Rassistischer Mord in Italien, Abschiebung nach Griechenland, Don’t forget Afghanistan

In Civitanova (Italien) gedenken Menschen Alika Ogorchukwu, der durch einen rassistisch motivierten Mord sein Leben verlor.
In Civitanova (Italien) gedenken Menschen Alika Ogorchukwu, der durch einen rassistisch motivierten Mord sein Leben verlor.

Was ist neu?

Alika Ogorchukwu wird in Italien öffentlich ermordet
Am 29. Juli wurde Alika Ogorchukwu in der italienischen Stadt Civitanova Marche in einer belebten Einkaufsstrasse am hellichten Tag ermordet. Umstehende Menschen haben die Tat gefilmt, sind aber nicht eingeschritten. Die Polizei will keine rassistische Motivation sehen, der Täter hätte sich lediglich durch das Anbieten von Waren gestört gefühlt.
 
Der ermordete Alika Ogorchukwu lebte mit Frau und Kind in der Nähe von Civitanova.
Der ermordete Alika Ogorchukwu lebte mit Frau und Kind in der Nähe von Civitanova.
Der 39-jährige Alika Ogorchukwu aus Nigeria bot am Tag seines Todes wie so oft Waren in der Einkaufsstrasse von Civitanova Marche an. Dabei sprach er auch den Täter und seine Partnerin an und bot ihnen Papiertaschentücher und Feuerzeuge zum Kauf an. Dieser regte sich darüber auf und entriss Alika Ogorchukwu dessen Krücke, mit der er dann auf ihn einschlug. Als er sein Opfer zu Boden geschlagen hatte, kniete er auf dessen Brustkorb, würgte und prügelte ihn minutenlang mit blossen Fäusten, bis der Wehrlose tot war. Der Täter nahm dem Mann danach noch seelenruhig sein Handy ab und lief davon. Das alles wurde von zahlreichen Passant*innen gefilmt. Die Videos sind im Internet öffentlich zu sehen. Aber eingegriffen hat niemand. Auf einem der Videos ist zu hören, wie eine umstehende Person ruft: „Hör auf! Du bringst ihn um!“ Die Gleichgültigkeit, mit der hier einem rassistischen Mord zugeschaut wird, ist die gleiche, mit der das Sterben auf dem Mittelmeer und den tausenden Toten an den europäischen Grenzen hingenommen wird. Die heuchlerische Betroffenheit aller Politiker*innen, die sich gerade im Wahlkampf befinden, ist zum Kotzen. Ist es doch ihre Rhetorik und Politik, die die Abwertung von nicht-weissen Menschen täglich manifestiert und die Grundlage für diese Tat gelegt hat.

Irgendjemand hat auch die Polizei gerufen. Diese ist wohl auch in Italien auf dem rechten Auge blind und sieht in einem grundlosen Mord an einem Migranten durch einen Italiener keine Anzeichen für einen rassistischen Tathintergrund. Er hätte halt überreagiert. Der Mann wurde kurz nach der Tat festgenommen. Die Leiche von Alika Ogorchukwu lag hingegen noch stundenlang auf der Strasse, wo seine Frau Charity Oriachi über sie wachte. Gegenüber den Medien sagte sie: “Ich will diesem Mann in die Augen sehen, ich will ihn fragen, warum er das getan hat, warum er meinen Mann getötet hat”.
An der Gedenkkundgebung der nigerianischen Community beschrieben viele den Alltagsrassismus, den sie erleben. Wie gering die Anteilnahme der italienischen Bevölkerung am Mord ist, zeigte sich auch daran, dass fast nur Afrikaner*innen an der Veranstaltung teilnahmen. Viele befürchten auch, dass der Täter als unzurechnungsfähig eingestuft wird, da er früher in psychiatrischer Behandlung war, und dadurch mit einer geringen Strafe davonkommt.

Viele Menschen aus Subsahara-Afrika müssen sich in Italien mit Strassenhandel oder Betteln über Wasser halten. Armut ist nirgends gern gesehen, das kennen wir auch aus der Schweiz. Mit den Problemen der anderen wollen viele nichts zu tun haben. Dieser Mord ist klar rassistisch, klassistisch und ableistisch. Er ist kein Einzelfall. Nur wenige Stunden nach dem Mord wurde im 25km entfernten Recanati ein 22-jähriger Mann aus Marrocco von einem Italiener niedergestochen. Vorausgegangen war ein Streit zwischen den beiden. Scheinbar hatte sich der nahe wohnende Täter grundsätzlich daran gestört, dass nachts Menschen auf der Strasse waren, und den Mann angegriffen, als er nachts im Stadtzentrum unterwegs war und einige Jugendliche lachen sah. Wie beim Mord in Civitanova fand der Angriff auf offener Strasse im Stadtzentrum nach einem Streit aus nichtigen Gründen statt. In beiden Fällen waren die Opfer Migranten, die Angreifer Italiener. In Recanati griff jedoch ein Barmann, der in der Nähe war, ein. Er stoppte den Angriff, indem er den Täter entwaffnete und rettete damit vermutlich das Leben des 22-Jährigen. Dieser wurde in lebensbedrohlichen Zustand ins Krankenhaus gebracht und musste operiert werden. Der Angreifer wurde kurz nach der Tat mit dem Vorwurf des versuchten Mordes aus niederen Beweggründen und des illegalen Tragens einer Stichwaffe festgenommen.
Welche Urteile auch immer die Justiz über diese Fälle führt, sie werden nichts wieder gut machen. Die Grundlagen für rassistische Taten müssen bekämpft werden: Von der individuellen Auseinandersetzung mit rassistischer Prägung im Kleinen bis zur menschenfeindlichen (Migrations-) Politik im Grossen. 

Was ist aufgefallen?

Abschiebung von Geflüchteten von München nach Athen

Am 26.07.2022 fand ein Abschiebeflug von München nach Athen statt, welcher darauf hinzuweisen scheint, dass die vor drei Monaten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) proklamierte „Wiederaufnahme von Entscheidungstätigkeiten“ keinen tatsächlichen Wandel bezüglich der vorherrschenden Verhältnisse innerhalb des Dublin-Verfahrens darzustellen vermag.

Protest gegen Abschiebungen an der Unteilbar-Demo 2021 in Berlin.
Protest gegen Abschiebungen an der Unteilbar-Demo 2021 in Berlin.

Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Menschen, welche aufgrund der Instrumentalisierung der Corona-Pandemie seit mehr als einem Jahr auf eine Bearbeitung ihres in Deutschland gestellten Asylantrags warten, nun wieder aus Deutschland abgeschoben werden können und dies auch werden. Zu den Schutzsuchenden, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, zählen auch Menschen, welchen in Griechenland bereits ein anerkannter Fluchtstatus zugesprochen wurde. Seit mehreren Jahren weisen PRO ASYL und das Team von »Refugee Support Aegean« (RSA) vehement darauf hin, dass der Schutz für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland nicht gewährleistet ist.

Laut den PRO ASYL vorliegenden Informationen wurde die Ausschaffung in einer vom Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführung (LfAR) organisierten Maschine durchgeführt und betraf vier schutzsuchende Personen aus dem Jemen, Syrien und Palästina. Im komplexen Gefüge des Dublin-Verfahrens und dessen recht- oder unrechtmässigen Vollzugs scheint die besagte Abschiebung ein alarmierender Testlauf zu sein, in welchem weiterhin gewalt-normalisierende Bedingungen geschaffen werden, um Menschen in Länder abzuschieben, in welchen sie systematischen Grundrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Trotz der heuchlerischen Zugeständnisse seitens des BAMF wird die dramatische Lage von Schutzsuchenden in Griechenland bewusst verharmlost.

Die Situation für Menschen mit anerkanntem Flüchtlingsstatus in Griechenland ist und bleibt dramatisch. Weil ihnen vom Staat jegliche Unterstützung systematisch verwehrt wird, fängt für sie ab dem Zeitpunkt der sogenannten Anerkennung -sollte dies davor noch nicht der Fall gewesen sein- ein Kampf ums nackte Überleben an. Mehrere Rechtsprechungen bestätigen diese Tatsache. Im Dickicht der gegenseitigen Schuldzuweisungen häufen sich jedoch die Widersprüche.

Zum einen haben zwei Oberverwaltungsgerichte eindeutig entschieden, dass in Griechenland anerkannte Schutzberechtigte aufgrund der Tatsache, dass ihnen dort nicht einmal die elementarsten Bedürfnisse befriedigt werden können, nicht zurückgeschickt werden dürfen. Dieses Urteil gelte selbst dann, wenn die Schutzsuchenden alleinstehend, gesund und arbeitsfähig sind. Ausserdem hat der EU-Generalanwalt erst kürzlich entschieden, dass die Aussetzung unzähliger Dublin-Verfahren aufgrund der Corona-Pandemie rechtswidrig war.* Die vollzogene Ausschaffung widerspricht diesen Tatsachen auf mehreren Ebenen: Im Ablehnungsbescheid eines Betroffenen heisst es beispielsweise, dass die Lebensbedingungen von international schutzberechtigten Personen in Griechenland ausreichend seien und dass sich die Lage zu den vorherigen Jahren insgesamt verbessert hätte.

Die systematische Entrechtung und Verelendung von Schutzsuchenden in Ländern wie etwa Griechenland ist ein Instrument, welches konstitutiv an der Produktion und Aufrechterhaltung des europäischen Grenzregimes mitwirkt. Rassismen und deren Strukturprinzipien als gesellschaftliches Machtverhältnis zu definieren, bedeutet, den Umstand zu benennen, dass die Gesellschaft auf Rassismus aufbaut und – um aktuell zu funktionieren – daher darauf angewiesen ist.

Die in den Strukturprinzipien verfestigten Praxen verfügen über eine tief verankerte Hegemonie. Politische Praxen, welche darauf aufbauen, werden strukturell privilegiert, affirmieren und reproduzieren sich zugleich. Es vollzieht sich ein de-politisierender Prozess der Verstetigung sozialer Praxen zu gesellschaftlichen Strukturen, indem der offene und kontingente Charakter dieses Prozesses schrittweise in Vergessenheit gerät. Auf Dauer angewandte Praxen werden nicht mehr hinterfragt und gelten als schlicht alternativlos. Juristische Teilerfolge sind als Teil des Widerstands unverzichtbar, jedoch sind sie alleine nicht im Stande der kruden Systematik die Grundlage für ihr Operieren zu entziehen. Moderne Herrschaft ist immer auf Legitimation angewiesen und beruht infolgedessen auf Massenloyalität und Konsens.

Wenn Strukturprinzipien zu Organisationsprinzipien gesellschaftlicher Totalität werden, bilden sich Mechanismen aus, die jeglichen Verweis auf ihre gesellschaftliche Konstruiertheit tilgen. Das Festhalten an Kategorien wie legal und illegal, schutzbedürftig oder nicht, entspricht exakt jenen scheinbar evidenten Grössen, welche einem tatsächlich revolutionären Wandel diametral entgegenstehen. Daher müssen wir allen Formen der Verfestigung, Naturalisierung und Normalisierung von Gewalt entschlossen entgegentreten. Ob im Gericht, am familiären Sonntagsbrunch oder auf der Strasse: Wenn Unrecht zu Recht wird, wird vielfältiger Widerstand zur Pflicht!

* Wenn die zuständigen Behörden innerhalb von sechs Monaten keine Abschiebung durchführen, wird der aktuelle Aufenthaltsstaat für die Personen verantwortlich. Während des ersten Lockdowns 2020 wurde diese Frist in Deutschland pausiert und fing nach der Pausierung wieder von neuem an. Eine zermürbende Praxis für die Betroffenen. Und rechtswidrig!

https://www.proasyl.de/pressemitteilung/pro-asyl-und-bayerischer-fluechtlingsrat-gefaehrlicher-und-schaebiger-testlauf/
https://www.proasyl.de/news/bett-brot-seife-ein-ferner-traum-fuer-fluechtlinge-in-griechenland/?vgo_ee=F5SFoHV9fYaWYQD3EzknA5Mq9%2FijNC4HvKea94OQk18%3D
https://www.proasyl.de/news/eu-generalanwalt-aussetzung-von-dublin-verfahren-wegen-corona-pandemie-war-rechtswidrig/

Anschläge auf Asylunterkünfte – vor dreissig Jahren wie auch heute kaum aufgearbeitet
Vor über dreissig Jahren wurde in Saarlouis in Deutschland ein Brandanschlag auf eine Asylunterkunft verübt. Dabei wurde einer der Bewohnenden – Samuel Yeboah – getötet. Dass es sich hierbei um eine rassistisch motivierte Tat handelt, ist wohl kaum auszuschliessen. Warum sonst sollte ein Person eine Asylunterkunft anzünden? Die Strafverfolgungsbehörden waren damals wie auch heute nicht motiviert, den Fall adäquat aufzuarbeiten, was dazu führte, dass bis heute keine Person für den Brandanschlag verurteilt wurde. Erst jetzt, dreissig Jahre später, wurde eine Person aus der damaligen Skinheadszene angeklagt.
 
