Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++BERN
Kollektivunterkunft für Asylsuchende: Kanton und Steffisburg treffen sich zu Gespräch
Am Mittwoch, 7. September, hat in Bern eine Besprechung zwischen Vertretungen der Gemeinde Steffisburg unter Leitung von Gemeindepräsident Reto Jakob und der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern unter Leitung von Regierungsrat Pierre Alain Schnegg über die geplante Kollektivunterkunft in Steffisburg stattgefunden. Der Kanton Bern plant in Verbindung mit seinem regionalen Partner Asyl Berner Oberland in der Liegenschaft Untere Mühle, in der die Esther Schüpbach Stiftung aktuell ein Altersheim betreibt, per Januar 2023 eine Kollektivunterkunft für Asylsuchende in Betrieb zu nehmen. Nach einer Auslegeordnung und Klärung der Ausgangslage haben die Gesprächsparteien beschlossen, sich bereits im laufenden Monat nochmals zu treffen. Die im Raum stehenden Differenzen sollen zeitnah angegangen und Lösungsansätze konkretisiert werden.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=04e2f0e4-c160-484c-9655-24242cfaae4b
-> https://www.bernerzeitung.ch/kanton-und-gemeinde-haben-gespraeche-aufgenommen-788253400427
Interpellation SP: Zahlen und Fakten zu abgewiesenen Asylsuchenden
https://www.gr.be.ch/de/start/geschaefte/geschaeftssuche/geschaeftsdetail.html?guid=38ea9e4d537e4468b240be7976457488
+++JENISCHE/SINTI/ROMA
ajour.ch 08.09.2022
Biel/Nidau – Vorstoss im Grossen Rat: Was, wenn Fahrende sesshaft werden?
Wie sieht es rechtlich aus, wenn ausländische Fahrende das ganze Jahr in der Schweiz bleiben? Drei Grossräte aus der Region haben das den Regierungsrat gefragt. Nun liegt dessen Antwort vor.
Sarah Grandjean
Jahr für Jahr sorgen sie für Ärger: ausländische Fahrende, die im Seeland Halt machen und illegal Land besetzen, zum Beispiel bei der Tissot Arena in Biel oder auf dem ehemaligen Expo-Gelände in Nidau. Ein Problem dabei ist, dass es im Kanton keinen Transitplatz für ausländische Fahrende gibt – noch nicht, denn bis 2024 soll einer an der Autobahn A1 bei Wileroltigen gebaut werden.
Der fehlende Transitplatz sei aber nicht die einzige Schwierigkeit, sagt Sandra Hess, Nidauer Stadtpräsidentin und FDP-Grossrätin. Sie habe im Gespräch mit involvierten Personen und Stellen erfahren, dass es oft dieselben Gruppen seien, die sich in Nidau und der Region aufhalten. Durch diese «Teil-Sesshaftigkeit», wie sie es nennt, stellten sich eine Menge rechtlicher Fragen. Um eine Antwort darauf zu bekommen, haben sie und ihre FDP-Grossrats-Kollegen Peter Bohnenblust aus Biel und Andreas Hegg aus Lyss im März eine Interpellation eingereicht. Diese hat der Regierungsrat nun beantwortet.
«Es fehlt eine Gesamtsicht»
Wer in der Schweiz als Handelsreisender unterwegs ist, braucht dafür eine Bewilligung. Gemäss Regierungsrat hat darauf jeder Mensch ein Anrecht. Bedingung dafür ist, dass er sich in den letzten zwei Jahren nicht strafbar gemacht hat. Eine Bewilligung für Reisende stellt jeweils das zuständige Regierungsstatthalteramt aus. Die Interpellanten wollten wissen, wie die Zusammenarbeit zwischen Regierungsstatthalterämtern und Kantonen geregelt ist.
Der Regierungsrat schreibt, dass es keine offizielle Koordinationspflicht gebe, was mehrere Regierungsstatthalterämter schon lange bemängelten. Eine solche zu schaffen, wäre aber Aufgabe des Bundes.
Sandra Hess erklärt, dass sie es gut fände, wenn sich die involvierten Ämter mehr austauschen würden. Sie hofft, dass man auf diese Weise einen besseren und transparenten Informationsaustausch erreichen würde und so effizienter arbeiten könnte. «Im Moment fehlt eine Gesamtsicht», resümiert sie. Auch der Regierungsrat würde eine digitale Plattform begrüssen, auf der sämtliche Informationen gesammelt würden. Aber auch hier liege der Ball beim Bund.
Von Grenzgängerbewilligungen weiss der Kanton nichts
Laut Hess gibt es auch ausländische Fahrende mit einer Grenzgängerbewilligung. Dies wisse man aus Erfahrungen vor Ort. Wer eine Grenzgängerbewilligung will, muss gemäss Regierungsrat seinen Wohnort seit mindestens einem halben Jahr in einer Grenzzone haben und in der Schweiz arbeiten. Er kann aber nicht wochen- oder gar monatelang am selben Ort bleiben, sondern muss mindestens einmal wöchentlich an seinen Wohnort im Ausland zurückkehren.
Selbständig erwerbende Grenzgänger sind nicht an einen bestimmten Kanton gebunden und können sich überall in der Schweiz aufhalten. Gemäss Regierungsrat handelt es sich bei den meisten ausländischen Fahrenden um selbständig Erwerbende. «Dies bedeutet, dass es keine rechtlichen Grundlagen gibt, um die Lohn- und Arbeitsbedingungen zu kontrollieren.»
