Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++BASELLAND
Allschwil öffnet Zivilschutzanlage für Asylsuchende
In der unterirdischen Zivilschutzanlage Hagmatten in Allschwil werden ab dem 17. Oktober bis zu 100 Asylsuchende untergebracht. Die Nutzung ist vorerst bis auf Ende Januar 2023 befristet.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/allschwil-oeffnet-zivilschutzanlage-fuer-asylsuchende?id=12268174
-> https://www.bazonline.ch/allschwil-oeffnet-unterirdische-zivilschutzanlage-fuer-asylsuchende-860289792641
-> https://telebasel.ch/2022/10/10/allschwil-stellt-asylsuchenden-zivilschutzanlage-zur-verfuegung
-> https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/flucht-in-die-schweiz-allschwil-stellt-weitere-plaetze-fuer-asylsuchende-zur-verfuegung-ld.2356623
+++ZÜRICH
tagesanzeiger.ch 09.10.2022
AOZ-Direktor im Interview: «Niemand sagte: Mensch, so kann das nicht weitergehen»
Stefan Roschi von der Asyl-Organisation Zürich erklärt, was beim Heim für unbegleitete Teenager-Flüchtlinge im Lilienberg schiefgelaufen ist. Und wie er die Zustände verbessern will.
Liliane Minor
Herr Roschi, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den Aufsichtsbericht über die Zustände im Asyl-Jugendheim Lilienberg gelesen haben?
Was soll ich sagen? Was darin steht, ist korrekt, wir wussten, dass zu viele Jugendliche dort sind, dass es Hygieneprobleme gibt, Probleme bei der Beschulung … So gesehen war der Inhalt nicht überraschend.
Sehr schmeichelhaft sind die Erkenntnisse der Betriebsprüfer ja nicht.
Die ganze Situation seit 2021 ist für uns nicht schmeichelhaft. Wenn 90 unbegleitete minderjährige Geflüchtete im Lilienberg wohnen, funktioniert das schlicht nicht. Es war der grosse Fehler der AOZ, dass man 2019 vertraglich festlegte, in einem solchen Haus könnten 90 Plätze angeboten werden.
Diese Selbstkritik ist für die AOZ neu. Ist das ein Paradigmenwechsel?
Ja, vielleicht schon. Auch wir haben Fehler gemacht. Aber bisher versuchten wir jeweils zu erklären, in welchem Umfeld wir handeln, wie das System ist und was wir nicht ändern können. Das konnte man als Abwiegeln verstehen. Jetzt reden wir über uns und fragen uns, was wir geleistet oder eben nicht geleistet haben. So gesehen ist es ein Paradigmenwechsel …
… der auch mit Stefan Roschi als neuem Chef zu tun hat?
Ich würde das nicht an mir als Person festmachen. Es gab auch Wechsel im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung.
Warum kommt diese Selbstkritik erst jetzt? Die Missstände sind schon seit längerem bekannt, aber noch im Juni klang es ganz anders, als diese Zeitung kritische Fragen stellte.
Stimmt. Wir waren damals völlig überrumpelt. Uns fehlte die Zeit, alle Sachverhalte und Vorwürfe abzuklären. Und ja, wir haben es bisher verpasst, die Probleme in der ganzen Breite aufzuzeigen.
Was ist für Sie das Hauptproblem?
Die massiven Schwankungen und die aktuell stark steigenden Flüchtlingszahlen …
… womit wir wieder bei den nicht beeinflussbaren Faktoren sind. Ich wollte wissen, wo das Hauptproblem bei der AOZ liegt.
Ich glaube, es herrschte eine gewisse Betriebsblindheit im Management. Man war Teil des Systems, niemand sagte: Mensch, so kann es doch nicht weitergehen. Die kritische Auseinandersetzung mit uns als Organisation war ungenügend. Etwa dass wir für die Struktur, die wir haben, viel zu schnell gewachsen sind. Aufgrund der Ukraine-Krise kommen wir zum Beispiel kaum mehr nach mit dem Einstellen von neuem Personal.
Was im Bericht auffällt: Die AOZ wird harsch kritisiert, das kantonale Sozialamt als Auftraggeber und Aufsichtsbehörde kommt ungeschoren weg. Und auch in der offiziellen Kommunikation sieht der Kanton keinen Fehler bei sich. Unter diesen Umständen muss die Zusammenarbeit nicht ganz einfach sein.
Die Zusammenarbeit mit dem Kanton ist im Moment klar und gut. Wir wollen beide in dieselbe Richtung. Wir teilen die Meinung, dass wir den Lilienberg mit 60 Plätzen gut führen können, wenn die Schule aufs Areal der Sek Affoltern zügelt und die Infrastruktur des alten Hauses verbessert wird. Das wird sich aber sicher noch bis Mitte nächstes Jahr hinziehen. Und man muss sehen: Das aktuelle Betreuungskonzept haben wir geschrieben. Den Preis haben wir in unserer Offerte von 2019 so eingegeben.
Der Kanton hat dem zugestimmt.
Das ist das Problem des Submissionsrechts. Der Auftraggeber kann eine Offerte nur ablehnen, aber nicht ändern. Und unsere Offerte war die einzige.
Welche Rolle spielt es, dass nicht nur das kantonale Sozialamt mitredet? Auch der Zürcher Gemeinderat stellt Ansprüche, weil die AOZ eine öffentlich-rechtliche Anstalt der Stadt Zürich ist. Ebenso die Beistände, die der Bildungsdirektion des Kantons unterstellt sind.
