Medienspiegel 24. Oktober 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Gemeinderatsantwort auf Motion Freie Fraktion AL/GaP/PdA (Simone Machado, GaP/Zora Schneider, PdA/Tabea Rai/Eva Gammenthaler, AL): Jetzt 500 Flüchtlinge aus Moira aufnehmen! (PDF, 28.2 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-24-oktober-2022/motion-freie-fraktion-jetzt-500-fluchtlinge-aus.pdf/download


+++WALLIS
Zusammen arbeiten – auch wenn die Worte fehlen
Jugendliche aus der Schweiz und geflüchtete minderjährige Asylsuchende verbringen eine Woche zusammen – und arbeiten gemeinsam im Wald. Beim Bäumefällen, Steinesammeln und Büscheschneiden lernen sie einander kennen und sollen Vorurteile abbauen. Ein Besuch. (ab 09:15)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/zusammen-arbeiten-auch-wenn-die-worte-fehlen?id=12274849


+++SCHWEIZ
Ärztin Ekaterina Sinitsa flüchtete in die Schweiz – jetzt wurde ihr Asylantrag abgelehnt: Kehrt sie zurück nach Russland, droht ihr die Front
Als Russland die Ukraine angreift, beginnt für Ekaterina Sinitsa ein Albtraum. Jeden Tag hat sie Angst, als Ärztin an die Front geschickt zu werden. Schliesslich flüchtet sie in die Schweiz, doch ihr Asylantrag wird abgelehnt.
https://www.blick.ch/ausland/aerztin-ekaterina-sinitsa-fluechtete-in-die-schweiz-jetzt-wurde-ihr-asylantrag-abgelehnt-kehrt-sie-zurueck-nach-russland-droht-ihr-die-front-id17988752.html


+++ÖSTERREICH
Karner sieht Zelte für Flüchtlinge als “sinnvolle Lösung”
Der Innenminister will sicherstellen, dass sich niemand selbst nach einer Bleibe umsieht. Die Zelte sollen mit jungen Männern belegt werden, “die keine Aussicht auf Asyl haben”
https://www.derstandard.at/story/2000140253383/karner-sieht-zelte-fuer-fluechtlinge-als-sinnvolle-loesung?ref=rss


+++FREIRÄUME
Zwischennutzungen: Der Schweizer Kompromiss, der keine Lösung ist
Dem Koch-Areal steht die Räumung kurz bevor. Im Zuge dessen hat sich die Besetzer:innenszene in der Stadt Zürich in den letzten Monaten stark mobilisiert. Denn: Zwischennutzungen seien keine Alternative, so die Aktivist:innen. Weshalb ihnen eine Stadtforscherin zustimmt.
https://tsri.ch/zh/weshalb-zwischennutzungen-besetzungen-nicht-ersetzen-koennen.ShfBb3xv6Nfj5nvF


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Nach Antifa-Spaziergang: Wer bezahlt die Graffiti-Entfernungen in Bern?
Bei Demonstrationen kommt es in Bern immer wieder zu Sprayereien, wie beispielweise am antifaschistischen «Abendspaziergang» vom vergangenen Wochenende. Seit 2004 hat es sich der Verein «CasaBlanca» zum Ziel gemacht, die Innenstadt möglichst graffitifrei zu halten.
https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/wer-bezahlt-die-graffiti-entfernungen-in-bern-148484360


„Warum der Tagesschaubeitrag vom 23.10. bullshit ist. Ein (langer) thread: #Hufeisen #2210aas Link zum Beitrag (0:58 – 4:53) https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/schweiz-zunahme-von-extremismus?urn=urn:srf:video:1c23bb4b-0527-42be-ab8c-81f7fd5b0c8e
(https://twitter.com/gerdadaghost/status/1584568853274669056)
-> https://twitter.com/srfnews/status/1584413020318363649


«30 SUVs entwaffnet»: Klima-Aktivisten lassen in Zürich Luft aus Reifen
In Zürich haben schon wieder Klima-Aktivisten zugeschlagen und bei zahlreichen Autos die Luft aus den Reifen gelassen.
https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/30-suvs-entwaffnet-klima-aktivisten-lassen-in-zuerich-luft-aus-reifen-id17990498.html


