Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++AARGAU
Als neue Unterkunft für Flüchtlinge: Gemeinde kauft ein Haus für 1,25 Millionen
Die Gemeinde Arni erwirbt ein Wohnhaus mitten im Dorf mit drei 3½-Zimmer-Wohnungen zum Preis von 1,25 Millionen Franken. Gedacht ist sie als Flüchtlingsunterkunft. Eine ausserordentliche Gemeindeversammlung sagte deutlich Ja zum Kauf des Objekts.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/freiamt/arni-als-neue-unterkunft-fuer-fluechtlinge-gemeinde-kauft-ein-haus-fuer-125-millionen-ld.2344623
+++LUZERN
368 Arbeitsbewilligungen im Kanton Luzern: Ukrainische Flüchtlinge arbeiten vor allem in der Gastro
Gut 3000 ukrainische Flüchtlinge leben im Kanton Luzern. Für sie sind rund 370 Arbeitsbewilligungen erteilt worden. Die meisten davon für eine Arbeit in der Gastronomie oder Hotellerie.
https://www.zentralplus.ch/arbeiten/ukrainische-fluechtlinge-arbeiten-vor-allem-in-der-gastro-2451497/
+++ZUG
Zug will Flüchtlinge auch in unterirdischen Anlagen unterbringen
Der Kanton Zug plant für eine Verschärfung der Lage in der Ukraine.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/ukraine-krieg-zug-will-fluechtlinge-auch-in-unterirdischen-anlagen-unterbringen-ld.2344616
-> https://www.zentralplus.ch/politik/kanton-zug-bereitet-bunker-fuer-ukrainische-fluechtlinge-vor-2451441/
+++SCHWEIZ
Prix Courage «Lifetime Award» 2022: Anni Lanz – eine Kämpferin für eine solidarische Schweiz
Sie ist stur, hat Herz und Köpfchen. Seit bald 40 Jahren kämpft Anni Lanz für Menschen auf der Flucht. Dafür verleiht ihr der Beobachter den Prix Courage Lifetime Award 2022.
https://www.beobachter.ch/prix-courage/prix-courage-2022-der-lifetime-award-geht-an-anni-lanz-531816
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/basler-menschenrechtsaktivistin-bekommt-beobachterpreis?id=12255073
-> https://www.bzbasel.ch/news-service/vermischtes-people/aktivistin-prix-courage-lifetime-award-geht-an-menschenrechtsaktivistin-anni-lanz-ld.2344619
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derbund.ch 16.09.2022
Interview mit Karin Keller-Sutter: «Flüchtlinge und Migranten werden ausgenutzt, um Europa zu destabilisieren»
Millionen Menschen sind aus der Ukraine geflüchtet. Gleichzeitig steigt die Zahl der Asylsuchenden aus anderen Ländern. Die Bundesrätin sagt, Russland habe wohl auch hier die Finger im Spiel.
Charlotte Walser, Beni Gafner
In den vergangenen Tagen hat die Ukraine viele Gebiete zurückerobert. Ist ein Ende des Krieges in Sicht, Frau Bundesrätin Keller-Sutter?
Davon gehe ich nicht aus. Wahrscheinlich müssen wir uns auf einen längeren Krieg einstellen. Ich schliesse nicht aus, dass Russland versucht, den drohenden Gesichtsverlust mit einer Eskalation abzuwenden. Interessant wird aber auch sein, was in Russland geschieht. Wenn es zu einer Generalmobilmachung kommen sollte, könnte sich die Stimmung im Land ändern.
Schon über 65’000 Ukrainerinnen und Ukrainer sind in die Schweiz eingereist. Wie geht es weiter?
Prognosen sind schwierig. Im Moment ist der Zustrom stabil, auf viel tieferem Niveau als im Frühjahr. Für die weitere Entwicklung spielen zwei Faktoren eine wichtige Rolle: das Kriegsgeschehen und der Winter. Internationale Organisationen sind dabei, Unterkünfte für Vertriebene in der Ukraine wie Zelte oder Container winterfest zu machen. Das könnte dazu beitragen, dass die Binnenvertriebenen im Land bleiben. Die Zahl der Flüchtlinge kann zwar wieder steigen, doch wir rechnen nicht mit Zahlen wie zu Beginn des Krieges, als täglich bis zu 1800 kamen.
Manche Flüchtlinge kehren auch zurück, obwohl der Krieg andauert. Wie viele haben die Schweiz wieder verlassen?
In über 2700 Fällen wurde der Status S bereits wieder aufgehoben, bei über 1300 weiteren Fällen wird eine Beendigung derzeit geprüft. Wie viele der Schutzsuchenden in die Ukraine oder in andere Länder reisen, wissen wir aber nicht.
Zeichnet sich bereits ab, dass der Schutzstatus S nach einem Jahr verlängert wird?
Der Schutzstatus S gilt bis im März 2023 und wird gewährt, solange die schwere allgemeine Gefährdung in der Ukraine anhält. Die Schweiz wird auch nicht im Alleingang handeln können. Sie wird sich mit den Schengen-Staaten koordinieren. Auf europäischer Ebene ist die Aufhebung des Schutzes im Moment aber kein Thema. Sollten wir zum Schluss kommen, dass die Sicherheitslage eine Rückkehr erlaubt, gäbe es sicher eine Übergangsfrist bis zur effektiven Rückkehr. Nach dem Bosnienkrieg widerrief der Bundesrat die kollektive Aufnahme rund ein halbes Jahr nach dem Friedensvertrag von Dayton. Danach gab es eine gestaffelte Ausreisefrist – zuerst Alleinstehende, danach Familien mit Kindern.
Ist denkbar, dass Ukrainerinnen und Ukrainer in bestimmte Gebiete zurückgeschickt werden?
Der Nachrichtendienst geht davon aus, dass Russland weiterhin Ziele in der gesamten Ukraine angreift. Vergangene Woche erzählte mir eine Ukrainerin, dass die Kinder in der Ukraine ein Armband tragen mit ihren Personalien, damit man sie identifizieren kann, falls sie einem Angriff zum Opfer fallen. Das geht unter die Haut. Voraussetzung für eine Rückkehr wäre entweder ein Waffenstillstand mit Sicherheitsgarantien Russlands oder eine international kontrollierte Schutzzone. Davon sind wir im Moment weit entfernt.
Wenn eine rasche Rückkehr unmöglich ist: Braucht es nicht stärkere Integrationsbemühungen? In manchen Kantonen geschieht wenig.
Der Status S ist rückkehrorientiert. Darum hat der Gesetzgeber schon in den 1990er-Jahren nicht primär die Integration in die Schweizer Gesellschaft vorgesehen. Aber die Menschen sollen gerade mit Blick auf die spätere Rückkehr arbeitsmarktfähig bleiben, durch Weiterbildung und Erwerbstätigkeit. Das funktioniert nicht schlecht: Bereits gut 12 Prozent haben eine Stelle gefunden. Wir haben den Kantonen zudem in Aussicht gestellt, dass der Bund erneut eine Pauschale von 3000 Franken pro Person für Sprachkurse zur Verfügung stellt, falls der Schutzstatus S verlängert wird. Aber es ist ein Dilemma: Auf der einen Seite müssen wir an der Rückkehr festhalten, auf der anderen Seite die Integration in den Arbeitsmarkt fördern.
Bröckelt die Solidarität in der Schweiz?
Nein, ich habe den Eindruck, dass die Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern weiterhin gross ist. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass vor allem Frauen und Kinder hier sind.
In der Ukraine werden derweil Kriegsverbrechen verübt. Ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz können sich bei den Behörden melden, wenn sie etwas darüber wissen. Haben sich schon Zeugen gemeldet?
Das Bundesamt für Polizei hat mehrere Ermittlungsverfahren geführt und bisher sechs potenzielle Zeugen in der Schweiz identifiziert. Fünf potenzielle Zeugen wurden bereits einvernommen. Die Erkenntnisse werden an Europol weitergeleitet.
Nicht nur Ukrainerinnen sind auf der Flucht. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Asylsuchenden aus anderen Ländern stark angestiegen. Wie ist die aktuelle Lage?
Neben den Ukraine-Flüchtlingen sind nach Corona tatsächlich wieder ähnlich viele Migranten unterwegs wie in den Jahren 2015 und 2016, während der Flüchtlingskrise. Das macht mir Sorgen. Sie kommen vor allem über die Mittelmeer- und die Balkanroute. Auf dem Balkan beobachten wir ein neues Phänomen: Vermehrt reisen Personen aus Indien, Kuba, Burundi oder Tunesien visumsfrei nach Serbien und von dort mit Schleppern in den Schengen-Raum. Besonders betroffen ist Österreich mit aktuell rund 56’000 Asylgesuchen. In der Schweiz waren es bis Ende August 12’362. Bis Ende Jahr rechnen wir mit rund 19’000 Asylgesuchen. Wir verzeichnen vor allem viele junge Männer aus Nordafrika und Afghanistan. Die Schweiz wird zudem als Transitland genutzt. Darum arbeiten wir mit Österreich an einem Massnahmenpaket gegen die illegale Migration.
