Medienspiegel 26. August 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++SCHWEIZ
In Deutschland artete es aus – jetzt kommt das «Eritrea-Festival» in die Schweiz
Am Samstag soll das «Eritrea-Festival» in der Schweiz stattfinden. Der Veranstaltungsort ist geheim. Beim Event soll zum Krieg in Tigray und der Vernichtung der oppositionellen Diaspora aufgerufen werden.
https://www.watson.ch/!870355786


+++NIEDERLANDE
Niederlande: Überfülltes Asylzentrum in der Kritik – Rendez-vous
Seit Wochen müssen hunderte von Asylsuchenden in den Niederlanden im Freien übernachten. Der Grund: Das nationale Aufnahmezentrum «Ter Apel» im Nordosten des Landes ist überfüllt, die Behörden sind überfordert. Dabei blieb der Zustrom an Geflüchteten zuletzt unverändert. Wie konnte es trotzdem soweit kommen? Gespräch mit dem freien Journalisten Thomas Verfuss.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/niederlande-ueberfuelltes-asylzentrum-in-der-kritik?partId=12244971


+++EUROPA
Migrationsforscher Knaus„Das Recht auf Asyl wird täglich vor unseren Augen gebrochen“
Die Zahl der Flüchtlinge im Mittelmeer steigt seit 2022 wieder stark an. Dabei würden Hilfesuchende an den Grenzen weiterhin gewaltsam zurückgewiesen, sagte der Migrationsforscher Gerald Knaus im Dlf. Europa habe sich mit dieser Praxis eingerichtet.
https://www.deutschlandfunk.de/fluechtlinge-mittelmeer-verteilung-gerald-knaus-100.html


+++POLIZEI DE
Ende von Berliner Modellprojekt: Politik und Polizei streiten über Taser
Seit der Jahrtausendwende sind deutsche Spezialeinheiten mit „Distanzelektroimpulsgeräten“ ausgestattet, immer mehr Länder erlauben sie nun im Streifendienst. Innerhalb von drei Jahren starben sechs Personen in Deutschland nach einem Beschuss. Der Einsatz dieser Waffe ist in Berlin umkämpft.
https://netzpolitik.org/2022/ende-von-berliner-modellprojekt-politik-und-polizei-streiten-ueber-taser/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
barrikade.info – Ein Rückblick und Ausblick
Im Frühling 2017, vor fünf Jahren, gingen wir mit der Webseite barrikade.info online; im Sommer vor fünf Jahren wurde die Webseite linksunten.indymedia.org verboten. Nun, fünf Jahre später, startet das Netzwerk radikal.news, bei dem wir uns auch beteiligen. Wir nehmen dieses 5-jährige Bestehen, sowie den Wechsel zu radikal.news als Anlass um einen Rückblick und Ausblick mit euch zu teilen.
https://barrikade.info/article/5359


+++DREADLOCKSMANIA/WINNETOUWHINING
ajour.ch 26.08.2022

Biel – Reggae-Festival Jahmaste: «Die Liebe steht im Vordergrund»

Ein Festival, das Reggae und Yoga vereint – klingt nach kultureller Aneignung pur. Mitorganisator Isidor Kasper setzt der überhitzten Debatte das Motto «Peace, Love and Harmony» entgegen.

Tobias Graden

Es war an einem Reggae-Festival in Frankreich nachts um drei, als Isidor Kasper seine Freunde fragte: «Wollt ihr einen Tee?» Kasper trinkt keinen Alkohol, er nimmt keine Drogen, und so ist er der, der an einem Festival nachts um drei eben Tee anbietet. «Ja, Mann, es Tee!», schallte es aus der Runde. Aus dem «Ja» wurde rasch ein «Jah», das auch in der Rastafari-Religion verwendete Wort für «Gott», und flugs war der Name für das eigene Festival in Biel gefunden: «Jahmaste», eine Verbindung also von «Jah» und der in Indien verbreiteten Grussformel «Namaste», denn das passte perfekt. Der Anlass verbindet nämlich die zwei grossen Lieben im Leben von Kasper: die Reggae-Kultur und die indisch angehauchte Spiritualität mit Yoga und Meditation.

Reggae und Yoga? Dieser Tage, in denen über Dreadlocks und Winnetou diskutiert wird, klingt das nach kultureller Aneignung im Quadrat. Wie geht das Jahmaste in Biel mit dem Thema um? Zeit für einen Besuch am äussersten Stadtrand, wo diesen Mittwoch Kasper mit seinen Freunden gerade daran ist, die Infrastruktur für das Festival aufzubauen.

