Medienspiegel 10. September 2022

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++++GASSE
Bern/Zeugenaufruf: Zwei Männer bei Auseinandersetzungen verletzt
Bei Auseinandersetzungen in der Nacht von Freitag auf Samstag wurden in Bern, in der Reithalle und auf der Schützenmatte, zwei Männer verletzt. Beide wurden zur Behandlung ins Spital gebracht. Einer der beiden wurde vorläufig festgenommen. Die Polizei sucht Zeugen.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=ceb93f14-8975-4ef3-b70f-fd48d7a8eea5
-> https://www.derbund.ch/zwei-verletzte-bei-gewalt-vor-der-reitschule-in-bern-365693207783


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Ausgestrahlt2022
Anti-Atom-Velotour in Mühleberg, Benken/Marthalen und Brugg mit Reden von Patrick Frey u.v.a über die strahlende Zukunft der Nuklearenergie – und eine Kuh mit zuviel Klee …
https://www.youtube.com/watch?v=-B_-2NFgOig


+++ANTI-WOKE/DREADLOCKMANIA/WINETOUWHINING
derbund.ch 10.09.2022

Interview zur Wokeness-Debatte: «Dem grossen, trägen Tier Rassismus wird regelrecht zugedient»

Die hitzige Debatte rund um kulturelle Aneignung schade den Persons of Color in der Schweiz, sagt die Kulturwissenschaftlerin Yeboaa Ofosu. Sie befürchtet einen Backlash.

Isabelle Jacobi

Frau Ofosu, wir kennen uns seit unserem Studium an der Universität Bern und begegneten uns ab und zu während der letzten Jahrzehnte. Wir haben nie über «Race» gesprochen. Haben wir bewusst ein schwieriges Thema ausgeklammert?

Sicher nicht bewusst. «Race» war in den Neunzigerjahren einfach kein Thema. Während des Studiums war ich als Farbige in der Schweiz völlig integriert und fühlte mich wohl. Natürlich gab es Nebengeräusche. Aber wir an der Uni sprachen schlicht nicht über Hautfarbe, und wenn, dann über die Kategorie «Rasse», wie man damals noch sagte.

Wir bewegten uns auch in einem privilegierten Umfeld – wir konnten uns Farbenblindheit leisten.

Ja, klar. Als ich ein Kind war, gab es wenige Farbige – ich brauche das Wort, weil es den Begriff Persons of Color (PoC) damals noch nicht gab. Mein Bruder und ich machten manchmal den Witz, wohl alle Farbigen in Bern zu kennen. Ich bin Zeugin einer Schweiz, die uns gut aufgenommen hat. Wir wurden nicht abgelehnt oder ausgegrenzt, die Schweiz hat auf ihre ganz eigene Weise Fortschritte gemacht bei der Integration von Andersaussehenden. Wir haben in der Schweiz keine Parallelgesellschaften wie in anderen europäischen Ländern, wir haben kein echtes Gewaltproblem, und viele Leute setzen sich auf gute Weise mit Rassismus auseinander.

Sie spielen mit den Worten «Rasse», «Race» und «Persons of Color». Was halten Sie von diesem Tanz rund um Begriffe?

Sie sind Teil der aktuellen allgemeinen Verunsicherung. Es findet eine grosse Belehrung statt, die Schuldgefühle erzeugen will. Leute rufen mich an und fragen, was darf ich noch sagen? Ich finde das nicht gut und frage mich, wohin das führen soll. Ich selbst bezeichne mich als Farbige, habe aber kein Problem damit, wenn ich an der Hochschule der Künste als PoC bezeichnet werde. Aber ich habe ein Problem, wenn mir Leute vorschreiben wollen, wie ich mich selber zu nennen habe. Oder welche Frisur okay  ist.

Sie haben gezögert, in dieses Gespräch einzuwilligen. Warum?

Weil das Klima im Moment extrem aufgeheizt ist. Ich sehe momentan nur noch Lager, Mauern und Gräben – eine bedrohliche Polarisierung. Damit das klar ist: Dieses Interview wird mir Ärger bringen, ich werde in eine rechte Ecke gedrängt werden. Das ist unangenehm für mich, denn ich bin nicht rechts.

Und dann haben Sie doch eingelenkt.

