattfinden sollte?

«Wir haben schnell gemerkt, dass es gegenüber unseren ursprünglichen Plänen gar keine grossen Anpassungen braucht», sagte OK-Präsident Rudolf Nyffenegger. Der Bereich, den die Kollektivunterkunft nutzen werde, könne gut vom Ausstellungsbereich getrennt werden. Nyffenegger sagte: «Wenn so viele Leute die Gewerbeausstellung besuchen, wie hier an der Infoversammlung teilnehmen, ist uns der Erfolg sicher.»
(https://www.derbund.ch/einquartierung-von-gefluechteten-weckt-in-sumiswald-kritik-806796411841)



derbund.ch 22.11.2022

Interview mit Regierungsrat Schnegg: «So viele Asylsuchende können wir uns nicht leisten»

Pierre Alain Schnegg verteidigt die Unterbringung von Flüchtlingen in weit abgelegenen Unterkünften. Der SVP-Regierungsrat fordert ein Umdenken bei der Asylpraxis.

Andres Marti, Quentin Schlapbach

Herr Schnegg, die Asylbetreuung ist am Anschlag, die Zentren sind überfüllt. Nun suchen Sie verzweifelt neue Plätze. Was ist da genau schiefgelaufen?

Ich weiss nicht, ob etwas schiefgelaufen ist. Wir arbeiten mit den Prognosen des Staatssekretariats für Migration (SEM). Dass sich die Situation in den Bundesasylzentren zuspitzt, hat sich schon seit Monaten abgezeichnet und kommt für mich nicht überraschend. Wir bereiten uns entsprechend vor. Ausserdem dünkt mich Ihre Wortwahl doch allzu dramatisch, bei uns ist niemand verzweifelt.

Nach der letzten Asylkrise wurde der Kanton verpflichtet, Reserven zu schaffen. Warum reichen diese denn nicht aus?

Normalerweise kommen im Winter weniger Asylsuchende als in den Sommermonaten. Dies ist nun nicht mehr der Fall. Derzeit werden uns doppelt so viele Asylsuchende zugewiesen wie normalerweise. Auf diese Situation müssen wir uns einstellen. Wir haben zurzeit genügend Unterkünfte, wir müssen uns aber auf einen ständigen Anstieg vorbereiten. Und wir wollen die unterirdischen Notunterkünfte möglichst nicht öffnen müssen.

Der Kanton Luzern hat bereits die Notlage ausgerufen. Ist es in Bern auch bald so weit?

Laut den Prognosen des SEM könnten wir Ende Februar bereits am Ende unserer Kapazitäten sein. Die Situation ist sehr fragil: Niemand kann sagen, ob im Dezember 2000 oder 8000 Ukrainerinnen und Ukrainer kommen.

Müssen dann Flüchtlinge im Kanton Bern wieder in unterirdischen Zivilschutzanlagen wohnen?

Für ein paar Wochen können Zivilschutzanlagen oder Turn- und Mehrzweckhallen eine Lösung sein. Es braucht immer eine gewisse Vorlaufzeit, um die in Reserve gehaltenen Kollektivunterkünfte bezugsbereit zu machen.

Was sind das für Menschen, die in den Kanton Bern kommen?

Wie gesagt, kommt ein grosser Anteil weiterhin aus der Ukraine. Dann gibt es derzeit viele andere, die via Balkanroute in die Schweiz einreisen, hauptsächlich junge Männer aus Afghanistan, Syrien, der Türkei oder Burundi. Darunter sind auffallend viele unbegleitete Minderjährige.

Werden diese Menschen längere Zeit im Kanton Bern bleiben?

Sie sehen ja, wie schwer es ist, jemanden abzuweisen. Ich rechne jedenfalls nicht damit, dass diese Leute bald wieder zurückkehren werden.

Ab Januar sollen Flüchtlinge ohne Schutzstatus in einer Unterkunft im abgelegenen Gurnigelbad oder auf dem Brünig wohnen. Wie sollen sie sich dort integrieren?

Zurzeit geht es darum, genügend Betten zur Verfügung zu haben. Viele der Personen, die uns jetzt zugewiesen werden, haben noch gar keinen Status. Wichtig ist, dass wir die Menschen unterbringen können. Und dann ist es ja schon so, dass es für einen Sprachkurs keine Rolle spielt, ob der Kursraum in der Stadt Bern ist oder im Gurnigelbad. Aber bei Personen ohne Aufenthaltsstatus hat der Kanton auch keine Integrationsaufgaben. Zudem zeigt die von uns umgesetzte Asylreform Wirkung: Heute finden vorläufig Aufgenommene viel schneller einen Job als die mit Flüchtlingsstatus. Es braucht aber auch die Bereitschaft, sich zu integrieren.

Während der Kanton verzweifelt nach Unterkünften sucht, ist das Containerdorf auf dem Viererfeld praktisch leer. Wollen Sie dort immer noch ausschliesslich ukrainische Flüchtlinge unterbringen?

Ich mache daraus kein Dogma. Aber im Moment möchten wir diese Plätze freihalten.

Es gibt dort über 800 freie Plätze…

Wenn die letzten Prognosen des SEM zutreffen, ist das Viererfeld Ende Januar voll.

Haben die Prognosen des SEM in der Vergangenheit zugetroffen?

Nicht immer. Aber etwas anderes haben wir nicht.

Warum legen Sie so viel Wert darauf, die Geflüchteten aus der Ukraine gesondert unterzubringen?

Weil sich die beiden Gruppen stark unterscheiden. Aus der Ukraine flüchten überwiegend Frauen und Kinder. Via Balkanroute kommen vor allem junge Männer. Der Status ist ganz verschieden. Es ist ein grosser Unterschied, ob jemand mit Status S in der Schweiz ist oder als vorläufig aufgenommene Person oder als Flüchtling. Mischt man diese Gruppen, führt dies zu Spannungen, die wir berücksichtigen müssen. Ich denke hier auch an die Sicherheit.

Sie befürchten, dass es zu Übergriffen kommt? Worauf stützen Sie diese Vermutung?

Die Kriminalitätsstatistik ist doch eindeutig. Die Journalisten wollen darüber nur nicht schreiben. Aber nehmen Sie die Opferhilfestatistik. Von wo kommen die Täter, von wo kommen die Opfer? Das sind Fakten. Wenn wir Übergriffe verhindern können, dann sollten wir das tun.

Dann stimmt der Eindruck: Ukrainische Familien werden in der Stadt einquartiert, junge Männer aus den anderen Ländern hingegen möglichst weit weg von der Gesellschaft.

Zuerst möchte ich unterstreichen, dass auf dem Land viele Ukrainerinnen und Ukrainer privat untergebracht wurden. Vor allem im Berner Oberland ist die Quote sehr hoch. Doch grundsätzlich versuchen wir, Familien mit schulpflichtigen Kindern dort unterzubringen, wo es weniger abgelegen ist. In der jetzigen Krise nehmen wir aber jede Unterkunft, die wir bekommen.

Weil die Bundesasylzentren voll sind, überweist der Bund Asylsuchende, deren Gesuch noch hängig ist, in die Kantone. Was bedeutet das für den Kanton?

Es ist eine schwierige Situation. Wir müssen Leute unterbringen, die noch nicht wissen, ob sie hierbleiben dürfen oder nicht. Zudem haben wir für sie weder einen Integrationsauftrag noch Ressourcen. Deshalb sind Unterbringungsmöglichkeiten wie das Gurnigelbad wichtig.

Reden wir über die Geflüchteten aus der Ukraine. Entgegen Ihren Prognosen wohnen die meisten weiterhin in Privatwohnungen. Hat Sie die Solidarität der Gastfamilien überrascht?

