Medienspiegel 6. September 2022

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+++BERN
hauptstadt.be 06.09.2022

Die Nothilfe gibt zu reden

Der Kanton Bern muss überdenken, welche Rechte er abgewiesenen Asylsuchenden zugesteht. Am Mittwoch debattiert der Grosse Rat darüber, wie weit der Kanton gehen soll.

Von Jana Schmid

Die Herbstsession des Grossen Rates ist seit Montag im Gang. Am Mittwoch prominent auf der Agenda: Wie soll der Kanton Bern mit abgewiesenen Asylsuchenden umgehen?

«Was der Kanton bisher umgesetzt hat, ist zu wenig», sagt SP-Grossrätin Edith Siegenthaler. Sie ist als Vize-Präsidentin der kantonalen Sicherheitskommission mit dem Thema vertraut.

Für Siegenthaler ist klar: Besonders Kinder und Jugendliche, die im Kanton Bern von der Nothilfe leben, brauchen mehr staatliche Leistungen für ein menschenwürdiges Leben. Die Unterkünfte speziell für Familien und Frauen, die der Kanton kürzlich eröffnet hat, reichen ihrer Meinung nach nicht aus. «Kinder gehören nicht in ein Rückkehrzentrum», sagt sie.

Die Vorgeschichte

Im Februar 2022 wurde der Kanton Bern kritisiert. Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) veröffentlichte einen Bericht, der vom Kanton selber in Auftrag gegeben worden war. Inhalt: Die Überprüfung der kantonalen Rückkehrzentren. Dort werden abgewiesene Asylsuchende untergebracht, die rechtskräftig aus der Schweiz weggewiesen wurden, oft jedoch nicht ausgeschafft werden können. Sie sind von der Sozialhilfe ausgeschlossen und erhalten lediglich Nothilfe.

Die NKVF besuchte 2021 die Zentren in Aarwangen, Gampelen und Biel und untersuchte die Lebensbedingungen der Bewohnenden auf ihre Grund- und Menschenrechtskonformität.

Das Resultat der Untersuchung: Besorgniserregend. Einen Fokus legte die Kommission auf die Lebensumstände von Kindern und deren Familien. Und kam zum Schluss, dass diese nicht mit der UNO-Kinderrechtskonvention vereinbar sind.

Mittlerweile hat der Kanton Bern zwei neue Rückkehrzentren speziell für alleinstehende Frauen und Familien in Betrieb genommen: eines in Enggistein bei Worb (die «Hauptstadt» berichtete), das andere in einem ehemaligen Spital in Bellelay. Das Rückkehrzentrum in Biel-Bözingen wurde per Ende Juli geschlossen. Der Kanton betont, spezielle Familienzentren bereits vor dem Bericht der NKVF geplant zu haben.

Aufgrund der Empfehlungen, die die NKVF in ihrem Bericht formulierte, hat der Regierungsrat ausserdem kürzlich eine Erhöhung des Nothilfebetrags von 8 auf 10 Franken pro Tag beschlossen. Diese tritt ab November in Kraft. Und neu wird die Nothilfe auch Personen ausbezahlt, die bei Gastfamilien leben.
-> https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=2f59b5b4-dd77-4d2e-a38c-0381cf320a9d

Weitere Massnahmen, die die NKVF empfohlen hatte – etwa eine generelle Unterbringung von ausreisepflichtigen Familien in Wohnungen – lehnt die kantonale Sicherheitsdirektion aber ab.
-> https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=48b63099-2f16-4007-97b2-315280322fb7

Auch in der Politik zeigte der Bericht seine Wirkung: Neun Vorstösse gingen seit Februar im Grossen Rat zum Thema ein. Am Mittwoch wird an der Herbstsession über fünf Motionen debattiert. Werden sie den Kanton Bern zu weiteren Massnahmen verpflichten?

Links bis rechts fordern Besserstellung

Ein Zusammenschluss von SP, Grüne, Die Mitte und EVP fordert eine Erhöhung der Nothilfe von 8 auf 12 Franken.
-> https://www.rrgr-service.apps.be.ch/api/gr/documents/document/63ea4ca4e8194331a40a06eb3f1fd80f-332/39/2022.RRGR.51-RRB-D-250791.pdf

Drei weitere Motionen beziehen sich auf Empfehlungen, die die NKVF in ihrem Bericht formuliert hat:

Die SP will eine generelle Unterbringung von Familien mit Kindern in Wohnungen statt in Rückkehrzentren, sowie einen Leitfaden für die Einhaltung der Menschenrechte für Menschen in der Nothilfe.
-> https://www.rrgr-service.apps.be.ch/api/gr/documents/document/1b708a03f6f94d3096b413694622e81a-332/26/2022.RRGR.45-RRB-D-250787.pdf
-> https://www.rrgr-service.apps.be.ch/api/gr/documents/document/40859126ffdd4a30beb4047cf769d6e7-332/28/2022.RRGR.67-RRB-D-250820.pdf

Und eine Gruppe aus SP, Grünen, glp, EVP, Die Mitte und der Alternativen Linken fordert «menschenwürdige Bedingungen» für abgewiesene Asylsuchende. Darunter sollen etwa eine Erhöhung des Nothilfebeitrages fallen, mehr Sachleistungen an Menschen in Rückkehrzentren, verschiedene frauen- und kinderspezifische Massnahmen oder ein flächendeckender WLAN-Zugang in Rückkehrzentren.
-> https://www.rrgr-service.apps.be.ch/api/gr/documents/document/b3e8622e07bf46768aa6a0ddc37c0720-332/36/2022.RRGR.70-RRB-D-250780.pdf

