Medienspiegel 23. Oktober 2022

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+++SCHWEIZ
Sonntagszeitung 23.10.2022

Dissidentin droht Kriegseinsatz: Schweiz will Putin-Gegnerin nach Russland ausweisen

Die Ärztin Ekaterina Sinitsa ist aus Russland geflüchtet, weil ihr ein Kriegseinsatz drohte. Sie hat Putin auch öffentlich kritisiert. Trotzdem wollen die Migrationsbehörden die Dissidentin ausschaffen.

Mischa Aebi

Ekaterina Sinitsas Urteil über den russischen Präsidenten ist vernichtend. Die 46-jährige Ärztin aus St. Petersburg sagt: «Putin ist ein Diktator, der nie im Interesse des Volkes gehandelt hat und nie handeln wird.» Der Krieg, den er in der Ukraine führe, sei «ein Besatzungskrieg, ungerecht, blutig mit enormen zivilen Opfern, insbesondere auch Kindern». Er sei «sinnlos und unnötig».

In diesen Krieg hätte Sinitsa wohl ziehen müssen, direkt an die Front. Denn in Russland können auch Ärztinnen für Kriegseinsätze aufgeboten werden. Weigern sie sich, drohen ihnen die gleichen Strafen wie Männern. Bis zu ihrer Flucht arbeitete Sinitsa im klinischen Labor eines Staatsbetriebes.

Am Tag, an dem Putin die Ukraine überfiel, änderte sich an ihrem Arbeitsplatz plötzlich vieles: Ihre Vorgesetzten seien sofort beauftragt worden, intern Brigaden, eine Art Spezialteams, zu bilden, sagt sie. Offizieller Zweck laut Sinitsa: «Teilnahme an einer besonderen Militäroperation.» Man habe Übungen durchgeführt, noch ohne Uniform, aber mit klarem Fokus auf die Versorgung von verletzten Soldaten.

Im April flüchtete die Ärztin in die Schweiz. Denn sie wollte um keinen Preis Teil dieses Krieges gegen die Ukraine werden. Sinitsa ist grundsätzlich gegen Waffengewalt. Und: Sie hat selber einmal in der Ukraine gelebt. Ein Teil ihrer Verwandtschaft komme von dort, sagt sie. «Bis heute habe ich Freunde und Bekannte in der Ukraine.»

Migrationsbehörde schickt sie zurück in den Krieg

Doch die Schweiz will der Dissidentin keinen Schutz bieten: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat ihr Asylgesuch abgeschmettert. Man teilte ihr mit, dass sie das Land mit ihrer Tochter verlassen müsse. Der Entscheid liegt dieser Zeitung vor.

Während Flüchtlinge aus der Ukraine dank ihres Schutzstatus praktisch ohne administrative Hürden in der Schweiz aufgenommen werden, müssen Kriegsverweigerer und Dissidenten aus Russland ein ordentliches Asylverfahren durchlaufen, um dem Krieg oder der Gefängniszelle zu entkommen. Sie müssen die Schweizer Beamten überzeugen, dass sie bei einer Rückkehr verfolgt würden. Das ist der Putin-Gegnerin aus St. Petersburg nicht gelungen.

Sinitsa sagt: Wenn sie nach Russland müsse, sei es unvermeidlich, dass sie als Kriegsverweigerin und Dissidentin verfolgt werde und hinter Gitter komme. Fest steht: Deserteuren droht gemäss dem von Putin in diesem Jahr in Kraft gesetzten Gesetz bis zu 15 Jahre Gefängnis. Und wer das Regime oder den Krieg kritisiert, riskiert 10 Jahre.

Dissidenten im «Teufelskreis»

Doch Sinitsas Problem: Sie ist geflüchtet, bevor sie eine Vorladung für den Dienst an der Front bekommen hat. Das halten ihr die Schweizer Migrationsbehörden im Asylentscheid nun vor. Es seien auch keine anderen Probleme mit den Behörden in ihrer Heimat aktenkundig, heisst es im negativen Bescheid. Die Befürchtungen der Ärztin beruhen laut den Migrationsbehörden «daher nur auf Annahmen». Es gebe «keine Indizien, dass sie in der Zukunft ernsthaften Gefahren ausgesetzt» sein könnte.