Natürlich stellt uns der Gemeinderat viele Fragen, die er uns nicht stellen könnte, wenn wir eine andere Rechtsform hätten. Der privaten ORS stellt niemand Fragen. Aber ich finde es gut und richtig, dass sich eine Volksvertretung um das Thema kümmert und sich engagiert. Und was die Beistände angeht: Diese Jugendlichen haben keine Eltern. Jemand muss ihre Interessen wahren und schauen, dass alles korrekt läuft und sie am richtigen Ort sind. Wir wissen alle, wohin es früher geführt hat, als man Jugendliche einfach ins billigste Heim gesteckt hat, so nach dem Motto: Es ist uns egal, wie es dir dort geht.
Der Kanton Zürich galt eine Zeit lang als Vorreiter bei der Betreuung unbegleiteter Minderjähriger im Asylbereich. Wie konnte sich die Situation so verschlechtern? Es gab doch genügend Warnzeichen.
Man hat es verpasst, aus der Flüchtlingskrise von 2015/16 die richtigen Schlüsse zu ziehen. Schon damals stieg die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen schnell und massiv an, zeitweise waren damals 140 Jugendliche im Lilienberg. In einem solchen Anstieg ist man immer zu langsam mit der Suche nach Personal, und die Betreuung verschlechtert sich immer. Als die Zahlen wieder sanken, hat niemand die Frage gestellt, ob und wie wir einen erneuten Anstieg verkraften. Man hat einfach Personal abgebaut.
Und als die Zahlen 2021 wieder stiegen, kam der grosse «Chlapf».
Als wieder 90 Jugendliche im Lilienberg waren, haben wir gemerkt: So geht das nicht. Es braucht kleinere Einheiten, aber das kostet Geld.
Aber Ihnen kam der Vertrag mit dem Kanton in die Quere.
Ja, weil dort die Preise festgeschrieben sind. Trotzdem haben wir eine neue Aussenstelle in Oerlikon aufgebaut. Und weitere Aussenstellen sind schon länger geplant. Dann kam der Ukraine-Krieg. Das ist keine Entschuldigung, aber wir lebten von da an wirklich nur noch von der Hand in den Mund. Das warf uns ein halbes Jahr zurück. Solche Schwankungen kann keine Organisation allein auffangen.
Die Zahlen steigen weiter.
In den Bundesasylzentren sind aktuell insgesamt rund 1000 allein reisende Minderjährige untergebracht. Davon kommen etwa 150 früher oder später in den Kanton Zürich. Aber der Lilienberg ist voll, ebenso die Aussenwohngruppen Aubruggweg und Affolternstrasse.
Stimmt es, dass Sie nun unbegleitete Minderjährige in Durchgangszentren wie Volketswil unterbringen müssen, die nicht auf deren Betreuung ausgelegt sind?
Ja, vorübergehend müssen wir das. Aber dort leben in der Regel Familien mit Kindern und Jugendlichen sowie alleinstehende Erwachsene. Und wir versuchen möglichst schnell, zusätzliche, spezialisierte Plätze für Minderjährige aufzubauen.
Wie sähe die Betreuung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus, wenn Sie völlig frei entscheiden können? Es gibt ja auch die Forderung, diese Jugendlichen in regulären Heimen zu platzieren.
Grundsätzlich finde ich es nicht falsch, sie in eigenen Einrichtungen unterzubringen. Denn die Erfahrung zeigt, dass sich diese Jugendlichen mit anderen austauschen wollen, die Ähnliches erlebt haben. Aber: Sie bilden keine homogene Gruppe. Manche wollen und brauchen nur wenig Betreuung. Andere sind schwer traumatisiert, psychisch angeschlagen und benötigen eine enge Begleitung. Wir brauchen deshalb mehrere kleinere Wohngruppen mit 30 bis 60 Plätzen und unterschiedlich intensiver Betreuung. Der Lilienberg soll als erste Aufnahmestation dienen, wo die Jugendlichen zur Ruhe kommen können und ihre Bedürfnisse abgeklärt werden. Zudem wollen wir die Jugendlichen über die Volljährigkeit hinaus begleiten können.
Wie realistisch ist die skizzierte Struktur?
Sehr realistisch …
… und teurer.
Richtig. Wir bauen derzeit zwei weitere Wohngruppen auf und stellen mehr Personal ein. Mehrkosten, welche den vereinbarten Tarif mit dem Kanton übersteigen, zahlt vorerst die AOZ. Bis der aktuelle Vertrag Ende Februar 2024 ausläuft, werden das mehrere Millionen Franken sein.
Wie geht es dann weiter?
Das ist die ganz grosse Frage, wenn der Kanton die neue Ausschreibung macht. Aber er hat in seiner Medienmitteilung versichert, dass er die jetzigen Erkenntnisse berücksichtigt.
Das heisst, es kommen massive Mehrkosten auf den Kanton zu.
Davon gehe ich aus. Das kann rasch das Doppelte kosten als bisher.
Und wenn der Kanton nicht so viel zahlen will? Wie viele Kompromisse gehen Sie ein, um den Zuschlag zu erhalten?
Die Diskussionen mit dem Verwaltungsrat laufen, was unsere Mindestanforderungen sind und wo wir sagen, da machen wir nicht mehr mit.
Sie würden auf den Zuschlag verzichten, wenn die Bedingungen nicht stimmen – auf die Gefahr hin, dass jemand anders die Jugendlichen schlechter betreut?
