Medienspiegel 2. September 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
«Ich will arbeiten»: Eine besondere Fachmesse für Migranten
Sie wissen von was sie sprechen und welche Hürden im Weg stehen. Morgen wollten Migranten anderen Migranten helfen an einer besonderen Fachmesse in Bern. Das Motto in diesem Jahr ist: «Ich will arbeiten». Vor Ort sind auch Beratungs- und Fachstellen, wie das RAV oder das Hilfswerk HEKS. Der Info-Markt ist ein Teil des Projektes «Mikrofon Bern West», welche der multikulturellen Bevölkerung eine Stimme geben will.
https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/ich-will-arbeiten-eine-besondere-fachmesse-fuer-migranten-147790408


+++BASEL
Diphtherie-Fälle nebst Basel in acht weiteren Asylzentren
Im Bundesasylzentrum Basel wurde ein Diphtherie-Fall entdeckt. Schweizweit haben sich weitere Asylsuchende infiziert. Das BAG geht dem nun nach.
https://telebasel.ch/2022/09/02/diphtherie-faelle-nebst-basel-in-acht-weiteren-asylzentren/?channel=105105


+++SCHWEIZ
Ukraine-Flüchtlinge in der Schweiz (Staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-N))
Seit Frühjahr 2022 informiert sich die Kommission regelmässig über die Lage in der Ukraine und namentlich über die Flüchtlingsbewegungen aus diesem Land in die Schweiz. Um eine vorläufige Bilanz der bisherigen Erfahrungen ziehen und sich einen Eindruck von den anstehenden Herausforderungen verschaffen zu können, hat die Kommission Vertretungen der Kantone und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe angehört. Sie hat sich zudem von Bundesrätin Karin Keller-Sutter, der Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), über die Aussichten für die kommenden Monate orientieren lassen. Der Bundesrat muss bis zum nächsten Frühjahr in Absprache mit der Europäischen Union entscheiden, ob er den Status S verlängert oder beendet. In den Augen der Kommission ist es wichtig, dass klar kommuniziert wird und alle beteiligten Akteure über die verschiedenen denkbaren Szenarien informiert werden. Der Status S hat sich bislang bewährt, doch gilt es neue Herausforderungen zu bewältigen, insbesondere im Hinblick auf die allfällige Verlängerung dieses Status in den kommenden Monaten (Koordination mit den Kantonen und der Wirtschaft sowie mit den anderen Schengen-Staaten) und auf die Vorbereitungen und Planungen, die nötig dafür sind, dass die Flüchtlinge – sobald dies möglich ist – in ihre Heimat zurückkehren können.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-spk-n-02-09-2022.aspx


+++NIEDERLANDE
Asylunterkunft auf Wasser
Niederlande: Kampierende Geflüchtete in Notaufnahmezentren untergebracht. Familiennachzug erschwert
https://www.jungewelt.de/artikel/433862.humanit%C3%A4re-krise-asylunterkunft-auf-wasser.html


+++GROSSBRITANNIEN
Großbritannien: Mehr als 8.500 Migranten überqueren binnen eines Monats den Ärmelkanal
Im August wagten mehr Menschen als je zuvor binnen eines Monats die Überfahrt in kleinen Booten. Boris Johnsons Nachfolger halten am umstrittenen Abschreckungsplan fest.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-09/grossbritannien-aermelkanal-migranten-abschreckung-hohe-zahl


+++MALTA
Menschenrechtsverstöße in Malta: Grundrechtsbüro bei Frontex kritisiert eigene Luftüberwachung
Ein Seenotfall vom Mai belegt, wie maltesische Behörden seeuntüchtige Boote passieren lassen, damit Geflüchtete erst vom Nachbar Italien gerettet werden. Der amtierende Grundrechtsbeauftragte von Frontex findet dafür deutlichere Worte als seine Vorgängerin.
https://netzpolitik.org/2022/menschenrechtsverstoesse-in-malta-grundrechtsbuero-bei-frontex-kritisiert-eigene-luftueberwachung/


+++ITALIEN
Lampedusa: Flüchtlinge im Fokus der Politik – Rendez-vous
Die süditalienische Insel Lampedusa sieht sich erneut mit einer grossen Flüchtlingswelle konfrontiert: In den vergangenen Tagen wurden innerhalb von 24 Stunden teilweise bis zu 2000 Bootsflüchtlinge aufgegriffen. Währenddessen versuchen italienische Rechtsparteien, die Krise für ihren Wahlkampf zu nutzen. Doch wie dramatisch ist die Situation auf Lampedusa tatsächlich?
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/lampedusa-fluechtlinge-im-fokus-der-politik?partId=12248566


Italien: Flüchtlinge im Fokus rechter Rhetorik – Echo der Zeit
Auf der süditalienischen Insel Lampedusa kamen zuletzt täglich bis zu 2000 Boots-Flüchtlinge an. Nun versuchen italienische Rechtsparteien, die Flüchtlingskrise auf Lampedusa für ihren Wahlkampf zu nutzen. Sie würden Italien besser schützen als andere Regierungen, so die Behauptung. Wieviel ist dran an dieser Aussage?
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/italien-fluechtlinge-im-fokus-rechter-rhetorik?partId=12248773


+++MITTELMEER
Flüchtende auf dem Mittelmeer: Brutalität, wo einst Scham war
Sieben Jahre nach dem Tod von Alan Kurdi ist Europa von einer humanen Flüchtlingspolitik entfernter denn je. Auch die Ampel ist eine Enttäuschung.
https://taz.de/Fluechtende-auf-dem-Mittelmeer/!5875155/


+++AFGHANISTAN
Zohra Mousavi im Gespräch über die Lage der LGBT-Community in Afghanistan
»Viele sind auf der Flucht«
Zohra Mousavi von der Menschenrechts¬organisation ILGA Asia über die Lage der LGBT-Community in Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban.
https://jungle.world/artikel/2022/33/viele-sind-auf-der-flucht


+++DROGENPOLITIK
ajour.ch 02.09.2022

Biel – Cannabis-Studie: «Bereits jetzt kontaktieren uns Personen, die sich anmelden möchten»

Für eine Studie werden Kiffer ihr Cannabis legal in der Apotheke holen können. Aber was passiert, wenn eine Probandin in eine Polizeikontrolle gerät? Wir haben den Studienleiter gefragt.

