Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++LUZERN
Nach Einsprachen und Knatsch – Meggen: Die Containersiedlung für Flüchtlinge entsteht
In der Gemeinde Meggen entsteht momentan eine temporäre Wohncontainersiedlung am Standort Gottlieben. Diese bietet 100 Flüchtlingen für maximal drei Jahre Platz. Die Fundationsarbeiten werden in dieser Woche abgeschlossen.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/meggen-die-containersiedlung-fuer-fluechtlinge-entsteht-2472927/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/region-luzern-neue-luzerner-asylzentren-jetzt-gehts-vorwaerts-ld.2360097
+++SCHWEIZ
nzz.ch 19.10.2022
Minderjährige Flüchtlinge werden immer mehr zum Problem
Im Asylzentrum von Chiasso führten unbegleitete Minderjährige einen Hungerstreik durch. Dieser Vorfall zeigt, dass der Bund mehr Mühe bei der Betreuung hat – wegen steigender Flüchtlingszahlen und Mangel an Fachkräften.
Peter Jankovsky, Chiasso
Das Empfangszentrum für Flüchtlinge in Chiasso muss immer wieder heikle Situationen bewältigen. So sind kürzlich 40 afghanische UMA in einen Hungerstreik getreten und haben zwei Nächte draussen verbracht. Das Kürzel steht für unbegleitete minderjährige Asylsuchende. Also für Personen, die ohne Eltern, Verwandte oder erwachsene Betreuer auf der Flucht sind.
Die 40 Jugendlichen gehören zur Volksgruppe der Hazara. Sie fühlten sich massiv bedroht von anderen Flüchtlingen, die zur afghanischen Mehrheit der Paschtunen gehören – dagegen wollten sie mit ihrem Hungerstreik protestieren. Laut Amnesty International wird in Afghanistan die ethnische Minderheit der Hazara von den Taliban verfolgt.
Konflikte zwischen verschiedenen Ethnien
Die Hungernden brachen ihre Aktion relativ bald ab, da einige von ihnen ins Spital gebracht werden mussten. Ausserdem hatte das Staatssekretariat für Migration (SEM), das für die Asylzentren des Bundes zuständig ist, eine Lösung versprochen. Sie bestand darin, die Afghanen auf andere Zentren zu verteilen, natürlich unter Beachtung der ethnischen Zugehörigkeit.
Auch in der Vergangenheit sorgte das Empfangszentrum in Chiasso wiederholt für Schlagzeilen. Während der Flüchtlingskrise 2016 kam der grösste Teil der Migranten und Asylsuchenden über die Südgrenze in die Schweiz, so dass Chiasso aus allen Nähten platzte. Viele der nach Italien Rückgeführten, deren Asylantrag abgelehnt worden war, blieben im Bahnhof des grenznahen Como hängen. Dort kampierten sie wochenlang im Freien.
2011 wiederum empörten sich Chiassos Einwohner. Damals sorgten gewaltbereite Asylbewerber nicht nur im Empfangszentrum selber für Probleme. Sie lungerten angetrunken in Parks herum und belästigten Passanten. Daher forderte die Stadtregierung vom Bund, das nahe beim Bahnhof liegende Zentrum an die Peripherie zu verlegen.
Ein gemeinsamer Nenner dieser Vorfälle ist die Raumnot. Chiassos Asylzentrum weist 134 Schlafplätze auf und kann nicht ausgebaut werden. Daher wurde vor einigen Jahren eine Art Filiale im benachbarten Balerna eröffnet, so dass nun 350 Plätze zur Verfügung stehen. Trotzdem sollen auch die afghanischen UMA von «Überfüllung» gesprochen haben. Dies berichtete das Radio und Fernsehen der italienischen Schweiz und erwähnte folgende Forderungen der Hungerstreikenden: mehr Raum, schnellere Asylprüfverfahren sowie intensivere Betreuung und Beschäftigung.
Das eigentliche Problem ist jedoch, dass sich die Schweiz auf eine neue Flüchtlingswelle vorbereitet. Denn neben dem Ukraine-Krieg erfolgt auch über die Balkanroute weiterer Zustrom. Wurden letztes Jahr 15 000 Asylanträge gezählt, so rechnet das SEM für 2022 mit insgesamt 19 000 Gesuchen.
Momentan sind 650 unbegleitete Minderjährige in den Bundesasylzentren registriert, 150 davon in Chiasso und Balerna. Bei weiteren 550 Personen überprüft das SEM noch das angegebene Alter. Zählte man 2021 rund 945 UMA, könnten es heuer deutlich mehr werden.
Die gegenwärtig hohe Zahl solcher Minderjähriger in den Asylzentren erschwere die engmaschige Betreuung, erklärt der SEM-Sprecher Lukas Rieder. Gleichzeitig sei qualifiziertes Betreuungspersonal auf dem Arbeitsmarkt nur schwer zu rekrutieren. Gemäss Rieders Worten fehlen etwa 25 Prozent der benötigten Sozialpädagogen, welche die Jugendlichen und Kinder als Bezugspersonen begleiten. Dies tun sie gewöhnlich in Gruppen von 15 Personen.
Die Folge davon ist: Selbständige, ältere Minderjährige werden zeitweise nicht überall in den Gruppen betreut. Somit dürften auch nicht alle durchgängig an der acht Stunden dauernden Tagesstruktur teilnehmen. Eine solche besteht aus Schul- oder Sprachunterricht, gemeinsamen Mahlzeiten, Mithilfe im Haushalt, Workshops, Sport und anderen gemeinsamen Aktivitäten.
Streit um Altersbestimmung
Mit Besorgnis habe die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Situation in Chiasso zur Kenntnis genommen, sagt deren Sprecher Lionel Walter. In seinen Augen spielt neben der Frage der Unterbringung und Betreuung aber noch ein anderes Thema eine wichtige Rolle: die Altersschätzung. Nach Walters Meinung erfolgt die Einschätzung des Alters zu häufig durch medizinische Tests. Dabei würden Röntgenaufnahmen, Scans und körperliche Untersuchungen vorgenommen, die wissenschaftlich umstritten seien. Im Einklang mit internationalen Richtlinien, an denen auch die Vereinten Nationen mitgewirkt haben, schlägt Walter vor: Im Zweifelsfall solle man von der Minderjährigkeit ausgehen.
Schliesslich fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe geeignete Unterkünfte für die UMA. Diese würden einen sicheren und geschützten Rahmen brauchen, um ihre oft traumatisierende Flucht zu verarbeiten. Also müsse der Bund eine Überbelegung in seinen Asylzentren verhindern und zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten schaffen.
Da ist das SEM laut eigenen Angaben schon daran. Es hat stillgelegte Unterkünfte wieder in Betrieb genommen und funktioniert Mehrzweckhallen sowie Zivilschutzanlagen um. So sollten bald 9000 zusätzliche Plätze bereitstehen.
