Abschottung, Ablenkung, Absage

Was ist neu?

Illegale Push-Backs in der Evros-Region: Ablenkung vom Wesentlichen

Wegen der jüngsten Vorfälle in der Evros-Region an der Grenze zur Türkei ist die griechische Regierung erneut ins internationale Rampenlicht gerückt, nachdem eine Gruppe von Schutzsuchenden über Wochen zwischen der Türkei und Griechenland hin und her geschoben wurde. Nun kündigte der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis an, dass der bisher gut 40 Kilometer lange Grenzzaun entlang des Grenzflusses Evros im Nordosten des Landes über die gesamte Länge der Grenze ausgebaut werden soll. Dafür hat Griechenland bei der EU um Finanzierungshilfe angefragt. Brüssel zeigt aber bisher wenig Bereitschaft sich an den Kosten zu beteiligen. Dies hängt unter anderem mit den laufenden Untersuchungen in Bezug auf mögliche Menschenrechtsverletzungen Seitens Griechenland zusammen. Um das Fiasko mit der verzögerten „Rettung“ der 38 Geflüchteten zu vertuschen und die Notwendigkeit der Aufrüstung zu legitimieren, greift der griechische Staat einmal mehr auf vielfältige Inszenierungs- und Ablenkungsstrategien zurück.

Am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros droht sich die Lage von Menschen, welche gezwungen sind in die EU zu flüchten, weiter zuzuspitzen. Während die griechischen Behörden systematisch Push-Backs praktizieren, wirft Athen der Türkei vor, Menschen in griechisches Hoheitsgebiet vorwärts zu drängen. Unabhängig überprüfbar ist das nicht, denn Athen hat das Evros-Gebiet schon vor geraumer Zeit zur militärischen Sperrzone erklärt.

Als Erdogan 2020 verkündete, dass die Türkei niemanden mehr daran hindern werde, in die EU zu gelangen und sich daher viele Menschen in Not auf den Weg an die griechisch-türkische Grenze machten um in der EU Asyl zu beantragen, wurden sie – unter anderem mit der absurden Behauptung, dass die Türkei ein sicherer Drittstaat für Geflüchtete sei – daran gehindert. Auf die erhöhte Bewegung reagierte die griechische Regierung – mit vollumfänglicher moralischer und finanzieller Unterstützung der EU – mit Gewalt und Aufrüstung. Die Grenze wurde zu einer hochmilitarisierten Sicherheitszone ausgebaut, welche mit modernster Überwachungstechnologie ausgestattet ist. Unter diesen Umständen scheint es denn auch mehr als fragwürdig, dass die betreffende Gruppe bei den jüngsten Ereignissen am Evros, laut Aussagen der zuständigen griechischen Behörden, nicht ausfindig gemacht werden konnte.

Was sich 2020 ereignet hat, scheint sich nun zu wiederholen. Die Logik bei der ein erhöhtes Aufkommen von Flucht-Bewegungen an einem bestimmten Ort zwangsläufig zu erhöhter Aufrüstung und Absicherung führt, ist symptomatisch für die Logik mit der das europäische Grenzsystem ihre widerwärtige Politik betreibt. Trotz des Ausbaus und der Verstärkung des Zauns, der massiv erhöhten Präsenz von Frontex, der exorbitanten Summen, die für die Lieferung von militärischer Überwachungsausrüstung ausgegeben wurde und trotz der hochtrabenden Worte der Machthabenden bei ihren inszenierten Besuchen an der Grenze, ändert sich nichts an der gesellschaftspolitischen Machtstruktur, welche den eigentlichen Ursprung des Konflikts darstellt.

Sowohl der Minister für Einwanderung und Asyl, Notis Mitarakis, als auch der Minister für Bürgerschutz, Takis Theodorikakos, sowie fast alle regierungsnahen Medien setzen erneut auf die Strategie der Spannung, indem sie Menschen auf der Flucht entweder als „Eindringlinge“ oder als „Handlanger“ der Türkei, in jedem Fall aber als Bedrohung der territorialen Integrität darstellen. Sowohl während die Gruppe auf der Insel festsass, als auch nachdem es ihnen gelang, sich aus der prekären Situation zu befreien, fällt auf, dass das Narrativ, welchem die Verantwortlichen in mantrahafter Manier folgen, sich fast ausschliesslich auf territoriale An- oder Absprüche bezieht. Die Instrumentalisierung der Menschen geht von beiden Seiten aus, sie unterscheidet sich lediglich in der Form. Durch diesen „rhetorischen Trick“ gerät die eigentliche Debatte – nämlich dass es sich bei den Push-backs um eine illegale Praxis handelt – völlig ausser Acht.

