Medienspiegel 15. September 2022

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+++ZUG
luzernerzeitung.ch 15.09.2022

«Flüchtlingsunterkünfte sind meistens nicht barrierefrei»: Zuger Verein kümmert sich um Geflüchtete mit Handicap

Die Stiftung David Dienst unterstützt geflüchtete Menschen mit Handicap – auch solche aus der Ukraine. Die Notwendigkeit ist da, allerdings stellt die Finanzierung eine Herausforderung dar und die Behörden sind nicht vorbereitet.

Sina Engl

Die Stiftung David Dienst Schweiz mit Sitz in Zug unterstützt Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Sie bietet psychosoziale Beratung für Menschen in Not an und führt eine Helpline für Menschen mit Handicap. Seit dem Krieg in der Ukraine widmet sie sich einer neuen Aufgabe. An den Flüchtenden, welche die Schweiz seit dem Frühling erreichen, ist nämlich etwas besonders.

«Als der Krieg begann, stellte man fest, dass mehr Menschen mit Handicap die Möglichkeit haben zu fliehen», erzählt Marco Jörg, Geschäftsführer der Stiftung David Dienst Schweiz. Das liege wohl vor allem daran, dass der Weg von der Ukraine in die Schweiz nur über Land führt. «In 24 Stunden ist man mit dem Auto da. Eine Flucht aus beispielsweise Eritrea ist für jemanden mit Handicap beinahe unmöglich.»

«Hinzu kam die riesige Solidaritätskette, überall gab es Hilfe», erklärt Jörg weiter. Es sei kein Problem für die beeinträchtigten Menschen gewesen, aus der Ukraine auszureisen.

Doch in der Schweiz angekommen stellte sich heraus, dass weder das Staatssekretariat für Migration (SEM) noch die Kantone oder Gemeinden ein Konzept haben, wie mit Geflüchteten mit Handicap umzugehen ist.

Beratung statt praktische Unterstützung

Beispielsweise erhielt der Geschäftsführer der Stiftung Anfang April einen Anruf von einer etwas verzweifelten Gemeindepräsidentin. In ihrer Gemeinde seien vier Flüchtlinge mit Beeinträchtigung untergekommen und sie wisse nicht, wie sie damit umgehen soll. Daraufhin klärte Marco Jörg im Behindertenwesen ab, «ob jemand etwas macht». Er stiess lediglich auf Beratungsangebote, die praktische Unterstützung schien zu fehlen.

«Ich war überrascht von der Trägheit. Niemand schien wirklich Lust zu haben, sich voll einzusetzen», erklärt Jörg, der selbst seit seiner Geburt blind ist.

Besonders schlimm sei für Geflüchtete mit Handicap die Isolation und dass sie an Integrationsmassnahmen nicht teilhaben könnten. Die Geflüchteten bräuchten Hilfe dabei, sich eine sinnvolle Tagesstruktur aufzubauen, man müsse sie in den Alltag einbringen. «Zu Hause hatten sie ihr Leben eingerichtet, jetzt ist alles neu. Diesen Leuten fällt noch viel mehr weg als anderen Geflüchteten», so Marco Jörg.

Die Nationale Koordinationsstelle Nakos

Im Juni rief die Stiftung David Dienst den Arbeitsbereich «Nakos» ins Leben. Die Nationale Koordinationsstelle für Flüchtlinge mit Handicap ist bis jetzt die einzige Stelle, die sich auf die praktische Begleitung und Betreuung von beeinträchtigten Flüchtlingen spezialisiert hat. Nakos bietet Hilfe für Behörden wie auch Privatpersonen an. Der Ablauf unterscheidet sich dementsprechend.

Zu Beginn wird ein Fall gemeldet. «Wenn sich Privatleute melden und um Hilfe bitten, nehmen wir den Fall proaktiv auf und gehen auf die Sozialdienste zu», erklärt Jörg. Melden sich kantonale Stellen oder der Bund, erfolge vorerst eine Bedarfsabklärung. «Wir gehen vor Ort und klären mit den Beteiligten die Situation ab.»

«Flüchtlingsunterkünfte sind zum Beispiel meistens nicht barrierefrei», so Jörg weiter. «Oft wird vergessen, dass die Geflüchteten mit Handicap gewisse Anrechte haben.» Die UNO-Behindertenrechtskonvention sei in der Schweiz bindend und räume den Behinderten beispielsweise ein Recht auf die Teilhabe an Integrationsmassnahmen ein.

Wenn abgeklärt werden konnte, dass ein Bedarf vorhanden ist, übernimmt Nakos gewisse Dienstleistungen. «Wir bieten medizinische, aber auch sozialpädagogische Pflege an oder begleiten die Geflüchteten zu Ämtern», so Marco Jörg. «Wir sind sozusagen der verlängerte Arm der Sozialen Dienste.»

Auf Spenden angewiesen

Die Finanzierung der Dienstleistungen sei oft schwierig. «Zu einem Teil werden wir von den Gemeinden finanziert, das deckt etwa 60 Prozent unserer Kosten», erklärt der Stiftungsleiter. «Für die restlichen 40 Prozent sind wir auf Spenden angewiesen.» Momentan ist die Stiftung auch auf der Suche nach Liegenschaften, wie etwa eine ehemalige Klinik oder ein Hotel. «Wir würden gerne ein nationales Kompetenzzentrum einrichten, wo wir die Geflüchteten einige Wochen zu uns nehmen können, bevor sie einquartiert werden.»