Schliesslich verlangen EVP, SVP, Die Mitte und glp einen sogenannten Personalbrief für abgewiesene Asylsuchende ohne Rückkehrmöglichkeit. Dieser soll den Kanton vor unnötigen Kosten schützen: Indem abgewiesenen Asylsuchende ohne Rückkehrmöglichkeit ein Personalbrief ausgestellt wird, den sie bei Kontrollen vorweisen können, soll vermieden werden, dass sie wegen ihres illegalen Aufenthaltes angehalten und in Gerichtsverfahren verurteilt werden. Interessant an diesem Vorstoss ist, dass selbst von bürgerlicher Seite von «Personen in einer ausweglosen Situation» gesprochen wird, die «keine Rückkehrmöglichkeit» haben – wird doch gerade die Möglichkeit zur Rückkehr in den Herkunftsstaat oft als Argument gegen eine Besserstellung von Personen in der Nothilfe angebracht.
-> https://www.rrgr-service.apps.be.ch/api/gr/documents/document/f5d7bf2347084bf0aa4a1dfd44208e7b-332/26/2022.RRGR.50-RRB-D-250639.pdf

Schwerer Stand

Der Regierungsrat beantragt die Ablehnung sämtlicher Motionen. Doch wie stehen die Chancen im Grossen Rat?

«Eine Mehrheit zu erreichen, wird für die Vorstösse schwierig – obwohl wir das natürlich versuchen werden», sagt Edith Siegenthaler. Auch wenn die Motionen nicht ausschliesslich von linken Parteien unterstützt werden, sei eine Mehrheit im Grossen Rat schwer zu erreichen.

Doch die SP will an ihren Forderungen festhalten – die vom Kanton bereits getroffenen Massnahmen seien unzureichend.

Gerade mit der Teuerung seien auch 10 Franken Nothilfe pro Tag noch zu wenig.

«Und ganz besonders muss die Situation von Kindern und Jugendlichen verbessert werden.» Dass der Kanton neue Zentren für Familien und alleinstehende Frauen eröffnet habe, verbessere vor allem die Sicherheit, etwa dank getrennten sanitären Anlagen. «Aber es sind immer noch Zentren. Und die bieten keine gute Umgebung für die Entwicklung von Kindern», sagt sie. Etwa wegen der engen Platzverhältnisse, die kaum Privatsphäre ermöglichen, oder dem oft wechselnden Umfeld.

Dabei gelte das Argument, dass die abgewiesenen Personen freiwillig hier seien und zurückkehren könnten, für Kinder definitiv nicht: «Sie haben keine Wahl.» Deshalb sei entgegen der Haltung der Sicherheitsdirektion nur die Unterbringung von Familien in Wohnungen eine geeignete Lösung, wie dies etwa der Kanton Basel-Stadt bereits praktiziert.

«Ich bin überzeugt, dass vielen Menschen im Kanton Bern nach wie vor nicht bewusst ist, wie dieser mit Menschen mit einem negativen Asylentscheid umgeht», sagt Edith Siegenthaler. «Darauf aufmerksam zu machen ist nötig – auch im Grossen Rat.»
(https://www.hauptstadt.be/a/grosser-rat-debattiert-ueber-nothilfe)



hauptstadt.be 06.09.2022

Ist dort Krieg?

Die Eritrea-Politik der Schweiz wird kritisiert. Von der UNO, vom Parlament, in den Medien. Und in Bern, aufs Schärfste, von Annelies Müller. Einblicke in die Geduldsarbeit einer Aktivistin.

Von Jana Schmid

Auf Annelies Müllers Laptop häufen sich die Dokumente. Unzählige Megabyte, die Texte akribisch mit Quellenangaben belegt: Beschwerden ans Bundesverwaltungsgericht, Analysen über die politische Lage am Horn von Afrika, Wiedererwägungsgesuche, sogar ein Schreiben, das einen Bundesverwaltungsrichter in den Ausstand schicken sollte.

«Ich hab mich da reingenerdet», sagt Annelies Müller in ihrem Büro in einem alten Bauernhaus in Moosseedorf. «Wenn du dich da einmal reindenkst, lässt es dich nicht so einfach wieder los.»

Shewit Tesfay macht unterdessen vor allem eines: Warten.

«Es vergeht so viel Zeit, in der ich nichts tun kann. Das ist schade», sagt der 24-Jährige. Seine Stimme ist so leise, dass sie im Verkehrsrauschen von Köniz fast untergeht. Er trägt trotz anhaltender Hitze einen schwarzen Wollpullover.

Vor einigen Wochen hätte er eine Lehre als Koch in einem Liebefelder Restaurant beginnen können. Daraus wurde aber nichts, denn Shewit Tesfay hat keine Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz. Rechtlich wäre er verpflichtet, in seinen Herkunftsstaat Eritrea zurückzukehren. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt.

Annelies Müller hat für ihn ein Wiedererwägungsgesuch gestellt. Damit soll von den Migrationsbehörden noch einmal beurteilt werden, ob seine Rückkehr nach Eritrea wirklich zulässig und zumutbar ist. Jetzt wartet Shewit Tesfay auf den Entscheid – seit über einem Jahr.

Ein Jahr, in dem die Praxis der Schweizer Behörden gegenüber Asylsuchenden aus Eritrea zunehmend in Frage gestellt wird: Durch einen unerbittlichen Krieg in der an Eritrea grenzenden äthiopischen Provinz Tigray etwa. Oder, weil die Schweiz gleich viermal von einem UNO-Kontrollorgan gerügt wurde. Oder durch den publik gemachten Fall eines Rückkehrers.

Aber von vorn: Was hat es mit dieser Praxis auf sich? Seit wann besteht sie? Und wer kritisiert sie?

Weder Krieg noch allgemeine Gewalt

Die Schweiz hat ihre Eritrea-Politik seit 2016 verschärft. Davor war Eritrea während mehrerer Jahre das Herkunftsland, aus dem die meisten Asylgesuche in der Schweiz gestellt wurden.

Ein drohender Einzug in den eritreischen Nationaldienst – ein zeitlich unbegrenzter militärischer oder ziviler Einsatz – führt seit einer Praxisänderung der Migrationsbehörden nicht mehr per se zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der Schweiz.

