Medienspiegel 1. November 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++GRAUBÜNDEN
Rund 3% mehr Asylsuchende im Kanton Graubünden
https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/rondo-news/rondo-news-01-11-22


+++SCHWEIZ
Bundesrätin Keller-Sutter wehrt Kritik aus Deutschland ab
Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat für die Kritik aus Deutschland an der Schweizer Migrationspolitik kein Verständnis gezeigt.
https://www.nau.ch/news/schweiz/bundesratin-keller-sutter-wehrt-kritik-aus-deutschland-ab-66320540


Notfallplanung Asyl: Rechte der Geflüchteten müssen gewahrt sein
Die Zustände in einigen Bundesasylzentren sind aus Sicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) nicht haltbar. Die SFH begrüsst daher die Einführung der für ausserordentliche Lagen vorgesehenen Notfallmassnahmen. Eine weitere Beschleunigung der Asylverfahren bringt aber die Rechte der Geflüchteten unter Druck. Die SFH fordert, dass die Asylverfahren auch unter dem Notfallregime korrekt ablaufen und Verfahrensgarantien eingehalten werden.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medienmitteilungen/notfallplanung-asyl-rechte-der-gefluechteten-muessen-gewahrt-sein


Gravierende Mängel der LINGUA-Analysen im Asylverfahren
Im Asylverfahren spielt die Herkunft von schutzsuchenden Personen naturgemäss eine erhebliche Rolle. Weil die Betroffenen ihre Heimat oft überstürzt verlassen müssen und eine gefährliche Reise hinter sich haben, können sie jedoch häufig keine Identitätsdokumente vorweisen. Um die Herkunft dennoch verlässlich abklären zu können, wurde im Staatssekretariat für Migration im Jahr 1997 die Fachstelle LINGUA gegründet. An ihren Herkunftsanalysen entzündete sich in der Vergangenheit immer wieder scharfe Kritik.
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/migration-asyl/lingua-analysen-asylverfahren


+++GROSSBRITANNIEN
Geflüchtete in Großbritannien: Hilfe vom Militär
Immer mehr Asylsuchende erreichen die Insel. Der Zustand in einem Lager gilt als inakzeptabel – ein Problem für Premier Sunak.
https://taz.de/Gefluechtete-in-Grossbritannien/!5888851/


+++ITALIEN
Harter Kurs gegen Flüchtlinge
Italiens neue Regierung setzt auf Abschottung an den Außengrenzen und kriminalisiert Hilfsorganisationen
In ihrer ersten Regierungserklärung hatte sich Italiens neu installierte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni noch moderat und EU-freundlich gegeben. Doch Hilfsorganisationen für Flüchtlinge werden bereits massiv unter Druck gesetzt.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168171.rechtsregierung-in-italien-harter-kurs-gegen-fluechtlinge.html


+++MITTELMEER
Zwei Boote in der Ägäis gesunken: Mehr als 60 vermisste Migranten
Der starke Wind erschwert die Such- und Rettungsarbeiten der griechischen Küstenwache.
https://www.derstandard.at/story/2000140446708/zwei-boote-in-der-aegaeis-gesunken-mehr-als-60-vermisste?ref=rss
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-11/gefluechtete-mittelmeer-griechenland-aegaeis


+++FREIRÄUME
Ausgekocht, ausgedient?
Die Tage des Koch-Areals sind gezählt. Vom Wert autonomer Räume in Zürich.
https://www.zsonline.ch/2022/10/28/ausgekocht-ausgedient


Sicherheitsrisiko beim besetzten EWZ-Gebäude
Der Druck auf das EWZ und die Stadt Zürich steigt. Jetzt fordern sogar linke Politiker, dass die Hausbesetzter das alte Gebäude des Elektrizitätswerk Zürich beim Letten räumen. Das Gebäude sei baufällig und deshalb ein grosses Sicherheitsrisiko.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/sicherheitsrisiko-beim-besetzten-ewz-gebaeude-148595081


+++GASSE
Oltner Notschlafstelle erhält befristete Bewilligung
In Olten möchte ein Verein eine Notschlafstelle für Obdachlose erstellen. Weil dies in einem Wohnquartier geplant ist, gibt es Einsprachen gegen das Projekt. Mehrere Einsprecher haben nun bestätigt, dass der Verein von der Baukommission eine befristete Bewilligung für zwei Jahre erhält.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/oltner-notschlafstelle-erhaelt-befristete-bewilligung?id=12279577



solothurnerzeitung.ch 01.11.2022

Befristete Bewilligung für Oltner Notschlafstelle an der Bleichmatt: Gegner künden Beschwerde an

Es stösst nicht überall auf Gegenliebe, das Vorhaben des Vereins Schlafguet: eine Notschlafstelle im Wohnquartier mit Kirche und Schulhaus in nächster Umgebung. Jetzt hat Oltens Baukommission über die Einsprachen befunden.

Urs Huber

Es ist ein Kompromiss, der verständlicherweise die Gegnerschaft nicht wirklich glücklich macht: Die Oltner Baukommission hat entschieden, das Vorhaben Notschlafstelle in der Liegenschaft Bleichmattstrasse 21 befristet für zwei Jahre zu bewilligen, wie das Regionaljournal Aargau-Solothurn berichtet hat.

Befristet darum, weil die Kommission davon ausgeht, dass erst Erfahrungen zu sammeln sind, eh definitiv über das Projekt entschieden werden kann. Gegen die Einrichtung einer Notschlafstelle hatten sich knapp 20 Parteien aus der unmittelbaren Nachbarschaft gewehrt und Einsprache zum im Mai 2022 eingereichten Umnutzungsgesuch erhoben.