Samuel Yeboah starb vor 30 Jahren bei einem Brandanschlag auf eine Asylunterkunft.
Samuel Yeboah starb vor 30 Jahren bei einem Brandanschlag auf eine Asylunterkunft.
Angeklagt ist Peter Werner S. nun wegen Mordes und versuchten Mordes in 20 Fällen sowie Brandstiftung mit Todesfolge. Laut Anklage soll Peter Werner S. in der Nacht auf den 19. September 1991 zur Asylunterkunft im ehemaligen Hotel »Weißes Rößl« gegangen sein, um einen Anschlag zu begehen. Im Erdgeschoss habe er Benzin auf eine Holztreppe ausgegossen und angezündet. Innerhalb kürzester Zeit habe sich das Feuer über das Treppenhaus ausgebreitet – und im Dachgeschoss Samuel Yeboah erfasst, der schwerste Verbrennungen und eine Rauchvergiftung erlitt. Wenige Stunden später starb er im Krankenhaus. Bereits unmittelbar nach dem Anschlag war der Verdacht aufgekommen, dass die örtliche Skinheadszene etwas mit dem Mord zu tun haben könnte. Doch nach wenigen, oberflächlichen Befragungen von Neonazis schlossen die saarländischen Ermittler damals eine Tatbeteiligung aus. Im Sommer 1992 stellte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken das Verfahren vorläufig ein.
Leider ist der Fall von Samuel Yeboah bei Weitem kein Einzelfall. Die Zahlen zu rassistisch motivierten Gewalttaten und Anschlägen auf asylsuchende Personen schockieren. 2015 gab es 1’077 Angriffe auf Asylunterkünfte, 2016 waren es 1’578 und 2017 1’387. Tätliche Angriffe auf Einzelpersonen gab es im gleichen Zeitraum zwischen 200 und 380 pro Jahr. (In diesem Wiki-Artikel gibt es seit 1990 Jahreslisten mit den Angriffen auf asylsuchende Personen. Die Zahlen stammen unter anderem von der Amadeu Antonio Stiftung und vom Bundeskriminalamt.)

Menschen, die nach Europa fliehen, erleben also nicht nur die staatliche Gewalt von Illegalisierung, Kriminalisierung und Diskriminierung, sondern auch ein hohes Mass an rassistischer Gewalt durch Menschen aus rechtsradikalen Strukturen. Und diese Gewalt endet oft tödlich. Für die Schweiz gibt es leider keine vergleichbaren Zahlen, doch auch hier gibt es zahlreiche Angriffe auf Geflüchtete oder Anschläge auf deren Unterkünfte: 2015 wurde im Keller einer Asylunterkunft in Dietikon ein Brand gelegt. Im November 2014 gab es in Vernier im Kanton Genf einen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft. Eine Person starb durch den absichtlich gelegten Brand, 40 Personen wurden verletzt. Im Juli 2012 zündeten Unbekannte ein Asylzentrum in Landquart an. Zwei von fünf Containern brannten vollständig aus. Die Bewohnenden waren zum Glück abwesend. Gemäss der Datenbank der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) wurde seit der Jahrtausendwende etwa ein Anschlag pro Jahr auf eine Asylunterkunft verübt, wobei nur schwerwiegende Fälle und keine Bagatelldelikte aufgeführt sind. Eingesetzt wurden Benzin, Molotowcocktails und Sprengstoff. Und auch hier werden die Gewalttaten sehr selten aufgearbeitet, es gibt kaum Verurteilungen.

Die Gewalt von Neonazis und anderen rechten Menschen gegenüber Geflüchteten ist immens. Und offensichtlich können wir die Aufarbeitung dieser Gewalttaten und den Schutz von geflüchteten Menschen nicht den staatlichen Behörden überlassen. Es braucht also alternative Strukturen, die geflüchtete Menschen vor den tagtäglichen Übergriffen und Angriffen schützen und die Vorfälle dokumentieren und aufarbeiten.  

Was nun?

Don’t forget Afghanistan: Was ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban dringend bleibt
Am 15. August jährt sich die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Die Not der Menschen, die das Land noch nicht verlassen konnten, ist mit dem Krieg in der Ukraine schnell in den Hintergrund gerückt. Dabei bleibt es dringend, zu handeln.
 
2017 starten Feministinnen das erste Hochglanzmagazin in Afghanistan für Frauen. Dass viele ihrer Themen ihnen und den Leserinnen im muslimisch-konservativen Land gefährlich werden können, kümmert sie damals nicht sehr.
2017 starten Feministinnen das erste Hochglanzmagazin in Afghanistan für Frauen. Dass viele ihrer Themen ihnen und den Leserinnen im muslimisch-konservativen Land gefährlich werden können, kümmert sie damals nicht sehr.
Die Liste der Probleme für Menschen in Afghanistan ist lang. Seit der Machtübernahme der Taliban hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert, viele leiden an Hunger, die Sicherheitslage ist prekär, es fehlt an medizinischer Versorgung, die Menschenrechtslage ist verheerend.
Die Ernährungslage hat sich drastisch verschärft. Viele Menschen haben ihre Jobs verloren und können sich zu wenige Lebensmittel leisten. Hinzu kommen wiederkehrende Dürren, Sturzfluten, die Corona-Pandemie, und zuletzt auch das schwere Erdbeben im Juni, bei dem mindestens 920 Menschen ums Leben kamen und unzählige Häuser zerstört wurden. Auch der Krieg in der Ukraine hat sich auf die Lebensmittelversorgung ausgewirkt. So sind beispielsweise weniger Weizen und Brot verfügbar, vieles ist teurer geworden. 18,5 Millionen Menschen in Afghanistan sind akut von Hunger bedroht, die internationalen Hilfen erreichen aber nur 10 Millionen. Für zehntausende Menschen ist der Hunger lebensbedrohlich.
 