Ausserdem gilt der Vollzug von Wegweisungen nach Eritrea grundsätzlich als zulässig und zumutbar.

Im Schweizer Asylrecht wird angenommen, dass eine Rückkehr an einen Ort generell unzumutbar ist, wenn dort Krieg, Bürgerkrieg oder eine Situation allgemeiner Gewalt herrscht. Personen, die zwar nicht rechtlich als Flüchtlinge anerkannt wurden, aber aus einem solchen Ort kommen, erhalten dann in der Regel eine vorläufige Aufnahme – genannt Status F.

Die schweizerischen Migrationsbehörden gehen davon aus, dass in Eritrea kein Krieg, Bürgerkrieg oder allgemeine Gewalt herrscht.

Das bedeutet, dass Personen aus Eritrea, die nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden, nach der aktuellen Praxis auch nicht vorläufig aufgenommen werden, wenn keine individuellen Gründe dafür sprechen. Die Personen werden zur Rückkehr nach Eritrea verpflichtet.

Die eritreischen Behörden akzeptieren jedoch keine Zwangsrückführungen ihrer Bürger*innen, was nötig wäre, damit die Schweiz Ausschaffungen nach Eritrea durchführen könnte. Die Schweiz pocht deshalb darauf, dass betroffene Personen freiwillig zurückkehren.

Das Resultat: Viele Eritreer*innen, deren Asylgesuch abgewiesen wurde, die rechtlich aus der Schweiz weggewiesen wurden – und die trotzdem hierbleiben. Sie landen in den Nothilfestrukturen ohne Recht auf Erwerbstätigkeit, Integration oder irgendeine Perspektive. Und kehren doch nicht zurück, obwohl die Behörden ihnen das Leben in der Schweiz so unangenehm wie rechtlich möglich machen.

Denn: Auch die Lage in Eritrea ist alles andere als angenehm.

Vielleicht doch Krieg?

Von einer «anhaltenden menschenrechtlichen Krise» spricht ein im Mai veröffentlichter Bericht des UNO-Sonderberichterstatters zur Lage in Eritrea.

Männer, Frauen und auch Kinder würden zwangsweise und für unbegrenzte Dauer in den Nationaldienst eingezogen, wo sie Zwangsarbeit, unmenschlicher Behandlung, Bestrafungen und sexueller Gewalt ausgesetzt seien. Deserteur*innen drohten willkürliche Inhaftierung, Folter oder aussergerichtliche Tötungen.

Hinzu kommt seit November 2020 der Konflikt in der äthiopischen Provinz Tigray. Dieser – von hiesigen Medien wenig beachtete – Krieg zwischen der äthiopischen Regierung und einer ansässigen Rebellengruppe fordert seither zahlreiche zivile Opfer in der Region, in der viele eritreische Geflüchtete in Camps leben. Und: Auch eritreische Truppen beteiligen sich an den Kämpfen in Tigray.

Das verschlimmere die Situation von eritreischen Bürger*innen – auch minderjährigen – zusätzlich, die gezwungen würden, sich an einem «grausamen Krieg» zu beteiligen, so der UN-Bericht. Angehörige wüssten oft nichts über den Aufenthaltsort und Zustand ihrer Familienmitglieder, die in die Provinz Tigray entsandt wurden.

Häufige Einzelfälle

Gleich viermal innerhalb eines Jahres hat der UNO-Antifolterausschuss die Schweiz für verfügte Wegweisungen von Personen nach Eritrea gerügt. Die Begründung: Bei einer Rückkehr nach Eritrea drohe ihnen Folter oder unmenschliche Behandlung. Diese Häufung von Fällen stelle die aktuelle Schweizer Praxis generell in Frage, sagt die Juristin Sarah Frehner gegenüber dem Tagesanzeiger.

Und im Mai wurde die Geschichte eines eritreischen Geflüchteten publik, der nach Eritrea zurückgekehrt war, nachdem sein Asylgesuch in der Schweiz abgelehnt worden war. Das Recherchekollektiv «Reflekt» hatte den Kontakt mit ihm aufrechterhalten, und konnte so dokumentieren: Er wurde nach seiner Rückkehr inhaftiert und gefoltert. Der Mann floh noch einmal – zurück in die Schweiz, die seine Rückkehr nach Eritrea als zumutbar eingestuft hatte. Und stellte wieder ein Asylgesuch. Dieses wurde angenommen.

«Wann ändert der Bundesrat seine Praxis?», fragte daraufhin die Grüne Nationalrätin Aline Trede in einer Interpellation.

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) beobachte die Lage und die Entwicklungen in Eritrea laufend, so die Antwort des Bundesrates. Jedoch hätten sich auch aus diesem spezifischen Einzelfall keine Gründe für eine allgemeine Anpassung der Praxis ergeben. Gemäss aktueller Einschätzung des SEM und des Bundesverwaltungsgerichts herrsche in Eritrea «weder Krieg noch eine Situation allgemeiner Gewalt».

Unterschätzte Aktivistin

Annelies Müller ist keine Politikerin. Auch keine UNO-Sonderberichterstatterin. Aber Bescheid weiss die 43-Jährige über all das – und wie.

Dabei sei sie, so sagt sie, gewohnt, von ihren Mitmenschen unterschätzt zu werden. Sie ist von Geburt an blind, lebt von IV und Ergänzungsleistungen – und unterstützt seit Jahren Geflüchtete vom Horn von Afrika in der Region Bern.

Bei Alltagsfragen, bei privaten Unterbringungen in Gastfamilien und vor allem in rechtlichen Belangen. Bis vors Bundesverwaltungsgericht.