Gegnerschaft gibt sich entschlossen

Und die Gegnerschaft zeigt sich auch nach dem erstinstanzlichen Entscheid konsequent entschlossen, die Einrichtung zu verhindern. Denn bereits jetzt steht fest, dass beim Kanton der Entscheid der Baukommission angefochten wird. Dieser nämlich sei, abgesehen von weiteren Mängeln aus Sicht der Gegnerschaft, ein «eigentlicher Nichtentscheid», wie man sich dort prononciert ausdrückt.

Für viele der Einspracheparteien ist der Entscheid auch zu undifferenziert ausgefallen.

 «Inwieweit gewisse Bedenken unsererseits berücksichtigt wurden, lässt sich daraus nicht erkennen», argumentieren die Gegner und bleiben damit etwas ratlos zurück. Zudem habe der Umstand, dass die Notschlafstelle im eigentlichen Perimeter der Schule zu liegen komme, im Entscheid der Baukommission gar keine Erwähnung gefunden.

Eine differenziertere Begründung gewünscht

Freude über den Entscheid der Baukommission spürt dagegen der Verein Schlafguet hochkommen. Er gilt als eigentlicher Treiber der Idee Notschlafstelle.

«Wir sind angetreten mit der Absicht, die Notschlafstelle vorerst für die Dauer einer dreijährige Pilotphase zu betreiben», sagt Andreas Brun vom Verein Schlafguet auf Anfrage. Jetzt seien erstinstanzlich zumindest deren zwei garantiert. Der Verein Schlafguet sei im Übrigen davon überzeugt, mit dem vorliegenden Konzept die Notschlafstelle betreiben zu können, ohne dadurch Nachbarschaft und Institutionen über Gebühr zu strapazieren.

Innert sechs Monaten betriebsbereit

Würde jetzt nicht eine Beschwerde gegen den Entscheid der Baukommission im Raum stehen: Schlafguet könnte innert sechs Monaten den Betrieb – zumindest theoretisch – an der Bleichmattstrasse aufnehmen. Und dies käme keineswegs einer Hals über Kopf-Aktion gleich. «Wir sind uns der Verantwortung gegenüber Quartierbewohnenden und den Menschen, welche die Notschlafstelle nutzen, absolut bewusst», unterstreicht Brun die Seriosität der potenziellen Betreiberin der Notschlafstelle.

Die Idee hatte in jüngster Vergangenheit auch das Oltner Gemeindeparlament beschäftigt. Die Ansichten und Einschätzungen gingen bei der kurzen Debatte diametral auseinander. Während sich ein Teil des 40-köpfigen Parlaments mehr Einflussnahme durch den Stadtrat wünschte, dies im Sinne der Einsprecherparteien, sahen andere bezüglich Konfliktpotenzial einer Notschlafstelle im Wohnquartier den Teufel an die Wand gemalt.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/olten/entscheid-befristete-bewilligung-fuer-oltner-notschlafstelle-an-der-bleichmatt-gegner-kuenden-beschwerde-an-ld.2366483)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Protest auf 400 Baustellen: Gewerkschaften fordern mehr Lohn
Auf rund 400 Baustellen in der Region Basel und Aargau finden heute Protestaktionen statt. Die Angestellten fordern mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Die Gewerkschaften organisieren die Protestaktionen, die Bauunternehmen tolerieren die Proteste laut eigenen Angaben grösstenteils.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/protest-auf-400-baustellen-gewerkschaften-fordern-mehr-lohn?id=12279709
-> https://www.solothurnerzeitung.ch/aargau/aarau/landesmantelvertrag-protest-auf-der-groessten-baustelle-im-aargau-gewerkschaften-und-bauarbeiter-fordern-hoehere-loehne-ld.2366214
-> https://www.blick.ch/wirtschaft/gegen-58-stunden-woche-1000-haessige-bauarbeiter-ziehen-durch-basel-id18013431.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/rezepte-gegen-steigende-krankenkassenpraemien?id=12279928 (ab 09:13)
-> https://telebasel.ch/2022/11/01/bauarbeiter-fordern-mit-lautstarkem-protest-besseren-vertrag/?utm_source=lead&utm_medium=grid&utm_campaign=pos%200&channel=105100


Protesttage auf dem Bau
https://www.unia.ch/de/kampagnen/lmv-bau-2022/protesttage-oktober-und-november


Politiker kritisieren milde Urteile und Freisprüche für Klima-Aktivisten
In mehreren Kantonen gab es Blockade-Fälle, in denen Gerichte Freisprüche ausgesprochen haben. Für Schweizer Politiker ist das unverständlich.
https://www.20min.ch/story/politiker-kritisieren-milde-urteile-und-freisprueche-fuer-klima-aktivisten-226579130394


Das droht Klima-Aktivisten, wenn sie einen Rettungswagen blockieren
Am Asphalt festgeklebte Klima-Aktivisten blockierten am Montag in Deutschland einen Rettungswagen. In der Schweiz sind bisher keine Fälle bekannt.
https://www.20min.ch/story/das-droht-klima-aktivisten-wenn-sie-einen-rettungswagen-blockieren-459201523181
-> https://www.blick.ch/ausland/rettungswagen-bei-protest-blockiert-aktivist-verhoehnt-schwerverletzte-velofahrerin-shit-happens-es-ist-klimakampf-id18012911.html
-> https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/berlin-landesregierung-ermahnt-klimaaktivisten-nach-schwerem-verkehrsunfall-helfer-verspaetet-a-d45e72ff-c063-4295-865c-2c0507715d62?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss
-> https://www.nau.ch/news/europa/klebe-aktivisten-sanitater-nach-blockierter-strasse-fix-fertig-66320860
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-11/klimaaktivisten-letzte-generation-strafanzeige-unfall-berlin?wt_zmc=sm.int.zonaudev.twitter.ref.zeitde.redpost.link.x&utm_medium=sm&utm_source=twitter_zonaudev_int&utm_campaign=ref&utm_content=zeitde_redpost_link_x
-> https://taz.de/Proteste-der-Letzten-Generation/!5888878/