Sinitsa versteht das nicht: Wenn man keine Vorladung für den Dienst an der Front habe, bestehe in den Augen der Behörden keine unmittelbare Gefahr, und der Asylantrag werde abgelehnt, «wie in meinem Fall». Wenn man hingegen bereits ein Aufgebot habe, könne man Russland nicht mehr verlassen und könne dann auch kein Gesuch stellen. «Es ist ein Teufelskreis», der von den Behörden ignoriert werde, sagt Sinitsa.

Allerdings hätte die Russin selbst mit einem Aufgebot für einen Kriegseinsatz in der Schweiz wohl wenig Chancen, Asyl zu bekommen oder auch nur vorübergehend aufgenommen zu werden. Das machen die Migrationsbehörden auf Anfrage klar.

Auf den konkreten Fall wollte das SEM zwar nicht eingehen. Sprecher Samuel Wyss sagt aber: «Gemäss schweizerischer Rechtsprechung ist die Verfolgung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren grundsätzlich flüchtlingsrechtlich nicht relevant.» Nur im «Einzelfall», wenn es Hinweise gebe, dass die Bestrafung im Heimatland «unverhältnismässig hoch» ausfalle, können laut dem SEM-Sprecher die «Voraussetzungen» für einen positiven Asylentscheid erfüllt sein.

Ärztin demonstrierte gegen Putin

Seit Sinitsa in der Schweiz ist, nimmt sie regelmässig an Demonstrationen gegen Putin und gegen den Ukraine-Krieg teil. Bilder belegen das. Letztmals lief sie an einer Kundgebung am Freitag in Zürich mit. Der Verein Russland der Zukunft hatte die Protestaktion organisiert. Er wird getragen von russischen Dissidenten in der Schweiz, die regelmässig Anti-Putin-Demonstrationen organisieren.

Dennoch urteilten die Migrationsbehörden, dass sie politisch nicht gegen das herrschende Regime in Russland aktiv sei und deshalb bei einer Rückkehr auch diesbezüglich nichts zu befürchten habe. Sinitsa sagt, ihre Angabe bei der Gesuchstellung basiere auf einem Missverständnis. Man habe sie gefragt, ob sie politisch aktiv sei – und sie habe darauf mit Nein geantwortet, weil sie davon ausgegangen sei, dass man nur als politisch aktiv gelte, wenn man Politikerin oder Politiker sei. Weitere Fragen habe man ihr diesbezüglich nicht gestellt.

Nur wenige Russen bekommen Asyl

Die Schweiz scheint bei russischen Dissidenten einen harten Kurs zu fahren. Vielen Asylsuchenden aus Russland erging es in diesem Jahr ähnlich wie Sinitsa. 159 ihrer Landsleute haben seit Januar in der Schweiz einen Asylantrag eingereicht. Bloss 14 davon hat das SEM in diesem Zeitraum gutgeheissen. Bei 37 sind die Behörden gar nicht erst auf das Gesuch eingetreten. 10 weitere bekamen nach dem Verfahren einen negativen Entscheid. Nur gut jeder Fünfte von jenen, über die dieses Jahr entschieden wurde, darf also bleiben.

Sinitsa kann jetzt noch auf das Bundesverwaltungsgericht hoffen. Dort hat sie einen Tag vor dem offiziellen Beginn der Teilmobilmachung eine Beschwerde gegen ihren Ausweisungsbeschluss eingereicht. Lehnt auch dieses Gericht ihren Asylantrag ab, muss sie die Schweiz innert zehn Tagen verlassen.
(https://www.derbund.ch/schweiz-will-putin-gegnerin-nach-russland-ausweisen-123094642758)



Behörden-Irrsinn! – Schweiz will junge Russin (17) ausschaffen
Obwohl die russische Regierung auch im eigenen Land Menschenrechte mit Füssen tritt, weist die Schweiz nach wie vor Asylsuchende nach Russland aus. Eine davon ist die Nachwuchspflegerin Milena*.
https://www.blick.ch/ausland/behoerden-irrsinn-schweiz-will-junge-russin-17-ausschaffen-id17985549.html



Ukraine-Flüchtlinge: Kateryna kehrte zurück – Svetlana will bleiben
Rund 4600 Ukrainerinnen haben die Schweiz verlassen. Kateryna Potapenko fühlt sich in Kiew sicherer als hier.
https://www.blick.ch/schweiz/ukraine-fluechtlinge-kateryna-kehrte-zurueck-svetlana-will-bleiben-id17985253.html