Weiter schreibt der Regierungsrat, dem Migrationsdienst des Kantons Bern seien keine Gesuche um Grenzgängerbewilligung von Fahrenden bekannt. Dies überrascht Sandra Hess: «Ich habe andere Informationen, dem werden wir sicher nachgehen.»
Im Gespräch mit den involvierten Stellen sei auch von Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit die Rede gewesen, sagt Hess. Das müsse man thematisieren: «Es ist nicht gut, wenn nicht für alle dieselben Regeln gelten.»
Koordinationsstelle soll Gemeinden helfen
In der Interpellation ist zu lesen, die Gemeinden fühlten sich alleingelassen. Die drei FDP-Grossräte wollen wissen, wie der Kanton die Gemeinden künftig unterstützen will. Hierbei verweist der Regierungsrat auf die Koordinationsstelle für Fahrende, die der Kanton Anfang Juni neu geschaffen hat. Diese berät Gemeinden und Grundeigentümerinnen in Bezug auf Spontanhalte ausländischer Fahrender.
Sandra Hess bezeichnet die Koordinationsstelle als «ein erster Schritt in die richtige Richtung». Der Leiter habe die Gemeinde Nidau bereits kontaktiert, woraufhin diese ihre Anliegen habe deponieren können. Aber man müsse realistisch bleiben: Es werde auch gesetzliche Grundlagen brauchen, um etwa eine Koordinationspflicht zwischen Regierungsstatthalterämtern und Kantonen einführen oder die arbeitsrechtlichen Bedingungen kontrollieren zu können.
Die Antwort des Regierungsrates beurteilt Hess als «ehrlich, aber nicht ganz vollständig». Ehrlich deshalb, weil der Regierungsrat aufzeigt, dass dem Kanton in vielen Belangen die Hände gebunden sind und vieles schwer kontrollierbar ist. Nicht ganz vollständig deshalb, weil der Regierungsrat in seinen Antworten zwar auf Fahrende eingegangen ist, die offiziell das ganze Jahr über in der Schweiz sind, wie auch auf solche, die ihren festen Wohnsitz im Ausland haben. Nicht aber auf ausländische Fahrende, die praktisch das ganze Jahr lang in der Schweiz bleiben.
(https://ajour.ch/story/vorstoss-im-grossen-rat-was-wenn-fahrende-sesshaft-werden/26372)
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Interpellation 068-2022 Hess (Nidau, FDP) Wenn ausländische Fahrende (teil)sesshaft werden – Fragen zu Rechten und Pflichten. Antwort des Regierungsrates
https://www.rr.be.ch/de/start/beschluesse/suche/geschaeftsdetail.html?guid=aa11c26009a84e6d8c67f523f74015a8
+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Jenische und die „Normalität“ der Sesshaftigkeit
Jenische sind die vielleicht am wenigsten bekannte Minderheit Europas. Ihre Geschichte, Kultur und sogar die Sprache ist heute kaum jemandem bekannt und das, obwohl Jenische in vielen Ländern Europas in großer Zahl leben – insbesondere auch in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Das wollen wir in der heutigen Folge also ein wenig ändern. Sprechen wir daher über die Geschichte von Fahrenden und von der Sesshaftigkeit. Fragen wir uns aber auch, was eigentlich ein „Volk“ ausmacht und lernen wir mehr über die Geschichte von Menschen, die über Jahrhunderte hinweg abseits der Norm lebten und leben mussten.
https://ralfgrabuschnig.com/jenische-geschichte/
+++GASSE
Armutsbetroffene leiden unter Teuerung: Caritas fordert schnelle Direkthilfe
Angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten schlägt die Caritas Alarm. Bund und Kantone müssten schnell Direkthilfen für Armutsbetroffene bereitstellen.
https://www.blick.ch/politik/armutsbetroffene-leiden-unter-teuerung-caritas-fordert-schnelle-direkthilfe-id17859058.html
-> https://www.blick.ch/schweiz/mittelland/aargau/blick-in-aarburger-wohnblock-siedlung-sie-kaempfen-bereits-jetzt-um-jeden-rappen-id17857715.html
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Illegale Nacht-und-Nebel-Aktion in Zürich: Klimaaktivisten lassen Luft aus Pneus von 60 SUV
An einer weltweiten Nacht-und-Nebel-Aktion haben auch Klimaaktivisten in der Stadt Zürich teilgenommen. Sie liessen Luft aus den Reifen von 60 SUV. Diese Automodelle sind ihr grösstes Feindbild. Nun hat die Stadtpolizei Zürich die Ermittlungen aufgenommen.
https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/illegale-nacht-und-nebel-aktion-in-zuerich-klimaaktivisten-lassen-luft-aus-pneus-von-60-suv-id17858804.html
-> https://www.toponline.ch/tele-top/detail/news/ist-der-letzte-weg-noch-etwas-zu-bewegen-00193335/
+++KNAST
“ce qui revient le plus c’est la violence des gardiens”
Témoignage d’une personne détenue à la prison de Champ-Dollon sur la cellule de force aussi appelée cachot ou mitard et les conditions de détention.
https://renverse.co/infos-locales/article/ce-qui-revient-le-plus-c-est-la-violence-des-gardiens-3667
-> https://parlonsprisons.noblogs.org/
50 Jahre Arxhof: Ein ausführliches Gespräch über Chancen und Herausforderungen des weitgehend offenen Strafvollzuges. (ab 09:29)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/basler-aerger-ueber-axpo-rettungsplan?id=12251626
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bzbasel.ch 08.09.2022
Ein Blick hinter den Stacheldrahtzaun: So leben die Jugendlichen auf dem Arxhof
Für das 50-jährige Jubiläum des Massnahmenzentrums für junge Erwachsene gibt es einen seltenen Einblick.
