Medienspiegel 23. September 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++LUZERN
Gemeinderat von Meggen weist Einsprachen gegen Container-Dorf ab (ab 03:35)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/300-franken-oev-gutschein-fuer-jedes-kind-in-der-stadt-luzern?id=12258646
-> https://www.watson.ch/schweiz/z%C3%BCrich/644753848-velodemo-in-zuerich-sorgt-fuer-bus-und-tramausfaelle-in-der-innenstadt
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/meggen-baut-trotz-widerstand-containerdorf-fuer-fluechtlinge-148075728
-> https://www.20min.ch/story/die-umstrittene-containersiedlung-in-meggen-wird-nun-definitiv-gebaut-945062361018
-> https://www.zentralplus.ch/politik/meggen-temporaere-wohncontainersiedlung-kommt-2455935/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/meggen-einsprachen-gegen-containersiedlung-fuer-fluechtlinge-wurden-abgewiesen-der-baustart-erfolgt-am-freitag-ld.2347268


+++OBWALDEN
Beim Kaffee trifft sich Sarnen und die Welt
Deutschstunde für Fremdsprachige, Saftbar vom Jugendtreff und das Café International waren am Donnerstag auf dem Marktplatz Sarnen. Dort präsentierte sich die Fachstelle Gesellschaftsfragen Obwalden.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/obwalden/sarnen-beim-kaffee-trifft-sich-sarnen-und-die-welt-ld.2347623


+++SCHWEIZ
Zweiter Schweizer Beitrag, Rahmenkredit Migration: Bundesrat genehmigt die Umsetzungsabkommen mit Griechenland und Zypern
An seiner Sitzung vom 23. September hat der Bundesrat die Abkommen zur Umsetzung des Rahmenkredits Migration mit Griechenland und Zypern genehmigt. Diese Abkommen legen die Grundsätze und die thematische Ausrichtung der künftigen Migrationszusammenarbeit zwischen der Schweiz und diesen beiden EU-Staaten fest. Sie werden voraussichtlich noch vor Ende dieses Jahres unterzeichnet.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-90470.html
-> https://www.blick.ch/politik/200-millionen-franken-bis-2029-bundesrat-genehmigt-migrationsabkommen-mit-griechenland-und-zypern-id17903126.html



tagblatt.ch 23.09.2022

«Ein Pulverfass»: Die Zahl der illegal einreisenden Migranten an der St.Galler Grenze hat sich fast verdreifacht

Ostschweizer SVP-Nationalräte warnen vor einer neuen Migrationswelle und intervenieren bei Justizministerin Karin Keller-Sutter. Zoll und Polizei bestätigen: Die Zahl der illegalen Einreisen ist stark gestiegen, wobei die meisten Personen sogleich in andere Länder weiterreisen. Eine Rückübernahme nach Österreich wird in vielen Fällen gar nicht erst versucht.

Adrian Vögele aus Bern

Die Aufregung war gross: Im vergangenen November informierte der Kanton St.Gallen zusammen mit Zoll und Polizei über die schwierige Situation mit illegal einreisenden Migranten an den Grenzbahnhöfen Buchs und St.Margrethen. Es seien vor allem Männer aus Afghanistan, von denen praktisch keiner ein Asylgesuch in der Schweiz stelle, da die meisten sofort weiter wollten nach Frankreich oder Grossbritannien. Noch während die Schweizer Behörden die Abklärungen für eine Rückübernahme nach Österreich träfen, seien viele dieser Personen bereits wieder verschwunden.

Jetzt warnen Ostschweizer SVP-Bundesparlamentarier: Die Migrationswelle nehme massiv zu. «Wir sitzen auf einem Pulverfass», sagt Mike Egger. Falls Frankreich die Grenzen für diese Migranten schliesse, hätten die Schweiz und der Kanton St.Gallen ein grosses Problem, so Egger. Zusammen mit den Nationalratskollegen Lukas Reimann und David Zuberbühler trifft er sich daher nächste Woche zu einem Gespräch mit Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) und Zolldirektor Christian Bock. Die Rückführung der illegal eingereisten Personen nach Österreich funktioniere nur in Einzelfällen, so die SVP-Politiker. Wegen des grossen Andrangs bleibe den Behörden nur, diese Personen zu registrieren und sie dann weiterreisen zu lassen. Die Einsatzkräfte an der Grenze seien überlastet – der Bundesrat müsse Massnahmen treffen.

Starke Zunahme gegenüber dem Vorjahr

Tatsächlich sind die Zahlen deutlich gestiegen, wie die Kantonspolizei St.Gallen auf Anfrage bestätigt. Kommunikationschef Hanspeter Krüsi sagt: «Gegenwärtig sind die Zahlen sehr hoch. Zählten wir zu Beginn des Jahres etwa 300 illegal einreisende Migrantinnen und Migranten pro Woche, so sind es heute zwischen 700 und 900.»

Der grösste Teil kommt nach wie vor aus Afghanistan, weitere stammen aus den Maghrebstaaten, ein kleinerer Teil aus Indien. Laut Krüsi stellt die Polizei weiterhin fest, «dass die illegal einreisenden Migranten fast ausschliesslich die Schweiz als Transitland benützen und keine Absicht haben, hier dauerhaft zu bleiben.»

Die Polizei ist deswegen nicht überlastet, wie Krüsi betont. Beim Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) heisst es, die Arbeit an der Ostgrenze sei aufgrund der hohen Zahlen momentan «anspruchsvoll». Im ersten Halbjahr 2022 wurden laut BAZG schweizweit über 14’000 illegal eingereiste Personen aufgegriffen – mehr als doppelt so viele wie im ersten Halbjahr 2021.

Bei den Rückübernahmen klemmt es

Aktuell konzentriert sich die St.Galler Kantonspolizei bei den Kontrollen der Migranten auf Personen, die in polizeilichen Datenbanken ausgeschrieben sind. Diese würden in Zusammenarbeit mit dem Zoll «triagiert und polizeilich abgearbeitet».

Das bedeutet gleichzeitig: Die Behörden versuchen in der Regel gar nicht mehr, eine Rückübernahme der Ankömmlinge nach Österreich zu erwirken. Die meisten der erwähnten Migranten, die in den Kanton St.Gallen einreisen, haben in Österreich den Status von Asylsuchenden, wie Krüsi sagt. In diesen Fällen könne eine Rückübernahme nur nach dem Dublin-Abkommen über ein entsprechendes Rückübernahmegesuch des Schweizer Staatssekretariats für Migration (SEM) an die zuständige Behörde in Wien erfolgen.

Das haben die St.Galler Behörden zu Beginn des Jahres während einiger Monate versucht. Polizei, Zoll und Migrationsamt arbeiteten solche Gesuche aus. Krüsi sagt nun jedoch: «Leider mussten wir feststellen, dass unsere Gesuche vom SEM nicht an die zuständige Behörde in Wien weitergeleitet wurden.»

SEM: Die Verfahren dauern, die Migranten verschwinden

Darauf angesprochen, nimmt das Staatssekretariat für Migration ausführlich Stellung. Reto Kormann, stellvertretender Leiter des Stabsbereichs Information und Kommunikation, hält fest: «Die aktuelle Situation an der Schweizer Ostgrenze geniesst für das SEM höchste Priorität und es finden regelmässige Kontakte sowohl mit dem Kanton St.Gallen als auch dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) statt. Dabei sprechen wir uns auch bezüglich unserer Kontakte mit Österreich ab, wo ebenfalls ein enger Austausch stattfindet.»

Zur Frage der Rückübernahmen von Migranten nach Österreich schreibt Kormann, ein Dublin-Verfahren dauere – je nach Fallkonstellation – mehrere Wochen; die Fristen zur Beantwortung der Wiederaufnahmeersuchen seien festgelegt. Aber: «Die Erfahrung zeigt, dass die betroffenen Migranten am gleichen oder nächsten Tag untertauchen. Festhalten dürfen wir sie nicht.»

Die Dublin-Ersuchen seien nur dann sinnvoll, wenn die betroffene Person noch auffindbar sei. «Aus diesem Grund haben wir eine Zeit lang nicht jedes Ersuchen an Österreich weitergeleitet und die Situation zusammen mit dem Kanton St.Gallen analysiert.» Gemeinsam mit dem Kanton habe das SEM Lösungen gefunden, «damit wir uns gemeinsam auf die erfolgversprechenden Fälle konzentrieren können.» Seit Frühling seien vom Kanton St.Gallen keine Personen mehr für Dublin-Wiederaufnahmeersuchen gemeldet worden.

Kormann schreibt weiter, das Problem der Transitmigration sei ein europäisches Problem, welches primär auf europäischer Ebene gelöst werden müsse. Nationale Massnahmen seien nur beschränkt wirksam.

Keller-Sutter: Für Österreich haben Verhandlungen keine Priorität

Justizministerin Keller-Sutter sagte am Montag auf eine Anfrage von Esther Friedli (SVP/SG) im Nationalrat, man sei derzeit daran, mit Österreich zusätzliche Massnahmen zu besprechen, um die irreguläre Sekundärmigration besser bekämpfen zu können. «Die Anpassung des Rückübernahmeabkommens zwischen Österreich, dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweiz ist nach wie vor ein nicht erfülltes Anliegen der Schweiz.» Die Verhandlungen hätten für Österreich jedoch keine Priorität, weil das österreichische Migrationssystem aktuell überlastet sei und eine Anpassung des Schengener Grenzkodex bevorstehe – letztere werde wohl im kommenden Jahr verabschiedet.

Die Schweiz beteiligt sich laut Keller-Sutter auch an einer gemeinsamen Intervention gleichgesinnter EU-Staaten gegenüber der EU-Kommission, «damit diese Einfluss auf Serbien nimmt, dessen Visapolitik ein wichtiges Element des Problems darstellt.» Im selben Zusammenhang reiste Keller-Sutter diese Woche nach Sarajevo an eine Konferenz der Staaten des Westbalkans.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/migration-ein-pulverfass-die-zahl-der-illegal-einreisenden-migranten-an-der-stgaller-grenze-hat-sich-fast-verdreifacht-ld.2346805)



derbund.ch 23.09.2022

Mobilmachung für Ukraine-Krieg: Erhalten russische Dienst­ver­weigerer in der Schweiz Asyl?