Ja, das würden wir. Unsere Aufgabe ist es, das Beste für die Jugendlichen herauszuholen. Wenn die Konditionen nicht unseren Werten entsprechen, dann muss das jemand anders machen. Bei der letzten Ausschreibung haben wir zu wenig klar gesagt, wo aus fachlicher Sicht unsere Grenzen sind. Ein Betreuer auf zwanzig Jugendliche, das geht nicht.
Sie haben auch die Idee ins Spiel gebracht, andere Player ins Boot zu holen, um die zahlenmässigen Schwankungen abzufedern.
Der Weisheit letzter Schluss habe ich auch nicht. Es ist und bleibt eine Herausforderung, wenn man mal 35 und dann wieder 200 Minderjährige zu betreuen hat. Man ist immer zu spät, entweder beim Auf- oder beim Abbauen. Heute bezahlt uns der Kanton mindestens für eine 50-Prozent-Auslastung, auch wenn weniger Jugendliche bei uns sind. Diese Vorhalteleistung muss höher sein, bei 70 bis 80 Prozent. Denn ich kann nicht innert zwei, drei Monaten das Personal verdoppeln, wenn plötzlich viel mehr Flüchtende kommen. Man muss sich auch überlegen, ob Kinder- und Jugendheime jeweils zwei, drei Plätze frei halten müssen für den Fall einer humanitären Krise. Aber das ist eine politische Frage: Müssen wir mehr Vorsorge treffen für Flüchtlingskrisen? Ich finde: ja. Beim Bevölkerungsschutz tun wir das ja auch.
Sie gehen davon aus, dass wir auch in Zukunft solche Schwankungen erleben werden?
O ja. Die stabile bipolare Welt, die sich in Erstarrung geübt hat, ist Geschichte. Es werden auch in Europa immer wieder Konflikte aufbrechen, von den Klimaflüchtlingen gar nicht zu reden. Eine Organisation allein kann eine derart instabile Situation nicht handhaben.
Heisst das auch, die alte Konkurrenz zwischen der privaten ORS und der öffentlich-rechtlichen AOZ ist vorbei?
Es wird weiterhin die beiden grossen Anbieter geben, aber wir sehen heute schon Situationen, wo keine der beiden Organisation bei Submissionen mehr teilnimmt. Mit den steigenden Zahlen aufgrund der Ukraine und des akuten Fachkräftemangels scheint niemand mehr in der Lage, weitere Aufträge zu übernehmen. So oder so, die Bedingungen müssen inhaltlich besser werden, damit mehr Anbieter sagen: Doch, da will ich mich engagieren.
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Sozialarbeiter und Swissport-Manager
Stefan Roschi ist 59 Jahre alt und seit dem 1. Dezember 2020 Direktor der Asyl-Organisation Zürich. Zuvor war er zehn Jahre lang stellvertretender Direktor der Sozialen Dienste der Stadt Zürich.
Der ausgebildete Sozialarbeiter ist im Kanton Aargau aufgewachsen und absolvierte dort das Gymnasium. Zehn Jahre lang arbeitete er unter anderem für das Heks und das Schweizerische Arbeiterhilfswerk. Dann wechselte er in die Flugbranche, wo er unter anderem im Swissport-Management tätig war. (leu)
(https://www.tagesanzeiger.ch/niemand-sagte-mensch-so-kann-das-nicht-weitergehen-809608738760)
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/fall-lilienberg-asyl-direktor-gibt-fehler-zu?id=12267922 (ab 01:35)
+++SCHWEIZ
POUR LA LIBERATION D’ALLWADDIN NEZAMI ET LA SUSPENSION DE TOUS LES RENVOIS DUBLIN
Le Collectif Droit de Rester et la Coordination contre les renvois lancent l’alerte car de nombreux renvois Dublin de jeunes afghan.e.s psychologiquement très fragiles sont en cours ou en préventive. Rassemblement solidaire et bruyant mardi 11 octobre à Lausanne.
https://renverse.co/infos-locales/article/pour-la-liberation-d-allwaddin-nezami-et-la-suspension-de-tous-les-renvois-3704
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derbund.ch 10.10.2022
Bürokratie statt humanitäre Hilfe: Bund lässt Angestellte von Schweizer Hilfswerk in Afghanistan im Stich
Eine Afghanin arbeitete jahrelang für Schweizer NGOs. Obwohl ihr in der Heimat Gefängnis und Folter drohen, will ihr das Staatssekretariat für Migration nicht helfen.
Alexandra Aregger
Als die Taliban in Afghanistan im August 2021 nach dem Rückzug der Amerikaner innert Tagen die Macht ergriffen, versuchten Zehntausende Afghaninnen und Afghanen in Panik zu fliehen. Die Zurückgebliebenen leben seither von Hunger, Verfolgung und Folter bedroht. Die USA setzten sich dem Vorwurf aus, ihre afghanischen Helferinnen und Helfer im Stich zu lassen. Sie liessen viele zurück – in den Fängen der Steinzeit-Islamisten.
Jetzt zeigen Recherchen: Auch die Behörden in Bern weisen Hilfegesuche von Afghaninnen und Afghanen ab, die jahrelang für die Schweiz gearbeitet haben.
