Medienspiegel 5. November 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BASEL
Ausstellung zu Migration und Schule
Ein Labyrinth, in welchem man Bilder von Menschen sowie deren Biographie kennen lernt, ist derzeit im Bahnhof in Basel zu sehen. Die Ausstellung heisst „Einreise“ und wurde von zwei Frauen gemacht, die einst selbst in die Schweiz einreisten.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/ausstellung-zu-migration-und-schule?id=12281881


+++LUZERN
Grüne schöpfen Verdacht – Unterkünfte für Ukrainer: Verzichtet Kanton auf Angebote?
Genügend Unterkünfte für Flüchtlinge aus der Ukraine bereitzustellen, stellt Gemeinde und Kanton vor grosse Herausforderungen. Ein Luzerner Grossstadtrat vermutet aber, dass der Kanton bei der Auswahl zu wählerisch sei.
https://www.zentralplus.ch/politik/unterkuenfte-fuer-ukrainer-verzichtet-kanton-auf-angebote-2484727/


+++SCHWEIZ
Karin Keller-Sutter: «Dach über dem Kopf ausreichend»
Die Migration sei unter Kontrolle, sagte Bundesrätin Karin Keller-Sutter in einem NZZ-Interview: Alle hätten ein Dach über dem Kopf und ein korrektes Verfahren. In der jetzigen Lage müsse dies reichen.
https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/fluechtlingswelle-karin-keller-sutter-dach-ueber-dem-kopf-ausreichend-ld.2368621


+++GROSSBRITANNIEN
Britische Polizei spricht nach Brandanschlag auf Migrationszentrum von rechtsextremem Terror
Ermittler sehen Kriterien für Terrorismus nach Angriff auf Zentrum in Dover erfüllt. Indes gab es in einem Abschiebezentrum in Heathrow nach 24 Stunden ohne Strom Unruhen
https://www.derstandard.at/story/2000140567366/unruhen-in-englischem-abschiebegefaengnis?ref=rss
-> https://www.srf.ch/news/international/angriff-auf-fluechtlingsheim-brandanschlag-in-england-polizei-vermutet-rechtsextremismus


+++MITTELMEER
Rettungsschiff mit 179 Migranten darf Hafen in Sizilien ansteuern
Ein Rettungsschiff darf in Sizilien anlegen. Die 179 Migranten werden ärztlich untersucht, die meisten dürfen aber nicht an Land.
https://www.nau.ch/news/europa/rettungsschiff-mit-179-migranten-darf-hafen-in-sizilien-ansteuern-66324846
-> https://www.srf.ch/news/international/179-migranten-an-bord-seenot-rettungsschiff-darf-in-italien-anlegen
-> https://www.derbund.ch/nicht-schon-wieder-128266853780


+++EUROPA
Viermal mehr als im bisherigen Rekordjahr 2015: Europa hat dieses Jahr 4,8 Millionen Flüchtlinge aufgenommen
Derzeit ist Europa mit fast fünf Millionen Vertriebenen Schauplatz der grössten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Dabei wird mit dem Winterbeginn ein neuer Zustrom von Fliehenden aus der Ukraine erwartet.
https://www.blick.ch/ausland/viermal-mehr-als-im-bisherigen-rekordjahr-2015-europa-hat-dieses-jahr-4-8-millionen-fluechtlinge-aufgenommen-id18025198.html


+++GASSE
Dealer verticken Ketamin und Crystal Meth als MDMA
In Proben wurde vermehrt festgestellt, dass Drogen unter einem falschen Namen verkauft wurden. So steckten im weissen Pülverchen etwa Crystal Meth oder Ketamin statt MDMA.
https://www.20min.ch/story/dealer-verticken-ketamin-und-crystal-meth-als-mdma-809101264104