Mengia Spahr

Legal kiffen für eine Studie: Ende August ist bekannt geworden, dass die Bieler Dufour-Apotheke Cannabis an Probanden eines Pilotprojekts der Universität Bern abgeben wird (das BT berichtete). Ziel des Versuchs ist es, die Auswirkungen eines regulierten Cannabisverkaufs in Apotheken zu untersuchen. Man will herausfinden, ob die gesundheitliche und soziale Situation von Personen, die in ihrer Freizeit legal Cannabis konsumieren, anders ist als diejenige von jenen, die illegal kiffen. Studienleiter Reto Auer im Interview:

Reto Auer, weshalb wurde die Dufour-Apotheke als Verkaufsstelle ausgewählt?

Reto Auer: Besonders wichtig war, dass die Apotheke die Beratung von Teilnehmenden auf Französisch und Deutsch sichern kann.

War es denn schwierig, eine geeignete Apotheke zu finden? Gibt es Apotheken, die abgesagt haben, weil sie um ihr Image fürchten?

Nein, es war nicht schwierig, geeignete Apotheken zu finden. Eine Apotheke hat abgesagt, weil ihr der Aufwand zu gross wäre. In der Studie wird schliesslich eine nicht gewinnorientierte Abgabe getestet. Daher ist es für Apotheken relativ aufwendig, an der Studie teilzunehmen.

Sind die Probandinnen und Probanden bereits ausgewählt worden?

Wir werden die offizielle Webseite zur Anmeldung kurz vor dem Start der Studie aufschalten. Bereits jetzt kontaktieren uns aber Personen, die sich anmelden möchten. Wir antworten jeweils, dass sie noch etwas zuwarten müssen.

Ist das Ganze eigentlich anonym?

Interessierte müssen dem Studienteam nach der Anmeldung identifizierende Daten kommunizieren. Diese Angaben bleiben im Studienzentrum der Universität Bern aber stets unter Verschluss. Nur ausgewählte Personen des Studienteams können die Daten einsehen, und diese Personen unterliegen der Schweigepflicht.

Um herauszufinden, ob legales Kiffen Vorteile hat, braucht es ja eine Kontrollgruppe. Heisst das, Sie suchen auch Leute, die illegal Cannabis konsumieren?

Alle Studienteilnehmenden konsumieren vor der Teilnahme bereits illegal Cannabis. Die Teilnehmenden werden nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zugeteilt. Die eine kann direkt mit dem Bezug in den Apotheken starten, die andere nach sechs Monaten. Beide Gruppen werden sechs Monate lang beobachtet, danach dürfen alle Teilnehmenden reguliertes Cannabis in Apotheken erwerben.

Macht sich das Studienteam nicht strafbar, wenn es von Probandinnen und Probanden verlangt, dass diese illegal Cannabis konsumieren?

Nur Personen, die bereits Cannabis konsumieren, können an der Studie teilnehmen. Es findet kein Erstkonsum im Rahmen der Studie statt.

Kriegen die Teilnehmenden eine Bestätigung, die sie bei einer Polizeikontrolle vorweisen könnten?

Teilnehmende, die berechtigt sind, Cannabis in der Apotheke zu kaufen, erhalten einen entsprechenden Ausweis. Originalverpacktes Studien-Cannabis wird nicht von der Polizei beschlagnahmt, falls die Packungen ungeöffnet sind und die Studienteilnehmenden einen gültigen, im Rahmen der Studie ausgehändigten Ausweis vorweisen.

Wann wird das Pilotprojekt in Biel ungefähr starten?

Es wurde ein Bewilligungsgesuch beim Bundesamt für Gesundheit eingereicht. Der Studienstart hängt vom Zeitpunkt der Bewilligung ab. Falls sie im Herbst erfolgt, ist ein Start im nächsten Jahr realistisch.
(https://ajour.ch/story/cannabisstudie-bereits-jetzt-kontaktieren-uns-personen-die-sich-anmelden-mchten/25114)


+++SEXWORK
Zürich will Ausstieg aus der Prostitution erleichtern
Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, stehen oft vor grossen Hürden und sind auf Hilfe angewiesen. Darum unterstützt die Zürcher kantonale Sicherheitsdirektion nun drei Hilfsorganisationen mit jeweils 50’000 Franken, damit diese Programme entwickeln und erproben, wie die Sicherheitsdirektion am Freitag mitteilte.
https://www.watson.ch/schweiz/z%C3%BCrich/448862455-zuerich-will-ausstieg-aus-der-prostitution-erleichtern


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Berner Gemeinde hat genug: Jetzt ist das Pussy-Riot-Graffiti wieder da und bleibt sogar
Am Dienstag gesprayt, von der Gemeinde entfernt und jetzt doch wieder da: Das Pussy-Riot-Graffiti ist wie durch Zauberhand wieder zurück – und bleibt auch vorerst.
https://www.blick.ch/schweiz/bern/berner-gemeinde-hat-genug-jetzt-ist-das-pussy-riot-graffiti-wieder-da-und-bleibt-sogar-id17842686.html
-> https://www.baerntoday.ch/bern/jetzt-als-schild-anti-kriegs-botschaft-in-wabern-wieder-aufgetaucht-147784160


Anti-Autobahn-Kundgebung erhitzt in Bern manche Gemüter
Die Stadt will eine Kundgebung gegen den Autobahnausbau in der Form, wie sie den Organisatoren vorschwebt, nicht bewilligen. Die Entscheidung ist polemisch.
https://www.nau.ch/ort/bern/anti-autobahn-kundgebung-erhitzt-in-bern-manche-gemuter-66265428
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/202826/



derbund.ch 02.09.2022

Streit um abgesagte Demo: Stadtregierung verärgert Gegnerschaft des Autobahnausbaus

Ein Fest gegen den neuen Autobahnknoten im Wankdorf wird von der Stadt Bern nicht bewilligt. Die Grünen kritisieren die «unnötige» Eskalation.