Kelly Spielmann
Stacheldrahtspiralen säumen die Zäune, die den Hof auf der einen Seite absperren, auf den anderen Seiten sind es die Gebäude mit ihren vielen Fenstern, alle mit Gitterstäben versehen. Es ist der Ankunftsort, der erste Eindruck, den die Jugendlichen erhalten, die ihre vierjährige Massnahme auf dem Arxhof in Niederdorf in der geschlossenen Abteilung beginnen. Die Abteilung gibt es seit 2019, erklärt Franceso Castelli, Direktor des Massnahmenzentrums für junge Erwachsene. Zum 50-jährigen Jubiläum gewährt er einen seltenen Einblick hinter die Gitterstäbe und Stacheldrahtzäune.
Die Belegungszahlen hatten abgenommen, weshalb man das Angebot um die geschlossene Eintrittsabteilung mit acht Plätzen erweitert habe. «Goldrichtig» sei dieser Entscheid gewesen, sagt Castelli heute: Rund 70 Prozent aller Eingewiesenen beginnen die Massnahme im geschlossenen Rahmen, wo sie bis zu sechs Monaten verbringen, bevor sie auf die offene Abteilung wechseln können.
Resozialisierung als oberstes Ziel
Der Entscheid, wie eine Massnahme beginnt, wird von der zuweisenden Behörde getroffen. Und gefällt nicht allen, wie sich auf dem Rundgang zeigt: «Das isch es Gfängnis, man», ruft ein Jugendlicher, als eine Gruppe unter seinem Zimmer vorbeigeht. Er steht am gekippten Fenster und raucht, wartet auf die nächste Gruppe, um seine Aussage zu wiederholen. Castelli zeigt am Basketballkorb und dem Pingpong-Tisch im Aussenbereich vorbei zu den Zäunen. Dahinter: grüne Wiesen, Obstbäume, Wald. «Im Vergleich zu anderen Orten kann man hier noch atmen», meint er. Nicht ganz wie Gefängnis.
Diese Atmosphäre nimmt denn auch mehr ab, je weiter man sich von der geschlossenen Abteilung entfernt. Die Wohnpavillons der offenen Abteilung umfassen je zehn Zimmer, Gemeinschaftsräume, Telefonkammer – Handys sind während der Massnahme verboten – und Küche. Für ihr Abendessen müssen die Jugendlichen jeweils selber sorgen . Neben einer Lehre, die sie in einem von sieben Berufen absolvieren, sollen sie auch den Alltag erlernen.
Hinzu kommen Einzel- und Gruppentherapie. Das Ziel: Die Männer sollen resozialisiert werden. Immer wichtiger sei auch die Individualisierung der Massnahme jedes Einzelnen, so Castelli. Eine Herausforderung, besonders im Gruppenumfeld.
Oberstes Ziel bleibt aber auch in Zukunft die Resozialisierung. Das betont auch Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer an ihrer anschliessenden Rede: «Alles, was wir jetzt in diese jungen Männer investieren, ist eine Investition in die Zukunft. In die individuelle Zukunft jedes Einzelnen, aber auch in die Zukunft unserer Gesellschaft.»
(https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/massnahmenzentrum-ein-blick-hinter-den-stacheldrahtzaun-so-leben-die-jugendlichen-im-arxhof-ld.2341224)
+++BIG BROTHER
Mehr Möglichkeiten für Geheimdienst: Nun regt sich heftiger Widerstand gegen Amherds Spionage-Avancen
Die Bundesrätin will die Überwachung geschützter Berufsgruppen und von deren Klientel ermöglichen. Ärztinnen, Anwälte und Psychiaterinnen widersetzen sich – auch mit einem Diktatur-Argument.
https://www.derbund.ch/nun-regt-sich-heftiger-widerstand-gegen-amherds-spionage-avancen-924977691404
+++POLICE BE
Grosser Rat debattiert über PolizistInnen ohne Schweizer Pass
Im Kanton Bern dürfen nur Schweizerinnen und Schweizer Polizeidienst leisten. Der Grosse Rat diskutiert nun, ob dies auch für Menschen mit der Aufenthaltsbewilligung C möglich sein soll. Im Kanton Basel-Stadt ist dies seit 25 Jahren möglich.
https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/grosser-rat-debattiert-ueber-polizistinnen-ohne-schweizer-pass-147868462
+++FRAUEN/QUEER
Opfer von Sexualdelikt: «Ich habe drei Jahre Demütigung erfahren, er geniesst die Freiheit»
In einer emotionalen Ansprache wandte sich das Opfer eines schweren Sexualdelikts am Mittwochabend an einer Kundgebung in Basel an die Öffentlichkeit. Ihr Fall hätte neu verhandelt werden sollen, doch der Berufungsprozess platzte kurzfristig.
https://www.20min.ch/story/ich-habe-drei-jahre-demuetigung-erfahren-er-geniesst-die-freiheit-975253733685
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derbund.ch 08.09.2022
Preisverleihung im Kursaal: Der Anwalt für LGBTQ
Michel Montini befasst sich seit über 25 Jahren mit queeren Anliegen. Der Anwalt ist überzeugt, dass gewichtige Rechtsfragen noch anstehen. Etwa: Soll es ein drittes Geschlecht geben?