+++BALKANROUTE
Die gefährliche Fluchtroute durch Europa
Die Flucht über die Balkanroute ist in den letzten Jahren noch gefährlicher geworden.
https://www.zeit.de/politik/2022-10/balkanroute-gefluechtete-migration-nachrichtenpodcast


+++EUROPA
Flüchtlingspolitik in Europa: „Asyl in der EU ist extrem wichtig“
Menschen in Not werden aufgenommen, weil es richtig ist, sagt der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi – nicht, weil es leicht ist.
https://taz.de/Fluechtlingspolitik-in-Europa/!5887500/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Antifa-Demo in der Hauptstadt: Chaoten versprayen Berner Stadttheater
1000 Demonstrierende haben sich am Bahnhofplatz versammelt und sind Richtung Innenstadt losgezogen. Ein Grossaufgebot der Kantonspolizei Bern war ebenfalls vor Ort.
https://www.blick.ch/schweiz/bern/antifa-demo-in-der-hauptstadt-chaoten-versprayen-berner-stadttheater-id17986205.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/antifaschismus-1000-personen-marschierten-durch-bern-gegen-faschismus
-> https://www.baerntoday.ch/bern/es-wurden-steine-gegen-die-einsatzkraefte-geworfen-148465537
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/204248/
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/ich-bin-mit-meinen-eigenen-vorurteilen-konfrontiert-worden?id=12274294
-> https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/sachbeschaedigungen-bei-antifaschistischem-spaziergang-in-bern-148477292


Schweiz: Zunahme von Extremismus – Tagesschau
In der Schweiz sorgen Extremisten für Schlagzeilen – Rechts- sowie Linksextreme sind wieder aktiver. Gemäss dem Nachrichtendienst des Bundes NDB muss mit einer weiteren Zunahme von Gewalttaten gerechnet werden. Einschätzungen von SRF-Redaktor für Extremismus Daniel Glaus.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/schweiz-zunahme-von-extremismus?urn=urn:srf:video:1c23bb4b-0527-42be-ab8c-81f7fd5b0c8e


+++RASSISMUS
Rassismus-Posse im Theater Gessnerallee
Die Leitung des Theaters Gessnerallee macht sich stark für Toleranz, Inklusion und Gleichstellung. Eine Gruppe dunkelhäutiger Künstler hat trotzdem seit über einem Monat einen Teil des Gebäudes besetzt und verweht Weissen den Zutritt. Niemand getraut sich durchzugreifen – keiner will sich am heiklen Thema die Finger verbrennen.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/rassismus-posse-im-theater-gessnerallee-148477662


Theaterhaus Gessnerallee ist mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert (ab 02:36)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/so-geht-es-mit-der-stefanini-sammlung-weiter?id=12274336


Theater in Zürich : Weisse Wand und schwarze Box
Ein Kollektiv besetzt seit Wochen einen Teil der Gessnerallee. Es verlangt ein nichtweisses Theaterhaus – und scheint damit offene Türen einzurennen. Doch Probleme gibt es trotzdem.
https://www.woz.ch/2241/theater-in-zuerich/theater-in-zuerich-weisse-wand-und-schwarze-box/%21RFFXZA204F61


+++RECHTSPOPULISMUS
SVP-Kandidat Hans-Ueli Vogt will «Transgender-Wahn» bekämpfen
Ueli Maurer provozierte mit dem Wunsch, seine Nachfolge sei hoffentlich kein «Es». Auch Hans-Ueli Vogt, der Maurer beerben möchte, beklagt, die gesellschaftliche Debatte sei teilweise «wahnhaft».
https://www.20min.ch/story/svp-kandidat-hans-ueli-vogt-will-transgender-wahn-bekaempfen-473445106536



Sonntagszeitung 23.10.2022

Hatespeech: Ueli Maurers Beleidigungen haben Folgen

Die Provokationen des abtretenden Bundesrats lassen die Hemmschwelle seiner Anhänger sinken. Nach einem Vorfall bei SRF äussert sich nun Satirikerin Patti Basler.

Adrian Schmid

Keine Entschuldigung, kein Zeichen von Reue. Im Gegenteil. Ueli Maurer bleibt bis zum Schluss Ueli, der Provokateur. Die neueste Episode lieferte der scheidende Finanzminister am Samstag an der SVP-Delegiertenversammlung. Er sagte dort, dass seine «Es»-Äusserung eine bewusste Provokation gewesen sei – und erntete dafür Applaus von seiner Partei.