Ziviler Widerstand: Für 10’000 Franken kann man bei Renovate Switzerland eine Strassenblockade sponsern
Die Aktivistengruppe braucht 50’000 Franken, um Strassensperren und Anwälte zu finanzieren. Dass Postfinance ein Spendenkonto zur Verfügung stellt, stösst, wie TippinPoint berichtet, auf Kritik.
https://bajour.ch/a/cl9y6frnk11446954g88e5mshsf/renovate-switzerland-sammelt-spenden-fuer-demonstrationen


Warum wir Renovate Switzerland nicht auf den Leim kriechen sollten
Die Aktivisten von Renovate Switzerland werfen der Politik Untätigkeit in der Klimakrise vor. Dabei ignorieren sie einen Entscheid, der viel effektiver wirkt als Gebäudesanierungen.
https://www.watson.ch/!572793518


Ziviler Ungehorsam fürs Klima – Was Umweltschützer von Renovate Switzerland halten
Greenpeace und WWF kämpfen für die gleichen Klimaziele wie die Aktivisten. Doch tun sie es auch auf dem gleichen Weg?
https://www.srf.ch/news/schweiz/ziviler-ungehorsam-fuers-klima-was-umweltschuetzer-von-renovate-switzerland-halten


+++KNAST
tagesanzeiger.ch 01.11.2022

Weil Überhaft droht: Brian kommt frei

Der berühmteste Häftling der Schweiz wird in den nächsten Tagen freigelassen. Der 27-Jährige sitzt seit mehr als 6 Jahren ununterbrochen hinter Gittern.

Lisa Aeschlimann

Der 27-jährige Brian kommt frei. Das hat das Zürcher Obergericht am 31. Oktober verfügt und heute mitgeteilt. Bereits in den nächsten Tag wird Brian aus dem Gefängnis Zürich entlassen. Ohne Ersatzmassnahmen – also ohne Meldepflicht oder Rayonverbot.

Der Grund: Brian, der seit 2017 in Untersuchungs- respektive Sicherheitshaft sitzt, droht die sogenannte Überhaft. Dies ist der Fall, wenn jemand länger in Haft sitzt, als die zu erwartende Strafe dauert.

Verfahren wegen Delikten im Gefängnis dauert an

Brian sitzt, weil er im Juni 2017 Aufseher angegriffen und immer wieder Personen bedroht haben soll. Das juristische Verfahren deswegen dauert seit Jahren. Das Bezirksgericht Dielsdorf verurteilte Brian im November 2019 unter anderem wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Drohung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten.

Das Zürcher Obergericht erhöhte die Strafe im Mai 2021 auf 6 Jahre und 4 Monate. Das Bundesgericht wies den Fall dann im November 2021 aber zur Neubeurteilung zurück.

Der Fall Brian, auch als Carlos bekannter Zürcher Häftling, kurz zusammengefasst. – Video: Tamedia
https://unityvideo.appuser.ch/video/uv446765h.mp4

Das Obergericht muss sich also nochmals damit befassen. Nun haben beide Parteien – Verteidigung und Staatsanwaltschaft – umfassende neue Beweismittel eingegeben, unter anderem soll ein neues Gutachten erstellt werden, was heisst, das Verfahren könnte sich noch ziemlich in die Länge ziehen.

Die damals vom Bezirksgericht Dielsdorf verhängte Strafe hat Brian vor 4 Monaten «vollständig erstanden», wie das Obergericht in einer Mitteilung schreibt.

Es ist zudem möglich, dass das Obergericht in der Neubeurteilung die Strafe reduziert.

Positive Entwicklung im normalen Vollzug

Zudem habe sich Brian in den 9 Monaten, in denen er im Gefängnis Zürich ist, gut verhalten. Es sei abgesehen von einem kleinen Zwischenfall (er hatte einen Mithäftling von sich weggestossen) zu keinen Gewaltausbrüchen gekommen, heisst es in der Verfügung. Diese positive Entwicklung sei zugunsten des Beschuldigten zu würdigen – auch wenn weiterhin offen sei, ob der Beschuldigte seine «Gewaltneigung» inzwischen beherrsche.

In der Verfügung heisst es, die Haftdauer sei in «grosse zeitliche Nähe der konkret zu erwartenden Dauer der Freiheitsstrafe gerückt». Die Fortsetzung der Sicherheitshaft sei nicht mehr verhältnismässig.

Damit falle auch die Anordnung von Ersatzmassnahmen ausser Betracht. Ersatzmassnahmen können eine Meldepflicht oder beispielsweise ein Rayonverbot sein.

Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig und kann ans Bundesgericht weitergezogen werden.

Auch die Anti-Folter-Kommission setzte Druck auf

Brian sitzt seit 6 Jahren ununterbrochen hinter Gittern. Mehr als 3 Jahre lebte er in der Pöschwies in Sicherheitshaft, also in fast totaler Isolation.

Im Januar 2022 gab die Justizdirektion bekannt, den 27-Jährigen in ein Zürcher Untersuchungsgefängnis zu verlegen. Brian wurde dort ins normale Haftregime eingegliedert. Seither hat er wieder Kontakte zu seinen Mitinsassen.

Damit reagierten die Behörden auf den Druck von mehreren Seiten. So hat die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter im November ihren Bericht zu den Haftbedingungen von Brian veröffentlicht. Darin kritisierte sie insbesondere die lange Dauer der Einzelhaft.



Die wichtigsten Daten im Leben des Brian K.