(https://www.nzz.ch/schweiz/asyl-minderjaehrige-fluechtlinge-werden-in-chiasso-zum-problem-ld.1707776)
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Vorlagen des Bundesrates im Bereich des Ausländer- und Integrationsrechts (AIG)
Die Kommission hat vier Vorlagen des Bundesrates im Bereich des Ausländer- und Integrationsrechts (AIG) zuhanden des Rates verabschiedet: Die erste Vorlage betrifft kantonale Ausreisezentren in Grenzregionen (22.044). In diesen Zentren können ausreisepflichtige Personen ohne Aufenthaltsbewilligung kurzfristig festgehalten werden, um deren Übergabe an einen Nachbarstaat sicherzustellen. Die Kantone sollen dafür vom Bund finanziell unterstützt werden können. Die Kommission stimmt dieser Vorlage einstimmig zu. Der vom Nationalrat eingefügten Bestimmung zum Ausschluss einer kurzfristigen Festhaltung von Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren schliesst sich die Kommission mit Mehrheitsentscheid nicht an.
Mit der zweiten Vorlage (22.047) wird ermöglicht, dass ausreisepflichtige Personen weiterhin zu einem Covid-19-Test verpflichtet werden können, wenn ihre Wegweisung ansonsten nicht vollzogen werden kann. Die Kommission heisst die Verlängerung der entsprechenden Bestimmung im AIG bis Ende Juni 2024 mit 10 zu 2 Stimmen gut.
Bei den zwei anderen Vorlagen handelt es sich um Schengen-Weiterentwicklungen, welche die Kommission dem Rat einstimmig zur Annahme empfiehlt. Eine betrifft die Reform des Visa-Informationssystems VIS (22.039). Diese EU-Datenbank verbindet die Grenzschutzbeamtinnen und Grenzschutzbeamten an den Schengen-Aussengrenzen mit den Konsulaten der Schengen-Staaten. Dieses System wird ausgeweitet, um sicherzustellen, dass die Behörden über die erforderlichen Informationen verfügen. Die andere Schengen-Weiterentwicklung betrifft die Anpassung des Europäische Reiseinformations- und Genehmigungssystem ETIAS (22.019). Die Kompatibilität soll mit anderen Schengen-Informationssystemen sichergestellt sein.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-spk-s-2022-10-18.aspx
Berufslehre und Erwerbstätigkeit von abgewiesenen Asylsuchenden und Sans Papiers
Die Kommission hat eine vertiefte Diskussion zum Zugang zu einer beruflichen Ausbildung und zu deren Abschluss sowie über die Ausübung einer Erwerbstätigkeit für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers geführt. Sie ist der Meinung, dass Personen mit einem rechtskräftig abgewiesenen Asylgesuch die Schweiz verlassen müssen und dass kein Anreiz für einen unrechtmässen Aufenthalt geschaffen werden soll. Aus diesem Grund empfiehlt die SPK-S dem Rat zwei Motionen zur Ablehnung: mit 8 zu 4 Stimmen lehnt sie die Motion «Erweiterte Härtefallregelung zum Zugang zu beruflichen Ausbildungen» (22.3392) der Schwesterkommission ab; mit 8 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung die Motion 20.4119 von Nationalrat Regazzi («Ausübung einer Erwerbstätigkeit für Asylsuchende gestatten, die vom SEM einen negativen Asylentscheid erhalten haben und auf die Wegweisung warten»). Eine Minderheit beantragt die Annahme dieser Motionen.
Zu der Motion «Keine Lehrabbrüche von Asylsuchenden, die bereits in den schweizerischen Arbeitsmarkt integriert sind» von Nationalrätin Markwalder (20.3322) hat die Kommission eine erste Diskussion geführt und zusätzliche Informationen von der Verwaltung verlangt.
Die Kommission hat sich zudem mit Bundesrätin Karin Keller-Sutter über die Situation der Geflüchteten aus der Ukraine in der Schweiz und über den Schutzstatus S ausgetauscht. Dabei hat sie konkrete Fragen zur aktuellen Lage und den Herausforderungen im Hinblick auf den kommenden Winter sowie zu einer allfälligen Weiterführung des Schutzstatus S diskutiert.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-spk-s-2022-10-18.aspx
+++GRIECHENLAND
Streit am Grenzfluss Evros: Hat das türkische Militär 92 Migranten nackt über die Grenze gezwungen?
Der Fluss Evros ist die Aussengrenze der EU. Griechenland und die Türkei überhäufen sich mit Vorwürfen zu «barbarischem Verhalten».
https://www.derbund.ch/barbarisches-verhalten-335376283311
Flüchtlingscamp in Athen wird aufgelöst: Gegen den Willen der Geflüchteten
Eleonas galt als „Vorzeigecamp“ Griechenlands – mit Wohncontainern statt Zelten und Freizeitangeboten. Jetzt weicht es einem Großprojekt.
https://taz.de/Fluechtlingscamp-in-Athen-wird-aufgeloest/!5885815/
+++MITTELMEER
Malta instructs merchant ship SHIMANAMI QUEEN to take 23 people to Egypt rather than to closer ports in Europe
A joint statement by Alarm Phone, Mediterranea Saving Humans, Médecins Sans Frontières/Doctors Without Borders (MSF) and Sea-Watch.
https://alarmphone.org/en/2022/10/19/malta-instructs-merchant-ship-shimanami-queen-to-take-23-people-to-egypt
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Blockade auf A3-Ausfahrt in Zürich: Erneut kleben sich Aktivisten an Strasse fest
Diesmal an der Manessestrasse in Zürich-Wiedikon: Renovate blockiert morgendlichen Strassenverkehr. Ab 8.30 Uhr rollte der Verkehr wieder.
https://www.tagesanzeiger.ch/erneut-kleben-sich-aktivisten-an-strasse-fest-271220048258
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/klima-aktivisten-blockieren-strasse-in-zurich-66308991
-> https://www.watson.ch/schweiz/z%c3%bcrich/276491053-renovate-switzerland-blockiert-am-morgen-autobahnausfahrt-in-zuerich
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/erneute-protest-aktion-klima-aktivisten-von-renovate-blockieren-autobahnausfahrt-id17974585.html
-> https://www.20min.ch/story/blockaden-nerven-und-machen-den-klimaschutz-unbeliebt-732040850576
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/erneute-strassenblockade-in-zuerich-148425733
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/blockierter-verkehr-klimaschuetzer-kleben-sich-auf-zuercher-autobahn-fest
Renovate Switzerland : Experimente in zivilem Widerstand
Sie blockieren Autobahnen und Hauptverkehrsadern und möchten so den Bundesrat unter Druck setzen. Die Klimaaktivist:innen von Renovate Switzerland haben in den letzten Wochen eine Menge Autofahrer:innen zum Hupen gebracht. Was bringt das?