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Mehrere Tausend Teilnehmende: Irand-Demon: Flavia Wasserfallen schneidet sich Haare ab
Zum wiederholten Mal findet am Samstag auf dem Bundesplatz eine Demonstration gegen das iranische Regime statt.
https://www.derbund.ch/erneut-gehen-menschen-gegen-das-mullah-regime-auf-die-strasse-277866364196
-> https://www.20min.ch/story/hunderte-gehen-gegen-iranisches-regime-auf-die-strasse-711391265789
-> https://www.baerntoday.ch/bern/demonstrierende-fordern-auf-bundesplatz-wende-in-schweizer-iran-politik-148638744
-> https://www.blick.ch/politik/moegliche-sp-bundesratskandidatin-zeigt-solidaritaet-mit-iran-frauen-hier-schneidet-sich-flavia-wasserfallen-die-haare-ab-id18026194.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/bern/570040278-iran-demo-in-bern-flavia-wasserfallen-schneidet-sich-die-haare-ab
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/demonstrierende-in-bern-fordern-wende-in-schweizer-iran-politik-66325265
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/blick-tv-reporter-bei-protesten-in-bern-man-kann-die-solidaritaet-spueren-id18026322.html
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/lukas-baerfuss-ueber-proteste-im-iran-der-bundesrat-ist-aussenpolitisch-handlungsunfaehig-id18026271.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/demonstration-fuer-den-iran-tausende-fordern-in-bern-wende-in-schweizer-iran-politik
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/wenn-der-winter-zum-sommer-wird?id=12281899
-> https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/demonstration-auf-dem-bundesplatz-fuer-den-iran-148641747
https://www.tele1.ch/nachrichten/iraner-demonstrieren-in-bern-148642229
-> https://www.bernerzeitung.ch/tausende-fordern-auf-dem-bundesplatz-dass-die-schweiz-reagiert-623928374125


Rund 500 Personen demonstrieren in Basel für Netto Null bis 2030
In Basel kam es heute Samstag zu einer Demonstration für die Klimagerechtigkeitsinitiative. Rund 500 Menschen nahmen an dieser teil.
https://www.nau.ch/news/schweiz/rund-500-personen-demonstrieren-in-basel-fur-netto-null-bis-2030-66325287
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/ausstellung-zu-migration-und-schule?id=12281881 (ab 06:38)
-> https://telebasel.ch/2022/11/05/hunderte-demonstrieren-fuer-netto-null-2030
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/kundgebung-fuer-initiative-basel-2030-klimademonstration-in-der-innenstadt-ld.2368632


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Kanun-Hölle in Moutier BE – Lebensgefahr in der Heimat: Sklavin von Balkan-Clan droht Ausschaffung
Sie durchlebten die Hölle. 16 Jahre lang wurden vier Frauen im Berner Jura von einem Familienclan wie Sklavinnen gehalten. Während den fünf Männern der Prozess gemacht wird, muss mindestens eine der Frauen um ihre Zukunft in der Schweiz fürchten.
https://www.blick.ch/schweiz/bern/kanun-hoelle-in-moutier-be-lebensgefahr-in-der-heimat-sklavin-von-balkan-clan-droht-ausschaffung-id18024501.html


+++KNAST
Farbtöne für den Gefängnisalltag
Seit einem Jahr unterstützt das Grandhotel Giessbach das Gefängnis Limmattal unter anderem mit duftenden Pflanzen für die Spazierhöfe. Einmal pro Jahr pflanzen die Gärtnerinnen gesunde Küchenkräuter in die Hochbeete. Nun kommt auch noch ein Musikgruss aus der grossen weiten Welt des Souls dazu.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/204465/


+++RASSISMUS
Black Voices: Darf ich deine Haare anfassen?
Die Autorinnen Minitta Kandlbauer, Melanie Kandlbauer und Noomi Anyanwu legen ein Buch mit 22 Anti-Rassismus-Tipps für den Alltag vor
https://www.derstandard.at/story/2000140528987/black-voices-darf-ich-deine-haare-anfassen?ref=rss