Jessica King
Als Michel Montini Jungjurist war, galten für trans Menschen komplett andere Gesetze als heute. «Viel strengere», erinnert sich der Anwalt. Wollte jemand das Geschlecht offiziell ändern, durfte diese Person etwa nicht verheiratet sein. Wer bereits verheiratet war, musste sich scheiden lassen. Zudem war es Pflicht, sich hormonell behandeln und die Geschlechtsteile operieren zu lassen – sich also so weit an das gewünschte Geschlecht anzupassen, wie es zu der Zeit medizinisch möglich war. «Das bedeutete aber automatisch, dass trans Menschen chirurgisch sterilisiert wurden», so Montini. «Sie waren nach der Operation zeugungsunfähig.»
Dieses Gesetz ist Vergangenheit. Heute, 25 Jahre später, können in der Schweiz alle selber entscheiden, welchem Geschlecht sie angehören, und seit dem 1. Januar 2022 ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen mit einer Erklärung beim Zivilstandsamt ändern. Ohne erzwungene Operation, ohne Hormonbehandlung. «Mittlerweile hat die Weltgesundheitsorganisation die Transidentität von der Liste der psychiatrischen Erkrankungen entfernt», sagt Montini.
«Recht der Lesben und Schwulen»
Seit Jahren beobachtet Michel Montini, wie sich die Gesellschaft ändert – wie Regenbogenfahnen salonfähig werden, wie Nonbinarität und Transidentität zum Gespräch werden. Und wie die Rechtspraxis sich ebenfalls wandelt, wenn auch immer einen Tick langsamer. Montini ist längst nicht mehr Jungjurist – stattdessen besitzt er eine eigene Kanzlei mit seinem Bruder in Neuenburg, arbeitet auch für das Bundesamt für Justiz.
Als Anwalt vertritt er öfter queere Menschen; mit der Schwulenorganisation Pink Cross und der Lesbenorganisation LOS berät er zudem Arbeitnehmende, die wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert oder gemobbt wurden. Zwei Bücher zum Recht für LGBT hat er bereits mitherausgegeben, beide dick wie Ziegelsteine. Montini, der sonst im Gespräch stets ernst bleibt, lächelt plötzlich, als er sich an den Titel des ersten Buchs erinnert: «Rechte der Lesben und Schwulen in der Schweiz». «Im Jahr 2006 war das fast polemisch», sagt Montini und schüttelt amüsiert den Kopf. «Einige Uni-Professoren haben mich sogar kontaktiert, um ihre Empörung kundzutun, weil die Worte lesbisch und schwul zu dieser Zeit derart negativ konnotiert waren.»
Ein Dossier für die Liebe
Doch was heisst es überhaupt, Anwalt für LGBTQ-Rechte zu sein? Welche Art Klienten kommen zu ihm? «Viele Paare», sagt Montini. Früher half er bei eingetragenen Partnerschaften, heute unterstützt er bei Ehen, immer wieder bei Konkubinatspaaren. Auch dieser Teil seiner Arbeit hat sich mit der Zeit gewandelt. Bevor die eingetragene Partnerschaft 2007 in Kraft trat, hat er viele homosexuelle Paare begleitet, die binational waren: Eine Person kam aus einem Drittland und wollte für die Liebe in die Schweiz ziehen. Während heterosexuelle Paare für die Aufenthaltsbewilligung heiraten konnten, blieb homosexuellen Paaren lediglich eine Option: Sie mussten den Behörden ein umfangreiches Dossier einreichen, das ihre Liebe bewies. «Belege waren etwa Flugtickets, Telefonrechnungen, intime Briefe oder E-Mails. Sie mussten sich wirklich nackt machen», erinnert sich Montini.
Ganz selten startet er dieses Prozedere auch heute noch – wenn homosexuelle Paare nicht heiraten können. Bei einem Paar, das Montini vor einigen Jahren betreut hat, stammte etwa ein Mann aus dem Iran und wollte zu seinem Freund in die Schweiz ziehen. Weil homosexuelle Handlungen im Iran mit dem Tod bestraft werden, hatten sie aber Angst, ihre Partnerschaft einzutragen. Damit er doch noch eine Aufenthaltsbewilligung bekam, mussten auch sie den Behörden ein Dossier einreichen.
Was vor 25 Jahren unmöglich war, ist heute im Gesetz festgehalten. Die Ehe für alle, die Stiefkindadoption. Was kommt als nächstes? Welche Gesetzesänderungen im Bereich LGBTQ werden die Justiz in den nächsten Jahren beschäftigen? Michel Montini überlegt, holt Luft – die Liste ist lang. Thema werde etwa eine Änderung des Strafrechts, sagt er, sodass strafbar würde, wenn sich jemand transfeindlich äussert oder handelt. Er spricht auch die Samenspende für lesbische Ehefrauen an, die zwar seit der Ehe für alle legal ist, aber im Gegensatz zu heterosexuellen Ehepaaren nicht von der Krankenkasse bezahlt wird.