Nakos betreut momentan rund 50 Fälle. Marco Jörg schätzt die Zahl der Geflüchteten mit Handicap in der Schweiz auf rund 120. «Es ist wichtig, dass man in der ganzen Schweiz zusammenarbeitet», erklärt er. «Und vor allem muss man auch die Angehörigen mit ins Boot nehmen, die spielen eine grosse Rolle.»
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/stiftung-fluechtlingsunterkuenfte-sind-meistens-nicht-barrierefrei-zuger-verein-kuemmert-sich-um-gefluechtete-mit-handicap-ld.2342657)


+++ZÜRICH
nzz.ch 15.09.2022

Gewalt, Drohungen und zwei Vergewaltigungen: Die Polizei hat im Bundesasylzentrum in Zürich-West seit der Eröffnung viel zu tun

Über hundert Verstösse hat die Stadtpolizei im Zentrum in den letzten drei Jahren registriert. In einem Viertel der Fälle war Alkohol im Spiel.

Daniel Fritzsche

Im Bundesasylzentrum in Zürich-West kommt es immer wieder zu brenzligen Situationen. Besonders dramatisch war es in der Nacht auf den 14. April dieses Jahres. Über 30 Personen waren in eine Auseinandersetzung verwickelt; gleich zweimal musste die Stadtpolizei ausrücken. Drei Bewohner sowie zwei Sicherheitsmitarbeiter wurden verletzt. Am Ende nahm die Polizei neun junge Afghanen vorläufig fest.

Die SVP nahm den schweren Vorfall zum Anlass, um im Stadtparlament mehr in Erfahrung zu bringen. Vom Stadtrat wollten die Gemeinderäte Martin Götzl und Stephan Iten wissen, wie die generelle Sicherheitslage im Asylzentrum mit seinen zum Teil mehreren hundert Bewohnern zu beurteilen sei. Nun sind die Antworten eingetroffen.

Der Stadtrat betont, dass für den Betrieb des Zentrums an der Duttweilerstrasse der Bund zuständig sei, konkret das Staatssekretariat für Migration. Für die Sicherheit habe der Bund die private Security-Firma Protectas beauftragt. «Bei Bedarf» würde die Stadtpolizei hinzugezogen.

Seit der Eröffnung des Zentrums am 1. November 2019 bis Ende Juni 2022 musste die Stadtpolizei mehrfach ausrücken und insgesamt 103 Rapporte zu diversen Gesetzesverstössen erstellen. Allein 46-mal hat sie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte registriert, 20-mal Diebstahl und 11-mal Sachbeschädigung. Achtmal rapportierte die Polizei Körperverletzung, zweimal eine Vergewaltigung. Weitere Verstösse sah sie wegen Tätlichkeiten, sexueller Nötigung, Drogen- und Waffenbesitz.

In rund einem Viertel der verzeichneten Verstösse waren die Beschuldigten alkoholisiert. Der Stadtrat betont, dass Alkohol- und Drogenkonsum im Zentrum eigentlich nicht geduldet seien. Beim Eintritt würden den Asylbewerbern jegliche Substanzen abgenommen; im Fall von illegalen Drogen werde die Polizei verständigt.

Alkoholisierte Personen würden nicht in ihr Zimmer gelassen, sondern verblieben im von der Protectas überwachten Eingangsbereich. Grundsätzlich werde jede Person, die ein- und austrete, registriert und durchsucht. Präventiv, schreibt der Stadtrat, setze der Bund ausserdem «Konfliktpräventionsbetreuende» ein, die deeskalierend wirken sollen. Von 22 bis 6 Uhr gilt im Zentrum die Nachtruhe. Wer diese bricht, kann mit Sanktionen belegt werden – zum Beispiel durch die Verlegung in eine andere Einrichtung.
(https://www.nzz.ch/zuerich/bundesasylzentrum-in-zuerich-gewalt-drohungen-vergewaltigungen-ld.1702976)


+++SCHWEIZ
Polizeigewalt in Kroatien und Bulgarien: SFH fordert, auf Überstellungen zu verzichten
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) hat eine juristische Analyse zur Polizeigewalt in Kroatien und Bulgarien erstellt. Die systematische, von den Behörden geduldete Gewaltanwendung gegen Schutzsuchende in diesen Ländern verstösst gegen zwingendes Völkerrecht. Die SFH fordert deshalb, auf Überstellungen nach Kroatien und Bulgarien zu verzichten.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/polizeigewalt-in-kroatien-und-bulgarien-sfh-fordert-auf-ueberstellungen-zu-verzichten


Administrativhaft eines Asylsuchenden war rechtswidrig
Das Bundesgericht hat die Beschwerde eines abgewiesenen Asylsuchenden gutgeheissen, der die Bedingungen seiner Ausschaffungshaft beanstandet hatte. Der Mann wurde in der Strafanstalt Realta GR festgehalten, obwohl er seine Strafe bereits abgesessen hatte. Er muss nun freigelassen werden, wenn die Bündner Behörden ihn nicht innerhalb von fünf Tagen in einer Einrichtung für Administrativhaft unterbringen.
https://www.watson.ch/schweiz/migration/392980512-administrativhaft-eines-asylsuchenden-war-rechtswidrig


+++GASSE
luzernerzeitung.ch 15.09.2022

«Den offenen Drogenkonsum und das Dealen können wir nicht akzeptieren»

Der Luzerner Sicherheitsmanager Christian Wandeler spricht über die Situation der Alkohol- und Drogensüchtigen, welche sich neu auf anderen Plätzen einfinden.

Interview: Matthias Stadler

Randständige hielten sich in den vergangenen Jahren oft am Bahnhof Luzern auf. Auch das Vögeligärtli war ein beliebter Treffpunkt für Alkohol- und Drogensüchtige, dort wurde beispielsweise schon 2019 beobachtet, dass «hemmungslos gedealt» wird. Derzeit verlagert sich die Szene teilweise vom Bahnhof weg zu anderen Plätzen. So ist momentan etwa der Kasernenplatz direkt an der Reuss beliebt, auch halten sich laut der Gassenarbeit Luzern vermehrt Randständige in der Altstadt auf.

Christian Wandeler ist der Sicherheitsmanager der Stadt Luzern. Er nimmt zu den Veränderungen Stellung.