+++RECHTSEXTREMISMUS
«Wir sind keine Rechtsextremisten» – Junge Tat äussert sich per Video
Die Junge Tat bezieht in einem selbst veröffentlichten Video zu  Nationalsozialismus-Vorwürfen Stellung. Extremismus-Experte Dirk Baier ordnet ein.
https://www.20min.ch/story/wir-sind-keine-rechtsextremisten-junge-tat-aeussert-sich-per-video-205758035138


Ignoranz der Schweiz ist «brandgefährlich»
Der Historiker Damir Skenderovic sieht bei rechtsextremen Gruppierungen wie der Jungen Tat eine neue Art der Propaganda am Werk: Sie soll provozieren und faszinieren.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/204586/


+++HISTORY
derbund.ch 04.11.2022

Buch über US-Pharma-Familie: Diese Familie hat die Opioidkrise in den USA ausgelöst

Sie sind das Feindbild einer ganzen Nation: Ein 700-seitiges Buch zeigt auf schockierende Weise den Einfluss der reichen Unternehmerfamilie Sackler auf. Die Spuren führen auch in die Schweiz.

Annik Hosmann

Es war einmal ein Mann, der sagte seinen Söhnen: Mit einem guten Namen kannst du alles erreichen, auch wenn du kein Geld hast. Sackler war sein Nachname.

Jahrzehnte später stand dieser Familienname an Universitäten, Kunstmuseen, Bibliotheken, Sammlungen.
Heute wird «Sackler» vor allem mit dem schnell abhängig machenden OxyContin in Verbindung gebracht. Das äusserst starke Schmerzmittel gilt als Ursprung der Opioidkrise. Etwa eine halbe Million Amerikanerinnen und Amerikaner sind seit 1999 an einer Überdosis legaler oder illegaler Opioide gestorben. 2017 rief Donald Trump zwischenzeitlich deswegen den nationalen Notstand aus.

Die Sacklers betonen bis heute, dass sie mit dem von Purdue Pharma entwickelten OxyContin stets nur Patientinnen und Patienten von ihren starken Schmerzen erlösen wollten.

Liest man das soeben auf Deutsch übersetzte Buch «Imperium der Schmerzen» des «New Yorker»-Investigativjournalisten Patrick Radden Keefe, entsteht allerdings ein anderer Eindruck. Während zweier Jahre sprach Radden Keefe mit Angehörigen von Opioidopfern, Anwältinnen, Politikern, ehemaligen Angestellten und Wegbegleitern der Sacklers, las Tausende Seiten Gerichtsakten, E-Mails und interne Dokumente.

35 Milliarden Umsatz mit OxyContin, Privatvermögen von 11 Milliarden

Es ist ein detailliertes, schockierendes Bild der amerikanischen Gesellschaft und vor allem des Kapitalismus, der Pharmaindustrie und der letzten hundert Jahre amerikanischer Geschichte, das Radden Keefe auf 700 Seiten (inklusive knapp 70 Seiten Quellenangaben) zeichnet.

1995 – nur elf Monate nach dem Zulassungsantrag – kam OxyContin in den USA auf den Markt. Auch dank, wie Patrick Radden Keefe schreibt, den guten Beziehungen der Sacklers zur Politik und vor allem der Zulassungsbehörde FDA.

Im ersten Jahr nach der Lancierung verkaufte Purdue OxyContin-Tabletten für 44 Millionen Dollar, 1999 erzielte Purdue einen Gesamtumsatz von 601 Millionen Dollar. Nach zwei Jahrzehnten auf dem Markt soll OxyContin 35 Milliarden Dollar Umsatz eingebracht haben. 10 Milliarden Dollar davon sollen sich die Sacklers über die Jahre selbst ausbezahlt haben. Der Ermittlungsausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses schätzte 2021 das Vermögen der Familie auf 11 Milliarden Dollar.