Der Fall einer NGO-Mitarbeiterin hat es bis auf den Schreibtisch von Bundesräten, dem ehemaligen Chef sowie der neuen Chefin des Staatssekretariats für Migration (SEM) geschafft. Und steht exemplarisch dafür, wie die humanitäre Hilfe wegen bürokratischen Hürden und spitzfindigen Argumenten auf der Strecke bleibt. (Lesen Sie dazu: Viele Afghanen hoffen vergeblich auf ein humanitäres Visum)
15 Zeilen der Angst
Malalai H. ist 46 Jahre alt und Mutter von vier Kindern. Zu ihrem Schutz nennen wir sie mit falschem Namen. Denn, wie sie in unserem ersten Videotelefonat sagt, ist sie für die Taliban «eine Verbrecherin».
Die Afghanin ist den Taliban einerseits ein Dorn im Auge, weil sie hoch gebildet ist. Sie schickt uns Diplome und Zertifikate, die ihre Weiterbildung im humanitären Bereich belegen. Sie hat an der Universität überdies Englische Sprache und Literatur studiert. Die Taliban verfolgen die Frau aber auch wegen ihrer Arbeit.
Malalai H. (Name geändert), die die letzten 20 Jahre für Schweizer
Sie zeigt uns in einem Videoanruf einen handgeschriebenen Brief, bei dem ihre sonst tiefe und ruhige Stimme zu zittern beginnt. Der 15 Zeilen lange Brief ist eine Art Haftbefehl: Er enthält ihren Namen und ihre Adresse, den Namen ihres Mannes und ihrer Kinder und den Befehl, sie «auf der Stelle» zu verhaften und den Taliban auszuhändigen. In der Mitte des Briefes findet sich der Grund, weshalb die Taliban nach ihr suchen: «(…) hat für folgende ausländische Organisationen gearbeitet». Es folgt eine Liste mit drei Nichtregierungsorganisationen (NGOs), allesamt mit Sitz in der Schweiz.
Bis im April 2022 war Malalai H. bei der Genfer «Womanity Foundation» angestellt. Die Afghanin war Managerin für ein Bildungsangebot für junge Frauen, organisierte zum Beispiel Programmier- und Englischunterricht an öffentlichen Schulen. Wofür sie sich regelmässig mit den politischen Verantwortlichen und mit Eltern von Schülerinnen treffen musste. Die Afghanin war das Gesicht eines westlichen Programms und sollte die Schweizer NGO «auf die beste Weise» repräsentieren, wie es wörtlich in ihrem damaligen Arbeitsvertrag steht.
Die wohl heikelste Arbeitsstelle hatte Malalai H. bei der in Zug ansässigen Stiftung Hagar International inne, für die sie ab 2008 das erste afghanische Zufluchtshaus für Opfer von Menschenhandel leitete. Dort versteckte sie Frauen und Kinder, die von Afghanen misshandelt und mit dem Tod bedroht wurden. Und sie brachte die Polizei dazu, gegen die Taliban zu ermitteln, ging teils bis vor Gericht.
«Sie liess sich nie einschüchtern», sagt Pierre Tami über seine frühere Mitarbeiterin. Der Tessiner war Schweizer Honorarkonsul in Kambodscha und gründete Hagar International. Er sah, welchen Gefahren Malalai H. schon vor der Machtübernahme ausgesetzt war: «Mehrmals erhielt sie Anrufe und Briefe der Taliban, die ihr und ihrer Familie mit dem Tod drohten, sollte sie weiterhin für Ausländer arbeiten und Frauen schützen. Oder sie erzählte weinend, dass sie auf dem Weg zur Arbeit verfolgt wurde. Trotzdem wollte sie immer weitermachen.»
Cassis und Gattiker lassen die bedrohte Afghanin abblitzen
Als die Taliban im August 2021 die Macht an sich reissen, ist für Malalai H. deshalb klar: Sie muss raus aus Afghanistan, so schnell es geht. Dreimal hätten bewaffnete Taliban kurz nach der Übernahme ihr Haus durchsucht, sagt sie. Da sie sich mit ihrer Familie bereits bei Freunden versteckt hat, finden sie die Taliban nicht. Sie bittet ihre aktuellen und ehemaligen Schweizer Arbeitgeber, ihr zu helfen.
Pierre Tami schreibt Bundesrätinnen und Bundesräte direkt an. Schildert ihnen Malalai H.s Geschichte, schreibt, wie sie «ihr Leben und das ihrer Familie mehrmals riskiert hat, um extrem gefährdeten Frauen zu helfen». Die Schweiz stehe in der Pflicht, nun auch ihr zu helfen.
Besondere Hoffnung hegt Tami bei Aussenminister Ignazio Cassis, der der afghanischen Bevölkerung immer wieder öffentlich Hilfe zusicherte. Der versprach, dass sich die Schweiz «für die Achtung der Menschenrechte, insbesondere den Schutz von Frauen und Minderheiten einsetzen» werde. Eine enge Mitarbeiterin von Cassis lässt Tami wissen, dass man dem Fall von Malalai H. «volle Aufmerksamkeit geschenkt» habe. Doch die Handlungsmöglichkeiten des Aussenministeriums seien «sehr begrenzt, die Hilferufe leider zahlreich». Das Aussendepartement (EDA) habe den Fall dem zuständigen SEM weitergeleitet.
Der Hilferuf landet auch im Mail-Postfach des damaligen SEM-Chefs Mario Gattiker, der persönlich antwortet, der Fall habe «Aufmerksamkeit erregt». Auch Gattiker hält sich an den bürokratischen Weg. Malalai H. müsse einen Antrag für ein humanitäres Visum einreichen – persönlich auf einer Schweizer Botschaft. Doch sogar Gattiker warnt in seiner E-Mail: «Die Kriterien sind streng.»