Jana Kehl

Die Gegnerinnen und Gegner des Autobahnausbaus im Wankdorf sind verärgert. Grund: Die rot-grüne Berner Stadtregierung verbietet eine Demonstration gegen das Projekt auf der Berner Allmend. Der Gemeinderat spricht sich für das Verkehrsprojekt aus. Dennoch hat der Verein Spurwechsel, der den Demoanlass mit Musik, Kinderprogramm und weiteren Aktivitäten geplant hatte, erwartet, «dass sich der Gemeinderat der Diskussion stellt und auch andere Meinungen und deren Äusserungen im sinnvollen Rahmen zulässt». Mit der Absage widerspreche der Gemeinderat seiner eigenen Vision einer «Stadt der Beteiligung» und lasse den Konflikt «unnötig» eskalieren, so das Grüne Bündnis.

Im Veranstaltungsgesuch schlug Vereinspräsident Markus Heinzer die Berner Allmend als Standort vor sowie als Alternativen den Hypsa-Platz oder eine Fläche auf dem Allmend-Hügel. Doch der Gemeinderat lehnt die Durchführung auf einer der vorgeschlagenen Grünflächen ab. «Die Kleine Allmend ist kein offizieller Veranstaltungsperimeter und steht in erster Linie der Öffentlichkeit zur Verfügung», schreibt die Stadtregierung in ihrer Antwort auf das Gesuch. Zudem sei das «Interesse der übrigen Nutzer und Nutzerinnen höher zu gewichten». Die beiden anderen Standorte standen aufgrund weiterer Anlässe nicht zur Verfügung.

Eine Zuspitzung des Konflikts

Öl ins Feuer der Diskussion um das Verkehrsprojekt goss bereits zuvor der Entscheid, den Quartierorganisationen die Einspracheberechtigung abzuerkennen. Auf Anfrage des Mediums «Hauptstadt» bestätigte das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, dass auf 13 von 47 Einsprachen nicht eingegangen worden sei.

Mit der nun abgesagten Demo wollte der Verein Spurwechsel am 17. September im Rahmen des nationalen Aktionstags gegen verschiedene Autobahnausbauten mobilisieren. Um den Anlass dennoch ins Rollen zu bringen, rufen der Klimastreik und die Alternative Linke Bern nun zu einer Demonstration auf Rädern auf. Zudem bietet der Verein Spurwechsel Interessierten Führungen rund um den Autobahnanschluss an.

Der Strassenverkehr beim Autobahnanschluss Wankdorf ist zu Stosszeiten stark überlastet, wodurch sich Unfälle häufen. Aus diesem Grund planen das Bundesamt für Strassen (Astra) sowie die Berner Stadtregierung den 250 Millionen schweren Aus- und Umbau der Autobahn ab 2026. Die Gegnerschaft des Projekts befürchtet jedoch, dass dies nicht zu einer Verkehrsentlastung führt und das Verkehrswachstum erst richtig angekurbelt wird.
(https://www.derbund.ch/stadtregierung-veraergert-gegnerschaft-des-autobahnausbaus-748069427220)


+++ANTITERRORSTAAT
Keine Ausschaffung von Terroristinnen und Terroristen in Länder, in denen Folter oder Todesstrafe droht (Staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-N))
Die Kommission beantragt ihrem Rat mit 14 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung, die von Nationalrat Fabio Regazzi eingereichte Motion 16.3982 («Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht») abzuschreiben. Das Parlament hat diese Motion angenommen, doch der Bundesrat vertritt in seinem Bericht vom 4. Mai 2022 (22.055) die Auffassung, dass die Umsetzung des Motionsanliegens aus rechtlicher Sicht unmöglich ist, da das völkerrechtlich absolut geschützte Non-Refoulement-Prinzip entgegensteht.
Die Kommissionsmehrheit teilt diese Auffassung des Bundesrates. Über die rein rechtlichen Aspekte hinaus weist sie ausserdem darauf hin, dass beim Grundrechtsschutz nicht mit zweierlei Mass gemessen werden kann. Ein wahrer Rechtsstaat muss auch seine Feindinnen und Feinde rechtskonform und gemäss seinen Werten behandeln. Anstatt Terroristinnen und Terroristen in Länder auszuschaffen, in denen ihnen Folter oder die Todesstrafe droht, sollte mit Massnahmen in der Schweiz dafür gesorgt werden, dass diese Personen keinen weiteren Schaden anrichten. Menschen der Folter oder der Todesstrafe in anderen Ländern auszusetzen, ist nicht akzeptabel und würde allen Werten widersprechen, die der Schweiz wichtig sind.
Die Minderheit ist der Ansicht, dass diese Motion aus Gründen der inneren Sicherheit nicht abgeschrieben werden sollte. Sie erachtet die aktuelle Situation als nicht zufriedenstellend und will, dass der Bundesrat Massnahmen vorschlägt, mit denen verhindert wird, dass die Schweiz Personen Zuflucht gewährt, die weder den Rechtsstaat noch Menschenleben respektieren. Das geltende Recht muss in den Augen der Minderheit angepasst werden, um sicherzustellen, dass alle Personen, die in der Schweiz wegen Terrorismus verurteilt werden, ausgeschafft werden können.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-spk-n-02-09-2022.aspx


+++POLICE BE
Bauarbeiten in Niederwangen: Jetzt wird die Erschliessung zum neuen Polizeizentrum gebaut
Am Montag fahren in Niederwangen die Bagger auf: Dann ist Baustart für die Erschliessungsstrasse zum neuen kantonalen Polizeizentrum.
https://www.derbund.ch/jetzt-wird-die-erschliessung-zum-neuen-polizeizentrum-gebaut-620130996561
-> https://www.koeniz.ch/aktuell/medieninformation.page/1018/news/10223
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/202816/


+++FRAUEN/QUEER
Nach 15 Jahren findet wieder eine Pride Zentralschweiz statt
In der Stadt Luzern demonstrieren an der Pride Zentralschweiz Personen, die bei Sexualität und Geschlecht nicht in das klassische Schema passen, für mehr Akzeptanz. Wie das Leben in der Zentralschweiz als queere Person ist – ein Gespräch. (07:50)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/nach-15-jahren-findet-wieder-eine-pride-zentralschweiz-statt?id=12248734
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/kanton-luzern/demonstration-praesident-der-pride-zentralschweiz-auch-kritische-personen-sind-willkommen-ld.2337459