«Wir laden gerne zum Dialog ein»

Das Jahmaste geht heuer in die dritte Saison, entstanden ist es aus einem Geburtstagsfest vor vier Jahren. Das Festival ist klein, maximal 500 Personen werden pro Tag erwartet. Es hat bislang keine Sponsoren, sämtliche Kosten werden vom Verein, zu dem sich der beteiligte Freundeskreis zusammengeschlossen hat, selber getragen. Und in diesem Verein ist die Frage, ob man im Vorfeld überhaupt mit den Medien sprechen will, durchaus kontrovers diskutiert worden. Denn während der Idealisten-Anlass bislang grösstenteils unter dem Radar des öffentlichen Interesses navigierte, so meldet sich nun plötzlich selbst Radio SRF. So sehr zerrt die überhitzte Debatte um kulturelle Aneignung und die Konzertabsagen der Band Lauwarm das Jahmaste ins Rampenlicht. Am Freitag und Samstag spielen in Biel nicht nur Lauwarm, sondern weitere Künstlerinnen und Künstler – weisse und dunkelhäutige, solche ohne Dreadlocks, aber auch solche mit. Verlief der Anlass bislang komplett friedlich und ohne Aufhebens, so ist plötzlich nicht mehr sicher, ob es zu Protestaktionen linker, woker Kreise kommen könnte.

Doch nun sitzt Isidor Kasper im Lotussitz da und sagt: «Wir haben eine Haltung. Wer darüber diskutieren möchte, den laden wir gerne zum Dialog ein.» Er selber hat die letzten Monate im Ausland verbracht und darum die Debatte nur am Rande mitbekommen, aber diese Haltung ist ohnehin seit Jahren die gleiche. Sie basiert auf den Werten, welche laut Kasper die Reggae-Kultur überhaupt ausmachen: «Peace, Love and Harmony», also «Friede, Liebe und Harmonie». Hinzu kommt auch die «Unity», also die «Einheit». Für das Jahmaste heisst dies: «Alle sind willkommen. Niemand wird aufgrund der Hautfarbe, des Aussehens, der Frisur, des Status oder der Position diskriminiert.»

Für Kasper kann also Teil der Reggae-Kultur und Mitglied der Community sein, wer diese Werte teilt und sie authentisch lebt. Das ist aus seiner Sicht entscheidend, nicht eine jamaikanische Abstammung oder eine dunkle Hautfarbe. Daraus folgt auch: «Alle dürfen die Haare so tragen, wie sie wollen.» Also auch Dreadlocks. Mit diesen bringe die Trägerin oder der Träger die Zugehörigkeit zur Reggae-Kultur zum Ausdruck, er sieht sie nicht in erster Linie als religiöses Symbol der Rastafari-Religion. Er hat selber auch schon Dreads getragen – kennt die Frisur jedoch vor allem aus Indien, wo er im Gegensatz zu Jamaika schon mehrmals gewesen ist.

Toffko: «Es ist eine unproduktive Debatte»

Isidor Kasper sagt, er kenne die Schweizer Reggae-Szene seit gut 15 Jahren in- und auswendig, «und es gibt kein europäisches Reggae-Festival, an dem ich nicht schon gewesen bin». Bis zu diesem Sommer sei noch nie ein Thema gewesen, ob es statthaft sei, dass Weisse Dreadlocks tragen. Auch seitens People of Color sei dies in der Szene bislang nicht aufgebracht worden.

Toffko bestätigt das. Der in der Schweiz lebende Reggae-Musiker mit Wurzeln auf Mauritius tritt auch am Jahmaste auf und sagt: «Reggae ist eine inklusive Musik.» Es gehe darum, Menschen zusammenzubringen, das habe auch Bob Marley mit seinem «let’s get together and feel alright» betont. Die Diskussion um kulturelle Aneignung komme denn auch nicht von innerhalb der Reggae-Szene, sondern werde von aussen in diese hineingetragen. «Es ist eine unproduktive Debatte», findet Toffko, «es gäbe wichtigere Themen: Respekt für alle, Rassismus, Diskriminierung. Aber es kann nicht darum gehen, gewissen Menschen die Musik zu verbieten.»