Nahezu alle Auseinandersetzungen zwischen Athen und Ankara der vergangenen hundert Jahre fussen auf unterschiedlichen Besitzansprüchen. So geht es im Kern der kulturellen, territorialen oder gar kulinarischen Interessenskonflikte um Verteilungsfragen und in diesem Sinne um Machtansprüche zweier Staaten, welche historisch aufs engste miteinander verwoben sind. Im jungen Griechenland findet die Herleitung einer neuen nationalen Identität über die dezidierte Ablehnung der osmanischen Vergangenheit statt. Um die Herstellung und Sicherung dieser „neuen Identität“ zu gewährleisten, wiederholt die liberal-konservative Regierung unter der Führung Mitsotakis unaufhörlich das Narrativ unter welchem die nationale Sicherheit Griechenlands in Gefahr ist. Der Vorwurf der Instrumentalisierung von Geflüchteten Seitens der Türkei ist essentieller Bestandteil dieser Erzählung. In anderer Hinsicht setzt Mitarakis seine Taktik fort, sich einen internen Feind zu schaffen, indem er versucht, die Verantwortung der Regierung für die internationale Verunglimpfung des Landes auf andere abzuwälzen.

In einer Erklärung seines Pressebüros beschuldigte er zwei SYRIZA-Europaabgeordnete, sie würden im Sinn ausländischer Propaganda gegen das eigene Land agieren unddass sie sich mit ihrer Anfrage an die Europäische Kommission zum Fall der 38 Menschen am Evros „leider dafür entschieden haben, unser Land im Ausland zu diskreditieren“ und dass „sie zum x-ten Mal mit dem Finger auf unser Land zeigen und seine internationale Glaubwürdigkeit dauerhaft untergraben“.

Menschen auf der Flucht werden so zu Zwecken der nationalen (und partikularen) Identitätssicherung instrumentalisiert, welche Teil innenpolitischer Regierungskämpfe sind. Um Menschen als Bedrohung der nationalen Sicherheit zu inszenieren, müssen sie zwangsläufig entmenschlicht werden. Durch die Verwendung von kriegsnahen oder identischen Begriffen und Praxen findet eine Normalisierung der Entmenschlichung statt. Dieser Prozess wirkt auf die Gesellschaft ein und drückt sich in Form der öffentlichen Meinung aus – welche Ausdruck der Internalisierung der Kultur der Herrschenden ist.

Die Stimmen der Geflüchteten der betreffenden Gruppe waren für die griechischen Behörden einen Monat lang unhörbar. Nun werden die selben Behörden zu ihrem Sprachrohr. So betont Mitarakis nach einem Treffen mit den Geflüchteten, dass aus ihren Aussagen hervorgehe, dass sie vom türkischen Ufer des Flusses kamen und von den türkischen Behörden auf die Insel gedrängt wurden. Die türkischen Behörden hätten die Migrant*innen innerhalb der Türkei festgenommen und ihnen nicht das Recht eingeräumt, internationalen Schutz zu beantragen, wozu die Türkei nach internationalem Recht verpflichtet sei.

Mitarakis blüht in seiner Rolle als Retter, in der er sich als Hüter der Menschenrechte inszeniert, förmlich auf. Dass die Vorwürfe, die er dem türkischen Staat macht, geradezu identisch sind mit denjenigen, die ihm selbst vorgeworfen werden, scheint ihn in seiner Erklärungsnot – welche zunehmend groteske Züge annimmt – nicht zu verunsichern.

https://antira.org/2022/08/15/blockchain-fuer-gefluechtete-solidaritaetsmechanismus-fuer-mittelmeerstaaten-militaeruebung-fuer-terrorfall/#Rassistisches_Grenzregime_fordert_vier_Tote_am_Evros_und_dutzende_auf_dem_Mittelmeer
https://www.infomigrants.net/en/post/42843/greece-to-expand-security-and-surveillance-at-border-with-turkey?preview=1661352936270

https://www.fr.de/politik/griechenland-will-sich-weiter-abriegeln-91738256.html

https://www.labournet.de/internationales/griechenland/politik-griechenland/griechische-migrationspolitik-mit-syriza/

Was ist aufgefallen?