Die Hilfsbereitschaft der Gastfamilien hat mich positiv überrascht. Inzwischen wohnt allerdings die Hälfte der rund 7200 Geflüchteten aus der Ukraine in einer eigenen Wohnung. Rund 25 Prozent sind in einer Gastfamilie untergebracht.

Gehen Sie davon aus, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer noch lange bleiben werden?

Wer hier einen Job gefunden hat oder seine Kinder hier in die Schule schickt, der wird wohl noch lange hierbleiben, vielleicht für immer. Die zerstörte Infrastruktur in der Ukraine wieder aufzubauen, wird in manchen Dörfern Jahre dauern. Dorthin wird niemand so schnell zurückkehren.

Die Schweiz hat 70’000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Ihre Partei, die SVP, fordert nun, den Schutzstatus S nur noch denjenigen zu gewähren, die aus Gebieten stammen, in denen Kriegshandlungen stattfinden. Was halten Sie davon?

Solange Krieg herrscht, braucht es eine Lösung. Besser als der S-Status wäre das reguläre Asylverfahren. Doch dafür kamen schlicht zu viele. Mir ist aber klar, dass wir im Asylbereich jetzt schwierige Entscheidungen treffen müssen.

Was meinen Sie damit?

Insgesamt sind dieses Jahr 200’000 Menschen in die Schweiz eingereist. Das entspricht der Bevölkerung der Region Seeland! Weder das Gesundheits- noch das Bildungssystem kann eine solche Menge bewältigen. Allein für die über 7000 Ukrainerinnen und Ukrainer im Kanton Bern brauche ich sieben zusätzliche Hausärzte. Wo finde ich die? Wir haben ohnehin einen Hausarztmangel. Und das ist nur eine Momentaufnahme.

Das medizinische Personal stammt zum grossen Teil aus dem Ausland…

Aber nicht Hausärzte. Die bilden wir selber aus.

Was schlagen Sie denn konkret vor?

Wir sind jetzt über 8 Millionen in der Schweiz. Ist es wünschenswert, dass hier bald 10 oder 12 Millionen Menschen leben? Sicher nicht. Die Infrastruktur dafür können wir nicht in so kurzer Zeit aufbauen.

Es ist derzeit eher unwahrscheinlich, dass nächstes Jahr nochmals 70’000 Flüchtlinge aus der Ukraine in die Schweiz flüchten.

Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, so viele Asylsuchende aufzunehmen. Es braucht endlich ein Umdenken. Warum hat der Bundesrat beispielsweise das Resettlement-Programm noch im Oktober neu gestartet? Das war doch ein Fehler. Aber wir möchten halt gerne zeigen, welch gute Menschen wir sind.

Das Resettlement-Programm sieht die Aufnahme von 1600 besonders verletzlichen Personen aus Konfliktgebieten vor. Soll die Schweiz ihre humanitäre Tradition und die Genfer Flüchtlingskonvention künftig ignorieren?

Nein, aber wir müssen unsere Hilfsaktionen und Hilfsangebote realistisch und umsetzbar gestalten. Ein wenig mehr Weitsicht wäre angesagt.



Viele haben eine Wohnung gefunden

Laut der Integrationsdirektion leben derzeit rund 7200 Geflüchtete aus der Ukraine mit Schutzstatus S im Kanton Bern. Knapp 4000 haben eine eigene Wohnung gefunden, 2200 leben bei einer Gastfamilie, rund 1000 in einer Kollektivunterkunft. Rund 500 haben sich abgemeldet und das Land verlassen. Pro Woche kommen weiterhin zwischen 50 bis 80 Geflüchtete aus der Ukraine in den Kanton, Tendenz stabil.

Stark angestiegen ist in den letzten Monaten hingegen die Anzahl von Asylsuchenden ohne Schutzstatus S. Derzeit werden dem Kanton wöchentlich rund 100 Personen zugewiesen. (ama)
(https://www.derbund.ch/so-viele-asylsuchende-koennen-wir-uns-nicht-leisten-890016991986)



ajour.ch 22.11.2022

Asylwesen: Muss der Kanton Bern nun Mehrzweckhallen zu Flüchtlingsunterkünften umnutzen?

Die Unterkünfte für Asylsuchende im Kanton Bern werden knapp. Gundekar Giebel, Sprecher der bernischen Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion, nimmt Stellung.

Aline Studer|, Parzival Meister

Gundekar Giebel, beginnen wir mit den Zahlen: Wie viele Flüchtlinge leben aktuell im Kanton Bern?

Gundekar Giebel: Momentan leben rund 7200 Flüchtlinge aus der Ukraine im Kanton Bern und insgesamt etwa 18’000 Personen aus dem regulären Asylwesen.

Und wie stark steigen diese Zahlen im Moment an?

Wöchentlich kommen etwa 50 bis 80 Personen aus der Ukraine dazu und wir haben rund 100 Menschen pro Woche, die uns vom Bund aus dem regulären Asylwesen zugewiesen werden.

Wo bringen Sie alle diese Menschen unter?

Für die Ukrainerinnen und Ukrainer haben wir ja verhältnismässig viel Platz geschaffen, da haben wir noch mehrere 100 Betten in Reserve. Für die Menschen aus dem regulären Asylwesen werden die Plätze aber teilweise knapp. Sie müssen sich vorstellen: Wir könnten wöchentlich ein Hotel mit Platz für 100 Menschen füllen. Auf so eine Situation war kein einziger Kanton vorbereitet. Wir hatten das Glück, dass wir viele Unterkünfte für die Menschen aus der Ukraine vorbereitet hatten, die wir jetzt zum Teil auch für die anderen Flüchtlinge nutzen können – aber wir suchen weiterhin neue Unterkünfte ab einer Grösse von 40 Betten, damit wir nicht in Engpässe kommen.

Beim Ausbruch des Ukrainekriegs gab es eine Welle der Solidarität und viele Privatpersonen haben angeboten, ukrainische Flüchtlinge bei sich Zuhause aufzunehmen. Sind solche Angebote nach wie vor gefragt oder bringt Sie das bei der Masse an Menschen, für die Sie Unterkünfte suchen, nicht weiter?

Wenn wir Menschen bei einer Gastfamilie unterbringen können, ist das natürlich gut. Die Angebote, jemanden bei sich aufzunehmen, sind aber zurückgegangen – was wir auch so erwartet haben. Zurzeit wohnen rund 25 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge bei einer Gastfamilie, also rund 2000 Menschen sind privat untergebracht. Flüchtlinge der anderen Asylgruppen dürfen aber gar nicht bei Gastfamilien untergebracht werden, für sie brauchen wir zwingend Kollektivunterkünfte.

Mussten Sie bereits eine Mehrzweckhalle zu einer Kollektivunterkunft umnutzen oder wird das in absehbarer Zeit der Fall sein?

Wir haben viele Mietverträge für Unterkünfte, die im Januar oder Februar 2023 starten. Ab dann werden wir hunderte zusätzliche Betten bereitstellen können. Wenn es aber so weitergeht wie jetzt und wir vom Bund wöchentlich 100 Menschen oder mehr zugewiesen bekommen, könnte es sein, dass wir Überbrückungslösungen bis im Januar brauchen. In diesem Zusammenhang ist es möglich, dass wir Gebäude mit Notbetten ausrüsten müssten, die sonst nicht für diesen Zweck gebraucht werden.

Und wie würde das dann ablaufen? Geht der Kanton zu den Gemeinden und sagt: Ihr müsst uns jetzt eure Mehrzweckhalle übergeben?

Das ist alles schon vorbereitet, der Notfallplan steht. Wir könnten in 30 Objekten im Kanton insgesamt 4000 Betten aufstellen. Und das innerhalb von zwei Wochen.