Gerade seine Heimat Mauritius zeige, wie die Werte des Reggae funktionieren könnten. Die Insel im Indischen Ozean ist ein Schmelztiegel, es leben dort Menschen verschiedener Herkunft und auch unterschiedlichen Glaubens, es ist ein Mix der Kulturen. «Aber wir Musiker spielen zusammen», sagt Toffko, «mit dem nötigen gegenseitigen Respekt geht dies problemlos.» Toffko betont aber auch: «Wer Reggae macht, sollte dessen Werte und Geschichte kennen.» Die Dreadlocks dagegen – er trägt selber welche – sind für ihn ein untergeordnetes Thema: «Man kann Reggae machen und Dreadlocks tragen, auch wenn man die spirituelle Komponente nicht übernimmt.»

Menschen aus aller Welt leben zusammen

Für Isidor Kasper ist es wichtig, dass das Jahmaste ein Festival ist, an dem nicht einfach konsumiert wird, sondern das den Besuchenden «Energie gibt». Darum finden auch Yoga-Kurse statt, Meditationsworkshops und gemeinsames Mantra-Singen. Wie steht es da mit kultureller Aneignung? Kasper verweist auf seinen Aufenthalt in der Kommune Auroville in Indien. Die 1968 gegründete «universelle Stadt» beherbergt Menschen aus aller Welt, die friedlich zusammenleben. So soll es auch im Reggae sein, so soll es am Jahmaste sein: «Die Liebe steht im Vordergrund.»

Info: Jahmaste, Freitag und Samstag, Lindenhofstrasse 5, Biel.
www.jahmaste.ch



Kommentar

Lauwarm? Uncool.

Frieden, Liebe, Harmonie, Einheit: Diese Werte machen die Reggae-Kultur aus, diese Werte vertritt das Reggae-Festival Jahmaste in Biel. Und wer nach diesen Werten lebt, der darf gerne Reggae spielen und Rastalocken tragen, ungeachtet seiner Herkunft. Das ist die Botschaft, die Jahmaste-Mitorganisator Isidor Kasper glaubhaft vermittelt. Toffko, Reggaemusiker aus Mauritius, pflichtet ihm mit Nachdruck bei (vgl. Haupttext). Die kürzlich in Bern zweimal gecancelte Band Lauwarm nimmt diese Werte für sich in Anspruch und erhält dafür also nicht nur Unterstützung von weissen Reggae-Liebhabern aus der Schweiz, sondern auch von sogenannten People of Color. Und was macht die Band? Lässt sich von Roger Köppel ans Sommerfest der «Weltwoche» einladen und spielt ein paar Lieder für Leute wie Scharfmacher Daniel Stricker, der den Bundesrat am liebsten ins Gefängnis geworfen hätte, oder AfD-Grössen wie Alexander Gauland. Sind dies Leute, denen die Reggae-Werte am Herzen liegen? Geht es Roger Köppel, für den der russische Kriegstreiber Wladimir Putin «der Missverstandene» ist, um «Frieden, Liebe, Harmonie, Einheit»? Indem sich Lauwarm vor den Karren der oft genug hetzenden «Weltwoche» spannen lassen, treten sie selber die Werte des Reggae mit Füssen. Und wer sich auf eine solche Provokation einlässt, wirkt auch wenig glaubwürdig, wenn er sich über das Schüren von Emotionen durch die Medien im Sommerloch beklagt. Über die Motive schweigt sich Sänger Dominik Plumettaz aus. War es Lust an der Provokation, die Freude an der Gage oder schlicht eine an Dummheit grenzende Naivität? Wie auch immer: Die Reggae-Community am Jahmaste darf die Band heute Abend gerne daran erinnern, um welche Werte es beim Reggae geht.

Info: Tobias Graden stv. Chefredaktor, tobias.graden@bielertagblatt.ch
(https://ajour.ch/story/reggaefestival-jahmaste-die-liebe-steht-im-vordergrund/23449)



Lauwarm-Frontmann nach «Weltwoche»-Auftritt: «Bin eher links»
Die wegen Dreadlocks gecancelte Berner Band Lauwarm trat überraschend am «Weltwoche»-Sommerfest auf. Jetzt erklärt der Frontmann seine politische Haltung.
https://www.nau.ch/news/schweiz/lauwarm-frontmann-nach-weltwoche-auftritt-bin-eher-links-66258028
-> https://www.blick.ch/people-tv/schweiz/ich-bin-eher-links-lauwarm-frontmann-spricht-ueber-auftritt-bei-weltwoche-id17823609.html


«Winnetou»: Darum werden die Filme im SRF nicht ausgestrahlt
Das Erste Deutsche Fernsehen streicht alle «Winnetou»-Klassiker aus seinem Sender-Programm. Werden sie im Schweizer Fernsehen weiterhin gezeigt?
https://www.nau.ch/news/schweiz/jetzt-streicht-die-ard-winnetou-filme-66258167