Flüchten sie vor Putins Teilmobilisierung, drohen ihnen zehn Jahre Gefängnis. Doch für Deserteure und Verweigerer aus Russland ist die Schweiz kein attraktives Fluchtziel.

Alexandra Aregger, Anielle Peterhans

Eigentlich überrascht Polina Sommer nichts mehr. Und doch sitzt sie am Mittwochmorgen zitternd vor dem Fernseher, als Putin seine Ansprache beginnt. Er verkündet, was die Russin bereits vermutete: die Teilmobilmachung russischer Soldaten.

«Es fühlte sich an wie am 24. Februar, als der Krieg in der Ukraine begann», sagt Polina, die in Zürich lebt. Verzweiflung, Angst und Wut überkommen die 39-Jährige. Anschliessend mobilisiert sie selber. Sommer ist Mitglied des Vereins «Russland der Zukunft – Schweiz», der noch für denselben Abend eine spontane Demonstration in Zürich organisiert.

Auch in Russland demonstrierten am Mittwoch Tausende. Sie riefen «Nein zum Krieg!», forderten ein «Russland ohne Putin». Über tausend Demonstrierende wurden verhaftet, während die russischen Behörden bereits mit der Rekrutierung begannen. Auch jenen, die still und leise aus dem Land fliehen wollen, drohen happige Strafen. Entzieht sich ein Russe dem Wehrdienst, riskiert er bis zu zehn Jahre Haft.

Das nehmen viele Russen in Kauf: Berichte und Aufnahmen in den sozialen Medien zeigten lange Schlangen an den Grenzen und ausgebuchte Flüge – sie alle wollen raus aus Russland, weg von Präsident Wladimir Putin, weg vom Krieg.

Wollen Russen auch in die Schweiz?

Teures Schengen-Land

Dass viele Wehrdienstverweigerer und Deserteure nun versuchen, in die Schweiz zu kommen, glaubt Polina Sommer nicht. Zu streng seien die Einreisebestimmungen.

Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen, sieht das ähnlich. «Für die Einreise in die Schweiz braucht es ein Schengen-Visum, ausserdem ist der Aufenthalt hier teuer.» Es kämen wohl vor allem Russen, die bereits jemanden in der Schweiz kennten. Typische Ziele seien eher Georgien, Armenien und die Türkei, wo die Russen visumsfrei einreisen könnten.

Doch auch das stehe nicht allen offen, erklärt Schmid. «Nur 25 Prozent der Russen besitzen einen Pass und können reisen. Auch längst nicht alle Russen haben die finanziellen Mittel, einfach auszureisen.»

Hilferufe aus Russland

Die 58-jährige Anwältin Natalia Lechbinskaya aus Zürich hört täglich von diesen aussichtslosen Situationen. Sie ist Gründerin von Seep.ch, einer Rechtshilfe-Plattform für Geflüchtete, und Geschäftsinhaberin einer Rechtsberatung. Sie selbst flüchtete vor vierzehn Jahren aus Russland in die Schweiz. Heute berät Lechbinskaya Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Ukrainerinnen seit Kriegsausbruch kostenlos.

Seit zwei Tagen suchen immer mehr Männer aus Russland ihre juristische Unterstützung. «Sie sind gegen den Krieg und haben Angst vor Repression. Viele merken erst jetzt, dass sie die letzten drei Jahre der Propaganda voll ausgesetzt waren.»

Lechbinskaya kann ihnen nur sagen, dass eine Einreise in das Schengen-Land Schweiz schwierig sei. Dass sie höchstens den Flüchtlingsstatus F bekommen. Und die Prozesse sehr lange dauern. «Russinnen und Russen aber brauchen sofort Hilfe.»

Auch politisch wird schnelle Hilfe für die russischen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure gefordert. Die SP-Nationalrätin Céline Widmer forderte noch am Mittwoch vom Bundesrat , das 2013 abgeschaffte Botschaftsasyl wieder einzuführen. Damit können Verfolgte auf einer Schweizer Botschaft im Ausland um Asyl anfragen.

«Es wäre die einfachste Möglichkeit, vor Ort einen Asylantrag für die Schweiz zu stellen», sagt Widmer. «Die Schweiz muss regimekritische Russinnen und Russen unterstützen. Je mehr wir ihnen helfen, desto mehr helfen wir dabei, diesen Krieg zu beenden.»

Unterstützung erhält die SP-Frau von Miriam Behrens, Direktorin der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. «Russische Wehrdienstverweigerer und Deserteure müssen Zugang zu Schutz haben. Das heisst Zugang zum Asylverfahren, damit ihre Gefährdung im Einzelfall geprüft werden kann.»

Keine Zunahme von Asylanträgen

Gemäss dem Staatssekretariat für Migration (SEM) reicht jedoch das Verweigern des Wehrdienstes oder die Desertion allein nicht, um als Flüchtling anerkannt zu werden. Ein Russe müsste zusätzliche Gründe für die Flucht vorbringen können. Sprecher Lukas Rieder sagt, das SEM «beobachtet die Situation der russischen Deserteure und Wehrdienstverweigerer aufmerksam».

Bislang gibt es gemäss Rieder keine Anzeichen dafür, dass die Zahl der Asylanträge wegen der Teilmobilmachung drastisch stiege. Auch über den Sommer blieb die Zahl der Asylgesuche von russischen Staatsangehörigen konstant. Im August waren es 18, im Juli 11, im Juni 23.

Polina Sommer beobachtet gleichzeitig eine gewisse Konsternation: «Viele haben sich mit der Situation abgefunden und glauben nicht mehr daran, Putins Krieg entfliehen zu können. Das gehört ein Stück weit zur Mentalität der Russinnen und Russen: Wir sind es gewohnt, zu leiden.»

Sommer hingegen organisiert bereits die nächste Demonstration, die am Freitagabend Gegnerinnen und Gegner des Krieges in Zürich auf die Strasse bringen soll.
(https://www.derbund.ch/erhalten-russische-dienstverweigerer-in-der-schweiz-asyl-318264387444)
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/ch-asyl-fuer-russische-kriegsdienstverweigerer?partId=12259078



aargauerzeitung.ch 23.09.2022

«Wir können nicht ewig weitermachen wie bisher» – Kritik am Schutzstatus S für Menschen aus der Ukraine

Der Ukraine-Krieg hat in der Schweiz eine grosse Solidarität ausgelöst. Dank des Schutzstatus S können Ukrainerinnen und Ukrainer unbürokratisch aufgenommen werden. Doch nun regt sich Kritik – nicht nur von der SVP.

Maja Briner

Den Anfang machte SVP-Nationalrätin Martina Bircher. Menschen aus der Ukraine hätten Anrecht auf Schutz, sagte sie im Mai der «SonntagsZeitung», um gleich einzuschränken: «Wir können aber nicht ewig weitermachen wie bisher.» Sie schlug vor, den Schutzstatus S auf die Ostukraine zu beschränken. Das würde bedeuten, dass nur noch Menschen aus dieser Gegend rasch und unbürokratisch aufgenommen würden; alle anderen müssten das reguläre Asylverfahren durchlaufen.

Die SVP trug die Forderung auch ins Parlament. Diese Woche wurde sie in beiden Räten beraten – und das Verdikt fiel deutlich aus: Ausserhalb der SVP fanden die Vorstösse keine Unterstützung. In der Debatte verwies SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi jedoch auf den Schweizerischen Gemeindeverband: Auch dieser fordere eine Beschränkung des Status S.

Tatsächlich hat der Gemeindeverband kürzlich eine Stellungnahme zum Thema verfasst. Darin regt er an, die Vergabe des Schutzstatus S auf Personen zu beschränken, «die unmittelbar an Leib und Leben bedroht sind». Zu prüfen sei zudem die Einführung von festen Kontingenten sowie regionale Einschränkungen auf besonders gefährdete Regionen innerhalb der Ukraine, heisst es im Papier. Dieses wurde verfasst zuhanden der vom Bund eingesetzten Arbeitsgruppe, die den Status S evaluiert.

«Das sorgt für Unmut»

Will der Gemeindeverband also den Schutzstatus S beschränken? Direktor Christoph Niederberger relativiert ein Stück weit: «Wir fordern, diese Optionen zu prüfen», sagt er. «Unsere Stellungnahme ist ein Beitrag zur politischen Diskussion.» Der Gemeindeverband wird von SVP-Ständerat Hannes Germann präsidiert, im Vorstand sitzen indes Gemeindevertreter verschiedener Parteien.

Klar ist für den Gemeindeverband: Es braucht Anpassungen beim Status S. Das Kernproblem ist aus seiner Sicht, dass dieser nicht ins reguläre Asylsystem passt und die Geflüchteten ungleich behandelt werden: Ukrainerinnen und Ukrainer erhalten rasch und unbürokratisch Schutz in der Schweiz, während Asylbewerber aus anderen Ländern ein individuelles, monatelanges Asylverfahren durchlaufen. Hinzu kommen ungleiche Rechte: Personen mit Status S dürfen beispielsweise in ihr Heimatland reisen; auch sind sie beim Familiennachzug besser gestellt als vorläufig Aufgenommene.

«Das sorgt für Unmut», sagt der Direktor des Gemeindeverbands. «Diese Ungerechtigkeiten muss man mittel- bis langfristig abschaffen.» Sonst drohe die Akzeptanz in der Bevölkerung, bei den Behörden und den direkt Betroffenen verloren zu gehen.

«Aus unserer Sicht müsste man einige Dinge relativ schnell anpassen», sagt Niederberger. Er denkt dabei etwa an Verschärfungen beim Familiennachzug sowie die Verlängerung der Integrationspauschalen. «Der Bund ist hier zu passiv», sagt er. In einem zweiten Schritt gilt es nach Ansicht des Gemeindeverbands, das System grundsätzlich zu hinterfragen.

Ärger über Verteilung der Aufgaben

Denn Unmut ist auch zu spüren, was die Aufgabenteilung zwischen den drei Staatsebenen betrifft. Die Vorteile des Schutzstatus S lägen «vor allem aufseiten des Bundes», schreibt der Gemeindeverband. Das liegt unter anderem daran, dass Personen mit Schutzstatus S – anders als Asylsuchende – nur wenige Tage in den Bundesasylzentren verbringen. Kantonen und Gemeinden bleibt dadurch wenig Vorlaufzeit.