Alkohol- und Drogenabhängige zieht es vermehrt weg vom Bahnhof, hin zu anderen Plätzen in der Stadt Luzern. Wie genau verfolgen Sie das Geschehen?

Christian Wandeler: Es ist ein Thema, das auch bei uns in den vergangenen Wochen auf den Tisch gekommen ist. Ich stehe in ständigem Kontakt mit der SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention), der Polizei und dem Strasseninspektorat. Was festzuhalten ist: Es ist nicht das erste Mal, dass man solche Verlagerungen feststellt. Denn die Szene ist mobil und sie reagiert auch sehr sensibel auf Interventionen und Veränderungen.

Gibt es neue Probleme?

Bei neuen Situationen wie dem Kasernenplatz, wo sich Teile der Szene derzeit aufhalten, fällt der offene Drogenkonsum und das Dealen auf. Das ist eine Situation, die wir nicht akzeptieren können und wo auch die Polizei aktiv eingreift, um solche Szenen zu verhindern. Aber grundsätzlich haben auch Randständige das Recht, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten.

Was hat das Verschieben der Szene für Auswirkungen auf die Sicherheit in der Stadt?

Es ist nicht so, dass wir aktuell mehr zu tun hätten als früher. Die Lage hält sich mehr oder weniger im Lot, denn solche Veränderungen gibt es immer wieder. Klar ist aber auch: Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist subjektiv. Es kann für viele befremdlich wirken, wenn man Drogenkonsumation plötzlich an einem Ort sieht, an dem es das vorher nicht gegeben hat.

Haben Sie Rückmeldungen von der Bevölkerung erhalten?

Nicht mehr als sonst. Aber die Szene wird schon wahrgenommen. Denn wenn sie sich irgendwohin verschiebt, hören wir das meistens sehr schnell. Wir werden aber auch nach wie vor auf Randständige am Bahnhof aufmerksam gemacht. Manche von ihnen treffen sich also auch dort noch.

Eine tragende Rolle bei der Prävention spielt die SIP. Was genau ist deren Rolle?

Die SIP ist wie ein Seismograph, der frühzeitig erkennen kann, wo sich eine neue Szene bildet und welcher Platz vermehrt aufgesucht wird. Sie ist häufig mit einer Zweierpatrouille – am Wochenende mit zwei – unterwegs, kennt die Leute, spricht sie an und vermittelt sie bei Bedarf an unterstützende Organisationen. Sie weist die Betroffenen beispielsweise darauf hin, dass öffentlicher Konsum und Handel von Drogen nicht toleriert werden. Aber sie hat keinen Sicherheits- oder Repressionsauftrag wie die Polizei.

Die warmen Sommermonate sind vorbei. Werden sich die Randständigen nun vermehrt in Wohnungen zurückziehen?

Es ist durchaus so, dass das Problem des offenen Drogenkonsums und Dealens im Sommer besser sichtbar ist. Denn im öffentlichen Raum ist das einfacher zu bewerkstelligen. Viele Alkohol- und Drogenabhängige wählen ihre Plätze bewusst aus. Sie suchen Orte, die gut erreichbar sind und von wo man auch schnell wieder weg kann. Im Winter hingegen gehen wir davon aus, dass der Konsum und das Dealen mehr im privaten Raum stattfinden. Denn was viele Aussenstehende nicht wissen: Die meisten Randständigen haben eine Wohnmöglichkeit. Nur die allerwenigsten sind meiner Einschätzung nach obdachlos.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/luzern-den-offenen-drogenkonsum-und-das-dealen-koennen-wir-nicht-akzeptieren-ld.2343544)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Der breite Pfad
Liebe Christus-Kinder
Am 17. September wollt ihr euch voller Eitelkeit am „Marsch fürs Läbe“ in Oerlikon der Welt zeigen.
Daher haben wir, durch Satans Befreiung frei lebende Menschen, den Marktplatz in Oerlikon in mehreren aufwendigen Zeremonien, zusammen mit satanischen Hohepriestern aus ganz Europa, dem Satan geweiht. Dieser Platz wird an diesem Tage ein Teil seines Reiches sein.
https://rumble.com/v1juek3-der-breite-pfad.html


+++ANTITERRORSTAAT
Bundesgerichtsurteil zur Verwahrung
Darf eine Person verwahrt werden, weil sie gegen das Al-Qaida/IS-Gesetz verstossen hat? Diese Frage musste das Bundesgericht klären und sagt nun in einem Grundsatzurteil Nein. Die Terrororganisationen Al-Qaida oder Islamischer Staat zu unterstützen, indem man Miglieder in der Schweiz rekrutiert oder der Organisation Geld überweist, ist kein Grund für eine Verwahrung.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/bundesgerichtsurteil-zur-verwahrung?partId=12254500
-> Medienmitteilung Bundesgericht: https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/6b_0057_2022_2022_09_15_T_d_10_44_36.pdf
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://19-08-2022-6B_57-2022&lang=de&zoom=&type=show_document
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/urteil-des-bundesgerichts-verwahrung-von-is-unterstuetzer-abgelehnt


+++JUSTIZ
Am Berner Verwaltungsgericht: Kritik an Schweizer Verfahren zur Fussfessel-Beschaffung
Soll die Schweiz elektronische Fussfesseln künftig aus England oder aus dem Kanton Bern beziehen? Um diese Frage drehte sich ein Verfahren am Berner Verwaltungsgericht.
https://www.derbund.ch/kritik-an-schweizer-verfahren-zur-fussfessel-beschaffung-672053442857


+++KNAST
aargauerzeitung.ch 15.09.2022

Schläge gegen Brian K. in Lenzburg: Wärter verurteilt, Vorgesetzte freigesprochen – wie ist das möglich?