Das juristische Wissen hat sie sich selbst angeeignet, mit vielen Stunden Lektüre, im regelmässigen Austausch mit Anwält*innen, bei juristischen Fortbildungen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. «Mir war von Anfang an bewusst, dass ich bei Beschwerden keinen Nonsens einreichen darf», sagt sie. Schliesslich gehe es um menschliche Schicksale. Bei komplizierten Fällen spreche sie sich jeweils mit patentierten Anwält*innen ab.

Im sonstigen Alltag, erzählt sie, werde sie manchmal selbst bei trivialen Briefen gefragt, «wer das für sie geschrieben habe». Kürzlich etwa, als sie in der Badi Moosseedorf von einem Bekannten auf einen Brief angesprochen wurde, den sie einem Restaurant zukommen liess, nachdem dieses ihrem Blindenhund keinen Einlass gewähren wollte.

Zu wissen, wie es ist, nicht richtig dazuzugehören zur Mehrheitsgesellschaft, «nicht für voll genommen zu werden», das habe sie auf gewisse Weise gemeinsam mit den Personen, die sie unterstützt, sagt Annelies Müller.

Und schliesslich sei sie da einfach reingerutscht in dieses Thema, als im Jahr 2015 nahe ihrem Wohnort eine Asylunterkunft eröffnet worden war. So lernte sie die ersten Menschen kennen, die in die Pattsituation gelangten: Rechtskräftig abgewiesen und trotzdem fest überzeugt, nicht zurückkehren zu können.

Sie begann sich für die Situation am Horn von Afrika zu interessieren. In einem äthiopischen Restaurant, wo sich viele Menschen aus Eritrea regelmässig aufhielten, verbrachte sie unzählige Stunden, fragend und zuhörend. «Ich wollte verstehen, was das für Leute sind», sagt Annelies Müller. Langsam arbeitete sie sich immer tiefer in das Thema ein – und lernte immer mehr Menschen kennen, die ihre Hilfe in Anspruch nahmen.

«Wenn ich etwas ungerecht finde, dann bleibe ich dran», sagt sie, und lenkt das Gespräch wieder auf ihre Arbeit.

Kein Krieg, aber besondere Umstände

Zehn Wiedererwägungsgesuche für abgewiesene Asylsuchende aus Eritrea hat Annelies Müller zwischen Juni und Oktober 2021 eingereicht.

Die Wegweisung nach Eritrea sei unzulässig und unzumutbar, argumentiert sie, ganz besonders jetzt durch den Krieg in Tigray. Den Personen drohe Folter, wenn sie nach Eritrea zurückkehren würden. Oder der zwangsweise Einsatz in einem Krieg, in dem allen Parteien – also auch der eritreischen Armee – schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen würden. Die Personen seien deshalb in der Schweiz vorläufig aufzunehmen.

Immer wieder brachte Annelies Müller dieselben Argumente an – nebst individuellen Aspekten der jeweiligen Einzelfälle. Viele Seiten lang sind die Gesuche, die sie beim SEM und beim Bundesverwaltungsgericht einreichte.

In der Zwischenzeit wuchs auch die öffentliche Kritik an der Praxis der Schweiz: Mit den Urteilen des Antifolterausschusses, in den Medien, mit dem Bericht des UNO-Sonderberichterstatters und parlamentarischen Vorstössen.

Trotzdem kam immer wieder dieselbe behördliche Antwort: In Eritrea herrsche keine Situation von Krieg oder allgemeiner Gewalt, trotz der Involvierung von Eritrea in den Tigray-Konflikt. Und eine drohende Einberufung in den Militärdienst stehe einem Wegweisungsvollzug nicht im Weg.

Sechs der zehn Gesuche wurden abgelehnt. Den Gesuchstellenden wurden jeweils Prozesskosten von 600 bis zu 1’500 Franken auferlegt. Begründung: Die Eingaben seien von vornherein aussichtslos gewesen. Das Geld für die Gebühren kratzte Annelies Müller «irgendwie zusammen».

Ein Gesuch wurde angenommen. Es ging um eine alleinerziehende Mutter mit zwei Teenager-Töchtern. «In Würdigung der besonderen Umstände» sei vom Vollzug der Wegweisung abzusehen, weil eine solche zum heutigen Zeitpunkt nicht zumutbar sei, schrieb das SEM in seinem Entscheid Ende Mai.

Welche Umstände und warum, bleibt offen – ein Entscheid muss per Gesetz nur begründet werden, wenn er negativ ausfällt. Warum zum heutigen Zeitpunkt eine Rückkehr der Familie nach Eritrea als unzumutbar eingeschätzt wird, bei Ablehnung des Asylgesuchs im Jahr 2019 aber für zumutbar gehalten wurde, ist so schwer nachzuvollziehen.

Hat es mit dem Krieg in Tigray zu tun?

Das SEM gibt zu Einzelfällen keine Auskunft, wie es auf Anfrage schreibt. Generell gelte aber, dass Wiedererwägungsgesuche einer sorgfältigen Einzelfallprüfung unterzogen werden. Eine Situation von Krieg oder allgemeiner Gewalt liege aber gemäss aktueller Einschätzung nach wie vor nicht vor in Eritrea, trotz des Tigray-Konfliktes.

Oder hat es damit zu tun, dass die Familie prominente Kontakte gepflegt hatte?

Nationalrätin Aline Trede war mit der Mutter freundschaftlich verbunden und hatte ihr ein Praktikum in ihrer Kommunikationsfirma ermöglicht, als sie noch im Asylverfahren war. Ausserdem begleiteten Lehrpersonen der Töchter das Verfahren eng.

Nein, schreibt das SEM, die Integration spiele bei der Überprüfung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs keine Rolle.

Worin auch immer die genauen Gründe liegen, der Fall zeigt: Es ist offenbar nicht immer von vornherein aussichtslos.

Warten

Drei der zehn Wiedererwägungsgesuche, die Annelies Müller gestellt hat, sind Mitte August noch hängig. Eines davon ist das von Shewit Tesfay.