Absage der Euro-Pride: Wie anti-queere Politik die gesamte Gesellschaft angreift
Die einen etablieren sogenannte LGBT-ideologiefreie Zonen, die anderen verbieten Bücher, die über Homosexualität aufklären: In Europa hält queerfeindliche Politik wieder Einzug.
https://www.watson.ch/!870282185
-> https://www.20min.ch/story/nazi-tattoo-und-okkultismus-so-tickt-der-mann-der-auf-cristina-kirchner-zielte-996215574525


+++RECHTSEXTREMISMUS
„Ein Brasilianer, mutmaßlich Neonazi, hat gestern versucht, Argentiniens Ex-Präsidentin Cristina Kirchner zu ermorden. Weil das häuft untergeht: Brasilien hat eine sehr aktive und gefährliche Neonaziszene. Ein Thread.“
https://twitter.com/niklas_franzen/status/1565638349049794560
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/international/argentinien-hassfigur-der-rechten-und-wegen-korruption-angeklagt-was-hinter-dem-anschlag-auf-cristina-kirchner-steckt-ld.2337528


«Z»-Propaganda am Schwingfest – Russischer Verein Basel hat Verbindungen zu Putins Motorradgang
Das «Z» auf einer Tracht am Umzug des Eidgenössischen Schwingfests sei ein Missverständnis. Das behauptete der Verein «Russkij Basel». Recherchen zeigen: Mehrere Vereinsfrauen trugen kürzlich Kriegssymbole zur Schau. Jetzt müssen die Verantwortlichen des Vereins bei den Behörden antraben.
https://www.srf.ch/news/schweiz/z-propaganda-am-schwingfest-russischer-verein-basel-hat-verbindungen-zu-putins-motorradgang


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Anonyme Gruppierung gegen Wittenbacher Gemeinde
Die Gemeinde soll eine Firma sein und illegal arbeiten. Diese Vorwürfe, welche an das Gedankengut der Reichsbürgerbewegung erinnert, sorgen in Wittenbach für mächtig Wirbel. Anonym macht die «Vereinigung aufgeweckter Wittenbacher» Stimmung gegen die Behörde – mit einer Webseite, einer Flyer-Aktion und sogar einem Aufruf, die Gemeinde mit Briefen und Fragen einzudecken.
https://www.tvo-online.ch/aktuell/anonyme-gruppierung-gegen-wittenbacher-gemeinde-147789634



derbund.ch 02.09.2022

Streitbare Figur: Berner Anthroposophen laden Corona-Skeptiker ein

Gerald Brei referiert am Wochenende als Gast beim Verein Johannes-Zweig. Der Zürcher Anwalt sieht die Schweiz auf dem Weg in eine «Gesundheitsdiktatur».

Michael Bucher

Ist die Schweiz seit der Pandemie auf dem Weg zum Unrechtsstaat? Unter anderem dieser Frage widmet sich ein Seminar des anthroposophischen Vereins Johannes-Zweig Bern vom Wochenende. Gastreferent ist der Zürcher Anwalt Gerald Brei – eine nicht unumstrittene Figur.

Brei bezeichnete während der Pandemie die Gesichtsmaske als «modernen Gesslerhut, ein Symbol der Unterdrückung», und versuchte die Maskenpflicht in Läden gerichtlich anzufechten. Und im Herbst 2020 schrieb er in einem Beitrag unter dem Titel «Die Schweiz auf dem Weg in eine Gesundheitsdiktatur» von einer «angeblichen Pandemie» und rückte sich damit in die Ecke der Corona-Leugner.

Brei ist ausserdem Vorstandsmitglied des Vereins Aletheia, welcher die Impfkampagne des Bundes «einen strafrechtlich relevanten Feldversuch an Menschen» nannte. Gegründet wurde die impfkritische Vereinigung im Sommer 2020 von praktizierenden Ärzten und Wissenschaftlerinnen. Diverse Mitglieder verbreiteten Ende 2020 die Falschnachricht vom angeblich ersten Impftoten der Schweiz. Dem Aletheia-Präsidenten Andreas Heisler, einem Hausarzt aus Luzern, wurde gar für einige Monate die Berufsbewilligung wegen Verstössen gegen das Covid-Gesetz entzogen.

Gerüchte befeuert

Warum lädt der Johannes-Zweig Bern eine Figur wie Gerald Brei zu einer öffentlichen Veranstaltung ein? «Wir sind nicht daran interessiert, die Pandemie zu leugnen oder jemandem Gehör zu verschaffen, der die Pandemie leugnet», sagt Vorstandsmitglied Michael Sölch auf Anfrage. Er betont, dass die anthroposophische Gemeinschaft verschiedene Meinungen zur Pandemiebewältigung vereine.

«Wir haben die Absicht, ein ambivalentes Thema von allen möglichen Seiten zu beleuchten und Vorträge von Befürwortern und Skeptikern zu vereinigen», sagt er weiter. «Einen meinungsbildenden Austausch möglichst frei von Zensur – das verstehen wir unter einem freien Geistesleben.» Trotzdem befeuert die anthroposophische Gemeinschaft mit der Einladung ein wiederkehrendes Gerücht: jenes, wonach sie der Szene der Corona-Skeptiker nahestehe.