Sie sprechen jeweils von ukrainischen Flüchtlingen und den Menschen aus dem regulären Asylwesen. Woher kommen die Menschen aus der zweiten Gruppe?

Das Hauptherkunftsland ist Afghanistan, gefolgt von der Türkei und anderen Ländern wie zum Beispiel Burundi. Wir müssen diese beiden Gruppen unterscheiden, weil Ukrainerinnen und Ukrainer den Schutzstatus S haben, was bedeutet, dass sie sich hier frei bewegen können. Die Menschen aus den anderen Ländern, die sich im Asylprozess befinden, haben sehr viel mehr Auflagen.

Solche Flüchtlingsströme wie aktuell sind für eine Verwaltung sehr personalintensiv. Wie kommen Sie damit klar?

Wir haben Gott sei Dank Mitarbeitende aus dem Corona-Stab, die wir in den Ukraine-Stab versetzen konnten und nun hier einsetzen. Sie sind 20 bis 25 Arbeitskräfte, die seit fast drei Jahren in einem Krisen-Sondermodus arbeiten. Wichtiger bei der Bewältigung dieser Situation sind aber unsere regionalen Partner, die die Asylzentren und -unterkünfte betreiben. Da werden natürlich laufend neue Betreuungspersonen gesucht.
(https://ajour.ch/story/muss-der-kanton-bern-nun-mehrzweckhallen-zu-flchtlingsunterknften-umnutzen/41993)


+++AARGAU
8 Franken pro Tag: Aargau hält Asylsuchende weiter kurz
Asylsuchende, vorläufig aufgenommene Menschen und Schutzsuchende aus der Ukraine erhalten im Kanton Aargau weiterhin nur acht Franken pro Tag für den Kauf von Lebensmitteln. Das Kantonsparlament hat es am Dienstag abgelehnt, den Betrag zu erhöhen.
https://www.blick.ch/politik/8-franken-pro-tag-aargau-haelt-asylsuchende-weiter-kurz-id18076349.html


Unterirdischer Asylunterkunft fehlt Hälfte des Personals
Für die Flüchtlingsunterkunft in der Geschützten Operationsstelle (GOPS) des Spitals Muri sind rund drei Wochen vor der Eröffnung im Bereich der Betreuung erst zehn von 20 Stellen besetzt. Mit diesem Problem ist man allerdings nicht alleine.
https://www.luzernerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/muri-neuer-fluechtlingsunterkunft-fehlt-haelfte-des-personals-ld.2376428


+++BASEL
«Nur noch wenige Flüchtlinge aus Ukraine»: Basel-Stadt stellt Erstberatung ein
Auf dem Basler Migrationsamt können sich Schutzsuchende zu vielfältigen Fragen beraten lassen. Weil die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine jedoch sinkt, lässt der Kanton das Angebot per Ende November auslaufen.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/beratung-nur-noch-wenige-fluechtlinge-aus-ukraine-basel-stadt-stellt-erstberatung-ein-ld.2376645


+++WAADT
Le Collectif Jean Dutoit a besoin d’aide
Le Collectif Jean Dutoit qui depuis maintenant 7 années se donne les moyens d’offrir un toit à tous ses membres, traverse une situation de crise et publie un appel à soutien.
Le Collectif Jean Dutoit est né en 2015 à Lausanne de la rencontre d’une centaine de personnes originaires d’Afrique de l’Ouest avec un groupe de citoyen·ne·s suisses. Si le Collectif s’est formé dans le but de trouver un toit pour ses membres africains – ils vivaient et dormaient à la rue faute d’hébergement disponible adapté – il a été immédiatement confronté aux dimensions politiques, sociales, économiques et culturelles qui conditionnent l’existence des personnes qui migrent en Suisse et en Europe. Ses membres issus de la migration (résidents de la maison occupée par le Collectif) et ses membres suisses (qui tiennent un rôle d’interface avec la société) ont unis leurs efforts au cours des sept dernières années pour combattre les discriminations et les abus dont les premiers sont la cible et construire des alternatives viables.
https://renverse.co/infos-locales/article/le-collectif-jean-dutoit-a-besoin-d-aide-3790


+++ZÜRICH
Kaserne Bülach wird temporär als Asylunterkunft genutzt (ab 05:21)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/polizei-verhaftet-zwei-frauen-wegen-verdachts-auf-menschenhandel?id=12290665
-> https://www.toponline.ch/news/detail/news/kaserne-buelach-zh-wird-fuer-vier-wochen-zur-asylunterkunft-00199302/


+++SCHWEIZ
Schweizer Asylpolitik 2022: Geht das besser?
Dass Kurden oder Afghanen in einem reichen Land wie der Schweiz untertags schlafen müssen, ist kein Naturgesetz. Asylpolitik wird gemacht. Was können wir aus der Hilfsbereitschaft mit den Ukrainer*innen lernen?
https://bajour.ch/a/clamjkpzf30603854h5xisdi4us/schweizer-asylpolitik


+++ÄRMELKANAL
27 Migranten im Ärmelkanal verstorben: Küstenwache soll versagt haben
Ein Jahr nach dem Unglück zeigt sich, wie die französische Küstenwache offenbar Hilferufe der Menschen ignorierte. Der zuständige Staatssekretär kündigte Konsequenzen an
https://www.derstandard.at/story/2000141074093/27-migranten-im-aermelkanal-verstorben-kuestenwache-soll-versagt-haben?ref=rss


+++MITTELMEER
Rettungsaktion vor Griechenland: Rund 500 Menschen in Seenot
Ein Boot mit Hunderten Menschen an Bord ist südlich vor Kreta in Seenot geraten. Fischer versuchen nun, das Boot Richtung Küste abzuschleppen.
https://taz.de/Rettungsaktion-vor-Griechenland/!5896452/
-> https://www.spiegel.de/ausland/griechenland-kuestenwache-rettet-hunderte-migranten-a-a6139cb9-812f-461f-bb07-ea5b9f8ac5c7
-> https://taz.de/Seenot-vor-Griechenland/!5896452/



tagblatt.ch 22.11.2022

Vor den beliebtesten Ferienstränden Europas verschwinden spurlos Menschen

Abermals spielt sich im Mittelmeer eine tödliche Tragödie unter Bootsflüchtlingen ab. Etliche dieser Unglücke bleiben ungeklärt. Experten befürchten daher eine hohe Dunkelziffer an Ertrunkenen.

Ralph Schulze, Madrid

Immer mehr Flüchtlingsboote nehmen Kurs auf Mallorca und die Nachbarinseln Ibiza und Formentera. Von Jahresbeginn bis November kamen bereits mehr als 150 Schiffe mit insgesamt 2200 Menschen auf der Inselgruppe an. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Migranten, die mit ihren kleinen Holz- oder Schlauchbooten auf dem knapp 300 Kilometer langen Seeweg zwischen der algerischen Küste und den spanischen Urlaubsinseln verunglückten und im Mittelmeer ertranken.

Das jüngste Drama spielte sich nach Angaben von Flüchtlingsorganisationen vor einigen Tagen auf hoher See irgendwo zwischen Algerien und Mallorca ab: «50 Menschen, die von Algerien in mehreren Booten ablegten, verschwanden auf dem Weg zu den Balearischen Inseln», berichtet der spanische Hilfsverein Héroes del Mar (Helden des Meeres). Die meisten Bootsinsassen seien junge Algerier gewesen, aber auch wenigstens 13 Menschen aus den unterhalb der Sahara liegenden Armutsländern seien ertrunken.