Was sind die Ursachen des Anstiegs?
Es gibt EU-Staaten, die der Meinung sind, dass die Migrationsbewegungen gesteuert sind – nach demselben Muster, wie wir es von Belarus kennen: Flüchtlinge und Migranten werden ausgenutzt, um Europa zu destabilisieren. Dahinter stecke Russland, heisst es. Man muss sich bewusst sein: Wenn über vier Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine in Europa Schutz suchen und eine halbe Million Menschen aus anderen Staaten ein Asylgesuch stellen, entsteht eine angespannte Situation. Klar ist: Russland nutzt die Energie und die Migration als Druckmittel, um in Europa Zwietracht zu säen.
Und Serbien kooperiert mit Russland?
Das sind Mutmassungen. Aber wenn beispielsweise Inder visumsfrei einreisen können, schafft das natürlich Anreize. Dagegen muss auf europäischer Ebene etwas getan werden. Die Schweiz trägt diese Bemühungen mit.
Was ist genau geplant?
Dazu kann ich mich noch nicht konkret äussern. Mehrere Länder planen bei der EU-Kommission eine Intervention. Es braucht aber auch einen Dialog mit Serbien. Nächste Woche findet in Sarajevo eine regionale Migrationskonferenz statt. Die Schweiz ist im Westbalkan ja stark engagiert. Ich werde die Gelegenheit nutzen, um Gespräche mit Amtskollegen des Westbalkans zu führen. Wenn sie sich der Visumspolitik des Schengen-Raumes annähern würden, wäre schon viel erreicht.
Menschen aus Indien sind in der Regel nicht schutzbedürftig. Auf der Flucht sind aber auch viele Menschen aus Afghanistan und Syrien, die in der Schweiz meist vorläufig aufgenommen werden. Gegenüber Flüchtlingen mit Schutzstatus S sind sie benachteiligt. Ändern Sie das?
Es ist klar, dass man bei der Evaluation des Status S auch die vorläufige Aufnahme berücksichtigen muss. Es geht aber primär um allfällige Anpassungen beim Status S, und man sollte das Fuder nicht mit einer Reform der vorläufigen Aufnahme überladen. Das will ich nicht riskieren. Ich habe nichts dagegen, die vorläufige Aufnahme in einem Folgeprojekt zu vertiefen. Allerdings sind die Vorstellungen im linken und im bürgerlichen Spektrum sehr unterschiedlich. Ich sehe derzeit keine Grundlage für eine mehrheitsfähige Reform.
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Asylzahlen steigen stark
Die Schweiz hat im laufenden Jahr bis Ende August 12’362 Asylgesuche registriert. Kommende Woche veröffentlicht das Staatssekretariat für Migration die Einzelheiten dazu. Bis Ende Jahr rechnet der Bund mit rund 19’000 Gesuchen. Die Prognose wurde damit nach oben korrigiert: Mit einer Zunahme nach der Pandemie war gerechnet worden, aber nicht in diesem Umfang. Im Unterschied zu anderen Ländern ist die Schweiz allerdings weit entfernt von den Zahlen des Jahres 2015. Damals hatte die Schweiz rund 40’000 Asylgesuche verzeichnet.
In europäischen Staaten haben laut der Asylagentur der EU in der ersten Jahreshälfte des laufenden Jahres 4,6 Millionen Menschen Schutz gesucht. Beim grössten Teil handelt es sich um Flüchtlinge aus der Ukraine. Doch auch die Zahl der Asylsuchenden aus anderen Ländern ist stark angestiegen. Die EU-Staaten verzeichneten in der ersten Jahreshälfte rund 406’000 Asylgesuche. Das sind 68 Prozent mehr als in der Vorjahresperiode.
Im Juni registrierte die EU-Asylagentur die zweithöchste monatliche Zahl an Asylgesuchen seit den Fluchtbewegungen in den Jahren 2015 und 2016. Zu den am stärksten betroffenen Ländern gehört Österreich mit 56’000 Gesuchen seit Jahresbeginn. An der Spitze der Herkunftsstaaten liegen Afghanistan und Syrien. (wal)
(https://www.derbund.ch/fluechtlinge-und-migranten-werden-ausgenutzt-um-europa-zu-destabilisieren-988724228436)
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nzz.ch 16.09.2022
Ukraine-Flüchtlinge kosten den Bund über eine Milliarde Franken mehr
Die Ausgaben der Migrationsbehörden steigen wegen der grossen Zahl von Schutzsuchenden stark. Das hat vor allem einen Grund.
Tobias Gafafer
Mehr als 63 000 Schutzbedürftige aus der Ukraine hat die Schweiz bis anhin aufgenommen. Seit kurzem legt das Staatssekretariat für Migration (SEM) in seiner Statistik auch offen, in wie vielen Fällen es den Status S wieder aufgehoben hat – oder eine Aufhebung prüft. Dies erfolgt etwa, wenn sich eine Person länger und wiederholt in ihrer Heimat aufhält. Die Zahl der Menschen aus der Ukraine, die die Schweiz dauerhaft verlassen, hält sich allerdings in Grenzen. Die Zerstörung ziviler Infrastruktur durch die russische Armee könnte die Flüchtlingsströme eher noch verstärken.
Mit dem Status S erhalten Betroffene vorübergehend für ein Jahr Schutz, ohne dass ein Asylverfahren durchgeführt wird. Zudem können sie ihre Familie nachziehen und arbeiten. Nun ist erstmals klar, wie viel die Aufnahme der Schutzsuchenden aus der Ukraine die Schweiz kostet. Am Freitag hat der Bundesrat einen Nachtragskredit in der Höhe von 1,1 Milliarden Franken ans Parlament verabschiedet. So viel gab der Bund 2021 ungefähr für die Corona-Tests aus. Zum Vergleich: Vor dem Krieg in der Ukraine hatte das SEM etwa ein Jahresbudget in der Höhe von 2 Milliarden Franken.
Hohe Sozialhilfekosten
Gemäss dem Flüchtlingshilfswerk der Uno sind rund 11 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet, vor allem in die Nachbarstaaten. Es handelt sich um die grösste Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Das SEM rechnet bis Ende Jahr mit bis zu 50 000 weiteren Gesuchen für den Status S, wie der Bundesrat in der Botschaft zum Nachtragskredit schreibt. Es kommen nach wie vor täglich Schutzsuchende aus der Ukraine in die Schweiz, wenn auch auf tieferem Niveau. Ein rasches Ende des Kriegs ist trotz den jüngsten Erfolgen Kiews nicht in Sicht.
Der grösste Teil des Nachtragskredits von 1,1 Milliarden Franken ist für die Abgeltungen der Sozialhilfekosten der Kantone bestimmt. Personen mit dem Status S erhalten von jenem Kanton Sozialhilfe, in dem sie leben – sofern sie ihren Lebensunterhalt nicht selber finanzieren können. Ins Gewicht fallen auch die Beiträge für die Integration der Schutzsuchenden, die Verwaltungskosten sowie die Erhöhung der Bettenkapazitäten in den Bundesasylzentren. Ohne die grosse private Solidarität wären die Kosten für die Unterbringung höher.
Ausgaben für Vermittlung
Auf Anfrage legt das SEM zudem offen, was die Vermittlung von Ukrainerinnen und Ukrainern direkt aus den Bundesasylzentren heraus an Gastfamilien gekostet hat. Christine Schraner-Burgener, die Staatssekretärin für Migration, erteilte das Mandat im März der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH). Gemäss dem SEM belaufen sich die Ausgaben bis anhin auf rund 2,6 Millionen Franken. Der grösste Teil entfiel auf die Informatik, eine Hotline und Übersetzungen.
Die SFH betont, das Geld sei an die Mitgliederorganisationen wie die Caritas oder die Heilsarmee gegangen, die für die operative Arbeit zuständig seien. Der Vertrag mit der Organisation läuft Ende Jahr aus. Ob das SEM ihn verlängert, ist offen. Die Flüchtlingshilfe hat rund 5500 der Schutzsuchenden aus der Ukraine an Gastfamilien vermittelt. Das erscheint eher bescheiden. In der ersten Phase der Krise sei es jedoch wichtig gewesen, alle verfügbaren Kapazitäten zu nutzen, sagt ein Sprecher des SEM. Zudem gibt es Kantone, die mit den Adressen der SFH selber Schutzsuchende an Gastfamilien vermittelten.
