Medienspiegel 9. August 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Deutlich weniger Geburten: Stadtberner Bevölkerungszahl wächst dank ukrainischer Flüchtlinge
Die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohnern in der Stadt Bern ist seit Januar leicht angestiegen. Die Zunahme ist vor allem auf den Zuzug von 771 ukrainischen Flüchtlingen zurückzuführen.
https://www.derbund.ch/stadtberner-bevoelkerungszahl-waechst-dank-ukrainischer-fluechtlinge-634278996398
-> https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_sta/stadt-bern-ueber-700-ukrainische-gefluechtete-im-1-halbjahr-2022-1
-> https://www.20min.ch/story/berner-bevoelkerung-waechst-wegen-ukrainischer-fluechtlinge-410142907120
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/die-stadt-bern-waechst-dank-ukrainerinnen-und-ukrainern-147433446



hauptstadt.be 09.08.2022

Staatlich verordnete Landidylle

In Enggistein bei Worb steht das erste Rückkehrzentrum der Schweiz für Familien und Frauen. Ist das Fortschritt, Isolation – oder einfach ein Tropfen auf den heissen Stein?

Von Jana Schmid

Die Fahrt mit S-Bahn und Bus von Bern nach Enggistein, Dorf dauert 32 Minuten. Mit Halbtax kostet sie 4.60 Franken. Das macht 9.20 Franken retour.

Nesakumar Thirunavukkarasu lebt seit dem 11. April 2022 in Enggistein. Seither war der 39-Jährige rund sechsmal in Bern – ein- bis zweimal pro Monat. Meistens ging er allein, um in einem Asia-Laden Currypulver und Tee einzukaufen. Manchmal liess seine Frau Thanisuka nicht locker, dann nahm er sie mit: 18.40 Franken für beide Tickets.

«Der Verkäufer im Asia-Laden kennt unsere Situation, deshalb lässt er uns manchmal etwas aufschreiben und beim nächsten Mal bezahlen», sagt Nesakumar. Denn: Die vierköpfige Familie lebt von 26 Franken pro Tag.

Nesakumar holt mich an einem Mittwochmorgen Ende Juli an der Bushaltestelle Enggistein, Dorf ab. Das «Dorf» ist fast schon ein Weiler. Einen Laden gibt es hier nicht. Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist in Worb: Zehn Minuten Postautofahrt, 2.80 Franken.

Von der Bushaltestelle führt ein steiles Strässchen an Bauernhöfen vorbei, an Geranienkistchen und sauber gestapelten Holzbeigen. Am Anfang ist noch Teer, dann Kies, und nach zehn Minuten stehen wir vor einem Haus, über dessen Eingang ein blaues Schild prangt. Darauf steht: «Herzlich Willkommen im RZB Enggistein».

«Funktioniert gut»

RZB steht für «Rückkehrzentrum des Kantons Bern», und ich war Ende Juni schon einmal hier. Da regnet es in Strömen, und rund zwanzig Medienschaffende stehen im leergeräumten Aufenthaltsraum des Zentrums, als der kantonale Sicherheitsdirektor Philippe Müller die malerische Umgebung hervorhebt.

«Idyllisch hier, oder?», fragt er rhetorisch, während die feuchten Turnschuhe der Journalist*innen auf dem Laminatboden quietschen, als sie sich für einen Rundgang durch das Haus in Bewegung setzen.

Es ist ein Presseanlass des Kantons Bern. «Betrieb des neuen Rückkehrzentrums Enggistein funktioniert gut» lautet der Titel der ausgeteilten Pressemitteilung.

Das Rückkehrzentrum Enggistein wurde im Januar 2022 in Betrieb genommen. Es ist schweizweit das erste Zentrum ausschliesslich für Familien und alleinstehende Frauen und bietet Platz für maximal 80 Bewohner*innen. Ende Juni wohnten rund 30 Menschen dort.

Mit einem Spiel- und Lernzimmer für Kinder und Jugendliche, streng nach Geschlechtern getrennten sanitären Anlagen und einem Aufenthaltsraum nur für Frauen soll hier den Bedürfnissen von Frauen und Kindern besser Rechnung getragen werden.

Wer aber lebt hier und weshalb?

Abgewiesen, aber hier

In Rückkehrzentren werden Personen mit einem negativen Asylentscheid untergebracht. Ihr Asylgesuch wurde abgelehnt und ihre Wegweisung von den Behörden als zulässig, möglich und zumutbar eingestuft. Deshalb sind sie rechtlich verpflichtet, die Schweiz zu verlassen und in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren.

In manchen Fällen geschieht das durch Ausschaffung, in anderen ist eine zwangsweise Ausschaffung nicht möglich, etwa weil mit dem Herkunftsstaat kein Rückübernahmeabkommen besteht oder weil Identitäts- oder Reisepapiere fehlen. Dann halten die Migrationsbehörden Personen an, selbständig in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren. Und setzen Druck auf, soweit sie können.

Anders die Perspektive der Betroffenen: Aus ihrer Sicht bestehen Flucht- und Migrationsgründe, die von den Behörden aber nur ungenügend anerkannt werden. Egal, wer «recht» hat, garantiert die Bundesverfassung allen Menschen, die in Not geraten sind, einen Anspruch auf existenzsichernde Hilfe – unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Der Staat sieht sich damit im Spannungsfeld zwischen einer konsequenten Durchsetzung des Migrationsrechts und der Pflicht zur Einhaltung übergeordneter Grund- und Menschenrechtsgarantien.

Das – entsprechend höchst politische – Resultat: Die Nothilfe, die so unbequem wie möglich und so grund- und menschenrechtskonform wie zwingend nötig sein soll.