Karl-May-Verfilmungen: ZDF hält an “Winnetou”-Filmen fest
In der Debatte um Rassismus und kulturelle Aneignung in den “Winnetou”-Filmen hat sich das ZDF positioniert. Die klassischen Verfilmungen wolle man weiter zeigen.
https://www.zeit.de/kultur/film/2022-08/winnetou-zdf-karl-may-rassismus-debatte


Keine TV-Rechte mehr: So geht der BR mit “Winnetou”-Filmen um
Lange waren die Karl-May-Filme aus den Jahren 1962 bis 1968 regelmäßig in der ARD zu sehen, auch im BR-Fernsehen, zuletzt in den Weihnachtstagen 2020. Inzwischen liegen die Rechte beim ZDF. Filmklassiker, auch Western, wird der BR weiter zeigen.
https://www.br.de/nachrichten/kultur/keine-tv-rechte-mehr-so-geht-der-br-mit-winnetou-filmen-um,TFbb3jZ


ORF würde “Winnetou”-Filme spielen, hat aber derzeit keine Lizenzen – ARD zeigt sie nicht mehr
ORF-Sprecher: “Sollte es sich programmlich ergeben, wird der ORF wieder ‘Winnetou’-Filme ausstrahlen”
https://www.derstandard.at/story/2000138568967/orf-wuerde-winnetou-filme-spielen-hat-aber-derzeit-keine-lizenzen?ref=rss


Aneignungs-Debatte geht weiter: ARD streicht alle Winnetou-Filme aus Programm
Nach Büchern ist nun auch Schluss mit Filmen. Die «Winnetou»-Klassiker werden von den Sendern des Ersten Deutschen Fernsehens verbannt.
https://www.blick.ch/ausland/aneignungs-debatte-geht-weiter-ard-streicht-alle-winnetou-filme-aus-programm-id17822661.html


Debatte um Umgang mit Karl May: Winnetous Schmerzen
Es gibt gute Gründe dafür, den Band „Der junge Häuptling Winnetou“ zurückzuziehen. EIn lebendiger Umgang mit den Werken Karl Mays sieht anders aus.
https://taz.de/Debatte-um-Umgang-mit-Karl-May/!5873052/


Zürcher Stadtregierung soll Stellung beziehen zum Gleis und kultureller Aneignung
Vergangene Woche hat die Zürcher Bar Gleis den Auftritt des österreichischen Musikers Mario Parizek kurzfristig abgesagt. Der Grund dafür waren seine Dreadlocks. Nun fordert die Stadtzürcher FDP eine Stellungnahme der Zürcher Stadtregierung.
https://www.toponline.ch/tele-top/detail/news/zuercher-stadtregierung-soll-stellung-beziehen-zum-gleis-und-kultureller-aneignung-00192231/


+++RASSISMUS
Ralph Lewin über Antisemitismus und den Basler Zionistenkongress
Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen wird am Wochenende das 125-Jahr-Jubiläum zum ersten Zionistenkongress in Basel gefeiert.
https://telebasel.ch/2022/08/26/ralph-lewin-ueber-antisemitismus-und-den-basler-zionistenkongress/?channel=105100


+++RECHTSPOPULISMUS
derbund.ch 26.08.2022

Umstrittener Kampfjet: Regierungsrat im Twitter­Schützen­graben

Sicherheitsdirektor Philippe Müller schiesst in den sozialen Medien scharf gegen «linke Armeeabschaffer» und wirbt für den Kampfjet-Kauf. Warum tut er das?

Andres Marti

Der F-35 ist der mit Abstand «BESTE» Kampfjet. Die «GROTESKE» Anti-F-35-Initiative die «unehrlichste» Initiative der Schweiz. Und wann endlich berichten die «#Medien» über die «undemokratischen Tricks» der linken Armeeabschaffer, statt «Märchen zu verbreiten»?

So hört es sich an, wenn der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) auf Twitter in die Tasten greift. Besonders oft tat dies Müller im Zusammenhang mit der Stop-F-35-Initiative, die SP, Grüne und GSoA kürzlich eingereicht haben. Über zwei Dutzend Tweets hat der Regierungsrat, in dessen Büro eine künstlerische Nachbildung eines Kampffliegers aus dem 2. Weltkrieg hängt, zum umstrittenen Kampfjet-Kauf gepostet.