Montini glaubt, dass künftig auch die Frage nach einem möglichen dritten Geschlecht aktuell wird. In der Schweiz müssen heute alle im Personenregister angeben, ob sie männlich oder weiblich sind. In Deutschland hingegen können sich alle seit Ende 2018 auch als divers eintragen – eine eigene Geschlechtsoption, für die es im Reisepass ein X als Geschlechtsangabe gibt. Österreich offeriert seit September 2020 im Personenstandsregister zusätzlich vier Möglichkeiten: divers, inter, offen oder gar keinen Eintrag. «Diese Rechtslage wird auch in der Schweiz irgendwann zum Thema», sagt Montini.
Was ihn antreibt, sich für LGBTQ-Themen einzusetzen, erklärt der Anwalt zuerst mit einem Wort: Gerechtigkeit. Und führt dann doch aus: «Für mich ist es selbstverständlich, dass ein Mensch als Mensch behandelt wird. Unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder sexueller Identität.» Er zögert kurz, bevor er einen zweiten Grund nennt: Als schwuler Mann ist er auch persönlich betroffen. Für seine Arbeit als Autor und Anwalt hat ihn der Verein Swiss Diversity nun für einen Preis in der Kategorie Geschlecht nominiert, der am Samstag im Kursaal in Bern verliehen wird.
(https://www.derbund.ch/der-anwalt-fuer-lgbtq-992814620812)
+++RASSISMUS
Ex-GLP-Politiker schockiert mit antisemitischem Tweet über Zürcher Juden
Der Politiker Fisnik Zuberi setzte am 2. September einen Tweet ab, den sogar Regierungsrätin Jacqueline Fehr mit einem «sprachlos» und «unerträglich» kommentieren liess.
https://www.baerntoday.ch/schweiz/ex-glp-politiker-schockiert-mit-antisemitischem-tweet-ueber-zuercher-juden-147862131
-> https://twitter.com/CamilleLotheZH/status/1567760125187837953
-> https://www.blick.ch/politik/ultra-orthodoxen-juden-seien-rueckstaendig-glp-und-sp-distanzieren-sich-von-antisemitischen-tweet-id17859679.html
-> https://www.20min.ch/story/ex-glp-politiker-nennt-ultra-orthodoxe-juden-auf-twitter-rueckstaendig-360901108067
-> https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/jung-glp-politiker-empoert-mit-antisemitischem-tweet-147868450
-> https://www.telem1.ch/aktuell/schock-tweet-ein-solothurner-ex-politiker-setzt-einen-antisemitischen-tweet-ab-147868629
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nzz.ch 08.09.2022
Früherer Solothurner GLP-Kantonsratskandidat setzt antisemitischen Tweet ab über orthodoxe Juden in Zürich
Für die Zürcher SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr sind die gemachten Äusserungen «unerträglich». Auch aus dem bürgerlichen Lager kommt scharfe Kritik.
Kevin Capellini
Es dauerte eine Weile, bis seine Nachricht grosse Aufmerksamkeit erlangte: Ein letzte Woche abgesetzter Tweet eines ehemaligen Solothurner GLP-Kantonsratskandidaten hat am Donnerstag für viel Kritik in den sozialen Netzwerken gesorgt. In seinem problematischen Tweet richtete er sich mit folgender Frage an die Stadt Zürich: «Welches Formular muss man bei euch ausfüllen, um wie die ultraorthodoxen Juden einen eigenen Stadtteil in Zürich zu bekommen und gleichzeitig nicht für das rückständige Leben verurteilt zu werden?»
Damit spielte der Twitterer möglicherweise in antisemitischer Manier auf die unsichtbare Grenze des sogenannten Eruv ab, der in Zürich geplant ist und drei Stadtquartiere mit Nylonfaden verbinden soll. So sollen für orthodoxe Juden am Sabbat mehr Freiheiten ermöglicht werden.
Die Aussagen des ehemaligen Jungpolitikers sorgten für parteiübergreifende Kritik. Die Zürcher SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr kommentierte die Äusserungen als «unerträglich» und schloss sich der Zürcher FDP-Kantonsrätin Sonja Rueff-Frenkel an. Diese zeigte sich in einem Statement über die Aussage des ehemaligen Jungpolitikers schockiert: Sie sei «sprachlos». Gegenüber «20 Minuten» erklärte sie, der Tweet sei erschreckend. «Dass eine Person, die noch vergangenes Jahr in der Öffentlichkeit stand, solche Gedanken auf Twitter teilt, ist haarsträubend.»
Den Tweet ebenfalls verurteilt haben die beiden Zürcher FDP-Gemeinderäte Jehuda Spielman und Përparim Avdili, der auch die städtische FDP präsidiert. Avdili erklärte, die Veröffentlichung solcher Ansichten sei beschämend und die Tatsache, dass der Mann als Lehrer arbeite, sei umso besorgniserregender. Sein Parteikollege Spielman richtete sich auf Twitter derweil direkt an den ehemaligen GLP-Politiker und warf ihm mittelalterliche Intoleranz und Rückständigkeit vor.
Gegenüber «20 Minuten» führte Spielman aus, dass solche Äusserungen «klar antisemitisch» seien. Die Verschwörungstheorie, dass die jüdische Gemeinschaft einen ganzen Zürcher Stadtteil bekommen habe, geistere schon lange im Internet herum. Es brauche hierzu wohl mehr Aufklärungsarbeit, um nachhaltig gegen solches Gedankengut wie den besagten Tweet vorgehen zu können.
