Medienspiegel 26. September 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Linker Vorschlag abgelehnt: Bern bleibt bei Asylpolitik auf Linie von Bund und Kanton
Linke im Stadtrat wollten die Lebenssituation aller Geflüchteten jenen der ukrainischen Geflüchteten angleichen – und dazu Vorgaben von Bund und Kanton umgehen.
https://www.derbund.ch/bern-bleibt-bei-asylpolitik-auf-linie-von-bund-und-kanton-128225163292
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/berner-stadtregierung-will-asyl-vorgaben-nicht-umgehen-148113200
-> Motion AL/PdA: https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antwort-am-26-september-2022/motion-fraktion-alpda.pdf/download


+++SCHWEIZ
Russischen Wehrdienstverweigerern und Deserteuren raschen Zugang in die Schweiz ermöglichen
Viele Flüge aus Russland sind aktuell mit russischen Schutzsuchenden ausgebucht, andere verlassen ihre Heimat über den Landweg. Gleichzeitig werden aus der Politik Forderungen nach einer Wiedereinführung des Botschaftsasyls laut. Aus Sicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) ist russischen Wehrdienstverweigerern und Deserteuren in der Schweiz rascher Zugang zu Schutz, d.h. zum Asylverfahren, zu ermöglichen, damit ihre Gefährdung im Einzelfall geprüft werden kann.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/russischen-wehrdienstverweigerern-und-deserteuren-raschen-zugang-in-die-schweiz-ermoeglichen


+++NIEDERLANDE
Niederlande – Ein Asyl-Stop ist bis ins bürgerliche Lager hinein konsensfähig
Das Versagen der niederländischen Regierung in der Asylpolitik rief sogar die Ärzte ohne Grenzen ins Land. Versuche, die Situation zu entschärfen, lösen in der krisengebeutelten Bevölkerung heftigen Widerstand aus
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-jetzigen-krisen-bedeuten-wohlstandsverlust-lernen-auch-die-niederlande


+++ITALIEN
Minderjährige wegen Menschenhandels vor Gericht
Er kam ins Gefängnis, weil er das Boot steuerte, das ihn und hundert weitere Personen auf der Flucht aus Libyen nach Italien brachte. Saidu Bangura versteht nicht, warum man ihn bei seiner Ankunft inhaftierte: Er hat doch nur dafür gesorgt, dass alle überleben.
https://www.borderlinesicilia.it/de/news/minderjaehrige-wegen-menschenhandels-vor-gericht/


+++MITTELMEER
Migration nach Europa: Sea-Watch will neues Rettungsschiff ins Mittelmeer entsenden
Schneller, größer, effizienter: Die Organisation Sea-Watch plant ihre Seenotrettung im Mittelmeer mit einem weiteren Schiff auszubauen. Die »Sea-Watch 5« sei eine »Kampfansage« an den Rechtsruck in Italien.
https://www.spiegel.de/ausland/sea-watch-deutsche-hilfsorganisation-will-neues-rettungsschiff-ins-mittelmeer-entsenden-a-b4c56ecc-4f2e-4192-9b46-c7f5536d883d


+++GASSE
Zürcher Wohnungsnot: Zwischen Notschlafstelle und dem Sofa von Freund:innen
Eine Familie zieht mit ihren Töchtern von einer befristeten Wohnung in die nächste. Mit der Geschichte ihrer verzweifelten Wohnungssuche werfen sie die Frage auf, wer in der Stadt wohnen darf und wer verdrängt wird. Die grösste Genossenschaft und die Stadt bestätigen zwar die Schwierigkeit, bezweifeln aber die Wohnungsnot.
https://tsri.ch/zh/familie-steht-beinahe-auf-der-strasse-stadt-bezweifelt-wohnungsnot-abz-genossenschaft-stadt-zuerich-liegenschaften.ytDIxzjoklrHkHjN