Am Dienstag hat das Aargauer Obergericht einen Gefängnisaufseher schuldig gesprochen, der Gewaltstraftäter Brian K. zwei Fusstritte und zwei Faustschläge versetzt hatte. Grundlage für den Schuldspruch waren Videoaufnahmen, auf denen Vorgesetzte des Wärters keine strafbaren Taten erkannten – und den Fall deshalb nicht meldeten.

Fabian Hägler

Der Vorfall liegt gut drei Jahre zurück, doch seine juristische Beurteilung ist für die Führung und die Angestellten der Justizvollzugsanstalt Lenzburg von grosser Bedeutung. Bei der Verlegung von Brian K. – dem jungen Gewaltstraftäter, der früher «Carlos» genannt wurde – kam es am 11. Juli 2019 im Gefängnis zu einem Gerangel mit Aufsehern. Brian K. wehrte sich heftig, spuckte Wärter an und attackierte sie mit den Fäusten.

Sechs Aufseher waren nötig, um den aggressiven Insassen zu fesseln, einer davon versetzte dem Gefangenen zwei Fusstritte und zwei Faustschläge. Die ganze Aktion ist auf einer Videoaufnahme zu sehen, diese diente dem Aargauer Obergericht als Basis, um den Wärter wegen Amtsmissbrauchs zu verurteilen. Der Vollzugsangestellte sei zu weit gegangen, als er Brian K. getreten und geschlagen habe, der schon wehrlos am Boden gewesen sei, sagte Obergerichtspräsidentin Franziska Plüss zur Begründung.

Schon das Bezirksgericht Lenzburg, das im Juli 2021 zum gleichen Schluss gekommen war, hatte sich beim Schuldspruch auf das Video aus dem Gefängnis gestützt. Dieses zentrale Beweismittel ist allerdings umstritten – und die Szenen, die auf den Aufnahmen zu sehen sind, werden von den Gerichten sehr unterschiedlich beurteilt.


13. Juli 2021, Bezirksgericht Lenzburg: Experten nicht befragt, Gefängniswärter verurteilt

Vor ziemlich genau 14 Monaten fand die erste Gerichtsverhandlung gegen den Wärter statt, der Brian K. geschlagen und getreten hatte. Vor dem Bezirksgericht Lenzburg beantragte sein Verteidiger Thomas Fingerhuth die Befragung von zwei Experten zum Vorgehen der Aufseher bei der Intervention. Doch das Gericht wies den Antrag ab, den Chef des Hochsicherheitstrakts sowie den Instruktor Selbstverteidigung und Intervention der Justizvollzugsanstalt Lenzburg zu befragen.

Auch die anderen fünf Vollzugsbeamten, die an der Aktion beteiligt waren, wurden nicht befragt. Das sei nicht nötig, begründete die Richterin: Auf dem Video sei alles zu sehen, was sie sehen müsse. Das Bezirksgericht Lenzburg sah aufgrund der Aufnahmen den Vorwurf des Amtsmissbrauchs als erwiesen an und verurteilte den Gefängniswärter zu einer bedingten Geldstrafe von 18’900 Franken sowie einer Busse von 4700 Franken.


16. März 2022, Bezirksgericht Lenzburg: Experten befragt, nichts Strafbares erkannt

Vor rund einem halben Jahr standen in Lenzburg der Leiter des Hochsicherheitstrakts sowie der Instruktor Selbstverteidigung und Intervention der Justizvollzugsanstalt vor Gericht. Die beiden Experten waren bei einer internen Sitzung am 22. Juli 2019 beauftragt worden, die Intervention der Aufseher gegen Brian K. zu überprüfen. Sie taten dies, schauten sich auch das Video an und kamen zum Schluss, dass die Gefängniswärter korrekt vorgegangen waren.

Weil die beiden keine strafbaren Handlungen auf den Aufnahmen erkannten, erstatteten sie keine Anzeige gegen die Vollzugsangestellten. Dies tat am 29. September 2019 allerdings Brian K., worauf die Staatsanwaltschaft das Video beschlagnahmte und selber anschaute. Sie kam zum Schluss, dass die Experten das «tätliche Einwirken eines Vollzugsangestellten» auf den Gefangenen hätten melden müssen. Weil sie dies nicht taten, hätten sie sich der Begünstigung schuldig gemacht und versucht, den Wärter der Strafverfolgung zu entziehen.

Verteidigerin: Experten und Laien haben eine andere Perspektive

Bei der Gerichtsverhandlung erklärte der Instruktor, die Wärter hätten vorbildlich reagiert, er habe ihnen dazu sogar noch gratuliert. Der Ablauf des anfangs chaotisch anmutenden Kampfs sei professionell gewesen, die Männer um Brian K. seien ruhig geblieben. Die Verteidigerin des Hochsicherheitstrakt-Chefs sagte, für Laien sehe es aus, als gehe es bei der Intervention ganz schön zur Sache.

«Aber aus dieser Perspektive darf man das nicht betrachten, das müssen Experten tun», hielt sie fest. Das Bezirksgericht Lenzburg folgte dieser Argumentation und sprach die beiden Vorgesetzten der Wärter vom Vorwurf der Begünstigung frei. Entscheidend dafür, so betonte die Gerichtspräsidentin, seien die Aussagen des Hochsicherheitstrakt-Chefs und des Instruktors zu den Kampfhandlungen gewesen.


13. September 2022, Aargauer Obergericht: Experten nicht befragt, Schuldspruch gegen Wärter bestätigt

Bei der Verhandlung am Dienstag vor Obergericht verlangte der Verteidiger des Gefängniswärters erneut, dass die beiden Experten und die fünf weiteren Aufseher befragt werden sollten. Er forderte zudem, ein Erklärvideo als Beweismittel zu berücksichtigen, in dem der Kommandant der Kantonspolizei Bern erläutert, warum Einsätze für Laien brutal aussehen könnten, obwohl die Polizisten korrekt vorgehen.