27. August 2013. Unter dem Titel «Sozial-Wahn!» schreibt der «Blick» erstmals über einen jugendlichen Straftäter mit dem Pseudonym Carlos. Das Boulevardblatt skandalisiert damit einen zwei Tage vorher ausgestrahlten Dokfilm des Schweizer Fernsehens, der zeigt, wie Jugendanwalt Hansueli Gürber einen 17-Jährigen behandelt, den vorher keine Institution bändigen konnte. Der Jugendliche, der eigentlich Brian heisst, wohnt mit einer Sozialarbeiterin zusammen, hat einen Privatlehrer und besucht Thaibox-Kurse.

30. August 2013. Die Behörden knicken nach einem Sturm der Entrüstung ein. Brian wird von einem achtköpfigen Einsatzkommando auf offener Strasse verhaftet, seine Sonderbehandlung ist damit abrupt zu Ende. Die Behörden teilen mit, Brian sei zu seiner eigenen Sicherheit ins Gefängnis gebracht worden.

20. Februar 2014. Das Bundesgericht beurteilt die Verhaftung – anders als vor ihm die Zürcher Instanzen – als unrechtmässig und kritisiert den Kanton ungewohnt harsch. Die Justizdirektion, der damals Martin Graf (Grüne) vorsteht, sieht sich gezwungen, eine neue Einzelbehandlung auf die Beine zu stellen.

19. Juni 2014. Das neue Sonderprogramm wird bereits wieder beendet. Brian sei austherapiert, teilen die Behörden mit.

28. August 2015. Brian muss sich vor Gericht verantworten, weil er einen Kontrahenten mit einem Messer bedroht haben soll. Das Verfahren endet mit einem Freispruch: Bilder einer Überwachungskamera zeigen, dass es kein Messer gab. Die Behörden müssen Brian für 6 Monate Untersuchungshaft entschädigen.

6. März 2017. Brian steht erneut vor Gericht. Dieses Mal wird er zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er einem anderen einen heftigen Kinnhaken verpasste. Sein Verteidiger erhebt in der Verhandlung schwere Vorwürfe: Brian sei im Gefängnis Pfäffikon unmenschlich behandelt worden, habe unter anderem tagelang auf dem Boden schlafen müssen.

3. Juli 2017. Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) räumt Fehler im Umgang mit Brian ein. Der zuständige Gefängnisleiter sei mit dem äusserst renitenten Gefangenen überfordert gewesen: «Wir haben es hier mit einer neuen Dimension der Gewalt zu tun.»

6. November 2019. Weil er im Juni 2017 Aufseher angegriffen haben soll, verurteilt das Bezirksgericht Dielsdorf Brian zu 4 Jahren und 9 Monaten Gefängnis. Die Strafe wird zugunsten einer stationären Therapie aufgehoben.

26. August 2020. Drei Psychiater müssen sich vor Bezirksgericht Zürich verantworten, weil sie den damals 15-jährigen Brian nach einem Suizidversuch in der Psychiatrischen Uniklinik zwei Wochen rund um die Uhr ans Bett fesseln liessen und mit einem Medikamentencocktail ruhigstellten. Das Gericht spricht die Psychiater frei.

25. März 2021. Das Bezirksgericht Zürich kommt zum Schluss, das Gefängnis Pfäffikon habe Brians Menschenwürde verletzt. Bei einem schwierigen Gefangenen greife die Fürsorgepflicht des Staates «umso mehr».

16. Juni 2021. Das Obergericht korrigiert das Urteil des Bezirksgerichts vom 6. November 2019. Es erhöht die Strafe auf 6 Jahre und 4 Monate, verzichtet aber auf eine stationäre Therapie. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Verteidigung und Staatsanwalt haben es ans Bundesgericht weitergezogen.

28. November 2021. Die drei Psychiater, die Brian ans Bett fesselten, müssen sich vor Obergericht verantworten. Brians Anwalt hat den Freispruch nicht akzeptiert.

8. Dezember 2021. Das Bundesgericht hebt das Urteil des Obergerichts vom 16. Juni auf. Das Obergericht habe die Foltervorwürfe zu wenig seriös abgeklärt, so die Begründung, und damit Brians Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

12. Januar 2022. Brian darf die Einzelhaft verlassen. Er wird ins Gefängnis Zürich überführt. (red)
(https://www.tagesanzeiger.ch/brian-kommt-frei-636046231912)

-> https://www.srf.ch/news/schweiz/wende-im-zuercher-fall-carlos-der-haeftling-brian-kommt-in-wenigen-tagen-frei
-> https://www.20min.ch/story/brian-kommt-frei-600007699068
-> https://www.watson.ch/!197972116
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/brian-27-kommt-nach-6-jahren-frei-66321335
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/weil-ueberhaft-droht-brian-kommt-frei-id18013838.html
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/brian-soll-in-den-naechsten-tagen-aus-haft-entlassen-werden-148592048
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/der-bekannte-zuercher-straftaeter-brian-kommt-frei?id=12279889
-> https://www.toponline.ch/news/detail/news/brian-00197617/
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/haeftling-brian-kommt-frei?partId=12279946
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/brian-duerfte-bald-frei-kommen?urn=urn:srf:video:b33a717a-0b3b-43ef-91e6-35a3b70f91e8
-> https://www.20min.ch/story/bei-brian-ist-ein-gefaehrliches-gewaltpotenzial-vorhanden-689911757786



nzz.ch 01.11.2022

Der berühmteste Häftling der Schweiz kommt frei

Lange betrachtete die Justiz den Straftäter Brian als hochgefährlich. Doch nun hat das Zürcher Obergericht entschieden, ihn auf freien Fuss zu setzen.