Pflicht zu Anwesenheit und Untätigkeit

Als ich Nesakumar Thirunavukkarasu Ende Juli in Enggistein besuche, muss ich am Eingang des Zentrums meinen Ausweis abgeben. Er wird kopiert von einem Mitarbeiter der ORS Service AG – einer privaten Firma, die vom Kanton Bern mit dem Betrieb des Rückkehrzentrums beauftragt ist.

«Man wird ständig überwacht hier», sagt Nesakumar und bringt zwei Tassen Tee in den Aufenthaltsraum. Jetzt, wo kein Presseanlass stattfindet, ist der Raum mit Tischen und einem fleckigen Sofa ausgestattet. Draussen spielen Kinder und brummen Landmaschinen.

Jeden Morgen zwischen 8:30 und 10:30 Uhr müssen die Bewohner*innen des Rückkehrzentrums sich persönlich bei der Zentrumsleitung melden, am Sonntag ausnahmsweise abends.

Nur wenn diese Anwesenheitspflicht eingehalten wird, bekommen sie einmal pro Woche den Nothilfebetrag bar ausgezahlt: In der Regel 8 Franken pro Tag, für Kinder weniger. 26 Franken erhalten Nesakumar, seine Frau, die fünfjährige Tochter und der zweijährige Sohn – das macht 6.50 Franken pro Person. Von der Sozialhilfe sind abgewiesene Asylsuchende ausgeschlossen.

Dieses Geld muss reichen für Essen, Hygieneartikel, Mobilität, Kleidung. Die Kirchgemeinde Worb hat den Bewohner*innen von Enggistein ein Halbtax finanziert – ohne das würde eine Fahrt nach Bern und zurück 18.40 Franken kosten.

Erwerbstätigkeit ist verboten. Angebote wie Beschäftigungsprogramme oder Sprachkurse bestehen nicht – denn eine Integration wird von den Behörden nicht angestrebt. Abgesehen von Reinigungsarbeiten im Zentrum gilt staatlich verordnetes Nichtstun für alle, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind. Kinder besuchen die öffentlichen Kindergärten und Schulen. Einer Berufslehre steht aber das Erwerbsverbot entgegen.

«Wir stehen auf, putzen, kochen, essen, schauen zu den Kindern. Viel mehr können wir nicht tun», sagt Nesakumar. Kürzlich hat er von der nächstgelegenen Schule einige defekte Laptops erhalten, die er wieder instand setzen und der Schule zurückgeben will, und in der Nähe des Zentrums steht ein kleiner Garten, den ihn die Kirche bewirtschaften lässt. «Das hilft mir, mental.»

Die Familie Thirunavukkarasu lebt seit vier Jahren in der Nothilfe. Der Negativ-Entscheid der Eltern überträgt sich auf ihre Kinder. Dem Sohn fehlt damit seit Geburt eine Aufenthaltsberechtigung. Die Tochter kam während dem Asylverfahren zur Welt, das von 2015 bis 2018 gedauert hat.

Das Ehepaar – er Informatiker, sie damals Jura-Studentin – floh aus Sri Lanka. Weil ihren Familien Verbindungen zu den separatistischen Tamil Tigers nachgesagt wurden, wurde Nesakumar bedroht, inhaftiert und gefoltert. In der Schweiz wurde das Asylgesuch abgelehnt: Zu wenig Beweise für die Bedrohung in Sri Lanka.

«Zurück nach Sri Lanka können wir nicht», sagt Nesakumar. Seine ganze Familie ist aus Sri Lanka geflüchtet, die Mutter lebt mittlerweile in Grossbritannien, zwei Schwestern seit vielen Jahren in der Schweiz – sie haben vor langer Zeit Asyl erhalten und haben mittlerweile den Schweizer Pass. Bei ihnen leben kann die Familie aber nicht, weil sie den Kanton Bern nicht verlassen darf.

Von Biel aufs Land

Nesakumars Frau Thanisuka setzt sich neben ihn aufs Sofa. «Der Umzug von Biel hierher nach Enggistein war einschneidend», sagt sie. Wie viele Personen, die in Enggistein untergebracht wurden, hatte die Familie zuvor im Rückkehrzentrum Biel-Bözingen gelebt, das per Ende Juli geschlossen wurde. Zusammen mit anderen Bewohner*innen und migrantischen Organisationen hatten sie sich gegen den Umzug nach Enggistein gewehrt – erfolglos. Mitte April wurden sie umquartiert.

«In Biel hatten wir ein soziales Umfeld, auch einige Schweizer Freunde», erklärt Thanisuka, «und ich konnte mich in der Stadt selbständig und relativ frei bewegen.» Seit dem Umzug war die Familie nicht mehr in Biel – zu teuer das Ticket, zu einschränkend die morgendliche Anwesenheitspflicht in Enggistein.

Das Haus, da ist sich das Ehepaar einig, sei zwar besser hier als die Container in Biel-Bözingen, und die Umgebung kinderfreundlicher. Aber die Abgeschiedenheit, der Bruch aller sozialen Kontakte, die neue Zusammensetzung von Bewohner*innen, das mache das Leben noch schwerer als zuvor. Landidylle hin oder her.

«Die Summe von allem», sagt Nesakumar, «macht krank im Kopf.» Das Nichtstun, die Ausweglosigkeit der Lage, das Gefühl, ein Krimineller zu sein.

«Und wenn meine Depression schlimmer wird, dann streiten wir uns häufiger.» Thanisuka nickt und ergänzt: «Und es gibt keinen Platz für unseren Streit. Die ganze Familie teilt sich ein Zimmer. Die Kinder bekommen alles mit.»

Besonders die Tochter, die jetzt den Kindergarten in Worb besucht, stelle immer mehr Fragen, je älter sie werde. Warum hat meine Freundin ein Haus und wir nicht? Warum bekomme ich keine neuen Kleider? Warum haben wir kein Auto? «Solche Fragen schmerzen unglaublich», sagt Thanisuka.