(https://www.nzz.ch/schweiz/ukraine-fluechtlinge-kosten-den-bund-ueber-eine-milliarde-franken-mehr-ld.1703165)
+++FREIRÄUME
Wohngemeinschaft auf Zeit in Düdingen: Eine diverse Gruppe Menschen lebt und organisiert Kulturanlässe im Lokal Bad Bonn. (ab 13:02)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/hohe-strompreise-lassen-hockeyeis-eventuell-frueher-schmelzen?id=12255064
+++GASSE
Gemeinderatsantwort auf Interfraktionelle Kleine Anfrage GB/JA!, SP/JUSO (Lea Bill, GB/Bernadette Häfliger, SP): Unterschriften sammeln am Buskers – was gilt wirklich?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=45c6061edf134bc2ab11a42c272c718b
Lorenz Bertsch: «Mehr Schweizer:innen werden sich verschulden»
Strom- und Heizpreise steigen. Das zeigt sich in den Portemonnaies. «Wir müssen mit allen Mitteln verhindern, dass Menschen wegen den aktuellen Preisexplosionen in die Armut gedrängt werden.». Das sagt Lorenz Bertsch, Leiter Schuldenberatung bei der Caritas im «Tagesgespräch».
https://www.srf.ch/audio/tagesgespraech/lorenz-bertsch-mehr-schweizer-innen-werden-sich-verschulden?id=12254995
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Kleine Anfrage Michael Ruefer (GLP): Kleine Allmend – als Parkplatz OK, als Kundgebungsort nicht?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=a9812fd09fa14918afa3011aa938f57f
Petition gegen Grossanlass im KKL: Klimastreik stellt sich gegen «Erdölparty» im KKL
Am Schlumberger Digital Forum im KKL trifft sich das Who’s who der Erdölbranche. Nun fordert Klimastreik Zentralschweiz die Direktion des KKL und den Stadtrat auf, den Anlass abzusagen.
https://www.zentralplus.ch/wirtschaft/klimastreik-stellt-sich-gegen-erdoelparty-im-kkl-2451475/
-> https://www.20min.ch/story/aktivisten-wollen-treffen-von-erdoel-ceos-im-kkl-verhindern-995861632797
«So ein (B)Irrsinn»: Klimastreik, Junge Grüne und Juso protestieren gegen geplantes Ölkraftwerk
Es sei ein absurdes Vorhaben, das keine nachhaltigen Lösungen biete – so bezeichnen Klimastreik Aargau, Junge Grüne Aargau und JUSO Aargau die Pläne des Bundes für ein Ölkraftwerk in Birr gegen eine drohende Energiekrise.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/birr-so-ein-birrsinn-klimastreik-junge-gruene-und-juso-protestieren-gegen-geplantes-oelkraftwerk-ld.2344674
Berufungsverhandlung gegen Linksextremistin Stauffacher abgebrochen
Der Berufungsprozess gegen die Zürcher Linksaktivistin Andrea Stauffacher vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona TI ist am Freitag kurz nach Beginn abgebrochen worden. Die 72-jährige Beschuldigte erschien nicht vor Gericht. Die Verhandlung wurde danach auf Mitte Oktober vertagt.
https://www.watson.ch/schweiz/z%C3%BCrich/586361978-berufungsverhandlung-gegen-linksextremistin-stauffacher-abgebrochen
+++KNAST
Präparierte Schoggi-Kugeln und Deos – so läuft der Schmuggel im Gefängnis ab
Beim Schmuggel ins Gefängnis werden die Leute erfinderisch. Das zeigen Beispiele der JVA Pöschwies. Dort wurden 2021 36 Handys sichergestellt und wegen Drogen 118 Strafen vollzogen.
https://www.20min.ch/story/praeparierte-schoggi-kugeln-und-deos-so-laeuft-der-schmuggel-im-gefaengnis-ab-268459263580
+++POLIZEI ZH
Stadtpolizei Winterthur: Anjan Sartory wird Stapo-Kommandant
Die Stadtpolizei Winterthur hat ab Februar einen neuen Chef: Anjan Sartory. Der 49-Jährige stösst von der Stadtpolizei St. Gallen, wo er sich für Diversität einsetzte, zum Korps.
https://www.landbote.ch/anjan-sartory-wird-stapo-kommandant-111652265898
+++POLIZEI DE
Forschungsprojekt „Rap und Polizei“ – Teil 1: Forschungsplanung
Dieser Beitrag stellt den Auftakt einer geplanten Artikelserie dar, die das Forschungsprojekt „Rap und Polizei. Die Darstellung der Polizei in deutschsprachiger Rapmusik (2015-2022)“ begleiten soll.
https://soztheo.de/forschungsprojekt-rap-und-polizei-teil-1-forschungsplanung/
+++RASSISMUS
Anfeindung im Netz gegen Politikerinnen mit Migrationshintergrund – 10vor10
Immer mehr Politikerinnen und Politiker erleben Hass und Anfeindungen – besonders betroffen von Frauenfeindlichkeit und Rassismus sind Frauen mit Migrationshintergrund. Dies auszuhalten, gelingt nicht immer.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/anfeindung-im-netz-gegen-politikerinnen-mit-migrationshintergrund?urn=urn:srf:video:6ab9b5cf-4282-49dc-9099-8543846b0fd0
+++RECHTSPOPULISMUS
Kleine Anfrage Alexander Feuz (SVP): Umweltschutz und Zwischennutzungen im Gaswerk-Aareal
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=757722c076c04d868f6b2146de15cd54
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derbund.ch 16.09.2022
Streit auf Facebook: SVP-Grossrat Korab Rashiti vergleicht Sozialismus mit Hitler
Der Sozialismus steht an der Wurzel jeder Diktatur, sagt der Seeländer Korab Rashiti in einem Facebook-Kommentar. Darf das ein SVP-Grossrat?
Matthias Gräub
Dass die sozialen Medien einen fruchtbaren Nährboden für Streit, Provokation und ideologisches Armdrücken bieten, ist nicht neu. Und so wird das Streitgespräch, das am vergangenen Mittwochabend auf der Facebook-Seite des Aargauer SVP-Nationalrats Andreas Glarner entflammt, auch nicht das letzte seiner Art sein. Agent Provocateur in einer anderweitig ziemlich SVP-lastigen Gruppendiskussion ist der Berner Historiker und Stadtführer Raphael Racine, bis letztes Jahr für die SP noch im Grossen Gemeinderat von Muri.
Racine provoziert bewusst mit dem Kommentar: «Die SVP ist nicht rechtsextrem, aber extrem rechthaberisch.» Dass er damit nicht lange auf Reaktionen warten muss, war vorherzusehen. Mit dieser Antwort des Gerolfinger SVP-Grossrats Korab Rashiti hat er aber kaum gerechnet: «Links habt ihr es geschafft, uns den Strom abzuschalten, jetzt fehlt euch nur noch ein Schnurrbart.» Vergleicht Rashiti gerade die SP mit Stalin? Oder etwa mit Hitler?
Nein, sagt der Libertäre aus Gerolfingen (Gemeinde Täuffelen), der erst im Sommer in den Grossen Rat gewählt wurde und dort einen der vier garantierten Romand-Sitze besetzt. «Ich sage nicht, die SP sei faschistisch. Ich sage nur, der Sozialismus bringe totalitäre Regimes hervor.» Ähnlich lässt er via Facebook im Kampfton verlauten: «In Wirklichkeit stammen alle menschlichen Schrecken aus dem sozialistischen Populismus, weshalb ich gegen diese völkermörderische sozialistische Idee kämpfe.»
Darunter setzt Rashiti ein Hitler-Foto mit französischsprachigem Zitat. «Nous sommes socialistes», «wir sind Sozialisten und Gegner des Kapitalismus», wird Adolf Hitler darauf zitiert. Rashiti kommentiert das inzwischen wieder von Facebook gelöschte Foto mit «Es ist 1 zu 1 die identische Ideologie».
Das lässt Raphael Racine nicht auf sich sitzen. Er bezeichne sich selber nicht nur als Sozialdemokraten, sondern als Sozialisten und fühle sich damit eindeutig angegriffen. Als Grossrat vertrete Rashiti die Bevölkerung im Parlament. «Da sollte er sich doch irgendwann mal mässigen.»
Racine schreibt zurück: «Du vergleichst die SP mit Hitler. Jetzt hast Du für mich definitiv eine rote Linie überschritten. Ich fordere Deinen Rücktritt als Grossrat.»