Der Tweet ist mittlerweile vom Verfasser wieder gelöscht worden. Der erst im August dieses Jahres erstellte Account fällt jedoch auch durch andere teilweise provozierende Statements auf. Nach diversen kritischen Äusserungen auf Twitter sah sich der ehemalige Jungpolitiker, der im Kanton Solothurn als Primarlehrer unterrichtet, an der Universität Zürich Geschichte studiert und nebenbei auch Beiträge für die Plattform «Baba News» veröffentlicht, am Donnerstagmorgen dazu gezwungen, seine Aussagen zu erklären.
In einer Stellungnahme schrieb er, dass seine Aussage missverstanden worden sei – wohl wegen seines sarkastischen Untertons, wie er meint. Entschuldigen wollte er sich für seine Äusserungen jedoch nicht.
Er habe keineswegs Menschengruppen «pauschalisieren», sondern auf das orthodoxe Viertel in der Stadt Zürich aufmerksam machen wollen. Dies, weil er das in diesem Viertel geführte Leben als «rückständig» empfinde. Der von anderen Personen gemachte «Rassismus-Vorwurf» sei für ihn daher unverständlich.
Da der Twitterer auf der Website der Solothurner GLP noch immer als Kantonsratskandidat für das Jahr 2021 aufgeführt gewesen war, sah sich dann auch seine ehemalige Partei zu einer Reaktion gezwungen und löschte sein Kandidatenprofil von der Seite. In einer Erklärung hiess es, dass der Mann seit dem vergangenen Jahr nicht mehr Mitglied der Partei sei. Er sei als Kandidat für den Kantonsrat für die Partei angetreten, sei gescheitert und habe die Partei danach wieder verlassen. «Er ist aus der GLP ausgetreten, da er unsere Parteihaltung nicht vertritt», hiess es.
Die Jungpartei, für die der Politiker ursprünglich kandidiert hatte, distanzierte sich mittlerweile gleichfalls öffentlich von den Aussagen ihres früheren Kandidaten. Die Aussagen entsprächen in keiner Weise der Meinung der Grünliberalen Partei oder der Jungen Grünliberalen. Ähnlich äusserte sich die GLP des Kantons Zürich, die die Aussagen scharf verurteilte. Als Partei setze man sich für eine offene und tolerante Gesellschaft ein.
Der kürzlich abgesetzte antisemitische Tweet entspricht in keiner Weise der Meinung der @jglpCH oder @grunliberale. Die fragliche Person ist auch bereits seit letztem Jahr nicht mehr Mitglied bei uns.
— Junge glp Solothurn (@jglpSO) September 8, 2022
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-politiker-aus-solothurn-setzt-antisemitischen-tweet-ab-ld.1701812)
+++RECHTSEXTREMISMUS
Naziburschen auf dem Lorettoberg
Communiqué vom 7. September 2022
Am 8. Juli veranstaltete die Burschenschaft Saxo-Silesia im Garten ihrer Villa im Kapellenweg 4 auf dem Lorettoberg in Freiburg eine sogenannte „Mensur“. Dabei kämpfte der Saxo-Silese und AfDler Aaron Kimmig gegen Tobias Lipski von der Münchner Naziburschenschaft Danubia. Beide Bünde sind Mitglied im Nazidachverband Deutsche Burschenschaft. Der damalige Bundeswehrsoldat Lipski wurde überregional durch ein geplantes, aber verhindertes, Naziattentat bekannt. Mit der Verbindung zu Lipskis Danubia positioniert sich die Saxo-Silesia innerhalb des sowieso schon rechten Korporiertenmilieus erneut offen rechtsradikal.
https://autonome-antifa.org/article398
Nach Putin-Eklat bei Esaf-UmzugRussen-Verein soll Basler Kinder nicht mehr unterrichten dürfen
Beim Esaf-Festumzug trug eine Russin auf ihrer Tracht das «Z»-Symbol, das Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausdrückt. Das hat nun Konsequenzen.
https://www.bazonline.ch/russen-verein-soll-basler-kinder-nicht-mehr-unterrichten-duerfen-426124584412
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/jetzt-entzieht-basel-russen-verein-schulkurs-bewilligu-66270601
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/nach-propaganda-am-schwingfest-russischer-verein-soll-keine-basler-kinder-mehr-unterrichten
-> https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/unterricht-nach-eklat-am-esaf-kanton-entzieht-dem-verein-russkij-basel-die-bewilligung-fuer-schul-kurse-ld.2340797
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Grosse Demo am Freitag: Corona-Skeptiker wollen Russen-Sanktionen aufheben
Die Energie-Krise macht Angst. Und genau deswegen formiert sich Widerstand in der Schweiz und Europa. Sie fordern, dass die Russland-Sanktionen gestoppt werden, damit Putins Gas und Öl wieder wie gewohnt fliessen kann. Unter den Protestlern sind viele Corona-Skeptiker.