Systematische Abschottung und Abschreckung an Europas Grenzen: Versuch eines Überblicks

Während Fluchtbewegungen zunehmen, nimmt vor allem die Aufrüstung gegen Menschen auf der Flucht zu. Umfassende unterstützende Massnahmen bleiben aus und Aktivist*innen und Organisationen überlassen.

Grenze zwischen Lettland und Belarus

Die momentane Situation an den europäischen Aussengrenzen und an innereuropäischen Grenzen zeigt strukturelle Ähnlichkeiten auf: die Überfahrten und Überquerungen nehmen zu. Auf dem Ärmelkanal zwischen Frankreich und Grossbritannien, bevor das neue verschärfte Asylgesetz in Grossbritannien in Kraft tritt. An den Grenzen zwischen Belarus und Litauen und Lettland, an denen der belarussische Diktator Lukaschenko initiiert, dass weiterhin Menschen auf der Flucht mit Bussen an die Grenze gekarrt werden. In Lampedusa, wo Menschen die Fahrt über das Mittelmeer gewagt haben, und die Lager heillos überfüllt sind. An der Grenze zwischen Frankreich und Italien, wo Unterstützer*innen in z.B. Ventimiglia, von 400 Mahlzeiten am Tag berichten, die sie an geflüchtete Menschen verteilen.

Diese Fluchtbewegungen kommen nicht von ungefähr. Immer noch fliehen Menschen aus Afghanistan oder fliehen weiter, nachdem sie vorerst in Nachbarländern Schutz gesucht haben. (Die Situation seit der Machtübernahme der Taliban vgl. antira-Wochenschau) Auch aus Syrien fliehen weiterhin Menschen nach jahrelangem Bürgerkrieg. Aus Eritrea, dem Irak, Kurdistan, dem Sudan, Mali, Nigeria, Kamerun und Somalia fliehen Menschen vor Bürgerkrieg und Verfolgung oder vor Dürre und Hunger: Folgen des Klimawandels und auch des Ukrainekriegs, da 10 bis 15% der Weltbevölkerung mit ukrainischem Weizen beliefert wurden. Diese Fluchtbewegungen sind und waren also vorauszusehen. Aber wie sieht es aus mit dem Ausbau des Asylsystems? Wie sieht es aus mit staatlicher Seenotrettung, mit dem Bau von Camps, mit der Entlastung von Ankunftsländern, mit der Erleichterung der bürokratischen Vorgänge? Es ist ein Paradox: Je mehr Menschen kommen, desto weniger wird für sie getan.

Denn auch die Reaktionen der europäischen Regierungen haben Struktur: Hunderte Millionen Euro werden für Grenzzäune und Kameraüberwachung verwendet, für bewaffnete Grenzbeamt*innen und High Tech-Geräte. Es werden Sonderzonen eingerichtet, deren Betätigung immer wieder verlängert wird. Erst letzte Woche wurde dies in Lettland wieder getan. In diesen Zonen kann der Schutz von Menschen auf der Flucht nicht gewährleistet werden. Sie sind ein rechtliches Niemandsland, in das weder Presse noch Hilfsorganisationen Zugang haben und in dem Grenzpatrouillen systematisch die Menschen, welche die Grenze überquert haben, zurückdrängen. Das Recht auf Asyl wird praktisch abgeschafft und niemanden kümmert es. Und selbst wenn diese Sonderzonen, wie z.B. in Polen oder Litauen von verschiedenen Gerichten als rechtswidrig erklärt werden, werden diese Entscheide ignoriert. Auch das eine Entwicklung, die Überhand nimmt. Entweder werden brutale und illegale Vorgehensweisen geleugnet und dementiert, obwohl sie offensichtlich passieren. Oder sie werden trotz Rechtswidrigkeit durchgeführt und es wird nicht einmal mehr versucht, sie zu vertuschen oder sie werden sogar stolz kommentiert. Denn das Thema Asylpolitik wird vor allem von Politiker*innen instrumentalisiert, um Wahlkampf zu betreiben. Traurig, dass damit überhaupt Menschenmassen mobilisiert werden können. Aber so wird also rechte Hetze betrieben und unrealistische und menschenverachtende Wahlversprechen gegeben. Ob in Grossbritannien, Frankreich, Italien, Ungarn, Österreich, Dänemark oder neuerdings in der Türkei: es wird mit Versprechungen um sich geworfen, den Anteil eingewanderter oder geflüchteter Menschen im Land zu reduzieren.