https://www.woz.ch/2242/renovate-switzerland/renovate-switzerland-experimente-in-zivilem-widerstand/%21HSBHKQ1SSYDC
+++ANTITERRORSTAAT
Terrorismusbekämpfung: «Al-Qaïda», «Islamischer Staat» sowie verwandte Organisationen weiterhin verboten
Der Bundesrat will die Schweiz vor Terroranschlägen schützen und hält am Verbot von «Al-Qaïda», «Islamischer Staat» sowie verwandten Organisationen fest. An seiner Sitzung vom 19. Oktober 2022 hat er die entsprechende Verfügung, die sich auf das Nachrichtendienstgesetz stützt, beschlossen. Sofern keine strengeren Strafbestimmungen zur Anwendung gelangen, kann ein Verstoss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe sanktioniert werden.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-90738.html
Keine Ausschaffung von Terroristinnen und Terroristen in Länder, in denen Folter oder Todesstrafe droht
Die Kommission beantragt ihrem Rat einstimmig, die von Nationalrat Fabio Regazzi eingereichte Motion 16.3982 («Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht») abzuschreiben. Das Parlament hatte diese Motion angenommen, doch der Bundesrat vertritt in seinem Bericht vom 4. Mai 2022 (22.055) die Auffassung, dass die Umsetzung des Anliegens aus rechtlicher Sicht unmöglich ist. Das Motionsanliegen verstösst gegen das zwingende Völkerrecht, indem das Non-Refoulement-Prinzip nicht eingehalten würde. Das Non-Refoulement-Prinzip schützt Personen vor einer Ausschaffung in ein Land, in welchem ihnen Folter oder Todesstrafe droht. Die Kommission teilt die Meinung des Bundesrates und bleibt so ihrer Linie treu, die sie schon in einer ersten Phase vertreten hat.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-spk-s-2022-10-18.aspx
+++BIG BROTHER
Zusätzliche Sicherheit im Schengen-Raum dank SIS-Weiterentwicklung
Die Schengen-Staaten wollen das Schengener Informationssystem (SIS) verbessern, um die Sicherheit im Schengen-Raum zu optimieren. Die Änderungen stärken die Bekämpfung des illegalen Aufenthalts im Schengen-Raum und die Zusammenarbeit der nationalen Sicherheits- und Migrationsbehörden in Europa. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 19. Oktober 2022 die Umsetzung im Schweizer Recht auf Verordnungsstufe verabschiedet. Die Bestimmungen treten am 22. November 2022 in Kraft.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-90731.html
+++POLIZEI LU
Wie verbreitet ist Rassismus im Korps? – Folterkommission kritisiert die Luzerner Polizei
Die Nationale Kommission gegen Folter hat eine unangekündigte Kontrolle bei der Luzerner Polizei durchgeführt. Sie hat gleich mehrere Kritikpunkte – unter anderem wegen «äusserst problematischen Äusserungen» während einer Befragung.
https://www.zentralplus.ch/justiz/folterkommission-kritisiert-die-luzerner-polizei-2471557/
-> NKFV-Berichte nach Kantonen: https://www.nkvf.admin.ch/nkvf/de/home/publikationen/berichte-der-kontrollbesuche/nach-kanton.html
+++POLIZEI CH
Verzweifelt gesucht: Neue Polizist:innen – Rundschau
Viele Kündigungen, fehlendes Interesse und hohe Belastung: Der Polizeiberuf verliert an Attraktivität. In vielen Kantonen hat sich das Personalproblem in den letzten Monaten zugespitzt – mit Folgen für die Sicherheit. Die «Rundschau» auf Patrouille mit Polizisten ohne Schweizer Pass, unterwegs mit neuen Polizeianwärter:innen und zu Besuch bei Beamten, die gekündigt haben.
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/verzweifelt-gesucht-neue-polizistinnen?urn=urn:srf:video:3f5ed021-fabe-4d00-a7b5-bb51f2ecd155
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/personalmangel-bei-der-polizei-verbandspraesidentin-der-polizei-fehlt-die-noetige-selbstkritik
+++FRAUEN/QUEER
Transphobie et répression : retour sur une polémique réactionnaire
La CUAE, syndicat étudiant et faitière de l’UNIGE, organise une conférence le mardi 25 octobre à UniMail (MR280) pour revenir sur les conférences transphobes empêchées au printemps 2022 et la répression qui s’en est suivie.
https://renverse.co/infos-locales/article/transphobie-et-repression-retour-sur-une-polemique-reactionnaire-3716
+++RECHTSPOPULISMUS
Andreas Glarner fordert Gefängnisstrafen für Strassenblockaden – Gabriela Suter kontert: «Das ist purer Populismus»
In der Schweiz werden vermehrt Strassen von Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten blockiert. Der Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner will nun mit einem Vorstoss härtere Strafen für solche Blockaden durchsetzen. SP-Nationalrätin Gabriela Suter hält nichts von Glarners Ideen, zweifelt aber auch am Erfolg der Blockaden.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/klimaproteste-andreas-glarner-fordert-gefaengnisstrafen-fuer-strassenblockaden-gabriela-suter-kontert-das-ist-purer-populismus-ld.2360427
+++RECHTSEXTREMISMUS
Tanzhaus in Zürich: Neonazis stören Vorlesestunde von Dragqueens für Kinder
Die Rechtsradikalen der «Jungen Tat» treten in Zürich wieder in Erscheinung. Diesmal sabotierten sie eine Veranstaltung, weil Dragqueens Kindergeschichten vorlasen.
https://www.tagesanzeiger.ch/neonazis-stoeren-vorlesestunde-von-dragqueens-fuer-kinder-429812306727
Statement zur Störung der Drag Story Time vom 16. Oktober
Seit vier Jahren sind wir Gastgeber:innen der Drag Story Time. Die Vorlesestunde für Kinder von drei bis zehn Jahren wird von Brandy Butler und ihren Drag-Freund:innen konzipiert und durchgeführt. Die Veranstaltung erfreut sich immenser Beliebtheit bei Klein und Gross. Die Drag Story Time vermittelt Diversität, Inklusion und Toleranz und lebt von einem offenen Diskurs über Geschlechteridentitäten und Rollenvorbildern.
Am Sonntag, 16. Oktober wurde das Format von einer Gruppe, die der rechtsradikalen Szene zuzuordnen ist, gestört. Es wurde versucht, im Veranstaltungsraum ein Transparent zu entrollen. Zudem blockierte eine Gruppe von ca. neun Personen den Kloster Fahr-Weg vor dem Tanzhaus. Diese Personen haben Rauchfackeln gezündet und Parolen skandiert. Die Veranstaltung, die Künstler:innen und nicht zuletzt unsere Gäste wurden massiv gestört und erschreckt.
https://www.tanzhaus-zuerich.ch/aktuell/details/statement-zur-st%C3%B6rung-der-drag-story-time-vom-16-oktober
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nzz.ch 19.10.2022
Rechtsextreme stören in Zürich eine Vorlesestunde von Dragqueens für Kinder
Die Neonazi-Gruppierung «Junge Tat» hat sich zur Aktion bekannt. Wegen des Vorfalls sind mehrere Anzeigen bei der Polizei eingegangen.