Patrick Radden Keefe zeigt auf, wie Nebenwirkungen und das Abhängigkeitsrisiko von OxyContin verharmlost wurden, wie aggressiv die Werbestrategie war, wie scheinbar unabhängiges Infomaterial eigentlich von Purdue Pharma gesponsert wurde, wie Listen von besonders erfolgreichen Purdue-Vertretern geführt und mittels Boni und Luxusferien Anreize geschaffen wurden, noch mehr Schmerzmittel zu verkaufen.
«Imperium der Schmerzen» ist aber vor allem auch die Saga der Familie Sackler.

Isaac Sackler war der Mann, der seinen Söhnen Arthur, Mortimer und Raymond die Sache mit dem guten Namen einbläute.

Reich waren die Sacklers damals um die Jahrhundertwende nicht, aber Arthur stellte seinen Geschäftssinn früh unter Beweis. Er verkaufte Anzeigen und tat dies so erfolgreich, dass er mit 15 Jahren nicht nur seine ganze Familie unterstützte, sondern auch seine jüngeren Brüder ins Geschäft involvierte. Er begann ein Medizinstudium in New York und arbeitete daneben weiterhin in zahlreichen Nebenjobs. So legte er den Grundstein für das Vermögen der Sacklers.

Das Spezialgebiet von Arthur Sackler war die Vermarktung von Pharmazeutika. Er wendete erstmals gängige Werbestrategien auch für verschreibungspflichtige Medikamente an. «Von nun an wurden Medikamente Ärzten gegenüber mehr oder weniger genauso angepriesen wie Bademode oder Autoversicherungen gegenüber normalen Konsumenten», schreibt Radden Keefe.

1952 kaufte Arthur die kleine Pharmafirma Purdue Frederick für 50’000 Dollar. Offiziell gehörte sie je zu einem Drittel den drei Brüdern, wobei Mortimer und Raymond das Unternehmen leiteten und Arthur sich im Hintergrund hielt. Die Entwicklung und Lancierung von OxyContin erlebte er nicht mehr, der älteste Sackler starb 1987.

Sackler Galleries und eine Sackler-Rolltreppe

Es klingt nach amerikanischem Traum: Ein Sohn jüdischer Emigranten wird Psychiater und Werber, arbeitet sich hoch, zieht seine jüngeren Brüder (die beide auch Ärzte werden) mit hoch.

Sackler-Familienmitglieder spendeten hohe Geldsummen an Prestigeuniversitäten wie die Columbia und die Harvard University, ermöglichten dem Metropolitan Museum of Art den Kauf des ägyptischen Dendur-Tempels (und erhielten dafür einen Museumsflügel), es gab einen Sackler Room in der National Gallery in London und einen Sackler-Flügel im Louvre. 2013 schob sich «Sackler» zwischen «Serpentine» und «Gallery». In der Tate gab es sogar eine Sackler-Rolltreppe.

Wo Sackler-Geld drin war, musste Sackler draufstehen.

Woher dieses Geld genau kam, war lange unbekannt.

Anfang der Nullerjahre recherchierten erste Investigativjournalisten. Sogenannte «pill mills» – Schmerzmittelkliniken, in denen Ärztinnen und Ärzte mehr oder weniger jedem, der darum bat, ein OxyContin-Rezept ausstellten – flogen auf. Damit häuften sich nicht nur die Berichte über Süchtige, die die Pillen zerbrachen und sich durch die Nase zogen oder die Tabletten in Wasser auflösten und sich spritzten, sondern auch über Schmerzpatientinnen und -patienten, die an einer versehentlichen Überdosis im Schlaf aufhörten zu atmen.

Die Kritik an OxyContin und Purdue Pharma wurde immer lauter. Erste Klagen erreichten den Pharmakonzern, Tausende sollten folgen. Zu Beginn wurden fast alle mit hohen Zahlungen seitens Purdue geregelt, hinter verschlossenen Türen. Der Name Sackler wurde in diesem Zusammenhang kaum genannt, die Familie war höchst diskret.

Purdue Pharma wehrte sich stets gegen alle Vorwürfe: Die negativen OxyContin-Berichte würden Menschen betreffen, die das Medikament missbrauchten, nicht Patientinnen und Patienten mit medizinischen Bedürfnissen. «Süchtige wollen süchtig sein», sagte Richard Sackler einst.