Zudem fielen während der Pandemie die anthroposophisch angehauchten Rudolf-Steiner-Schulen in der Schweiz und Deutschland mit ausserordentlich hohen Infektionszahlen auf. Im Kanton Basel-Landschaft schloss der Kantonsarzt im Frühling 2021 deshalb die örtliche Steiner-Schule. Eine Recherche des Onlineportals «Bajour» zeigte, wie einige Lehrkräfte und Eltern sich gegen die Massnahmen gesträubt hatten. Auch in Zürich musste eine Steiner-Schule wegen vieler Infizierter schliessen. Die Behörden ordneten dort eine Testung an, nachdem die Schule auf repetitive Tests verzichtet hatte.
-> https://bajour.ch/a/R21mUDBykOJL9AfU/corona-hotspot-steiner-schule

Anhängerinnen und Anhänger der anthroposophischen Lehre vertreten oft auch eine impfkritische Haltung. Oliver Nachtwey, Soziologieprofessor der Uni Basel und Verfasser einer Studie über die Corona-Skeptiker-Szene, nennt dafür drei Gründe: die ideologische Vorstellung, dass Krankheiten die Entwicklung eines Kindes positiv beeinflussten. Die Angst, dass das Kind mit der Impfung seine Individualität einbüsse. Und schliesslich die Autorität Rudolf Steiners, der in Impfungen eine Gefährdung des Geistes erkannt haben wollte.
(https://www.derbund.ch/berner-anthroposophen-laden-corona-skeptiker-ein-383610138567)


+++HISTORY
Geschichte der Frauen: Bundesrat will mit Hexen nichts zu tun haben
Auch wenn es sich um ein dunkles Kapitel der Schweiz handle: Der Bundesrat hat kein Interesse, an die Opfer von Hexenverfolgungen zu erinnern.
https://www.blick.ch/politik/geschichte-der-frauen-bundesrat-will-mit-hexen-nichts-zu-tun-haben-id17843724.html
-> Postulat: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20223601


Homosexuelle: Vergessene Opfer des Nationalsozialismus
Interview mit der Historikerin Joanna Ostrowska
Joanna Ostrowska ist eine polnische Historikerin und LGBTQIA-Aktivistin. In ihren Büchern veröffentlicht sie die Ergebnisse ihrer Forschungen zu sexueller Zwangsarbeit und zur Verfolgung psychosexueller Minderheiten bzw. homosexueller Männer während des Zweiten Weltkriegs. Im Interview mit der Graswurzelrevolution stellt sie einige Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus vor, deckt die Mechanismen der NS-Bürokratie auf und verweist auf das Fortwirken der Kriminalisierung und Ausgrenzung in der Nachkriegszeit. Der zweite Teil des Interviews erscheint in der GWR 472. (GWR-Red.)
https://www.graswurzel.net/gwr/2022/08/homosexuelle-vergessene-opfer-des-nationalsozialismus/


Ausgereiftes Netzwerk von Luzern aus gesteuert: Luzern beherbergte einst einen «Meisterspion»
Die Flucht vor den kriminellen Machenschaften der Nazis bringt Rudolf Rössler in den 1930er-Jahren nach Luzern. Von dort aus organisiert er seinen Widerstand: in Form eines ausgereiften Spionagenetzwerks.
https://www.zentralplus.ch/blog/damals-blog/luzern-beherbergte-einst-einen-meisterspion/


+++DREADLOCKMANIA/WINNETOUWHINING
NZZ am Sonntag 28.08.2022

Frage an den Musikethnologen: Ist die Diskussion um kulturelle Aneignung überflüssig?

Musikethnologe Thomas Burkhalter stört sich nicht an Rastalocken von Schweizer Musikern, sondern an der westlichen Übernahme von Klischees. Die Zukunft der Pop-Musik sieht er in Afrika.

Frank Heer

Erinnern Sie sich an Polo Hofers «Kiosk» aus dem Jahr 1978?

Bin i gopfridstutz e Kiosk, oder bin i öppen e Bank …?

Genau. Im Prinzip war das ja ein Reggae. Hofer und seine Band haben ihn aber mit einer Handorgel gebrochen und daraus einen Alpen-Cajun-Reggae gemacht. Ein originelles Beispiel von Schweizer Pop-Musik – oder schon kulturelle Aneignung?
-> https://youtu.be/QLjU9NEbf8A

Beides.

Müssen wir uns rückwirkend empören?

Nein. Die Diskussion ist wichtig und soll man führen. Als Musikethnologe finde ich sie schon deshalb interessant, weil ich im Rahmen meiner Forschung immer wieder auf Beispiele kultureller Aneignung stosse, die ich vor allem oberflächlich finde, da die Künstler nur Klischees transportieren.

Im schlimmsten Fall ist kulturelle Aneignung also einfach plump …

… und im besten Fall entsteht eine Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur, die zu etwas Neuem, Interessantem, Originellem führt. Wenn das nicht erlaubt ist, geraten wir in eine Welt, die sich wieder segregiert. Damit spielt man den rechten Kräften in die Hände. Es gibt eine schwarze Perspektive auf die weisse Musik, aber auch eine weisse Perspektive auf schwarze Musik. Einen afrikanischen Blick auf Europa, und einen europäischen Blick auf Afrika.

Reggae entstand in den sechziger Jahren in Jamaica unter dem Einfluss amerikanischer Radiostationen, die R&B, Jazz oder Country spielten. Kann es eine zeitgenössische Pop-Musik überhaupt geben, ohne dass sich verschiedene Einflüsse verweben?

Kaum. Ideen lassen sich nicht festmachen. Am wenigsten in der Musik. Würde man das verlangen, wäre das Zensur. Ein Abwürgen der Kreativität. Die Pop-Geschichte war ja schon immer den unterschiedlichsten Einflüssen ausgesetzt und konnte sich nur deshalb verändern.

Ist die Diskussion um kulturelle Aneignung also müssig?

Nein, darüber kann man gerne diskutieren und auch zu einem kritischen Schluss kommen, aber jene Leute, die jetzt von Ausbeutung reden, wenn eine Schweizer Band Reggae spielt, tappen selbst in alte Klischeefallen: Afrika muss nach Afrika klingen, Jamaica nach Jamaica, Europa nach Europa … Das finde ich gefährlich. Diese Sicht verkennt die Tatsache, dass es in der Musik immer einen Austausch gab. In einer global vernetzten Welt sowieso.

Es gibt keine genuine Schweizer Pop-Musik. Sie ist vor allem von amerikanischer oder englischer Musik geprägt. Schweizer Bands müssten auf Volksmusik ausweichen, um aus der eigenen Geschichte zu schöpfen.

Ich finde, die entscheidende Frage ist nicht, ob man sich etwas «aneignet», sondern wie. Woher kommt die Musik, von der man sich bedient? Wie setzt man sich damit auseinander? Wie kooperiert man fair mit Künstlerinnen und Künstlern aus sogenannten Minderheitskulturen? Wie stellt man eine andere Kultur dar? Bemüht man nur Klischees, oder entsteht etwas Eigenes? Zur Diskussion gehört das Eingeständnis, dass der Westen auch viele Fehler gemacht hat. Stichwort Raubkunst. Aber die Debatte darf nicht darauf hinauslaufen, dass jemand entscheidet, was man spielen darf und was nicht.