Er ist seit 2015 in der Schweiz. An das Warten musste er sich in dieser Zeit gewöhnen.

Schon auf seinen Asylentscheid wartete Shewit Tesfay vier Jahre. Im Sommer 2019 hätte er die Zusage für eine Schreinerlehre gehabt, jedoch nur mit abgeschlossenem Asylverfahren. Das dauerte aber bis im Winter. Also wartete er, machte das zehnte Schuljahr, und wurde dann abgelehnt.

2020 hatte er wieder eine Zusage für eine Lehre, diesmal als Koch im Liebefeld.

Der Betrieb setzte sich dafür ein, ihn einstellen zu dürfen. Doch die Behörden verweigerten den Antritt, denn eine Lehre gilt als Erwerbstätigkeit. Und ist damit, im Gegensatz zur Schulbildung, ohne Aufenthaltsberechtigung verboten.

Shewit Tesfay blieb trotzdem hier, lernte noch besser deutsch, trainierte in einem Berner Leichtathletik-Verein, spielte Unihockey. Viel mehr durfte er nicht tun – vor allem nicht arbeiten. «Es gäbe so viele Möglichkeiten hier», sagt er. «Es ist schwierig zu beschreiben, wie es ist, wenn man sie alle nicht wahrnehmen darf. Und es ist sehr schwierig, dabei gesund zu bleiben.»

Als Annelies Müller im Juni 2021 sein Wiedererwägungsgesuch einreichte, versicherte ihm der Restaurantbesitzer erneut, dass er spätestens im Sommer 2022 die Lehre antreten könne, wenn das Gesuch positiv ausfallen sollte.

Es ist Mitte August, als er an jenem heissen Tag in seinem Wollpullover im Liebefeld-Park steht und über seine Situation spricht. Die Lehre hätte vor wenigen Wochen gestartet. Da war das Gesuch aber noch immer hängig. Shewit Tesfay wartet noch einmal ein Jahr. «Ich verschwende meine Zeit», sagt er.

Das SEM schreibt auf Nachfrage von Annelies Müller: «Aufgrund der zahlreichen Pendenzen bitten wir Sie noch um etwas Geduld.»

Und dann, es ist fast schon September und dieser Text schon beinahe veröffentlicht, kommt – nach 15 Monaten – die Antwort des SEM auf Shewit Tesfays Gesuch.

Entscheid: Das Wiedererwägungsgesuch wird abgewiesen. Beilage: Rechnung mit Einzahlungsschein, 600 Franken.

Nach Eritrea hat Shewit Tesfay kaum mehr Kontakte. Seine Eltern sind schon lange tot, der ältere Bruder dient im Nationaldienst, Shewit Tesfay weiss nicht, wo er ist und ob er noch lebt. Er weiss auch nicht, wo seine jüngeren Geschwister sind, die er als Teenager zurückgelassen hat. Eine Rückkehr kommt für ihn nicht in Frage.

«Unmöglich», sagt er sehr leise. «Das werde ich nicht tun. Es ist unmöglich. Aber vielleicht kann ich ja irgendwann die Lehre anfangen.»

Annelies Müller wartet derweil nicht. Und spricht auch nicht leise. «Mich regt so auf, was den Menschen an Lebenszeit genommen wird», sagt sie. Egal, wie die jetzt noch hängigen Gesuche entschieden werden – aufhören wird Annelies Müller ganz bestimmt nicht. Für Shewit Tesfay wird sie Beschwerde einlegen gegen den Entscheid des SEM.

«Ich kenne mittlerweile viel zu viele persönliche Schicksale, als dass ich übers Aufhören nachdenken könnte.» Und die Beschwerden, die sie schreibe, würden immer besser, sagt sie. Ein wenig Stolz schwingt in der Stimme mit. Auf ihrem Laptop sammeln sich täglich neue Dokumente an.
(https://www.hauptstadt.be/a/berner-aktivistin-bekaempft-eritrea-politik-der-schweiz)



Mit aller Härte
Wer ohne Schweizer Pass in der Schweiz lebt und Sozialhilfe bezieht, riskiert damit seine Aufenthaltssicherheit. Im Kanton Bern wurden seit 2016 über 150 Bewilligungen wegen Sozialhilfebezug widerrufen. Mit dieser Praxis bekämpft die Schweiz nicht die Armut, sondern die Armutsbetroffenen.
https://www.megafon.ch/1019-2/?artikel=Mit+aller+H%C3%A4rte


+++AARGAU
Integrationszentrum für bis zu 250 Flüchtlinge nimmt die erste Hürde
Der Grosse Rat hat den Projektierungskredit in der Höhe von 4,95 Millionen Franken mit wenigen Gegenstimmen gutgeheissen. Das Integrationszentrum soll 2028 eröffnet werden.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/grosser-rat-integrationszentrum-fuer-bis-zu-250-fluechtlinge-nimmt-die-erste-huerde-ld.2339362


+++BASELLAND
Weil anderswo Diphterie wütet: Ukrainische Flüchtlinge kommen in Arlesheimer Zivilschutzanlage
Schon vor Monaten hatte die Gemeinde dem Bund die Anlage beim Feuerwehrmagazin angeboten, doch erst jetzt nutzt er sie – als Ausweichzentrum.
https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/notloesung-weil-anderswo-diphterie-wuetet-ukrainische-fluechtlinge-kommen-in-arlesheimer-zivilschutzanlage-ld.2339311


+++LUZERN
Adligenswil richtet eine temporäre Flüchtlingsunterkunft ein – und verhindert damit Strafzahlungen an den Kanton
Die Flüchtlingsunterkunft soll im leerstehenden Demoscope-Gebäude entstehen und 84 Plätze für Flüchtlinge enthalten.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/stadt-region-luzern/adligenswil-adligenswil-richtet-eine-temporaere-fluechtlingsunterkunft-ein-und-verhindert-damit-strafzahlungen-an-den-kanton-ld.2339001
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/notunterkunft-in-adligendwil-sorgt-fuer-kopfschuetteln-147839298