«Ein Erfolg»

Presseanlass Ende Juni, leergeräumter Aufenthaltsraum. «Diese Leute können zurück», sagt Sicherheitsdirektor Philippe Müller mit Nachdruck nach der Führung durch das Zentrum, wiederholt es einige Male. Und: «Wir vollziehen hier Bundesrecht.»

Der Kanton habe nach Unterkünften in Biel gesucht und keine gefunden. Das Zentrum in Enggistein sei «aufgrund seiner Lage und Infrastruktur ein idealer Ersatz für Biel-Bözingen und die Inbetriebnahme ein Erfolg.»

Im Februar 2022 veröffentlichte die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) einen Bericht zur menschenrechtlichen Lage in den Berner Rückkehrzentren. Sie zeigte sich besorgt über die Situation von Frauen, Jugendlichen und Kindern und kam zum Schluss, dass die Lebensumstände von Kindern und Jugendlichen in der Nothilfe nicht mit der UNO-Kinderrechtskonvention vereinbar seien.
-> https://www.nkvf.admin.ch/nkvf/de/home/publikationen/mm.msg-id-87123.html

Die Kommission empfahl dem Kanton Bern, Familien grundsätzlich in Wohnungen unterzubringen – wie das etwa der Kanton Schaffhausen praktiziert.

Ein zweckentfremdetes Grundrecht

«Es ist zwar zu begrüssen, dass der Kanton Bern bei der Inbetriebnahme des neuen Zentrums versucht hat, auf die Bedürfnisse von Familien und alleinstehenden Frauen Rücksicht zu nehmen», sagt Alexandra Büchler. Sie ist Juristin, Migrationsrechtsexpertin und Co-Präsidentin der Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers.

Dass das Zentrum über ein Spiel- und Lernzimmer für Kinder und Jugendliche, nach Geschlechtern getrennte sanitäre Anlagen und einen Aufenthaltsraum nur für Frauen verfüge, sei sicher positiv hervorzuheben, meint sie.

«Aber abgesehen davon unterscheidet sich das Rückkehrzentrum Enggistein nicht wesentlich von anderen Zentren.» Soziale Isolation, keine Beschäftigungsmöglichkeiten, kaum Privatsphäre und die Pflicht zur Anwesenheit gehörten auch dort zum Alltag. Deshalb findet Alexandra Büchler: «Auch dieses Zentrum ist letztendlich Teil des Nothilfesystems, das aus menschenrechtlicher Sicht viele problematische Aspekte hat.»

Sie sieht dabei zwei übergeordnete Probleme:

Erstens werde das Recht auf Nothilfe zweckentfremdet.

Das Grundrecht auf Hilfe in Notlagen habe zum Ziel, ein menschenwürdiges Dasein für alle zu garantieren. «Im Migrationskontext wird dieses Recht auf Nothilfe aber als Druckmittel missbraucht, um ausländerrechtliche Ziele zu erreichen. Dafür ist es nicht gedacht», erklärt sie. Das sei kein Zufall, sondern vielmehr Ausdruck der allgemeinen Abwehrpolitik, die im Migrationsbereich herrsche.

Rückkehrzentrum ohne Rückkehr

Das zweite Problem: «Die Behörden gehen davon aus, dass sich Menschen nur kurzzeitig im Nothilfe-Regime aufhalten», sagt Alexandra Büchler.

Dafür spricht bereits die Bezeichnung «Rückkehrzentrum» – die Kantone nehmen offiziell an, dass die Bewohner*innen nur zur Überbrückung zwischen Negativentscheid und Ausreise dort unterkommen.

«Aber in der Schweiz leben viele Menschen jahrelang in den Nothilfestrukturen», sagt sie. Je länger diese den restriktiven Bedingungen ausgesetzt seien, desto schwerwiegender die Folgen. «Die tatsächlichen Umstände werden einfach ignoriert zugunsten einer ‹konsequenten› Asylpolitik.»

Das bestätigt sich in den Zahlen zur Aufenthaltsdauer von Nothilfebeziehenden (per Ende Juni 2022), die der Kanton Bern der «Hauptstadt» zur Verfügung gestellt hat: Von 551 Nothilfebeziehenden im Kanton Bern haben 359 seit mehr als einem Jahr einen negativen Asylentscheid. Nur bei 117 Personen ist es weniger als ein Jahr, und für 75 Personen gibt es keine Angaben. 109 Personen befinden sich seit fünf Jahren oder mehr in den Nothilfestrukturen – bis zu maximal 25 Jahren.

«Die zermürbenden Bedingungen machen auf Dauer krank», sagt Alexandra Büchler, und das sagen auch 450 Fachpersonen aus den Bereichen Psychiatrie, Psychotherapie und Medizin, die sich im Februar 2022 mit einem offenen Brief zu diesem Thema an Politik und Behörden gewandt haben.

«Der Kanton kann sich nicht einfach hinter dem Argument verstecken, er vollziehe Bundesrecht», findet Alexandra Büchler. Gesetze seien menschenrechtskonform auszulegen – und es bestehe ein gewisser Handlungsspielraum. «Der wird bei den Nothilfestrukturen im Kanton Bern zu wenig zugunsten der Betroffenen genutzt.»

«Irgendwie managen»

Nesakumar Thirunavukkarasu sagt, die einzige Hoffnung sei für ihn und seine Frau, dass sie irgendwann mittels Härtefallgesuch eine Aufenthaltsbewilligung erhalten könnten. Dafür sei es aber jetzt wohl noch zu früh. «So lange müssen wir es irgendwie managen. Auf unbestimmte Zeit.»

Neben dem Halbtax hat die Kirchgemeinde Worb den Bewohner*innen von Enggistein auch fünf Eintritte in die Badi Worb geschenkt. Zweimal können sie noch gehen, sagt Thanisuka, bis der Sommer vorüber ist. Und die Kirchgemeinde Walkringen hat für die heissen Tage Ventilatoren gespendet.