Fabian Baumgartner

Er ist der wohl bekannteste Häftling der Schweiz: Brian. Zehn Jahre seines Lebens hat er bereits hinter Gittern verbracht. Nun kommt er vorerst wieder frei. Das Zürcher Obergericht hat in einer Verfügung vom 31. Oktober beschlossen, dass Brian bereits in den nächsten Tagen aus der Sicherheitshaft entlassen werden muss.

Die Fortführung der Sicherheitshaft sei nicht mehr verhältnismässig, hält das Obergericht in seinem Entscheid fest. Die Begründung: Der 27-Jährige sitzt seit dem 28. September 2017, also seit über fünf Jahren, ununterbrochen in Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Er hat damit die in erster Instanz vom Bezirksgericht Dielsdorf verhängte Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten bereits abgesessen.

Und auch wenn der Ausgang des Berufungsverfahrens vor dem Zürcher Obergericht noch offen ist, besteht nun die Gefahr einer Überhaft. Also eine Sicherheitshaft, welche länger dauert als die am Ende ausgefällte Freiheitsstrafe.

Laut dem Obergericht sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft aber nur zulässig, wenn eine beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat. Die Sicherheitshaft darf zudem nicht länger sein als die zu erwartende Freiheitsstrafe.

Massgebliche Strafreduktion steht zur Debatte

Doch bei Brian ist es anders. In seinem Fall steht laut dem Obergericht bei der anstehenden Berufungsverhandlung eine massgebliche Strafreduktion und nicht etwa eine Straferhöhung zur Diskussion. Nicht ausgeschlossen werden kann zudem, dass Brian von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen wird.

Die Anwälte des jungen Straftäters machen nämlich eine Notstandslage geltend. Dafür haben sie die Vollzugsbedingungen in der Vergangenheit herangezogen. Brian sei seit seinem 10. Lebensjahr wiederholt unmenschlich und erniedrigend behandelt worden. Und die Bedingungen in Einzelhaft, in der er sich über drei Jahre lang befand, kämen dem Tatbestand der Folter gleich. Das angeklagte Verhalten könne ihm deshalb nicht vorgeworfen werden. Im Gegenteil: Es sei gerechtfertigt gewesen.

Dass es zu einer Erhöhung der Freiheitsstrafe oder gar zu einer Verwahrung des jungen Mannes kommt, hält das Obergericht für wenig wahrscheinlich. Zur von der Staatsanwaltschaft beantragten Verwahrung hält das Obergericht fest, eine solche sei noch von keiner Instanz angeordnet worden.

Dem jetzigen Entscheid voraus ging ein Entscheid des Bundesgerichts vom November des letzten Jahres, der alles änderte. In jenem Entscheid hielt das Bundesgericht fest, dass Obergericht müsse sich nochmals vertieft mit den Haftbedingungen, denen der junge Mann in seinem Leben bereits ausgesetzt war, auseinandersetzen. Zudem kritisierte es, die Umstände der früheren Strafen und Zwangsmassnahmen bei Brian seien nicht ausreichend aufgearbeitet worden.

In seinem Urteil vom 26. Mai 2021 sprach das Zürcher Obergericht eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 4 Monaten sowie eine Geldstrafe gegen den jungen Mann aus – wegen versuchter schwerer Körperverletzung, einfacher Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie Beschimpfung und Drohung. Alle Delikte geschahen innerhalb der Gefängnismauern. Brian soll Gefängnispersonal bedroht, beschimpft und attackiert haben. Auf die Anordnung einer ordentlichen Verwahrung, wie sie die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, verzichtete das Obergericht jedoch.

Datum der Berufungsverhandlung noch offen

Ein Termin für die neuerliche Berufungsverhandlung ist bis jetzt noch nicht angesetzt worden. Im Sommer kam es zwar zu einer Vorverhandlung, doch laut dem Obergericht haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung mehrere teilweise zeitaufwendige Beweisanträge gestellt. So verlangt die Staatsanwaltschaft unter anderem, dass ein neues Gutachten über Brian erstellt wird. In diesem sollen die früheren Haft- und Vollzugsbedingungen geklärt werden. Gestützt darauf soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft das psychiatrische Gutachten zum Häftling ergänzt oder gar gänzlich neu erstellt werden.

Das Obergericht hält zudem fest, es sei gut möglich, dass weitere Anträge dazukommen, so dass das Berufungsverfahren noch in die Länge gezogen werden könnte.

Brian selbst sitzt seit Januar dieses Jahres in einem lockereren Regime im Gefängnis Zürich. Seither ist es merklich ruhiger geworden um ihn. Das Obergericht hält fest, abgesehen von einem Zwischenfall mit einem Mithäftling, bei dem der 27-Jährige sein Gegenüber weggestossen habe, sei es zu keinen Gewalttätigkeiten mehr gekommen. Eine ähnliche Bilanz zog die Zürcher Justizdirektion diesen Herbst gegenüber der «NZZ am Sonntag». «Es zeigt sich, dass die Verlegung und die Änderung des Vollzugs- und Betreuungssettings tatsächlich die erhoffte Entspannung der Situation bewirkt haben», hielt das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung fest.