Maurer hatte an der Pressekonferenz anlässlich seiner Rücktrittserklärung vor drei Wochen gesagt, ihm sei egal, ob auf ihn ein Mann oder eine Frau folge. «Solange es kein ‹Es› ist, geht es ja noch.» Das Transgender-Netzwerk Schweiz verlangte daraufhin eine Entschuldigung vom SVP-Bundesrat.

Von «kä Luscht» bis «Aff»

Doch jetzt kommt noch ein anderer Fall an die Oberfläche. Kurz bevor Maurer seinen Rücktritt verkündete, kanzelte er SRF ab. Die Satirikerin Patti Basler wollte ihn für die Sendung «Deville» auf der Strasse beim Bundeshaus in Bern fragen, was er zum Gender-Gap bei der medizinischen Forschung sage. Maurers Antwort: «Die huere Frage vom Färnseh. Viel tümmer chame nöd si, als ihr sind. Tschuldigung.»

Die Episode mit Ueli Maurer in der Sendung «Deville» dauert nur einen kurzen Moment.
Video: SRF/Youtube
(https://youtu.be/qCLSX02xb0s)

Maurer ist in den letzten Jahren immer wieder über SRF hergezogen. Mal hatte er «kä Luscht», dem Sender ein Interview zu geben. Mal sagte er mit der gleichen Begründung der «Arena» ab. Mal verliess er das Studio, weil er sich in Zusammenhang mit einer Steuerreform an der Formulierung «Alter Wein in neuen Schläuchen» störte. Mal kritisierte er vor laufender Kamera einen Kampfjet-Beitrag der «Rundschau» als einseitig, tendenziös und «schwache journalistische Leistung». Und mal verunglimpfte er einen Kameramann, der ihn filmte, als «Aff».

Wortmeldung auf Facebook

Manche mögen solche Aussagen mit einem Lächeln quittieren. Nun zeigt sich aber, dass daraus auch bitterer Ernst werden kann. Die Episode in der «Deville»-Sendung dauerte zwar nur ein paar Sekunden. Dennoch wurde Patti Basler in der Folge mit üblen Kommentaren eingedeckt, darunter waren auch Todes- und Vergewaltigungsandrohungen. Maurers Spruch «hat Schleusen geöffnet», schrieb sie kürzlich in einem Facebook-Eintrag. «Wenn ein Bundesrat so was sagt, dann denken die Hater und Hetzerinnen, sie dürfen erst recht.»

Patti Basler glaubt, dass Maurer auch in ihrem Fall bewusst provoziert hat. «Nach dreizehn Jahren im Bundesrat traue ich ihm zu, dass er ziemlich genau weiss, welche Reaktionen er mit solchen Kommentaren auslöst», sagt sie auf Anfrage.

Reaktion auf Kim de l’Horizon

Maurers Sicht bleibt derweil unklar. «Wir äussern uns nicht weiter dazu», lässt eine Sprecherin des Finanzdepartements ausrichten. Bei SRF heisst es, man verurteile «jegliche Form von Hatespeech». Betroffenen Mitarbeitenden werde Unterstützung durch Fachleute angeboten. Patti Basler habe keinen Support in Anspruch genommen.

Basler ist sich bewusst, dass man in ihrem Job mit unterschiedlichen Reaktionen rechnen muss. «Die Ideen, wie man auf Satire reagieren dürfe, sind grenzenlos», sagt sie. Das nehme sie auch entgegen. Tragischer seien jedoch Reaktionen auf ohnehin diskriminierte Gruppen wie Schwarze oder LGBTIQ, die durch abwertende Bemerkungen aus der Politik zusätzlich Bedrohungen und Belästigungen ausgesetzt würden.