Der Anwalt von Brian K. wehrte sich dagegen und sagte, eine solche Befragung würde keine unabhängigen und unbefangenen Aussagen bringen. Es liege ein Video vor, darauf seien alle zu beurteilenden Handlungen zu sehen, deshalb müssten weder Experten noch Kollegen des beschuldigten Wärters befragt werden. Zudem seien weder der Chef des Hochsicherheitstrakts noch der Instruktor beim Vorfall dabei gewesen.

Obergerichtspräsidentin: Fähig zu Urteil ohne Expertenmeinungen

Obergerichtspräsidentin Franziska Plüss wies den Antrag ab, Experten, Vorgesetzte und Kollegen des beschuldigten Aufsehers zu befragen. Die vorhandene Beweislage reiche aus, sagte Plüss und hielt fest: «Wir haben das Videomaterial gesichtet und wir als Gericht sind befähigt, ohne Beizug von Expertenmeinungen zu einem Urteil zu gelangen.»

Dieses fiel gleich aus, wie im Juli 2021 vor Bezirksgericht Lenzburg: Das Obergericht bestätigte den Schuldspruch gegen den Wärter. Plüss verwies bei der Begründung mehrfach auf das Video und kündigte an, die genauen Zeitpunkte der strafbaren Tritte und Schläge im schriftlichen, begründeten Urteil detailliert anzugeben.

Definitiv und rechtskräftig wird aber auch dieses Urteil nicht sein: Thomas Fingerhuth, der Verteidiger des Gefängniswärters, kündigte gegenüber dem SRF-Regionaljournal bereits an, den Schuldspruch vor Bundesgericht anzufechten. Er und sein Mandant sind weiterhin der Meinung, dass der Aufseher korrekt gehandelt und verhältnismässige Techniken angewendet habe, die in Trainings für solche Situationen geschult würden.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/gefaengnis-schlaege-gegen-brian-k-in-lenzburg-waerter-verurteilt-vorgesetzte-freigesprochen-wie-ist-das-moeglich-ld.2343694)



Schmuggel ist in Zürcher Gefängnissen selten, aber spektakulär
Zuletzt sind die Zürcher Gefängnisse wegen Schmuggelfällen in die Schlagzeilen geraten. Vor allem, weil Personal involviert war. Dennoch setzen die Verantwortlichen nicht bloss auf Härte.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/schmuggel-ist-in-zuercher-gefaengnissen-selten-aber-spektakulaer-00193867/


+++BIG BROTHER
Nachrichtendienstgesetz – Das Wichtigste in Kürze
Das Bundesgesetz über den Nachrichtendienst (NDG) soll wenige Jahre nach seinem Inkrafttreten bereits revidiert werden. Ziel der Revision ist gemäss dem VBS der Ausbau und die Konkretisierung des Mandats des Nachrichtendienstes. Aus Sicht der Zivilgesellschaft ist die Revision jedoch ein erneuter Angriff auf die Grund- und Menschenrechte, welche im aktuellen Nachrichtendienstgesetz bereits ungenügend geschützt sind und im Rahmen der nachrichtendienstlichen Praxis regelmässig missachtet werden.
https://www.humanrights.ch/de/ipf/initiativen-parlament/nachrichtendienstgesetz/wichtigstes/


Kameras im öffentlichen Raum – Schweizer Städte wollen keine automatische Gesichtserkennung
St. Gallen will automatische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum verbieten. Auch andere Städte haben dieses Anliegen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/kameras-im-oeffentlichen-raum-schweizer-staedte-wollen-keine-automatische-gesichtserkennung
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/st-gallen-will-massenueberwachung-verhindern-147961223


+++POLIZEI DE
Tödliche Polizeischüsse: Polizisten außer Kontrolle?
Ein 16-Jähriger, offenbar schwer traumatisierter Teenager aus dem Senegal kündigt an, sich umbringen zu wollen. Die Polizei rückt an, setzt Pfefferspray und Elektroschocker ein, kurz darauf wird der Junge mit vier Kugeln aus einer Maschinenpistole getötet. Nach dem Einsatz sprachen die Polizei und NRW-Innenminister Reul davon, der Junge sei mit erhobenem Messer auf die Polizisten losgestürmt. Doch das scheint kaum noch haltbar. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem unverhältnismäßigen Einsatz. Kein Einzelfall.
https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/toedliche-polizeischuesse-dortmund-100.html


+++RASSISMUS
Sarah Akanji hat genug vom Hass
Ihr habts noch nicht registriert? Ich sags gern noch mal lauter!
In der Schweiz hat gerade eine Parlamentarierin bekanntgegeben, dass sie nicht mehr zur nächsten Wahl antreten wird, weil sie die ständigen Hassnachrichten und -kommentare, gerichtet gegen sie als Person of Color und als Frau, nicht mehr ertragen will. Wer in diesem selbsternannten Chancenland ein Stück weit von einer ziemlich eng gefassten Norm abweicht und sich dazu noch getraut, öffentlich aufzufallen und Veränderungen zu fordern, kriegt den Hass zu spüren, den weisse Männer in ihre Computertastatur hacken.
https://www.woz.ch/zoo/2022/09/15/sarah-akanji-hat-genug-vom-hass


+++RECHTSPOPULISMUS
Interpellation SVP: Prüfung der Nichtigkeit von erleichterten Einbürgerungen
https://www.gr.be.ch/de/start/geschaefte/geschaeftssuche/geschaeftsdetail.html?guid=a2632685c9154462951e237703f9be0f


«Der Hetzer»: So betitelt Mike Müller Politiker Imark, dieser will Anzeige erstatten
Aufregung um den Solothurner Christian Imark. Nachdem er in einer Energie-Debatte der SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga drohte, meldet sich auch der Komiker Mike Müller zu Wort und bezeichnet den SVP-Nationalrat als «Hetzer».
https://www.telem1.ch/aktuell/der-hetzer-so-betitelt-mike-mueller-politiker-imark-dieser-will-anzeige-erstatten-147961486
-> https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/nationalrat-imark-ueberlegt-sich-anzeige-nach-drohung-an-sommaruga-147961003
-> https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/hitzige-debatte-der-hetzer-so-betitelt-mike-mueller-politiker-christian-imark-dieser-denkt-ueber-eine-anzeige-nach-ld.2344558