https://www.blick.ch/schweiz/grosse-demo-am-freitag-corona-skeptiker-wollen-russen-sanktionen-aufheben-id17860133.html
+++HISTORY
Die Reitschule bleibt blau, grün und beige
Hörte munkeln, dass das Eisenbahnviadukt auf der Schützenmatte vor der Reitschule übermalt wird. Mache mich auf, vorbeizuschauen – und siehe da, da stehen sie auf einer Hebebühne: Zwei junge Männer werken an einem recht charakterlosen Farbverlauf. Mir gefällts nicht, aber schlimmer: Fehlt da nicht was?
https://www.woz.ch/zoo/2022/09/08/die-reitschule-bleibt-blau-gruen-und-beige
In der Hölle des Spanischen Bürgerkriegs
In der Fremde mit der Waffe in der Hand die Freiheit verteidigen: Im Spanischen Bürgerkrieg kämpften rund 800 Schweizer Freiwillige gegen den Faschisten Franco. Ein neuer Roman erzählt von ihrem grässlichen Los – und ruft die fragwürdige Rolle der damaligen offiziellen Schweiz in Erinnerung.
https://www.srf.ch/audio/kontext/in-der-hoelle-des-spanischen-buergerkriegs?id=12245784
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hauptstadt.be 08.09.2022
«Mit Worten versteht man sich so schnell falsch»
Der Performance-Künstler Bheki Ndlovu hat ein weltweites Renommée. Nun lebt der Südafrikaner in der Schweiz – und muss sich hier von Neuem beweisen. In Bern widmet er sich tänzerisch der kolonialen Geschichte der Schweiz.
Von Marina Bolzli
Bheki Ndlovu, im Stück «Bittersweet», das Sie im Rahmen der Soliparty für die Tour de Lorraine in Bern erstmals zeigen, geht es um Völkerschauen, also das Ausstellen exotisierter Menschen in Zoos oder Zirkussen – warum?
Weil es diese «human zoos» bis vor nicht so langer Zeit auch noch in der Schweiz gab. Einige der damaligen Besucher*innen und Aussteller*innen leben noch heute. Mir scheint, dass die Leute das lieber totschweigen, anstatt sich damit auseinanderzusetzen. Für mich ist das ein über Generationen weitergereichtes Trauma, das definitiv angesprochen werden muss.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Ich habe zum Beispiel mit einer befreundeten Schweizerin über meine Performance gesprochen. Sie erinnerte sich erst während des Gesprächs daran, dass sie mal an so einer Schau war. Ich merkte ihr an, dass sie sich unwohl fühlt, dass es sie schmerzt, dass sie nicht weiss, wie sie sich mir gegenüber verhalten soll. Das zeigte mir, dass das ein Thema ist, das hierzulande verdrängt wird.
Was macht es mit Ihnen, wenn Sie Bilder von Völkerschauen sehen?
Es wühlt mich emotional sehr auf. Ich schaffe es bis heute nicht, Strassenmusik zu machen. Wenn ich mir das schon nur vorstelle, fühle ich mich zurückversetzt in die Zeit der Völkerschauen: Als wildes Tier angesehen und nicht als Mensch; da zum Bespassen und um auf den Applaus und die Almosen der Zuschauer zu warten. Es ist immer noch wie im Zoo oder im Zirkus, nur ohne Zäune.
Und auf der Bühne passiert Ihnen das nicht?
Nein, ich spiele mein Programm, für das ich fair bezahlt werde. Die Laune des Publikums ist da irrelevant. Ich will einfach als Künstler wegen meiner Arbeit wahrgenommen und respektiert werden, unabhängig von meiner Hautfarbe. Dafür kämpfe ich.
Sie könnten ja darüber schreiben oder sprechen – warum ist Tanz Ihre Ausdrucksform?
Durch Worte entstehen oft Missverständnisse und man ignoriert negative Dinge, die man nicht hören will. Deshalb spreche ich lieber durch Musik und Bewegung. Ich möchte wissen: Sieht das Publikum, was ich sehe? Hört das Publikum, was ich höre? Ich nehme die Zuschauer*innen mit Musik und Bewegung auf eine Reise mit.
Was für eine Reise?
Eine, die verdrängte Geschichten auspackt, die gewissermassen eine Bildungsreise ist. Ich tue das ja nicht nur für mich. Ich tue es auch für meine Kinder. Für die nächste Generation, damit vielleicht ein besseres Verständnis füreinander entsteht. Viele Probleme dieser Welt kommen daher, dass man sich nicht richtig versteht.
Warum denken Sie das?
Missverständnisse gibt es überall. Aber seit ich in der Schweiz lebe, nehme ich sie besser wahr. Ich spreche Englisch und nur schlecht deutsch. Ich komme aus einer anderen Kultur, ich weiss oft nicht, wie ich die Menschen verstehen soll.
Geben Sie ein Beispiel.
In Südafrika gehen Freunde aufeinander zu und sagen: «You guys look good, you guys look fed» (Ihr seht gut und gefüttert aus). Ich weiss, wie ich das nehmen muss, als Kompliment. Aber wenn mir hier in der Schweiz jemand etwas sagt, weiss ich nicht genau, wie ich es nehmen soll. Ob das jetzt wirklich ein Kompliment ist – oder vielleicht sogar eine Beleidigung.
Wie ist es für Sie, in der Schweiz zu leben?