Ein UNO-Bericht zur Menschenrechtslage in Afghanistan vom Juli ’22 dokumentiert seit der Machtübernahme der Taliban 237 Tötungen im Stil von Exekutionen, mehrere hundert Fälle «willkürlicher Verhaftungen» oder Festhaltens ohne Kontakt zur Aussenwelt, 185 Fälle von Folter und Misshandlung – darunter an Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen, 118 Fälle exzessiver Gewalt durch Taliban-Polizei und 217 Fälle «grausamer, inhumaner oder erniedrigender Bestrafung», meist für Vergehen gegen Taliban-Moralvorstellungen.
 
Die Rechte von Millionen Frauen und Mädchen auf Bildung, Arbeit und Freizügigkeit wurden immer stärker eingeschränkt. So dürfen sie sich nur noch vollverschleiert in der Öffentlichkeit zeigen, nicht mehr zur Schule gehen, viele Arbeiten nicht mehr ausüben, keinen Führerschein mehr erwerben, nicht mehr ohne Erlaubnis eines männlichen Vormunds entscheiden. Frauen, die friedlich gegen diese repressiven Regeln protestiert haben, wurden bedroht, festgenommen, inhaftiert und gefoltert. Die Anzahl der Kinderehen, Früh- und Zwangsverheiratungen steigen aufgrund der wirtschaftlichen und humanitären Krise, der fehlenden Bildungs- und Berufschancen für Frauen und Mädchen, aufgrund familiären Drucks zur Heirat mit Taliban-Mitgliedern oder des Drucks von Taliban-Angehörigen auf Frauen und Mädchen, sie zu heiraten, immer weiter an.
 
Weil es kaum möglich ist, im Land zu (über-) leben, begeben sich tausende Menschen auf die Flucht. Auch dabei erleben sie täglich Menschenrechtsverletzungen. Ob in den Nachbarländern Afghanistans, der Türkei, den griechischen Inseln, auf der Balkanroute oder anderen Grenzen der EU, sowie nach dem Ankommen und bei der Beantragung von Asyl: Afghan*innen werden misshandelt, missbraucht, gepushbackt, geschlagen, vergewaltigt, rassistisch beleidigt und sogar umgebracht.
 
Sichere Fluchtwege aus dem Land sind rar. Noch immer warten tausende Ortskräfte und ihre Angehörigen, die vor der Machtübernahme mit ausländischen Organisationen zusammengearbeitet haben, auf ihre Evakuierung. So liess beispielsweise die deutsche Bundeswehr bei ihrem schnellen Rückzug aus dem Land tausende Ortskräfte und Schutzbedürftige zurück. Diese hatten in den Jahren der westlichen Militärpräsenz etwa als Übersetzer*innen für die westlichen Truppen gearbeitet und werden nun verfolgt oder sind bereits von den Taliban ermordet worden. Kürzlich hat die deutsche Bundesregierung verkündet, nun rund drei Viertel aller Ortskräfte, das sind knapp 17’000 Menschen, evakuiert zu haben. Allerdings bezieht sich diese Zahl nur auf die erteilten Aufnahmezusagen. Viele der ehemaligen Ortskräfte haben auch fast ein Jahr nach dem Abzug der Deutschen noch keine Aufnahmezusage erhalten.
 
Ähnlich sieht es in Italien aus: Durch einen humanitären Korridor wurden am 27. Juli rund 230 afghanische Personen, die sich seit August letzten Jahres in Pakistan aufhielten, nach Italien ausgeflogen. Diese Evakuierung wurde bereits am 4. November 2021 vom italienischen Staat beschlossen und nun gemeinsam mit nicht-staatlichen Verbänden durchgeführt. Trotz der Verschlechterung der Menschenrechtslage in Afghanistan wartet noch immer ein Grossteil der 1’200 Afghan*innen auf die versprochene Ausreise nach Italien.
 
Auf eine aktuelle Stellungnahme des SEM zur Aufnahme aus Afghanistan lässt sich warten. Noch immer erhalten viele Afghan*innen, die es in die Schweiz geschafft haben, keinen Flüchtlingsstatus, sondern müssen mit einer vorläufigen Aufnahme leben. Das heisst, dass ihnen das Aufenthaltsrecht wieder entzogen werden kann, wenn sich die Lage in Afghanistan aus Sicht der Schweizer Asylbehörden verbessert. Was man von dieser Einschätzung halten kann, zeigt sich an den Ausschaffungen nach Afghanistan, die noch bis kurz vor der Machtübernahme der Taliban durchgezogen wurden.
 
Da die Evakuierungen auf sich warten lassen und keine sicheren Fluchtrouten ermöglicht werden, nutzen Menschen lebensgefährliche Optionen, um sich in Sicherheit zu bringen. So machten sich am Dienstag am Grenzübergang Thayngen SH zwei stark dehydrierte Männer aus Afghanistan in einem Lastwagenanhänger bemerkbar. Schon oft ist dies tödlich geendet.
Zum Jahrestag der Machtübernahme der Taliban wiederholt das Bündnis #Don’tForgetAfghanistan seine Forderungen unter anderem nach sicheren Aufenthaltstiteln für Menschen aus Afghanistan, nach der Evakuierung der hinterlassenen Ortskräfte sowie aller gefährdeten Personen und ihrer Familienangehörigen sowie nach Verantwortungsübernahme gegenüber der Hungersnotkrise in Afghanistan. Es fordert weiterhin, das Taliban-Regime weder anzuerkennen noch finanziell mit ihm zu kooperieren und sichere Fluchtwege unter Einbeziehung der Nachbarländer zu schaffen.
 
In Bern findet am 15. August ab 16:00 Uhr eine Kundgebung auf dem Bundesplatz statt. In Luzern ist ein Demonstration am 18. August geplant mit Besammlung ab 19:15 Uhr auf dem Schwanenplatz. Sorgen wir darüber hinaus vielerorts für Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und üben Druck auf das SEM aus.
 
 

Was schreiben andere?

Gewalt in den Bundesasyllagern und die Ablenkungsstrategie des SEM

Stellungnahme von 3 Rosen gegen Grenzen zu den Untersuchungsergebnissen vom 02.08.2022

“Im Frühling 2021 startete das Staatssekretariat für Migration (SEM) eine Medienoffensive gegen Aktivist*innen, die sich im Raum Basel gegen das Asylregime des SEM stellen. Der Zeitpunkt war nicht zufällig: Nur Tage später war die Veröffentlichung erneuter brisanter Recherchen von WOZ, SRF und RTS geplant. Erneut ging es um die Gewaltübergriffe durch das Sicherheitspersonal an Asylsuchenden in Schweizer Bundesasyllagern und die Vertuschung dieser Gewalt durch die zuständigen Behörden.