Nesakumar begleitet mich das steile Strässchen hinunter an die Bushaltestelle, wieder an Bauernhöfen und Geranien vorbei. Er trägt ein rotes Fussballshirt. «Suisse» steht weiss auf dem Rücken, auf Brusthöhe ist ein Schweizerkreuz aufgenäht.
(https://www.hauptstadt.be/a/rueckkehrzentrum-enggistein-nothilfe-fuer-abgewiesene-asylsuchende)



Integration in Bern: «Die Rückkehr ist bei vielen Flüchtlingen noch ein Thema»
In der Stadt Bern leben aktuell 144 ukrainische Familien, die meisten sind wegen dem Krieg in die Schweiz geflüchtet. Ukraine-Experte Christophe von Werdt erklärt, wie die Geflüchteten in Bern integriert werden.
https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/die-rueckkehr-ist-bei-vielen-fluechtlingen-noch-ein-thema-147437572


+++GRIECHENLAND
Geflüchtete und Migrant*innen auf Samos berichten von gewaltsamen Abfangaktionen
Geflüchtete und Migrant*innen, die von Ärzte ohne Grenzen auf der griechischen Insel Samos behandelt werden, berichten immer häufiger von gewaltsamen Abfangaktionen und Zwangsrückführungen während ihrer Flucht. Dabei geht es um körperliche und psychische Gewalt, sowohl an Land als auch auf See. Innerhalb der letzten zwölf Monate haben Teams von Ärzte ohne Grenzen über 570 Mal medizinische und psychologische Ersthilfe auf der Insel nahe der türkischen Küste geleistet. Unter den Patient*innen waren auch 24 schwangere Frauen.
https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/griechenland-gewaltsame-abfangaktionen
-> https://www.jungewelt.de/artikel/432264.gefl%C3%BCchtete-und-migranten-auf-samos-berichten-von-gewaltsamen-abfangaktionen.html


+++KNAST
Gefängnis Ausbruch: Wie sicher sind die Berner Gefängnisse?
Ein Mann flüchtet aus dem Gefängnis in Witzwil, in dem er durch die Essensklappe hinaussteigt. Wie er aber genau flüchten konnte, wird nun abgeklärt. Der 41-jährige Algerier ist wegen eines Verstosses des Betäubungsmittel-Gesetzt im offenen Vollzug und landetet schon mehrmals im Gefängnis von Witzwil. Dieser Gefängnisausbruch ist der zweite innerhalb von kurzer Zeit im Kanton Bern.
https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/gefaengnis-ausbruch-wie-sicher-sind-die-berner-gefaengnisse-147440221
-> https://www.baerntoday.ch/bern/berner-gefaengnisse-sind-sicher-147437436


+++POLIZEI AG
aargauerzeitung.ch 09.08.2022

Trotz Gewaltmonopol: Kantonspolizei lagert den Transport von Gefangenen an eine private Sicherheitsfirma aus

Die Kantonspolizei Aargau sucht einen Dienstleister, der sie bei Gefangenentransporten unterstützt. Eine solche Privatisierung ist laut einer Studie problematisch – im Aargau aber seit Jahren gängige Praxis. Eine gesetzliche Grundlage dafür gibt es jedoch erst seit diesem Jahr.

Noemi Lea Landolt

Auch Straftäter müssen manchmal von A nach B. Vom Gefängnis zum Gericht und zurück zum Beispiel. Die Kantonspolizei Aargau verfügt über eine eigene Organisationseinheit, die Gefangenentransporte durchführt. Stehen viele Transporte an, helfen die operativ tätigen Abteilungen der Kapo und teilweise sogar die Kriminalpolizei aus.

Nun sucht die Kapo einen externen Dienstleister, der sie bei der Durchführung der Gefangenentransporte unterstützt. Kürzlich ist die öffentliche Ausschreibung im Amtsblatt publiziert worden. Ende Oktober soll der Auftrag vergeben werden und Anfang 2023 soll der Dienstleister die ersten Gefangenentransporte durchführen. Vergeben wird der Auftrag für die nächsten vier Jahre. Der Zeitaufwand pro Jahr wird auf 4300 Stunden geschätzt.

Erst seit diesem Jahr gesetzlich verankert

Auf Anfrage teilt die Kapo mit, sie habe schon bisher Gefangenentransporte durchgeführt, bei denen sie von der Firma Securitas unterstützt worden sei. Da der Vertrag auslaufe, habe diese Aufgabe neu ausgeschrieben werden müssen.

Eine gesetzliche Grundlage zur Auslagerung von Gefangenentransporten gibt es im Aargau erst seit dem 1. Januar 2022. Seit dann ist das revidierte Polizeigesetz in Kraft. Dieses erlaubt, dass Transport, Bewachung und Betreuung von festgenommenen oder inhaftierten Personen an private Sicherheitsdienste delegiert werden können. Bis Ende 2021 war die Übertragung solcher hoheitlicher polizeilicher Befugnisse an Private nicht zulässig.

Dennoch waren im Aargau schon zuvor private Sicherheitsdienste beim Transport von Gefangenen im Einsatz. In der Botschaft zur Revision des Polizeigesetzes sprach der Regierungsrat von «einer langjährigen und unbestrittenen Praxis», die erforderlich sei, «um die Personalressourcen der Kantonspolizei beziehungsweise der Vollzugsanstalten zu schonen».

«Problematisch, wenn nicht gar widerrechtlich»

Das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte hat im März 2021 eine Studie zur Privatisierung im Justizvollzug publiziert. Die Studienautorinnen und -autoren kommen zum Schluss, dass die Zulässigkeit der Auslagerung von Gefangenentransporten «zumindest als problematisch, wenn nicht gar widerrechtlich» einzuordnen sei, weil Gefangene während des Transports unter anderem gefesselt werden.

Im Aargau tragen Gefangene während des Transports gar standardmässig Handschellen. Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter hatte diese Praxis vor kurzem kritisiert.