+++POLICE BE
Regierungsratsantwort auf Interpellation I 118-2022 Rai (Bern, AL) Fragen zur Polizei- und Militärübung «Fides» vom 15. bis 19. August 2022
https://www.rr.be.ch/de/start/beschluesse/suche/geschaeftsdetail.html?guid=69ee80116ffc4e6ebb5291dda99562f8


Renovate Switzerland: Experimente in zivilem Widerstand
Sie blockieren Autobahnen und Hauptverkehrsadern und möchten so den Bundesrat unter Druck setzen. Die Klimaaktivist:innen von Renovate Switzerland haben in den letzten Wochen eine Menge Autofahrer:innen zum Hupen gebracht. Was bringt das?
https://tsri.ch/zh/renovate-switzerland-experimente-in-zivilem-widerstand.ZJQHD1HkVLkGPx9L


+++POLIZEI LU
Polizei sucht neues Personal: Linke Gruppe kritisiert Werbekampagne der Luzerner Polizei
«Rambos und Adrenalinjunkies» würden durch solche Bilder angezogen, kritisiert die linke Gruppierung Resolut die neue Werbekampagne der Luzerner Polizei. Diese widerspricht: «Superhelden» suche man nicht.
https://www.zentralplus.ch/polizei/linke-gruppe-kritisiert-werbekampagne-der-polizei-2476383/
-> Medienmitteilung RESolut: https://resolut.noblogs.org/post/2022/10/23/resolut-fordert-beendigung-der-werbekampagne-der-luzerner-polizei/
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/umstrittene-werbekampagne-der-luzerner-polizei-148490146olizei
-> https://www.nau.ch/ort/luzern/action-kampagne-der-luzerner-polizei-sorgt-fur-kritik-66313788


Luzerner Polizeigesetz: Diese Parteien geben grünes Licht für mehr Überwachung
Allen Bedenken von Datenschützern zum Trotz: Der Kantonsrat hat am Montag der Polizei neue Instrumente in die Hand gegeben. Neu kann sie die Luzerner Strassen rund um die Uhr mit hochauflösenden Kameras überwachen.
https://www.zentralplus.ch/politik/diese-parteien-geben-gruenes-licht-fuer-mehr-ueberwachung-2476279/


+++POLICE DE
Kampf gegen Racial Profiling: Anwalt der Entrechteten
Biplab Basu kämpft gegen rassistische Diskriminierung. Nun hat der Mitbegründer der Beratungsstelle ReachOut ein bemerkenswertes Urteil erstritten.
https://taz.de/Kampf-gegen-Racial-Profiling/!5885625/


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: SEM beschönigt, Berliner Polizei mordet, UMAs streiken
https://antira.org/2022/10/23/sem-beschoenigt-berliner-polizei-mordet-umas-streiken/



tagesanzeiger.ch 24.10.2022

Rassismus im Alltag: Sie hört etwa einmal pro Woche einen rassistischen Spruch

«Welcome to my Alltagsrassismus» schrieb kürzlich die in Zürich lebende Journalistin Simone Stern auf Twitter. Im Gespräch erzählt sie, was das konkret bedeutet.

Sandro Benini

Die erste Frage, die Simone Sterns Gegenüber kürzlich bei einem Mittagessen stellte, war: «Woher kommst du eigentlich?» – mit einem Hinweis auf ihr akzentfreies Zürichdeutsch.

Als sie einige Tage zuvor ein Restaurant betrat, sass da ein Gast an einem Tisch vor dem Lokal und sagte: «Schon wieder so eine Chinesin!» Einen Moment lang überlegte sich die 30-jährige Journalistin, die Reservation zu streichen und gleich wieder zu gehen. «Was mich umgestimmt hat, war die Reaktion des Wirts und des Serviceteams. Das gehe gar nicht, sagte der Wirt. Er sei Albaner und wisse, wie sich so etwas anfühlt.» Der Gast wurde zur Rede gestellt, doch mehr als die Ausflucht, es sei nur ein Witz gewesen, brachte er nicht zustande.

Simone Stern ist als Tochter einer Amerikanerin mit koreanischen Wurzeln und eines Schweizers jüdischen Ursprungs in Zürich aufgewachsen, sie hat in den USA und in Luzern Soziologie und Politik studiert. «Welcome to my Alltagsrassismus», kommentiert sie auf Twitter den Vorfall im Restaurant. Und schildert im Gespräch weitere Erlebnisse.

Kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie sagt jemand zu Simone Stern und ihrer Mutter im Coop: «Oh fuck, das Virus!» – «Gibst du erotische Massagen?», fragt sie ein Wildfremder auf der Strasse in Italien. Freundinnen sagen ihr, sie wüssten von einem jungen Mann, der «stehe voll auf Asiatinnen» – ob sie ihn mal treffen wolle? Ein Mann auf der Strasse zu seinen Kollegen, im Vorübergehen auf Stern deutend: «Eigentlich stehe ich ja nicht auf Asiatinnen, aber bei der würde ich eine Ausnahme machen.»

Bevor Stern Redakteurin bei «Finanz und Wirtschaft» wurde – die wie diese Zeitung zu Tamedia gehört –, arbeitete sie als Moderatorin bei Blick-TV. «Da hiess es, ich solle meine Augen und meine Nase beim Schminken weniger asiatisch erscheinen lassen», erzählt Stern. Und dann gibt es da diese Erinnerung aus der Kindheit: Wie fast die ganze fünfte Primarschulklasse im Chor sang: «Ching Chang, Tussi Stern.»

Simone Stern erlebt rassistische oder stereotypisierende Bemerkungen relativ häufig, im Durchschnitt einmal pro Woche. Sie sagt trotzdem: «Auf meiner Visitenkarte steht nicht: Journalistin und Rassismusopfer.» Sie mache solche Vorfälle in der Hoffnung öffentlich, es werde immer mehr Leuten klar, wie beschämend es ist, auf die ethnische Herkunft reduziert statt als Individuum wahrgenommen zu werden. Und im Alltag nie zu wissen, wann der nächste dumme Spruch kommt. Stern sagt: «Als ich jünger war, habe ich oft geschwiegen. Heute weise ich rassistische Ausfälligkeiten explizit zurück.»

Mangelnde Zivilcourage

Sie glaube nicht, dass die Schweiz rassistischer sei als andere Länder, sagt Stern. Woran es hier fehle, sei die Zivilcourage von zufälligen Zeuginnen und Zeugen, sich bei solchen Vorfällen einzumischen. «Einmal hat mich ein Mann in einem Bus mit rassistischen und obszönen Schweinereien belästigt. Ringsherum herrschte Schweigen.»

Und nein, die Frage, woher sie «eigentlich» komme, sei nicht zwangsläufig problematisch. Wenn sie aus echtem Interesse gestellt werde, weil jemand etwa wissen wolle, wie stark sie noch mit der koreanischen Sprache und Kultur verbunden sei – «nicht sehr stark», sagt Stern –, dann habe sie wenig dagegen. «Geht es hingegen darum, mal schnell die Irritation auszuräumen, dass ich perfekt Schweizerdeutsch spreche – dann schon.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/sie-hoert-etwa-einmal-pro-woche-einen-rassistischen-spruch-415469275348)



Ex-BlickTV-Moderatorin Simone Stern erhebt Vorwürfe
Simone Stern erhebt schwere Vorwürfe gegen Ex-Arbeitgeber BlickTV. Man habe sie angewiesen, sich «weniger asiatisch» zu schminken. Ringier nimmt Stellung.
https://www.nau.ch/people/aus-der-schweiz/ex-blicktv-moderatorin-simone-stern-erhebt-vorwurfe-66313670


Rassismus-Posse im Theater Gessnerallee
Eine Gruppe dunkelhäutiger Künstler besetzt einen Teil des Theaters Gessnerallee und erklärt ihn zur Sperrzone für Weisse. Während einzelne linke Politiker für die Aktion Verständnis haben, warnen Bürgerliche davor, dass die Stadt sich mit einem Entgegenkommen erpressbar machen würde.
https://tv.telezueri.ch/news/rassismus-posse-im-theater-gessnerallee-148489761


+++RECHTSEXTREMISMUS
Kinderveranstaltung gestört – Neonazis melden sich mit Video auf Instagram
Die Junge Tat hat nach der Störaktion in Zürich auf Instagram ein Video gepostet. Darin erklären zwei Mitglieder die Gründe dafür.
https://www.20min.ch/story/kinderveranstaltung-gestoert-neonazis-melden-sich-mit-video-auf-instagram-476344367134


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Das grosse Rauschen
Die Zirkulation «alternativer Fakten» verhindert, dass Wissen politisch wirksam wird. Der Soziologe Nils C. Kumkar hat die davon ausgehende Gefahr für den öffentlichen Diskurs untersucht.
https://www.woz.ch/2242/auf-allen-kanaelen/auf-allen-kanaelen-das-grosse-rauschen/%21Y99FJGGEVWRT


+++HISTORY
tagesanzeiger.ch 24.10.2022

Serbische Nationalisten: «Die SVP! Die einzige Partei in diesem Land, die uns versteht!»