Die anderen bleiben ruhig

Mit seinen Twitter-Attacken hebt sich Müller im Regierungsrat jedenfalls stark von seinen Kolleginnen und Kollegen ab. Wie die meisten Exekutivmitglieder hierzulande halten sich diese auf Twitter und Facebook zurück. Gepostet werden vorzugsweise Fotos von irgendwelchen Einweihungen, 1.-August-Reden oder offizielle Verlautbarungen der Regierung oder der jeweiligen Direktion. In der Regel nutzen die Regierungsratsmitglieder die sozialen Medien, um Volksnähe zu zeigen oder die eigenen Geschäfte in einem günstigen Licht zu präsentieren.

Doch warum setzt sich ausgerechnet ein Berner Regierungsrat so vehement für den Kauf neuer Kampfjets ein? Schliesslich fällt der Kauf neuer Kampfjets nicht in die Zuständigkeit der Kantone.

Klar ist: Verboten ist es nicht. «Ob und wie die einzelnen Mitglieder des Regierungsrats auf Social-Media-Kanälen kommunizieren, ist grundsätzlich ihre eigene und somit private Entscheidung», sagt Reto Wüthrich, Kommunikationschef der Berner Regierung, auf Anfrage.

«Es bestehen Zusammenhänge»

Müller selbst begründet sein Engagement für den F-35 mit seiner Rolle im Berner Regierungsrat. Als Sicherheitsdirektor verantworte er das Militär innerhalb der Kantonsregierung. Und diese habe sich für den Kauf neuer Kampfjets ausgesprochen. Ausserdem habe man im Kanton Bern einen «wichtigen» Militärflugplatz mit «wichtigen» Stellen und Lehrstellen. «Es bestehen also sehr wohl Zusammenhänge.» Etwa, wenn die Polizei in «ausserordentlichen Situationen» an ihre Grenze komme und auf eine vollständig ausgerüstete Armee angewiesen sei.

Dass sich Müller für den F-35 starkmacht und gegen die GSoA wettert, hat auch viel mit seiner Partei zu tun. Die FDP habe seit jeher eine starke Landesverteidigung unterstützt und viele Verteidigungsminister in der Schweiz gestellt, sagt Müller. Er selbst schaffte es in der Armee bis zum Major.

FDP-Präsident Thierry Burkart soll laut der WOZ einst gar durch die Armeeabschaffungsinitiative der GSoA politisiert worden sein. Heute ist Burkart Präsident der Armee-Lobbyorganisation «Allianz Sicherheit Schweiz», einer Art Anti-GSoA. 2020 leitete er die Ja-Kampagne zur Kampfjet-Abstimmung, die hauchdünn angenommen wurde.

Auch Müllers Vorgänger, der ehemalige FDP-Regierungsrat Hans-Jürg Käser, engagiert sich für den F-35. Käser lässt sich sein Engagement allerdings etwas kosten. Der Rüstungskonzern und Hersteller des Kampfjets, Lockheed Martin, hat ihn kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Regierungsrat als Lobbyist angeheuert, wie die «NZZ am Sonntag» 2019 publik machte.

Käser, der «Consultant»

Am Telefon bestätigt Käser, weiterhin auf der Gehaltsliste des Rüstungskonzerns zu stehen. Er sei aber kein Lobbyist, wie die Medien fälschlicherweise berichteten, sondern ein «Consultant», ein Berater. «Meine Aufgabe ist es, dem Hersteller die föderalen Strukturen der Schweiz zu erklären», so Käser, der in der Armee den Rang eines Obersts bekleidet hat. Konkrete Fragen zu seinem Engagement und seinem Lohn wollte er nicht beantworten. Mit Philippe Müller treffe er sich gelegentlich zum Mittagessen. «Der F-35 ist dabei aber kein Thema», versichert Käser.

Während der ehemalige Sicherheitsdirektor im Hintergrund für das Milliardengeschäft wirbt, schiesst der aktuelle auf Twitter öffentlich gegen die Kampfjet-Kritiker.
(https://www.derbund.ch/regierungsrat-im-twitter-schuetzengraben-115674397837)


+++RECHTSEXTREMIISMUS
Wirbel um Auftritt von Aktivist Peter Fitzek: «König von Deutschland» kommt für Vortrag nach Luzern
Der selbsternannte «König von Deutschland, Peter Fitzek, kommt in die Schweiz. Und zwar zu den «Wohlfühltagen» nach Luzern. Dort soll der umstrittene Gast einen Vortrag halten. Die Veranstalter sehen kein Problem.
https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/luzern/wirbel-um-auftritt-von-aktivist-peter-fitzek-koenig-von-deutschland-kommt-fuer-vortrag-nach-luzern-id17822800.html