Von zwei Flüchtlingsbooten fehlt jede Spur

Diesen Angaben zufolge stachen an einem Novembermorgen drei Boote von der Küste zwischen Algier und Boumerdès in See. Ziel waren die Balearischen Inseln. Mallorca, Ibiza und Formentera liegen 270 bis 300 Kilometer von Algerien entfernt. Die kleinen Boote, die mit 50 oder 60 PS starken Aussenbordmotoren ausgestattet sind, brauchen üblicherweise einen Tag für die Strecke – soweit es unterwegs keine Probleme gibt.

Doch offenbar gab es bei der gefährlichen Überfahrt dieser drei Schiffe Probleme. Denn vermutlich schaffte es nur einer der Kähne bis zu den spanischen Inseln. Dieses Schiff kam 24 Stunden nach der Abfahrt von Algerien in einer kleinen Sandbucht auf Ibiza an – nicht weit von der Urlaubshochburg Sant Josep entfernt. Den elf Passagieren gehe es gut, teilten Polizei und Rotes Kreuz mit.

Von den anderen beiden Booten fehlt jede Spur. Mangels jeglicher Nachrichten von den Insassen, die sich üblicherweise nach erfolgreicher Überfahrt per Handy bei Familienangehörigen und Freunden melden, muss davon ausgegangen werden, dass die Boote gesunken und die annähernd 50 Menschen an Bord ertrunken sind, erklärt der Hilfsverein Héroes del Mar. «Das ist nicht das erste Mal», berichten die humanitären Helfer. «Und es wird auch nicht das letzte Mal sein.»

Hohe Dunkelziffer an Ertrunkenen

Immer wieder kommt es auf dieser Migrationsroute zu tragischen Unglücken. Nicht selten kentern die mit Menschen überladenen Booten. Andere geraten mit Motorschaden oder ohne Benzin auf hoher See in Not. Etliche dieser Unglücke können von den Behörden nicht bestätigt werden, da die Boote mitsamt Passagieren spurlos vom Meer verschluckt werden.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) registrierte in den vergangenen acht Jahren mehr als 2000 tote oder vermisste Einwanderer auf der westlichen Mittelmeerroute. Diese Route führt entweder zu den Balearischen Inseln oder zur spanischen Festlandküste. Die Experten dieser UN-Migrationsorganisation gehen davon aus, dass die wirkliche Zahl der Opfer noch deutlich höher ist.

Mehrere spanische Flüchtlingsorganisationen haben sich darauf spezialisiert, nach Vermissten zu suchen und bei deren Identifizierung zu helfen. Neben dem Hilfsverein Héroes del Mar widmet sich auch das Internationale Zentrum für die Identifizierung von verschwundenen Migranten (CIPIMD) dieser Aufgabe. Beide Vereine wurden so zu einer wichtigen Anlaufstelle für jene Familien in den Herkunftsländern, deren Angehörige auf dem Weg nach Spanien verschollen sind.

Nach dem Verschwinden der beiden Flüchtlingsboote vor Mallorca meldeten sich viele Familien bei diesen beiden Organisationen. Sie schickten Fotos, um die Suche nach den Verschwundenen zu erleichtern. Demzufolge handelt es sich bei den mutmasslichen Unglücksopfern vor allem um junge Männer. Immer öfter sitzen aber auch Frauen und Kinder in den Booten.

Keine Zukunft in Algerien, «Mallorca-Route» boomt

Sie alle haben gemeinsam, dass sie von einer besseren Zukunft in Europa träumen. So wie der Algerier Bilal, der auf Ibiza ankam. «Die junge Generation Algeriens hat keine Hoffnung», berichtete er nach seiner Ankunft. «Dort gibt es nichts. Wenn du 25 bist und keine Arbeit hast, dann versuchst du, auf die andere Seite des Mittelmeeres zu kommen.»

Seit Jahren steigt die Zahl der Ankünfte auf Mallorca und den Nachbarinseln: Im Jahr 2018 wurden nach Behördenangaben nur 188 Bootsflüchtlinge auf den Balearen registriert. 2019 waren es schon 507, 2020 kamen 1464 und 2021 wurden 2401 Bootsmigranten gezählt. 2022 könnte die Zahl erneut steigen.

Anscheinend schicken die Schlepperbanden die afrikanischen Migranten nun vermehrt über die Mallorca-Route nach Spanien. Zwar kommen bisher weniger als zehn Prozent der an spanischen Küsten landenden Einwanderer über die Balearischen Inseln. Aber die Zunahme auf dieser Strecke macht den Sicherheitsbehörden Sorgen.

Unterdessen geht die Zahl der Boote auf den ebenfalls zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln zurück. Dort kamen seit Januar knapp 15’000 afrikanische Schutzsuchende an – 18 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Da auch die Mittelmeerroute zum spanischen Festland weniger benutzt wird, sank die Gesamtzahl der Bootsankünfte in Spanien im laufenden Jahr sogar um 22 Prozent.



Schwere Vorwürfe an Frankreichs Küstenwache

Ein Jahr nach dem Kentern eines Migrantenbootes im Ärmelkanal mit 27 Toten gibt es in Frankreich Hinweise auf ein gravierendes Versagen der Küstenwache. Obwohl die Migranten sich über Stunden per Handy von ihrem sinkenden Boot an die Retter in Frankreich wandten, verwiesen diese sie an die britische Seite, ohne Hilfe zu schicken, wie Recherchen der Zeitung «Le Monde» ergaben. Sie bestätigen Vorwürfe der beiden Überlebenden der Katastrophe.

Frankreichs Staatssekretär für Meeresangelegenheiten, Hervé Berville, kündigte jüngst Konsequenzen an, sollte sich der auf Funksprüche und Ermittlungsakten gestützte Bericht bewahrheiten. Die strafrechtlichen Ermittlungen in Frankreich dauerten an und ausserdem laufe bei der Küstenwache eine interne Untersuchung, sagte Berville.

Das aufblasbare Boot hatte am 24. November 2021 bei der Überfahrt von Nordfrankreich nach Grossbritannien Luft verloren, die Migranten stürzten ins Wasser. Ein Fischerboot entdeckte die im Ärmelkanal treibenden Leichen, darunter fünf Frauen und ein kleines Mädchen.

Den Recherchen zufolge unterschätzte die französische Küstenwache die Notlage der Menschen und verwies sie anhand ihrer Positionsdaten nahe den britischen Gewässern an britische Helfer. Ausserdem informierten die Franzosen die Briten über das havarierte Boot, ohne nachzuhaken, ob diese Hilfe schicken. Weil in der Nacht etliche Flüchtlinge mit ihren Booten in Seenot gerieten und Rettungsschiffe von britischer und französischer Seite im Einsatz waren, entstand zudem Verwirrung, ob tatsächlich allen geholfen wurde. (dpa)
(https://www.tagblatt.ch/international/balearen-vor-den-beliebtesten-ferienstraenden-europas-verschwinden-spurlos-menschen-ld.2376398)


+++FREIRÄUME
STOPPT DEN ABBAU VON POTENZIELLEN FREIRÄUMEN!
Eine weitere Strasse in unserer Stadt wird von Aufwertung und Immobilien-Haien bedroht!
(St. Gallen – ) Eine weitere Strasse in unserer Stadt wird von Aufwertung und Immobilien-Haien bedroht! Gerade an der Burgstrasse, werden Lücken mit teuren Blöcken gefüllt und potenzielle Freiräume vernichtet, um Gutverdienenden noch mehr Platz zu bieten.
https://barrikade.info/article/5483



solothurnerzeitung.ch 22.11.2022

Aufforderung nun doch gefolgt: Die Wagabunten sind weitergezogen und haben die Stadt Solothurn verlassen

Das Kollektiv ist der Aufforderung der Stadt doch noch gefolgt und hat das Areal zwischen der Villa Gibelin und den Bahngeleisen verlassen.