Eine Möglichkeit sieht der Gemeindeverband deshalb auch darin, Kontingente für vulnerable Personen – beispielsweise Waisenkinder oder Kriegsversehrte – einzuführen. «Es geht darum, dass die Behörden sich besser vorbereiten können – und die Menschen dadurch besser betreut werden», sagt Niederberger.

Was geschieht im Winter?

Der Bundesrat sprach sich bisher klar dagegen aus, den Schutzstatus auf bestimmte Regionen der Ukraine zu beschränken. Die Lage sei volatil und es gebe immer wieder gezielte Raketenangriffe auf zivile Ziele im gesamten ukrainischen Gebiet, sagte Bundesrätin Karin Keller-Sutter diese Woche im Nationalrat. Zudem würde sich die Schweiz damit über das europaweit koordinierte Vorgehen hinwegsetzen.

    Freitag, 23. September – die aktuellen #UkraineInfoCH-Zahlen:
    – 66’136 Status-S-Anträge
    – 64’139 Personen haben den Status S erhalten
    – Bei 3’249 Personen wurde der Status S beendet, bei 1’199 ist die Beendigung in Prüfunghttps://t.co/kN6j6s3Ezi pic.twitter.com/2RQ52vNGFG
    — SEM (@SEMIGRATION) September 23, 2022

Bisher haben in der Schweiz gut 66’000 Personen aus der Ukraine den Status S beantragt. Das Staatssekretariat für Migration rechnet für das ganze Jahr im wahrscheinlichsten Szenario mit 80’000 und 85’000. Allerdings könnten es auch mehr sein – laut Behörde bis zu 120’000 – falls es an Strom mangelt und Heizungen kalt blieben. Käme es zu diesem Szenario und konzentrierte sich der Krieg auf den Osten der Ukraine, gewänne die Diskussion um den Schutzstatus S an zusätzlicher Brisanz. Denn dann ginge es – zugespitzt formuliert – um die Frage, warum ein aufgrund der Energiekrise geflüchteter Ukrainer anders behandelt würde als jemand, der wegen einer Hungersnot aus einem anderen Land flieht.
(https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/ukrainekrieg-sollen-noch-alle-ukrainerinnen-und-ukrainer-schutz-erhalten-gemeindeverband-fordert-anpassungen-beim-status-s-ld.2347922)


+++DEUTSCHLAND
Das war rechtswidrig! EuGH entscheidet zur Aussetzung der Dublin-Überstellungsfrist
Als zu Beginn der Pandemie keine Rückführungen in andere EU-Länder stattfinden konnten, ersann das BAMF einen Trick. Indem sie die sechsmonatige Überstellungsfrist aussetzten, wollten sie sich später Zeit für die Abschiebung erkaufen. Doch das war europarechtswidrig, wie der EuGH nun am 22.9 in einem von PRO ASYL unterstützten Verfahren entschied.
https://www.proasyl.de/news/das-war-rechtswidrig-eugh-entscheidet-zur-aussetzung-der-dublin-ueberstellungsfrist/


+++ITALIEN
Sea-Watch 3 blockiert – Italien ignoriert EuGH-Urteil
Reggio Calabria: Nach der Rettung von 428 Personen aus Seenot blockierten die italienischen Behörden am Mittwochabend, den 21. September 2022, die Sea-Watch 3. Erst Anfang August erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) jene willkürlichen Hafenstaatkontrollen für unzulässig. Um Seenotrettung zu behindern, fokussieren sich die italienischen Behörden in ihrer Begründung erneut auf die Anzahl der geretteten Menschen und ignorieren das EuGH Urteil.
https://sea-watch.org/sea-watch-3-blockade


+++MITTELMEER
Flucht aus dem Libanon Viele Tote bei Bootsunglück vor syrischer Küste
Behörden in Syrien haben mehrere Schutzsuchende aus dem östlichen Mittelmeer gerettet. Diese hatten versucht, vom Libanon aus in die EU zu gelangen. Für 34 Menschen kam jedoch jede Hilfe zu spät.
https://www.spiegel.de/ausland/mittelmeer-mindestens-34-tote-bei-untergang-von-fluechtlingsboot-vor-der-kueste-syriens-a-974d3426-399b-4b85-9cf2-46225b8889cb
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-09/syrien-gefluechtete-bootsunglueck-libanon-tote
-> https://taz.de/Vor-der-syrischen-Kueste/!5883452/


+++GASSE
Kritik und Sorgen rund um geplante Notschlafstelle in Olten
Nach jahrelanger Suche hat der private Verein, der in Olten eine Notschlafstelle einrichten möchte, ein Haus dafür gefunden. Doch der Standort mitten in einem gehobenen Wohnquartier passt längst nicht allen. Im Stadtparlament gab es darum Kritik, doch der Standort wurde auch verteidigt.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/kritik-und-sorgen-rund-um-geplante-notschlafstelle-in-olten?id=12258643


Unklare Ziele, wenig Realismus, viel Aufwand: Luzerner Bettel-Bewilligung erhält wenig Applaus
Der Kanton Luzern muss sein Bettelverbot kippen. Seine Idee: eine Bewilligungspflicht. Die Stadt ist klar dagegen, und bei der Gassenarbeit zeigt man sich auch nicht beeindruckt.
https://www.zentralplus.ch/politik/keine-begeisterung-fuer-luzerner-bettel-bewilligung-2455441/



bzbasel.ch 23.09.2022

Genug Essen, zu wenig Medizin: So beurteilen Obdachlose die Situation in Basel

Eine Studie hat die Obdachlosen-Szene in der Schweiz untersucht. Basel ist Spitzenreiter und Schlusslicht zugleich.

Rafael Hunziker

In Basel sei die medizinische Versorgung für Obdachlose schweizweit am schlechtesten. Zu diesem Schluss kommt die Studie «Ausmass, Profil und Erklärungen der Obdachlosigkeit in acht der grössten Städte der Schweiz» der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Insgesamt konnten 543 Personen befragt werden, die als obdachlos eingestuft wurden. «Von Obdachlosigkeit wird gesprochen, wenn Menschen auf der Strasse, auf öffentlichen Plätzen oder in jenen Notschlafstellen übernachten, die im Regelfall keinen Tagesaufenthalt anbieten», definiert die Studie der FHNW.

Die Einschätzungen stammen von den befragten Personen selbst. Knapp 40 Prozent der Interviewten in Basel gaben an, dass es kein Angebot für medizinische Versorgung gebe, falls sie dieses bräuchten. In keiner Stadt ist dieser Wert höher. Besser ist es in Zürich und Bern. Dort sind es jeweils nur um die zehn Prozent, welche die Lage gleich beurteilten.

Zürich als Vorbild

Ein Grund für den Unterschied zwischen den Städten ist das Angebot. In Zürich gibt es die sogenannten «medizinisch-sozialen Ambulatorien». Diese bieten einen niederschwelligen Zugang für eine umfassende Versorgung. Es gibt eine allgemeinmedizinische, eine gynäkologische und eine zahnärztliche Sprechstunde. Das Angebot richtet sich an Menschen in «schwierigen Lebenssituationen», steht auf der Homepage.

In Basel fehlt diese Möglichkeit. Dem Gesundheitsdepartement Basel-Stadt (GD) sei kein medizinisches Angebot spezifisch für Obdachlose bekannt. «Obdachlose können die üblichen Strukturen der Regelversorgung in Anspruch nehmen», sagt Anna Lüthi, Sprecherin des GD. Einzig im Bereich der Zahnmedizin gebe es ein Angebot, welches das Universitäre Zentrum für Zahnmedizin zusammen mit der Christoph Merian Stiftung und dem Schwarzen Peter aufgezogen habe. Schwarzer Peter ist der Verein für Gassenarbeit in Basel.

Die Sozialhilfe Basel-Stadt sieht ein Problem bei Menschen die nicht in Basel angemeldet sind. Bei diesen werden die Kosten nur im Notfall im Rahmen der Nothilfe übernommen. Für medizinische Behandlungen, die aufgeschoben werden könnten, gibt es keine Kostenübernahme. Die Sozialhilfe biete ihren Klientinnen und Klienten eine Beratung an für den Besuch von medizinischen Institutionen, sagt Ruedi Illes, Amtsleiter der Sozialhilfe Basel-Stadt.

Ein überforderter Notfall

«In Basel gibt es nichts vergleichbares wie in Zürich», sagt Michel Steiner, Gassenarbeiter und Co-Geschäftsleiter des Schwarzen Peters. Die meisten Obdachlosen würden die Notfallstationen der Basler Spitäler aufsuchen, wenn sie ein medizinisches Anliegen haben. Vom Notfall höre man allerdings nicht nur gutes, sagt Steiner. Wenn man prekär aussieht, sei man nicht immer willkommen. Das Personal müsste besser geschult werden bezüglich Obdachlosen.

Noch schwieriger sei die Situation bei psychischen Erkrankungen. Die Hemmschwelle, sich bei der Regelversorgung zu melden sei, wie bei allen Menschen, noch höher als bei körperlichen Beschwerden. Bei Obdachlosen sei die Problematik grösser, weil bereits eine Scham für den eigenen Lebensstil bestehe. «Bei niederschwelligen Angeboten für psychische Erkrankungen sind andere Städte besser aufgestellt als Basel in der Schweiz», sagt Steiner. Der Schwarze Peter plane ein Projekt, um dieses Problem anzugehen, sagt Steiner.

Obdachlose loben das gute Essen

Besser als bei der medizinischen Versorgung schneidet Basel bei der Verpflegung ab. 91 Prozent der Befragten gaben an, dass sie zufrieden sind mit dem Essensangebot in Basel. Das ist der Spitzenwert. «Wir erleben grosse Zufriedenheit und Dankbarkeit», sagt Paul Rubin, Leiter des Tageshauses für Obdachlose der Stiftung Sucht. Das Angebot im Grossbasel verteile zwischen 30 und 35 Mittagessen am Tag an armutsbetroffene Menschen. Am Samstag sei der Andrang grösser als unter der Woche, da das Essen gratis sei und die Gassenküche geschlossen sei.