Linda Koponen
Für die Kinder hätte es ein freudiges Erlebnis sein sollen. Am Sonntag organisierte das Tanzhaus Zürich eine Vorlesestunde, bei der verschiedene Dragqueens auftraten. Die Idee hinter dem Anlass: Den Kindern Diversität, Inklusion und Toleranz vermitteln, ihnen verschiedene Geschlechteridentitäten und Rollenvorbilder zeigen.
Die Veranstaltung wurde jedoch von einer rechtsradikalen Gruppe gestört. Neun Neonazis blockierten den Kloster Fahr-Weg vor dem Tanzhaus, zündeten Rauchfackeln und skandierten Parolen. Andere wollten im Veranstaltungsraum ein Transparent entrollen, wurden aber daran gehindert.
-> https://www.instagram.com/tanzhauszuerich/?utm_source=ig_embed&ig_rid=81b761c6-bad6-4db7-8896-54d678b88e68
Laut einer der beteiligten Dragqueens, Brandy Butler, hatte sich die rechtsradikale Gruppe unter das Publikum gemischt und der Veranstaltung über eine Stunde beigewohnt, ehe sie die Störaktion gestartet hätten. «Ich werde nicht zulassen, dass die faschistische Ideologie mein Leben oder meine Arbeit beeinflusst», schreibt Butler auf Instagram.
-> https://www.instagram.com/auntieactivist/?utm_source=ig_embed&ig_rid=5881bd38-c721-442c-8434-c6d35ad231c6
Als die Stadtpolizei Zürich eintraf, waren die Täter nicht mehr vor Ort. Auch die Familien hatten das Tanzhaus bereits verlassen. «Bei uns sind mehrere Anzeigen in diesem Zusammenhang eingegangen und im Moment laufen Abklärungen», sagt eine Sprecherin der Stadtpolizei auf Anfrage.
Die rechtsextreme Gruppierung «Junge Tat» hat sich auf Instagram und Twitter zur Aktion bekannt. Die Organisation besteht aus mehrheitlich sehr jungen Männern und ist aktiv in den sozialen Netzwerken. Im Netz findet man professionell gefertigte Videos oder Bilder der Mitglieder mit Sturmhauben. Die Gruppierung scheint sich einer steigenden Beliebtheit zu erfreuen – zumindest was ihren offenen Telegram-Kanal angeht. Zählte er im Januar 2021 noch 3800 Mitglieder sind es inzwischen bereits über 6000.
In den letzten Monaten haben die Neonazis mit verschiedenen homophoben und rassistischen Aktionen für Schlagzeilen gesorgt. An der Pride im Juni störten Mitglieder der Jungen Tat einen Gottesdienst. Am 1. Mai kletterten drei Neonazis auf dem Helvetiaplatz auf einen Baukran und befestigten dort ein Transparent.
Das Tanzhaus hat im neusten Fall Anzeige erstattet. «Die Veranstaltung, die Künstler:innen und nicht zuletzt unsere Gäste wurden massiv gestört und erschreckt», schreibt es in einer Stellungnahme. Und weiter: «Wir verurteilen diese Aktion aufs Schärfste. Das Tanzhaus Zürich ist und bleibt ein Ort der Begegnung, der Offenheit, der Toleranz und der künstlerischen Freiheit.»
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-neonazis-stoeren-vorlesestunde-von-dragqueens-fuer-kinder-ld.1708124)
-> https://tsri.ch/zh/kultur-tsuer-hat-einen-neuen-kulturticker.QCqJsTi7alvbbMFO
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Rechtsrock in Baden-Württemberg
Die Broschüre „Rechtsrock in Baden-Württemberg“ gewährt Einblicke in die Geschichte und Gegenwart der neonazistischen Musik im Südwesten. Ein Auszug aus dem zweiten Kapitel „Von Großbritannien nach Baden-Württemberg“ zeigt, welche Bedeutung das Bundesland in der Frühphase spielte.
https://www.belltower.news/skrewdriver-rechtsrock-in-baden-wuerttemberg-140841/
+++HISTORY
bernerzeitung.ch 19.10.2022
Von der Reitschule ins Rathaus: Revolutionär wird Berner Stadtrat
Nach jahrzehntelangem Kampf für eine bessere Welt ist David Böhner um ein paar Illusionen ärmer. In die institutionelle Politik geht er ganz ohne – und freut sich darauf.
Christoph Hämmann
Wann immer sich in den vergangenen dreissig Jahren die autonome Schweizer Linke irgendwo regte: David «Detti» Böhner war ziemlich sicher dabei. Widerstand gegen das Davoser WEF? Aktivist Böhner erklärte dem «Tagesschau»-Publikum den Hintergrund. Abstimmungen über die Berner Reitschule? Böhner führte Interessierte durch das Kultur- und Politzentrum. Tour de Lorraine, Anti-AKW-Camp, Referendum gegen das kantonale Polizeigesetz: Böhner gründete mit, organisierte, zog mit bis zuletzt.
Inzwischen 55-jährig, betritt Böhner am Donnerstag erstmals als Mandatsträger die Bühne der institutionellen Politik: Er rutscht für Tabea Rai in den Berner Stadtrat nach und besetzt dort künftig einen der drei Sitze der Alternativen Linken (AL). Wird hier gerade ein Revolutionär domestiziert, mutiert ein ewiger Strassenkämpfer doch noch zum Parlamentssesselfurzer?
Böhner lächelt erst einmal etwas verlegen. Hier sitzt keine Rampensau. Die öffentlichen Auftritte absolvierte er wohl nicht, weil er das Scheinwerferlicht sucht, sondern eher, weil es jemand machen musste. Vielleicht, weil die anderen fanden: Komm schon, Detti, du weisst am besten Bescheid.
«Ich habe Lust auf das Stadtratsmandat», sagt er dann. Dieses fordere ihn heraus, das tue seinem Leben gut – jetzt, da seine Tochter 10-jährig sei, habe er Zeit dafür. «Aber ich bin auch sehr skeptisch, wenn ich daran denke, dass ich mir jetzt zu allem und jedem eine Meinung bilden muss.» Zur Hundesteuer, beispielsweise, über die an seiner ersten Sitzung debattiert werde. «Das ist sicher wichtig», sagt Böhner und lacht. «Aber eigentlich sollte es mit meinem politischen Anspruch doch um mehr gehen.»