Anwendung von Zwang ist dem Staat vorbehalten

Die Fesselung ist ein polizeiliches Zwangsmittel. Die Privatisierung staatlicher Aufgaben, die Zwangsanwendungen beinhalten, sei «rechtsstaatlich besonders heikel», heisst es in der Studie. Sie stehe in einem «heiklen Spannungsfeld zum staatlichen Gewaltmonopol, welches die Anwendung von Zwang und Gewalt dem Staat vorbehält».

Dem ist sich auch der Regierungsrat bewusst. In der Botschaft zum neuen Polizeigesetz hielt er fest, dass «Gefangenentransporte in der Regel mit hoheitlichen Aufgaben (Fesselung, Einsperrung) verbunden sind». Er schlug deshalb vor, «diese unbestrittene Praxis auf Gesetzesstufe sauber zu verankern». So wollte er verhindern, dass Gefangenentransporte mangels einer genügenden Rechtsgrundlage nicht mehr von privaten Sicherheitsdiensten durchgeführt werden dürfen.

«Sinnvolle und effiziente» Entlastungsmöglichkeit

Die Kapo betont auf Anfrage, «gewöhnliche» Gefangenentransporte ohne erhöhtes Gefährdungs- und/oder Fluchtpotenzial erforderten nicht zwingend eine Polizeiausbildung. Indem die Polizei solche Standardtransporte teilweise durch einen privaten Sicherheitsdienst ausführen lasse, könne sie die gesparten Ressourcen für Aufgaben einsetzen, die polizeiliche Kompetenzen und Befugnisse erfordern. Für das kleinste Kantonspolizeikorps der Schweiz – relativ zur Bevölkerungszahl –, seien derartige Entlastungsmöglichkeiten «sinnvoll und effizient».

Weil der Transport von Gefangenen eine heikle Aufgabe ist, sind die Anforderungen an den Dienstleister beziehungsweise die einzelnen Mitarbeitenden hoch. Die Kapo unterzieht alle Mitarbeitenden einer Sicherheitsprüfung, schaut den Strafregisterauszug und den Auszug aus dem Eidgenössischen Register für Administrativmassnahmen an.

Der Leumund muss einwandfrei sein, auch in Bezug auf Strassenverkehrsdelikte. Weiter erwartet die Kapo eine gepflegte Erscheinung, Verlässlichkeit, Verschwiegenheit oder Zuverlässigkeit. Die Mitarbeitenden müssen entweder einen Schweizer Pass oder eine Niederlassungsbewilligung C haben und über gute Deutschkenntnisse verfügen.



Private Sicherheitsleute im Gefängnis Lenzburg

In der Justizvollzugsanstalt Lenzburg kommen wegen eines Personalengpasses im August während ein paar Wochen ein bis zwei private Sicherheitsleute zum Einsatz. Das berichtete das SRF-Regionaljournal Aargau-Solothurn am Mittwoch. Bereits im Juni 2022 und im Jahr 2019 seien private Sicherheitsdienste zugezogen worden. Eingesetzt werden sie bisher ausschliesslich in der Untersuchungshaft und nicht im Normalvollzug. Laut Pascal Payllier, dem Leiter des Amts für Justizvollzugs, übernehmen die privaten Sicherheitsleute nur einzelne Aufgaben. Es gehe beispielsweise um die Essensabgabe. Bei einem körperlichen Einsatz sollen laut Payllier in erster Linie Vollzugsangestellte zum Einsatz kommen.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/sicherheit-kantonspolizei-aargau-will-den-transport-von-gefangenen-auslagern-ld.2323789)


+++POLIZEI DE
Wieder einmal: tödliche Polizeischüsse
16-Jähriger stirbt in Dortmund. Beamter schoss sechs Mal mit Maschinenpistole auf ihn
Ein aus dem Senegal stammender Junge wurde am Montagabend in einer Jugendhilfeeinrichtung durch einen Beamten getötet. Er ist bereits die dritte Person innerhalb weniger Tage, die nach Polizeieinsätzen starb.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165992.polizeigewalt-wieder-einmal-toedliche-polizeischuesse.html
-> https://taz.de/Jugendlicher-stirbt-in-Dortmund/!5870440/
-> https://www.jungewelt.de/artikel/432223.black-lives-matter-get%C3%B6tet-mit-f%C3%BCnf-schuss.html


In Gefahr auch noch nach der Ankunft
Dokumentation zeigt Gefährdung Geflüchteter in Deutschland durch Polizeieinsätze
In der 29. Auflage der Recherche »Die deutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen« geht es insbesondere um Fälle, in denen Schutzsuchende durch Polizeischüsse ums Leben kamen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165991.fluchtpolitik-in-gefahr-auch-noch-nach-der-ankunft.html


+++RECHTSPOPULISMUS
Arbeitslosengelder kürzen: SVP Nationalrat Andreas Glarner fordert, dass in gewissen Branchen nur noch sechs Monate bezahlt werden
Der SVP-Nationalrat Andreas Glarner fordert, dass in gewissen Branchen nach sechs Monaten Arbeitslosengeld beziehen Schluss sein soll. Wenn es in einer Berufssparte viele freie Stellen hat, soll man schneller einen neuen Job annehmen oder dann keine Unterstützung mehr erhalten. Ein Vorstoss, welcher für Diskussionen sorgt.
https://www.telem1.ch/aktuell/arbeitslosengelder-kuerzen-svp-nationalrat-andreas-glarner-fordert-dass-in-gewissen-branchen-nur-noch-sechs-monate-bezahlt-werden-147440994