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Angriff auf Sommaruga: Mass-Voll springt auf SVP-Drohung auf
Am Montag drohte SVP-Nationalrat Christian Imark SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Und stachelt damit Kreise an, die schon in der Corona-Pandemie für Sicherheitsprobleme sorgten.
https://www.blick.ch/politik/angriff-auf-sommaruga-mass-voll-springt-auf-svp-drohung-auf-id17879512.html


Selbstversuch: 5 Monate rechte Medien konsumieren
Während die klassischen Printmedien an Auflage verlieren, legen rechte Publikationen wie das Compact Magazin seit mehreren Jahren zu. Wie verändert sich das eigene Denken, wenn man sich ein halbes Jahr ausschliesslich aus rechten Medien informiert?
https://rabe.ch/2022/09/14/86093/


Grüne streiten wegen «wissenschaftsfeindlicher Initiative»
Die Mehrheit der Grünen Delegierten unterstützt die Saferphone-Initiative. Die Berner Sektion distanziert sich von den «wissenschaftsfeindlichen Kreisen».
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/grune-streiten-wegen-wissenschaftsfeindlicher-initiative-66276179


Steckt Russland dahinter? Bund wehrt sich gegen Fake-Kampagne wegen 19-Grad-Ziel
Ein gefälschtes Plakat, das wegen der 19-Grad-Heiz-Empfehlung des Bundes zur Denunziation von Nachbarn aufruft, ruft die Bundespolizei auf den Plan. Erste Spuren der Fake-Kampagne führen nach Russland.
https://www.watson.ch/!771930447
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/russische-propaganda-gefaelschte-energiespar-kampagne-fedpol-startet-untersuchung
NZZ: https://www.nzz.ch/technologie/ein-gefaelschtes-schweizer-plakat-taucht-in-russischen-telegram-kanaelen-auf-und-verbreitet-sich-im-internet-ld.1702736
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/fedpol-will-wegen-gefalschtem-plakat-aus-russland-ermitteln-66277068
-> https://www.blick.ch/schweiz/heizt-nachbar-ueber-19-grad-jetzt-ermittelt-fedpol-wegen-fake-plakat-zum-waerme-petzen-id17879028.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/aufruf-zur-denunziation-energiespar-kampagne-ist-fake-eine-spurensuche
-> https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/vermischtes-people/energiekrise-steckt-russland-dahinter-bund-wehrt-sich-gegen-fake-kampagne-wegen-19-grad-ziel-ld.2344036



nzz.ch 15.09.2022

In russischen Telegram-Kanälen taucht ein gefälschtes Schweizer Plakat auf – und verbreitet sich im Internet

Die Schweizer Behörden rufen angeblich zum Denunzieren auf – wegen der Energiekrise. Die Verbreitung dieser Falschmeldung lässt sich nachzeichnen. Die Spuren führen nach Russland.

Lukas Mäder

Am Wochenende begannen die Telefonanrufe: Zahlreiche Personen melden sich beim Umwelt- und Energiedepartement (Uvek), weil in den sozialen Netzwerken ein Bild kursiert. Darauf fordert der Bund dazu auf, die Nachbarn telefonisch anzuschwärzen, wenn diese ihre Wohnung auf über 19 Grad heizen. Das Bild ist eine Fälschung, wie der Bund bereits am Sonntag gegenüber «20 Minuten» betonte.

Tatsächlich ist die Fälschung sehr gut gemacht. Das Bild zeigt ein Werbeplakat an einem öffentlichen Ort. Es könnte ein Bahnhof oder eine Unterführung sein. Auf dem Plakat scheinen sich sogar die Deckenlampen zu spiegeln. Zu sehen ist eine Frau am Telefon. Darunter steht: «Heizt der Nachbar die Wohnung über 19 Grad auf? Bitte informieren Sie uns». Die Telefonnummer führt zur Medienstelle des Umwelt- und Energiedepartements. Versprochen wird eine Belohnung von 200 Franken.

Inzwischen ist klar: Das Bild der Frau stammt aus einer Bilddatenbank aus dem Internet. Es soll laut Bildbeschreibung eine Innenarchitektin zeigen, die am Handy über Projektdetails diskutiert. Auch die Vorlage für den Plakatrahmen und den Hintergrund kann online heruntergeladen werden.

Das Umwelt- und Energiedepartement vermeldet inzwischen, dass es sich beim Bild um eine Manipulation handle. Das Logo des Bundes und die Telefonnummer seien missbräuchlich verwendet worden, heisst es. Die Bundeskriminalpolizei habe aufgrund einer Anzeige inzwischen ein polizeiliches Ermittlungsverfahren eröffnet, schreibt das Bundesamt für Polizei auf Anfrage. Es seien Massnahmen zur Sicherung von Spuren ergriffen worden.

Bald übernehmen russische Medien die Falschmeldung

Wer der Spur des Bildes nachgeht, stösst auf russischsprachige Quellen. Diese haben das Bild bereits am Samstagmittag veröffentlicht. Es taucht zum Beispiel früh im schwach frequentierten angeblichen Nachrichtenkanal Egazet auf Twitter und Telegram auf, versehen mit dem eher sachlichen Kommentar: «In der Schweiz gibt es eine Art ‹Zusammenarbeit› mit den Behörden».

Bald folgen weitere Posts: «Demokratie, verdammt», schreibt ein Twitter-Nutzer aus Moskau. Auf einem Forum heisst es: «Der Wahnsinn nimmt zu, parallel zum Frost!» Ebenfalls noch am frühen Nachmittag erscheint der Beitrag auch auf einem Telegram-Kanal angeblicher tschechischer Patrioten und «Anticovidisten», wie sie sich in der Beschreibung nennen. Dann geht das Bild viral.