Langjährig betroffene Menschen erzählten Rubin, dass Basel der beste Ort sei um sich in einer schwierigen Situation zu ernähren. Die wissenschaftlichen Befunde bestätigen sich in der Praxis. Unzufriedenheit gebe es, wie bei allen Menschen, wenn jemand etwas auf dem Speiseplan nicht so gerne mögen würde, sagt Rubin.

Die Studie untersuchte auch andere Faktoren wie die Verbundenheit mit der Stadt, die Einstellung zum Wohnungsmarkt oder soziodemografische Faktoren. Für Basel gibt es in diesen Kategorien keine Auffälligkeiten. Befragt wurden Menschen in Basel, St. Gallen, Lausanne, Bern, Zürich, Genf, Luzern und Lugano.
(https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/armut-genug-essen-zu-wenig-medizin-so-beurteilen-obdachlose-die-situation-in-basel-ld.2346924)


+++DROGENPOLITIK
Basler Pilotprojekt – Bio-Richtlinie verhindert legalen Cannabis-Verkauf
Weil die bestellten Hanfpflanzen kleinste Pestizidspuren aufwiesen, griffen die Behörden ein. Wird das Bio-Label zum grossen Stolperstein eines legalen Cannabisanbaus?
https://www.srf.ch/news/schweiz/basler-pilotprojekt-bio-richtlinie-verhindert-legalen-cannabis-verkauf


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Globaler Klimastreik: Gegen 2000 Personen demonstrierten in Bern
Weltweit gingen am Freitag Anhängerinnen und Anhänger der Klimabewegung auf die Strasse. Auch in Bern demonstrierten rund 2’000 Personen.
https://www.derbund.ch/mehrere-hundert-demonstrierende-ziehen-durch-bern-930249453657


Klimademo in mehreren Schweizer Städten
Am 23. September wird weltweit gegen die Klimazerstörung demonstriert. Auch in Baden, Basel, Bern, Luzern, St. Gallen, Winterthur und Zürich gehen die Menschen am Freitag auf die Strasse.
https://www.20min.ch/story/klimademo-in-mehreren-schweizer-staedten-298630571346
-> https://twitter.com/dan_faulhaber
-> https://twitter.com/klimastreik
-> https://telebasel.ch/2022/09/23/mehrere-tausend-menschen-gehen-erneut-fuer-das-klima-auf-die-strasse/?channel=105105
-> https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2022-09-23 (ab 09:52)
-> https://telebasel.ch/telebasel-news/?channel=15881 (ab 02:35)
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/mehrere-tausend-menschen-gehen-erneut-fuer-das-klima-auf-die-strasse-1-00194563/
-> https://www.derbund.ch/zehntausende-beim-klimastreik-auf-der-strasse-221216090821
https://www.20min.ch/story/klimademo-in-mehreren-schweizer-staedten-298630571346
-> https://www.zentralplus.ch/regionales-leben/klimastreik-demonstriert-mit-warnfarben-in-luzern-2456683/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/stadt-luzern-demonstrantinnen-und-demonstranten-fordern-rasche-klima-massnahmen-ld.2348022
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/baden/baden-demonstration-fuer-mehr-klimaschutz-wir-muessen-dringend-erneuerbare-energien-foerdern-ld.2348258
-> https://www.flickr.com/photos/climatestrike/


Zürich: Bezirksrichter spricht Klima-Aktivisten frei – Schweiz Aktuell
In Zürich will ein Bezirksrichter künftig friedlich demonstrierende Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten freisprechen. Diese Aussage sorgt für rote Köpfe und offene Fragen.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/zuerich-bezirksrichter-spricht-klima-aktivisten-frei?urn=urn:srf:video:e2672855-0f6c-494e-964f-c14507b9f99b



bernerzeitung.ch 23.09.2022

Klimaaktivist vor Gericht: Prozess zieht sich in die Länge

Das Gericht hat das Urteil gegen einen Klimaaktivisten verschoben. Weil die Polizeiprotokolle Fragen aufwerfen, braucht es weitere Abklärungen.

Michael Bucher

Hat sich ein Klimaaktivist den Weisungen der Polizei widersetzt und deren Arbeit erschwert? Diese Frage hätte das Regionalgericht Bern-Mittelland eigentlich bereits diese Woche beantworten wollen. Doch nun verzögert sich die Urteilsverkündung auf nächste oder übernächste Woche.

Der 26-Jährige steht seit Dienstag vor Gericht, weil er sich gegen einen Strafbefehl gewehrt hat. Konkret geht es um die aufsehenerregende Protestaktion vor zwei Jahren, als die Klimabewegung den Bundesplatz besetzte. Bei der Auflösung des unbewilligten Protestcamps verteilte die Kantonspolizei Bern insgesamt 185 Anzeigen.

Der Grund für die Verzögerung beim Prozess sind offene Fragen bei den Festnahmeprotokollen der Polizei. Erst war es das Gericht, das von der Polizei zusätzliche Abklärungen verlangte. Doch die neuen Dokumente warfen beim Verteidiger Martin Gärtl eher noch mehr Fragen auf.

So mussten die am Einsatz beteiligten Polizisten offenbar zwei Wochen nach der Räumung noch einen zusätzlichen Fragebogen zu ihren durchgeführten Personenkontrollen ausfüllen. Diese Details seien wichtig für das Einreichen von Anzeigen, hiess es in einem internen Mail, das vor Gericht zitiert wurde.

Derjenige Polizist, der den Beschuldigten kontrolliert hatte, wurde deshalb von Gerichtspräsident Urs Herren ein zweites Mal zur Einvernahme aufgeboten. Weil nicht genau ersichtlich ist, ob der Fragebogen tatsächlich von besagtem Polizisten ausgefüllt worden war, verlangte der Verteidiger Einblick in weitere Protokolle – etwa in sogenannte Anhaltekarten, welche Polizisten direkt nach einer Personenkontrolle ausfüllen müssen.

Der Anwalt des Klimaaktivisten fordert einen Freispruch. Sein Mandant sei zwar in besagter Nacht auf dem Bundesplatz gewesen, doch habe er sich nicht mit anderen verhakt, um die Räumung zu erschweren. Es handelt sich um den ersten Prozess gegen einen Teilnehmer des Klimacamps. Insgesamt haben sich 14 Personen gegen ihren Strafbefehl gewehrt.
(https://www.bernerzeitung.ch/prozess-zieht-sich-in-die-laenge-939169183097)



tagesanzeiger.ch 23.09.2022

Demonstration in Zürich – «Unser Haus brennt»: Klimademo zog durch Zürich

Einige Tausend Menschen gingen am Freitagabend in Zürich auf die Strasse. Sie forderten einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien.

Martin Huber

«Ufe mit em Klimaziel, abe mit em CO₂!» und «System Change, not Climate Change!» skandierten die Demonstrantinnen und Demonstranten, die am Freitagabend vom Bürkliplatz her über das Limmatquai, die Rudolf-Brun-Brücke, die Uraniastrasse zum Helvetiaplatz im Kreis 4 zogen.

Mit landesweiten Protesten machte die Klimabewegung auf ihre Anliegen aufmerksam, nachdem es im Zuge von Pandemie, Ukraine-Krieg und Energiekrise ruhiger um sie geworden war. An der Demonstration in Zürich nahmen nach Schätzungen der Veranstalter rund 5000 Personen teil, was diese als Erfolg werteten, wie sie am Abend in einem Communiqué mitteilten.

Während der Demonstration kam es in der Innenstadt vorübergehend zu Staus und Unterbrüchen im Tramverkehr.

«Gopfriedstutz – Klimaschutz!»

«Unser Haus brennt» war auf Transparenten zu lesen, die Demonstrierende im Umzug in die Höhe hielten. Oder: «Es gibt keinen Planeten B», und: «Die Dinos dachten auch, sie hätten Zeit.» Kinder schwenkten selbst gemalte Transparente: «Gopfriedstutz – Klimaschutz!» war darauf zu lesen.

«Die bisherigen Massnahmen reichen doch bei weitem nicht, um den Klimawandel zu stoppen», sagte eine Demoteilnehmerin, eine 43-jährige Sozialarbeiterin aus Zürich. Dabei sei der Klimawandel eine weit grössere Gefahr, als den meisten Menschen in der Schweiz bewusst sei. Nur sei diese Gefahr für viele offenbar noch zu wenig greifbar, weil sie sie noch nicht am eigenen Leib spürten.

Einem 31-jährigen Lehrer aus Bern ist wichtig, dass sich die Klimabewegung «wieder mehr Gehör verschafft», wie er sagte. Solche Demonstrationen brauche es, «damit die Politik den Klimaschutz in den Vordergrund stellt und nicht nur die Wirtschaft».

«Es geht um eine Systemänderung», meinte eine 33-jährige Lehrerin aus Bremen, die gerade in Zürich in den Ferien weilt und spontan an der Demonstration teilnahm, wie sie sagte. Es stimme schon, was auf den Transparenten stehe: «In Deutschland brennt der Wald, Pakistan geht unter, und die Politik schweigt.» Eine 40-jährige Demoteilnehmerin aus Zollikon sagte nur: «Es muss jetzt etwas gehen beim Klimaschutz.»

Gegen Gas- und Ölkraftwerke

Zur Demonstration aufgerufen hatte die Bewegung Klimastreik Zürich. Ihre zentrale Forderung: ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Klimakrise sei eine echte Bedrohung und sie müsse sofort und konsequent bekämpft werden, schrieb der Klimastreik im Communiqué. Fossile Infrastruktur trotzdem weiter auszubauen, sei «absolut unhaltbar».

Deshalb gehe es nicht an, dass der Bundesrat wegen der drohenden Energiekrise mehrere Gas- und Ölreservekraftwerke in der Schweiz plane und so die klimazerstörenden fossilen Brennstoffe weiterhin fördere.

«Wir werden uns dem Bau von Gas- und Ölkraftwerken in der Schweiz entgegenstellen», kündigt Klimastreik-Aktivist Cyrill Hermann an. Denn: «Am Ende sind es wir, die die Konsequenzen dieser kurzsichtigen Politik tragen müssen.»

«Milliarden für die Axpo – und wir sollen zusammen duschen?»

Kritik übt der Klimastreik auch an der Finanzhilfe für den Energiekonzern Axpo. Während dem Unternehmen «Milliarden ohne jegliche Klimaschutzauflagen» zugesteckt würden, litten viele Menschen unter der momentanen Teuerung von Lebensmitteln und steigenden Strompreisen.