Das Problem: Die Schweizer Vertretung in Afghanistan, das Kooperationsbüro der Deza, ist seit August 2021 geschlossen. Malalai H. muss also ins Ausland – was aufgrund der vielen Taliban-Checkpoints gefährlich ist. Und teuer: Hunderte Dollar verlangen Afghanistans Nachbarstaaten für die erforderlichen Touristenvisa.
Malalai H. muss dann über zwei Monate auf einen Termin bei einer Schweizer Botschaft im Ausland warten. Um welche es sich konkret handelt, bleibt zu ihrem Schutz geheim. Es ist mittlerweile Februar 2022, als sie die Anträge für humanitäre Visa für sich, ihren Ehemann und zwei ihrer Kinder einreichen kann. Im April wird sie zu einem Interview vorgeladen.
Nur staatliches Geld zählt
Die Visa-Verordnung der Schweiz gibt lediglich vor, dass Malalai H. eine «unmittelbare, konkrete und ernsthafte Gefährdung an Leib und Leben» nachweisen muss, damit ihr ein humanitäres Visum gewährt wird.
Doch in der Praxis verlangt das SEM weitere Belege, etwa für einen «engen und aktuellen Bezug zur Schweiz». Das kann neben Verwandten in der Schweiz auch eine «exponierende Erwerbstätigkeit» für eine Schweizer Organisation sein.
Recherchen zeigen jedoch, dass es auch da grosse Hürden gibt: Das SEM wertet die Arbeit für eine Schweizer NGO nur dann als «enge Beziehung», wenn diese NGO auch Geld vom Staat, präziser noch, vom Bund erhält.
Das ist für Malalai H. ein Problem. Sie legt zwar zahlreiche Dokumente vor, die ihre Gefährdung belegen. So etwa den Haftbefehl, eine Liste mit konkreten Drohsituationen mit den Taliban, persönliche Arbeitsreferenzen. Doch ihre Arbeitgeber wurden nicht vom Bund mitfinanziert. Die «Womanity Foundation» jedoch von Kanton und Stadt Genf. Das zählt aus Sicht des SEM nicht, wie dieses auf Anfrage bestätigt.
Eine Woche nach ihrem Interview kriegt die Afghanin eine schriftliche Absage. Auf dem vorgedruckten Brief sind lediglich zwei Begründungen angekreuzt: Sie sei nicht in «unmittelbarer und ernsthafter Gefahr, körperlich verletzt zu werden». Und in keiner Notsituation, wegen der die Schweizer Behörden eingreifen müssten.
Malalai H. wehrt sich und legt beim SEM Einsprache ein. Schreibt die mittlerweile neue Chefin Christine Schraner Burgener direkt an. Doch die Asylbehörde bleibt beim Entscheid. In einem ausführlichen Brief begründet sie einige Wochen später die Ablehnung. Er liegt dieser Redaktion vor.
Welcher Beweis ist Beweis genug?
Das SEM zweifelt darin primär die Beweislage an. Man wisse von keiner «systematischen und weit verbreiteten Verfolgung» von Menschenrechtsaktivisten. Zu den zahlreichen Berichten von der UNO, Human Rights Watch und anderen Institutionen, die belegen, wie Menschenrechtsaktivistinnen und -verteidiger bedroht und verfolgt werden, äussert sich das SEM nicht.
Dem Haftbrief könne man «keinen Glauben schenken, da es allgemein bekannt ist, dass sie von Fälschern gekauft werden können». Als Beleg dafür nennt das SEM zwei ausländische Medienberichte, unter anderem von der britischen Boulevardzeitung «Daily Mail», die 2015 von gefälschten Drohbriefen berichtete.
Auf Nachfrage dieser Zeitung begründet das SEM, dass die Drohbriefe der Taliban keine Sicherheitsmerkmale aufweisen würden. «Sprich, ihre Authentizität lässt sich nicht erhärten.» Beweise für eine Gefährdung wären laut SEM vielmehr Posts gegen die Taliban oder Spitalberichte, falls eine gefährdete Person verletzt und behandelt wurde.
«Diese Begründung ist total absurd», sagt der Rechtsanwalt Paolo Bernasconi. Der frühere Tessiner Staatsanwalt hat vor Jahren eine Stiftung gegründet, um Asylsuchende rechtlich zu unterstützen. «Das SEM verlangt Beweismittel derselben Natur, wie sie in einem Zivilverfahren zwischen zwei Zürcher Banken verlangt werden. Das ist absolut unrealistisch. In Afghanistan regieren Terroristen. Die stellen keinen Haftbefehl aus, wie wir ihn kennen.»
Die Genfer NGO, für die Malalai H. zuletzt gearbeitet hatte, hat von Stadt und Kanton Genf für die Jahre 2020 und 2021 insgesamt 60’000 Franken erhalten. Dass das SEM dies nicht berücksichtigt, sorgt in Genf für Ärger, unter anderem beim Grünen-Nationalrat Nicolas Walder.
Der Genfer sitzt in der aussenpolitischen Kommission und hat bereits per Motion gefordert, dass Unterstützungen von Kantonen oder Gemeinden auch als Zusammenarbeit mit der Schweiz angesehen werden müssten. «Der Bund hat nicht das Monopol auf die internationale Zusammenarbeit mit der Schweiz, da wir in einem föderalistischen Staat leben», sagt Walder. Wegen des Falls von Malalai H. Fall appelliert er nun auch an Kanton und Stadt Genf, aktiv zu werden. «Sie haben eine Verantwortung gegenüber diesen Personen.»