Bereits am Samstag wird die Falschmeldung auch von der russischen Nachrichtenseite Rambler.ru aufgenommen. Die Plakate mit den Aufrufen seien bereits auf den Strassen aufgehängt worden, heisst es fälschlicherweise. Am Montag folgt die grosse Zeitung «Moskowski Komsomolez» mit einer Meldung, dass die Schweiz «die Denunziation von Nachbarn» fördere.

Wo das Bild zuerst aufgetaucht ist, lässt sich nicht eruieren. Auch wer der Urheber ist, bleibt unklar. Doch der Verdacht liegt nahe, dass es Teil einer russischen Desinformationsoperation sein könnte – also einer möglicherweise staatlich organisierten Kampagne zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung.

Plakat stellt Parallelen zu totalitären Staaten her

Russland versucht im Rahmen der sogenannten hybriden Kriegsführung seit Jahren, auf verschiedene Weise Einfluss auf die Politik und die Gesellschaft in westlichen Ländern zu nehmen. Das geschieht etwa durch die Finanzierung moskaufreundlicher Parteien. Oder durch das Säen von Zwietracht oder das Vertiefen bestehender Gräben in der Gesellschaft, wie der Spezialist für solche Operationen, Jamie Collier von der Firma Mandiant, sagt. Proteste gegen die Regierungen sollen befeuert werden.

In dieses Vorgehen passt auch das manipulierte Bild, das am Wochenende aufgetaucht ist. Der vermeintliche amtliche Aufruf zur Denunziation weckt Misstrauen gegenüber den Behörden und erinnert an das Vorgehen totalitärer Staaten. Gleichzeitig ist die Falschmeldung nahe an der Realität, da in der Schweiz für Wohnungen bald eine Höchsttemperatur von 19 Grad gilt, inklusive einer Strafandrohung.

Das gefälschte Plakat suggeriert, dass den Behörden in der Schweiz aufgrund des Energiemangels die Kontrolle entgleitet. Ein Bild, das Russland immer wieder von Westeuropa zeichnet: eine Region, die im Chaos zu versinken droht. Insofern ist das Zielpublikum nicht unbedingt die Schweizer Bevölkerung. Auch die Verbreitung in Europa und in Russland selbst stärkt dieses Narrativ.

Dass der russische Staat hinter dem manipulierten Bild stehe, lasse sich zwar nicht beweisen, sagt der britische Forscher Marc Owen Jones. «Aber ich halte das für eine plausible Möglichkeit.» Die Fälschung sei sehr professionell erstellt worden und passe in das russische Narrativ.

Zudem sieht Jones noch ein weiteres Indiz: Prominente russische oder russlandfreundliche Personen hätten die Meldung auf Twitter weiterverbreitet. «Dass Inhalte so aussehen, als ob sie aus der Bevölkerung kommen, ist ein typisches Vorgehen», sagt Jones, der zu Desinformation forscht. Es gehe immer auch darum, eine offizielle Verbindung abstreiten zu können.
(https://www.nzz.ch/technologie/ein-gefaelschtes-schweizer-plakat-taucht-in-russischen-telegram-kanaelen-auf-und-verbreitet-sich-im-internet-ld.1702736)


+++ANTI-WOKE/DREADLOCKMANIA/WINNETOUWHINING
derbund.ch 15.09.2022

Debatte um kulturelle Aneignung: «Die Rastakultur kennt keine Hautfarbe»

Der Oberaargauer Musiker Stefano Raschi spielte schon oft auf Jamaika. Dort hat man kein Problem damit, dass er als weisser Mann Reggae macht.

Maximilian Jacobi

Er streckt sich, reibt sich die Augen. Stefano Raschi ist noch etwas müde vom Vortag, oder besser: von der vorigen Nacht. Bis weit nach Mitternacht hat er geprobt und an Songs gefeilt. Davor war er in Bern unterwegs, gab zwei Interviews, eines davon dem Schülerradio Radiochico. Seine neue Single «Winner» komme bei jungem Publikum gut an.

«Das liegt wohl an der Message des Songs», vermutet Raschi, besser bekannt unter dem Pseudonym Cookie the Herbalist. Der Text handelt, wie der Titel bereits vermuten lässt, vom Gewinnen. Und davon, dass in allen bereits das schlummert, was sie zu Gewinnerinnen und Gewinnern macht oder noch machen wird.

Positivität, «good vibes», das sei ihm in seiner Musik wichtig, erklärt der 40-jährige Künstler. Seine Betonung des englischen Ausdrucks mutet eigenartig an, erinnert weder an das berüchtigte Bundesratsenglisch noch an Nebel, Trenchcoats und Schwarztee, sondern weckt Bilder von Inseln, Stränden, der Karibik.

Begeisterung statt Ablehnung

Stefano Raschi, halb Italiener, halb Schweizer, aufgewachsen im Oberaargau, spricht unter anderem jamaikanisches Patwah. Und singt es auch, wie seine Diskografie beweist. Ein kultureller Querspagat, dem gewisse Zungen heute nachsagen könnten, er sei unrechtmässig, diene er doch zur Bereicherung eines Menschen, der nicht aus dem Kulturkreis stamme.

«Millionär bin ich bisher nicht geworden», sagt Raschi und lächelt. Immerhin: Über viele Jahre hinweg konnte er von den Einnahmen leben, die durch seine Musik entstanden. Seit der Pandemie arbeitet er wieder zwei- bis dreimal in der Woche in einem Büro. Das habe gute Seiten, es sorge für eine gewisse Abwechslung, so der Schweizer Reggae-Künstler.