«Kein konstruktives Gespräch»
An einen solchen denkt SVP-Grossrat Rashiti freilich nicht. Stattdessen geht er zum Gegenangriff über: «So eine Forderung zeugt für mich von einer totalitären Denkweise.» Überhaupt habe ihn die Auseinandersetzung mit Racine geärgert: «Das war kein konstruktives Gespräch», sagt Rashiti, weil sein Gegenüber seine Sichtweise nicht akzeptiert habe. «Er brachte keine Gegenargumente, sondern verurteilte mich nur und wich der Debatte aus.» Rashiti weicht indes der Frage aus, ob denn der Schnurrbart, den er den Linken verpassen wollte, derjenige von Hitler oder derjenige von Stalin war.
Bereuen tut Korab Rashiti seinen Hitler-Stalin-Vergleich mit den Sozialisten nicht. «Ich meinte damit nicht die SP, sondern den Sozialismus als Ideologie.» Ein Missverständnis also? «Nein, ich glaube, er hat das absichtlich so verstanden, um mich zu diskreditieren», mutmasst Rashiti über Raphael Racine.
Und überhaupt beklagt er die Tabuisierung gewisser Themen: «Man darf nie von Hitler oder Stalin reden, nicht einmal, wenn das nuanciert passiert. Dabei sollte man doch in einer freien Gesellschaft seine Argumente, Ideen und Fakten einbringen können.»
Ein naiver Neuling?
Martin Schlup hat die Facebook-Konversation zwischen Racine und Rashiti noch nicht gelesen. Der Grossratspräsident und Präsident der SVP Biel-Seeland lässt sich den Sachverhalt am Telefon erklären und meint dazu: «Ich habe eigentlich gerne Leute, die sagen, was sie denken. Meinungsfreiheit ist für mich eines der höchsten Güter.» Als Politiker müsse man aber gut überlegen, was man ins Internet stellt. «Wenn man davon ausgeht, dass man auf Facebook posten kann, was man will, ist das vielleicht etwas naiv.» Damit spricht Schlup auch an, dass Korab Rashiti noch ein politischer Neuling ist. «Die Jüngeren reagieren auf Angriffe oft ziemlich stark. Nach ein paar Jahren erschrickt man nicht mehr so rasch.»
Ganz egal, was Rashiti im Internet zum Besten gibt, ist Schlup als Fraktionschef aber doch nicht. «Wenn die Aussagen zu heftig werden, müssen wir dann schon schauen. Das spiegelt immerhin unsere Partei wider.» Wenn eine Haltung in Extremismus übergehe, müsse man reden. «Seit ich dabei bin, mussten wir aber noch niemanden wirklich bremsen.»
«Niemand von den Schweizer Linken hat den Strom abgeschaltet»
Doch was ist nun dran an der These, an der SVP-Grossrat Rashiti so hartnäckig festhält? Steht der Sozialismus wirklich an der Wurzel jedes autoritären Regimes, wie Rashiti behauptet? Der Bieler Historiker Tobias Kaestli will eigentlich gar nicht so recht auf das Facebook-Gezanke zwischen Rechts und Links eingehen: «Niemand von den Schweizer Linken hat jemandem den Strom abgeschaltet», sagt er auf Rashitis ersten Kommentar. «So etwas zu behaupten und mit totalitären Herrschern in Verbindung zu bringen, ist höchst unseriös. Mit so etwas mag ich mich eigentlich nicht auseinandersetzen.»
Er tut es dann aber doch. Durchaus habe etwa der Nationalsozialismus, wie Rashiti behauptet, Wurzeln im Sozialismus. Jedoch nur unter anderem: «Er war ein Amalgam von verwaschenen sozialistischen Ideen mit einem rechtsextremen Nationalismus.» Momentan könne man diese Mischung beispielsweise bei Putin beobachten.
Heute geht es laut Kaestli weniger um links gegen rechts, sondern mehr um «die Frage, ob Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Völkerrecht und Menschenrechte gültige Grundlagen der Staatengemeinschaft sein sollen oder ob diese Werte durch nationalen Egoismus, Imperialismus und Führerkult ersetzt werden sollen». Die Entscheidung, so Kaestli, sollte für alle Demokratinnen und Demokraten in der Schweiz klar sein. «Und es sollte auch klar sein, dass Polemiken gegen den Sozialismus da in keiner Weise hilfreich sind.»
(https://www.derbund.ch/svp-grossrat-korab-rashiti-vergleicht-sozialismus-mit-hitler-989503814071)
+++RECHTSEXTREMISMUS 1
Neuen Germanische Medizin: Aargau Tourismus bewirbt Vortrag mit antisemitischem Beigeschmack
Das Aargauer Dachmarketing bewirbt über die Website «Aargau Tourismus» Events im Kanton verschiedenster Arten. Führungen, Konzerte, Kunst sowie auch Vorträge. Ein kurioser Vortrag der «Neuen Germanischen Medizin» ist zwei glp-Grossrätinnen besonders ins Auge gestochen.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/neuen-germanische-medizin-aargau-tourismus-bewirbt-vortrag-mit-antisemitischem-beigeschmack-ld.2344610
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Gefälschtes Energiespar-Plakat: Spur führt nach Russland – Echo der Zeit
In den sozialen Medien kursieren derzeit Bilder eines gefälschten Plakats mit dem Logo der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Das Plakat zeigt einen angeblichen Aufruf des Bundes, Personen zu denunzieren, die ihre Wohnung zu stark beheizen. Verbreitet wurde es unter anderem von russischen Social-Media-Konten. Wie wahrscheinlich ist eine professionelle Desinformationskampagne Russlands? Gespräch mit Julia Smirnova, Expertin für russische Propaganda.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/gefaelschtes-energiespar-plakat-spur-fuehrt-nach-russland?partId=12255139
Sie kämpfen gegen Diktatoren und satanistische Verschwörungstheorien: Zwei Ostschweizerinnen für den Prix Courage nominiert
Jedes Jahr vergibt die Zeitschrift «Beobachter» den Prix Courage. Nun stehen die diesjährigen Nominierten fest. Unter ihnen befindet sich Natallia Hersche, die gegen den belarussischen Präsidenten demonstrierte und dafür ins Gefängnis kam, und Gabriella Hagger, die ihre Tochter in Littenheid an eine Verschwörungstheorie verlor.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/appenzellerland/freiwilliger-einsatz-sie-kaempfen-gegen-diktatoren-und-satanistische-verschwoerungstheorien-zwei-ostschweizerinnen-fuer-den-prix-courage-nominiert-ld.2344648
+++FUNDIS
Protest gegen «Marsch fürs Läbe» in Zürich: Satanisches Ritual soll gläubige Abtreibungsgegner vergraulen
Neue Taktik im Kampf um den «Marschs fürs Läbe»: Unbekannte haben einen Film veröffentlicht, in dem sie den Marktplatz in Oerlikon, wo die Abtreibungsgegner demonstrieren wollen, dem Satan weihen.
https://www.tagesanzeiger.ch/satanisches-ritual-soll-glaeubige-abtreibungsgegner-vergraulen-260293157575
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/im-vorfeld-vom-umstrittenen-marsch-fuers-laebe-ist-die-stimmung-aufgeheizt-147973240
Selbsternannte Lebensschützer
Am 17. September 2022 kommt der „Marsch fürs Läbe“ erneut nach Zürich. In diesem Jahr liegt der inhaltliche Fokus auf zwei Initiativen aus den eigenen Rängen. Ein kurzer Überblick über die wichtigsten Player und Profiteur*innen.
https://daslamm.ch/selbsternannte-lebensschuetzer/
Marschieren gegen Selbstbestimmung
Am Samstag gehen beim »Marsch für das Leben« Abtreibungsgegner auf die Straße – nicht ohne Gegenproteste
Gegen Abtreibung, gegen Sexarbeit, gegen sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung: Der »Marsch für das Leben« stellt sie wie jedes Jahr gegen die Freiheit von Frauen und queeren Menschen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1166971.antifeminismus-marschieren-gegen-selbstbestimmung.html
+++ANTIWOKE/DREADLOCKMANIA/WINNETOUWHINEING
Ergebnisse der Marktforschung: Winnetou war viel mehr als ein Streit über einen Kinderfilm
Winnetou verboten? Wie die stark verzerrte Diskussion die politische Wahrnehmung prägt
https://scompler.com/winnetou-umfrage/
+++HISTORY
Braucht Geschichte Helden?