Die Genfer Regierung will das SEM-Vorgehen nicht kommentieren. Die Direktion für internationale Angelegenheiten sagt aber, der Fall von Malalai H. sei «besorgniserregend und wird sorgfältig analysiert». Wer und was genau analysiert wird, beantwortet die Direktion nicht.
Malalai H. selber hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Asylanwalt Paolo Bernasconi hat ihr abgelehntes Gesuch vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochten. Das Urteil steht noch aus. Für Bernasconi steht fest: «Sie ist in Lebensgefahr, weil sie für die Interessen Schweizer NGOs gekämpft hat. Sie hat es verdient, von der Schweiz in Sicherheit gebracht zu werden.»
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Mitarbeit: Loretta Dalpozzo
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Nur jede 17. Afghanin oder Afghane erhält humanitäres Visum
Seit der Machtübernahme der Taliban haben 1800 Afghaninnen und Afghanen versucht, beim Bund ein humanitäres Visum für die Schweiz zu kriegen. Lediglich knapp 100 von ihnen – rund 6 Prozent – hatten Erfolg. Seit Jahren fordern Hilfswerke und Politiker aus dem linken Lager eine «weniger restriktive Praxis». Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) hat per Ende 2021 gar seinen Beratungsdienst für humanitäre Visa nach sieben Jahren eingestellt. Die Kriterien seien strenger, die Erfolgschancen geringer geworden, begründete das SRK. Das SEM sieht keinen Handlungsbedarf. Schliesslich seien seit der Taliban-Machtübernahme mehr humanitäre Visa vergeben worden als in den Vorjahren, was belege, «dass das Instrument eine angemessene Reaktion auf sich verändernde Situationen zulässt».
(https://www.derbund.ch/bund-laesst-angestellte-von-schweizer-hilfswerk-in-afghanistan-im-stich-766237958269)
-> https://www.baerntoday.ch/schweiz/bund-laesst-afghanische-ngo-arbeiterin-bei-visumsantrag-abblitzen-148307906
-> https://www.blick.ch/politik/sie-arbeitete-fuer-schweizer-ngo-bund-laesst-gefaehrdete-afghanin-im-stich-id17949301.html
+++ÄRMELKANAL
Frankreich: Mehr als 360 Geflüchtete aus dem Ärmelkanal gerettet
Die französische Marine hat Hunderte in Seenot geratene Migranten in Sicherheit gebracht. Sie hatten versucht, in kleinen Booten von Frankreich nach England zu gelangen.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-10/migranten-aermelkanal-seenot-frankreich-grossbritannien
+++GASSE
Mehr Armutsbetroffene in der Schweiz – Schweiz Aktuell
Die Nachfrage nach Angeboten der Caritas nimmt zu: Steigende Preise für Alltägliches, wie Nahrungsmittel und Energie, machen Armutsbetroffenen zu schaffen. Ein Mann erzählt seine Geschichte.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/mehr-armutsbetroffene-in-der-schweiz?urn=urn:srf:video:e8540c68-0d80-400c-b5fb-43c4cca17375
Leiter der Notschlafstelle zum «Tag der Obdachlosen»
Heute ist internationaler Tag der Obdachlosen. Auch in Luzern gibt es mehrere Leute, die kein eigenes Dach über dem Kopf haben und auf der Strasse leben. Einer, welcher viel mit so Leuten zu tun hat, ist Urs Schwab von der Notschlafstelle in Luzern. Er arbeitet schon seit über 20 Jahren täglich mit Obdachlosen zusammen.
https://www.tele1.ch/nachrichten/leiter-der-notschlafstelle-zum-tag-der-obdachlosen-148315083
«Drug checking»: Lausanne ouvre sa première permanence
Le concept qui a fait ses preuves depuis de nombreuses années dans diverses villes de Suisse s’exporte enfin à Lausanne.
https://www.20min.ch/fr/story/drug-checking-la-premiere-permanence-ouvre-a-lausanne-430506303838
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Solidarität mit Ukraine: 100 Menschen protestieren in Bern gegen Putin
Nachdem Russland am Montagmorgen Ziele in der ganzen Ukraine mit Raketen angegriffen hat, haben am Abend Menschen in Bern demonstriert.
https://www.derbund.ch/100-menschen-protestieren-bei-russischer-botschaft-in-bern-180722825070
Protest im Kanton Neuenburg: Klima-Aktivisten blockierten Zufahrt zu Erdöl-Raffinerie in Cressier
Am frühen Montagmorgen hatten Aktivistinnen und Aktivisten den Zugang zu der Anlage versperrt.