Fabio Vonarburg

Das Feld ist wieder leer: Die Wagabunten, die in den letzten Monaten in ihren Wagen zwischen der Villa Gibelin und den Bahngeleisen lebten, sind Anfang letzter Woche weiter gezogen und haben das Stadtgebiet verlassen. Damit endet – zumindest vorerst – in der Stadt Solothurn die Diskussion um das Kollektiv, das seit Jahren ein Platz für ihre alternative Wohnform fordert. Bislang ohne Erfolg. Sehr zu dessen Ärger.

Darum hatten die Wagabunten zuletzt angekündigt, beim jetzigen Platz bei der Villa Gibelin bleiben zu wollen. «Wir bleiben, wir kämpfen», schrieben die Wagabunten in einer Stellungnahme und wehrten sich gegen die Aufforderung der Stadt. Diese hatte den Wagabunten eine Frist bis Ende Oktober gesetzt, das Gelände zu verlassen.

Das Problem sei damit nicht gelöst

Nun ist das Kollektiv der Aufforderung also doch noch gefolgt. «Wir haben festgestellt, dass die Wagabunten das Stadtgebiet verlassen haben und nehmen dies zur Kenntnis», sagt Stadtpräsidentin Stefanie Ingold angesichts der neuen Entwicklung. Sie habe in den letzten Wochen immer wieder Gespräche mit ihnen geführt. Der Wegzug sei aber ihr gegenüber nicht angekündigt gewesen. Stefanie Ingold betont: «Die Wagabunten sind nun zwar nicht mehr auf Stadtgebiet, doch damit ist das gesellschaftliche Problem nicht gelöst.»

Sprich: Das Kollektiv ist weiter ohne einen Platz, auf dem es für längere Zeit bleiben kann. Denn dafür fehlen die rechtlichen Grundlagen.

Stellt sich noch eine Frage: Wie geht die Stadt vor, wenn die Wagabunten auf das Stadtgebiet zurückkehren? Wird man die jahrelange Praxis wieder aufnehmen und sie für jeweils drei Monate dulden, also bis ein Baugesuch notwendig wird? «Diese Frage stellt sich derzeit nicht», sagt Stadtpräsidentin Stefanie Ingold.

Und was sagen die Wagabunten? Etwa zur Frage, wohin sie nun umgezogen sind? Dies bleibt offen. Das Kollektiv war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/stadt-solothurn/alternative-wohnform-die-wagabunten-sind-weitergezogen-und-haben-die-stadt-solothurn-verlassen-ld.2376259)


+++GASSE
Refettorio Genf: Gourmet-Restaurant für Arme – Schweiz Aktuell
Das Refettorio Genf vereint Gastronomie mit sozialen Anliegen. Die Idee des italienischen Spitzenkochs und Gründers Massimo Bottura: Er will gegen die Isolation sozial schwacher Menschen und die Verschwendung von Lebensmitteln, gegen Food Waste, ankämpfen.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/refettorio-genf-gourmet-restaurant-fuer-arme?urn=urn:srf:video:19a5edc5-2678-4235-9db7-8a191eeb3c57


Kein «Housing first» Projekt in der Stadt Luzern
https://www.tele1.ch/nachrichten/kein-housing-first-projekt-in-der-stadt-luzern-148860916


Für Obdachlose mit Suchtproblem: Notschlafstelle & Co: Stadt will mit Anbietern zusammenspannen
Mittels Postulat schlug die SP Stadt Luzern vor, obdachlosen Personen bedingungslos Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Der Stadtrat findet die Idee gut – aber unrealistisch. Dennoch sieht er Handlungsbedarf bei Angeboten für Obdachlose mit Suchtproblemen – und klärt mit bestehenden Anbietern, ob das Angebot erweitert werden kann.
https://www.zentralplus.ch/politik/notschlafstelle-co-stadt-will-angebote-erweitern-2495723/


+++SEXWORK
Prostitutionsgewerbegesetz hat sich als wirksam erwiesen
Das Prostitutionsgewerbegesetz (PGG) hat sich insgesamt bewährt, auch wenn nicht alle Ziele vollständig erreicht werden konnten. Zu diesem Schluss kommt ein Team der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, das die Wirkung des PGG überprüft hat. Der Regierungsrat hat den Evaluationsbericht und den dazugehörigen Bericht der Sicherheitsdirektion zur Kenntnis genommen und die Sicherheitsdirektion mit einzelnen Optimierungen beauftragt.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=0e20b57b-3899-4fc0-8db7-6ab2f3f7d1e4
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/baeume-am-berner-hirschengraben-sollen-erhalten-bleiben?id=12290428 (ab 02:35)
-> https://www.derbund.ch/bernisches-gesetz-fuers-sexgewerbe-ist-laut-experten-wirksam-298407800518


Prostitutionsgewerbegesetz: «Sexarbeit muss entstigmatisiert werden»
Im Kanton Bern sollen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter mit dem 2013 eingeführten Prostitutionsgewerbegesetz besser geschützt werden. Das Gesetz habe sich als wirksam erwiesen, wie der Kanton mitteilt. Die Fachstelle Xenia spricht sich gegen eine Sonderregulierung aus.
https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/sexarbeit-muss-entstigmatisiert-werden-148854071


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Verschärfungen wegen Demos – Neue Absenzregeln für Klimajugend sind rechtlich problematisch
Damit Mittelschüler nicht mehr wegen Klimademonstrationen fehlen, will der Kanton St. Gallen durchgreifen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/verschaerfungen-wegen-demos-neue-absenzregeln-fuer-klimajugend-sind-rechtlich-problematisch
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/warum-werden-wir-mundtot-gemacht?id=12290632 (ab



derbund.ch 22.11.2022

Protestcamp auf dem Bundesplatz: Berner Klimaaktivist unterliegt vor Gericht

Weil er sich der Wegweisung widersetzte, machte sich ein Teilnehmer des Klimacamps strafbar. Das Urteil dürfte Einfluss auf 13 weitere Verfahren haben.

Michael Bucher

Der Gang vor Gericht hat sich für einen Berner Klimaaktivisten nicht gelohnt. Im Gegenteil: Statt 700 Franken für eine Busse muss er wegen der zusätzlichen Verfahrenskosten 3700 Franken hinblättern. Auch bei der bedingten Geldstrafe von 120 Franken bleibt es. So hat es das Regionalgericht Bern-Mittelland am Dienstag entschieden.

Der 26-Jährige beteiligte sich an der aufsehenerregenden Protestaktion im September 2020, als die Klimabewegung den Bundesplatz besetzte. Bei der Auflösung des unbewilligten, aber friedlichen Protestcamps verteilte die Kantonspolizei Bern insgesamt 185 Anzeigen.

Der Fall landete vor Gericht, weil sich der Mann gegen seinen Strafbefehl gewehrt hatte. Gerichtspräsident Urs Herren hatte jedoch kein Gehör für die Beteuerungen von Verteidiger Martin Gärtl. Sein Mandant sei zwar in besagter Nacht auf dem Bundesplatz gewesen, doch habe er sich nicht mit anderen verhakt, um die Räumung zu erschweren. Auch könne nicht nachgewiesen werden, dass die Aufforderungen der Polizei via Megafon, den Platz zu verlassen, zu seinem Mandanten durchgedrungen sei. Er forderte deshalb einen Freispruch.

«Es ist kaum vorstellbar, dass der Beschuldigte die mehrmaligen Aufforderungen nicht gehört haben soll», meinte jedoch der Gerichtspräsident und verurteilte den Aktivisten wegen Hinderung einer Amtshandlung und Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen. Ob der Beschuldigte das Urteil weiterzieht, ist noch unklar.

Gericht schafft Präzedenzfall

Es ist das erste Gerichtsurteil gegen einen Teilnehmenden des damaligen Protestcamps. Weitere werden folgen. Laut der Gruppe Klimastreik Schweiz haben sich insgesamt 14 Personen für den Gang ans Gericht entschieden.