«Milliarden für die Axpo – und wir sollen zusammen duschen?», fragt die Aktivistin Anna Lindermeier. Es könne nicht sein, dass die von «fossilen Konzernriesen» verursachte Energiekrise nun von der Bevölkerung ausgebadet werden müsse. Sie fordert eine «soziale Krisenpolitik», die Krisenprofiteure angemessen besteuert und die Kontrolle über die Energieversorgung demokratischer regelt.
(https://www.tagesanzeiger.ch/unser-haus-brennt-klimademo-zog-durch-zuerich-839487675362)


+++MENSCHENRECHTE
Der Bundesrat verabschiedet den vierten Bericht zur Umsetzung der Menschenrechte in der Schweiz
An seiner Sitzung vom 23. September 2022 hat der Bundesrat den vierten Staatenbericht der Schweiz zur allgemeinen regelmässigen Überprüfung (UPR) verabschiedet, der im Oktober 2022 dem UNO-Menschenrechtsrat vorgelegt werden soll. Die UPR ist ein wichtiger internationaler Mechanismus der UNO zum Monitoring der Menschenrechtslage in der Welt.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-90474.html


Durchzogene Menschenrechtsbilanz: Bundesrat blendet Probleme aus
Die Menschenrechtsbilanz der Schweiz wird durch kritische Punkte getrübt. Die heute vom Bundesrat veröffentlichte Bestandsaufnahme der Menschenrechte in der Schweiz verkennt Mängel beim Diskriminierungsschutz oder der Rechenschaftspflicht für Unternehmen. Parallel zum Bericht des Bundesrates hat die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz ihren Bericht zur Allgemeinen Periodischen Überprüfung der Schweiz durch den UNO-Menschenrechtsrat (UPR) veröffentlicht.
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/schweiz/dok/2022/ngo-parallelbericht-upr
-> https://www.humanrights.ch/de/stellungnahmen/upr-menschenrechtsbilanz-schweiz-bundesrat


+++KNAST
tagesanzeiger.ch 23.09.2022

Gesellschaftliches Spannungsfeld: Was geschieht in Basel mit psychisch kranken Straftätern?

Vor 25 Jahren wurde in Basel die Klinik für Forensik der UPK gegründet. Ihr Ziel: das Rückfallrisiko von Straffälligen mit psychischen Störungen vermindern. Das lief nicht immer ganz reibungslos ab.

Dina Sambar

Wie geht man mit Straftätern und Straftäterinnen um, die schwerste psychische Störungen haben? Bis vor 25 Jahren behandelte man sie auch in Basel mit allen anderen Patienten auf den allgemeinpsychiatrischen Abteilungen – auch solche, die ein Tötungsdelikt begangen hatten: «Man ging davon aus, dass die psychisch kranken Straftäter nicht mehr straffällig werden, wenn man die psychische Krankheit behandelt», sagt Marc Graf, Direktor der Klinik für Forensik der UPK Basel. Das treffe aber nicht immer zu: «Bei Sexualstraftätern beispielsweise ist eine psychische Störung nur ein Teilaspekt.»

Leider waren es auch zwei tragische und schwere Zwischenfälle, die der Professionalisierung der forensischen Psychiatrie in der Schweiz einen Schub verliehen. Der Mord am Zollikerberg 1993, bei dem ein zehnfach vorbestrafter Vergewaltiger und Mörder eine 20-jährige Frau tötete. Und der Bremgarten-Mord 1994, bei dem ein vorbestrafter Mann mit schwerer Persönlichkeitsstörung aus Rache ein ihm unbekanntes 16-jähriges Mädchen erschoss. «In beiden Fällen gab es im Vorfeld schwere Mängel», sagt Volker Dittmann, 2013 emeritierter Professor und Gründervater der Klinik für Forensik.

Was die angebotenen Therapien anbelangte, herrschte Wildwuchs, und die Erfolgsquote war laut ausländischen Studien «ernüchternd», wie Dittmann am Symposium zum 25-Jahr-Jubiläum der Klinik erzählt. Es gab sogar Straftäter, die nach der Therapie schlimmer waren als zuvor – beispielsweise Psychopathen, die das in der Therapie Erlernte für ihre Straftaten nutzen konnten. «Mit einem intelligenten, gut sozialisierten Sexualstraftäter kann man beispielsweise sehr gut eine Psychotherapie durchführen. Einen Straftäter mit geistiger Behinderung erreicht man mit dieser Art der Therapie nicht. Dort muss man eventuell besser medikamentös vorgehen», sagt Marc Graf.

Vor 25 Jahren wurde dann die erste geschlossene Abteilung für straffällige psychisch kranke Menschen eröffnet. Im Zentrum der Therapie stand nun die Verminderung des Rückfallrisikos.

Mangelnde Sicherheit

Doch auch auf der neuen Abteilung war noch nicht alles gut. Es gab massive Personalwechsel, weil dieses kaum für die spezielle Aufgabe geschult und überfordert war. Und die einzige zusätzliche Sicherheitsmassnahme war eine Schleusentür. Frank Becker, ehemaliger Leiter Pflege, erinnert sich, wie ein Patient den gesamten Holzrahmen seines Zimmerfensters löste und sich in der Nacht mit zusammengeknoteten Bettlaken abseilte. Oder wie ein Klinikmitarbeiter aus Versehen seinen Schlüssel stecken liess. Ein absolutes Worst-Case-Szenario. Nun bestand die Gefahr, dass gleich mehrere Patienten flüchten. Doch nur der Schlüsseldieb türmte. Er, der Fensterflieher und der Schlüssel wurden zum Glück wiedergefunden.

Ein Vorfall, der in Basel für grosses Aufsehen sorgte, ereignete sich vor zehn Jahren. Zwar war die Klinik für Forensik zu jenem Zeitpunkt schon eingezäunt, trotzdem konnte ein Patient fliehen und tötete bei einer Fluchtfahrt auf der Mittleren Brücke eine Passantin und verletzte sieben Menschen teilweise schwer.

Heute ist die Klinik für Forensik ähnlich gesichert wie ein Gefängnis, mit einer den Sicherheitsstandards entsprechenden Aussenhülle. Auch sonst hat sich in Basel in den letzten 30 Jahren sehr viel getan. Die Klinik ist ein Kompetenzzentrum mit einer Professur für forensische Psychiatrie an der Universität Basel. Fakultäten, wie die Rechtswissenschaft, die Medizin und die Psychologie werden einbezogen. Die angemessene Ausbildung des Personals ist ein zentrales Thema.

Gutachten und Therapien werden nicht mehr freihändig, sondern gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse erstellt und durchgeführt. Seit 2011 gibt es in Basel sogar die schweizweit einzige stationäre kinder- und jugendforensische Abteilung. Die Rückfallraten sind schweizweit gesunken. Bei den Gewaltstraftaten ist die Rate laut Privatdozentin Astrid Rossegger vom Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich beispielsweise seit den 90er-Jahren von 60 auf 35 Prozent (2015) gesunken.

Die Gefahr der Fehleinschätzung

Trotz dieser starken Professionalisierung und sogar Algorithmen, die bei der Beurteilung helfen, bleibt die Gefahr, dass ein Täter rückfällig wird. Und das kann für die Gesellschaft oder den Beurteilten massive Folgen haben. Wie geht man mit dieser Verantwortung um?

Marc Graf antwortet mit einem Beispiel: «Nehmen wir die Geburt des Kindes einer gesunden Frau. Die Geburtshelfer gehen wie immer standardisiert vor. Es kommt zu Komplikationen. Das Kind stirbt, eventuell sogar auch die Frau. War das der Fehler der Hebamme oder des Arztes?», fragt Graf und antwortet: «Nein, solange sie fachlich richtig vorgegangen sind, nicht. Katastrophen können immer geschehen.»

Übersetzt auf die Beurteilung von Straftätern heisst das: Wenn es gute Argumente gibt, dass beispielsweise ein Straftäter, der ein Tötungsdelikt begangen hat, das erste Mal allein im Park spazieren gehen darf, müsse man das sogar empfehlen: «Sonst ist jede Resozialisierung unmöglich. Und die ist wichtig. In der Schweiz gibt es etwa 6000 inhaftierte Personen. Rund 200 davon sind verwahrt. Alle anderen kommen früher oder später einmal raus», sagt Graf.

Um mit dieser Verantwortung umgehen zu können, sei es deshalb sehr wichtig, dass solche Empfehlungen einem klar definierten Prozess folgten: «Wenn ich diese Gewissheit nicht hätte, könnte ich diesen Job nicht machen. Das wäre, wie auf morschem Boden unterwegs zu sein und nicht zu wissen, wo man einbricht.» Grundsätzlich sei es in diesem Beruf wichtig, privat und beruflich ein gesundes und gutes Umfeld zu haben: «Sonst wird es gefährlich. Wenn man immer nur mit psychisch kranken Straftätern zu tun hat, kann es sonst passieren, dass man menschenfeindlich wird.»

Fortschritt und Bauchschmerzen

«Das System funktioniert gut», sagt Graf. «Seit 1994 gab es in der Deutschschweiz keine schweren Rückfälle mehr.» Anders in der Romandie. Dort ermordete der als brutaler Vergewaltiger eingestufte Fabrice Anthamatten im Freigang 2013 seine Therapeutin. Im selben Jahr vergewaltigte und tötete der bereits damals verurteilte Mörder Claude Dubois eine 19-jährige Frau. «Das wäre in der Deutschschweiz nie passiert», ist sich Graf sicher: «Keine Fachkommission hätte in diesen zwei Fällen Lockerungen empfohlen. Das war eine grobe Verletzung der Standards.»

Trotz der vielen Errungenschaften gibt es auch jetzt noch Dinge, die den Experten Bauchschmerzen bereiten. So weist Astrid Rossegger darauf hin, dass die Algorithmen, welche die Risikoeinschätzung berechnen, zwar eine grosse Verbesserung brachten, die Basisdaten, die den Berechnungen zugrunde liegen, aber nicht immer differenziert genug seien. Die Rückfallrate in der Schweiz sei beispielsweise geringer als die international verwendete Basisrate.