https://www.derbund.ch/klima-aktivisten-blockieren-zufahrt-zu-erdoel-raffinerie-in-cressier-912123638356
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/protestaktion-in-cressier-ne-klima-aktivisten-beenden-raffinerie-blockade
-> https://www.blick.ch/schweiz/westschweiz/neuenburg/polizeieinsatz-bei-cressier-ne-aktivisten-blockieren-zufahrt-zu-erdoel-raffinerie-id17949039.html
-> https://twitter.com/Debt4ClimateCH
-> https://twitter.com/klimastreik
-> https://www.20min.ch/story/aktivisten-blockieren-zufahrtsstrassen-von-der-einzigen-schweizer-erdoel-firma-709063462067
-> https://www.20min.ch/fr/story/raffinerie-de-petrole-des-activistes-du-climat-ont-bloque-lacces-719387759417
-> https://www.watson.ch/!576489266
-> https://www.baerntoday.ch/schweiz/klima-aktivisten-blockieren-zufahrt-zu-erdoel-raffinerie-148307054
#MullahsCiao: Erneute Proteste vor der iranischen Botschaft in Bern
Erneut haben sich am Samstag Exil-Iraner*innen und weitere Menschen vor der iranischen Botschaft in Bern versammelt, um sich mit den Protestierenden im Iran zu solidarisieren. Im Einklang mit Protesten weltweit fordern sie den Fall des Mullah-Regimes und Gerechtigkeit nach dem staatlichen Femizid an Jina/Mahsa Amini sowie unzähligen weiteren FINTA- und LGBTQI+-Personen, Aktivist*innen und Protestierenden.
https://migrant-solidarity-network.ch/2022/10/09/mullahsciao-erneute-proteste-vor-der-iranischen-botschaft-in-bern/
+++KNAST
Des “mamans de l’extérieur” s’opposent à l’annulation de parloirs familiaux
La direction de la prison Champ-Dollon a décidé d’annuler les visites à cause de la grève des services publics qui aura lieu mercredi. Un groupe de “mamans de l’extérieur” a adressé une lettre ouverte au directeur.
https://renverse.co/infos-locales/article/des-mamans-de-l-exterieur-s-opposent-a-l-annulation-de-parloirs-familiaux-3706
+++BIG BROTHER
Neuer Gesetzesentwurf: Nachrichtendienst droht mit drakonischen Bussen
Der Schweizer Geheimdienst will Angestellte der Hotellerie zur Kooperation zwingen. Wer sich weigert, dem drohen 100’000 Franken Busse.
https://www.derbund.ch/nachrichtendienst-droht-mit-drakonischen-bussen-671793150645
Auch in Berlins linker Szene aktiv: Einsatz eines verdeckten Ermittlers aus London für illegal erklärt
Das Schweriner Verwaltungsgericht befasste sich mit dem Einsatz des britischen Undercover-Agenten Mark Stone. Er hatte die G8-Proteste in Rostock ausgespäht.
https://www.tagesspiegel.de/auch-in-deutschlands-linker-szene-aktiv-einsatz-eines-verdeckten-ermittlers-aus-london-fur-illegal-erklart-8734507.html
+++POLIZEI DE
Polizeigewalt in Berlin: Bruder fordert Aufklärung
Ein psychisch kranker Schwarzer stirbt nach einem brutalen Polizeieinsatz. Die Opferberatungsstelle ReachOut spricht von rassistischem Einsatz.
https://taz.de/Polizeigewalt-in-Berlin/!5883710/
+++RECHTSEXTREMISMUS
Rechtsextremer Messerstecher: Schonte die Justiz den Sohn von Zürcher Promi-Paar?
Gerichtliche Auflagen für einen rechtsextremen Messerstecher aus linkem Promi-Elternhaus gehen gemäss Experten sehr weit.
https://www.20min.ch/story/schonte-die-justiz-den-sohn-von-zuercher-promi-paar-125417922145
Kaufland in der Kritik: Deutsche Einzelhandelskette verkauft Online Nazi-Literatur
Linksextreme Produkte werden gesperrt, rechtsextreme Literatur aber angeboten? Genau das wird nun der deutschen Einzelhandelskette Kaufland vorgeworfen. Diese rechtfertigt sich auf Social Media und sieht dabei rechtliche Hürden.
https://www.baerntoday.ch/welt/deutsche-einzelhandelskette-verkauft-online-nazi-literatur-148307424
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
„Gefährlicher Glaube: Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“
Gerade in einer Zeit voller Umbrüche und Veränderungen suchen viele Menschen Halt und Orientierung in esoterischen Welterklärungsmodellen. Horoskope verraten, was die eigene Zukunft bringen wird. Der spirituelle Heiler wird zur Leitfigur. Der Esoterikmarkt boomt! Ist der Glaube an unsichtbare Kräfte, die unser Leben in die richtige Bahn lenken sollen, nur eine harmlose Spinnerei? Oder bringt der Esoterik-Trend gefährlichere Risiken mit sich, als es auf den ersten Blick erscheinen mag?
https://www.radioeins.de/programm/sendungen/der_schoene_morgen/_/147906.html
+++FUNDIS
40 Tage lang: Abtreibungsgegner beten vor Basler Unispital
Ein Phänomen aus den USA taucht jetzt auch in der Schweiz auf: Religiöse Aktivistinnen und Aktivisten organisieren Kundgebungen gegen Abtreibungen. Jeden Tag wollen sie in der Nähe des Basler Unispitals beten – während 40 Tagen. Ihr Argument: Das Leben sei von Beginn an heilig.Als befremdlich bezeichnet die SP-Politikerin Julia Baumgartner diese Aktion. Vor rund zwei Jahren hatte sie eine ungeplante Schwangerschaft abgetrieben. Sie sagt, keine Frau würde diesen Entscheid leichtfertig fällen. Diese Meinung teilt auch das Bistum Basel; Man dürfe Frauen, die abtreiben, nicht verurteilen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/40-tage-lang-abtreibungsgegner-beten-vor-basler-unispital?partId=12268246
-> https://www.20min.ch/video/zumutung-fuer-die-betroffenen-frauen-abtreibungsgegnerinnen-demonstrieren-vor-unispital-854448153989
-> https://www.bazonline.ch/abtreibungsgegner-beten-vor-dem-basler-unispital-310758823252
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bzbasel.ch 10.10.2022
Aktion gegen Abtreibung: Das steckt hinter der Gruppe, die vor dem Basler Unispital betet
40 Tage lang soll die Aktion gegen Abtreibung dauern. Die Gruppe aus Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern versammelt sich täglich gegenüber dem Basler Unispital. Die Aktion hat einen religiösen und politischen Hintergrund.