+++HISTORY
Historisches Museum: Auf den Spuren kolonialer Vergangenheit
Das Museum sucht bei den Objekten seiner Sammlung nach Anzeichen kolonialer Vergangenheit. Mehrere Objekte wurden mittlerweile als bedenklich eingestuft.
https://www.baerntoday.ch/bern/auf-den-spuren-kolonialer-vergangenheit-147666153


Der steinige Weg, Saisonniers zu Mitmenschen zu machen
Ausländer:innen waren in der Schweiz nach 1945 willkommen – aber meist nur als Arbeitskräfte. Gesellschaftlich war eine Integration explizit nicht erwünscht. Die “Mitenand-Bewegung” versuchte, dies ab den späten 1970er-Jahren zu ändern.
https://www.swissinfo.ch/ger/der-steinige-weg–saisonniers-zu-mitmenschen-zu-machen/47819148


Wurzeln im Nirgendwo
Celin Fässler glaubt jahrelang zu wissen, wer ihre leibliche Mutter ist. Bis sie in ihren Dokumenten Unregelmässigkeiten feststellt. Die Geschichte einer behördlich verunmöglichten Identitätssuche.
https://www.saiten.ch/wurzeln-im-nirgendwo/



tagesanzeiger.ch 26.08.2022

«Die Schweiz sollte sich bei uns entschuldigen»

Egidio Stigliano durfte seinen Eltern in den 60er-Jahren offiziell nicht in die Schweiz folgen. Er lebte im Versteckten. «Was mit uns geschehen ist, darf sich nicht wiederholen», sagt er.

Eveline Rutz

Herr Stigliano, Sie haben als Treffpunkt diesen Waldrand bei Altstätten vorgeschlagen. Warum?

Hier hat unser Leben in der Schweiz gestartet. Hier fühle ich mich zu Hause. Wir waren arm. Meine Eltern mussten viel arbeiten, und ich war tagelang allein. Ich habe hier im Bach gefischt, bin den Hang hochgeklettert und habe mich oben in einer Höhle versteckt. Für mich war das ein fantastischer Spielplatz.

Sie haben an diesen Ort also vor allem positive Erinnerungen?

Ja, ich habe mich hier immer wohlgefühlt. Es riecht wie früher. Hinter dem Haus durfte ich mich frei bewegen. Zur Strasse zu gehen, hatten mir meine Eltern dagegen verboten. Ich sollte nicht entdeckt werden. Einmal habe ich beim Spielen den Arm gebrochen. Ein Arzt aus dem Dorf, ein liebenswerter Mann, hat mir dann illegal einen Gips gemacht. Die Knochen sind aber krumm zusammengewachsen.

Sie konnten nicht angemessen medizinisch versorgt werden, da Sie nicht auffallen durften?

Genau. Vom Balkon aus habe ich häufig andere Kinder beobachtet, die zum Schwimmen oder Fussballspielen gingen. Ich durfte sie nicht ansprechen; ich musste allein bleiben. Das war langweilig.

Sie waren den Tag durch auf sich alleingestellt. Wie war das für Sie?

Ich musste schwierige Situationen selbst meistern. Das hat mich geprägt. Ich kann mich gut anpassen ­­– das ist ein Geschenk der Migration. Egidio kann in einem Fünfsternhotel übernachten, aber auch auf einem Karton auf dem Boden.

Als Ihre Eltern aus Italien weggegangen sind und Sie bei Ihrer Grossmutter zurückgelassen haben, waren Sie noch klein.

Ich war drei Jahre alt. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit meinem Götti am Spazieren war und einem vorbeifahrenden Zug zugewunken habe. Ich wusste damals nicht, dass meine Eltern drinsassen. Heute denke ich an meine Mama, die so von ihrem Kind Abschied nehmen musste. Das macht mich unendlich traurig.

Mit welchen Erwartungen und Gefühlen sind Sie Ihren Eltern später – als Siebenjähriger – in die Schweiz gefolgt?

Ich war einfach überglücklich. Ich werde nie vergessen, wie ich auf einem Mäuerchen am Bahnhof sass und es kaum erwarten konnte, zu ihnen zu fahren.

Ihre Eltern waren in der Schweiz als Arbeitskräfte willkommen, Sie als Sohn allerdings nicht. Was hat das für Ihre Familie bedeutet?