Klinikdirektor Marc Graf will weitere Verbesserungen dadurch erreichen, dass die Therapien in Zukunft noch präziser und wissenschaftlicher fundiert werden. Denn: «Auch psychisch kranke Straftäter haben ein Recht auf eine gute Behandlung. Dafür müssen wir in der Gesellschaft immer wieder kämpfen. Menschenrechte gelten für alle Menschen», sagt Graf.

Allerdings, und hier zeigt sich das Spannungsfeld wieder, in dem sich die forensische Psychiatrie befindet, betont Graf, gelten die Menschenrechte auch für potenzielle Opfer. «Die gesellschaftliche Aufgabe der forensischen Psychiatrie ist es, psychisch kranke Straftäterinnen und Straftäter so zu behandeln, dass sie mit einem akzeptablen Risiko wieder resozialisiert werden können. Gleichzeitig soll der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte möglichst gering bleiben, was Freiheitsentzug, Zwangsmedikation und andere Einschränkungen betrifft», sagt Marc Graf. Doch auch er zieht eine Linie. «Wenn jemand jedoch extreme Straftaten begangen hat, kann es sein, dass sogar ein kleines Restrisiko für die Gesellschaft zu gross ist.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/was-geschieht-in-basel-mit-psychisch-kranken-straftaetern-598478947064)


+++POLICE BE
Amtsmissbrauch und Tätlichkeit: Zwei Berner Polizisten angeklagt
Die beiden Berner Kantonspolizisten sollen im Juni 2021 einen Mann mit unverhältnismässiger Gewalt behandelt haben – so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Einer der Polizisten soll etwa auf dem Nacken des Mannes gekniet haben.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/amtsmissbrauch-und-taetlichkeit-zwei-berner-polizisten-angeklagt?id=12258796
-> https://www.baerntoday.ch/bern/zwei-polizisten-wegen-amtsmissbrauch-angeklagt-148061646
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/203405/
-> https://www.watson.ch/schweiz/justiz/701680813-zwei-berner-kantonspolizisten-wegen-amtsmissbrauchs-angeklagt
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/gefragte-selbsthilfegruppen-neugruendungen-nehmen-zu?id=12259075


Kanton Bern: 54 Korpsangehörige in feierlichem Rahmen vereidigt
Im Berner Münster sind am Freitagvormittag insgesamt 54 neue Korpsangehörige der Kantonspolizei Bern vereidigt worden. 41 Polizistinnen und Polizisten, die ihre zweijährige Polizeiausbildung abgeschlossen haben, sechs Mitarbeitende des Botschaftsschutzes und sieben weitere Mitarbeitende wurden ins Korps aufgenommen.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=5dab49a1-d74b-488d-aa8a-c3f80a6eda7b


+++POLIZEI AG
Aargau: Das neue Polizeigesetz könnte wegen der Anlagen zur Verkehrsüberwachung zu reden geben. Es ist nun in der Anhörung.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/maeretfescht-solothurn-ende-und-neuanfang?id=12259021


++++POLIZEI BS
Bevölkerung ist weitgehend zufrieden mit Basler Polizei (ab 03.17)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/kreisel-soll-aeschenplatz-entwirren?id=12258754
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/aeschenplatz-soll-ein-kreisel-werden-findet-verkehrskommission?id=12258988 (ab 05:30)
-> https://telebasel.ch/2022/09/23/basler-bevoelkerung-gibt-kantonspolizei-gute-noten/?channel=105100
-> https://www.bazonline.ch/90-prozent-der-basler-vertrauen-in-die-polizei-106609357017
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/befragung-kontrolle-ist-gut-vertrauen-ist-besser-so-beurteilt-die-bevoelkerung-die-basler-polizei-ld.2347926


+++POLIZEI ZH
Zürcher Gemeinderat will mehr Polizisten – bei der Anzahl scheiden sich die Geister
Die Stapo Zürich ist teils am Anschlag. Um den neuem Herausforderungen, welche mit dem Bevölkerungswachstum einher gehen Herr zu werden will der Polizeikommandant und der Stadtrat mehr Polizistenstellen schaffen.
Dieses Vorhaben wird von einer Mehrzahl der Gemeinderäte unterstützt. Wie viele mehr Polizisten Zürich braucht da scheiden sich die Geister.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-gemeinderat-will-mehr-polizisten-bei-der-anzahl-scheiden-sich-die-geister-00194561/


+++POLIZEI DE
Urheberrechtsverletzung: Radio Dreyeckland mahnt Verfassungsschutz ab
Schon wieder hat ein Inlandsgeheimdienst ein Foto verwendet, ohne die Rechteinhaber um Erlaubnis zu fragen. Es zeigte Proteste gegen den Abriss eines besetzten Hauses, laut Verfassungsschutz: „Linksextremismus“. Der Artikel ist inzwischen offline.
https://netzpolitik.org/2022/urheberrechtsverletzung-radio-dreyeckland-mahnt-verfassungsschutz-ab/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Daten-Recherche: Google News verkauft Staatspropaganda als „vertrauenswürdig“
Google News liefert nicht, was es verspricht. „Vertrauenswürdig“ und „verlässlich“ soll die Nachrichten-Suche sein. Doch unsere Auswertung von Tausenden Suchergebnissen zeigt: Neben seriösen Angeboten präsentiert Google News auch chinesische Staatspropaganda und für Falschmeldungen bekannte rechte Blogs.
https://netzpolitik.org/2022/daten-recherche-google-news-verkauft-staatspropaganda-als-vertrauenswuerdig/


Wie Russland den hybriden Krieg führt (NZZ Akzent Podcast)
Ein gefälschtes Plakat ruft in der Schweiz zum Denunzieren von Nachbarn auf, um Energie zu sparen. Dieser Jux wirkt harmlos – doch er sagt viel über die hybride Kriegsführung Russlands aus.
https://podcasts.google.com/feed/aHR0cHM6Ly9ha3plbnQucG9kaWdlZS5pby9mZWVkL21wMw/episode/MjU3MzIyMWRlM2IyMmZmOTlmODkyMTc5NjdhZGMyNWI?sa=X&ved=0CAQQ8qgGahcKEwjYpevJmqv6AhUAAAAAHQAAAAAQAg


+++ANTI-WOKE/DREADLOCKMANIA/WINNETOUWHINING
Zurich Film Festival: «Woke-Debatte ist aus dem Ruder gelaufen»
Anders als anderen Orten, läuft Winnetou am Zurich Film Festival weiter. Direktor Christian Jungen stösst die Aneignungs-Debatte sauer auf.
https://www.nau.ch/news/schweiz/zurich-film-festival-woke-debatte-ist-aus-dem-ruder-gelaufen-66284903


Druckversuche auf das Zurich Filmfestival
In seiner Ansprache zur gestrigen Eröffnung des 18. Zürcher Filmfestivals griff Direktor Christian Jungen das Thema «Cancel-Culture» auf. Seitens der «Wokeness-Community» fanden Druckversuche auf das ZFF statt. Gewisse Filme sollten aus dem Programm gestrichen werden.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/druckversuche-auf-das-zurich-filmfestival-148075409


Tischgespräch Zurich Film Festival
Woke-Debatte gibt nach der Premieren-Vorstellung zu reden.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/tischgespraech-zurich-film-festival-148075398


Winnetou im Einsatz gegen den Sozialprotest
Angesichts explodierender Lebenshaltungskosten hat sich die Linke für den heißen Herbst aufgestellt. Dass die Rechte Sozialproteste fürchten muss, zeigt auch das abgebrannte Diskursfeuerwerk rund um Layla und Winnetou.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1167171.jeja-nervt-winnetou-im-einsatz-gegen-den-sozialprotest.html


Wolhuser begeistert mit Jodel-Version von «Layla»
Von den einen kritisiert und verboten, von den anderen gefeiert. Der umstrittene Ballermanhit Layla ist allseits bekannt. Millionen mal wurde er schon gehört auf Youtube oder Spotify. Und jetzt geht auch eine Version aus Wolhusen viral. Adrian Zurkirchen hat eine Layla-Version mit Schwyzerörgeli und Jodlergesang gemacht. So gut, dass er vielleicht sogar mit dem Original-Künstler etwas machen kann.
https://www.tele1.ch/nachrichten/wolhuser-begeistert-mit-jodel-version-von-layla-148075793


+++HISTORY
Sklavenhaltung im Vatikan – Die vergessenen Sklaven des Papstes
Was nur die Wenigsten wissen: Auch die Päpste in Rom waren Sklavenhalter – nicht nur im Mittelalter, sondern bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/sklavenhaltung-im-vatikan-die-vergessenen-sklaven-des-papstes



tagblatt 23.09.2022

Dunkle Seite des Ländlers: Jenische Musikanten haben die Volksmusik geprägt – eine Geschichte kultureller Aneignung nach Schweizer Art

Der Ländler, die Schweizer Nationalmusik schlechthin, wurde stark von Jenischen geprägt. Von einer Volksgruppe, die von der offiziellen Schweiz lange unterdrückt und sogar verfolgt wurde.

Stefan Künzli

Es ist emotionalste Diskussion des Sommers. Die allgemeine Erregung ist so gross, dass sich kaum jemand mehr traut, von den problematischen Seiten der kulturellen Aneignung zu sprechen. Doch es gibt und gab sie. Nicht nur im fernen Amerika, auch hier in der heilen Schweiz, direkt vor unserer Haustüre. Es geht dabei um eine kulturelle Aneignung, die im Zusammenhang mit einem ebenso düsteren wie traurigen Kapitel der Schweizer Geschichte steht: Im Umgang der offiziellen Schweiz mit den Jenischen.

Heute ist es weitgehend unbestritten, dass Jenische in der Schweizer Volksmusik eine zentrale Rolle spielten. Auf ihren Reisen haben fahrende Musikanten Melodien, Rhythmen und Stücke aufgeschnappt, in ihr Repertoire integriert, auf ihre Art interpretiert und dabei wesentlich zu ihrer Verbreitung beigetragen. Jenische Musikanten haben aber nicht nur eine Transport- und Transferfunktion wahrgenommen, sie haben die Schweizer Volksmusik auch massgeblich geprägt und wesentlich zur Entwicklung des Ländlers beigetragen.

Der Einfluss der Jenischen auf die Entwicklung der populären Tanzmusik war vor allem in Graubünden enorm. Gemäss dem Musikanten und Musikhistoriker Jachem Erni gehörten im 19. Jahrhundert die ländlichen Musikanten doch fast ausschliesslich zu den Jenischen. Am bekanntesten waren die Musikerfamilien Waser, Metzger, Mayoleth und Kollegger.