Viele linke Beobachter sind irritiert über die neue Verbotskultur in ihren eigenen Reihen.

Das hat sich die Linke vielleicht selber eingebrockt, besonders die älteren Generationen. Sicher, diese haben wichtige Battles gefochten – AHV, Frauenstimmrecht, gleichgeschlechtliche Partnerschaft –, gleichzeitig war ihr Blick auf Entwicklungsländer lange total klischiert. Noch vor zwanzig Jahren gab es einen regelrechten Trend mit afrikanischen Trommelkursen und Konzerten voller Drittwelt-Romantik. Das bietet Angriffsflächen. Und nun erheben junge Leute die Stimme, weil sie diesen Widerspruch erkannt haben und gleichzeitig überzeugt sind, dass die Schweiz am Ungleichgewicht in der Welt ihren Anteil hat.

Gut, aber was hat das damit zu tun, dass man Schweizer Reggae-Musikern ein Auftrittsverbot erteilt?

Dieses «Unwohlsein», von dem man derzeit viel hört, sollte man nicht nur als lächerlich abtun. Es ist Resultat von vielem. Das Problem ist viel grösser als die Vorfälle um blonde Rastalocken. Die woken Jugendlichen stechen genau dort hinein. Das finde ich grundsätzlich gut …

Aber?

Sie stechen zu weit. Früher habe ich Konzerte in stillem Protest verlassen, an denen ein Schweizer mehr schlecht als recht auf einem Djembé herumtrommelte. Heute ist es umgekehrt, der Djembé-Spieler wird von der Bühne gejagt. Das finde ich falsch. So wichtig nehme ich mich selbst auch wieder nicht, dass ich darüber entscheide, wer Musik machen darf und wer nicht. Vielmehr müsste man über echte Ausgrenzung im Musikgeschäft reden, über strukturellen Rassismus, über unfaire Shares, Löhne und Verträge.

In der aktuellen Diskussion geht es meist um die Frage, welche kulturellen «Güter» sich der Westen aneignet und ob er das darf. Aber eigentlich ist die Sache ja so einseitig nicht. Hip-Hop, Pop- und Rockmusik sind Exportprodukte aus den USA und Europa, die auf der ganzen Welt gehört und gespielt werden. Die neue Weltmusik?

Eine Zeitlang war das vielleicht so. Dann begannen sich die westlichen Einflüsse mit dem Lokalen zu vermischen. Dadurch entstand wieder etwas Eigenes. Ich bin kürzlich auf den Elektro-Musiker Slikback aus Nairobi gestossen. Zwar orientiert er sich an westlicher Klubmusik, hat aber einen eigenen Ausdruck gefunden. Er arbeitet mit einem reichen Spektrum an Frequenzen und Rhythmen, die er zu einem aggressiven, chaotischen und temporeichen Hör-Trip montiert. Das klingt ganz anders als das, was man bei uns im Electronica-Underground gerade hört.

Hat «Weltmusik» als Genre, wie es in den Achtzigern und Neunzigern sehr populär war, überhaupt noch eine Bedeutung? Oder war das ein Marketing-Gag der Musikindustrie, der unsere Sehnsucht nach dem vermeintlich Authentischen stillte?

Ein Gag war Weltmusik nicht, aber definitiv ein Begriff, der von der Musikindustrie geschaffen wurde, um einen neuen Markt zu erschliessen. Im Grunde hat sich die klassische «Weltmusik» unseren westlichen Ohren und Bedürfnissen angepasst, vielleicht in Kombination mit Jazz, Klassik, Pop. Hinzu kommt, dass viele Musikerinnen und Musiker die Nachfrage bedienten, indem sie die Klischees lieferten, die wir im Westen hören wollten. «Authentisch» war das selten.

Ist das schlecht? Die Mitglieder der Appenzeller Streichmusik Alder wissen ja auch, dass sich ihre Musik besser verkauft, wenn sie dazu noch die Tracht anziehen, vor allem im Ausland.

Nein, das ist nicht schlecht. Das Spiel mit der Tradition bietet vielen Musikerinnen und Musikern eine Möglichkeit, in diesem Nischenmarkt etwas Geld zu verdienen. Ich sehe das inzwischen auch etwas entspannter als früher.

Ihr Beruf ist es, die Welt nach neuer Pop-Musik abzuhorchen. Welche Künstlerin oder welche Band hat Sie in letzter Zeit besonders gepackt?

Ein Trend aus Ägypten namens Mahraganat, der vor gut zehn Jahren in den Vorstädten Kairos entstanden ist und immer wieder Opfer der Zensurbehörde wird. Ein aggressives, schrilles Genre aus dem urbanen Underground, das sich aus Hip-Hop, Techno, EDM und traditionellen arabischen Rhythmen zusammensetzt. Das finde ich spannend.
-> https://youtu.be/fyMtQbr_17g

Warum?

Weil diese Künstler trotz staatlicher Zensur scharfe, frivole und ironische Texte schreiben, die auf den ersten Blick aus blossen Alltagsbeobachtungen bestehen, auf den zweiten Blick aber sehr politisch sein können. Mahraganat ist bei Jugendlichen so populär, dass die Musik von Unterhaltungs- und Plattenfirmen im Westen lizenziert wird, sei es für Serien, Filme oder Werbung.

Wo und wie suchen Sie nach neuer Musik?

Ich recherchiere viel im Internet, wo ich vor allem auf Soundcloud immer wieder Künstlerinnen und Künstler entdecke, die ich interessant finde. Manche haben nicht mehr als ein paar Dutzend Plays und sind schon fast schockiert, wenn ich sie kontaktiere und ihnen sage, dass mir ihre Musik gefällt. Der beste Weg, neue Trends zu entdecken, ist für mich aber nach wie vor auf Reisen.

Wo passiert musikalisch gerade Spannendes?

Grundsätzlich fast überall, man muss nur suchen. Interessant ist sicher, was zurzeit in Kenya, Uganda, Südafrika oder Nigeria passiert.