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Erhöhung des Rentenalters: Nach AHV-Abstimmung: Frauen protestieren in Bern
Bei der AHV-Reform haben am Sonntag die Männer die Frauen überstimmt. Jetzt protestieren Frauen dagegen auf dem Berner Bahnhofplatz.
https://www.derbund.ch/nach-ahv-abstimmung-frauen-protestieren-in-bern-715939988766
-> https://www.20min.ch/story/sp-rief-zum-streik-auf-wuetende-frauen-demonstrieren-in-bern-819887414199
-> https://www.baerntoday.ch/schweiz/sp-frauen-versammeln-sich-zum-protest-in-bern-148113415
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/ahv-reform-hunderte-frauen-protestieren-in-bern-gegen-hoeheres-rentenalter
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/ahv-21-frauen-protestieren-gegen-hoheres-rentenalter-66287397
-> https://www.blick.ch/politik/linke-rufen-zur-ahv-demo-auf-buergerliche-werfen-sp-undemokratisches-verhalten-vor-id17909901.html
-> https://youtu.be/-CKntFGCVM4
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/203487/
-> https://www.derbund.ch/wir-sind-wuetend-weil-reiche-weisse-maenner-ueber-uns-bestimmt-haben-820808791036
-> Schweiz Aktuell:. https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/frauen-protestieren-in-bern-gegen-hoeheres-rentenalter?urn=urn:srf:video:95f98022-9fca-420f-9b41-d0f9666a0942
-> https://www.toponline.ch/news/detail/news/hunderte-frauen-protestieren-in-bern-gegen-hoeheres-rentenalter-1-00194753/
-> https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/in-bern-protestieren-hunderte-frauen-gegen-die-ahv-reform-148118158
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/proteste-gegen-frauenrentenalter-148118267
-> https://www.telem1.ch/aktuell/nach-dem-knappen-ja-bei-ahv-abstimmung-frauen-gehen-auf-die-strasse-148118014
-> https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2022-09-26
-> https://tv.telebaern.tv/talktaeglich/nach-ja-zu-rentenalter-65-frauen-sind-wuetend-147613327
-> https://www.watson.ch/!251019712


Neue Besetzung Fliederstrasse 17
Heute haben wir die Fliederstrasse 17 besetzt!
Ein leeres Personalhaus des Unispitals mitten in der Stadt Zürich – weit und breit nur unbezahlbarer Wohnraum – und eine Gruppe junger, kreativer und engagierter Menschen, die dieses Spielchen langsam satt hat. Nun hat es ihre Liegenschaft getroffen. Das ist nicht so schlimm und kann allen Grundeigentümer:innen in Zürich passieren. Wir sind der Meinung, dass Sie als Eigentümerin dieses Hauses in der Verantwortung stehen, Leerstand zu verhindern. Deswegen haben wir die Sache selber in die Hand genommen und entschieden, hier zu bleiben.
https://barrikade.info/article/5397


Merjenbrücke in Stalden ist jetzt pink: Graffiti-Anschlag auf historische Walliser Brücke
In Stalden VS wurde die Merjenbrücke über Nacht besprüht – sie ist nun komplett pink.
https://www.blick.ch/schweiz/westschweiz/wallis/merjenbruecke-in-stalden-ist-jetzt-pink-graffiti-anschlag-auf-historische-walliser-bruecke-id17909594.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/saanen-bittet-private-um-reduktion-der-weihnachtsbeleuchtung?id=12259744 (ab 01:18)
-> https://new.rro.ch/story/brcke-bei-stalden-pltzlich-pink-eingefrbt—nun-ist-klar-wer-es-war/125306
-> https://www.20min.ch/story/illegale-aktion-kuenstlerin-faerbt-denkmalgeschuetzte-bruecke-pink-397123666286



Walliser Bote 26.09.2022

Feuerwehr reinigt: Brücke bei Stalden plötzlich pink eingefärbt – nun ist klar, wer es war

Die Merjenbrücke bei Stalden ist pink. Wieso ist nun klar. Die Feuerwehr ist derweil vor Ort und versucht, die Brücke zu reinigen.