In Chiasso hatte ich immer furchtbar Angst. Die Zöllner haben jeweils gerufen «Haben Sie etwas zu deklarieren? Haben Sie Kinder?». Ich habe mich gefragt, wieso sie in der Schweiz keine Kinder wollen. Das habe ich nicht verstanden. Wir Kinder haben gelitten, und unsere Eltern haben gelitten. Familien zu trennen, ist unnatürlich. Niemand hat etwas dagegen unternommen. Nicht einmal die Kirche.

Die damalige Migrationspolitik hat viel Leid verursacht.

Sie war ein Attentat auf die Familien der Gastarbeiter – und das in der Heimat von Heinrich Pestalozzi, im Land des Roten Kreuzes. Viele Familien haben es nicht geschafft, sich hier durchzuschlagen. Sie lebten in prekären Verhältnissen und brachten ihre Kinder in Internaten unter, was teuer war. Viele zogen nach ein, zwei Jahren wieder weg.

Wie ist es Ihrer Familie gelungen, hier Fuss zu fassen?

Meine Mutter sagte immer, ihr grösstes Glück seien die Kinder gewesen. Wir waren anständig und sind nicht negativ aufgefallen. Wir waren gut in der Schule. Mein Vater war als Maurer sehr gefragt. Er war ein Spezialist. Er konnte mit Stein und Beton umgehen, als hier noch überwiegend mit Holz gebaut wurde. In der Firma war er für sieben Lehrlinge zuständig.

Hat sich sein Arbeitgeber für ihn eingesetzt?

Ja, Papas Chef hat viel für uns getan. Ich bin eines Tages entdeckt worden, als ich am Bach spielte und eine Kindergruppe vorbeikam. Die Lehrerin, eine Ordensschwester, hat die Situation erfasst und mich auf Italienisch angesprochen. Sie hat mich dann im Dorf gemeldet. Sie meinte es gut. Sie wollte, dass ich zur Schule gehen kann. Am Abend stand die Polizei vor unserer Tür und wollte mich ausweisen. Mein Vater wehrte sich. Er sagte: Das sind eure Gesetze, aber das ist mein Sohn.

Wie ging es weiter?

Am nächsten Abend kamen die Polizisten wieder. Der Chef meines Vaters sagte ihnen, dass sein Geschäft ohne Papa nicht weiterbestehen könne. Das hat gewirkt: Wir durften bleiben, und ich kam in die Schule. Da hat sich der Kapitalismus durchgesetzt.

Ihr Dasein im Versteckten nahm ein Ende. Hat diese Zeit Spuren hinterlassen?

Ich war einen grossen Teil meiner Kindheit von meinen Eltern getrennt. Das hat uns zerstört. Die Zeit, die man nicht zusammen verbracht hat, kommt nicht zurück. Das lässt sich nicht wiedergutmachen.

Wie sind Ihre Eltern damit umgegangen?

Meine Mama hatte Depressionen. Einmal, als sie nach Italien in die Ferien kam, war sie nur noch Haut und Knochen. Dieses Bild werde ich nie vergessen. Ich dachte, sie werde sterben. Der Arzt meinte, sie müsse nur mit ihren Kindern zusammen sein. Das sei das Wichtigste. Später, als ich mit 33 Jahren zu Mama nach Altstätten zog, hat sie jeden Abend auf mich gewartet und für mich gekocht. Sie wollte etwas nachholen.

Und Ihr Vater?

Er hat in Italien jedem seiner vier Kinder ein Haus gebaut. Das war ihm wichtig. Er hat immer gearbeitet. Meine Eltern wollten ursprünglich für drei, vier Jahre in die Schweiz kommen. Es sind vierzig geworden. 2004 sind sie in ihre Heimat zurückgekehrt.

Ist Ihnen die Schweiz in all den Jahren zur Heimat geworden?

Die Schweiz hat für mich eine grosse Bedeutung. Ich fühle mich da zu Hause und schätze, wo ich lebe.

Was ist Italien für Sie?

Meine zweite Heimat. Ich fühle mich in Italien ebenfalls zu Hause. Man muss sich dort auf einer anderen Frequenz bewegen. Wenn man in die Post geht, darf man nicht erwarten, dass man in zwei Minuten wieder draussen ist. Es herrscht ein anderer Rhythmus. Viele, die lange in der Schweiz sind, können nicht mehr in Italien leben. Das ist schade. Ich passe mich an: Ich lebe dort einfach nach dem Motto «La vita è bella».