+++NIDWALDEN
Im Laderaum Flüchtlinge gefunden: «Es war menschenunwürdig»
Die Polizei hat in Hergiswil 23 geflüchtete Männer aus einem Lieferwagen gerettet. Trotz Soforthilfe wollen die Behörden sie des Landes verweisen.
https://www.derbund.ch/es-war-menschenunwuerdig-578265201917
-> https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/nidwalden/bei-kontrolle-in-buochs-nw-polizei-entdeckt-23-fluechtlinge-in-lieferwagen-id17851971.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/polizei-befreit-in-hergiswil-23-fluechtlinge-aus-lieferwagen?id=12249766
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/23-fluechtlinge-aus-lieferwagen-in-nidwalden-befreit?partId=12249778
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/an-den-swiss-skills-werden-die-schwestern-zu-konkurrentinnen?id=12249916
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/hergiswil-nw-23-fluechtlinge-aus-lieferwagen-gerettet?urn=urn:srf:video:4f27ff57-544c-4d68-8925-71c8f502f1db
-> https://www.nw.ch/archiv/94258
-> https://www.watson.ch/schweiz/migration/865643053-schlepper-in-nidwalden-die-wichtigsten-7-fragen-und-antworten


+++SCHWEIZ
NKVF: Bericht über die Überwachung der zwangsweisen Rückführung auf dem Luftweg
In ihrem heute veröffentlichten Bericht legt die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) ihre Beobachtungen und Empfehlungen zu den 33 zwangsweisen Rückführungen auf dem Luftweg dar. Sie hat diese von April bis Dezember 2021 begleitet. Die Kommission begleitete in dieser Berichtsperiode ebenfalls acht Zuführungen von Rückführungen auf Linienflügen, also der Vollzugsstufen 2 und 3. Schliesslich zieht sie eine erste Bilanz der Covid-19-Zwangstests, die sie ab Oktober 2021 beobachtet hat.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-90231.html
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/antifolterkommission-kritisiert-fesselungen-bei-ruckschaffungen-66268333
-> https://www.aargauerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/zwangsmassnahmen-mutter-musste-kind-in-handschellen-stillen-anti-folterkommission-kritisiert-ausschaffungspraxis-ld.2338968


Covid-Zwangstests nicht verlängern
Die Befürchtungen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) bestätigen sich: Bei Covid-19-Zwangstests von abgewiesenen Asylsuchenden kommt es zur Gewaltanwendung mit erheblicher Verletzungsgefahr für die Betroffenen. Dies geht aus dem jüngsten Monitoring-Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) hervor. Die SFH lehnt die Weiterführung von Covid-Zwangstests bis 2024 entschieden ab.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medienmitteilungen/covid-zwangstests-nicht-verlaengern


Delegation von EDA und EJPD führt in Addis Abeba politische Gespräche mit Äthiopien und der Afrikanischen Union
Am 5. und 6. September 2022 hat sich eine Delegation des EDA und EJPD zu Politischen Konsultationen in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba aufgehalten. Im Zentrum der Gespräche standen die Prioritäten der Sub-Sahara Afrika-Strategie 2021-2024 des Bundesrates, der Konflikt im Norden Äthiopiens, die Zusammenarbeit im Migrationsbereich sowie die aktuelle Dürre und die humanitären Bedürfnisse im Land. Ebenso fanden Gespräche mit der Afrikanischen Union statt.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-90246.html


+++POLEN
Unsere Preisträgerin 2022: Marta Górczyńska kämpft in Polen für Menschenrechte
Unermüdlich setzen sich Anwältin Marta Górczyńska und die polnische Organisation Helsinki Foundation for Human Rights für die Rechte von Geflüchteten ein – obwohl sie von der eigenen Regierung dafür angefeindet werden. Am Samstag haben sie in Frankfurt dafür den PRO ASYL – Menschenrechtspreis erhalten.
https://www.proasyl.de/news/unsere-preistraegerin-2022-marta-gorczynska-kaempft-in-polen-fuer-menschenrechte/


+++MITTELMEEER
The criminalisation of people on the move
September 04, 2022
Alarm Phone: Western Mediterranean and Atlantic Regional Analysis, 31 March 2022 – 30 June 2022
https://alarmphone.org/en/2022/09/04/the-criminalisation-of-people-on-the-move


+++DROGENPOLITIK
Der Solothurner Kantonsrat will Cannabis legalisieren
Das Kantonsparlament hat am Dienstag eine Standesinitiative überwiesen. Sie will, dass Cannabis legal wird, dass man also ungestraft kiffen und Hanf anbauen und verkaufen darf. In der Diskussion hiess es, die Initiative sei unnötig, da in Bern sowieso schon einiges Richtung Legalisierung laufe.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/der-solothurner-kantonsrat-will-cannabis-legalisieren?id=12249904



solothurnerzeitung.ch 06.09.2022

Standesinitiative: Solothurner Kantonsrat will Druck auf Cannabis-Legalisierung machen

Mittlerweile rennt sie in Bern zwar offene Türen ein. Der Kantonsrat hält dennoch an einer Standesinitiative zur Legalisierung von Cannabis fest.

Urs Moser

Dass er eine Standesinitiative zur Legalisierung von Cannabis einreichen will, hat der Kantonsrat im Grundsatz bereits im Mai 2021 mit der Zustimmung zu einem entsprechenden Volksauftrag beschlossen. Die Verabschiedung des ausgearbeiteten Texts war also am Dienstag eigentlich eher noch Formsache.