Das Krasse, das gerade hinter den neuesten Aussagen von türkischen Politiker*innen im Wahlkampf steckt: sie kassierten über Jahre Milliarden von Geldern, um Menschen auf ihrem Weg nach Europa zurückzuzuhalten und nun führen sie politische Hetzkampagnen gegen diese Menschen und versprechen, sie wieder zu vertreiben. Schlimmer noch: die türkische Regierung startete einen Angriffskrieg auf Rojava und zieht in den besetzten Gebieten Siedlungen hoch, um andere geflüchtete Menschen gewaltvoll und gegen ihren Willen aus ihren eigentlichen Wohnungen in der Türkei in die besetzten Gebiete umzusiedeln. So werden Kriegsführung und Wahlkampf in einem betrieben.

Grenze zwischen Polen und Belarus

Auch sämtliche Erzählungen, die von europäischen Politiker*innen benutzt werden, sind immer gleich und entziehen sie jeglicher Verantwortung: von bösen „Schmugglern“ ist die Rede, von bösen „Wirtschaftsflüchtlingen“, von illegaler oder irregulärer Einwanderung.
Die Zustände in den Asyllagern und an den Grenzen werden zur Abschreckung genutzt:
– In Polen, in das seit dem 1. August im Zuge der Dublin-Verordnung wieder abgeschoben werden darf, herrschen horrende Bedingungen in den Asyllagern, die mehr Haftanstalten sind als Lager. Über Monate werden Menschen auf engstem Raum eingesperrt. Teilweise über zwei Jahre auf zwei Quadratmetern. Das Asylverfahren findet per Videoanruf statt, ohne Übersetzer*innen. Es gibt keinerlei rechtliche Beratung, kaum medizinische Betreuung und unabhängige Psycholog*innen dürfen die Haftzentren nicht betreten. Es sind mehrere Fälle von physischer Gewaltanwendung bekannt: Menschen wurden isoliert und fixiert. Auch werden ihnen die Wertsachen und ihre Handys abgenommen, sodass sie kaum Kontakt zur Aussenwelt haben.
– An der Grenze zwischen Serbien und Ungarn werden systematisch brutale Push-Backs durchgeführt. Die Gewaltanwendung der Grenzbeamt*innen wurde in einem neuen Bericht von „Ärzte ohne Grenzen“ aufgezeigt. Über 400 Menschen, darunter auch Kinder, wurden im letzten Jahr wegen schwerer Prellungen, tiefer Wunden und Schnitte, Verrenkungen und Brüchen behandelt. Menschen werden ohne Nahrung und Wasser in Container eingesperrt, ihnen wird Pfefferspray in die Augen gesprüht. Sie werden schikaniert und gedemütigt, rassistisch beleidigt. Wenn die ungarischen Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden, wird behauptet, sie hätten nichts dergleichen feststellen können und die Schikane geht weiter. „Il Bo Live“ schreibt, die ungarische Grenzpolizei bestünde aus ca. 4.000 schlecht bezahlten und gut bewaffneten Männern: eine Kombination die in der Regel zu Problemen führe. Laut der Zeug*innenaussagen in dem Bericht von „Ärzte ohne Grenzen“ handelt es sich um eine systematische und organisierte „Demontagekette“, um die Menschen von den Grenzübertritten abzuschrecken.

Grenze zwischen Ungarn und Serbien

Und trotz all dieser Grausamkeiten, trotz aller lebensbedrohlicher Maßnahmen, die an den Grenzen systematisch eingesetzt werden, kommen weiterhin Menschen.