Nach einem Sklavenaufstand erklärte Haiti 1804 seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich. Eine neue Biografie des Schwarzen Aktivisten Toussaint Louverture nimmt der ersten antikolonialen Revolution der Geschichte ihre Radikalität
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1166982.dekolonialisierung-braucht-geschichte-helden.html
»Spanien ignoriert die Ausbeutung«
Bislang setzen sich der europäische Staat und seine Gesellschaft mit dem Menschenhandel und der jahrelangen Unterdrückung nicht auseinander, kritisiert der Historiker Martin Rodrigo y Alharilla
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1166981.sklavenhandel-in-spanien-spanien-ignoriert-die-ausbeutung.html
Europas letzte Sklavenhändler
Bis ins 19. Jahrhundert wurden über Spanien eine halbe Million versklavte Menschen verkauft – und das obwohl der Handel längst verboten war. Ein lukratives Geschäft, dessen Spuren sich noch immer in Barcelona finden.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1166980.sklaverei-in-spanien-europas-letzte-sklavenhaendler.html
Die rassistische Gewalt weißer Frauen
Frauen griffen in den 1950er- und 1960er-Jahren zu extremen Mitteln, um gegen die Aufhebung der Rassentrennung zu kämpfen. Ein bisher vernachlässigtes Kapitel der Geschichte des Rassismus.
https://news.rub.de/wissenschaft/2020-10-28-geschichte-die-rassistische-gewalt-weisser-frauen
Entmenschlicht
Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts wurden Menschen aus fernen Kulturen wie Tiere ausgestellt. Auch in St. Gallen gab es sogenannte «Völkerschauen». Eine Wanderausstellung der Künstlerin Cilgia Rageth erinnert im Lattich-Quartier an diese koloniale Form des Rassismus. Heute Abend wird informiert und diskutiert.
https://www.saiten.ch/entmenschlicht/
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bernerzeitung.ch 16.09.2022
Kampf für Gleichberechtigung: Vom Homoregister zum Trans-Stammtisch
Früher wurden sie wegen ihrer sexuellen Orientierung polizeilich erfasst, heute dürfen sie heiraten: ein Blick auf 50 Jahre Schwule in Bern.
Alexandra Elia
Rückblick in das Jahr 1977, in einem Rundschreiben hält die Kantonspolizei Bern fest: «Neu werden […] der Mannschaft Homosexuellen- und Dirnenmeldekarten abgegeben. Diese sind […] vollständig auszufüllen und dem Fahndungs-Informationsdienst, Dezernat ‹Sittlichkeit› zu überweisen.» Im Zirkular wird weiter ausgeführt: «Da in den meisten Fällen keine strafbaren Handlungen vorliegen, müssen die Erhebungen diskret erfolgen.»
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-> Auszug aus der Meldekarte «Strichjunge und Homo» der Kantonspolizei Bern aus den 1970er Jahren.
Foto: Archiv HAB queer Bern https://cdn.unitycms.io/images/D9OD01mc4Q_8oJuWQpz-xf.jpg?op=ocroped&val=1600,1600,1000,1000,0,0&sum=VoDbQuSbVrQ
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Dass Schwule oftmals nur aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in einem polizeilichen Register erfasst wurden, ist heute nahezu unvorstellbar. Doch Diskriminierungen dieser Art waren eine traurige Realität. «Die Unterdrückung Homosexueller, auch durch die Polizei, galt als einer der zentralen Auslöser in der Gründungsgeschichte der Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern (HAB)», erzählt der heutige Vereinspräsident, Christoph Janser. Genau 50 Jahre ist es her, seit die Gruppe 1972 ins Leben gerufen wurde.
Wenige Jahre vor der Gründung, in der Stonewall-Bar in New York City. Eine Razzia im Schwulenlokal führte 1969 zu gewalttätigen Konflikten zwischen LGBT-Personen und der Polizei. Der Stonewall-Aufstand wird in der LGBT-Bewegung als Wendepunkt im Kampf um die Gleichbehandlung angesehen. Dazu gehören unter der aus dem Englisch übernommenen Abkürzung unter anderem lesbische, schwule, bisexuelle und transgender Menschen. «Diese Dynamik ist damals auch in die Schweiz übergeschwappt», so Janser. Es formieren sich erste homosexuelle Gruppierungen in Zürich, Basel und schliesslich in Bern.
Wie geht es der Szene heute – wo steht die Emanzipation? «Unsere Vorgänger haben vieles erreicht», sagt Janser. Ein wichtiger Schritt war die Sichtbarkeit und Akzeptanz homosexueller Menschen. «Heute darf man sich zeigen, darf schwul sein», so der 54-Jährige.
Doch das war nicht immer so. Eine im Februar 1975 von der damaligen HAB organisierte öffentliche Informationsveranstaltung an der Universität Bern zum Thema «Homosexualität – Sexualität – Gesellschaft» sollte auf Anweisung des damaligen Rektors unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Teilnehmen durften nur Vereinsmitglieder. Im Jubiläumsbuch wird die darauffolgende Antwort festgehalten: «Es ist gerade unser Ziel, uns Schwule aus dem von der Gesellschaft zugewiesenen Ghetto rauszuholen und nicht weiter Verstecken zu spielen.»
1979, in Bundesbern. Die erste nationale Lesben- und Schwulendemonstration fordert «Gleiche Rechte für Schwule» und die Abschaffung des Berner Homoregisters. Im Berner Stadtrat wird wenige Tage später «Unmut» darüber geäussert, dass die Behörden eine solche Demonstration bewilligt hätten, wie der Vereinschronik zu entnehmen ist.
«Homosexualität macht krank»
Ab 1983 überschattete eine Krankheit alle anderen Anliegen innerhalb der HAB. «Die HIV-Epidemie beschäftigte den Verein während dieser Zeit stark», sagt Janser. «Viele unserer Mitglieder starben, manche suchten Halt in der Community.» Angekämpft wurde dabei nicht nur gegen die Krankheit, sondern besonders gegen die damit verbundene Stigmatisierung schwuler Menschen. Der Leserbrief eines entrüsteten Vereinsmitglieds widerspiegelt die damalige Stimmung: «Jetzt sucht man nach neuen Argumenten, die die Diskriminierung rechtfertigen soll: Homosexualität macht krank», steht darin.
Diese Erinnerungen kommen heute wieder hoch. Mit den Affenpocken zirkuliert erneut ein Virus, das vorwiegend Männer zu treffen scheint. Das beschäftigt auch das Gesundheitszentrum für die LGBT+- Community, den Checkpoint Bern. Dessen Hauptzielgruppe sind MSM, also Männer, die Sex mit Männern haben. «Wir haben bisher keine Rückmeldungen von konkreten Stigmatisierungen erhalten», sagt Geschäftsleiterin Chantal König in Bezug auf das Affenpockenvirus. «Unsere Klientinnen und Klienten äussern aber die Angst, dass das wie bei HIV passieren könnte», so König. Die lange Quarantänezeit und das damit verbundene Fehlen bei der Arbeit weckten zudem Befürchtungen, dass dies einem Zwangs-Coming-Out gleichkommen könnte.
Jassen im Quartier
Früher wie auch heute geht es innerhalb der HAB queer Bern um den Zusammenhalt und den Austausch untereinander. «Wir bieten regelmässig schwule Gesprächsgruppen an, in denen sich alle mit ihren Anliegen äussern können», sagt Präsident Janser. Daneben werden gemeinsame Essen und Beratungsangebote organisiert.
Nach dem Umzug in die Räume der Villa Bernau fiel dabei auch schon mal der Quartiertreff mit einem geplanten Vereinsessen zusammen. Statt den Anlass zu verschieben, wurden die Gruppen zusammengelegt. Das gemeinsame Jassen bleibt Janser als prägendes Erlebnis: «Diese Offenheit war sehr schön», erzählt er, «und vielen wurde dabei bewusst, dass die sexuelle Ausrichtung eigentlich nebensächlich ist.»
Derzeit verzeichnet der Verein um die 350 Mitglieder, mit steigender Tendenz. Das dürfte auch auf die «Annäherung an den Buchstaben T» zurückzuführen sein. Mit dem Zusatz «queer» in ihrem Namen öffnet sich die HAB in den 2010er-Jahren unter anderem auch für trans Menschen. Mittlerweile ist auch im Vorstand eine trans Person vertreten, und es werden regelmässig Trans-Stammtische durchgeführt. Laut Janser besteht hier viel Nachholbedarf. «Die trans Menschen sind heute da, wo wir uns vor 30 Jahren befanden.»
Vor dreissig Jahren zum Beispiel, im Sommer 1989, griff ein Mann im Marzilibad mehrmals Schwule tätlich an und beschimpfte sie. Der Mann wurde für sein Verhalten verurteilt. Aber die Gewalt und der Hass gegen queere Menschen bleiben eine Tatsache. Erst viele Jahre später wurde im Berner Kantonsparlament eine Motion zur statistischen Erfassung von Überfällen gegen LGBT-Menschen angenommen – eine Forderung, welche die HAB queer jahrelang unterstützte.