Noch ist der Entscheid über die Haftentlassung nicht rechtskräftig. Es kann Beschwerde beim Bundesgericht erhoben werden.
(https://www.nzz.ch/zuerich/fall-brian-der-beruehmteste-haeftling-der-schweiz-kommt-frei-ld.1710169)


+++POLIZEI INT
Kein Überwachen, kein Strafen?
Mit der Entstehung von »Black Lives Matter« ist ein radikales Konzept in den Fokus gerückt: die Abschaffung von Polizei und Gefängnis. Der jüngst erschienene Sammelband »Abolitionismus« stellt diesen Ansatz vor
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168119.abolitionismus-kein-ueberwachen-kein-strafen.html


+++FRAUEN/QUEER
Geschlechtsumwandlung: Auf dem Papier einfacher, ansonsten kaum – Rendez-vous
Seit Anfang Jahr ist es in der Schweiz einfacher, sein Geschlecht auf amtlichen Dokumenten zu ändern. Transsexuelle Personen und Transmenschen begrüssen das. Doch eine formelle Änderung auf dem Papier erzählt nur wenig über den eigentlichen Leidensweg junger Transmenschen, der oftmals bereits vor der Pubertät beginnt. Portrait eines jungen Trans-Mannes.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/geschlechtsumwandlung-auf-dem-papier-einfacher-ansonsten-kaum?partId=12279796


+++RASSISMUS
Yara Buol: «Rassismus ist nicht zuletzt auf fehlende Bildung zurückzuführen»
Die Bündner Tiktokerin Yara Buol wird permanent mit rassistischen Äusserungen konfrontiert. Diese lässt sie jedoch nicht auf sich sitzen.
https://www.suedostschweiz.ch/aus-dem-leben/yara-buol-rassismus-ist-nicht-zuletzt-auf-fehlende-bildung-zurueckzufuehren



aargauerzeitung.ch 01.11.2022

«Sie wollten Aufmerksamkeit, die haben Sie bekommen»: Obergericht bestraft SVP-Politiker Naveen Hofstetter wegen Rassendiskriminierung noch härter

Das Bezirksgericht Zofingen hatte Naveen Hofstetter, Präsident der SVP Rothrist, wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Dieser zog das Urteil weiter, doch auch das Obergericht kam zum selben Schluss. Mehr noch, es bestraft ihn härter.

Dominic Kobelt

«Es gab, auf neudeutsch gesagt, einen rechten Shitstorm», fasste der Richter zusammen, und wollte von Hofstetter wissen: «Haben Sie seither etwas geändert?» Hofstetter verneint. «Ich äussere mich einfach zu den Abstimmungen. Sonst bin ich nicht sehr aktiv, ich gehe nicht täglich auf Facebook.»

Dass sich der SVP-Politiker vor Obergericht zu verantworten hat, hat mit verschiedenen Äusserungen in den sozialen Medien zu tun. Angefangen hat alles mit diesem Facebook-Post vor der Abstimmung zur Ehe für Alle: «Wenn wir es nun zulassen, dass in naher Zukunft dann auch afrikanische Flüchtlinge (mehrheitlich Männer) kleine Mädchen zwecks ‹figgifiggi› adoptieren dürfen, dann gute Nacht mit unserer Kultur.»

Eine verhängnisvolle Aussage in den sozialen Medien

Nachdem seine Facebook-Aussage für Aufsehen gesorgt hatte, löschte Hofstetter den betreffenden Post und entschuldigte sich. Er habe einen «unüberlegten und deplatzierten» Satz veröffentlicht, den er so nicht hätte schreiben sollen. Die Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter reichte dennoch eine Strafanzeige gegen Hofstetter ein.

Vor Obergericht gibt Naveen Hofstetter zu, seine Wortwahl sei unglücklich und unüberlegt gewesen, er spricht von einem Schnellschuss. «Das Thema Kultur stand im Vordergrund. Viele Leute kommen ins Land, die mit unserer Kultur nicht so vertraut sind», erklärte er den Richterinnen und Richtern. «In manchen muslimischen Ländern will man das Schutzalter auf neun Jahre herabsetzen. Gewisse Ansichten sind einfach nicht mit unserer Kultur vereinbar.»

Alles nur ein Missverständnis?

Hofstetter beteuert, man habe ihn falsch verstanden. «Ich wollte damit nicht sagen, dass homosexuelle Männer Kinder zwecks Missbrauch adoptieren würden. Das finde ich weit hergeholt, das wollte ich nie sagen.» Warum er gerade afrikanische Flüchtlinge erwähnt habe, will der Richter wissen. «Mir ging es nicht um Afrika. Eine Freundin hatte mir kurz zuvor noch von einem Erlebnis mit einem Afrikaner erzählt, wahrscheinlich war das noch präsent.»

Dieser erste Post war nicht das einzige Vergehen von Hofstetter. Zwei weitere Posts folgten, in einem schrieb er, es sei einfach die Realität, dass gerade die jüngsten Mädchen von Männern afrikanischer Herkunft belästigt würden. Mit der Erzählung seiner Kollegin begründet Hofstetter auch den zweiten Post und seine Wortwahl «figgifiggi» – die junge Frau sei in Kleinbasel so angesprochen worden. «Ob es ihnen eine Freundin privat erzählt, oder ob sie es der Welt auf Facebook mitteilen, ist ein Unterschied», erklärt ihm der Richter.

Richter: «Was sind denn für Sie unnatürliche Partnerschaften?»

Bei einer dritten Gelegenheit schrieb Hofstetter, das Gesetz zur Ehe für alle sei ein Schritt für weitere Forderungen zur Adoption in «unnatürlichen Partnerschaften». Hofstetter erklärt, ihm sei es um weitere Forderungen wie Leihmutterschaft gegangen, die nach der Ehe für alle folgen könnten. Die Richterinnen und Richter wollen es aber genauer wissen und bohren mehrmals nach, was er denn unter einer unnatürlichen Partnerschaft verstehe.

Hofstetter weicht aus, bezieht sich dann auf die Bibel. «Da gibt es einen klaren Text, in dem von widernatürlichen Partnerschaften geschrieben wird.» Das heisse aber nicht, dass Leute, die eine andere Meinung vertreten würden als er, falsch lägen. Er akzeptiere diese, «für mich als Adoptivkind war es aber sehr wichtig, dass ich einen männlichen und einen weiblichen Elternteil hatte». Hofstetter wurde im Babyalter von einer Schweizer Familie adoptiert, er stammt ursprünglich aus Indien.