Es war dann ausgerechnet eine Künstlerin, die den Namen Sackler und die Kontroverse um OxyContin in Zusammenhang brachte: Nan Goldin.

Ihr Arzt verschrieb ihr 2014 wegen einer schweren Sehnenentzündung OxyContin. Goldin war in den 80er-Jahren heroinabhängig, machte 1988 einen Entzug und war seither clean. Sie kannte den Ruf des Schmerzmittels, dachte, sie komme damit zurecht. Doch dem war nicht so: Die nächsten drei Jahre war sie süchtig, wechselte später auf Heroin. 2017 nahm sie aus Versehen eine Überdosis Fentanyl. Danach machte die mittlerweile 62-Jährige einen Entzug und gründete die aktivistische Gruppe «P.A.I.N.».

Über das Engagement von Nan Goldin im Kampf gegen die Sacklers und für die Opioidopfer hat Laura Poitras einen Dokumentarfilm gedreht. Dieser wurde dieses Jahr mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnet.

2019 entrollten Goldin und weitere Aktivistinnen Transparente hoch oben im ikonischen Atrium des Guggenheim Museum in New York. «Sacklers, schämt euch. Täglich 200 Tote. Weg mit dem Namen.» Denn auch hier war die Familie bekannt: Mortimer Sackler war lange Mitglied des Verwaltungsrates, in über zwanzig Jahren erhielt das Museum 9 Millionen Dollar Spendengelder von der Familie.

Wenig später verkündete das Museum, es nehme kein Geld mehr von den Sacklers an. Zahlreiche andere grosse Institutionen taten es ihm gleich. Mittlerweile haben sich Institutionen wie das Met, der Louvre und die Serpentine Gallery distanziert, die Namensplaketten entfernt.

Dieser Dominoeffekt kam bis in die Schweiz: Während mehrerer Jahre unterstützte Theresa Sackler, die dritte Ehefrau Mortimers, das Klassikfestival Gstaad Menuhin Festival finanziell mit 25’000 Franken pro Jahr. 2020 lehnte das Festival die Spende erstmals ab. Seither gebe es weder Sponsoring noch Kontakt zur Familie, schreibt Geschäftsführer Lukas Wittermann auf Anfrage.

Dass Theresa Sackler genau diese Kulturveranstaltung unterstützte, ist kaum Zufall. Seit Jahrzehnten hat die Familie Liegenschaften in Gstaad. 2020 zogen Jacqueline und Mortimer, benannt nach seinem Vater und Purdue-Pharma-Gründer, ins Berner Oberland.

US-Medien schrieben von einer Flucht in die Schweiz, ein Sprecher der Familie sagte damals dieser Zeitung, es handle sich um einen temporären Umzug. Ob Familienmitglieder noch immer dort leben, ist unbekannt. Der Saaner Gemeindepräsident Toni von Grünigen sagt, er habe seit damals nichts mehr von der Familie gehört und wisse nicht, ob und wie oft die Sacklers in Gstaad seien.

Auch ob die Familie Sackler andere Kulturinstitutionen in der Schweiz finanziell unterstützte, ist nicht bekannt. Seit 1998 gibt es die von Theresa Sackler präsidierte Sackler-Stiftung mit Sitz in Basel. Ihr Zweck ist die «Förderung und Unterstützung von Kunst, Bildung, Wissenschaft und medizinischer Forschung in der Schweiz und im Ausland». Was bisher unterstützt oder gefördert wurde, ist unklar, eine Anfrage dieser Zeitung blieb unbeantwortet.

Im selben Jahr wie Goldins Aktion im Guggenheim wurden erstmals acht Sacklers namentlich angeklagt. Bislang hiess der Angeklagte immer Purdue Pharma. Die Klägerschaft: Bundesstaaten, Städte, Spitäler, Schulbezirke, indigene Stämme.