+++RECHTSEXTREMISMUS
«Historische Unwissenheit»: KZ-Bild auf Gemeinde-Website macht Schweizer Juden sprachlos
Mit einem Bild des Schriftzugs «Arbeit macht frei» wies die Gemeinde Schattdorf auf ihrer Webseite auf Feiertags-Öffnungszeiten hin. Institutionen fordern nun eine bessere Bildung in Schulen zum Holocaust.
https://www.20min.ch/story/hier-herrscht-massivste-historische-unwissenheit-vor-793234354968
-> https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/uri/nazi-skandal-in-urner-gemeinde-schattdorf-nutzt-kz-bild-fuer-internetseite-id17775616.html
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/geschaftsfuhrer-von-schattdorf-ur-aussert-sich-zu-nazi-bild-66239382
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/uri/schattdorf-mangels-politischer-bildung-geschaeftsfuehrer-der-gemeinde-bittet-um-entschuldigung-fuer-nazi-bild-auf-webseite-ld.2326110
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/gemeinde-schattdorf-postet-kz-bild-147441162


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Neue rechte Medienangebote für die früheren Konsumenten von RT DE
Kampf um den Hetzmarkt
RT (früher Russia Today) darf in Deutschland nicht mehr senden. Nun wollen der neu gegründete Internetradiosender Kontrafunk und der österreichische Internetfernsehsender Auf 1 die Nachfrage nach Verschwörungstheorien und rechter Propaganda bedienen.
https://jungle.world/artikel/2022/31/kampf-um-den-hetzmarkt


Eric Nussbaumer, warum distanzieren Sie sich nicht von Daniele Ganser?
Ex-Nationalrats-Präsidentin Christa Markwalder distanziert sich vom Verschwörungsmythiker Daniele Ganser und seinem Institut Siper, weil er sich in den letzten zehn Jahren «stark radikalisierte». Eric Nussbaumer, der als zukünftiger Nationalratspräsident gehandelt wird, tut das nicht. Droht dem Parlament ein Reputationsschaden?
https://bajour.ch/a/ORVVPUjEspdB0PoN/nussbaumer-verschwoerungstheoretiker-ganser


+++FUNDIS
bernerzeitung.ch 09.08.2022

Steuergeld für christliche Mission: Wie der Bund unwissentlich einer Freikirche Geld bezahlt

Hinter einem beliebten Tagungsort in Bern steht eine Freikirche. Doch das macht diese nicht transparent. So flossen ihr auch Steuergelder zu.

Naomi Jones

Aufgrund der Mail wurde die Kantonsangestellte neugierig. Das Begleitschreiben zur angefragten Offerte für einen Tagungsraum in Bern klang anders als üblich. «Es war enthusiastisch», sagt sie am Telefon, möchte aber nicht mit Namen in der Zeitung stehen. Was die Kantonsangestellte in der Folge über den Mann herausfand, der die Offerte geschickt hatte, machte sie stutzig.

Der Mann taucht im Internet vor allem als evangelikaler Pastor bei der Gemeindebibelschule Bern auf. Wenige Suchanfragen später ist klar: Er ist erstes Vorstandsmitglied des Christlichen Zentrums Bern, und dieses ist Stockwerkeigentümer an der Fabrikstrasse 12 auf dem ehemaligen Von-Roll-Areal. Unter dem Namen Eventforum Bern vermietet das Christliche Zentrum die Räume als Tagungs- und Eventlokal. Gemäss Eintrag im kantonalen Handelsregister dienen die Einnahmen «der ideellen Zwecksetzung des Vereins», unter anderem der evangelischen Mission im In- und Ausland.

Beliebt bei der Bundesverwaltung

Die Räume des Eventforums sind beliebt. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) organisiert immer wieder Tagungen dort. Auch das Bundesamt für Kultur (BAK) hat letztes Jahr eine Tagung im Eventforum durchgeführt oder die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) finanzierte Koordinations- und Fachstelle Sucht. Daneben buchten Nichtregierungsorganisationen wie die Krebsliga das Eventforum.

Dabei geht es jeweils um relativ viel Geld. Die Tagung des BAK kostete mehr als 26’000 Franken für Räume und Catering. Das Bafu zahlte dem Eventforum letztes Jahr rund 25’000 Franken für zwei Anlässe. Auch die Offerte der Kantonsangestellten belief sich auf rund 12’000 Franken für ungefähr 100 Personen.

Mit dem Buchen des Eventforums haben die Bundesämter gewissermassen Steuergelder in die evangelikale Mission investiert. Das findet Georg Schmid heikel. Er ist Leiter von Relinfo, der Informationsstelle über Sekten der reformierten Landeskirche. «Es wäre besser, wenn der Staat nicht regelmässig Räume derselben religiösen Organisation mieten müsste», sagt er.

Auch NGOs müssen sich rechtfertigen

Ähnliches gelte auch für NGOs. «Sie müssen rechtfertigen können, wofür sie ihre Spendengelder einsetzen», erklärt Schmid. Grundsätzlich stehe es den Freikirchen frei, ihre Räume zu vermieten und damit Gewinn zu erzielen. Das täten auch die Landeskirchen. Doch anders als bei den Kirchgemeinderäumen der Landeskirche ist auf der Website des Eventforums die Verbindung zum Christlichen Zentrum nicht ersichtlich.

Weder dem Bafu noch dem BAK oder der vom BAG finanzierten Fachstelle Sucht war die Verknüpfung des Eventforums mit der Mission des Christlichen Zentrums bewusst, wie sie auf Anfrage sagen. Sie buchten den Raum, weil er gross und gut mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen ist. «Für Anlässe dieser Grössenordnung gibt es in der Stadt Bern nur eine begrenzte Anzahl passender Räume», schreibt der Bafu-Sprecher.

«Die Geschichte hat ein Geschmäckle», sagt Schmid dazu. Dass das Eventforum seinen eigentlichen Zweck nicht offenlege, sei «intransparent». Gerade für staatliche Stellen müsse ersichtlich sein, wohin ihr Geld gehe. Sie verwalten Steuergelder und müssen sich für alle Ausgaben rechtfertigen können. «Wenn sich eine Freikirche aus Steuergeldern finanzieren möchte, sollte sie sich darum bemühen, eine Landeskirche zu werden», sagt der Religionsexperte. Doch das wollten die meisten Freikirchen eben gerade nicht. «Sie wollen frei sein.»