Grundsätzlich gefällt es mir gut. Meine Frau ist Schweizerin, wir haben uns in Südafrika kennengelernt und auch dort gelebt, bevor wir uns entschieden, mit den Kindern in die Schweiz zu ziehen. Die Schweiz ist also nicht völlig fremd für mich. Und trotzdem fühle ich mich oft allein. Als Mensch mit Schwarzer Hautfarbe fällst du auf. Natürlich, Rassismus gibt es auch in Südafrika, gibt es sogar mehr in Südafrika, aber dort sind wir viele mit Schwarzer Haut. Hier ist das anders.
Weil Sie hier zu einer kleinen Minderheit gehören?
Vor allem, weil ich vieles nicht verstehe. Ich werde oft kontrolliert von der Polizei. Vielleicht ist das manchmal auch gerechtfertigt, aber wenn ich nachfrage, damit ich es das nächste Mal besser machen kann, erklärt mir niemand, was ich falsch gemacht habe.
Was heisst das, Sie werden von der Polizei kontrolliert?
Ich muss halt häufig meinen Ausweis zeigen, ob im Zug, im Auto, auf der Strasse. Das ist Racial Profiling* ich glaube, es passiert fast allen People of Color in der Schweiz. Aber wir sprechen nicht gerne darüber. Ich möchte auch gar nicht mehr dazu sagen.
Warum nicht?
Ich lebe noch nicht lange in der Schweiz, ich möchte mich integrieren, möchte wieder als Tänzer Fuss fassen. Schliesslich habe ich schon für Nelson Mandela getanzt, habe mit dem Choreografen von Michael Jackson zusammengearbeitet und auf der ganzen Welt getanzt. Ich habe ein Renommée. Aber das wird hier nicht anerkannt, und das nur, weil ich es mir nicht in Europa erarbeitete. Wir müssen zehn Mal härter arbeiten, um uns zu beweisen als Leute von hier.
Dafür sprechen wir über Dreadlocks bei weissen Sängern…
…dazu möchte ich lieber nichts sagen. Das Thema ist zu neu, die Diskussion zu aufgeheizt. Und es gibt so viele Missverständnisse.
Ihre Meinung wäre aber sehr interessant.
Ich finde einfach, dass es wichtigere Probleme auf der Welt gibt. Man sollte andere Menschen nicht bewerten, man kennt ihre Geschichte nicht. Und man sollte im Dialog bleiben. Ich kenne auch eine Schweizerin, die ist ein halbes Jahr nach Ghana gereist, um Tanzkurse zu nehmen. Zurück in der Schweiz hat sie eine Tanzschule eröffnet. Was soll ich dazu sagen? Ich stamme aus Südafrika, ich komme aus dieser Kultur, habe mein Leben lang getanzt, und sie eröffnet diese Tanzschule? Ich könnte mit dem Finger auf sie zeigen. Oder ich könnte stolz sein, dass wir ihr in Afrika das Tanzen so gut beigebracht haben. Wir müssen im Dialog bleiben und verschiedene Perspektiven zulassen, ohne zu verbittern. Und wir dürfen dieses Feuer, das nun durch die Dreadlock-Debatte entfacht ist, nicht immer weiter lodern lassen. Mit solchen Debatten laufen wir vor den richtigen Problemen weg.
Aber kulturelle Aneignung ist ja schon ein Thema.
Ja, aber ich finde, man darf andere Menschen nicht bewerten, ohne ihre Geschichte zu kennen. Ich möchte meine Kraft lieber auf die Zukunft richten.
Womit wir wieder beim gegenseitigen Verständnis wären.
Genau, das ist das Thema meines Stücks. Mit Worten versteht man sich so schnell falsch. Und was wir sagen, macht nichts besser, solange wir es nicht spüren. Deshalb tanze ich lieber. Auch das ist Bildung – und alle nehmen das daraus, was sie weiterbringt.
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*ein Ausdruck der ursprünglich aus den USA kommt und das Phänomen bezeichnet, dass People of Color häufiger von Polizeikontrollen betroffen sind
Das Interview wurde auf Englisch geführt.
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Zur Person
Der Tänzer und Performer Bheki Ndlovu stammt aus Durban in Südafrika. Er hat in vielen Musik- und Tanzproduktionen mitgemacht, arbeitete mit Filmemacher*innen, Choreograf*innen (unter anderem Michael Peters, der Choreograf von Michael Jackson) und Schauspieler*innen. Seit fünf Jahren lebt er mit seiner Familie in der Schweiz, arbeitet als freier Performer und hat in Zürich eine Tanzschule eröffnet.
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Tour de Lorraine – Soliabend
Im Januar 2020 fand die letzte Tour de Lorraine statt. Dann kam die Pandemie. Die Soliparty wurde mehrmals verschoben. Nun gibt es sie zum ersten Mal als Sommerparty. Am Samstag, 10. September ab 19 Uhr (kein Vorverkauf) gibt es ein wuchtiges Abendprogramm in 18 Lokalen mit einem Eintrittsticket. Neben 40 Bands, Musiker*innen und DJs gibt es Filme im Kino der Reitschule und eine Performance im Tojo-Theater – alles an einem einzigen Abend. Zum Auftakt findet am Donnerstag, 8. September im Kino der Reitschule das PixMix als Veranstaltung der «Tour décolonial» statt: Fünfzehn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Erfahrungen präsentieren ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe und den rassistischen Realitäten in der Schweiz, indem sie jeweils 20 Bilder à 20 Sekunden zeigen und dazu ihre Geschichten erzählen.
(https://www.hauptstadt.be/a/interview-bheki-ndlovu-kolonialismus-in-der-schweiz)