Warum wollen politische Entscheidungsträger*innen nicht lernen? Warum nehmen sie in Kauf, dass die Menschen stattdessen auf immer gefährlichere Routen und Methoden ausweichen? Gerade letzte Woche überschlug sich ein Lastwagen in Österreich mit 20 geflüchteten Menschen, drei von ihnen starben und viele wurden schwer verletzt. Die Not der Menschen, die sie aus ihren Herkunftsländern fliehen lässt und die immer weiter verschärften rechtlichen Bedingungen in den Ankunftsländern führen genau dazu, und dass sich die Menschen z.B. anstatt über das hoch-überwachte Mittelmeer, auf die noch gefährlichere Überfahrt über den Atlantik begeben. Oder dass sie die Mauer zwischen Belarus und Polen durch das noch gefährlichere Sumpfgebiet umgehen. Denn an der Not der Menschen ändert sich nichts, nur an den immer gefährlicheren Bedingungen, die sie in Kauf nehmen. Die immer weiter fortschreitende, rechte politische Agenda muss sich ändern: Die Aufrüstung gegen Menschen auf der Flucht muss ein Ende nehmen!

https://www.jungewelt.de/artikel/432723.balkanroute-patienten-berichten-sie-w%C3%BCrden-in-container-gesperrt.html
https://www.proasyl.de/news/wer-ein-asylgesuch-stellt-wird-eingesperrt/
http://www.infomigrants.net/en/post/42530/latvia-extends-state-of-emergency-at-border
https://ilbolive.unipd.it/it/news/serbia-ungheria-lultima-corsa-migranti
http://www.infomigrants.net/en/post/42589/increasing-numbers-of-migrants-seen-in-ventimiglia-says-caritas
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/burgenland-drei-migranten-sterben-bei-unfall-eines-schleuser-fahrzeugs-a-70496cab-2aad-47c0-8cb5-3af57cab8b0f
https://www.bbc.com/news/uk-england-kent-62539789
https://jungle.world/artikel/2022/32/gefaehrdet-im-exil

Was schreiben andere?

Achtung: Sonderflug nach Sri Lanka am 5. oder 6. September geplant

Unsere Quelle ist vertrauenswürdig, doch wir wissen es nicht zu 100%. Trotzdem: Passt auf einander auf, teilt diese Informationund leistet Widerstand gegen Ausschaffungen. Sri Lanka ist kein sicherer Staat. Ausschaffungen sind postkoloniale Folter. Die Verantwortung tragen Bundesrätin Karin Keller Suter (KKS), das Staatssekretariat für Migration (SEM), die kantonale Migrationsbehörden, das Regime in Sri Lanka und vermutlich Frontex.

Das Migrant Solidarity Network fordert: (1) Der Sonderflug darf nicht abheben; (2) Ausschaffungen nach Sri Lanka müssen enden. (3) Das Migrationsabkommen mit dem Regime muss aufgehoben werden.

In Sri Lanka ist die Lage katastrophal. Seit der Wahl von Präsident Gotabaya Rajapaksa im November 2019 spitzen sich die Zustände in Sri Lanka rasant zu. Menschenrechte und Grundrechte werden grob missachtet. Das Regime ist unmenschlich, diskriminiert und unterdrückt. Die Wirtschaft liegtam Boden. Die humanitäre Lage ist angespannt. Die jüngsten Proteste gegen das Regime wurdenmit Gewalt niedergeschlagen. Neue Notstandsgesetze räumen der Polizei fast unbegrenztMacht ein. Das Regime setzt Gewalt gegen Minderheiten, TINFA, Aktivist*innen und kritische Stimmen ein. Es beruft sich auf ein Anti-Terror-Gesetz um zu diskriminieren, verfolgen oder wegzusperren.

Nachdem es die betroffenen Menschen seit langem sagen, NGOs und QGOs es wiederholt schreiben, unterzeichneten letztes Jahr 22 Staaten eine UNO-Resolution gegen das Regime. Darin fordern sie dringend Verbesserungen in Bezug auf die systematisch vom Regime verübten Menschenrechtsverletzungen. Zudem hält Michelle Bachelet, die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, in ihrem vernichtenden Bericht fest, dass „Systeme, Strukturen und Politiken, die in der Vergangenheit zu schweren Verstössen geführt haben, weiterhin bestehen“, ja sogar verstärkt worden seien.