Konservativ, aber nicht umstritten

Die Pfingstgemeinde, die sich hinter dem Christlichen Zentrum verbirgt, zählt Schmid zu den konservativen, aber nicht radikalen Freikirchen. Homosexualität habe sie lange als Sünde verurteilt, dann als Krankheit zu heilen versucht. Nun ist aber ein Wandel in Gang. Jüngere Mitglieder hätten keine Probleme mit der Ehe für alle, sagt Schmid. Die Position der Pfingstgemeinde unterscheidet sich damit nicht wesentlich von der katholischen Landeskirche. «Würde der Staat indirekt eine umstrittene Organisation wie etwa Scientology subventionieren, wäre das brisanter», sagt Schmid.

Der Pastor des Christlichen Zentrums Bern bestätigt am Telefon lediglich, dass die Einnahmen aus dem Eventforum in das Christliche Zentrum fliessen und dass dieses eine «pfingstliche Freikirche» sei. Die Frage, weshalb der Zweck des Eventforums nicht auf dessen Website deklariert sei, beantwortet er nicht. Eine schriftliche Bitte um Stellungnahme lässt er unbeantwortet.

Die SP Schweiz – sie hat 2019 ihre Delegiertenversammlung im Eventforum Bern durchgeführt – wird das Lokal jedenfalls nicht mehr buchen. «Wir sind konfessionell neutral», sagt Rebekka Wyler, Co-Generalsekretärin der SP Schweiz. «Deshalb gehen wir nicht mehr ins Eventforum.» Es gehe nicht, dass die Partei mit ihren Mitgliederbeiträgen Zwecke unterstütze, die nicht auch durch einen grossen Teil der Mitglieder unterstützt würden. Die Verbindungen des Eventforums zum Dunstkreis von Freikirchen seien der Partei nach dem Anlass «zu Ohren gekommen».

Dass sich neben der Universität und der Pädagogischen Hochschule auch Freikirchen auf dem Von-Roll-Areal in der Länggasse befinden, ist bekannt. Vor elf Jahren berichtete diese Zeitung, dass die charismatische Freikirche International Christian Fellowship (ICF) dort die alte Fabrikhalle an der Fabrikstrasse 12 kaufte. Dort war damals bereits das Christliche Zentrum Forsthaus untergebracht.

Das ist heute aber nicht mehr auf Anhieb ersichtlich. Denn neben dem Christlichen Zentrum sind im Grundbuchamt zwei scheinbar weltliche Aktiengesellschaften als Besitzerinnen der Liegenschaft eingetragen. Sie gehören zusammen und laufen unter dem Namen Eventfabrik Bern. Diese besitzt und vermietet ihre Räume für Tagungen. Die Eventfabrik und das Eventforum des Christlichen Zentrums sind Konkurrenten.

Auch der ICF verschleiert die Besitzverhältnisse

Auf Anfrage stellt der Geschäftsführer Micha Rüfenacht die Eventfabrik als vom Christlichen Zentrum wie auch vom ICF unabhängig dar. Rüfenacht bestätigt jedoch, dass er wie auch die beiden Verwaltungsräte Niklaus Burkhalter und Mathias Becher ICF-Mitglieder sind, also Mitglieder der Freikirche, die das Gebäude vor elf Jahren gekauft hat. Und er bestätigt, dass die Freikirche in der Eventfabrik ihre Gottesdienste abhält. Dafür zahle sie Miete, sagt er.

Ob der ICF auch zu den Aktionären der Eventfabrik gehört und damit Dividenden erhält, will und muss Rüfenacht nicht sagen, weil das Unternehmen nicht börsenkotiert ist. Auf der Website der Eventfabrik findet sich kein Hinweis auf die Beziehungen zur Freikirche. Trotzdem ist wahrscheinlich, dass auch von der Eventfabrik aus Geld in eine Freikirche fliesst. Bloss ist hier nicht nachvollziehbar, wie viel es ist.
(https://www.bernerzeitung.ch/wie-sich-eine-freikirche-mit-steuergeldern-finanziert-362555494283)



Freikirchler starten mit eigener Privat-Schule ins neue Schuljahr
Die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten hat im Aargau neu eine eigene Privatschule. Und zwar in Reinach, zunächst mal für Erst- und Zweitklässler, geplant ist aber, dass in Zukunft alle Primarklassen angeboten werden.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/freikirchler-starten-mit-eigener-privat-schule-ins-neue-schuljahr?id=12233793
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/wildtierunfaelle-nicht-melden-wird-teuer?id=12234135 (ab 01:56)
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/in-33-minuten-statt-4-stunden-von-baden-nach-zuerich?id=12234324 (ab 03:11)


Kanton Zürich untersuchte Beratungsstelle Castagna und deren Umgang mit Klientinnen und Klienten, die über rituelle, organisierte Gewalt sprechen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/verkauft-die-stadt-zuerich-bald-kein-brennholz-mehr-an-private?id=12234099
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/kanton-stellt-opferberatungsstelle-gutes-zeugnis-aus?id=12234282



tagesanzeiger.ch 09.08.2022

«Satanic Panic» in ZürichKanton entlastet Opferberatungsstelle Castagna

Nachdem eine Traumatherapeutin in einer SRF-Sendung mit umstrittenen Aussagen zu ritueller, organisierter Gewalt zitiert worden war, liess der Kanton die Opferberatungsstelle untersuchen.