Patti Basler hat ihren Facebook-Kommentar denn auch in Zusammenhang mit einem Zeitungsartikel über Kim de l’Horizon geschrieben. Die nonbinäre Person hat kürzlich nicht nur den Deutschen Buchpreises gewonnen. «Es» hat Ueli Maurer auch auf ein Bier eingeladen, aufgrund seiner Äusserung bei der Pressekonferenz.
(https://www.tagesanzeiger.ch/ueli-maurers-beleidigungen-haben-folgen-815294083988)
-> https://www.blick.ch/politik/ich-bekam-morddrohungen-komikerin-patti-basler-wirft-ueli-maurer-vor-hass-zu-schueren-id17986407.html



Rechte Rechtskämpfe
Rechte Bewegungen und Akteur:innen haben das Recht zum zentralen Kampffeld erkoren: Sie führen jedoch nicht nur (erfolgreiche) Klageverfahren, sondern greifen die relationale Autonomie des Rechts an. Für progressive Bewegungen soll das Recht nicht mehr als emanzipatorischer Hebel ihrer Interessenspolitik fungieren.
https://geschichtedergegenwart.ch/rechte-rechtskaempfe/


+++RECHTSEXTREMISMUS
Erstarkte Extremisten – Steigendes Konflikt-Potential zwischen Links- und Rechtsradikalen
Linksextreme haben Hunderte in Bern mobilisiert, Rechtsradikale intensiveren ihre Propaganda – eine gefährliche Dynamik.
https://www.srf.ch/news/schweiz/erstarkte-extremisten-steigendes-konflikt-potential-zwischen-links-und-rechtsradikalen



Sonntagszeitung 23.10.2022

Angriff auf Tanzhaus-Veranstaltung: Neonazis sind vorbestraft

Rechtsextreme protestierten gegen eine Vorlesestunde für Kinder über Geschlechteridentitäten. Den Mitgliedern der Gruppe drohen nun unbedingte Strafen.

Cyrill Pinto

Die Bilder waren unheimlich. Mitten während der «Drag Story Time», einer Vorlesestunde für Kinder zwischen drei und zehn Jahren zum Thema Geschlechteridentitäten, standen Leute im Publikum auf, gingen auf die Bühne und versuchten ein Transparent zu entrollen. Gleichzeitig blockierte eine Gruppe von etwa neun Personen den Weg vor dem Zürcher Tanzhaus, in dem die Veranstaltung stattfand. Sie waren maskiert, zündeten Rauchfackeln und schrien Parolen mit einem Megafon.

«Familie statt Gender-Ideologie», stand auf dem Transparent, das sie draussen entrollten. «Unsere Gäste wurden massiv gestört und erschreckt», hält das Tanzhaus in einer Stellungnahme fest. Nach dem Schock riefen sie die Polizei – zu spät. Als diese eintraf, war von den Angreifern niemand mehr vor Ort, wie es bei der Stadtpolizei Zürich heisst. Die Verantwortlichen des Tanzhauses reichten Strafanzeige ein.

Mitglieder der Gruppe sind polizeibekannt

Es dürfte nicht schwer sein, die Täter ausfindig zu machen. Die rechtsextremistische Gruppe Junge Tat, die sich zum Angriff bekannte, fiel in den vergangenen Monaten mehrfach durch ihre Aktionen auf. Die meisten Mitglieder der Gruppe sind polizeibekannt, einige sogar vorbestraft.

Eine wichtige Figur der Gruppe ist Manuel C. 2020 machte der damals 19-jährige Student der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) auf sich aufmerksam, weil er dort rechtsextremes Gedankengut verbreitete und mutmasslich mehrere Onlinevorlesungen mit Nazi-Parolen störte. Wegen Hinweisen auf illegalen Waffenbesitz führte die Polizei im Sommer 2020 bei ihm eine Hausdurchsuchung durch – und wurde fündig. Mehrere Schusswaffen seien bei ihm sichergestellt worden, meldete die Polizei.

Damals waren C. und seine Mitstreiter vornehmlich im Raum Winterthur noch unter dem Namen Eisenjugend aktiv. Sie träumten vom Rassenkrieg und verurteilten die «Dekadenz» in den Städten: «Die Juden, die Schwarzen und die Bürokratie würden bei einem Bürgerkrieg sehr schnell den Tod sterben, den sie reichlich verdient haben», hiess es in den Propagandaschriften.

Nach einem Hackerangriff auf eine jüdische Kulturveranstaltung im Januar 2021 erhielt C. wieder Besuch von der Polizei. Er und fünf weitere Mitstreiter wurden verhaftet.