In Ihrer Kindheit sind italienische Gastarbeiter als «Tschinggen» beschimpft worden.

Ich habe gelitten, als ich «Tschingg» genannt wurde. Mit 14, 15 Jahren habe ich dann geantwortet: Ich bin ein «Tschingg», ja, und du bist keiner. Ich war stolz darauf.

Sie haben Fremdenfeindlichkeit erlebt. Inzwischen gilt die Integration der Italiener als vorbildlich. Wie geht das zusammen?

Das höre ich nicht gerne. Jetzt sind wir Nationalliga-A-Migranten. Das stört mich. Jene, die heute kommen, sind wie wir vor 50 Jahren. Sie brauchen auch Zeit, um sich zu integrieren. Jetzt gibt es in der Schweiz zwar viele italienische Restaurants, italienische Mode und so. Als wir kamen, war es anders. Auf dem Spielplatz sind wir Italiener von den Schweizer Kindern geplagt worden. Sie waren böse zu uns. Das Saisonnierstatut hat viel Leid verursacht.

Muss sich die offizielle Schweiz bei den Betroffenen entschuldigen?

Ja. Es geht um eine symbolische Entschädigung. Etwas, das Geschichte ist, soll Geschichte werden. Ich verstehe nicht, wieso sich die Schweiz mit diesem schwarzen Fleck nicht befassen will. Wir vom Verein Tesoro engagieren uns dafür, dass die Politik aktiv wird. Was mit uns geschehen ist, darf sich nicht wiederholen. Es freut mich, wie die Schweiz Geflüchtete aus der Ukraine aufnimmt – dass sie einen Schutzstatus geschaffen hat. Das ist fantastisch.

Viele Betroffene sind zurückhaltend darin, über ihr Schicksal zu sprechen. Wieso erzählen Sie?

Weil wir unsere Wurzeln nicht vergessen dürfen. Wenn wir nicht den Mut haben, unsere Geschichten zu erzählen, können wir nicht nach vorne schauen. Ich hasse es, wenn Leute einen Unterschied machen zwischen Italienern, die auf dem Bau oder bei einer Bank arbeiten. Auch Letztere sind nicht für Ferien in die Schweiz gekommen. Ich erzähle, damit man das nicht vergisst – und damit man den Migrantinnen und Migranten, die heute kommen, anders begegnet.

Es gibt auch heute Menschen, die sich verstecken müssen: Sans-Papiers.

Da frage ich mich immer, ob es nicht reicht, dass ein Mensch ein Mensch ist. Braucht er Papiere? Ich denke an meine Mutter, die ein Leben lang gelitten und Depressionen hatte. Das muss man korrigieren.

Haben Sie sich mit Ihrem Schicksal versöhnt, oder ist da noch Wut?

Wut nicht. Aber es ist schon so, dass ich oft daran denke. Ich habe so viele traurige Momente erlebt. Eben zum Beispiel, als meine Mutter schwer krank war. Wäre meine Familie nicht getrennt worden, hätten wir dies nicht erleiden müssen. In der Schweiz sollten alle willkommen sein. Wir dürfen uns nicht abschotten.



Sohn von italienischen Gastarbeitern

Egidio Stigliano kam 1964 erstmals in die Schweiz. Sein Vater arbeitete als Maurer, seine Mutter bügelte in einer Textilfabrik in Altstätten SG. Den Saisonniers war es verboten, ihre Kinder mitzubringen. Egidio Stigliano lebte daher vorerst bei seiner Grossmutter in Marina di Nova Siri in Süditalien. Als er sieben Jahre alt war und seine «Nonna» überraschend starb, zog er zu seinen Eltern. Da er von Gesetzes wegen nicht erwünscht war, musste er sich verstecken. Seine ältere Schwester besuchte ein Internat. Die Familie vergrösserte sich später um zwei weitere Kinder.

Egidio Stigliano hatte in Italien das Gymnasium besucht und Medizin studiert. Mit 33 Jahren zog er erneut in die Schweiz, wo er beim italienischen Konsulat in St. Gallen und als Lehrer tätig war. Heute lebt er in Vaduz und arbeitet als Neuropädagoge in einer Rehabilitationsklinik. Er ist Vizepräsident des Vereins Tesoro, der sich für Menschen einsetzt, die unter dem Saisonnierstatut gelitten haben. Dieses war von 1934 bis 2002 in Kraft.
(https://www.tagesanzeiger.ch/die-schweiz-sollte-sich-bei-uns-entschuldigen-909428367452)