Silvana Schreier
«Gönd doch hei.» Ein junger Mann radelt vorbei. Mit einer abwertenden Handbewegung zeigt er seinen Unmut. Die Gruppe bleibt regungslos, die einzelnen Personen sind in ihr Gebet vertieft. Ihre Finger fahren dem Rosenkranz entlang. Auf ihren Schildern steht «Beten gegen Abtreibungen».
Seit vergangenem Mittwoch und noch bis am 6. November halten betende Menschen jeweils während der Mittagszeit vor dem Basler Universitätsspital eine Mahnwache ab, wie «20 Minuten» berichtete. Die Aktion «40 Tage für das Leben» ist Teil der internationalen Bewegung. Laut eigenen Angaben sind weltweit über 600 Gruppen beteiligt. 22031 Leben sollen seit 2007 gerettet, 131 Abtreibungskliniken geschlossen worden sein, heisst es auf der Website. Auch Papst Franziskus kommt zu Wort: Er dankt allen, die sich für ungeborene Kinder einsetzen.
Für Abtreibungsinitiativen werden noch Unterschriften gesammelt
Dass die Abtreibungsgegnerinnen und -gegner ausgerechnet in Basel auftauchen, ist kein Zufall. Die bz berichtete im August vom heimlichen Machtzentrum in der Region Basel. Die in Münchenstein verortete Stiftung Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind (SHMK) sowie der dazugehörige Verein Mamma haben die «Einmal darüber schlafen»-Initiative und die «Lebensfähige Babys retten»-Initiative lanciert. Noch werden Unterschriften gesammelt.
Mitorganisatorin der Antiabtreibungsaktion ist Tabitha Bender. Zusammen mit drei anderen jungen Frauen hat sie die Mahnwache in Basel auf die Beine gestellt. Bender ist Sekundarschullehrerin und Chorleiterin von Beruf, der Kampf gegen Abtreibungen sei eine «Herzensangelegenheit». Diese übt sie als Projektleiterin bei der SHMK und als Vorstandsmitglied des Vereins Mamma aus. Zudem ist sie im Initiativkomitee der «Einmal darüber schlafen»-Vorlage.
Durch Gebet und Fasten
Gegenüber der bz betont Bender, es handle sich nicht um eine Protestaktion oder eine Demonstration. Man wolle «friedlich ein Zeichen setzen». Auch gehe es hier nicht um die lancierten Initiativen oder den schweizweit tätigen Verein, sondern um eine lokale, religiös motivierte «Gebetswache».
Die Gruppe in Basel will «das Ende der Abtreibung» erreichen, heisst es auf der Website. Man bitte Gott durch Gebet und Fasten, «dass er die Wunden der Abtreibung heilt». Und das mit Erfolg. Laut eigenen Angaben gibt es «viele Bekehrungen und gerettete Babys».
«Moralapostel sind fehl am Platz»
In Basel stösst die Aktion auf Kritik. Eine Passantin schüttelt vehement den Kopf, als sie den Text auf den Schildern gelesen hatte. «Das ist doch einfach respektlos, dass sie direkt vor dem Unispital stehen.» Es soll jeder Frau selbst überlassen sein, ob sie abtreiben möchte oder nicht, sagt die junge Frau.
Die Basler SP-Politikerin und -Parteisekretärin Julia Baumgartner schreibt auf Twitter: «Moralapostel, die vor dem Spital Plakate in die Luft halten und beten, sind eindeutig fehl am Platz.» Baumgartner hat selbst eine Abtreibung hinter sich, wie sie der bz vergangenes Jahr berichtet hatte. Sie findet es «recht unsensibel», dass die Abtreibungsgegnerinnen und -gegner in Basel eine Bewilligung für die Aktion erhalten haben.
Menschen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, befinden sich in einer ausserordentlichen Lebenssituation. Ein Termin für einen Schwangerschaftsabbruch kostet Überwindung. Umso wichtiger ist ein hürdenfreier Zugang zu Gesundheitsinstitutionen.
— Julia Baumgartner (@JknBaumgartner) October 10, 2022
Auch die Basler Nationalrätin Sarah Wyss (SP) äussert sich in den sozialen Medien: «Ich dachte echt, dass wir in der Schweiz um dieses Recht nicht mehr kämpfen müssen», schreibt sie. Gleichzeitig sei sie froh, dass es Institutionen wie das Basler Unispital gebe, das den Frauen einen sicheren Schwangerschaftsabbruch ermögliche.
Das Basler Unispital teilt auf Anfrage mit, die Aktion sei kein Thema für die Gesundheitseinrichtung. Man habe erst durch Medienberichte davon erfahren und bisher keine Rückmeldungen dazu erhalten.
(https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/mahnwache-aktion-gegen-abtreibung-das-steckt-hinter-der-gruppe-die-vor-dem-basler-unispital-betet-ld.2356823)