Politische Lehrjahre in den USA
Zum Beispiel um die Rettung des Planeten – darum ginge es doch: «Unser kapitalistisches System hat keine Zukunft», sagt Böhner in einer ernsthaften Gelassenheit. «Und wenn doch, wird dies das Ende der Zivilisation sein.» Darum sei es ihm wichtig, nicht nur über Hundesteuern zu diskutieren, sondern immer auch noch über das grosse Ganze, fügt er schalkhaft lächelnd an.
Sein Kampf, um aus der Welt wenigstens einen aus seiner Sicht besseren Ort zu machen, beginnt in den USA. Als 17-Jähriger bricht Böhner aus einem Basler Vorort nach San Francisco auf, lässt die ungeliebte Schulzeit und ein gutbürgerliches Elternhaus hinter sich, in der Tasche ein paar Tausend Franken vom Jobben bei der Bahnpost. Obwohl er nicht studiert, rutscht er an der Pazifikküste in die Studentenbewegung, geht an Anti-Apartheid-Demos und Zentralamerika-Solidaritätsaktionen, lernt unterschiedlichste Protestformen kennen.
Und merkt: Es geht um etwas. Seither – seit Ende der 1980er-Jahre – habe er sich immer dem linken Widerstand zugehörig gefühlt, sagt Böhner. Die Klammer aller Engagements: soziale Gerechtigkeit. Der innere Antrieb: die Notwendigkeit, dass sich etwas ändern muss.
Die kraftvollste Phase
1990, mit 23 Jahren, zieht Böhner aus den USA nach Bern, wo er in der Reitschule ein paar Leute kennt und im Wohnhaus des alternativen Kulturzentrums unterkommt. Es ist der Beginn der Karriere eines Reitschülers, die mit einem 60-Prozent-Pensum in der Druckerei noch immer anhält. Gedruckt hat er all die Jahre, amtiert daneben mal als Mediensprecher, als Redaktor und Autor der Hauszeitschrift «megafon», als Veranstalter, gestaltet an unzähligen Sitzungen die Strukturen des Hauses mit, ist Mitgründer und -betreiber der Infobar I-Fluss.
Das I-Fluss ist in den früheren 2000er-Jahren ein wichtiger Treffpunkt der Aktivistinnen und Aktivisten der Anti-WTO-Koordination. Es ist die kraftvollste Phase der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung, und Böhner hat das Gefühl, nicht mehr Teil eines kleinen Milieus aus lauter zersplitterten Fraktionen zu sein – sondern einer grossen, international vernetzten Bewegung. «Autonome verbanden sich mit anderen Linken zu einem gemeinsamen Kampf, das war spannend und befreiend. Ein Aufbruch.» Und der erste engere Draht des Linksautonomen Böhner zur parlamentarischen Linken.
Im Sommer 2001 ist zumindest die europäische Antiglobalisierungsbewegung so wuchtig wie noch nie, über 300’000 Menschen demonstrieren in Genua gegen den G-8-Gipfel. Ein Höhepunkt – überschattet von massiven Ausschreitungen und dem Tod eines Demonstranten, der von der Polizei erschossen wird.
Keine zwei Monate später raubt 9/11 – die islamistischen Anschläge auf die USA – der Bewegung viel Schwung. Es sei wie eine Gegenbewegung gewesen, sagt Böhner, gesellschaftlich wichtig waren plötzlich Sicherheitsfragen, war «der Krieg gegen Terror». «Es war sicher nicht der einzige Grund, aber 9/11 gab der Bewegung einen Schlag, von dem sie sich nicht mehr erholte.»
Resignation ist keine Alternative
Sowieso: Die Bilanz eines Linksradikalen nach fast 40 Jahren Kampf muss ernüchternd ausfallen. Der Zustand der Welt sehe düster aus, sagt Böhner. Er habe etwa Angst, dass im Iran «wieder alles niedergeschossen» werde. Und dennoch: «Die Hoffnung liegt in den Kämpfen von Menschen, die sich wehren, und in den Verbindungen und Freundschaften, die dort entstehen.» Das sei, was auch ihn trage. «Ich will nicht resignieren.»
Als Mitte der Nullerjahre der Antiglobalisierungsbewegung der Schwung abhandengekommen war, die Drogensituation auf dem Vorplatz der Reitschule Energie absaugte und das I-Fluss-Kollektiv sich ebenso auflöste wie die Anti-WTO-Koordination, professionalisierten Böhner und die anderen Betreiberinnen und Betreiber der Reitschule-Druckerei ihren Betrieb. «Da habe ich mich halt dort mehr reingegeben», sagt er lakonisch.
Und jetzt also das Stadtparlament. Er mache sich keine Illusionen, dort die Welt verändern zu können, sagt Böhner – allein schon, weil der Kanton viele Anliegen der Stadt «wie etwa die demokratische Selbstverständlichkeit einer Ombudsstelle» verhindere. Tatsächlich fordert die Linke in Bern seit Jahren erfolglos eine unabhängige Beschwerdeinstanz, die das Verhalten von Polizeibeamten untersucht.
Ohne Beisshemmung
«Aber auch in der Stadt passiert nichts ohne Druck von unten», findet Böhner. Diesen im Parlament aufzunehmen, hat sich die AL zur Aufgabe gemacht, der er seit der Gründung im Jahr 2011 angehört und die sich als parlamentarischer Arm linker Initiativen versteht.
Als Teil der Linksaussenfraktion sieht er sich nicht in Opposition zum Rot-Grün-Mitte-Bündnis (RGM), das vier von fünf Gemeinderatsmitgliedern stellt. «Aber wir haben den Anspruch, RGM herauszufordern, und können dies im Unterschied zu SP und Grünem Bündnis ohne Beisshemmung gegen Regierungsmitglieder tun.» RGM, zwei Jahre nach Böhners Rückkehr in die Schweiz 1992 an die Macht gekommen, habe damals bei Linken grosse Erwartungen geweckt. «Aber gerade der Gemeinderat war eigentlich immer primär auf Machterhalt aus und mit angezogener Bremse unterwegs.»
Es ist wohl alternativlos: So lange auch in der Schweiz und in Bern – wie Böhner sagt – «sehr viele Menschen keine Rechte und keine Bewegungsfreiheit haben», muss die etablierte Politik – auch die linke – mit seinem Widerstand klarkommen. Ob er sich nun auf der Strasse artikuliert, in der Reitschule oder neuerdings im Stadtrat.
(https://www.bernerzeitung.ch/revolutionaer-wird-berner-stadtrat-464262823501)
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derbund.ch 19.10.2022
Schweiz im 2. Weltkrieg: Er erinnert an eine dunkle Zeit – und erlebt dabei selber Hass
Johannes Czwalina hat in Riehen bei Basel längst geschaffen, was die offizielle Schweiz erst plant: eine Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus. Der Widerstand war enorm.
Luca De Carli
«Die letzten Jahre waren sehr hart.» Als Johannes Czwalina diesen Satz sagt, steht er vor dem Bahnwärterhäuschen in Riehen. Hinter seinem Rücken donnert die S-Bahn von Basel nach Lörrach vorbei, bis zur Grenze nach Deutschland sind es nur wenige Hundert Meter.