Weil ich meine andere Meinung frei äussern will und es wichtig ist, dass differenzierte Stimmen gehört werden. Es sollen nicht ständig dieselben unverdauten Aussagen wiederholt werden.

Und damit sind wir bei der Dreadlock-Debatte gelandet. Was halten Sie davon, dass weisse Reggae-Bands, es gibt nun schon mehrere Beispiele dafür, nicht mehr auftreten dürfen?

Als ich vom Vorfall in der Berner Lorraine gehört habe, war ich fassungslos und wusste überhaupt nicht, wie ich diesen einordnen soll. Ich habe mich als Erstes gefragt, ob diese Menschen schon im denkfähigen Alter sind. Wissen sie, wem sie zudienen? Diese Konzerte abzusagen, ist ein Fehler. Man weist einer kleinen Gruppe zu viel Bedeutung zu. Das Unwohlsein ist ja im Moment gross im Trend. Aber die persönliche Befindlichkeit darf nicht zum politischen Faktor werden. Es ist nicht schön, mit anzusehen, wie die Linke sich gerade ins eigene Bein schiesst, denn es wird einen Backlash geben. Dem grossen, trägen Tier Rassismus wird regelrecht zugedient.

Fühlen Sie sich bedroht?

Es ist so, dass Weisse anstelle von PoC Forderungen stellen. Das hat für mich konkrete Folgen. Überall, wo ich erscheine, überlegen sich die Leute nun, ob ich auch eine solche Aktivistin bin, die meint, Blonde dürfen keine Rastas tragen.

«Black Lives Matter»-Aktivisten und -Aktivistinnen halten dagegen, sie hätten lange genug versucht, aus der afroamerikanischen Misere herauszukommen. Sie sagen: Wir müssen unterschwelligen Rassismus offen bekämpfen. Wir müssen über Hautfarbe sprechen, statt farbenblind zu sein. Lässt sich dieser US-amerikanische Ansatz importieren?

Tatsächlich geht es hier um eine aus den USA appropriierte Debatte. Wir leben aber nicht in den USA. Wenn eine PoC durch Bern geht, bedeutet dies etwas anderes als in Houston, Texas. Wir haben keine Geschichte der Sklaverei in der Schweiz. Ich sehe die jüngste Debatte als Erscheinung eines völlig falsch aufgefassten US-amerikanischen Antirassismus.

Sie unterrichten an der Hochschule der Künste in Bern (HKB). Unter anderem behandeln Sie «identitäre Bewegungen». Wie radikal sind die HKB-Studierenden?

Für die HKB bedeutet es eine Herausforderung, mit den vielen Forderungen seitens der Studierenden umzugehen. Wir wollen nur von Frauen unterrichtet werden, wir wollen eine PoC an der Spitze etc. Die HKB hat aber den Ball aufgenommen. Wir sind ein Hotspot der identitären Bewegung, aber das ist auch richtig so. Hochschulen sind schon immer ein Ort gewesen, wo neue, revolutionäre Ideen diskutiert wurden. Radikal sind aber die wenigsten Studierenden. Die meisten sind schlicht interessiert, über  «Race» und Identität mehr zu erfahren. Ich bin als PoC in einer besonderen Lage. Meine weissen Kollegen und Kolleginnen werden zum Teil heftig angegriffen. Ich geniesse wegen meiner Hautfarbe einen Bonus und darf mir erlauben, Gegensteuer zu geben.

Sie streiten mit den radikalen Studierenden?

Nein. Ich versuche zu objektivieren, ich lese mit ihnen Texte in den Seminaren und untersuche Medienereignisse. Wir diskutieren und ziehen persönliche Erlebnisse herbei. Ich beziehe aber eine ganz klare Haltung. Was «Gender» betrifft, sage ich: Es gibt für mich zwei biologische Geschlechter und lediglich Abweichungen von diesen. Auch beim Thema «Race» beziehe ich eine klare Position und stelle diese zur Diskussion. Die Studierenden sollen lernen, anderen Meinungen zu begegnen. Ich lerne auch von ihnen, wie sie sich in ihrer Welt bewegen.

Warum ist äusserliche Identität, sei es «Gender» oder «Race», ein dermassen wichtiges Thema geworden?