Zu diskutieren wäre wohl eher gewesen, ob man es auch bleiben lassen kann, da inzwischen ja in den eidgenössischen Räten eine parlamentarische Initiative mit der identischen Forderung auf dem Schlitten ist, die zuständigen Kommissionen beider Räte haben ihr zugestimmt. Nur aus diesem Grund votierte denn auch die Mehrheit der Mitte-Fraktion im Kantonsrat tatsächlich gegen die Einreichung der Standesinitiative, wie Sprecher Thomas Studer (Selzach) festhielt.

Vielleicht hilft es, den Prozess zu beschleunigen

Von anderer Seite hiess es aber, man wolle den Druck aufrechterhalten und hoffe, den Prozess der Bundesgesetzgebung vielleicht etwas beschleunigen zu können.

Trotz inhaltlich weitgehender Einigkeit, dass erstens die Repression in Bezug auf den Cannabiskonsum versagt hat und zweitens die Legalisierung unter strengen Anforderungen an den Jugendschutz zu erfolgen hat, kam es noch einmal zu einer längeren (Grundsatz-)Debatte. Es gehe nicht nur um den Konsum von Cannabisprodukten, sondern darum, das grosse Potenzial der Kulturpflanze Hanf auszuschöpfen, schwärmte geradezu Markus Dietschi (FDP, Selzach), der am Dienstag nach der Abwahl letztes Jahr wieder als Kantonsrat vereidigt worden war.

Myriam Frey Schär (Grüne, Olten) ahnte wohl, was da noch kommen würde, als sie festhielt: «Die Behauptung, Cannabis sei eine Einstiegsdroge, wird durch beharrliche Wiederholung nicht wahrer.»

Für SVP steht nach wie vor fest: Eine gefährliche Einstiegsdroge

Tatsächlich legten sich mehrere SVP-Sprecher gegen die Einreichung der Standesinitia­tive ins Zeug und warnten dabei vor den Gefahren einer Legalisierung und den Folgen des Cannabiskonsums. Gefährlicher als kolportiert sei das Rauschmittel, potenter und schädlicher als Alkohol – und die Psychiatrie «voll von Fällen, in denen Cannabismissbrauch eine Rolle spielt», sagte Fraktionssprecher Thomas Giger (Nuglar).

Johannes Brons erzählte von Dossiers, die er als Ressortverantwortlicher Soziales im Schönenwerder Gemeinderat zu Gesicht bekomme – Leute, die nicht mehr arbeiten und eigenständig einen Haushalt führen können: «Cannabis ist definitiv eine Einstiegsdroge.»

Besonders drastisch legte sich wieder einmal Beat Künzli (Laupersdorf) ins Zeug. Er zitierte Studien, die belegen würden, dass Cannabiskonsum das Risiko für verschiedenste Krankheiten drastisch ­erhöht, ebenso jenes der Suizidalität, und dass sich Cannabis unter anderem auch negativ auf die Hirnleistung auswirkt. Künzli warf dem Kantonsrat paradoxes Verhalten vor: «Die gleichen Leute, die über Chlorothalonil-Rückstände im Trinkwasser jammern, wollen jetzt hochgiftige Stoffe freigeben.» Paradox oder nicht: Die Standesinitiative wurde mit 59 gegen 28 Stimmen beschlossen.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/standesinitiative-solothurner-kantonsrat-will-druck-auf-cannabis-legalisierung-machen-ld.2339261)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Linker Protest gegen AHV-Reform: Frauen buhen Alain Berset bei seinem Heimauftritt aus
Er solle nicht das Rentenalter erhöhen, sondern Lohnungleichheiten beseitigen, forderten Frauen von Berset bei einem Auftritt in Lausanne. Der Bundesrat wich den Protesten aus.
https://www.tagesanzeiger.ch/frauen-buhen-alain-berset-bei-seinem-heimauftritt-aus-955174443524


Non à l’expulsion des habitant-e-s de la Petite-Boissière
À la suite de la résiliation de leur bail par la Ville de Genève, les habitant-e-s du 24 chemin de la Petite-Boissière dénoncent une expulsion sans raison.
https://renverse.co/infos-locales/article/non-a-l-expulsion-des-habitant-e-s-de-la-petite-boissiere-3665



Vier Hausbesetzer in Winterthur festgenommen
In Oberwinterthur hat die Stadtpolizei Winterthur am Montag ein Haus geräumt, das kurz zuvor besetzt worden war. Die Einsatzkräfte nahmen vier Personen vorläufig fest.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/polizeieinsatz-vier-hausbesetzer-in-winterthur-festgenommen-ld.2338908
-> https://www.toponline.ch/news/detail/news/vier-hausbesetzer-in-winterthur-festgenommen-00193075/
-> https://stadt.winterthur.ch/gemeinde/verwaltung/sicherheit-und-umwelt/stadtpolizei/aktuelles-news/news/5330



landbote.ch 06.09.2022

Nach Verhaftungen in Winterthur: Spuckattacke und Pro-Besetzer-Protest

Am Montag räumte die Stadtpolizei ein besetztes Haus. Am Rand des Einsatzes gab es eine Auseinandersetzung. Und bei der Nach-Demo kam es zu Sachbeschädigungen.

Delia Bachmann

Am Montagnachmittag stürmte die Stadtpolizei das besetzte Haus an der Römerstrasse 81. Auf dem Dach verhaftete sie vier Personen. Dies vor den Augen vieler Schaulustiger. Darunter war auch eine kleine, aber lautstarke Gruppe, die sich mit den Besetzern solidarisierte und die Polizei beschimpfte. Einige wünschten den Einsatzkräften sogar den Tod: «Scheiss Bulle, stürzed vom Dach!», skandierten sie.

Elvis M. war gerade auf dem Heimweg, als er die Besetzer auf dem Dach sah und später die Unterstützergruppe am Boden. «Das geht gar nicht», dachte er sich, als er deren Hassparolen hörte. Er habe zurückgeschrien und die Aktivisten zur Rede gestellt: «Seid ihr euch bewusst, dass ihr Menschen den Tod wünscht, die sich im Notfall für euch einsetzen würden?» Ein Mann aus der Protestgruppe habe ihm ins Gesicht gespuckt und gesagt, er solle «sich verpissen» und die «Schnauze halten».