Nach Protesten wurde der umstrittene Film des serbischen Regisseurs Boris Malagurski in vielen Kantonen nicht gezeigt. Bei einer Aufführung in Thal SG gingen die Emotionen hoch.

Anielle Peterhans

Samstagabend in Thal, St. Gallen. Im grauen Industriegebäude neben der Landebahn des Flugplatzes Altenrhein reisst eine Filmvorführung etwa 50 Männer, Frauen und Kinder zu Begeisterungsstürmen hin. Im Studio eines serbischen Tanz- und Kulturvereins erheben sie sich zur Standing Ovation, machen Selfies mit dem Regisseur, der extra für die Präsentation aus Belgrad gekommen ist.

«Hvala. Danke. Wie hat euch der Film gefallen?», fragt er.

«Super!!» – «Sjajno!»

Die Gäste haben gerade eineinhalb Stunden einer Geschichtserzählung zugehört, die ausserhalb des Vereinssaals hitzige Debatten und Proteste auslöst. Es ist eine Erzählung über die Geschichte der Serben in Bosnien. Der Film schildert sie als unterdrückte Ethnie, die sich permanent gegen ihre Auslöschung wehren muss – beginnend im Mittelalter bis zur bosnisch-serbischen Teilrepublik, gegründet in den 1990er-Jahren.

Mit «Republika Srpska – Der Kampf um Freiheit» sorgt der serbisch-kanadische Regisseur Boris Malagurski zurzeit europaweit für Aufregung in der Diaspora des ehemaligen Jugoslawiens. In Thal wurde der Film zum ersten Mal in der Schweiz gezeigt.

Für seine Kritiker ist der 34-jährige Malagurski einer der schlimmsten serbischen Nationalisten. Tatsächlich zeigen seine früheren Dokumentarfilme wie «A Moment in Civilization» über den Kosovo oder «A Land Divided» über Montenegro ein einseitiges Bild: Die Serben sind bei Malagurski stets Opfer, deren Kirchen und Kulturschätze vernichtet werden. Die Täter (Albaner, Montenegriner) werden von westlichen Mächten gesteuert. Serbische Verbrechen werden in den Filmen weitgehend ausgeblendet.

Verschiedene multikonfessionelle Vereine in der Schweiz gingen deshalb davon aus, dass Malagurski auch in seinem neuen Film über den serbischen Teil Bosniens dieser Linie treu bleiben werde. Sie warnten noch vor der Filmpremiere die Öffentlichkeit mit einer Protestschrift: Malagurski verharmlose die Gräueltaten von serbischer Polizei und Armee in Bosnien, insbesondere den Genozid in Srebrenica.
Unter Tweets und Facebook-Posts des Regisseurs entzünden sich heftige Diskussionen. Der international anerkannte Genozid in Srebrenica wird wiederholt infrage gestellt.

Als sich Bosnien-Herzegowina 1992 von Jugoslawien lossagte, gründeten die bosnischen Serben ihre eigene Republik, belagerten drei Jahre lang die Hauptstadt Sarajevo und wollten den Osten des Landes «ethnisch säubern». In der Stadt Višegrad wurden rund 3000 muslimische Männer umgebracht, in der unter dem Schutz der UNO stehenden Enklave Srebrenica über 8000, auch Kinder. In der heutigen Republika Srpska wird der Genozid immer noch geleugnet, vor allem durch den Führer der Nationalisten und Putin-Freund Milorad Dodik.

Malagurski sei ein Vertrauter Dodiks, werfen ihm die Bosniaken vor. Sie sehen es auch als symbolisch, dass die Premiere in der Hauptstadt der Republik Srpska, Banja Luka, einen Tag vor den nationalen Wahlen am 2. Oktober stattfand.