Seit einem Jahrzehnt betreibt Czwalina in diesem Häuschen eine Gedenkstätte. Diese erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus: an jene, die damals die Flucht in die Schweiz geschafft haben, und an jene – oftmals Jüdinnen und Juden – , die die Schweiz zurückgewiesen hat. Über die grüne Grenze bei Riehen verlief eine wichtige Fluchtroute. Am Bahnwärterhäuschen vorbei schafften Schweizer Beamte laut Augenzeugenberichten Geflüchtete, die im Grenzgebiet aufgegriffen worden waren, zurück nach Deutschland.
Unternehmensberater Czwalina hat das Häuschen der Deutschen Bahn abgekauft, die bis heute diese Strecke auf Schweizer Boden betreibt. Es hätte ein Gästehaus für Managerinnen und Manager werden sollen, die sich bei ihm Hilfe holen. Erst danach habe er von dessen Vergangenheit erfahren, sagt Czwalina. «Ich konnte das nicht einfach ignorieren oder bloss eine kleine Gedenktafel anbringen.»
Er ist der offiziellen Schweiz zuvorgekommen
Es sei kein Ort der Anklage, sagt Czwalina. Die Gedenkstätte solle dabei helfen, die Erinnerung an diese Zeit in der Region zu erhalten. Sie ist bislang einzigartig in der Schweiz. Die Räume im Erdgeschoss des Bahnwärterhäuschens sind jeden Tag geöffnet – ohne Aufsicht, ohne Eintritt. Drinnen werden auf Plakaten unter anderem Fluchtgeschichten erzählt und Helferinnen porträtiert. Der Ort kann aber auch genutzt werden, um einen Moment zu verweilen und in der Bibliothek zu stöbern. Es finden Führungen, Vorträge und weitere Anlässe statt. Im Kleinen betreibt Czwalina in Riehen das, was dereinst eine nationale Gedenkstätte für die ganze Schweiz leisten soll. Das Parlament hat im Frühjahr dem Bundesrat oppositionslos den Auftrag erteilt, eine solche zu schaffen.
Lanciert hatte die Idee einer nationalen Gendenkstätte vor einigen Jahren die Organisation der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer. Wo genau sie entstehen soll, ist offen. Als möglicher Standort wird oft Bern genannt. Es wäre ein Zeichen dafür, dass der Bund seine historische Verantwortung übernimmt – etwa für die sehr restriktive Flüchtlingspolitik der Schweiz während des 2. Weltkriegs.
Derweil haben die Gedenkstätte in Riehen bereits über 60’000 Menschen besucht. Die Zahl steht auf einem Plakat vor dem Eingang, von der Strasse aus ist es nicht zu übersehen. Die Botschaft an die Gemeinde ist eindeutig: Die Gedenkstätte braucht es, sie wird genutzt.
Riehen aber fremdelt bis heute mit Czwalina und seinem Projekt. Damit, dass ein Aussenstehender versucht, Ortsgeschichte aufzuarbeiten. Anträge auf Unterstützung laufen laut Czwalina jedenfalls seit Jahren ins Leere. Kurz vor Eröffnung hatte sich der damalige Gemeindepräsident dafür entschuldigt, dass Riehen das Projekt nicht verhindern konnte. Es liege auf privatem Grund – nichts zu machen.
Der Ex-Pfarrer wird bedroht
Czwalina sagt, er habe sich damals kaum mehr aus dem Haus getraut. Er habe viele Drohungen wegen der Gedenkstätte erhalten. Im Regionalsender Telebasel erschien ein Beitrag mit dem Titel «Persona non grata – Wer ist Johannes Czwalina?»
Da war der heute 70-Jährige schon längst ein bekannter Kopf. Der gebürtige Berliner hatte in Basel Theologie studiert und wurde in den 1980er-Jahren zum reformierten Pfarrer, der gegen den Trend seine Kirche füllte. Später machte er sich als Unternehmensberater selbstständig. Und nur wenige Monate vor Eröffnung der Gedenkstätte sorgte er schweizweit für Schlagzeilen, weil er die Bussen für muslimische Eltern bezahlte, die sich geweigert hatten, ihre Kinder in Basel in den gemischten Schwimmunterricht zu schicken. Auch dafür wurde er angefeindet.
Widerstand gegen seine Gedenkstätte gab es jedoch nicht nur in reaktionären Kreisen. Auch jüdische Organisationen gingen auf Distanz. Insbesondere nachdem bekannt geworden war, dass Czwalina mit der christlichen Stiftung eines Basler Pharmaerben kooperierte. Vorwürfe kultureller Aneignung kamen auf. Eine ursprünglich angedachte Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel scheiterte in der Folge.
«Wir anerkennen die Arbeit der Gedenkstätte», sagt die heutige Gemeindepräsidentin Christine Kaufmann beim Treffen in ihrem Büro. Sie ist erst seit Anfang Mai im Amt, war davor aber acht Jahre Riehens Kulturvorsteherin. Die Gedenkstätte sei «kein geschichtsträchtigerer Ort als andere in Riehen, im Gegenteil», sagt Kaufmann. Er sei nur einer von mehreren, an denen in der Gemeinde dieser Zeit gedacht werde – etwa im Ortsmuseum oder mit einer Gedenktafel in der sogenannten Eisernen Hand.
Dieser schmale, bewaldete Streifen Schweiz ragt nach Deutschland hinein und war während des Krieges einer der letzten unbefestigten Grenzabschnitte. Entsprechend stark wurde er für die Flucht in die Schweiz genutzt. Auch habe sich Riehen bereits vor Czwalina mit seiner Geschichte auseinandergesetzt, sagt Kaufmann. Die Fluchten und Rückschaffungen seien schon lange kein Tabu mehr gewesen.
Versöhnung nach einem Jahrzehnt?
Einen «genialen Ort» für eine Gedenkstätte nennt das Bahnwärterhäuschen dagegen heute Erik Petry vom Zentrum für Jüdische Studien. Der Historiker war schon ein Jahrzehnt zuvor dabei, als die Kooperation mit der Gedenkstätte scheiterte. Jetzt bestätigen sowohl er als auch Czwalina, dass seit einigen Monaten intensive Gespräche über eine Zusammenarbeit laufen. Er sei lange der Ansicht gewesen, dass es keine physischen Erinnerungsorte mehr brauche, sagt Petry. Dass die Digitalisierung diese überflüssig mache. Heute sehe er das anders. Es brauche diese Orte und vor allem die Debatten, die eine Gesellschaft über sie und ihretwegen führe. Debatten, wie sie in Riehen wegen Czwalinas Gedenkstätte immer wieder neu aufkommen. Petry ist auch beim Komitee dabei, das beim Bundesrat ein erstes Konzept für die nationale Gedenkstelle eingereicht hat.