Rebecca Schüpfer

«Da hat sich wohl jemand einen üblen Scherz erlaubt.» Dachte man am Montagmorgen, als die Merjenbrücke in Stalden in frischem, pinkem Gewand erstrahlte. Der «Farbanschlag» war in der Nacht zu Montag passiert.

Die Feuerwehr fungiert an diesem Morgen als Reinigungskraft und versucht die Brücke derzeit von der Farbe zu befreien. Vier Einsatzkräfte der Feuerwehr und drei der Gemeinde Stalden sind im Einsatz.

Die Walliser Kantonspolizei rät Automobilisten unterdessen, nicht anzuhalten und Fotos zu schiessen. Das gefährde andere Verkehrsteilnehmer.

«Als ich am Morgen die ersten Bilder sah, dachte ich es handle sich um eine Fotomontage», sagt Joël Fischer, Gemeindepräsident von Stalden.

Was zunächst unklar war, scheint nun geklärt.

Hinter dem «Farbanschlag» steckt die Aktionskünstlerin Barbara Kiener. Die 45-jährige aus Interlaken sagt gegenüber dem Blick, dass sie «die Strahlkraft der monumentalen Ingenieurs-Kunst als Symbolträger für einen Verbindungsraum» nutze. Durch die Inszenierung solle eine Geste kreiert werden. «Der fortwährende Dialog ist sehr wichtig, gerade in diesen schwierigen politischen Zeiten. Die Aktion hat jedoch keinen Zusammenhang mit der AHV-Reform, das Datum habe ich zufällig gewählt», so Kiener gegenüber Blick.

Anfangs vermuteten mehrere Stimmen hinter dem Farbanschlag eine Reaktion auf die AHV-Vorlage von gestern Sonntag.

Ob es zur Anzeige kommt, ist derzeit unklar. Dazu sagt Joël Fischer: «Der Gemeinderat wird entscheiden, ob rechtliche Schritte eingeleitet werden.»

Die Farbe solle problemlos abgehen, weil es sich laut Kiener um eine «temporäre Markierungsfarbe» handele. Kiener sagt, sie habe die Polizei und die Gemeindeverantwortlichen informiert. Gemeindepräsident Joël Fischer sagt, er habe von nichts gewusst.

Die Merjenbrücke überspannt 150 Meter hoch die Schlucht der Mattervispa. Sie ist fast 120 Meter lang.
-> Reinigungsarbeiten: https://youtu.be/ZT4HZ8XUw5Y
(https://new.rro.ch/story/brcke-bei-stalden-pltzlich-pink-eingefrbt—nun-ist-klar-wer-es-war/125306)


+++MENSCHENRECHTE
Drei Empfehlungen nicht umgesetzt
Die Menschenrechtslage in der Schweiz ist insgesamt sehr gut. Das steht im Bericht des Bundesrats, der im Oktober dem Uno-Menschenrechtsrat vorgelegt werden soll. In gewissen Bereichen gibt es aber Lücken.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/203450/


+++KNAST
Blaulichtorganisationen trainieren für Grossereignis
Ein Brand in einer Raffinerie, eine Meuterei in einem Gefängnis, ein Absturz bei einem Flugmeeting: Anhand dieser Szenarien haben 96 Teilnehmende von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdiensten in Magglingen gelernt, wie ein Grossereignis zu bewältigen ist.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/203484/


++++POLIZEI BASEL
Entlastung für Basler Polizistinnen und Polizisten
Rund 90 Polizistinnen und Polizisten fehlen dem Korps aktuell, sagen die Verwantwortlichen bei der Basler Polizei. Der Grund: es gibt viele Kündigungen und es ist schwierig neues Personal zu finden. Nun ergreift die Polizei Massnahmen, um das Problem zu entschärfen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/entlastung-fuer-basler-polizistinnen-und-polizisten?id=12259948