Sie suchen dort aber nicht nach traditioneller Musik, sondern nach zeitgenössischer urbaner Musik, richtig?

Ja. Das ist seit zwanzig Jahren das Hauptthema meiner Forschungsarbeit. Gerade junge Musiker in Afrika, Asien und im Nahen Osten nerven sich darüber, dass wir im Westen immer nur Tradition hören wollen, weil wir glauben, das sei authentisch. Sie empfinden das als Affront.

«Lokalkolorit» scheint uns im Westen wichtig: Rock aus Chile muss nach Chile klingen, Hip-Hop aus dem Libanon nach Orient …

Das ist eine gefährliche Haltung. Weil man damit den Künstlern eine Herkunft überstülpt. Kunst muss aber frei sein. Wir verlangen von einer Schweizer Band ja auch nicht, dass man ihr ihre Herkunft anhören muss, zum Beispiel, wenn sie sich entscheidet, englisch zu singen und keine traditionellen Instrumente wie Handorgel oder Hackbrett verwenden will.

Wir lesen Literatur aus Afrika, interessieren uns für Kunst aus China, gucken Filme aus Südkorea und Serien aus Israel. Aber unser Interesse an Pop-Musik aus diesen Weltgegenden ist noch immer gering. Warum?

Ich glaube, das ändert sich gerade. «Gangnam Style» des südkoreanischen Rappers Psy war ein Vorbote dafür, wie heute über Plattformen wie Tiktok schnell und effektiv sehr viele Menschen erreicht werden können – auch bei uns. Auch andere nichtwestliche Mainstream-Künstler schafften es in den letzten Jahren in unsere Charts, etwa der Nigerianer Burna Boy oder die Stars des Reggaeton und K-Pop. Die grösste Hürde ist meistens die Sprache. Wer nicht englisch, spanisch oder französisch singt, hat es schwieriger im globalen Mainstream.
-> https://youtu.be/Ecl8Aod0Tl0

Der britische Musikjournalist Simon Reynolds glaubt, dass der westlich geprägten Pop-Tradition bald die Luft ausgeht und die Musikindustrie ihre Vorherrschaft an Mega-Nationen wie China, Afrika oder Indien verlieren wird. Sehen Sie das auch so?

In der Tendenz könnte das schon passieren. Ich sehe das in afrikanischen Städten, wo ich einen grossen Hunger spüre, Identität mit Musik auszudrücken. Nicht nur das: Musik bietet eine Möglichkeit, aufzusteigen, eine Karriere zu starten. Ich habe Interviews in einem Township in Durban gemacht, mit Vertretern aus der Gqom-Szene, das ist so eine Art Do-it-Yourself-Strassen-House, der bei den Kids unglaublich angesagt ist und seit ein paar Jahren auch nach Europa überschwappt. Da gibt es 18-Jährige, die nach London eingeladen werden, weil man dort gerade ihre Musik entdeckt. Eine Musik, die von den älteren Leuten im Township vielleicht als störend und lärmig empfunden wurde, und plötzlich verdienen ihre Kinder damit Geld in Europa. Solche Geschichten spornen an, denn sie bedeuten eine Chance für die jungen Leute.

Hat Afrika eigentlich eine ernst zu nehmende Musikindustrie?

Ja, vor allem in Südafrika und Nigeria gibt es grosse wachsende Märkte mit erfolgreichen Stilen wie Afrobeats und Amapiano. Diese Märkte sind im Vergleich noch relativ jung, reagieren aber vielleicht gerade deshalb agiler auf die Veränderungen im Business als die grossen westlichen Firmen. Die lokalen Szenen wachsen, und irgendwann gibt es dann vielleicht wieder einmal einen Megastar aus Südafrika, der auch im Westen gehört wird.

Ist die Zukunft des Pop durch regionale Spielarten geprägt, die wir bisher aus unserer Weltsicht ignoriert haben: Trap aus Angola, Hip-Hop aus Ghana, Dubstep aus Indien?

So sehe ich es, ja. Wir müssen uns von der angloamerikanischen Perspektive lösen und akzeptieren, dass die grossen Veränderungen heute oft woanders stattfinden.
-> https://youtu.be/KtrLfEt-AkY

agt Pop-Musik etwas über den Zustand einer Gesellschaft aus?

Auf jeden Fall. Man braucht nur auf die Anfänge von Hip-Hop in afroamerikanischen Quartieren zu schauen. Ähnliches spielt sich heute im popkulturellen Underground von Ägypten ab, im Gengeton-Stil in Kenya, im Gqom in Südafrika. Da kommen Pop-Phänomene an die Oberfläche, weil sie Ausdruck gesellschaftlicher Hoffnungen, Grenzen, Träume, Enttäuschungen sind. So etwas hört man natürlich nicht, wenn man sich nur für die UK Top 40 interessiert. Dort reproduzieren sich die Hits in einem geschlossenen System nur noch selbst. Es geht um Kapitalismus, nicht um Träume. Das ist kein Abbild der Gesellschaft, sondern ein wirtschaftliches Konstrukt. Was auch interessant ist, ich höre da manchmal rein und bin erstaunt, wie dort mehr oder weniger die gleichen Namen auftauchen. Man kann den Eindruck bekommen, dass gewisse Produzenten, Labels und Künstler den Kuchen unter sich aufteilen.

Während in vielen Entwicklungsländern eine kulturelle Aufbruchsstimmung herrscht, steckt die westliche Pop-Musik in einer Identitätskrise. Einverstanden?

Man weiss zumindest nicht mehr so recht, wo man hingehört, was man sagen will oder wie man ausserhalb der kommerziell ausgerichteten Pop-Musik überleben kann. Das führt dazu, dass sich viele Künstler stark mit ihrer eigenen Befindlichkeit beschäftigen – was auch okay ist, aber es fehlt eben oft auch eine Dringlichkeit, die es braucht, um neue Trends zu setzen.

Sie haben vorhin diesen «Hunger» nach Ausdrucksformen angesprochen, den Sie in Afrika zurzeit beobachten. Könnte man auch sagen: Es ist ein Hunger nach Zukunft?

Auf jeden Fall, ja.