«Seppli»- und «Fränzlimusik» haben jenische Herkunft

Herausragend in ihrer Bedeutung waren der virtuose Klarinettist Josef Metzger (1817- 1876), der Begründer der «Sepplimusik» sowie der blinde Geiger Franz-Josef Waser (1858-1895), der Begründer der «Fränzlimusik». Der Bedeutung der «Sepplis» in Nordbünden entsprachen die «Fränzlis» im Engadin.

Die Tanzmusik der Landleute erlebte zu jener Zeit einen gewaltigen Aufschwung und wurde immer beliebter. Weil es keine treffende Bezeichnung für diese Art Tanzmusik gab, nannte man sie Ende des 19. Jahrhunderts nach ihren wichtigsten Vertretern: «Sepplimusik und «Fränzlimusik». Die Bezeichnungen wurden erst in den 1930er-Jahren durch den Begriff Ländler bedrängt. Das um 1880 entwickelte Schwyzerörgeli wurde in Graubünden erst nach dem Zweiten Weltkrieg vermehrt eingesetzt, das Hauptinstrument der «Fränzlimusik» war die Geige. Die Kapelle «Ils Fränzlis da Tschlin» pflegt das Vermächtnis bis heute mit grossem Erfolg.

Ein weiterer wichtiger Musikant jenischer Herkunft war Paul Kollegger (1872-1927). Der Begründer der Musikerdynastie Kollegger war ein ausgezeichneter Klarinettist mit einem grossen Repertoire und vielen eigenen Stücken. Er stammte aus Obervaz, war in Valbella sesshaft und als Postillon, Gespannführer eines Pferdefuhrwerks, angestellt. Der bekannte Churer Akkordeonist Hans Hassler, der heute mit seinen Söhnen bei der Stubete Gäng spielt, hat sich mit dem Werk Kolleggers intensiv befasst und viele seiner Stück interpretiert. Er attestiert ihm eine herausragende Rolle und nennt ihn einer der «Stammväter der Bündner Volksmusik».

Jenische in der Innerschweiz und in Appenzell

In der Innerschweiz scheint der Einfluss der Jenischen auf den ersten Blick kleiner als im Bündnerland, weil es hier zahlenmässig weniger Jenische gab. Trotzdem haben sie Spuren hinterlassen. Der Innerschweizer Regisseur Roger Bürgler weist in seinem Dokumentarfilm «Fremdfötzeligen Musikanten» daraufhin, dass schon die Pioniere des Schwyzerörgelis, Josef Stump (1883–1929) und Balz Schmidig (1894–1947) aus Unterschönenbuch und Oberschönenbuch bei Schwyz, vor rund 100 Jahren fremde Elemente aus der Salonmusik und aus der Musik der herumreisenden Jenischen nachgespielt und damit Melodien und Harmonien in den Ländler integriert hätten, die bis anhin unbekannt und unüblich waren.

Den Einfluss der jenischen Musikanten in der Innerschweizer Volksmusik betont auch die jenische Schriftstellerin Isabella Huser. Ihr Vater, der Musiker Tony Huser, der stolz war auf seine jenische Herkunft, pflegte sehr erfolgreich den Innerschweizer Musikstil. Mit seinem Bruder Franz Huser führte er die landesweit bekannte Kapelle «Huserbuebe» (gegr. 1939). Er und sein Bruder komponierten zusammengenommen rund 900 Volksmusikstücke.

Auch in Bezug auf die Appenzeller Streichmusik wird immer wieder die Meinung vertreten, sie stamme von Jenischen und Fahrenden ab. Begründet wird dies jeweils mit dem «sentimentalen» Klang und der «Moll-Tönigkeit» der Streichmusik, aber auch mit dem Hackbrett. Doch kann der Einfluss nur vermutet werden. Die Appenzeller Musikanten sind überzeugt, dass sie die Streichmusik selber erfunden haben. Doch gemäss Joe Manser («Appenzellische Volksmusik», 2010) gab es im Appenzellischen immer schon «fremde Einflüsse» und für den Musikethnologen Dieter Ringli ist klar, dass Vieles in der Streichmusik aus Österreich importiert wurde.

Zahlreiche musikalische Elemente aus der sogenannten Salonmusik würden darauf hindeuten. Doch wie und auf welchen Wegen die Musik ins Appenzellische gelangte, wisse man nicht. In Österreich gäbe es natürlich auch starke Roma-Einflüsse. Denkbar sei insofern, dass Fahrende hier eine Transportfunktion wahrgenommen hätten, bewiesen sei aber nichts. «Für die These, dass die Appenzeller Streichmusik einen jenischen oder Roma-Hintergrund hat, gibt es weder Belege noch Beweise», sagt Ringli dezidiert.

Gibt es den «jenischen Zwick»?

Aber hat es überhaupt eine typisch jenische Musik gegeben? Für Isabella Huser ist die Frage falsch gestellt. Die jenischen Musiker und Musikerinnen haben in der Schweiz über Generationen die gängige Tanzmusik und im 20. Jahrhundert die Schweizer Volksmusik stark geprägt. «Die Schweizer Volksmusik ist auch die Musik der hiesigen Jenischen», sagt sie. Andreas Kollegger, ein Nachfahre von Paul Kollegger, geht etwas weiter und nennt den «jenischen Zwick», «das Fetzige, Peppige, das man nicht lernen kann». Für Ringli gehört der jenische Zwick in den Bereich einer Legende, die nicht nachweisbar ist.
-> Video: https://youtu.be/ET0rvFlOQCQ

Jenische Musikanten haben immer wieder moniert, dass ihre Kultur ausgebeutet und gestohlen werde. Angehörige der Musikerdynastie Kollegger beklagen, dass ihrem grossen Vorfahren, dem Komponisten Paul Kollegger Stücke geklaut wurden. Kollegger habe sehr viele Stücke komponiert, bekannt sind heute zum Beispiel noch solche wie «Grüen Bödeli» oder «Zaineflicker». Da er aber weder Noten lesen noch schreiben konnte, gelten heute viele seiner urtümlichen Tänze aus mündlicher Überlieferung als traditionelle Kompositionen. «Er hat viele Stücke ins Grab genommen. Und andere, die er geschrieben hat, haben andere für sich in Anspruch genommen», sagt Andreas Kollegger, «manchmal genügte es, dem Jenischen ein Bier zu zahlen, einige Takte auf einem Bierdeckel zu notieren und diesen mitzunehmen.»

Ringli hält dagegen und relativiert: «Die These, dass die Sesshaften, den jenischen ihre Musik weggenommen hätten, stimmt einfach nicht. Das ist nicht haltbar». Vielmehr habe es in der Ländlermusik eine gegenseitige Beeinflussung gegeben. «Das ist ein hin und her, ein Geben und Nehmen», sagt Ringli. Er spricht den Jenischen die prägende Rolle nicht ab, doch sei es in der Volksmusik lange «gar nicht relevant gewesen, wer ein Stück komponiert hat». Das Repertoire eines Musikanten bestand aus Stücken, die man spielen konnte. Egal, wer es komponiert hat. Das mit dem Urheberrecht sei erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gekommen. Und sowieso: «Im Ländler macht es nicht das Stück aus, sondern die Interpretation», sagt er.

Einfluss der Jenischen wurde lange übergangen

Doch auch ohne wissenschaftliche Beweisführung: Der Einfluss der Jenischen auf die Schweizer Volksmusik und vor allem auf den Ländler kann nicht überschätzt werden. «Die Stigmatisierung der Jenischen führte dazu, dass ihr prägender Einfluss auf die Schweizer Volksmusik besonders lange übergangen wurde», sagt Jachem Erne.

Die Tanzmusik stand im 19. Jahrhundert bei den kirchlichen Sittenwächtern lange im Ruf, sich schlecht auf die Moral im Allgemeinen und die Jugend im Speziellen auszuwirken. In Graubünden herrschte sogar ein von der Kirche gefordertes Tanzverbot, das erst 1853, gelockert wurde.

Vermutet werden darf, dass die mehrheitlich jenischen Musikanten das Misstrauen der Obrigkeit gegen die Tanzmusik noch verstärkten. Ist es Zufall, dass Jodel, Schweizerlied und Alphorn viel früher als Verkörperung des Schweizertums erklärt wurden, als der Ländler? Der Tanz sowie die Herumreiserei der Musikanten passte nur schwer ins Bild der sich entwickelnden nationalen Stereotypen. Das änderte sich erst mit der Landi 1939 und der geistigen Landesverteidigung. Erst dann wurde die instrumentale Schweizer Tanzmusik, zum nationalen Kulturgut erhoben.

Die Schweizer Gesellschaft und die Behörden taten sich schwer mit den Fahrenden und den herumreisenden Jenischen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde versucht, sie zur Sesshaftigkeit zu zwingen – teilweise auch mit Gewalt. Im 20. Jahrhundert nahmen die Disziplinierungsbemühungen sogar noch zu. Die «Vagantenfrage» wurde zum Politikum. Besonders einschneidend war ab Mitte der 1920er-Jahre die behördliche Verfolgung durch die Stiftung Pro Juventute und die Aktion «Kinder der Landstrasse», die sich gezielt gegen jenische Familien richtete. Das heisst: Unter dem Vorwand der Kindsrettung wurden den Jenischen ihre Kinder entrissen, um sie in Pflegefamilien, Anstalten oder Heimen zu einer sesshaften Lebensweise umzuerziehen. Zudem kam es zu Zwangssterilisationen.

Die Verfolgung machte auch vor sesshaften Jenischen nicht halt. Isabella Husers Grosseltern zum Beispiel flohen mit ihren Kindern vor der Pro Juventute aus dem Zürcherland ins Tessin, wo sich die Familie zwei Jahre versteckt hielt. Dort wurde der Grundstein für die berühmte Familienkapelle gelegt. «Meine Grosseltern lebten zwei Jahre als sogenannt Fahrende im Tessin, weil sie fliehen und sich versteckt halten mussten», betont Huser.