Ein Jahr später ist sogar den Untersuchungsbehörden klar, dass diese Medienoffensive eine Verleumdung- und Ablenkungsstrategie des SEM war. Die Anschuldigungen und angeblichen Beweise des SEM haben sich in Luft aufgelöst. Artikel in der Republik (1.7.2022) sowie auf Barrikade (4.7.2022) arbeiten die Ermittlungen auf. Was aber war, ist und bleibt ist die systematische Gewalt an den Asylsuchenden in den Asylstrukturen der Schweiz. Angesichts der gross angelegten Ablenkungskampagne des SEM von letztem Frühjahr erstaunt es auch nicht, dass das SEM diese Gewalt sowie viele andere Missstände im Asylregime seit Jahren erfolgreich decken kann.

Aber das SEM hat mit dieser Strategie zwischenzeitlich sein Ziel erreicht. Der Grossteil der Medien haben die Geschichte des SEM unhinterfragt wiedergegeben – die Gewalt an den Asylsuchenden rückte in den Hintergrund.

Asylsuchende berichten seit Jahren öffentlich von Übergriffen auf sie, machen Aussagen, Anzeigen, sammeln Spitalberichte und versuchen mit Fotos und Videos (die sie in den Lagern nicht machen dürfen) die Gewalt zu dokumentieren. Aufgrund von Vorverurteilungen und rassistische Medienstrukturen glaubt die Öffentlichkeit ihnen nicht oder interessiert sich nicht für sie. SEM-Mitarbeitende und der SEM-Vorsteher hingegen erfahren breite Unterstützung und Rückendeckung, sogar wenn sie physische Gewalt decken und Verleumdungskampagnen aufziehen. Dagegen müssen und werden wir uns weiterhin solidarisch, entschlossen und vereint stellen.

Die Einstellung der Ermittlungen ist dem SEM nun keine Medienmitteilung mehr wert. Ihr Ziel hatten sie damals schon erreicht. Wir verlangen aber von den Medien, die im Frühling 2021 aus ungeprüften Aussagen Vorwürfe von Tierquälerei und anderem fabrizierten, ihre Berichterstattung kritisch zu hinterfragen und richtig zu stellen.

Das Schweizer Asylregime ist unmenschlich und brutal – psychisch wie physisch. Arbeiten wir weiterhin an dessen Abschaffung und für ein würdiges und freies Leben für alle! Schutzstatus S für alle Geflüchteten!”

https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=pfbid03gwfBsCqCzR2ZSmVz2EP5WEhGKqP72dae1gsNciLQmMVFM2XzR26ppRFKtdMdHfVl&id=100063625713191

Bericht vom Pangeakollektiv zur drohenden Ausschaffung der Familie Adıyaman vom 30. Juli 2022

Die Schweiz bereitet sich darauf vor, eine schwangere Frau mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern, von denen eines autistisch ist, abzuschieben.

Familie Adıyaman droht die Abschiebung - doch der Widerstand formiert sich.
Familie Adıyaman droht die Abschiebung – doch der Widerstand formiert sich.

Übersetzt von antira.org.

“Einer im achten Monat schwangeren Frau droht die Abschiebung nach Kroatien, obwohl ihr ein Arzt im Krankenhaus in Freiburg gesagt hat, dass sie in diesem Zustand nicht ins Flugzeug steigen könne.

Die Informationen, die wir in unserem Gespräch mit ihnen und aus den von ihnen vorgelegten Dokumenten erhielten, zeigen die zutiefst besorgniserregende Situation der Familie. Die Familie aus Mardin (Türkei) musste aus politischen Gründen aus dem Land fliehen. Die Flucht der Familie war sehr schwierig. Eine schwangere Frau und ihre Kinder mussten tagelang ungeschützt laufen, sie mussten Hunger und eisige Temperaturen erleiden und blieben ohne Nahrung und Wasser auf den Strassen zurück. Auf dem Balkan war die Familie gewaltsamen Abschiebungen ausgesetzt; viele unabhängige NGOs bestätigten ihre Schilderungen. In Kroatien wurde die schwangere Mutter wiederholt misshandelt, ebenso wie der Vater. Die Kinder wurden Zeugen der Gewalt. Laut der Familie hat sich das Verhalten ihres autistischen Kindes Demhat seit ihrer Flucht und vor allem nach den Gewalttätigkeiten in Kroatien erheblich verschlechtert.

Ungeachtet der Bedrohungen, denen die Familie sowohl in Kroatien als auch in der Türkei ausgesetzt ist, und ihrer Gefährdung durch die Abschiebung selbst, weigert sich die Schweiz, ihren Asylantrag zu prüfen, und versucht, das Dublin-Abkommen* anzuwenden, um sie nach Kroatien zurückzuschicken. Obwohl Mutter Dilan Adıyaman und Vater Sedat Adıyaman erklärt haben, dass sie in Kroatien Gewalt erlitten haben, dass Kroatien aufgrund der Zwangsrückführungen in die Türkei kein sicheres Land ist und dass sie dies nicht akzeptieren werden, ignorieren die Behörden die Einwände der Familie.

Am 25. März 2022 beantragte die Familie Adıyaman Asyl in der Schweiz und befindet sich derzeit im Bundesasylzentrum in Gouglera (Giffers) im Kanton Freiburg**. Dieses Asylzentrum, das von der Stadt abgeschnitten ist und von aussen einem Gefängnis gleicht, gelangte wegen der unwürdigen Lebensbedingungen öfters in die Medien und war Gegenstand zahlreicher Beschwerden von Asylsuchenden. Zwei Kinder, darunter ein autistisches Kind, eine schwangere Mutter und ein Vater leben mit mehreren anderen Familien in einem Raum, ohne über einen eigenen Privatbereich zu verfügen. Zusammen mit anderen Familien, die von Abschiebung bedroht sind, verbringen sie ihre Tage in der Angst, mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden gewaltsam abgeführt zu werden.

Ihrem autistischen Kind Demhat wird keine besondere Fürsorge zuteil. Eine Praxis, die den Status von Menschen mit Autismus und das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das die Schweiz 2014 ratifiziert hat, nicht respektiert. Demhats Gesundheit verschlechtert sich unter diesen Bedingungen von Tag zu Tag.