Im Oktober 2020 verkündete Jeffery Rosen, stellvertretender Generalstaatsanwalt der damaligen Trump-Regierung, dass Purdue Pharma sich unter anderem der Anstiftung zum Betrug an den Vereinigten Staaten und der Verletzung des Nahrungs- und Arzneimittelgesetzes schuldig bekannte. Leitende Angestellte wurden keine angeklagt, auch strafrechtliche Anklagen gegen Familienmitglieder gab es keine. Um eine zivilrechtliche Klage beizulegen, erklärten sich die Sacklers bereit, 225 Millionen Dollar zu bezahlen.

Geregelt war damit längst nicht alles. 2019 meldete Purdue Pharma Konkurs an, nach dem Verfahren sollte die Firma in eine gemeinnützige Stiftung umgewandelt werden. Bis zum Abschluss dieses Konkursverfahrens wurden gemäss amerikanischem Recht alle Klagen gegen die Firma vorübergehend gestoppt.

Über zwei Jahre stritten die Behörden mit Purdue Pharma und den Sacklers, diesen Frühling zeichnete sich eine Einigung ab: Bis zu 6 Milliarden Dollar sollen die Sacklers an Staaten und Gemeinden für die Bewältigung der Krise bezahlen. Im Gegenzug sollen die Sacklers nicht mehr (und auch künftig nicht) zivilrechtlich belangt werden können.

Die Krise ist nicht vorbei

Ob der Deal definitiv zustande kommt, ist offen. In einem Statement schrieben die Sacklers, sie würden bedauern, «dass OxyContin, ein verschreibungspflichtiges Medikament, das Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, immer noch hilft, unerwartet Teil einer Opioidkrise geworden ist, die viel zu viele Familien und Gemeinschaften in Trauer und Verlust gestürzt hat.»

Auch ist die Krise noch nicht vorbei. Durch die Pandemie hat sich die Situation weiter verschärft. 2021 sind nach Zahlen der Gesundheitsbehörde CDC über 107’000 Menschen an einer Überdosis gestorben. Ein Rekordwert.

Patrick Radden Keefe: «Imperium der Schmerzen. Wie eine Familiendynastie die weltweite Opioid-Krise auslöste». Aus dem amerikanischen Englisch von Benjamin Dittmann-Bieber, Gregor Runge und Kattrin Stier. Hanserblau, München 2022. 640 Seiten, ca. 50 Fr.
(https://www.derbund.ch/ein-amerikanischer-traum-fuer-die-einen-ein-albtraum-fuer-die-anderen-605975972094)



OxyContin in der Schweiz

Swissmedic hat OxyContin 1999 für den Schweizer Markt zugelassen, seit Februar 2001 ist es für Patientinnen und Patienten erhältlich. Das Schmerzmittel, das einen euphorischen Rausch auslösen kann, untersteht dem Betäubungsmittelgesetz und unterliegt der strengsten Abgabekategorie A+; die Verschreibung darf nur mit einem speziellen Formular erfolgen. Die Warnhinweise, die in der Arzneimittelinformation zu OxyContin aufgeführt sind, sind sehr lang. Dazu gehören Schlafapnoe sowie andere starke Atembeschwerden. Swissmedic beschreibt auf Anfrage das Abhängigkeitspotenzial als beträchtlich. Weil es kein schweizweites Gesamtverzeichnis über die Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten gibt, ist nicht bekannt, wie oft OxyContin in der Schweiz verschrieben und somit eingenommen wird. Es wird etwa bei starken Tumorschmerzen eingesetzt. Mundipharma, das Unternehmen mit Sitz in Basel, das OxyContin in der Schweiz vertreibt, gibt auf Anfrage keine Verkaufszahlen bekannt. Die Organisation Sucht Schweiz beobachtet zwar eine stärkere Verbreitung von Schmerzmitteln auf Opioidbasis auch hierzulande, die Situation sei aber noch unter Kontrolle. (aho)
(https://www.derbund.ch/ein-amerikanischer-traum-fuer-die-einen-ein-albtraum-fuer-die-anderen-605975972094)