Ob es dereinst auch zu einer Annäherung mit der Gemeinde kommt? Er habe die Hoffnung nicht aufgegeben, sagt Czwalina. Im Museumsführer Riehens mit seiner berühmten Fondation Beyeler wird die Gedenkstätte inzwischen zumindest erwähnt. Die Fondation liegt nur ein paar Gehminuten entfernt.
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Wann kommt die nationale Gedenkstätte
Es ist sieben Monate her, seit das Parlament dem Bundesrat den Auftrag erteilt hat, einen nationalen Ort für die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus zu schaffen. Bis zur Realisierung einer solchen Gedenkstätte dürfte es Jahre dauern. Wenn man sich denn auf ein Projekt einigen kann.
Zuständig ist derzeit das Aussendepartement von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. Es würden verschiedene Optionen für den Standort und die Finanzierung geprüft, teilt das EDA mit. Wie lange diese Arbeiten dauern würden, sei offen. Irgendwann wird der Gesamtbundesrat sich dazu äussern müssen. Erst danach würden die inhaltlichen Arbeiten beginnen, so das EDA. (ldc)
(https://www.derbund.ch/er-erinnert-an-eine-dunkle-zeit-und-erlebt-dabei-selber-hass-158741244715)
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Brisante Waffengeschäfte – Napalm-Bomben aus Ems
Die Chemiefabrik in Ems entwickelte in der Nachkriegszeit Napalm-Bomben und verkaufte diese in Bürgerkriegsländer.
https://www.srf.ch/news/international/brisante-waffengeschaefte-napalm-bomben-aus-ems
-> Rundschau: https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/brisante-waffengeschaefte-das-schwierige-erbe-der-emser-werke?urn=urn:srf:video:ed1e860b-0ca6-4d70-8384-fb3dc6dee985
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derbund.ch 19.10.2022
Neues Enthüllungsbuch: Die Vorgängerfirma der EMS-Chemie entwickelte Napalm
Die Firma, die später zum Imperium der Familie Blocher wurde, vertrieb in den 50er-Jahren laut einem neuen Buch Brandkampfstoffe. In Indonesien und im Jemen kamen sie zum Einsatz.
Catherine Boss, Oliver Zihlmann
Es ist ein Freitag Ende Juni 1961, spät in der Nacht. Waffenhändler Walter Heck parkiert das Auto vor seinem Haus in Karlsruhe, steigt aus. In diesem Moment schnellt eine Gestalt aus dem Dunkeln, setzt ihm einen Pistolenlauf auf die Brust und feuert. Nach dem zweiten Schuss fällt Heck rücklings zu Boden. Er stirbt eine Woche später auf dem Operationstisch.
Mit diesen Szenen beginnt eine aufsehenerregende Forschungsarbeit der Zürcher Historikerin Regula Bochsler. In ihrem Buch «Nylon und Napalm», das Ende Woche veröffentlicht wird, beschreibt sie die Geschäfte der Holzverzuckerungs AG, genannt Hovag, der Vorgängerfirma der heutigen EMS-Chemie. Der erschossene Heck war der Geschäftspartner einer Firma, die zum Emser Konzern gehörte und die Waffengeschäfte abwickelte.
Bochsler hat in vierjähriger Arbeit Zeitzeugen befragt und Archive im In- und Ausland nach Material durchforstet. Sie hat dabei Erstaunliches entdeckt – nicht nur die Mordakte zum Fall Heck aus den 60er-Jahren.
So weist sie zum ersten Mal nach, dass die Hovag damals auch einen Brandkampfstoff entwickelte, der in Bürgerkriegsgebieten verkauft wurde.
Produziert wurden die chemischen Waffen im Auftrag der Bündner in Karlsruhe, namentlich vom Waffenhändler Walter Heck, der vor seinem Haus erschossen wurde. Im Verdacht standen damals Geheimdienste. Aber wer dahintersteckte, wurde nie geklärt. Klar ist jedoch, dass die Hovag in extrem heikle Geschäfte verwickelt war.
Ihr Nachfolger, die EMS-Chemie, ist heute im Besitz der Familie Blocher, zuerst von SVP-Doyen und Ex-Bundesrat Christoph Blocher geführt, heute von seiner Tochter und Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher.
Die Geschichte holt die EMS zum zweiten Mal ein
Mit den Vorfällen aus der damaligen Zeit haben beide nichts zu tun. Doch die Geschichte ihres Betriebs steht nicht zum ersten Mal im Licht der Öffentlichkeit. Ende der 90er-Jahre kam das Milliardenunternehmen durch die Bergier-Kommission, die die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg aufarbeitete, unter Druck. Sie deckte auf, dass die Vorgängerfirma in der Nachkriegszeit Ex-Nazis beschäftigt hatte. In der aktuellen Affäre geht es um ein konkretes Produkt dieser Firma. Es geht um: Napalm.
Napalm ist eine furchtbare Waffe. Es besteht hauptsächlich aus Benzin, das mit Zusatzstoffen verdickt wird. Entzündetes Napalm kann Brände von mehr als 2000 Grad Celsius erzeugen. Trifft das brennende Gel einen Menschen, entwickelt es eine starke Brandwirkung.
Der Gebrauch solcher Brandwaffen gegen die Zivilbevölkerung wurde mit der Konvention der Vereinten Nationen zur Ächtung unmenschlicher Waffen im Jahre 1980 verboten. Napalm war weltweit in Verruf geraten, weil westliche Massenmedien im Vietnamkrieg Bilder von verbrannten Kindern veröffentlicht hatten und die Öffentlichkeit so erstmals von der verheerenden Wirkung des Kampfstoffs erfuhr.
Das Foto «Napalm Girl» schreckte 1972 die Weltöffentlichkeit auf. Es zeigt ein nacktes Mädchen, das mit anderen Kindern schreiend vor Napalmbomben flieht.
Napalm wurde schon lange vor dem Vietnamkrieg eingesetzt – einfach fernab der westlichen Kameras. Etwa im Koreakrieg, als die Amerikaner insgesamt 32’357 Tonnen Napalm abwarfen. «Nachdem ich die Trümmer und diese Tausenden von Frauen und Kindern und alles gesehen hatte, musste ich mich übergeben», bezeugte der US-Oberbefehlshaber Douglas MacArthur später vor dem amerikanischen Kongress.
In Osttimor setzte Indonesien den Stoff während der 24 Jahre dauernden indonesischen Besetzung ein. Allerdings griffen die Soldaten nicht ausschliesslich auf herkömmliches Napalm zurück.
Ziel: «Moralische Schockwirkung»
Die Aufarbeitung durch eine Wahrheitskommission brachte einen Propagandafilm der indonesischen Armee zutage, der Soldaten zeigt, die Bomben mit der Aufschrift «Opalm» an einem Kampfflugzeug befestigen. Dieses Opalm ist laut dem Buch von Bochsler eine Napalmvariante, die von der EMS-Vorgängerin Hovag entwickelt wurde.