Doch bezüglich Gewaltverbrechen zeichnet die letztjährige Bilanz des Transgender Network Switzerland ein ernüchterndes Bild: Die Meldestelle der Organisation verzeichnete 2021 zwei LGBTQ-feindliche Hassverbrechen pro Woche, mit einer hohen Dunkelziffer. Gemäss der Auswertung handelte es sich bei einem Grossteil der Meldungen um Beleidigungen oder Beschimpfungen. Nicht weniger als 30 Prozent der Betroffenen erlebten physische Gewalt.
Mittlerweile dürfen gleichgeschlechtliche Menschen heiraten und Kinder adoptieren. Die Erweiterung der Rassismusstrafnorm vom Juli 2020 schützt Menschen vor Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Welche Ziele verfolgt HAB queer als Verein heute eigentlich noch?
«Viele Themen sind gleich geblieben», sagt Janser. «Auf dem Schulplatz wird noch immer ‹schwule Sau› als Beleidigung gerufen.» Anderes sei neu dazugekommen: «Wir beschäftigen uns zum Beispiel damit, was mit queeren Menschen nach ihrer Pensionierung geschieht», so Janser. Einigen sei es beispielsweise ein Bedürfnis, auch im Pflegeheim Bezug zu anderen queeren Menschen zu haben. «Viele aus der Community suchen im Alter einen vertrauten Austausch.»
Janser blickt stolz auf das zurück, was der Verein erreicht hat. «Uns wird es auch in den nächsten fünfzig Jahren noch brauchen», sagt er, «auch wenn vielleicht in einiger Zeit nur noch zum Kaffeetrinken und um sich auszutauschen.»
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Fünfzig Jahre Kampf für gleiche Rechte
Der Verein HAB queer Bern wurde am 6. Dezember 1972 als «Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern HAB» gegründet. In Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsnetzwerk «Checkpoint Bern» der Aids-Hilfe Bern bietet er Beratungen an, engagiert sich für politische und gesellschaftliche Anliegen und organisiert Freizeitangebote. HAB queer Bern feiert ihr Jubiläum am Samstag, 17. September 2022, ab 17 Uhr mit einem Fest im Sternensaal Bern-Bümpliz. Neben feierlichen Reden und Grussbotschaften wird auch die 250-seitige zum Jubiläum erstellte Chronik «50 Jahre bewegt» offiziell vorgestellt. (ela)
(https://www.bernerzeitung.ch/vom-homoregister-zum-trans-stammtisch-608765878296)
+++RECHTSEXTREMISMUS 2
bernerzeitung.ch 16.09.2022
Geschichte einer Verwandlung: Der Neonazi, der zum Aussteiger wurde
Pascal Lüthard war eine bekannte Figur der rechtsradikalen Pnos. Jetzt lebt er als Selbstversorger in Portugal – und blickt selbstkritisch zurück.
Johannes Reichen
Pascal Lüthard hält die Handykamera nach unten und zoomt in ein braunes Loch in der Erde. Es wuselt und wimmelt darin. «Die Würmer klären mein Dreckwasser», sagt er. Noch ein bisschen Salat dazu, und die Tierchen seien zufrieden.
Er ist es auch. Das WC riecht nicht.
Lüthard lebt jetzt unter der Sonne des Südens. Mit seiner Freundin wohnt er in einer alten Mühle. Zusammen mit Freunden besitzen die beiden ein Stück Land samt Ruinen. Sie versuchen, mit und von der Natur leben, so gut es eben geht. Er hat eine Baumschule, sie ist Schneiderin und möchte ein Atelier einrichten.
Er setzt sich in den Schatten und greift zu einem Glas Orangensirup. Die Früchte kommen vom eigenen Hof, das Eis wurde mit Solarstrom vom Dach gekühlt. «Nur der Zucker ist gekauft», spricht er in die Kamera. Er möchte das auch noch ändern, daheim in Castelo Branco, Portugal.
Es ist ein Landstrich mit viel Platz und günstigem Boden. Ein Ort für Verrückte und Träumer. Einige hätten viel Geld mit Kryptowährungen verdient, erzählt Lüthard. Die Leute hier betrieben Permakulturen oder Yogafarmen. Einer seiner Nachbarn lebe nach seinem eigenen Kalender im Jahr 1300 oder so und kleide sich immer orange.
Lüthard fühlt sich wohl in dieser Nachbarschaft, ohne Anschluss ans Stromnetz, ohne Kanalisation, dafür mit Bio-WC.
Nur seine braune Vergangenheit kann er den Würmern nicht zum Frass vorwerfen.
Lüthard war mal einer der bekanntesten Neonazis in der Schweiz. Der Berner gehörte zur rechtsextremen Partei national orientierter Schweizer (Pnos) und wurde mehrmals verurteilt. Jetzt, mit 38, führt er das Leben eines Aussteigers, aber so sieht er sich nicht. «Ich bin nur ein Aussteiger aus der rechten Szene.»
Für ein paar Monate im Jahr kehrt er jeweils in die Schweiz zurück. Dann arbeitet er in seinem Beruf als Landschaftsgärtner und verdient Geld, um sein freies Leben in Portugal zu finanzieren. Auch im Frühjahr 2022 tat er das.
Am 11. Februar sah er ein Foto von sich in der Zeitung und erfuhr, dass die Pnos sich aufgelöst hat. Ein paar Tage später schrieb er: «Das Foto hat mich wieder mal an meine – nicht gerade schöne – Vergangenheit erinnert.» Er sei bereit, davon zu erzählen.
Die Provokation
Lüthard fragt sich manchmal selbst, wie die Ideologie des Rechtsradikalismus zu ihm und seinen Freunden kam. Sicher sagen kann er, dass es schnell gegangen sei – und dass Rassismus als Provokation plötzlich «auf der Festplatte» gespeichert gewesen sei, also in seinem Denken. «Kaum ist man da drin, beginnt man zu glauben, was man liest und hört.»
Er wuchs in Roggwil im Oberaargau auf, am Rand des Kantons Bern. Der Vater war Kaufmann, die Mutter Antiquitätenhändlerin und in der SP. In den Ferien ging es auch mal in die USA. Es habe an nichts gefehlt. «Ausser vielleicht an etwas, gegen das wir rebellieren konnten.»
Mit 15 Jahren bestand seine Welt aus Basketball, den Chicago Bulls, Michael Jordan. «Ich habe fast nur Basketball gespielt.» Auf dem Pausenplatz im Dorf, hauptsächlich mit Ausländern, er hatte kein Problem damit. Aber das änderte sich.
Lüthard gehörte einer grossen Clique an. Ein paar wenige hätten rechtsradikal gedacht – die Cooleren, wie er fand. Bald kursierten Kassetten mit rechtsradikaler Musik. Im Ausgang habe man Gleichgesinnte getroffen oder sich im Wald um ein Feuer versammelt. «Das war abenteuerlich.» Oder man traf sich im Keller seines Elternhauses. «Dort hatten wir einen Glatzenraum.» Auch sein um ein Jahr älterer Bruder Dominic war dabei.
Mit dem Internet und den Handys sei es immer einfacher geworden, sich zu vernetzen. «Wir hatten bald Kontakt mit anderen Gruppen aus der Schweiz.» Aus dem Emmental, dem Aargau, der Inner- oder der Ostschweiz.
«Den Skinheadstyle fand ich geil», sagt er. Bomberjacke, Bluejeans, Gürtelschnalle, Doc Martens. Und die Embleme der rechten Skinheads.
«Ich kann heute nur schwer sagen, was mich angezogen hat», sagt Lüthard. Was ihm sicher gefallen hat: sich selbst ins Abseits zu stellen, sich komplett von den anderen abzugrenzen. Er sagt: «Ich hätte auch Punk werden können.»
Das Dorf
Der ehemalige Pfarrer Hans Gerber erinnert sich gut an Lüthard. «Er war mein Konfirmand.» Gerber erzählt, wie einige Jungen aus dem Dorf mit kahlrasierten Köpfen im Konflager erschienen seien, Lüthard vorneweg.
Besonders im Gedächtnis geblieben sind ihm zwei Märsche, die Neonazis in der Nähe des Pfarrhauses organisiert hatten. Gerber zitiert im Stakkato ihre Parole: «Hier marschiert der nationale Widerstand.» Das sei sehr unangenehm gewesen. Es habe eine Zeit gegeben, da habe er sich gut überlegt, wohin er abends gehe.
Mit Lüthard habe er viele Diskussionen geführt. «Wir haben von christlichen Werten geredet, von Frieden und Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung. Aber das war für ihn nur Gugus.» Lüthard habe gesagt: Mit guten Mitteln kommt man nirgends hin, aber mit den bösen hat man sofort Erfolg.