Die Schweiz unterstützt die UNO-Resolution, schiebt aber weiterhin ab. Im UNO-Menschenrechtsrat zeigte sich die schweizer Vertretung „tief besorgt über die Straflosigkeit schwerer Menschenrechtsverletzungen“ in Sri Lanka. Trotzdem wurden allein dieses Jahr bereits 27 Personen gewaltsam aus der Schweiz nach Sri Lanka abgeschoben. Karin Keller Suter, das Staatssekretariat für Migration und die kantonalen Migrationsbehörden wollen also nichts von einem Abschiebestopp hören. Seit 2016 werden Abschiebungen sogar durch ein Migrationsabkommen erleichtert. Unterschrieben hat den Abschiebedeal die damalige SP-Bundesrätin Sommaruga. Dabei wurden nur drei Jahre zuvorzwei Tamilen nach ihrer Abschiebung vom Regime brutal gefoltert. Seitdem KKS das SEM übernommen hat, hat sich die Menschenrechtslage in Sri Lanka nochmals drastisch verschlechtert. Von einem Abschiebestopp ist dennoch nicht die Rede. Kaltblütig: KKS, SEM und die kantonalen Migrationsbehörden nehmen das Folterrisiko für abgeschobene Personen in Kauf.

https://migrant-solidarity-network.ch/2022/08/24/achtung-sonderflug-nach-sri-lanka-am-5-oder-6-september-geplant/


Wo gabs Widerstand?

Abgesagt: Propagandaveranstaltung des eritreischen Regimes

Als sogenannte „Kulturfestivals“ getarnt, versuchten Anhänger*innen des Regime von Präsident Isaias Afewerki die Mitglieder der Diaspora mit relativ bekannten Bands anzulocken. Ein verleichbarer Anlass derselben Organisator*innen zeigte dann, dass am Festival nicht Musik zu hören war, sondern dass die politischen Botschaften von Krieg und Hass des Regimes verbreiten wurden.

Am 27. August 2022 hätte die Veranstaltung irgendwo im Kanton Bern stattfinden sollen. Der Ort blieb unklar, doch aufgrund des Drucks einer Petition und vor allem aufgrund der Mobilisierung der Oppositionsaktivist*innen wurde der Anlass abgesagt.

Petition: „Keine Feier für das eritreische Unrechtsregime“
https://migrant-solidarity-network.ch/2022/08/25/propagandaveranstaltung-fuer-eritreisches-unrechtsregime/

Luzern: Absage der „Wohlfühl Tage“ gefordert

Die Gruppe RESolut veröffentlichteine Recherche darüber, wer und was hinter den sogenannten «Wohlfühl Tagen» steckt. Diese findenvom 1. bis 4. September in Luzern statt. „Die Wohlfühl Tage haben ihren Namen nicht verdient. Passender wäre der Name Abzocker*innen Tage“, schreibt RESolut. “Viele der Referent*innen bieten Heilung durch übersinnliche Kräfte oder Kontakt zu diesen an und ködern so verzweifelte Personen, die oft ohnehin schon nicht viel Geld haben“. In der Tat fällt auf, dass wer an der Messe auftritt, dies nicht nur aus purer Nächstenliebe zu tun scheint. Die Preise, um die „Welten voller Licht und Heilung zu entdecken und erfahren“ sind kapitalistisch hoch. Und es fällt auf, dass Esoterik und braune Kreise die gegenseitige Nähe nicht scheuen.

Zu Gast an den Wohlfühltagen ist u.a. Patric Pedrazzoli.

Zu den Vorwürfen nehmen Marco Rossi und die anderen Organisator“innen inhaltlich keine Stellung: „In der Schweiz gilt die Meinungsfreiheit, also darf auch RESolut sagen und denken was sie will“ heisst es auf deren Website lediglich. Die von RESolut an die Luzerner Messe gerichtete Forderung, ihre Hallen nicht zur Verfügung zu stellen, blieb bisher unerfüllt.

Zu den Gästen gehören u.a. Patric Pedrazzoli, der auf seiner Website verspricht: „Von mir behandelte Menschen erlebten Heilung von Parkinson und Krebs, Blinde konnten wieder sehen“, Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser, der Interviews im Compact gibt, einem bedeutsamen Journal der „Neuen Rechten“ oder Peter Fitzek, der selbsternannten „König von Deutschland“, der die rechten „Reichsbürger“ anführt und während de Corona-Proteste zusammen mit Nazis versuchte, in Deutschland den Bundestag zu stürmen.