Das nun gefällte Urteil könnte für die anderen 13 Verfahren wegweisend sein. Gerade auch, weil das Gericht die vom Gemeinderat in Auftrag gegebene Räumung als gerechtfertigt bezeichnete. Insbesondere weil zum Teil Zufahrtsstrassen blockiert waren und die Behörden mit dem Waisenhausplatz einen alternativen Standort angeboten hatten.

Rund um die 14 unbeirrbaren Aktivistinnen und Aktivisten hat sich ein Verein inklusive eigenen Spendenkontos zur Deckung der Gerichtskosten gebildet. Verein Klimaprozesse nennt sich die Gruppe. Sie muss jedoch ohne finanzielle Unterstützung des übergeordneten Vereins Klimastreik Schweiz auskommen. Dieser hatte auf Anraten einer Anwältin sämtlichen Gebüssten empfohlen, den Strafbefehl zu akzeptieren.

Ob die kämpferische Untergruppe nach dem abschlägigen Urteil vom Dienstag nun die Segel streicht, ist noch unklar. Man müsse sich zuerst beraten, heisst es auf Nachfrage. Den Schuldspruch findet die Gruppe angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise und der friedlichen Besetzung des Bundesplatzes «unverhältnismässig und inakzeptabel».

Prozess zog sich in die Länge

Der Prozess hätte eigentlich eine kurze Angelegenheit werden sollen. Einvernahme, Plädoyer, Urteil – alles verpackt in einem Tag. Doch bei der Befragung von zwei Polizisten tauchten plötzlich neue Fragen auf. Gerichtspräsident Herren verpflichtete die Kantonspolizei auf Drängen von Verteidiger Gärtl dazu, zuvor nicht eingereichte potenzielle Beweismittel wie Videoaufnahmen und zusätzliche Festnahmeprotokolle nachzuliefern. Aus einem Verhandlungstag wurden dadurch vier, die sich über zwei Monate hinzogen.
(https://www.derbund.ch/berner-klimaaktivist-unterliegt-vor-gericht-819157964286)



„Die türkische Armee bombardiert seit Tagen Kurdistan. Der Krieg gegen die Kurdische Bevölkerung eskaliert leider ein weiteres Mal. Das faschistische Regime unter Erdogan scheut keine Gewalt um seine Ziele zu erreichen. #Defendkurdistan deshalb Demo jetzt! HB Zürich #zh22112“
(https://twitter.com/MegahexF/status/1595108094823976961)


+++PSYCHIATRIE
Fürsorgerische Unterbringung – Zwangseinweisung: Psychiatrie hält Vier-Augen-Prinzip für unnötig
Der Fachverband der Psychiatrie glaubt, dass mehr Prävention die fürsorgerische Unterbringung besser eindämmen könnte.
https://www.srf.ch/news/schweiz/fuersorgerische-unterbringung-zwangseinweisung-psychiatrie-haelt-vier-augen-prinzip-fuer-unnoetig



nzz.ch 22.11.2022

Satanic Panic, Nötigung und überlange Isolation – haarsträubende Zustände an einer der grössten psychiatrischen Kliniken des Landes

Das Psychiatriezentrum Münsingen kam in die Schlagzeilen, weil es durch die Kirschblütengemeinschaft unterwandert worden war. Nun zeigt sich: Die Probleme liegen noch viel tiefer.

Simon Hehli

Wer im Kanton Bern in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird, der landet mit grosser Wahrscheinlichkeit im Psychiatriezentrum Münsingen (PZM). Doch dort waren die Patienten nicht in guten Händen, wie ein kürzlich veröffentlichter Bericht zeigt.

Auslöser für den Bericht waren Enthüllungen verschiedener Medien, dass Angehörige der umstrittenen Kirschblütengemeinschaft das Zentrum unterwandert hätten. Doch bei der Untersuchung durch Thomas Maier, den Ärztlichen Direktor der Psychiatrie St. Gallen Nord, kamen noch schlimmere Missstände zum Vorschein – vor allem in der Klinik für Depression und Angst.

Diese geriet nach 2018 laut Maier in eine Negativspirale: Viele Fachkräfte verliessen die Klinik, weil sie mit der Führung durch den Ärztlichen Direktor Thomas Reisch nicht einverstanden waren. Damit verschlechterten sich die Qualität der Behandlungen und der Ruf auf dem Arbeitsmarkt. «Am Ende dieser Negativspirale stand ein genereller Vertrauensverlust zwischen den Mitarbeitenden im PZM», hält Maier fest.

Isolation für kooperierende Kranke

Das fehlende fachliche Know-how auf allen Stufen hatte gravierende Folgen für die psychisch Kranken. So kam es im PZM häufig zu freiheitsbeschränkenden Massnahmen wie Isolationen und Fixierungen. Oft wurden die Massnahmen präventiv und damit ohne gesetzliche Basis ausgesprochen, selbst dann, wenn die Patienten keine Gefahr für sich selber oder andere darstellten. Und die Patienten blieben noch für Stunden isoliert, auch wenn sie sich ruhig und kooperativ verhielten.

Wohl auch aus Überforderung nutzte das medizinische Personal freiheitsbeschränkende Massnahmen zudem als Druckmittel: Die Patienten wurden so genötigt, Medikamente zu nehmen oder «freiwillige» Therapievereinbarungen zu unterzeichnen. «Sowohl die Chefärzte als auch die pflegerischen Kader schienen sich zu wenig bewusst gewesen zu sein, dass ein fehlerhafter Umgang mit freiheitsbeschränkenden Massnahmen die moralische Glaubwürdigkeit des ganzen PZM aufs Spiel setzt und das Vertrauen der Anspruchsgruppen nachhaltig zerstören kann», kritisiert Maier.

Träges Gericht

Seine Untersuchung wirft auch ein schlechtes Licht auf die Instanz, die das PZM hätte überwachen sollen: das bernische Kinder- und Erwachsenenschutzgericht. Bei Rekursen gegen freiheitsbeschränkende Massnahmen hätte es innerhalb von fünf Tagen entscheiden müssen. Doch in den meisten Fällen hielt das Gericht diese Frist nicht ein, einmal dauerte es sogar zwanzig Arbeitstage.

Dies komme praktisch einer Rechtsverweigerung gleich, da dem Patienten die gerichtliche Überprüfung der Unterbringung nahezu bis zum Ablauf der Unterbringungsdauer verweigert werde, schreibt Maier. «Für den Ruf der Psychiatrie ist das ein folgenschwerer Missstand.» Zumindest fragwürdig ist auch die Praxis des Gerichts, bei Rekursfällen, die das PZM betrafen, Psychiater und Psychologen des PZM als Gutachter beizuziehen.

Der Ärztliche Direktor Reisch, der die Kirschblüten-Psychiaterinnen ans PZM geholt hatte und mit einer Kirschblüten-Anhängerin liiert ist, wurde im Sommer entlassen. Nun schreibt der Gutachter Maier von einer besonderen Ironie: Eine Sekte – die Kirschblütengemeinschaft – sei verjagt worden, in deren Windschatten habe sich aber eine andere, möglicherweise noch gefährlichere Sekte breitmachen können.

Hoch umstrittene Diagnose

Maier meint damit ein Phänomen, das unter dem Begriff «Satanic Panic» immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hat. Es handelt sich um Patientinnen, die überzeugt sind, Opfer satanistischer Rituale geworden zu sein – und darin von manchen Therapeuten noch bestärkt werden. Das war auch in Münsingen der Fall: Bei einer auffallend hohen Anzahl von Patientinnen wurde eine «dissoziative Identitätsstörung» festgestellt, also ein Zustand, in dem zwei oder mehrere Identitäten in derselben Person alternieren sollen. Es ist eine der umstrittensten Diagnosen der Psychiatrie. Und manche Betroffene haben vermeintliche Erinnerungen an schreckliche Erlebnisse, die plötzlich wieder hochkommen.