Elvis M. verzichtete auf eine Anzeige, obwohl ihm die Sache auf dem Magen lag. Dafür rief er noch am gleichen Abend bei der Stadtpolizei an, um ihnen für den Einsatz zu danken. Diese hätten vorbildlich probiert, mit den Besetzern das Gespräch zu suchen und die Situation nicht eskalieren zu lassen: «Sie kümmern sich um uns, aber wer gibt ihnen Rückhalt?», fragte sich M.

Kaputtes Schild

Laut Michael Wirz, Sprecher der Stadtpolizei, kommen solche massiven Beschimpfungen selten vor. Am Montagabend protestierte gut ein Dutzend Personen vor der Hauptwache beim Obertor: «Wir besetzen die Welt, wie sie uns gefällt», hiess es auf einem der mitgebrachten Transparente. Eine Person beschädigte beim Protest das Stadtpolizei-Leuchtschild beim Eingang der Stadtpolizei. Zudem wurde ein Beutel rote Farbe auf die Treppe geworfen. Laut Wirz wurde ein Verfahren wegen Sachbeschädigung eingeleitet.
(https://www.landbote.ch/spuckattacke-und-pro-besetzer-protest-365983056781)


+++KNAST
Urteil vom 2. August 2022 (6B_820/2021)
Abzug von Gesundheitskosten vom Arbeitsentgelt in der Haft
Die Strafvollzugsbehörden des Kantons Waadt durften ungedeckte Gesundheitskosten
eines Inhaftierten von dessen Arbeitsentgelt abziehen. Das Bundesgericht
weist die Beschwerde des Mannes ab. Zulässig war auch die Verrechnung der Kosten
für den Transport seiner persönlichen Effekten in eine andere Haftanstalt.
https://www.bger.ch/index/press/press-inherit-template/press-mitteilungen.htm
-> Bundesgerichts-Urteil: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/fr/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://02-08-2022-6B_820-2021&lang=de&zoom=&type=show_document


+++POLIZEI CH
Videoaufnahmen polizeilicher Einvernahmen
Ein wirksames Instrument, um unmenschliche und erniedrigende Behandlungen zu verhindern
Der Einsatz von Videokameras oder Audiogeräten bei polizeilichen Einvernahmen ist in der Schweiz keine Pflicht und in der Praxis selten. Erfahrungen in anderen Ländern zeigen: Aufzeichnungen in Ton und Bild helfen der Polizei, Befragungen professioneller durchzuführen. Sie tragen gleichzeitig dazu bei, unmenschliche und erniedrigende Behandlungen zu verhindern.
https://www.skmr.ch/de/themenbereiche/justiz/artikel/videoaufnahmen-polizeilicher-einvernahmen.html?zur=2


+++RASSISMUS
Gemeinsam gegen Rassismus
Rassismus hat viele Gesichter. Antiziganismus, Mehrfachdiskriminierung, struktureller oder religionsbasierter Rassismus sind nur einige davon. Den antirassistischen Kampf zu einen und neue, möglichst gemeinsame Strategien zu entwickeln, ist das Ziel der Tagung «Reden wir! Und jetzt?» der Eidgenössischen Fachstelle für Rassismusbekämpfung FRB vom 6. September 2022.
https://rabe.ch/2022/09/05/reden-wir-und-jetzt/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Schöne neue Parallelwelt – Netzwerke der “Alternativmedien”
Sie prophezeien eine angebliche “Corona-Diktatur 2.0” und sehen im Ukraine-Krieg das Werk von “Globalisten”: Auf1 und andere selbsterklärte “Alternativmedien” wie Compact oder Apolut. Hinter den Krisen unserer Zeit wittern sie stets die große Verschwörung. Mit den radikalen Protesten auf der Straße bilden diese Medien eine Symbiose. Doch sie bekommen Gegenwind: YouTube sperrt ihre Kanäle, Medienaufsichten ermahnen sie. Dieses ZAPP spezial zeigt, wie sich Medienaktivisten wie Ken Jebsen oder der Österreicher Stefan Magnet gegen Widerstände durchsetzen und an einer neuen, vernetzen Gegenöffentlichkeit arbeiten.
https://www.ardmediathek.de/video/zapp/netzwerke-der-alternativmedien-oder-doku/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS8wZTE5MTNjNy0zMTQ4LTQ2NDUtYWQ0Zi02YzQyZGNiODE1NTA


+++(ANTI)-WOKE
Kulturelle Aneignung – Darf man noch zum Yoga, ohne rot zu werden?
Wie Weisse mit Dreadlocks oder Karl May: Auch Yoga sieht sich dem Vorwurf kultureller Aneignung ausgesetzt. Wo liegt der Hund begraben?
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/kulturelle-aneignung-darf-man-noch-zum-yoga-ohne-rot-zu-werden


Debatte um kulturelle Aneignung: «Wem nützt es, wenn wir die Haare abschneiden?»
Géraldine Schmid verdient ihr Geld, indem sie anderen Dreadlocks macht. Sie fühlt sich wegen der Diskussion um kulturelle Aneignung unfair behandelt.
https://www.beobachter.ch/gesellschaft/kulturelle-aneignung-es-gibt-viel-unwissen-uber-dreadlocks-529048


+++HISTORY
«Apropos» – der tägliche Podcast: Warum die Saisonniers eine Entschuldigung vom Bundesrat verlangen
Bis 2002 war es Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern nicht erlaubt, ihre Kinder in die Schweiz zu nehmen. Das führte zu sehr viel Leid. Jetzt beginnt der Kampf um Anerkennung.
https://www.tagesanzeiger.ch/warum-die-saisonniers-eine-entschuldigung-vom-bundesrat-verlangen-487102224089