Verteidiger: «Rassismus-Vorwurf ist absurd»

Im Plädoyer erklärt die Verteidigung, Hofstetters Äusserungen seien wohl zugespitzt und unglücklich gewesen, erfüllten aber nicht den Straftatbestand der Rassendiskriminierung. Er habe nichts Böses gewollt und sich lediglich an einer politischen Diskussion beteiligt. Der Verteidiger findet es gar «absurd, beim dunkelhäutigen Beschuldigten Rassismus zu vermuten».

Doch das Obergericht folgt dieser Argumentation nicht. Es bestätigt das Urteil des Bezirksgerichts Zofingen, das Hofstetter am 10. April zu einer bedingten Geldstrafe von 15’400 Franken verurteilt hatte. Das Obergericht reduziert die bedingte Geldstrafe zwar auf 11’900 Franken, ordnet aber eine Verbindungsbusse an: Hofstetter muss 2500 Franken bezahlen.

Es sei erwiesen, dass Hofstetter Afrikanische Flüchtlinge herabgesetzt habe, in dem er andeutete, diese würden sich vermehrt an Kindern vergehen. Auch der Begriff «unnatürliche Partnerschaft» für homosexuelle Paare sei nicht zulässig. «Damit bezeichnen sie diese Menschen als Menschen zweiter Klasse, das ist eine Diskriminierung», begründete der Richter das Urteil. «Wir haben nicht das Gefühl, dass sie aus der Sache wahnsinnig viel gelernt haben», sagte der Richter, und weiter: «Sie wollten Aufmerksamkeit mit ihren Posts, die haben sie bekommen – allerdings auch von Polizei und Staatsanwaltschaft.»

Bereits nach der erstinstanzlichen Verurteilung hatte Naveen Hofstetter den Rücktritt aus der Geschäftsleitung der SVP Aargau erklärt. «Um einerseits mich selbst zu schützen und andererseits der Partei keinen Schaden zuzufügen», wie er sagte.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/prozess-wegen-rassendiskriminierung-svp-politiker-naveen-hofstetter-wird-auch-vom-obergericht-verurteilt-ld.2366622)



Rassendiskriminierung: Aargauer Politiker ist schuldig
Das Aargauer Obergericht hat am Dienstag den Präsidenten der SVP-Ortspartei Rothrist, Naveen Hofstetter, schuldig gesprochen nach dem Antirassismusgesetz. Mit Aussagen auf Facebook habe der Beschuldigte afrikanische Ethnien herabgesetzt. Das Obergericht bestätigte das Urteil des Bezirksgerichts.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/rassendiskriminierung-aargauer-politiker-ist-schuldig?id=12279898
-> https://www.telem1.ch/aktuell/rassismus-vorwurf-der-praesident-der-svp-rothrist-muss-sich-vor-dem-obergericht-verantworten-148594857
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/aargauer-obergericht-svp-politiker-erneut-wegen-rassendiskriminierung-verurteilt



aargauerzeitung.ch 01.11.2022

Naveen Hofstetter ist heute vor Obergericht – er wehrt sich gegen den Vorwurf der Rassendiskriminierung

Bei einem Ja zur «Ehe für alle» könnten afrikanische Flüchtlinge junge Mädchen adoptieren, um sie zu missbrauchen. Wegen dieser Aussage auf Facebook wurde SVP-Vertreter Naveen Hofstetter verurteilt – heute steht er vor Obergericht.

Dominic Kobelt

    «Wenn wir es nun zulassen, dass in naher Zukunft dann auch afrikanische Flüchtlinge (mehrheitlich Männer) kleine Mädchen zwecks ‹figgifiggi› adoptieren dürfen, dann gute Nacht mit unserer Kultur.»

Das schrieb Naveen Hofstetter, Präsident der SVP Rothrist und damals noch Mitglied der Geschäftsleitung der SVP Aargau, im August 2021 auf Facebook in einem Post zur «Ehe für alle» auf Facebook. Das Bezirksgericht Zofingen befand ihn der Rassendiskriminierung schuldig. Nach dem erstinstanzlichen Urteil trat Hofstetter aus der Geschäftsleitung der SVP Aargau aus, erklärte aber, dass er sich nicht schuldig fühle.

Hofstetter hat das Urteil weitergezogen. Am ersten Prozess sagte er: «Ich habe mich im Rahmen einer politischen Debatte geäussert. Meine Wortwahl war unglücklich.» Der Richter verurteilte Hofstetter trotzdem zu einer bedingten Geldstrafe von 15’400 Franken, auf eine Busse wurde dagegen verzichtet. «Sie habe mit Ihren Äusserungen männliche afrikanische Flüchtlinge und Homosexuelle herabgesetzt und diskriminiert.»

Ob das Obergericht zu einem anderen Schluss kommt als das Bezirksgericht Zofingen wird sich heute Dienstag ab 14 Uhr zeigen, dann startet der Berufungsprozess.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/prozess-naveen-hofstetter-ist-heute-vor-obergericht-er-wehrt-sich-gegen-den-vorwurf-der-rassendiskriminierung-ld.2366479)

-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/oltner-notschlafstelle-erhaelt-befristete-bewilligung?id=12279577 (ab 03.35)
-> https://www.watson.ch/schweiz/aargau/154351421-aargauer-svpler-wegen-rassendiskriminierung-vor-gericht
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/rassendiskriminierung-aargauer-svp-lokalpolitiker-vor-obergericht-66321088


+++RECHTSPOPULISMUS
Freiheit ist sozial
Wir leben in hyperindividualistischen Gesellschaften – und gleichzeitig sind autoritäre politische Bewegungen im Aufwind. Wie ist das möglich? Ein neues Buch gibt Antworten.
https://www.republik.ch/2022/10/08/freiheit-ist-sozial


+++RECHTSEXTREMISMUS
„Aktuell haben wir es in der Schweiz mit einer neuen rechten Allianz zu tun, welche gezielt die LGBTQIA+ Community attackiert. Ein Thread:“
https://twitter.com/antifa_bern/status/1587526908715081728


+++HISTORY
derbund.ch 01.11.2022

Ehemalige Grube-Heimkinder: Versäumt der Kanton Bern die Wiedergutmachung?