Später wurden sie wegen Rassendiskriminierung, Vergehen gegen das Waffengesetz und Sachbeschädigung zu bedingten Geldstrafen verurteilt. 3600 Franken betrug die bedingte Geldstrafe für C., ausserdem musste er 13’000 Franken Verfahrenskosten übernehmen. An die Stelle der Eisenjugend trat nach der Verurteilung eine neue Gruppierung: die Junge Tat. Laut «Tages-Anzeiger» ist C. in der Vereinigung aktiv, war auf verschiedenen Videos der Gruppe zu erkennen und produziert diese auch. Die Junge Tat fiel in den vergangenen Monaten durch inszenierte Propagandaauftritte auf, etwa am 1. Mai in Zürich. Auch vor dem Verlagshaus von Tamedia fand eine Aktion statt.

Anführer C. zu bedingter Geldstrafe verurteilt

Führte die Kantonspolizei nach dem Vorfall vor dem Zürcher Tanzhaus am neuen Wohnort von C. in Hagenbuch ZH eine Hausdurchsuchung durch? Man ermittle noch und könne keine Details bekannt geben, heisst es auf Anfrage. Bei einer erneuten Verurteilung – zum Beispiel wegen Hausfriedensbruch, Drohung oder Schreckung der Öffentlichkeit – müssen die vorbestraften Mitglieder mit höheren sowie unbedingten Strafen rechnen.

Die Gruppe selber macht unbekümmert weiter. Für heute Sonntag ist eine Wanderung im Kanton St. Gallen angesagt. Weitere Angriffe auf Veranstaltungen, die dem rechtsextremen Weltbild der Gruppe widersprechen, sind vorprogrammiert.

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) beobachtet die Gruppe seit längerer Zeit. Das Gewaltpotenzial der Szene sei seit 2020 insgesamt gestiegen, heisst es. «Es ist wahrscheinlich, dass der Wille zur Auseinandersetzung stärker geworden ist und dass somit gewaltsame Vorfälle wahrscheinlicher geworden sind», schreibt der NDB in seiner aktuellen Lagebeurteilung.

Das rechtsextreme Netzwerk der Schweiz: Die Dokumentation der Redaktion Tamedia zeigt erstmals auf, wie die Junge Tat zur wichtigsten Gruppierung in der rechtsextremen Szene der Schweiz wurde.
Video: Tamedia
https://unityvideo.appuser.ch/video/uv444149h.mp4
(https://www.tagesanzeiger.ch/neonazis-sind-vorbestraft-359092875141)
-> https://www.20min.ch/story/randalierende-neonazis-sind-polizeibekannt-und-vorbestraft-336391113276



„Die Neonazis der Jungen Tat melden sich in einem Video zur Aktion am Tanzhaus zu Wort – offen und mit Namen. Ich erspar euch den ganzen Clip, eines zeigt er aber deutlich: Die Rechtsextremen fühlen sich sicher und salonfähig. Das ist neu. Und besorgniserregend.
Dass sie so offen agieren können, ist auch ihr eigener Strategie-Erfolg. Mit den professionellen Propagandavideos und ihrem neurechten Auftreten schaffen sie es, den Rechtsextremismus wieder hip erscheinen zu lassen. Im Kern aber bleiben sie militante Faschisten.“
(https://twitter.com/FabianEberhard/status/1584094597017645056)


+++HISTORY
So geht es mit der Stefanini-Sammlung weiter
Rund 90’000 Gegenstände hat der Winterthurer Kunsthändler Bruno Stefanini in seiner Sammlung hinterlassen. Die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte hat diese in den letzten zwei Jahren gesichtet. Nun prüft sie, ob sich unter den Gemälden Raubkunst befindet.  (ab 05:27(
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/so-geht-es-mit-der-stefanini-sammlung-weiter?id=12274336


Kunstmuseum zeigt Werke aus heikler Epoche
Das Kunstmuseum arbeitet mit Ausstellungen zur “entarteten” Kunst und Werken aus der Sammlung des Juden Curt Glaser zwei Ankaufs-Offensiven aus dieser Zeit auf.
https://telebasel.ch/2022/10/23/kunstmuseum-zeigt-werke-aus-heiklerepoche


Neues Buch beleuchtet Schicksale – Paul Erdös: Wie ein Luzerner die NS-Gräuel überlebte
Der 91-jährige Paul Erdös wohnt heute im beschaulichen Meggen. Seine Jugend war hingegen geprägt vom Terror des Naziregimes. Ein Sachbuch beleuchtet nun sein Schicksal – und das anderer Überlebender.
https://www.zentralplus.ch/geschichte/paul-erdoes-wie-ein-luzerner-die-ns-graeuel-ueberlebte-2473371/