Die Familie Adıyaman macht sich unter den Bedingungen des Lagers, in dem sie sich befindet, Sorgen um ihren Sohn Demhat. Und sie befürchtet einen Abschiebungsversuch, der ihre Schwangerschaft gefährden könnte. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Schweiz für die unmenschliche Behandlung einer schwangeren geflüchteten Frau verantwortlich ist.

Am 27. Dezember 2017 wurde eine im achten Monat schwangere Frau in einem Privatflugzeug nach Italien zurückgeschickt, obwohl ihr die Ärzt*innen eines Zürcher Krankenhauses im November gesagt hatten, dass sie in ihrem Zustand nicht fliegen könne. Um vier Uhr morgens trafen Zürcher Polizist*innen in der Notunterkunft ein und führten sie und ihre einjährige Tochter ab. Die Mutter und das Kind wurden gemäss dem Dublin-Abkommen nach Italien geschickt. Die Tatsache, dass der Vater des Kindes, der Ehemann der Frau und ihre Schwester in Zürich lebten, änderte nichts an der Entscheidung der Schweiz, die um jeden Preis so viele Asylsuchende wie möglich abschieben will. Die Frau fand sich also mit ihrer einjährigen Tochter auf den Strassen Roms wieder, allein, ohne Unterstützung, ohne Familie, ohne Geld in grosser Not und musste sich um ein Kleinkind und ein Neugeborenes kümmern.

Kurz zuvor hatte es einen ähnlichen Vorfall gegeben, bei dem ein Zollbeamter der fahrlässigen Körperverletzung, des versuchten Schwangerschaftsabbruchs und wiederholter Verstösse gegen die Dienstvorschriften für schuldig befunden wurde. Während des Transports einer im siebten Monat schwangeren syrischen geflüchteten Frau zur Grenze ignorierte der Zollbeamte die Beschwerden der Frau über Schmerzen und Blutungen und überhörte ihre Bitten um Hilfe. Ihr Mann bat mehrmals um medizinische Versorgung, doch der Zollbeamte unternahm nichts. Stattdessen setzte er das Paar in einen Konvoi nach Domodossola, wo die Frau ein totes Baby gebar. Werden die Schweizer Behörden aus diesen tragischen Ereignissen keine Lehren ziehen?

Trotz solch tragischer Beispiele in der jüngeren Geschichte bestehen die Behörden auf eine Rückführungsentscheidung mit ähnlichen möglichen Folgen. Vor vier Tagen wurde die Familie von SPOMI (Amt für Bevölkerung und Migration) zu einem Gespräch vorgeladen. Man teilte ihnen mit, dass ihr Asylantrag abgelehnt worden sei, dass sie das Land verlassen müssten, dass sie gemäss dem Dublin-Abkommen nach Kroatien zurückkehren müssten, und drohte ihnen mit einer Zwangsabschiebung.

Diese Entscheidung, die uns so absurd und unverhältnismässig erscheint, ist eine Schande für die Menschlichkeit der Schweiz. Wir fordern die Schweiz auf, sich gegen die Gefährdung der Leben einer Frau und ihres ungeborenen Kindes einzusetzen. Es ist klar, dass die Grundrechte der Menschen und Kinder in dieser immer unmenschlicher werdenden Asylpolitik, die sich gegen die Verletzlichsten richtet, von geringer Bedeutung sind.

Die Familie fordert, dass die Verletzlichkeit ihres autistischen Kindes berücksichtigt wird und dass die Verletzlichkeit ihres Kindes und ihres zukünftigen Kindes berücksichtigt wird, indem eine geeignete Umgebung für ihr autistisches Kind bereitgestellt wird und der Asylantrag der Familie in der Schweiz bearbeitet wird, wie es die Dublin-Verordnung erlaubt. Damit Demhat, ihr zukünftiges Baby und sie selbst an einem geeigneten Ort leben können, an dem sie nicht wie in Guglera ständiger Angst und Unterdrückung ausgesetzt sind.

Die Familie hat ihr Land aufgrund der politischen Unterdrückung verlassen und die Schweiz erreicht und hier Asyl beantragt. Auf den Migrationsrouten haben sie verschiedene Misshandlungen, darunter Gewalt, erfahren. Ihre Forderungen sind humanitäre Forderungen.

Sie rufen alle solidarischen Organisationen dazu auf, sie bei der Einhaltung dieser humanitären Forderungen zu unterstützen.

Die migrantische Selbstorganisation PangeaKolektif und das Kollektiv Droit de Rester verfolgen den Prozess der Familie und laden andere migrantische Selbstorganisationen und solidarische Organisationen dazu ein, der Familie zur Seite zu stehen.”

*Das DUBLIN-Abkommen legt fest, welches Land für Ihr Asylverfahren zuständig ist. Wenn Ihre Dokumente wie ein Visum oder die ersten Fingerabdrücke nicht in dem Land sind, in dem Sie Asyl beantragen wollen, können Sie in das Land zurückgeschickt werden, in dem Sie die Dokumente und die Fingerabdrücke haben.

** Ausführliche Informationen über das Asylzentrum in La Gouglera (basierend auf Beobachtungen von Asylsuchenden) finden Sie unter: https://asile.ch/2018/09/18/centre-federal-de-chevrilles-asile-et-barbeles/

Nachtrag: Auf Nachfrage beim PangeaKolektif berichteten diese, dass vor wenigen Tagen der Arzt die schwangere Frau ein Dokument vom SEM ohne Dolmetscher*in oder Übersetzung unterschreiben liess. In dem unterzeichneten Dokument steht, dass die Arztperson, sobald das Baby mehr als 4 kg wiegt, einen Kaiserschnitt vor dem errechneten Entbindungstermin durchführen wird. Sie versuchen, die Geburt so schnell wie möglich zu veranlassen, um die Familie abschieben zu können.

https://pangeakolektif.org/haberler/isvicre-hamile-kadini-esi-ve-biri-otizmli-iki-cocugu-ile-birlikte-acimasizca-sinir-disi

Was steht an?