«Wir Frauen müssen uns heute gegen diesen Nationalismus wehren. Männer gibt es fast keine mehr», sagt Sedina Delić-Tanović und beginnt am Telefon zu weinen. Die heute 33-Jährige stammt aus Srebrenica und flüchtete 1994 mit ihrer Mutter, der älteren Schwester und ihrem jüngeren Bruder. Die Serben töteten im Krieg ihren Vater, ihre beiden Grossväter und ihre Onkeln. Doch sie hege heute keinen Hass gegen das ganze Volk.

Jedes Jahr erzählt die Mitbegründerin der multiethnischen Plattform «Echo aus Bosnien» vor Schulklassen ihre Geschichte von Srebrenica. Die Schülerinnen und Schüler kommen aus Serbien, Bosnien, Albanien oder Kroatien. «Sie leben hier in Frieden, Seite an Seite. Kamen wir nicht deshalb in die Schweiz?»

Um diesen Frieden zu erhalten, lobbyierte Delić-Tanović in den vergangenen Wochen mit aller Macht bei Gemeinden, Veranstaltern und Polizei gegen die Präsentation von Malagurskis Film.

Die Proteste der Bosniakinnen zeigten in der Schweiz Wirkung. In den meisten Städten wurde die Präsentation des Films abgesagt, aus Angst vor Ausschreitungen. Einzig in Thal und Altstätten im Kanton St. Gallen konnte er gezeigt werden. Zu Krawallen kam es nicht. Trotzdem waren die Gemüter erhitzt. Ein Teil der serbischen Community habe aufgrund von Drohungen «von Personen bosnischer oder albanischer Herkunft» die Vorstellung nicht besuchen können, sagt Darko Zoran, Europa-Direktor des serbischen Vereins «28. Jun». Als Veranstaltungspartner in Österreich und Deutschland habe sein Verein nach der einseitig negativen Berichterstattung und dem «canceln» der Vorführungen viele Solidaritätsbekundungen bekommen. Zoran fand den Film «informativ und aufklärend», andere Besucher fragten ihn, wo die angeblich kritischen Szenen zu finden seien.

Gefährliche subtile Propaganda

Diese Zeitung konnte den umstrittenen Film in Thal sehen und danach mit dem Regisseur sprechen. Tatsächlich erzählt der Film die Geschichte der Serben als Opfer. Das meiste, was dieser Interpretation widersprechen könnte, wird weggelassen. Die Vertreibung, Tötung und systematische Vergewaltigung Zehntausender Bosniakinnen und Bosniaken durch serbische Soldaten und Paramilitärs kommt nicht vor. Der vom internationalen Kriegsverbrechertribunal verurteilte Serbenführer Radovan Karačić wird als missverstandene Person dargestellt. Das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag sei voreingenommen, und überhaupt sei vor allem der Westen für die Misere auf dem Balkan verantwortlich.

Den Genozid von Srebrenica verschweigt Malagurski jedoch nicht. Er nennt ihn im Film klar den «schlimmsten Massenmord der Menschheit seit dem Zweiten Weltkrieg». Doch er nennt keine Opferzahlen und kurz darauf relativiert er diese Aussage wieder: «Das Urteil des Gerichts, dass es sich bei den Geschehnissen in Srebrenica um Völkermord handelt, ist in manchen Kreisen bis heute umstritten.»

Die Expertin Dilyara Müller-Suleymanova forscht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zum Thema Krieg und Diaspora in der Schweiz. Auch sie sah den Film, der allein mit dem Titel provoziere. Sie bestätigt die oben genannten Feststellungen. «Malagurski hat bewusst vermieden, radikale Aussagen zu machen, etwa den Genozid zu leugnen, und gleichzeitig verschweigt er zahlreiche Verbrechen.» Das sei gefährlich, sagt sie: Damit konstruiere er Bedrohungsszenarien für die Serben, die es in der Realität nicht gebe oder gegeben habe. «Der Film vermittelt das Gefühl, dass Serben sich verteidigen müssen, und stärkt so den serbischen Nationalismus.»

Keine Zeit für das Leid der anderen

Er habe sich auf das serbische Volk und sein Leid konzentriert, weil es seit Jahren von der Politik und den Medien kleingeredet werde, erklärt Boris Malagurski nach dem Film dieser Zeitung: «Haben Sie jemals serbische Mütter in den Medien weinen gesehen? Klar hätten wir die andere Seite mehr zeigen können, doch dafür waren die 1,5 Stunden zu kurz.» Er habe einen Film über Serben und keinen Film gegen andere Ethnien gemacht, sagt Malagurski. Deshalb könne er diese «Cancel Culture» nicht verstehen. Er selbst würde niemals einen Film über das Leid der Bosniaken verbieten.