Am Ursprungsort des Reggae, auf Jamaika, ist der Musiker bisher nicht auf Ablehnung für seine Begeisterung gestossen. Im Gegenteil: Die mittlerweile verstorbene Musiklegende Lee «Scratch» Perry, Miterfinder des Reggae und ehemaliger Produzent Bob Marleys, arbeitete eng mit dem ehemaligen Huttwiler zusammen. Gemeinsam tourten sie weltweit über Bühnen. Davon zeugt unter anderem der Song «Eaze!», den Cookie the Herbalist gemeinsam mit Perry veröffentlichte.

Diese Akzeptanz gegenüber einem Schweizer, der nach Jamaika kommt, um Reggaemusik zu machen und seine Faszination für die Rastakultur auszuleben, ist laut Raschi typisch: «Gerade auch darum geht es bei Rasta.» Auf Jamaika lebten seit der Kolonialisierung der Insel viele Ethnien miteinander. Das zeige sich schon im Landesmotto des Inselstaats: Out of Many, One People (Aus vielen ein Volk). So auch in der Philosophie des Rastafarianismus, der ebenfalls auf Jamaika entstand.

Zum ersten Mal in Kontakt mit den karibischen Klängen kam Raschi in der umfangreichen Plattensammlung seiner Eltern. «Der Groove elektrisierte mich», erinnert er sich. Bob Marley, Peter Tosh, Jimmy Cliff und Dennis Brown wurden mit ihren Sounds zu Weggefährten, dann zu Idolen.

Erste Erfahrung mit Gesang sammelte Raschi in einem italienischen Kirchenchor. Die frühen Jahre seiner Schulzeit lebte er mit den Eltern in Italien, wo er von Nonnen unterrichtet wurde. Italien liessen die Raschis hinter sich, die Saat der Musik keimte in ihrem Sohn in der Schweiz aber weiter.

Wo man keine Hautfarbe kennt

Als Teenager engagierte sich der junge Künstler in der lokalen Musikszene Langenthals. In den Nullerjahren tourte er mit verschiedenen Gruppierungen und Rappern durch die Schweiz. 2007 begann Raschi die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Reggae-Label Gideon Production. Es folgten Auftritte mit Reggae-Stars wie diversen Marley-Söhnen, Festivalbühnen mit bis zu 25’000 Zuhörerinnen und Zuhörern.

Mitunter die grössten Momente seiner Karriere erlebte Cookie the Herbalist im Ausland: auf Reggae-Festivals in Jamaika, Europa oder Afrika und während Kollaborationen mit etablierten Grössen aus der jamaikanischen Musikszene.

Aus eigener Erfahrung weiss Raschi: Respektiert werden sämtliche Reggae-Musikerinnen und -Musiker, ungeachtet ihrer Herkunft. Das einzige Kriterium sei die Qualität der Musik. Die Band UB40 bestehe grossteils aus weissen Mitgliedern und werde auf Jamaika gern gehört und respektiert – genau wie der italienische Reggae-Sänger Alborosie und sein deutscher Kollege Gentlemen.

Wird in Europa Reggae gespielt, kann das laut dem Langenthaler aber durchaus problematisch sein: wenn die fremde Kultur lächerlich gemacht oder sie durch Unwissenheit verzerrt dargestellt werde. Als bekennender Rasta hätte er ausserdem ein Problem damit, wenn jemand auf der Bühne auf Rasta machen würde und privat nichts mit der Kultur am Hut hätte. Ansonsten sei man aber offen für alle: «Die Rastakultur kennt keine Hautfarbe.»

Stefano Raschi tritt diesen Samstag anlässlich des 30-Jahr-Jubiläums des Kunsthauses Langenthal auf. Für ihn ist klar, dass er nie damit aufhören wird, die Musik zu machen, die er liebt. Momentan wohnt er in Langenthal. Im Januar will er wieder nach Jamaika reisen – mittlerweile seine zweite Heimat. Um Konzerte zu spielen, Songs zu schreiben und unter Gleichgesinnten zu leben.



Das Kunsthaus nimmt Stellung

Das Kunsthaus Langenthal feiert am kommenden Samstag sein 30-jähriges Bestehen. Für Vorstandspräsidentin Katia Masson-Gallucci ist es wichtig, zu sagen, dass die Palette neben Cookie the Herbalist breit gefächert ist.

Es gebe für Kinder Aktivitäten, eine koreanische Köchin und Künstlerin trete auf, und am Abend spielten lokal bekannte Musiker und Musikerinnen. Seit über einem Jahr planen sie und ihr Team den Event. Auf die zurzeit laufende Debatte der kulturellen Aneignung möchte Katia Masson-Gallucci nicht eingehen.

Das sei ein komplexes Thema, dazu könnte man lange und ausgiebig diskutieren, das sei aber nicht ihr Ziel. «Vielmehr möchten wir lokalen und internationalen Kunstschaffenden eine Plattform bieten, damit sie auftreten können», sagt sie. (sab)
(https://www.derbund.ch/die-rastakultur-kennt-keine-hautfarbe-407390902226)


+++HISTORY
Kritik an Queen und Empire – «Das ist historisches Versagen angesichts der kolonialen Debatte»
Nur dank der Kolonialpolitik sei die Queen so reich geworden, wie sie war, sagt Kolonialismusexperte Jürgen Zimmerer.
https://www.srf.ch/news/international/kritik-an-queen-und-empire-das-ist-historisches-versagen-angesichts-der-kolonialen-debatte


Herkunftsforschung – Basler Kunstmuseum gibt Werk an jüdische Stiftung zurück
In der Nazi-Zeit wurde der seltene Druck einer Stiftung zwangsweise weggenommen und verkauft. Die Forschung geht weiter.
https://www.srf.ch/news/schweiz/herkunftsforschung-basler-kunstmuseum-gibt-werk-an-juedische-stiftung-zurueck
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/wenn-die-herkunft-die-kunst-in-frage-stellt?partId=12254692