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Fratelli d’Italia an der Macht, Abschottung in der Sahelzone, Karawane des Lichts in Bewegung
https://antira.org/2022/09/26/fratelli-ditalia-an-der-macht-abschottung-in-der-sahelzone-karawane-des-lichts-in-bewegung/


+++FRAUEN/QUEER
Trans*: Wer bestimmt unser Geschlecht?
Melanie ist trans*. Sie ist als Junge großgezogen worden. Mit 38 fand sie den Mut, sich zu outen. Doch noch ist sie gesetzlich nicht als Frau anerkannt. Grund dafür ist das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz.
https://www.ardmediathek.de/video/exactly/trans-wer-bestimmt-unser-geschlecht/mdr/Y3JpZDovL21kci5kZS9iZWl0cmFnL2Ntcy8wNjM4ZGNlYy02YjA5LTRkNTEtODM4OS00YzNjMzgzNjc2OGQ


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Vermeintliche Corona-Klage: Der Billionen-Euro-Schwindel
Er nannte Corona-Maßnahmen „Verbrechen“ und versprach eine Mega-Klage. Nun erscheinen die Pläne eines Anwalts selbst immer mehr als Schwindel.
https://www.t-online.de/nachrichten/corona-krise/id_100054782/reiner-fuell-mich-der-billionen-euro-schwindel-um-corona.html


Impffrei:Love: Erste Datingplattform für Impfgegner in der Schweiz gestartet
Ein neues Dating-Angebot in der Schweiz will Impfgegnerinnen und -gegner zusammenbringen. Die neue Plattform habe schon mehr als 1200 Mitglieder, gibt der Betreiber an. Wer dahinter steckt, ist nicht klar.
https://www.watson.ch/!484272301?


+++ANTI-WOKE/DREADLOCKSMANIA/WINNETOUWHINING
Mehr Empathie bitte!
Nur wenn Kritik an kultureller Aneignung ernst genommen wird, kann Popkultur sexier für alle werden
Auch wenn die Springer-Presse davon überzeugt ist: Winnetou als Kultfigur wird so schnell nicht verschwinden, meint Tuncay Acar. Deswegen können die Forderungen nach einem kulturellen Wandel ruhig härter ausfallen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1167240.kulturelle-aneignung-mehr-empathie-bitte.html


+++HISTORY
50 Jahre AJZ Neumünster: „Wild und ein bisschen ranzig“
Das Autonome Jugendzentrum in Neumünster wird 50 – wie viele andere Jugendhäuser auch. Ein Blick zurück und nach vorn: Wie wichtig sind sie heute?
https://taz.de/50-Jahre-AJZ-Neumuenster/!5881467/


Parlament will unabhängige Kommission zu NS-Raubkunst
Das Parlament will eine unabhängige Kommission zum Umgang mit Kunst aus dem Besitz von Verfolgten des Nationalsozialismus. Nach dem National- hat auch der Ständerat am Montag eine entsprechende Motion angenommen.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2022/20220926184401402194158159038_bsd146.aspx



derbund.ch 26.09.2022

Kolonialismusforschung im Historischen Museum: Spuren europäischer Arroganz

«Zauberkram», Schmuck und eine Kinderpuppe:  Museumsobjekte zeugen vom Schaden, den Europa in Afrika angerichtet hat – und mittendrin die Schweizer.

Michael Feller

Otto Lädrach, Berner Missionar in Ghana, hatte eine – Mission: den «Sturz des afrikanischen Lügengottes». Die lokale Bevölkerung verehrte die Göttin Aberewa. Im Dorf Agona Swedru befahl Lädrach einem Aberewa-Priester, «seinen Tanzplatz zu verlegen», um nicht weiter den «Gottesdienst zu stören», wie er in seinen Aufzeichnungen berichtete. Unterstützt habe ihn dabei ein «englischer Bezirksamtmann».