Dass er Verbindungen zum Nationalistenführer Dodik oder anderen Politikern pflegt, verneint Malagurski: Er werde nicht finanziell unterstützt, verfolge keine politische Agenda und arbeite «aktuell nicht mehr» für russische Medien. Diese Vorwürfe seien doch nur Teil einer «Lügenkampagne westlicher Journalistinnen».

Nach der Filmvorstellung in Thal beantwortet Malagurski Fragen des Publikums. Er spricht von einer «Hetzkampagne» gegen ihn und das serbische Volk. Seine Fans, die ausschliesslich aus der serbischen Diaspora kommen, sehen das genauso. Einige hoffen in der Schweiz auf einen starken Verbündeten. Ein älterer Mann spricht Serbisch, liest dann ein paar deutsche Wörter von seinem Handy ab: «Heldenvolk», «Weltwoche», «Mörgeli». Ein anderer Zuschauer antwortet: «Die SVP! Die einzige Partei in diesem Land, die uns versteht!»

Im Februar erschien der Artikel «Das Heldenvolk der Serben» von Christoph Mörgeli. Damit schaffte es der Autor sogar auf die Titelseite der «Weltwoche». Etliche serbische Medien übernahmen den Artikel, manche zur Gänze.

«Die SVP und gerade Christoph Mörgeli vertreten Positionen, die grossserbischen Nationalisten gefallen», sagt Daniel Bochsler, Professor für Politikwissenschaften in Belgrad, Wien und Zürich. Die SVP habe etwa unter Berufung auf die Neutralität die Anerkennung der Unabhängigkeit von Kosovo abgelehnt und politisiere gern anti-islamistisch. Die Politik des Kreml werde von serbischen Nationalisten ebenso wie von der SVP verharmlost, so Bochsler. Ausserdem gebe es ein starkes gemeinsames Feindbild: die EU und die Ziele der europäischen Integration.

Dass der «Weltwoche»-Artikel und Malagurskis Dokumentation von Teilen der serbischen Community so emotional aufgenommen werden, interpretiert Diaspora-Forscherin Dilyara Müller-Suleymanova so: «Serbinnen und Serben werden auch in der Schweiz häufig im Kollektiv als Schuldige des Genozids und des Krieges gesehen. Diese Stigmatisierung weckt das Bedürfnis, die eigene Geschichte in einem positiven Licht erscheinen zu lassen. Dieses Bedürfnis bedient dieser Film sichtbar. Dabei sind sie oft Opfer der Politik ihrer Eliten.»

Christoph Mörgeli selbst schreibt auf Anfrage: Ihm sei aufgefallen, dass man in der Schweiz den Serben oft mit Überheblichkeit begegne. Diese habe ihre Wurzeln in «einem Dünkel der Westeuropäer gegenüber den Slawen». «Wir neutralen Schweizer sollten uns von dieser verbalen Prügelei radikal distanzieren, denn sie ist ungerecht und führt zu nichts Gutem», so Mörgeli.

Im Publikum in Thal sitzen wohl auch Menschen, die Angehörige im Krieg verloren haben. Während der Vorführung wird geweint und umarmt. Eine junge Frau sagt danach, wie sehr sie sich verstanden fühlte: «Jeder hat seine eigene Wahrheit. Für mich zeigt der Film die Wahrheit. Das habe ich erlebt.»

Ein älterer Mann steigt in sein Auto mit Zürcher Kennzeichen und gibt der Journalistin noch einen Rat mit auf den Weg: «Die Schweiz ist ein gutes und freies Land. Jeder darf sagen, was er will. Schreiben Sie das!»

Für Sedina Delić-Tanović hat Meinungsfreiheit ihre Grenzen. Dann, wenn ein einzelner Nationalist Kriegsverbrechen relativieren und geschichtliche Fakten verschweigen dürfe. Der interkulturelle Konflikt werde so nicht entschärft, sondern angeheizt. «Ich wünsche mir, dass die Generation meines Sohnes die Last unseres Leidens nicht weitertragen muss.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/die-svp-die-einzige-partei-in-diesem-land-die-uns-versteht-973328836505)