Zwar tauchen die Begriffe «Satanismus» oder «ritueller Missbrauch» in den Münsinger Patientenakten nicht auf. Aber immer wieder ist von «Tätern» die Rede, welche die Frauen entführt, vergewaltigt oder in sadistischen Handlungen missbraucht hätten und sie weiterhin permanent überwachen würden. Diese Täter würden so raffiniert vorgehen, dass sie keine Spuren hinterliessen. Die Patientinnen seien ihnen wegen emotionaler Abhängigkeit oder manipulativer Techniken ausgeliefert und müssten vor ihnen geschützt werden, so die Überzeugung mancher Therapeuten.

Die Fachpersonen am PZM, die sich mit diesen Verschwörungsgeschichten identifiziert hätten, seien so in die dunkle Welt der Patientinnen eingetreten, schreibt Maier. «Oberflächlich gesehen fühlten sich die Patientinnen verstanden und wertgeschätzt, und die Therapeutinnen hatten das Gefühl, dass sie als einzige diese komplizierten Patientinnen und die geheimen Hintergründe verstehen und ihnen helfen könnten. Auf einer tieferen Ebene erlebten aber die Patientinnen die Therapeutinnen als schwach, manipulierbar und nicht hilfreich, denn anstatt ihnen zu ermöglichen, aus der ausweglosen Phantasieweit auszubrechen, bestärkten sie diese darin.»

Nun soll alles besser werden

Maier hat die Akten von dreizehn jüngeren, psychisch schwer kranken Frauen durchforstet, die am PZM in Behandlung waren. Alle hatten schwierige Lebensgeschichten mit Vernachlässigung, emotionaler Entbehrung und Traumatisierung hinter sich. In acht Fällen fand er den Hinweis auf «anhaltenden Täterkontakt». Drei dieser Frauen sind mittlerweile durch Suizid gestorben.

Der Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) betont, am PZM seien die notwendigen Massnahmen ergriffen worden, damit sich solche Vorfälle nicht mehr wiederholen könnten. So sollen Patientinnen und Patienten mit Borderline-Störungen und dissoziativer Identitätsstörung eng von Experten begleitet werden. Auch sind freiheitsbeschränkende Massnahmen nur noch auf gewissen Stationen erlaubt, und die Überwachung dieser Praxis soll verbessert werden.
(https://www.nzz.ch/schweiz/satanic-panic-noetigung-und-ueberlange-isolation-in-psychiatrie-ld.1713301)


+++KNAST
Update Freiheitsentzug
Quartalsweise Übersicht über die internationale und nationale Rechtsprechung und Entwicklungen im Bereich des Freiheitsentzugs
https://www.skmr.ch/de/themenbereiche/justiz/publikationen/update-freiheitsentzug.html?zur=2
-> 3. Quartal 2022: https://www.skmr.ch/cms/upload/pdf/2022/221122_Update_Freiheitsentzug_2022_3.Quartal.pdf


+++ARMEE
Grosses Manöver in der Schweiz – Panzer auf den Strassen: Was Sie über «Pilum 22» wissen müssen
In den kommenden Tagen kommt es in mehreren Kantonen zu Behinderungen auf den Hauptverkehrsachsen. Die Hintergründe.
https://www.srf.ch/news/schweiz/grosses-manoever-in-der-schweiz-panzer-auf-den-strassen-was-sie-ueber-pilum-22-wissen-muessen
-> https://www.blick.ch/politik/grossmanoever-der-schweizer-armee-groesste-militaeruebung-seit-1989-startet-id18073762.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/armee/675964534-pilum-22-heute-beginnt-die-groesste-schweizer-militaeruebung-seit-30-jahren
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/aargau-budgetdebatte-ist-stochern-im-nebel?id=12290620 (ab 11:08)
-> https://www.srf.ch/audio/news-plus/wenn-auf-schweizer-autobahnen-ploetzlich-panzer-unterwegs-sind?id=12290491


+++POLIZEI BS
bzbasel.ch 22.11.2022

Faustschlag gegen Jugendlichen: Bundesgericht weist Beschwerde von Basler Polizisten ab

Ein Basler Polizist verpasste einem 16-Jährigen im August 2016 auf einem Polizeiposten einen Schlag ins Gesicht. Er bestritt die Tat und zog das Urteil weiter – das Bundesgericht wollte seiner Erklärung, wie die Verletzung entstanden sein soll, aber keinen Glauben schenken.

Zara Zatti

Weil er einen Jugendlichen in Polizeigewahrsam geschlagen hatte, verurteilte das Strafgericht im Januar 2020 einen Basler Polizisten wegen schwerer Körperverletzung und Amtsmissbrauch. Er erhielt eine bedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten. Gegen das Urteil ging der Polizist in Berufung. Er bestritt vehement, dem damals 16-jährigen Eritreer einen Faustschlag verpasst zu haben.

Der Jugendliche wurde damals in Handschellen auf die Polizeiwache gebracht, weil er sich nicht ausweisen konnte. Er hatte 1,3 Promille Alkohol im Blut. Der Polizist sagte aus, er habe den Jugendlichen reflexartig von sich gestossen, weil dieser plötzlich eine halbe Armlänge vor ihm gestanden habe. Durch den Stoss sei der 16-Jährige ausgerutscht, an die Rückwand gestossen und dann vorwärts auf den Boden gefallen.

Knochenbruch und Blutung

Ein rechtsmedizinisches Gutachten stellte beim Jugendlichen unter anderem einen Knochenbruch an der Innenwand der rechten Augenhöhle sowie eine innere Blutung am rechten Stirnlappen fest. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass sich die Verletzungen durch eine stumpfe Gewalteinwirkung, etwa einen Faustschlag, nicht aber durch einen Sturz erklären lassen.

Die Verletzungen des 16-Jährigen erklärte der Polizist vor Gericht damit, dass dieser nach seiner Entlassung aus dem Polizeigewahrsam noch eine weitere Auseinandersetzung gehabt habe.

Bundesgericht lehnt Beschwerde ab

Das Appellationsgericht hiess die Berufung des Polizisten teilweise gut. Zwar kam es zum Schluss, dass ein Schlag die wahrscheinlichste Ursache für die Verletzungen sei. Das Gericht verurteilte ihn aber nur wegen einfacher Körperverletzung und Amtsmissbrauch und sprach eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 140 Franken aus.