Lüthard sagt dazu: «Von den älteren Schülern haben wir gelernt, dass man nirgendwo so viel Seich machen kann wie im Konflager.» Es stimme zwar, dass er damals schon in der rechten Szene aktiv gewesen sei. «Aber Herrn Gerber konnte man mit rechten Ansichten auch leicht provozieren.»
Priska Grütter kennt die beiden Lüthard-Brüder als «Bünzu» und «Gixu». Sie kommt aus dem gleichen Dorf und machte einst Schlagzeilen, als sie sich gegen eine «rassistische Maitanne» wehrte. Bei diesem Brauch, bei dem die Namen aller volljährig gewordenen Mädchen an eine Tanne geschlagen wurden, fehlten zu Beginn des neuen Jahrtausends immer wieder die fremdländischen Namen. 2005 stieg sie zusammen mit einer Kollegin auf den Baum und brachte die fehlenden Namen an.
Es habe viele Junge mit rechtsextremer Gesinnung gegeben, sagt Grütter. Die beiden Lüthard-Brüder hätten in dieser Szene eine dominante Rolle gespielt. «Das waren keine finsteren Typen.» Im Gegenteil, sie hätten Rechtsextremismus schon fast salonfähig gemacht im Dorf.
Dominic Lüthard wurde als Sänger der Band Indiziert bekannt, die Alben mit Titeln wie «Eidgenössischer Widerstand» oder «Marsch auf Bern» veröffentlichte. Von 2012 bis 2019 war er Vorsitzender der Pnos Schweiz. Er lebt in Roggwil und wollte sich für diesen Artikel nicht äussern.
Die Gewalt
Eine wichtige Rolle in der Szene spielten Alkohol und Gewalt. «Klar, das war ein Problem», sagt Pascal Lüthard. «Wir wussten, wenn wir jetzt diesen oder jenen Ort besuchen und auch noch trinken, dann braucht es nicht mehr viel.» An Partys, in Bars und Beizen sei es immer wieder zu Schlägereien mit Linken gekommen. An einer Hausecke hätten sich nur zwei Kontrahenten an den Hals geraten müssen – schon sei es passiert gewesen. Oft im nahen Langenthal.
Sei seine Clique auf eine Gruppe Linke gestossen, dann habe sicher die eine oder die andere Seite Streit angefangen. «Das heisst nicht, dass es jede Woche zu einer Massenschlägerei gekommen ist.» Aber die Stimmung sei sehr oft sehr aggressiv gewesen. Und er habe gern mitgemacht.
Lüthard telefonierte jeden Sonntagmorgen mit seinem besten Kollegen. «Da waren wir jeweils gescheit genug, um zu reflektieren, dass das nicht so gut war, was wir am Samstagabend gemacht haben», sagt Lüthard. «Aber nicht gescheit genug, um am nächsten Wochenende was anderes zu machen, statt zu saufen und uns zu prügeln.»
Nicht nur mit den Linken prügelten sich die Oberaargauer Rechten, sondern oft auch mit den Fans des EHC Olten. Lüthard selber bewegte sich im Umfeld des SC Langenthal. «Es gab da keine klare Trennung.» Schlägereien gegen Linke oder unter Fans seien häufiger vorgekommen als Gewalt gegen Ausländerinnen und Ausländer.
Nur an der Fasnacht hätten sie sich manchmal mit türkischen oder albanischen Jugendlichen geprügelt. Auf der anderen Seite hätten ihnen Junge aus Kroatien oder Serbien viel Sympathien entgegengebracht. «Die teilten unser Idealbild eines nationalistischen Staats. Und unser Machogehabe.»
Das Feindbild
Ab 2001 war die linke Langenthaler Szene im Lakuz daheim. Einer der Gründer des alternativen Kulturzentrums war Samuel Deubelbeiss. Etwas später absolvierte er in Bern das zehnte Schuljahr – im gleichen Jahr, aber nicht in der gleichen Klasse wie Lüthard. Er habe ihn oft im Zug getroffen, sagt Deubelbeiss. «Es war oft sehr unangenehm.»
Manchmal habe Lüthard ein T-Shirt mit der Aufschrift «Wehrmachtssoldat» getragen und auch mal den Hitlergruss gemacht. Und oft habe er sich im Zug neben ihn gesetzt und ihn bedrängt. «Er wusste, dass ich beim Lakuz mitmache, ich habe seinem Feindbild entsprochen.» Er, Deubelbeiss, sei etwas bunter angezogen als die meisten anderen Leute. «Das hat schon gereicht.»
Er habe vor Lüthard Angst gehabt und manchmal extra einen späteren Zug genommen. «Ein einziges Mal hat er mich geboxt.»
Lüthard sagt, dass er sich an Deubelbeiss und «solches Zeugs» erinnern könne. Das sei ein Teil seines Lebens, darauf sei er nicht stolz. «Immer nur der Täter war ich allerdings auch nicht.» Er sei manchmal ebenfalls abgepasst worden.
Deubelbeiss sagt, dass es für Leute aus der linken Szene und für ausländische Menschen manchmal gefährlich gewesen sei. Der schlimmste Vorfall ereignete sich wohl am 21. September 2002. Rund 30 Rechtsextreme überfielen in Langenthal zunächst das Lakuz, warfen Scheiben ein und demolierten die Einrichtung. Anschliessend griffen die Skinheads beim Spital eine trauernde türkische Familie an. Ein Mitglied der Familie war gerade gestorben.
Beide Lüthard-Brüder wurden später verurteilt. Das Gericht konnte allerdings nicht nachweisen, dass Pascal Lüthard bei der Auseinandersetzung vor dem Spital dabei gewesen war.
Die Partei
Im Herbst 2004 betrat Lüthard erstmals die politische Bühne. Bei den Stadtratswahlen in Langenthal errang die Pnos einen Sitz im Parlament. Der Gewählte hiess Tobias Hirschi. Lüthard begleitete ihn am Wahlabend und trat mit streng nach hinten gegelten Haaren vor die Mikrofone.
Wer er sei, fragte ein Journalist. «Stützpunktführer der Pnos Bern», sagt Lüthard, korrigierte sich dann aber: «Eher Stützpunktleiter.»
Diese Bezeichnung sei in der Euphorie entstanden. Er habe kein Amt bei der Pnos gehabt. «Einer sagte zu mir, stell dich doch einfach als Stützpunktleiter vor.» Das habe er gemacht. Später habe er das noch mit der Parteileitung besprochen. «Die haben gesagt, momou, das geht.» Man habe ja schlecht zurückrudern können.
Die Pnos war im Jahr 2000 im Kanton Baselland gegründet worden und vertrat ein «völkisch-nationalistisches» und somit rassistisches Gedankengut. Im Lauf der folgenden Jahre wurden mehrere Mitglieder wegen des Verstosses gegen die Antirassismusstrafnorm verurteilt.
Die Pnos war vor allem im Mittelland präsent, insbesondere im Oberaargau. Für landesweites Aufsehen sorgten die Rechtsextremen jeweils am 1. August auf dem Rütli. Insbesondere im Jahr 2005, als sie eine Rede von Bundesrat Samuel Schmid störten.
Lüthard sagt, er sei zusammen mit seinem Bruder und anderen Roggwilern von der Pnos angefragt worden, ob er mithelfen würde, Hirschi zu unterstützen. Dessen Wahl habe dann gleich Euphorie ausgelöst.
«Wir dachten wirklich, dass das der Anfang von etwas Grossem sein könnte.» Dabei seien es gerade mal 70 Personen gewesen, die Hirschi gewählt hätten. «Wir hätten also schon merken können, dass wir nicht die schweigende Mehrheit repräsentieren.»
Sie seien damals eine sehr lose Truppe gewesen. «Es gab welche, die haben ein wenig mitgedacht.» Die hätten von dem ganzen Rebellischen wegkommen wollen und der Gewalt abgeschwört. Aber das seien längst nicht alle gewesen. Er auch nicht, obschon er öffentlich sagte, er lehne Gewalt ab. «So ein Scheiss, das war gelogen.»
Gewalt sei einfach ein Teil seines Lebens gewesen. Zum Glück sei nie etwas wirklich Schlimmes passiert, zum Glück habe er nie jemandem bleibenden Schaden zugeführt.
Nur einmal traf er auch mit Worten hart.
Die Beleidigung
Im Sommer 2005 besuchte Lüthard mit Kollegen die Solätte, das Stadtfest in Burgdorf. Ein junges Paar wurde von einer Gruppe Rechter verfolgt. Auf einer Restaurantterrasse kam es zu wüsten Szenen, bei denen auch Lüthard anwesend war.
Nadaw Penner, ein israelisch-schweizerischer Doppelbürger und damaliger Stadtrat der SP, wollte im Streit schlichten. Lüthard beschimpfte ihn auf rassistische Weise.