An sich besteht zwischen Faschismus und Esoterik – verstanden als die Suche nach nicht direkt zugänglichen Wegen zur Erkenntnis – kein fester oder zwingender Zusammenhang. Warum diese Nähe zwischen Esoterik und Rechtsbraun? In der Esoterik wird (1) meist von einer reinen höheren Kraft oder Wahrheit ausgegangen. Diese durchzieht alles, hält es zusammen und beherrscht es. (2) Zugang und Wissen über diese verborgene Überwelt bieten sich in der Esoterik weniger durch rationales dialektisches Denken oder kritische dekonstruktive Analyse sondern über Erfahrung und Erleuchtung. Eine weitere Annahme der Esoterik ist, dass Menschen (3) eine spirituelle Evolution durchlaufen sollten, um besser, reifer, reiner, erleuchteter zu leben. Dadurch geraten Menschen in Hierarchien. Oftmals entstehen (4) starre bis autoritäre Meister*innen-Schüler*innen-Beziehungen zwischen einer erleuchteten berufenen Elite von Eingeweihten und anderen zurückgeblieben. Diese gilt es zu führen, zu schulen, einzuweihen. Das esoterische Denken und Argumentieren funktioniert (5) stark über Analogien und (6) Verweisen auf Legenden und Mythen. Analogien fördern starres Kategorisieren, was eine kritische neugierige offene Betrachtungsweise erschwert. Erklärungen über Verweise auf Legenden und Mythen funktionieren oft ebenfalls über stereotypes Denken z.B. in Mustern von Freund*in-Feind*in, Gut-Böse, Richtig-Falsch.

Diese charakteristischen Eigenschaften der Esoterik sind alle auch Einfallstore für menschenfeindliche Ideologien mit autoritären Beziehungsweisen wie Rassismus und Faschismus. Diese „funktionieren“ gleich. Unter dem Deckmantel esoterischer Lehren, Publikationen, Werbung, Privatseminaren, Predigten, politischen Theorien finden sich daher oft auch direkte oder indirekte Bezüge auf Nazi-Symbolik, christlichen Antijudaismus, Verschwörungstheorien usw.

„Die Wohlfühl-Tage sind ein einzigartiger Ort, wo Menschen auf dem Weg zu mehr Sinn und Sein im Leben zusammenkommen“ schreibt Abzockorganizer Rossi. Definitiv kommen dort aber auch enge Verbindungen zur rassistischen faschistischen und heterosexistischen Rechten zusammen.

https://www.ekr.admin.ch/pdf/Tangram_06.pdf
https://www.bluewin.ch/de/news/schweiz/wohlfuehl-tage-in-luzern-laden-koenig-von-deutschland-ein-1351493.html

https://resolut.noblogs.org/post/2022/08/23/resolut-fordert-absage-der-luzerner-wohlfuehl-tage/
https://resolut.noblogs.org/post/2022/08/28/zweite-medienmitteilung-zu-den-wohlfuehltagen/
https://www.youtube.com/watch?v=iCVRBSXHoNE&feature=youtu.be


Was steht an?

Demo: Justice 4 Nzoy

3. September | 15:30 Landesmuseum Zürich

Blockade: Kein Fussbreit dem „Marsch für’s Läbe“!

17. September 2022 | Oerlikon
https://barrikade.info/article/5356

Demo: Antifaschistischer Abendspaziergang

22. Oktober 2022 | 19:30 | Bern
https://barrikade.info/event/1812

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Die Ersten in Europa: Das „Motherchapter“ der HSN, die «Schweizer Hammerskins».
https://exif-recherche.org/?p=9890

Die Staatsfeinde und ihre Kinder
Der Kanton St. Gallen hat eine Privatschule mit Verbindungen zur rechtsesoterischen Anastasia-Sekte bewilligt. Weitere Recherchen zeigen: Demokratiefeindliche Kreise drängen auch andernorts in die Bildung – und die Behörden schlafen.
https://www.woz.ch/2234/privatschulen/die-staatsfeinde-und-ihre-kinder