Ländlermusik wurde zu einer Art Maskerade

Gleichzeitig nahm die Beliebtheit der Tanzanlässe weiter zu. Wie Isabella Huser ausführt, haben die jenischen Musikanten in dieser Zeit Schutzmechanismen entwickelt. «Als Kinder sollten mein Vater und seine Geschwister ihre jenische Herkunft möglichst verbergen, zum Beispiel nicht mehr Jenisch sprechen», sagt sie. Später, als ihr Vater selbst Kinder hatte, war er vorsichtig, wo er sie erwähnte – aus Angst, dass sie ihm weggenommen würden.

Dass sie Musikanten waren, erwies sich auch als Vorteil. «Meine Grosseltern konnten grossräumig fliehen und mit sechs Kindern am fremden Ort reisend überleben, weil sie Musikanten waren. Andere wie Händler, Kesselflicker oder Messerschleifer, die kleinräumig reisend an ihre lokale Kundschaft gebunden waren, konnten das nicht», betont Huser.

Auf der Flucht vor der Pro Juventute kam der Familie Huser die seit den früher 1920er Jahren in der Volksmusik übliche «Maskerade» als Innerschweizer Sennen und Bergler zugute. Auch die Husers trugen auf der Bühne Sennenhemden. Sie fügten sich in die vermeintliche Musik- und Trachtentradition ein und konnten so ihre Kinder retten. «Der Ländlerzirkus, der sich so urchig schweizerisch gab, hat die jenischen Musikerinnen und Musiker vereinnahmt», sagt Huser. «Sobald Jenische Musik machten, wurden sie nicht mehr als solche wahrgenommen.»

Dass Husers Grosseltern Franz und Frieda Huser senior ihre Familienkapelle vielsagend «Die Wandervögel» nannten, spielte keine Rolle. «Die Jenischen wurden auf den Bühnen der Volksmusik kurzerhand ins vermeintliche Bauern- und Bergvolk integriert», sagt Huser und nennt es eine «sehr schweizerische Art der kulturellen Aneignung».

Aneignung zum Nachteil der jenischen Kultur

Vieles, zu Vieles im Zusammenhang mit der jenischen Kultur liegt noch im Dunkeln und kann höchstens vermutet werden. Erschwerend kommt dazu, dass die jenische Kultur wie auch die Schweizer Volksmusik als orale Kultur weitgehend mündlich überliefert wird. Willi Wottreng, Buchautor und Geschäftsführer der Dachorganisation Radgenossenschaft der Landstrasse, würde eine systematische Erforschung der jenischen Musik begrüssen.

Er schreibt in einem Artikel, der diesen Herbst im österreichischen «Gaismair»-Jahrbuch erscheint: «Heute taucht ein ganzer Kontinent von jenischer Musikkultur auf, aus einem Nebel von Schweigen und Scham und Schert-uns-nicht, unter dem er verdeckt lag. Diese Kultur wird heute wahrgenommen und morgen wohl auch erforscht werden». Der Druck, dieses schwierige und belastete Kapitel Schweizer Geschichte systematisch zu erforschen, nimmt zu.

Jahrhundertelang wurde die Kultur der jenischen Minderheit von einer dominanten Schweizer Mehrheit unterdrückt, diskriminiert und verfolgt. Der Kulturaustausch unter den Musikanten, Sesshaften wie Jenischen, war zwar ein zentraler Pfeiler der Entwicklung des Ländlers. Doch die Jenischen mussten unter dem Druck der dominanten Mehrheit einen Teil ihrer Identität opfern, aufgeben oder verleugnen, um von der offiziellen Schweiz integriert zu werden.

Es dürfte schwerfallen, den Diebstahl von jenischer Musik, von jenischen Stücken durch sesshafte Schweizer Musiker, nachzuweisen. Als Musikanten wurden die Jenischen aber vom Schweizertum vereinnahmt und ihre Musik im Ländler angeeignet. Die stark von jenischen Musikern geprägte Tanzmusik wurde von der offiziellen Schweiz zur Nationalmusik erhoben. Diese kulturelle Aneignung nach Schweizer Art weist aus unserer Sicht problematische Züge auf und darf toxisch genannt werden, weil sie zum Nachteil der jenischen Kultur erfolgt ist.



Woher kommt Hudigääggeler?

«Hoodie Gääggeler» heisst das aktuelle Album der Stubete Gäng. Unter «Hudigääggeler» mit «u» geschrieben, wird aber vor allem der abwertende Begriff für Schweizer Ländlermusik verstanden. Der Ursprung des Wortes reicht ins 19. Jahrhundert zurück und meint schlecht gespielte Ländlermusik. Der Zusatz «Gääggeler» ist vom Verb «gäggen» oder «gägglen» abgeleitet, das laut Mundart-Wörterbuch Idiotikon so viel wie «widerlich schreien» oder «unangenehm tönen» bedeutet. Belegt ist, dass sesshafte Volksmusikanten über Hudigäggeler-Musik schimpften, die von ungebildeten Musikern gespielt wurde.

Weniger klar ist der Ursprung des Wortes «Hudi». In Einsiedeln ist Hudi das Armen- und Lumpenvolk, das an der Fasnacht persifliert wird. Im solothurnischen Holderbank gibt es aber auch das Huudere-fäscht. Hier ist «Huudere» ein synonym für Jenisch. Hudigääggeler kann also auch als eine abwertend gemeinte Bezeichnung für Musik von Jenischen gedeutet werden.
(https://www.tagblatt.ch/kultur/dunkle-seite-des-laendlers-jenische-musikanten-haben-die-volksmusik-gepraegt-eine-geschichte-kultureller-aneignung-nach-schweizer-art-ld.2342591)



tagblatt.ch 23.09.2022

Ausgegrenzt und verfolgt: «Ich bin Zigeunerin und stolz darauf»: Noch heute müssen Jenische wegen ihrer Herkunft negative Reaktionen befürchten

Die Jenischen eint eine Kultur, Sprache und eine gemeinsame Geschichte der Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung.

Stefan Künzli

In der Schweiz sind die Jenischen seit 1997 als nationale Minderheit anerkannt. Die Volksgruppe eint eine gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte. In Deutschland und Österreich kämpfen sie, mit Verweis auf die Schweiz, für die Anerkennung. Umgekehrt sind in der Schweiz Roma nicht anerkannt.

Ein wichtiger Bestandteil dieser Kultur ist die reisende Lebensweise. Dabei ist das Thema vielschichtig und umstritten. Die Geschichte der Fahrenden ist seit Beginn eine Geschichte der Ausgrenzung. Seit dem Mittelalter wurde die nicht sesshafte Lebensweise für die Gesellschaften in der Schweiz und in ganz Europa als ein Problem wahrgenommen. Im späten Mittelalter wurden die Nicht-Sesshaften von der Aristokratie ausgegrenzt. Sie bekämpften den Nomadismus, weil ihnen die Ungebundenheit und die Unkontrollierbarkeit ein Dorn im Auge waren. Der Nomade galt als besonders freiheitsliebend.

Auf Gaunerlisten geführt

Im 18. Jahrhundert wurden sie in so genannten «Gaunerlisten» erfasst. Es gab sesshafte Jenische, denen die Heimatbescheinigung von ihren Gemeinden nicht erneuert wurde und als Folge dessen zu Fahrenden wurden. Andere wurden unter dem gesellschaftlichen Druck sesshaft, so auch Familien von bekannten Musikanten wie die Wasers und Kolleggers.

Zweischneidig war 1851 im jungen Bundesstaat das Gesetz gegen die Heimatlosigkeit. Alle Jenischen erhielten zwar Schweizer Bürgerrechte, sie wurden aber auch zwangsweise einem Bürgerort zugewiesen und das Umherreisen wurde unter Strafe gestellt. Es handelte sich also auch um eine Umerziehungs- und Disziplinierungsmassnahme. Viele Jenische in der Schweiz wurden zwar sesshaft und waren an einem bestimmten Ort angemeldet. Um ihre Tätigkeiten ausüben zu können, mussten sie aber zwingend herumreisen. Sie bewegten sich daher in einer Grauzone am Rande der Legalität.

Über 600 Kinder wurden den jenischen Eltern entrissen

Im 20. Jahrhundert nahmen die Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung sogar noch zu. Ab den 1920er-Jahren bis in die frühen 1970er-Jahre wurden die jenischen Familien von der Stiftung Pro Juventute verfolgt. Die Pro Juventute nahm ihnen in der Aktion «Kinder der Landstrasse» die Kinder weg. Mit Billigung des Staates wurden über 600 Kinder ihren Familien entrissen und in Heimen oder Pflegefamilien untergebracht.
-> Video: https://youtu.be/sKnH8dUQGEU

Die jenische Schriftstellerin Isabella Huser, Nachfahrin der Musikantenfamilie Huser und Buchautorin von «Zigeuner» (Bilgerverlag), ist überzeugt, dass noch heute «völlig falsche Vorstellungen über die Jenischen vorherrschen». Eine Vorstellung von ziellos mit ihren Wohnwagen im Land herumvagabundieren Fahrenden. «Wie andere Jenische auch mieteten meine Grosseltern eine Wohnung für ihre Familie. Als Musikanten fuhren sie von dort aus an die wechselnden Orte ihrer Engagements. Andere Jenische waren Händler, Chesselflicker oder Messerschleifer. Sie bereisten ihre je eigene Route, oft immer dieselbe, um ihren Beruf auszuüben. Mein Vater sprach übrigens nie von Fahrenden, sondern von Reisenden», sagt Huser.

Heute ist die grosse Mehrheit der Schweizer Jenischen sesshaft. Rund 30000 Jenische leben in der Schweiz, davon sind rund 3000 reisend oder fahrend. Gemäss Huonder stehen nicht alle deklarierten Jenischen zur jenischen Herkunft, weil sie auch heute noch negative Reaktionen befürchten. Interessant ist, dass unter den Jenischen das Wort Zigeuner kein Schimpfwort ist. Im Gegensatz zu den Roma. «Ich bezeichne andere nicht als Zigeuner», sagt dazu Isabella Huser», «aber ich bin eine Zigeunerin. Und bin stolz darauf».
(https://www.tagblatt.ch/kultur/ausgegrenzt-und-verfolgt-ich-bin-zigeunerin-und-stolz-darauf-noch-heute-muessen-jenische-wegen-ihrer-herkunft-negative-reaktionen-befuerchten-ld.2342605)