«Ich kannte ihn nicht», sagt Lüthard. «Aber jemand sagte mir, dass er Jude sei. Da dachte ich, so, ich beleidige ihn jetzt mal.»
Penner erstattete Anzeige. Im Juni 2007 wurde Lüthard rechtskräftig wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Das Obergericht erkannte eine «massive Herabminderung der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit». Lüthard musste eine Busse von 800 Franken und Penner eine Entschädigung von 100 Franken zahlen.
Ein paar Jahre nach dem Vorfall habe er Penner einmal angerufen und sich entschuldigt. «Das war eine Sache, für die ich mich entschuldigen konnte, da hatte ich einen Namen.» Bei manch anderem Vorfall habe er die Involvierten nicht gekannt.
Penner sagt heute, dass ihn die Sache sehr betroffen gemacht habe. Seither sei aber viel Zeit vergangen und die Angelegenheit nicht mehr so präsent. Er bestätigt, dass Lüthard ihn einmal angerufen hat. «Ich habe die Entschuldigung angenommen.» Er kenne ihn nicht näher, denke aber, dass sie wirklich ernst gemeint gewesen sei.
Im Zuge der Recherchen zu diesem Artikel haben die beiden nochmals miteinander gesprochen.
Die Reise
Lüthard war beim Prozess im Fall Penner am Berner Obergericht nicht dabei, sondern reiste damals durch Afrika. Und begann, seine Sicht der Dinge langsam zu ändern. Mit den Diskussionen in seiner Clique hatte er schon länger Mühe bekundet. «Ich dachte, wenn ich zurückkomme, ist alles vorbei.» Doch er sei wieder am gleichen Punkt gewesen: Kameradschaft, Alkohol, Gewalt.
Im Jahr 2008 oder 2009 sei er nach einem Hockeymatch wieder mal verhaftet worden. Er habe eine Nacht im Knast verbracht. «Da hatte ich schon länger keinen Scheiss mehr gebaut, aber das war wieder ein Rückfall.» Da habe er sich geschworen, dass er sein Leben ändere. «Ich fand es einfach nicht mehr lustig.»
Die Neonazi-Treffen besuchte er immer seltener. «Mit ein paar wenigen habe ich darüber gesprochen, wie sie das sehen.» Aber das sei keine Diskussion gewesen, die sie gern geführt hätten. Er selbst fand einen neuen Freundeskreis. «Zum Glück fällt mir das leicht.»
Mitte 2010 zog Lüthard nach Peking. Er lernte Chinesisch, jobbte in einem Restaurant, versuchte sich als Erfinder. Nach zwei Jahren kehrte er zurück. «Ich war nicht weggegangen, um von der Szene loszukommen.» Aber es sei doch ein wichtiger Schritt gewesen.
Bald packte er wieder seine Sachen für eine Reise, die einen Zeitungsartikel wert war. Im April 2012 berichteten die «Freiburger Nachrichten» über Lüthard und porträtierten einen jungen Mann, der mit einem russischen Motorrad um den Globus fahren wollte. Ein Abenteurer, ein Weltenbummler. Die Vergangenheit war im Artikel kein Thema. «Ich konnte damals noch nicht darüber reden.»
Portugal, Marokko, USA, Mexiko, Thailand, Indien, Serbien waren ein paar Stationen seiner Reise. Er lebte günstig, schlief oft draussen. Mit Unterbrüchen dauerte der Trip vier Jahre. Es sei keine spirituelle Reise gewesen. Aber er habe die Chance erhalten, sich komplett neu zu erfinden. «Ich kam zurück als der, der ich sein wollte.» Gewalt und Rassismus hätten da einfach keinen Platz mehr gehabt.
Von der Szene sei er nicht zurückgehalten worden. Professionelle Hilfe habe er keine benötigt. «Es war eigentlich ganz leicht.»
In Goa hatte er einen Portugiesen kennen gelernt. Der machte ihn auf eine alte Mühle in Castelo Branco aufmerksam. Er kaufte sie und zog 2019 mit seiner Freundin dorthin. Sie kommt aus einem Nachbarland der Schweiz. «Aber wir definieren uns nicht über Nationalität.»
Der Neustart
Der Freundeskreis in Portugal kennt seine Geschichte. «Meiner Freundin habe ich früh davon erzählt.» Er selbst blickt zweifelnd zurück. Die Anfangsphase könne er vielleicht damit rechtfertigen, dass er jung und rebellisch gewesen sei. «Aber die Pnos-Phase kann ich nicht entschuldigen.» Er kenne viele, die schon mit 20 oder 21 ausgestiegen seien.
Heute bezeichnet er sich als linksalternativ. Offenheit, Toleranz und Freiheit seien ihm wichtig. Aber er sei kein Mystiker, lehne den Staat nicht ab. «Ich bin ein Teil unserer Gesellschaft.» Selten noch spüre er den Rebellen von früher in sich. Und er zieht sich gern auffällig an.
Für sein früheres Leben empfinde er rückblickend tiefe Scham. «Heute distanziere ich mich von jeder Art von Rassismus und Ausgrenzung.» Und er wisse jetzt: «Über Toleranz und Menschlichkeit scheint die Sonne am hellsten.»
Und sie scheint hell über Portugal. Hier will er bleiben, sicher 20 Jahre lang, das ist der Plan. Sein neues Zuhause lade dazu ein, sich von der Welt abzuhängen. «Aber wir versuchen, up to date zu sein.» Das müssten sie nur schon wegen der Bewässerung der Kulturen, das sei eine grosse Aufgabe. Überhaupt, es gebe viel zu tun in Castelo Branco, sie stünden jeden Tag zwölf Stunden auf den Beinen.
«Die Aussteigerromantik», sagt Pascal Lüthard, «hat nur gerade ein Jahr gedauert.»
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Warum Rechtsextreme aussteigen
«Extremismus ist nach unserer Erfahrung vor allem ein Jugendphänomen», sagt Laurent Luks von der Fachstelle Radikalisierung und Gewaltprävention der Stadt Bern. Rechtsextreme gerieten oft durch Krisen, Unsicherheit oder Frust in die Szene. Dort erhielten sie – generell bei Extremismus – einfache Antworten auf schwierige Fragen. Auch Gruppendynamik und Gewalterlebnisse spielten eine Rolle.
Im Umkehrschluss heisse das, dass bei manchen die Einsicht reife, dass die Antworten doch falsch seien. Oder dass ihnen die Gruppe nicht das geben könne, was sie bräuchten. Ein Anreiz könne auch sein, dass sie etwa eine Freundin ausserhalb der Szene fänden. So komme es zum Ausstieg.
In einer Studie der Fachstelle für Rassismusbekämpfung aus dem Jahr 2007 erforschte die Uni Basel die Ausstiegsmotivation. Dazu gehört etwa, dass in rechtsextremen Gruppen nicht persönliche Beziehungen, sondern Kameradschaft zählt; komme es zu Konflikten, führe das rasch zur Spaltung.
Weitere Gründe könnten Burn-out-Symptome oder die Belastung durch ständige Konflikte, Konfrontationen mit der Polizei oder Strafverfahren sein. Die Mitgliedschaft werde als «nichts bringend» erachtet. Gewalt erscheine je länger, je sinnloser. Begünstigend für den Ausstieg sei die Unterstützung von Freunden und Kollegen. Der Einfluss der Familie sei dagegen gering, die Gesprächsbereitschaft der Eltern aber wichtig.
Diese Erkenntnisse seien noch immer gültig, sagt Giorgio Andreoli von der Fachstelle gegen Gewalt und Rassismus «gggfon». Besonders wichtig seien Peergroups, also Gleichaltrige. Aber auch die Gesellschaft spiele eine wichtige Rolle. Sie sei sensibler geworden, schaue genauer hin. Dass Rechtsextremismus oft nur eine jugendliche Phase sei, verneint er: Es gehe auch um echte Überzeugung.
Während in Deutschland das von einem ehemaligen Neonazi mitgegründete Programm «Exit» Ausstiegshilfen für Rechtsextreme anbietet, gibt es in der Schweiz kein solches Angebot. «Der Leidensdruck ist bei uns weniger hoch», sagt Fachstellenleiter Luks.
Er verweist aber auf die Massnahmen im Nationalen Aktionsplan gegen Radikalisierung. Zudem gebe es in Bern ein Programm für die Wiedereingliederung, das auch Rechtsextremen offenstehe. Auch die Radikalisierungsfachstellen sind eine Anlaufstelle für Aussteiger. Doch das «gggfon» erhielt in 22 Jahren gerade mal zwei Anfragen, die Stadtberner Fachstelle in 8 Jahren keine. (rei)
(https://www.bernerzeitung.ch/der-neonazi-der-zum-aussteiger-wurde-306468440391)