Im Historischen Museum Bern zeugt ein Objekt mit der Inventarnummer E/1909.323.0182 von der Vertreibung des Priesters: Beinschellen, die als Perkussionsinstrument bei Tänzen verwendet wurden. Als der Geistliche aus dem Dorf gejagt wurde, liess er «allerlei Aberewa-Zauberkram» zurück, wie Otto Lädrach schrieb. Er war im Auftrag der Basler Mission zwischen 1898 und 1911 im heutigen Ghana stationiert. 1909 kaufte das Historische Museum allerlei Objekte von Lädrach an.

In der Schweiz wird gern darauf hingewiesen, dass das Land keine Kolonialmacht gewesen sei, aber die kolonialistischen Verstrickungen werden an Beispielen wie den Beinschellen von Agona Swedru offensichtlich. Die Missionierung richtete Schaden an – und passierte Hand in Hand mit den kolonialistischen Besatzern.

Prädikat «bedenklich»

Diese Geschichte ist eine von mehreren, die im Forschungsprojekt «Spuren kolonialer Provenienz» an die Oberfläche gespült worden sind. Das Historische Museum hat den Schlussbericht kürzlich vorgelegt. Die Beinschellen erhalten darin die Bewertung «bedenklich». Jetzt muss sich das Museum fragen: Was geschieht mit solchen Dingen, die offensichtlich unrechtmässig erworben wurden?

Auch die Sammlung von Victor und Marie Solioz zeugt von kolonialistischer Verstrickung. Und von einem Genozid in Namibia. Der Jurassier Victor Solioz arbeitete zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Chefingenieur der Otavi-Eisenbahn in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Die Bahn zwischen Swakopmund am Atlantik und der Stadt Tsumeb wurde errichtet, um Kupfer aus dem Landesinneren abzutransportieren. Der Bau der Eisenbahn gilt heute als einer der Hauptauslöser für den Krieg gegen die lokale Bevölkerung. Aufstände gegen den Eisenbahnbau wurden von den Kolonialherren brutal niedergeschlagen. Und dies ging als Völkermord an den Herero und Nama in die Kolonialismusgeschichte ein.

Mittendrin war Victor Solioz, der mit seiner Frau Marie auch ethnografische Objekte sammelte. Es gibt Anzeichen dafür, dass damals vor Ort ganze Sammlungskits von Alltags- und Haushaltsgegenständen erworben werden konnten. Viele europäische Museen haben deshalb ähnliche Objekte in ihren Depots. Gemäss einer These wurden diese in den zurückgelassenen Haushalten der Zehntausenden Flüchtenden zusammengesammelt. Klarer Fall auch hier: Die Sammlung Solioz ist «bedenklich».

Almosen gegen Kinderpuppe

Im Vergleich geradezu harmlos und trotzdem verstörend ist die Geschichte hinter einer Kinderpuppe aus Abu Simbel, Ägypten, Inventarnummer 111947. Armin Kellersberger schenkte sie 1934 dem Bernischen Historischen Museum. Ein Jahr später bedankte er sich beim damaligen Kurator dafür, dass er sie «so hübsch montiert» zur Geltung gebracht habe. Danach schrieb er: «Das Nubierkind, das mir seinerzeit auf Geheiss seiner hungrigen Mutter die Puppe unter Tränen überlassen musste, sehnt sich gewiss heute noch danach.»

Almosen gegen eine Puppe und Kindertränen.

Der Tourist gibt der Bettlerin Geld und fordert dafür die Kinderpuppe. Zwar war der Erwerb rechtmässig – und doch bestand «ein ungleiches ökonomisches Machtverhältnis», wie das Museum in seinem Forschungsbericht festhält. Der Fall scheint wie ein Symbol des europäischen Herrendenkens und der Arroganz gegenüber den Gesellschaften in den kolonialisierten Gebieten Afrikas.