Infoveranstaltung Justice for Nzoy
17. August | 18:00 | Indu BEIZ | Unterlachenstrasse 33 | Luzern

Knapp ein Jahr nach dem rassistischen Polizeimord an Nzoy in Morges (VD) erzählen Angehörige von Nzoy und Mitglieder des Bündnis Justice4Nzoy​​​​​​​ von Nzoy, berichten über den Fall und informieren über Polizeigewalt und Racial Profiling in der Schweiz.
Anschliessend gibt es in der Indu BEIZ Fluchtsalat.

Antirassistische Demo: Gegen Polizeigewalt, Gerechtigkeit für Nzoy
3. September | 15:30 | Landesmuseum, Zürich

Das Aktionbündnis Justice4Nzoy ruft zu einer antirassistischen Demonstration am 3. September 2022 in Zürich auf. Das Bündnis fordert die Aufarbeitung des Mordes an Nzoy und wendet sich gegen die alltägliche rassistische Unterdrückung.

Am 30. August 2021 erschoss die Polizei in Morges den 37-Jährigen Nzoy aus Zürich. Polizei und Staatsanwaltschaft verharmlosen seither den Fall und sabotieren den Kampf der Angehörigen um Aufklärung der Geschehnisse. Die Tötung und der behördliche Umgang damit sind typische Beispiele von staatlichem Rassismus. Gerade im Kanton Waadt gibt es inzwischen eine ganze Reihe von ähnlichen Fällen.
Rassismus ist kein Randphänomen und auch nicht das Problem einzelner Individuen, sondern durchzieht unsere ganze Gesellschaft. People of color erleben in allen Teilen der Welt soziale Abwertung, Repression und rassistische Gewalt. Rassismus ermöglicht und legitimiert die Ermordung von Geflüchteten an den Grenzen Europas sowie koloniale Ausbeutung und ist auch eng mit patriarchaler Unterdrückung und kapitalistischer Ausbeutung verbunden.
Der Tod von Nzoy hat breiten Protest ausgelöst: seine Angehörigen kämpfen für eine juristische Aufarbeitung, in Lausanne und Zürich gab es Demonstrationen, und mehrere Kampagnen kämpfen um mehr Öffentlichkeit des Falls. Diesen Widerstand tragen wir weiter. Gehen wir am 3. September gemeinsam auf die Strasse gegen Rassismus in all seinen Formen. Unsere Demo findet auch im Namen eines antirassistischen Septembers statt: am 9./10. September gibt es im besetzten Kochareal das antifaschistische Festival Un!te, am 16./17. September die antirassistischen Aktionstage Enough auf dem ParkPlatz.
Der gemeinsame Kampf gegen Rassismus lohnt sich! Wir fordern Gerechtigkeit für Nzoy! Dem staatlichen Rassismus in all seinen Ausprägungen sagen wir den Kampf an. Wir solidarisieren uns mit den Opfern rassistischer Gewalt und mit allen antirassistischen Kämpfen weltweit!
Nzoy rest in power! Rassismus tötet! Gemeinsam gegen Rassismus!

Programm No Fides

Rassistische Polizeigewalt im Fall Oury Jalloh
Fr. 12. August 2022, 20 Uhr im Brasssäli, Quartiergasse 17, 3013 Bern (Rollstuhlgängig)
Vor 17 Jahren wird der Asysuchende Oury Jalloh in einer Einzelzelle auf dem Polizeirevier in Dessau auf brutalste Weise ermordet.
Was folgt ist eine unglaubliche Geschichte von Täter:innenschutz, Vertuschung und Repression gegen die Aktivist:innen, welche die Aufklärung des Falles fordern.
Mitglieder der „Initiative Oury Jalloh“ sprechen über ihre jahrelange Arbeit, ihre Kampagne und ihre Erfahrungen mit den gewaltausübenden Institutionen. Der Fall zeigt beispielhaft welche Funktionen Polizei und Justiz in unserem System einnehmen, wer geschützt wird und welche Personen von Polizeigewalt betroffen sind und wie sich die Institutionen selbst vor Kritik und der Konfrontation mit ihrer eigenen Gewalt zu schützen versuchen.“
https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/

Ein Blick auf die Militarisierung der EU-Aussengrenzen
Fr. 13. August 2022, 14 Uhr im Brasssäli, Quartiergasse 17, 3013 Bern (Rollstuhlgängig)
Europa führt einen Krieg gegen Migration. Doch was bedeutet das in der Praxis? Dieser Input gibt einen Blick auf die Militarisierung der Migrationsrouten rund ums Mittelmeer aus Perspektive von Alarm Phone und widerständigen Zusammenschlüssen wie NoFrontex und AbolishFrontex. Dabei zeigt ein Blick auf unterschiedliche Routen, dass dafür unterschiedliche Strategien angewendet werden. In der Ägäis, zwischen Griechenland und der Türkei entstand in den letzten Jahren ein immer öffentlicher sichtbares Gewaltregime in Form von Pushbacks und verbunden mit massiver Gewalt, ausgeführt von der griechischen Küstenwachen mit Unterstützung von Frontex und vor den Augen der Nato. Auch im zentralen Mittelmeer zwischen Libyen und Italien finden systematische Pushbacks statt. Dafür rüstet Europa unter dem Deckmantel der libyschen Küstenwache lokale Milizen auf und aus. Und im westlichen Mittelmeer wird die Kooperation mit Marokko intensiviert – das gipfelte jüngst im Massaker vor Melilla. Die Entwicklung ist verbunden mit Prozessen der Militarisierung und mit einer Brutalisierung der Debatte: Migration gilt als militärische Bedrohung, der mit Aufrüstung in Europa und weit darüber hinaus begegnet wird. Zentral dabei ist Frontex, die militarisierte Grenzschutzagentur der EU, an der auch die Schweiz beteiligt ist. Ihre Verbindungsstelle liegt in Bern, beim Bundesamt für Zoll und Grenzssicherheit. Von dort aus wird Grenzschutzpersonal entsandt, aber dorthin fliesen auch Informationen, beispielsweise durch das Frontex-Überwachungsnetzwerk Eurosur, welches mittels Drohnen, Kameras, Überwachungszeppelinen, Flugzeugen und sogar eigenen Satelliten Daten zu Migrationsbewegungen sammelt und ihre Mitgliedstaaten verteilt

Von Terrorismus und Gefährder*innen – Gegen wen richten sich die neuen Antiterrorgesetze?
Sa. 13. August 2022, 17 Uhr im Brasssäli, Quartiergasse 17, 3013 Bern (Rollstuhlgängig)
Mit «Fides» proben Armee und Polizei das Szenario einer langanhaltenden «terroristischen Bedrohung«. Die Militärübung reiht sich damit in den grassierenden Sicherheitswahn ein. Denn die Antiterrorgesetze in den USA, in Westeuropa und seit Kurzem auch in der Schweiz ermöglichen der Justiz mehr und mehr Massnahmen zur Kontrolle und Bestrafung, und bauen den Überwachungsstaat immer lückenloser aus.
Was steckt hinter den Diskursen rund um «Terrorismus» und «Gefährder:innen»? Wie sind diese Begriffe entstanden? Wen bedrohen die neuen Schweizer Antiterrorgesetze? Und welche Entwicklungen lassen sich in anderen Ländern – wie etwa der USA – beobachen, wo Antiterrorgesetze schon länger in Kraft sind?