Woher das kommt, weiss ich ehrlich gesagt auch nicht. Aber das Äussere, der Phänotyp, ist einfach wahnsinnig wichtig geworden. Es ist ja widersprüchlich: Der eigentliche Anspruch ist, dass alle gleich behandelt werden. Gleichzeitig werden die äusserlichen Unterschiede zum wichtigsten Identitätskriterium.

Wokeness-kritische Stimmen zitieren derzeit gerne Martin Luther King. Er sagte in seiner berühmten Rede: «Ich habe den Traum, dass die Menschen nach ihrem Charakter beurteilt werden und nicht nach ihrer Hautfarbe.» Wie nahe sind wir an der Erfüllung von Kings Traum?

Wir haben uns auf einem guten Weg dahin befunden, bis die antirassistische Bewegung die Schweiz erreichte. Musiker mit Dreadlocks von der Bühne zu weisen und pauschale Wortverbote sind der falsche Ansatz, um den Traum in Erfüllung zu bringen, den ich auch träume.

Die Reaktionen auf den Dreadlock-Vorfall in Bern waren heftig. Das Mini-Konzert in der Brasserie Lorraine war in aller Munde bis hinauf nach Schweden. Was ging da ab?

Es ist halt eine ideale Möglichkeit, die Linken so richtig anzugreifen. Ich habe ausnahmsweise einen «Weltwoche»-Artikel gelesen und habe auf die Kommentare gescrollt. Die  Beschimpfungen gegenüber Kulturschaffenden und «woken» Linken waren unsäglich.

In den politisch polarisierten USA sind «Wokeness» und «Cancel Culture» zu Kampfbegriffen geworden, mit denen die Republikaner Wahlen gewinnen. Es findet ein kolossaler Backlash gegen die «Black Lives Matter»-Bewegung statt. Die Frage ist nun, geschieht dasselbe hier oder nicht? In der Schweiz sind die Fronten nicht so klar, es gab ja auch einige Linke, die den Vorfall in der Brasserie Lorraine verurteilten.

Ja, und zu Recht. Für mich ist die Art von Zensur, wie sie in Bern und danach in Zürich geschah, ein Beispiel, wie die Antirassismus-Bewegung funktioniert. Antirassismus verortet Rassismus gerne auch dort, wo er gar nicht sitzt. Und formuliert Verbote wie: Dreadlocks sind nicht okay, wenn sie Weisse tragen. Das saugen die Jungen auf, spüren dann ein Unbehagen an Konzerten und reklamieren bei den Veranstaltern. Es ist eine Übersensibilität, die sich breitmacht.

Was für eine «Race»-Debatte brauchen wir denn?

Wir brauchen überhaupt erst mal eine Debatte. Eine eigene Debatte, nicht unverdaute Brocken aus den USA, die wir auch noch falsch verstehen. Wir müssen miteinander echte Diskussionen führen.

Das ist wenig konkret – wie lässt sich die jüngste Aufregung um kulturelle Aneignung in konstruktive Bahnen leiten?

Ich halte den Begriff Diversität für wichtig. Die Leute verstehen, was damit gemeint ist. In jedem Betrieb und in allen Gremien müsste nun gehandelt und Diversität wirklich gefördert werden. Was ist das? Secondos aller Art? Persons of Color? Frauen? LGBT? Wo liegen die Grenzen der Diversität in einem Betrieb? Eine solche Auseinandersetzung wäre zielführender, als die Antirassismus-Keule zu schwingen.

Man muss Verschiedenheit als etwas Positives verstehen.

Selbstverständlich! Und es ist mir wichtig, ganz klar festzuhalten: Es gibt Rassismus in der Schweiz. Aber mit antirassistischer Radikalität nähren wir diesen bloss.



Engagierte Kulturwissenschaftlerin

Die 55-jährige Yeboaa Ofosu (55) ist die Tochter einer Schweizerin und eines Ghanaers und in der Schweiz aufgewachsen. Die promovierte Kulturwissenschaftlerin lehrt an der Berner Hochschule für Künste (HKB) und amtet als Präsidentin des Schlachthaus Theater Bern; von 2015 bis Ende August 2022 arbeitete sie in leitenden Funktionen in der Kulturförderung des Migros-Kulturprozent (MGB).
(https://www.derbund.ch/dem-grossen-traegen-tier-rassismus-wird-regelrecht-zugedient-447663650647)