Nach der Neuauflage des Buches über die Erlebnisse der «Grube-Buben» fordern die Betroffenen finanzielle Entschädigung. Der Kanton will davon nichts wissen.

Alexandra Elia

Anlässlich der Vorstellung des neuen Buches über die Zustände in der ehemaligen Knabenerziehungsanstalt «Auf der Grube» fordern ehemalige Heimkinder eine wirksame Entschädigung durch den Kanton Bern. Denn viele Betroffene leiden noch heute unter den Konsequenzen ihrer «Zwangsversorgung» durch die Behörden.

So auch Heinz Kräuchi, der selbst mehrere Jahre im Kinderheim in Niederwangen verbrachte. Der Autor und Mitherausgeber fordert konkrete Unterstützung in Form von Geld und Beratung für die Betroffenen. Die Neuauflage nach der publik gewordenen Vernichtungsaktion vor zwei Jahren bringt den Betroffenen nicht allein Genugtuung, sondern erinnert auch an die Rolle und Verantwortung der Behörden.

Zusätzliche Unterstützung – auch finanziell – sei durch den Kanton aktuell jedoch nicht vorgesehen, wie Gundekar Giebel, Sprecher der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion, einräumt.

«Tropfen auf den heissen Stein»

Kräuchi widerspricht dieser Haltung: Er findet, dass zumindest diejenigen, die sich in einer prekären Situation befinden, Unterstützung erhalten sollten. Er kann sich beispielsweise eine erleichterte IV-Rente für gesundheitlich angeschlagene Personen vorstellen.

«Für viele war der Solidaritätsbeitrag lediglich ein Tropfen auf den heissen Stein», sagt Kräuchi. Diesen einmalig gewährten Betrag in Höhe von 25’000 Franken richtete der Bund an alle Personen in der Schweiz aus, die vor 1981 von einer fürsorgerischen Zwangsmassnahme oder fremden Platzierung betroffen waren.

Höchste Zahl an Betroffenen in Bern

Die Forderung an die Adresse des Kantons Bern ist umso berechtigter, wenn man berücksichtigt, dass dieser schweizweit die höchste Zahl an betroffenen Personen zählte. So stammten 1800 der 9000 beim Bund eingereichten Solidaritätsgesuche von Betroffenen aus dem Kanton Bern, wie an einer Tagung der Schweizerischen Archivdirektorenkonferenz bekannt wurde.

Der Kanton Bern stellt seit 2014 in Zusammenarbeit mit der Stiftung Opferhilfe Bern eine Anlaufstelle für Betroffene, für ehemalige «Zwangsversorgte» und Fremdplatzierte, zur Verfügung. Diese bietet Beratung sowie die Vermittlung an juristische oder psychologische Fachpersonen an. Doch konkrete finanzielle Beiträge über den Solidaritätsbeitrag hinaus sind derzeit nicht geplant. Entschädigungen würden über das Opferhilfegesetz geregelt, sagt Sozialdirektionssprecher Giebel.

Allergische Reaktion auf Kantonsstempel

Der Solidaritätsbeitrag des Bundes habe eine wichtige Wirkung erzielt, so die Historikerin Tanja Rietmann. Sie übernahm im Rahmen der Neuauflage des Buches die historische und methodische Einordnung der Geschehnisse. Was es jetzt aber brauche, sei die Unterstützung individueller Anliegen.

«Die Bedürfnisse der einzelnen Betroffenen sind unterschiedlich», sagt Rietmann. Viele erlitten körperliche Schädigung, hätten Lücken in ihrer Altersvorsorge oder seien verschuldet. Dem müsse man nicht zwingend mit einem Pauschalbetrag entgegenkommen, aber mit finanzieller oder beratender Unterstützung. Rietmann erachtet es denn auch als «richtig und legitim», dass von den Betroffenen des «Grube»-Heims zusätzliche Unterstützung gefordert wird.

Wichtig sei auch eine unabhängige Stelle, die zwischen den Betroffenen und den Behörden vermitteln kann. «Einige verspüren fast schon eine allergische Reaktion, wenn sie ein Couvert mit dem Stempel des Kantons erhalten», sagt Rietmann. Der Zugang zu Unterstützung sollte demnach möglichst niederschwellig sein. «Man muss die Menschen fragen: Was braucht ihr jetzt noch?»

Zürich verspricht Beitrag auf kommunaler Ebene

Anders als Bern will die Stadt Zürich auf kommunaler Ebene einen solidarischen Beitrag für die Opfer fürsorgerischer Massnahmen sprechen. Dieser soll allen zustehen, welche durch die Stadtzürcher Sozialbehörden Unrecht erlitten hatten.

Ausgehend von einer Motion will der Stadtrat nicht nur eine historische Aufarbeitung in Angriff nehmen, sondern den Betroffenen auch finanzielle Unterstützung bieten. Die Stadt Zürich möchte entsprechende gesetzliche Grundlagen für einen Solidaritätsbeitrag von 25’000 Franken schaffen, wie sie in einer Mitteilung schreibt.
(https://www.derbund.ch/versaeumt-der-kanton-bern-die-wiedergutmachung-967976333352)