Laut Akten im Bundesarchiv war es das Ziel der Hovag, Napalm zu «verbessern». Solche «Optimierungen» wurden zu dieser Zeit verschiedentlich diskutiert – in und ausserhalb der Hovag. In der «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift» schrieb ein deutscher Napalmexperte, der auch in Kontakt mit den Bündnern stand, wie man dem Napalm verschiedene Substanzen beimischen könnte «zur Erhöhung des moralischen Effektes und zur Erzeugung schwer heilbarer Brandwunden» sowie zur Steigerung der «moralischen Schockwirkung».
Als die Hovag-Verantwortlichen Opalm entwickelten, stellten sie es im Oktober 1952 auch dem Militärdepartement vor. Chemiker in Ems zeigten den Militärs drei Stunden lang Opalmexperimente im Labor und im Freien. «Um Bombenabwürfe zu simulieren, werden Plastiksäcke mit 70 Kilogramm Brandstoff in eine Sandgrube geworfen und gezündet», steht in einer Akte des EMD, die Bochsler zitiert. Der Bundesrat entschied sich aber dagegen, den Stoff zu kaufen. Er war ihm zu teuer.
In den folgenden Monaten stellte die Hovag Opalm für Vorführungen für Zivilschutz-, Luftschutz- und Offiziersgesellschaften zur Verfügung. «Opalm übertrifft Napalm», räsonierte darauf die «Schweizerische Zeitschrift für Luftverteidigung». Bei einer Vorführung habe das Emser Napalm «die stärksten Eindrücke» hinterlassen. Es sei «viel wirksamer und im zischenden Abbrand beängstigender als das seit dem Koreakrieg bekannte Napalm». Der Stoff habe ein «rasendes Feuer entwickelt, das mit Prasseln über eine Viertelstunde unvermindert tobte».
Christoph Blocher und seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher präsentierten 2011 zum 75. Firmenjubiläum eine Ausstellung sowie eine Firmengeschichte der EMS-Chemie, die in die Zeit zurückreicht, als Opalm produziert wurde. Doch von diesem Kampfstoff ist nirgends die Rede.
Als Regula Bochsler für ihre Forschungsarbeit um Zugang zum Firmenarchiv bat, verweigerte die EMS-Chemie das. Einzige Begründung: Die Bergier-Kommission habe alles bereits angeschaut und «eine erneute Sichtung derselben Archivalien für Ihr Forschungsprojekt würde deshalb keine neuen Erkenntnisse bringen».
EMS verweigert Archiv-Zugang
Auf die Frage dieser Zeitung, warum man den Zugang zum Archiv verweigert habe und das Opalm in der Firmengeschichte nicht erwähnt worden sei, schreibt EMS-Generalsekretär Marc Ehrensperger: «Die EMS-Chemie hatte 2020 im Zusammenhang mit einem Buch eine Anfrage erhalten und die eigenen Archivalien daraufhin nochmals gesichtet. Es waren aber keine diesbezüglichen Dokumente bei uns vorhanden.»
Dank Material aus anderen Quellen und Archiven präsentiert Bochslers fast 600-seitiges Buch jedoch zahlreiche neue Erkenntnisse zu den Tätigkeiten der Emser Werke. Neben der Produktion von Napalm geht es auch um andere Waffengeschäfte. Ob dazu tatsächlich nichts im EMS-Archiv zu finden ist, lässt sich wegen der Verweigerung der Blochers nicht klären.
Die Emser Werke gibt es nur dank Steuergelder
Das ist auch aus einem weiteren Grund heikel. Die Emser Werke wurden mit öffentlichen Geldern gebaut und lebten 15 Jahre lang von einer staatlichen Abnahmegarantie für ihren Benzinersatz, der während des zweiten Weltkrieges für die Schweizer Wirtschaft wichtig gewesen war. Auch der Kanton Graubünden war finanziell massgeblich beteiligt.
Die Hovag beschäftigte zwei Dutzend Bundesratssitzungen, ein halbes Dutzend parlamentarische Eingaben, mehrere kantonale und eidgenössische Parlamentsdebatten sowie einen erbitterten nationalen Abstimmungskampf über die Frage, ob die Firma weiterhin vom Bund unterstützt werden soll. 1956 entschieden sich die Stimmbürger gegen eine Weiterführung der Bundeshilfe.
Opalm war laut dem Buch einer von mehreren Versuchen von Hovag-Gründer Werner Oswald, mit allen Mitteln neue, lukrative Produkte zu entwickeln, damit das Unternehmen auch ohne staatliche Unterstützung am Markt bestehen konnte.
Umgekehrt heisst das, dass die Entwicklung von Opalm zu Beginn der 50er-Jahre in die Zeit fällt, als die Hovag nur dank Bundeshilfe überlebte. Dennoch verhindert die Nachfolgefirma nun, dass die Öffentlichkeit dazu mehr Informationen erhält.
Trotz des fehlenden Zugangs enthüllt das Buch nun erstmals Details der Opalmentwicklung, die Fragen aufwerfen. Sie führen in die Welt der halbverdeckten Waffenproduktionen und Waffenlieferungen. So wird beschrieben, wie die Firma die Produktion von Opalm nach Deutschland verlegte, nachdem der Bundesrat die Ausfuhr verboten hatte. Ein Versuch, illegal Zünder für Opalmbomben aus der Schweiz nach Burma zu exportieren, führte schliesslich sogar zu einem Strafverfahren, bei dem ein hoher Mitarbeiter der Firma verurteilt wurde.
Die Auswirkungen der Emser Geschäfte waren wohl verheerend. So habe die indonesische Armee 1960 beispielsweise 15 Tonnen Emser Opalm gekauft. «Es wird falsch deklariert und auf normalem Wege spediert. Aktenkundig sind vier Bestellungen, wobei unklar ist, ob alle ausgeführt wurden», schreibt Bochsler. Es sei aber Opalm für mindestens 3500 Bomben nach Indonesien verkauft worden.
Die damalige Militäroperation der Indonesier gilt als die grösste humanitäre Tragödie in der Geschichte Osttimors.
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«Nylon und Napalm. Die Geschäfte der Emser Werke und ihres Gründers Werner Oswald.» Verlag Hier und Jetzt. Fr. 49.
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Historikerin, Journalistin, Künstlerin
Regula Bochsler ist Historikerin, Autorin, Ausstellungsmacherin und lebt in Zürich. Sie hat lange Jahre für das Schweizer Fernsehen gearbeitet, wo sie zuletzt die Sendung «Kulturplatz» leitete. Ihr Kunstprojekt «The Rendering Eye» wurde im In- und Ausland ausgestellt.
(https://www.derbund.ch/die-vorgaengerfirma-der-ems-chemie-entwickelte-napalm-616533725673)