Es fällt auf, dass sich die westliche Pop-Kultur in einer Phase der Rückschau befindet. Ob TV-Serien, Filme, Mode, Musik, Videospiele – kaum ein Jahrzehnt aus dem letzten Jahrhundert, das nicht beschworen wird. Fehlt uns der Hunger nach Zukunft?

Gute Frage. Ich habe während einer mehrjährigen Arbeit am Dokumentarfilm «Contradict» über sechs junge Musikerinnen und Musiker in Ghana gemerkt, dass sie mit ihrer Musik nichts weniger als die Welt verändern wollen. Da geht es um die Zukunft, um die Gesellschaft, in der sie leben. Um Selbstermächtigung, den Kampf gegen Korruption und gegen die Macht der evangelikalen Prediger. In Europa fehlt diese Dringlichkeit. Ich habe gerade den Roman «Grand Hotel Europa» von Ilja Leonard Pfeijffer gelesen. Darin geht es um ein Europa, das zu einer Art Ballenberg geworden ist, wo es vor lauter Geschichte keinen Platz mehr für die Zukunft gibt. Schöne alte Städte, aber kaum mehr Neues.
-> https://youtu.be/OTyYKvgto0g

 Früher war die Zukunft im Westen positiv behaftet, heute fürchten wir uns vor ihr. Sie ist ungewiss geworden. Wird die Entwicklung der Pop-Musik im Westen durch ein Unbehagen vor der Zukunft gebremst? Wir suchen Lieber Halt im Rückspiegel.

Es kommt darauf an, wo man hinhört. Zum Glück kenne ich genügend Künstlerinnen und Künstler in Europa und auch in der Schweiz, die neue Wege und Positionen suchen und finden, sei es mithilfe neuer Soundtechnologien in Kombination mit alter Hardware oder Field-Recordings. Auch im Bereich der Artificial Intelligence könnte noch Spannendes auf uns zukommen. Gerade in den Nischen passiert da sehr viel, darum sehe ich die Musik noch immer als grosses Experimentierfeld. Die Frage ist nur, was am Ende an die Oberfläche kommt.

Welche Musik aus der Schweiz würden Sie auf Ihren Reisen jemandem in Afrika oder Südamerika vorspielen?

Da fallen mir die kongolesisch-schweizerische Electronica-Künstlerin Bonaventure und der Genfer Rapper und Produzent Varnish La Piscine alias Pink Flamingo ein, der schon mit Pharrell Williams zusammengearbeitet hat. Bei den nischigen Sachen finde ich Dachs aus St. Gallen oder Prix Garanti aus Bern eigenständig im Bestreben, einen Ausdruck für unsere Zeit zu finden … Ein weiterer Name, der mir einfällt, ist der Luzerner Multiinstrumentalist und Sänger Elischa Heller. Er arbeitet mit Elektronik und Field-Recordings, also Umgebungsgeräuschen, die er aufnimmt und in seine Musik einwebt, ohne dass dabei etwas Folkloristisches herauskäme.
-> https://youtu.be/PxyUmdU0hGc

Wie klingt Pop-Musik in 20 oder 30 Jahren? Erstaunlich anders? Oder überraschend ähnlich?

Schwer zu sagen. Die Frage wäre vielleicht eher, ob es in 20 oder 30 Jahren noch Musikerinnen und Musiker gibt, die es sich leisten können, von ihrer Kunst zu leben, ohne nur gerade ein angesagtes Format zu bedienen. Die Kreativität steht unter Beschuss. Kultur muss sich immer mehr rentieren. Dabei geht vergessen, dass gute Ideen im Kleinen entstehen und Unterstützung brauchen, damit sie sich entwickeln können. Ich kenne leider zu viele Musikerinnen und Musiker, die voller Ideen und Tatendrang waren, aber letztlich aufgeben mussten, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten konnten. Das müssen wir verhindern, wenn wir auch in Zukunft spannende Pop-Musik hören wollen.



The sound of now

Thomas Burkhalter, Musikethnologe

Thomas Burkhalter (*1973) gründete und leitet die Schweizer Musik-Plattform Norient (norient.com), welche Texte und audiovisuelle Beiträge über zeitgenössische Musik und Pop-Kultur aus der ganzen Welt veröffentlicht. Die Essays, Videos und Reportagen werden von einem global gespannten Netz von Wissenschafterinnen, Journalisten, Musikerinnen und Filmemachern zusammengetragen. Burkhalter publizierte zudem Bücher zum Thema Musik und co-realisierte den Dokumentarfilm «Contradict» über die Musikszene in Ghana. Er und sein Team organisieren jeden Januar das Norient-Film-Festival in Bern.
(https://magazin.nzz.ch/besser-leben/westlicher-pop-musik-fehlt-heute-oft-die-dringlichkeit-ld.1700664#articleHeadline)



Gute Aneignung, schlechte Aneignung – Umgang mit Indigenen im Kino: Als Alien bei den Komantschen
Einem US-“Predator”-Sequel gelingt, was dem Kinderfilm “Der junge Häuptling Winnetou” versagt blieb: “Prey” beweist Achtsamkeit im Umgang mit indigener Kultur
https://www.derstandard.at/story/2000138736326/umgang-mit-indigenen-im-kino-als-alien-bei-den-komantschen?ref=rss


«Los emol» – der BaZ-PodcastKulturelle Aneignung: «Nicht alle Weissen sind böse Unterdrücker»
Der Begriff ist in aller Munde. Der Soziologe Henri-Michel Yéré spricht in der aktuellen Podcast-Folge über Rassismus und ordnet die jüngsten Ereignisse ein.
https://www.bazonline.ch/kulturelle-aneignung-nicht-alle-weissen-sind-boese-unterdruecker-178575432699


Trotz Woke-Wahnsinns: Das ZFF zeigt umstrittenen Winnetou-Film
Die Nachricht kam überraschend: Nachdem sowohl SRF als auch ARD entschieden hatten, in Zukunft keine «Winnetou»-Filme mehr auszustrahlen, wird das Zurich Film Festival eine neue Produktion über das Leben des jungen Indianer-Häuptlings zeigen.
https://www.blick.ch/people-tv/kino/trotz-woke-wahnsinns-das-zff-zeigt-umstrittenen-winnetou-film-id17843940.html