Bei der Erforschung der eigenen Bestände nach kolonialen Spuren – insgesamt verfügt das Haus über 570’000 Objekte – konzentrierte sich das Historische Museum auf das «Zeller-Archiv». Rudolf Zeller nahm ab 1903 eine Verwissenschaftlichung der aussereuropäischen Sammlung vor und tauschte sich mit anderen Museen aus. Bis zu seinem Tod 1940 betreute er die ethnografische Sammlung, zuletzt war er Vizedirektor des Museums. Er hinterliess ein umfangreiches Archiv mit Korrespondenzen und weiteren Dokumenten. Darin nahm man die Spur auf nach kolonialistischen Bezügen der Sammlungsobjekte.

Und jetzt?

Das Historische Museum hat viele weitere Objekte untersucht. Bei 17 vom Museum erworbenen Sammlungen sowie 24 Einzelobjekten gab es Indizien auf Unrechtskontexte. Diese wurden einer vertieften Provenienzforschung unterzogen, wobei die Herkunft und der Handel der Artefakte durchleuchtet werden – teils mit immensem Aufwand, weil eine Dokumentation in vielen Fällen fehlt. Letztlich wurden vier Handwechsel mit 469 Objekten vor dem Erwerb durch das Museum als «bedenklich» eingeordnet. Das heisst: Für die Unrechtmässigkeit fehlen die Beweise, doch sie wird vermutet.

Und jetzt, wie weiter? Will man die bedenklichen Objekte loswerden und damit die Sammlung von geschehenem Unrecht befreien? Werden die Beinschellen von Otto Lädrach nach Ghana zurückgegeben? Oder sollen die Objekte im Museum bleiben, um anhand von ihnen die Bezüge zum Kolonialismus darzustellen?

Was weiter mit den Objekten passiert, ist in vielen Fällen völlig offen. Für Museumsdirektor Thomas Pauli-Gabi ist die Rückgabe eine von vielen möglichen Lösungen bei afrikanischem Kulturerbe in europäischen Museen. «Unsere Aufgabe als Museum ist heute allerdings in erster Linie die Bewahrung, Beforschung und Vermittlung unserer Sammlungen.» Für Lösungen bauche es Kooperationen mit Forschenden in den betroffenen Ländern. Ein Austausch hat bereits mit einem namibischen Team stattgefunden im Bezug zur Sammlung des Ingenieurs Solioz. Hier sei das Ziel, Teile der Sammlung an ihrem Ursprungsort auszustellen. Weniger weit sei man bei den Objekten in Ghana.

Vorbild Kunstmuseum

Der potenzielle Aufwand ist immens, wie Thomas Pauli-Gabi zu bedenken gibt. «Allein die ethnografische Sammlung umfasst rund 65’000 Objekte. Angesichts dieser Masse an Artefakten wird die Erforschung der Provenienzen zu einer musealen Herkulesaufgabe, die nur mit substanzieller Unterstützung der öffentlichen Hand bewältigbar ist.» Weiterer Forschungsbedarf sei unbestritten. «Am dringlichsten wäre die Aufarbeitung der Provenienzen von Human Remains», sagt er. Denn in den Museumsdepots lagern auch menschliche Überreste. Schädel, Zähne, Knochen.

Die Provenienzforschung ist in den ethnografischen Sammlungen später aktuell geworden als in den Kunstmuseen. Gerade in Bern ist der Umgang mit Kunst von ungeklärter Herkunft seit der Übernahme des Gurlitt-Erbes ein grosses Thema. Für Pauli-Gabi gibt es «einige Unterschiede» zwischen der Aufarbeitung von Nazi-Raubkunst und Sammlungen aus kolonialen Kontexten. Einer ist, dass sich im Fall der afrikanischen Objekte die Namen der Opfer kaum herausfinden lassen. Dennoch ist für ihn das Kunstmuseum «mit seiner transparenten Kommunikation und proaktiven Haltung» ein Vorbild für die Schweizer Provenienzforschung.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts finden sich auf der Website des Museums: https://www.bhm.ch/de/provenienz/spuren-kolonialer-provenienz
(https://www.derbund.ch/spuren-europaeischer-arroganz-812547654196)