Militär, Männlichkeit und Militanz
Sa. 13. August 2022, 20 Uhr im Brasssäli, Quartiergasse 17, 3013 Bern (Rollstuhlgängig)
Wie haben sich militarisierte Männlichkeiten herausgebildet und wie hängen diese mit militarisierten Gesellschaften und mit Nationalismus zusammen? Diesen Fragen werden wir zusammen nachgehen. Viel wichtiger jedoch soll in einem zweiten Schritt reflektiert werden, wie diese toxischen Männlichkeiten in antiautoritären Strukturen reproduziert werden. Wie äussern sich diese und was genau beinhaltet einen radikalen Bruch mit solchen Männlichkeiten? Wie kommen wir dorthin?

Demonstration gegen Polizeigewalt, Militarisierung und Überwachung
Besammlung am So. 14. August um 15 Uhr auf der Schützenmatte, Bern.
Aufruf

„Balkanroute“: Racial Profiling und Polizeigewalt gegen die soziale Bewegung der Migration
Mo. 15. August 2022, 19 Uhr im Brasssäli, Quartiergasse 17, 3013 Bern (Rollstuhlgängig)
„Wir sind hier, weil ihr dort wart“ Migration kann als eine alltägliche Praxis der Wiederaneignung gelesen werden. Gegen diese soziale Bewegung schottet sich die Festung Europa ab. Der Input bietet einen Einblick zur aktuellen Lage auf der sogenannten Balkanroute. Dort reagieren lokale Grenzpolizist*innen und Frontex mit illegaler entrechtender Grenzgewalt auf Migrant*innen. Ausgangslage für den Input ist Solidaritätsarbeit vor Ort, um die Bewegungsfreiheit aller Migrant*innen zu unterstützen.

Critical Mass (Velodemo)
Di. 16 August 2022, 19 Uhr Thunplatz, Bern
Wir nehmen uns mit unseren Velos, Rollerblades, Trottinets und sonstigen Lieblingsfahrzeugen die Strasse. Mit dem Fahrtwind in den Haaren bringen wir Leben und vielleicht ein bisschen Verkehrschaos in die Strassen des Botschaftsviertel – und drüber hinaus, schliesslich sind wir schnell und wendig.

Neues Polizeigesetz des Kanton Bern (Vortrag und Diskussion mit dem AntiRep Bern)
Mi. 17. August 2022, 19:30 Uhr Kino Reitschule, Bern
„Gefahrenabwehr“ ist in der Schweiz in erster Linie Aufgabe der Polizei. Welche Aufgaben – ausserhalb der Aufklärung von Straftaten – dies umfasst, wie diese umgesetzt werden dürfen und welche Kompetenzen die Polizei dadurch hat, ist in den kantonalen Polizeigesetzen geregelt. Mit dem neuen Polizeigesetz des Kantons Bern, welches am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, wurden diese Möglichkeiten einmal mehr ausgebaut.
Was hat sich mit dem neuen Polizeigesetz geändert? Was darf die Polizei und auf welche gesetzlichen Grundlagen kann sie sich in ihrem Handeln überhaupt berufen? Um diese Fragen geht es in diesem Überblick zum neuen Polizeigesetz.

Räuber*innen & Poli Spiel
Do. 18. August 2022, 19 Uhr Falkenplatz , Bern
Bringt lustige Gadgets für einen dynamischen Verlauf des Abends.

 

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Ein aussergewöhnlicher Todesfall
Ein Asylsuchender wird Ende 2020 mit dem Taxi ins Spital geschickt und stirbt auf dem Weg. Noch immer ist der Fall bei der Staatsanwaltschaft hängig.
https://journal-b.ch/artikel/ein-aussergewoehnlicher-todesfall/

An der Grenze der Legalität
Eine Gruppe Jemeniten überquert die deutsch-polnische Grenze und möchte Asyl beantragen. Doch was tut die Bundespolizei? Schickt sie zurück.
https://taz.de/Zurueckgewiesene-Gefluechtete-in-Goerlitz/!5871254/

Die Jägerin
Immer wieder erreichen die Moderatorin Meron Estefanos Hilferufe: Flüchtlinge, die in Foltercamps in Nordafrika festgehalten werden. Die Eritreerin beschließt, selbst Jagd auf die Täter zu machen.
https://www.ndr.de/nachrichten/info/sendungen/das_feature/diejaegerin,diejaegerin102.html
 
»Das Klima ist kriegerisch«
Die Aktivistin Helena Maleno über die Abschottungspolitik der Europäischen Union
Fünf Wochen sind seit dem Massaker an den Grenzzäunen von Melilla vergangen. Die Menschenrechtsaktivistin Helena Maleno übt heftige Kritik am Vorgehen Spaniens, Marokkos und der EU im Allgemeinen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165773.eu-migrationspolitik-das-klima-ist-kriegerisch.html
 
Tödliche spanisch-marokkanische Flüchtlingspolitik
Bericht sieht Massaker an den Grenzzäunen zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla als den deutlichsten Ausdruck einer »Normalisierung des Todes«
Ein Bericht einer Nichtregierungsorganisation zeigt, wie brutal an der afrikanischen EU-Außengrenze gegen Migranten vorgegangen wird. Es ist von einer »Normalisierung des Todes« die Rede.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165771.eu-migrationspolitik-toedliche-spanisch-marokkanische-fluechtlingspolitik.html
 
Das Sonnenblumenhaus
Hörspiel von Dan Thy Nguyen verarbeitet die Sicht der Überlebenden des rassistische Pogroms.
https://www.rosalux.de/news/id/43068/das-sonnenblumenhaus