Corsin Zander

Die Aussagen von Regula Schwager liessen aufhorchen: Schweizer aus einer oberen Gesellschaftsschicht würden Geld bezahlen, um Kinder sexuell zu missbrauchen. Wörtlich sagt sie: «Es kostet nicht wenig, wenn sie ein Kind beim sexuellen Missbrauch auch verletzen dürfen.» Dies klingt nach Verschwörungstheorien, die in den 1980er-Jahren in den USA unter dem Begriff der «Satanic Panic» bekannt geworden sind.

Regula Schwager ist Traumatherapeutin und Co-Leiterin der Beratungsstelle für sexuell ausgebeutete Kinder und Jugendliche Castagna. Sie sagte weiter, sie habe schon von Ritualen gehört, in denen Menschen geopfert würden, und habe keine Veranlassung, an Schilderungen von solchem Missbrauch zu zweifeln.

Diese Aussagen machte Schwager in einer Reportage der SRF-Sendung «Rec» über sogenannten rituell satanistischen Missbrauch, die im vergangenen Dezember für Wirbel sorgte.
-> https://youtu.be/dF7XJ5OZn44

Die Äusserungen warfen auch bei der kantonalen Opferhilfestelle Fragen zur Arbeitsweise und Professionalität der Beratungsstelle auf. Castagna ist eine von acht staatlich anerkannten Zürcher Opferberatungsstellen und erhält Staatsgelder. Die Opferhilfestelle gab bei einem externen Beratungsunternehmen einen Bericht in Auftrag. Dieser kommt nun zum Schluss: Castagnas Beratungsleistungen entsprächen «vollumfänglich den gesetzlichen Bestimmungen und kantonalen Vorgaben», wie es in einer Medienmitteilung heisst.

Kaum Hinweise auf organisierte sexualisierte Gewalt

Glauben Therapeuten an Theorien solcher organisierter, ritueller Gewalt, besteht die Gefahr, dass sie psychisch kranken Menschen einreden, sie seien Opfer solcher «satanistischer Zirkel» geworden. In der Schweiz sind schon mehrere Fälle publik geworden, in denen das geschehen sein soll.

Das Beratungsunternehmen stiess bei Castagna nicht auf solche Anzeichen. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Beratenden ihre Klientinnen und Klienten in eine gewisse Richtung lenken oder beeinflussen würden. Die externen Revisorinnen und Revisoren sichteten Unterlagen und Dossiers und führten Interviews. Castagna bearbeitet im Jahr rund 1300 Dossiers. In ungefähr 30 davon geht es gemäss dem Bericht auch um organisierte sexualisierte Gewalt. Das Wort «satanistisch» habe in keinem Dossier gestanden. In zwei Fällen ging es um Aspekte, die man mit «rituell» beschreiben könne.

Die Beratenden würden aber «sehr sorgfältig arbeiten» und die Fälle würden immer im Team besprochen. Dabei gelte «konsequent das Mehraugenprinzip».

Das externe Beratungsunternehmen hat allerdings nur die konkrete Arbeit untersucht, nicht die in der SRF-Reportage gemachten Aussagen der Co-Leiterin von Castagna. Dazu könne man sich nicht äussern, sagt die Leiterin der kantonalen Opferhilfestelle auf Anfrage.

Auch Castagna selbst äussert sich heute nicht mehr zu den Aussagen in der Sendung. Im Nachgang zur Sendung hatte Schwager gesagt, ihre Aussagen seien von SRF aus dem Zusammenhang gerissen worden. Die Ombudsstelle untersuchte die Reportage im Nachgang und beurteilte sie als «mehrheitlich korrekt».

Zur nun veröffentlichten Untersuchung des Beratungsunternehmens sagt Castagna: «Wir sind über das Resultat sehr erfreut.» Der Bericht zeige deutlich auf, dass die erbrachten Beratungsleistungen «vollumfänglich den gesetzlichen Bestimmungen und kantonalen Vorgaben entsprechen».

Umstrittene Auftritte von Polizeikadern

Regula Schwager war nicht die einzige Expertin, die in der SRF-Reportage umstrittene Aussagen gemacht hatte. So äusserte sich etwa auch der Leiter der Fachgruppe der Stadtpolizei Zürich, Thomas Werner, zum Thema der satanistischen Gewalt: «Es gibt für mich leider keinen Grund, zu vermuten, dass solche Schilderungen nicht stimmen sollten.»

Werner war auch schon in einem Propagandafilm aus dem Jahr 2014 des Vereins Cara aufgetreten, der solche Verschwörungstheorien verbreitet. Die Stadtpolizei sagte im Nachgang zu diesem Auftritt: «Das war ein Fehler.» Ausserdem distanzierte sie sich vom Verein Cara.

Im vergangenen April zeigten Recherchen dieser Zeitung, dass auch ein Team der Stadtpolizei Winterthur Informationsveranstaltungen des Vereins Cara besucht hatte. Die Leiterin der Fachstelle Häusliche Gewalt wird auch in einem Propagandabuch von Cara zu diesen Veranstaltungen befragt: «Dadurch wurde ich sensibilisiert und begann, damit zu rechnen, dass sich auch Opfer aus diesem Bereich melden werden», wird sie zitiert.
(https://www.tagesanzeiger.ch/kanton-entlastet-opferberatungsstelle-castagna-251525005750)


+++HISTORY
Ehemalige Heimkinder unterstützen Betroffene
Jugendliche, die im Heim oder einer Pflegefamilie aufwachsen sind mit 18 Jahren auf sich allein gestellt. Das ist schwierig. Denn die Herausforderungen sind zahlreich, mit Ausbildung, Wohnung, Finanzen. Im Careleaver Netzwerk Basel wollen ehemalige Heimkinder andere Betroffene unterstützen. Auch die Forschung und Politik kümmert sich neuerdings um die ehemaligen Heim- und Pflegekinder. Das Ziel: mehr Chancengerechtigkeit für diese jungen Menschen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/ehemalige-heimkinder-unterstuetzen-betroffene?partId=12234252