Der Polizist liess nicht locker und zog das Urteil ans Bundesgericht weiter. Er plädierte auf einen Freispruch. Wie das letzte Woche publizierte Urteil zeigt, lehnt das Gericht die Beschwerde ab. Somit gilt das Urteil des Appellationsgerichts.
(https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/urteil-faustschlag-gegen-jugendlichen-bundesgericht-weist-beschwerde-von-basler-polizisten-ab-ld.2376557)


+++FRAUEN/QUEER
Kind mit zwei Vätern – EGMR-Urteil: Schweiz hat Recht auf Familienleben verletzt
Der europäische Menschengerichtshof rügt, dass sich nicht beide Männer als Eltern eintragen konnten. Eine alte Praxis.
https://www.srf.ch/news/schweiz/kind-mit-zwei-vaetern-egmr-urteil-schweiz-hat-recht-auf-familienleben-verletzt
-> https://www.queer.de/detail.php?article_id=43879


+++RASSISMUS
Walzenhausen AR: Blackfacing – Jodlerverein sorgt für Rassismus-Eklat
Ein Video eines schwarzangemalten Jodlers mit Trommel und Bastrock sorgt für Kopfschütteln. Der Präsident des Jodlerklubs ist überrascht über die Kritik. Den Ausdruck Blackfacing habe er noch nie gehört.
https://www.20min.ch/video/blackfacing-jodlerverein-sorgt-fuer-rassismuseklat-411152721564
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/appenzellerland/wir-wollten-niemanden-verletzen-oder-angreifen-jodlerpraesident-zu-blackfacing-vorwuerfen-ld.2376384


+++RECHTSEXTREMISMUS
„TW: Antisemitismus Neues vom „Raclette-Essen gegen Links“ von der Kameradschaft Heimatreu. vgl: https://twitter.com/farbundbeton/status/1592259696920264704 In diesem Video ist ua. Tobias Steiger zu sehen ( Direkt bei der Schweizerfahne )“
Mehr: https://twitter.com/farbundbeton/status/1595085505523318784


Rechtspopulist Ignaz Bearth schuldet dem Kanton rund 7500 Franken
7500 Franken – so viel schuldet der bekannte Rechtsextreme Ignaz Bearth dem Kanton St. Gallen. Er hatte Arbeitslosengelder bezogen und gleichzeitig auch Corona-Härtefallgelder erhalten, ohne der Arbeitslosenkasse Bescheid zu geben.
https://www.20min.ch/story/rechtspopulist-ignaz-bearth-schuldet-dem-kanton-rund-7500-franken-812895549299



luzernerzeitung.ch 22.11.2022

Nazi-Treffen beim Morgartendenkmal: Die SP Zug fordert Antworten von der Regierung

Am Wochenende traf sich wiederholt eine rechtsradikale Gruppe in Oberägeri. Ronahi Yener und Guido Suter, Kantonsrätin und Kantonsrat der SP Zug, reichten am Samstag eine Interpellation zum Thema ein.

Kristina Gysi

Ronahi Yener und Guido Suter wollen Antworten. Unter dem Titel «Morgartendenkmal – Akzeptierter Sammelplatz für gefährliche, rechtsextreme Gruppierungen?» haben die SP-Kantonsratsmitglieder kürzlich eine Interpellation zuhanden der Zuger Sicherheitsdirektion eingereicht.

Dem voran ging ein Artikel unserer Zeitung, in dem wir über ein geplantes Treffen rechtsradikaler Gruppierungen beim Morgartendenkmal berichteten. Die kantonale Sicherheitsdirektion, die Gemeinde Oberägeri und die Zuger Polizei wurden darin um eine Stellungnahme zur Thematik gebeten. «Der Artikel hat gezeigt, dass gegen diese Treffen quasi nichts gemacht wird und sie einfach toleriert werden», so Ronahi Yener auf Anfrage.

Zuger Polizei war kurz vor Ort

Laut einer Anfrage von «Zentralplus» bei der Zuger Polizei fanden sich am Wochenende acht bis zehn Personen beim Denkmal ein. Die Polizei sei kurz zur Kontrolle vor Ort gewesen.

Dass sich angeblich jedes Jahr offen bekennende Neonazis beim Memorial treffen und diesen Platz für sich beanspruchen, empfindet Yener als «nicht tragbar». Zudem sei es «schandhaft», dass ein historisches Denkmal dafür missbraucht werde, Nazi-Propaganda zu verbreiten.

Im Jahr 2007 habe der Kanton laut ihrer Informationen zuletzt offiziell zu den Versammlungen beim Morgartendenkmal Stellung bezogen. «Ich dachte immer, dass seither etwas im Hintergrund läuft, aber offenbar werden diese Treffen einfach toleriert», sagt sie.

Mit der Interpellation erhoffen sich die Kantonsrätin und ihr Mit-Interpellant Guido Suter, dass künftig «in irgendeiner Art» auf diese Treffen reagiert wird. «Laura Dittli, die ab dem 1. Januar 2023 Vorsteherin der Sicherheitsdirektion sein wird, ist selbst aus Oberägeri. Ich hoffe, dass sie zum Thema Stellung bezieht», sagt Yener.

Selbst wenn den Behörden die Hände gebunden sind, sei es das Mindeste, dass diese die Bevölkerung über solche Treffen informieren. Denn: «Ich persönlich würde mich nie an diesen Ort trauen, wenn ich wüsste, dass eine solche Gruppierung vor Ort ist»,

so die Kantonsrätin. Schliesslich hätten sowohl die Sicherheitsdirektion als auch die Polizei Kenntnis gehabt über die sich wiederholenden Treffen rechtsradikaler Gruppen in Oberägeri.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/oberaegeri-wegen-nazi-treffen-beim-morgartendenkmal-sp-zug-reicht-interpellation-ein-ld.2376379)
-> https://www.zentralplus.ch/politik/der-sp-reichts-kanton-zug-muss-gegen-nazis-vorgehen-2496264/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Verschwörungsmythen – Keynote für die Konferenz der GRÜNEN am 18.11.22
Meine Keynote von der #KonfVerschwörungstheorien der GRÜNEN vom 18.11.2022. Eine Übersicht darüber, wer Verschwörungsmythen verbreitet, warum, unter wem und warum Menschen sie glauben. Oh, und was wir dagegen tun können.
https://www.youtube.com/watch?v=HKOlufTNe6M


«Apropos» – der tägliche Podcast«Satanic Panic» in der Schweiz
Ein Mädchen aus der Region Basel soll von ihrem Vater missbraucht und zu satanistischen Ritualen gezwungen worden sein. Dahinter steckt eine weltweit verbreitete Verschwörungstheorie.
https://www.tagesanzeiger.ch/satanic-panic-in-der-schweiz-160099087538


30 Jahre nach Brandanschlag in Mölln: Idylle mit Brüchen
In diesen Tagen jährt sich der Brandanschlag von Mölln zum 30. Mal. Wie blickt die Stadt heute darauf? Und: Werden die Opferfamilien zu wenig einbezogen?
https://taz.de/30-Jahre-nach-Brandanschlag-in-Moelln/!5893471/


»So können wir die Geschichte der Familie Arslan erzählen«
Vor 30 Jahren starben drei Menschen bei Brandanschlägen in Mölln. Verein dokumentiert Solidaritätsbriefe. Ein Gespräch mit Timo Glatz
https://www.jungewelt.de/artikel/439333.erinnerungsarbeit-so-k%C3%B6nnen-wir-die-geschichte-der-familie-arslan-erz%C3%A4hlen.html


30 Jahre voller Schmerz
Jahrestag des Brandanschlags von Mölln: Gedenkveranstaltung in Hamburg thematisiert Leid der türkischen Familie, die von Faschisten angegriffen wurde
https://www.jungewelt.de/artikel/439359.rechter-terror-30-jahre-voller-schmerz.html


Empathieloser Umgang mit den Opfern von Mölln
Wie die Stadt Mölln und die Politik nach dem rechten Terror versagten
Die 1992 für den rassistischen Brandanschlag in Mölln verantwortlichen Täter wurden damals schnell ermittelt. Doch für die Hinterbliebenen sollte eine erneute Traumatisierung erst noch folgen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168725.rassistischer-mordanschlag-empathieloser-umgang-mit-den-opfern-von-moelln.html


30 Jahre Mölln: Wie ein zweiter Anschlag
İbrahim Arslan überlebte den rechten Terror in Mölln und kämpft seitdem für eine Gedenkkultur aus Sicht der Opfer
Den rassistischen Brandanschlag von Mölln am 23. November 1992 überlebte İbrahim Arslan knapp. 30 Jahre später kämpft er weiterhin für eine andere Gedenkkultur – und prangert den Umgang mit seiner Familie an.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168724.i-brahim-arslan-jahre-moelln-wie-ein-zweiter-anschlag.html