Medienspiegel 26. Juli 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++GRAUBÜNDEN
Wie der Kanton Graubünden mit Kulturvermittler:innen Brücken schlägt zwischen Einheimischen und Geflüchteten: eine weitere Folge in der Regionaljournal-Sommerserie über Brücken und Gräben. (ab 09:53)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/freiburg-foerdert-spielerisch-verstaendnis-fuer-nachhaltigkeit?id=12228397


+++LUZERN
Caritas gibt Rabatt für Brocki-Einkauf: In Luzern kommen Flüchtlinge günstiger an Möbel
Seit der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg sind deutlich mehr Menschen in der Zentralschweiz auf günstiges Essen, Möbel und Haushaltsartikel angewiesen. Die Caritas Luzern reagiert – und gewährt Armutsbetroffenen künftig einen festen Rabatt in den Secondhandläden.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/in-luzern-kommen-fluechtlinge-guenstiger-an-moebel-2415977/


+++SOLOTHURN
Zahlreiche ukrainische Flüchtlinge sind bereits wieder abgereist, zum Teil ohne Abmeldung. (ab 08:14)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/neues-naturschutzgebiet-in-mellikon-am-rhein?id=12228337


+++SCHWEIZ
Neue Informationsplattform für Flüchtlinge gestartet
Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) hat eine Online-Informationsplattform für Menschen aus der Ukraine lanciert. Ein von Freiwilligen moderierter Telegram-Chat liefert zudem Antworten auf Fragen, auf die die Website keine Antwort gibt.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/201696/


Schweizer Hotels sind keine Flüchtlingsunterkünfte mehr: Nach den Ukrainern ziehen wieder Touristen ein
Hunderte Hoteliers stellten im Frühling ihre Betten für Ukraine-Flüchtlinge zur Verfügung – meist kostenlos. Nun, in den Sommerferien, sind die Zimmer wieder durch Touristen belegt. Die Flüchtlinge wurden umplatziert. Das war nicht immer leicht.
https://www.blick.ch/wirtschaft/schweizer-hotels-sind-keine-fluechtlingsunterkuenfte-mehr-nach-den-ukrainern-ziehen-wieder-touristen-ein-id17693944.html


+++ITALIEN
Geheimsache Grenzüberwachung: Italien schränkt Informationsfreiheit drastisch ein
Italienische Medien erhalten keine Auskunft mehr zur Zusammenarbeit ihres Landes mit der libyschen Küstenwache. Ob dort viele Millionen Euro für Ausrüstung versandet sind, kann jetzt kaum noch aufgeklärt werden. Auch die EU-Grenzagentur Frontex wird dadurch intransparenter.
https://netzpolitik.org/2022/geheimsache-grenzueberwachung-italien-schraenkt-informationsfreiheit-drastisch-ein/


Notstand in Lampedusa
Hunderte Asylsuchende erreichen täglich Mittelmeerinsel: Rechte Parteien machen Stimmung im Wahlkampf
https://www.jungewelt.de/artikel/431303.eu-grenzregime-notstand-in-lampedusa.html


Abschiebehaft in Pian del Lago: weitere Proteste und Schlägereien
Die Situation der sich in Abschiebehaft befindenden Personen im CPR* von Pian del Lago verschlechtert sich weiter. Nach Berichten über Schlägereien und mangelnde Unterstützung, die das Aktivist*innennetzwerk in den letzten Wochen erhalten hat, stattete die Abgeordnete Simona Suriano dem Zentrum am 30. Juni 2022 einen Kontrollbesuch ab.
https://www.borderlinesicilia.it/de/news/abschiebehaft-in-pian-del-lago-weitere-proteste-und-schlaegereien/


+++MITTELMEER
Wieder mehr Flüchtlinge wagen den Weg übers Mittelmeer – Rendez-vous
Der Weg über das Mittelmeer gilt als gefährlichste Flüchtlingsroute der Welt. Trotzdem stechen täglich Boote in See. Allein am Wochenende sind über 1000 Migrantinnen und Migranten in Italien angekommen. Anja Klug vom UNHCR sagt im Gespräch, diese Zahlen seien nicht aussergewöhnlich für diese Jahreszeit.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/wieder-mehr-fluechtlinge-wagen-den-weg-uebers-mittelmeer?partId=12227743


+++GASSE
An der Mülhauserstrasse in Basel: Hier kann man seine Drogen abchecken lassen
Seit drei Jahren prüft die Drogeninfo Basel-Stadt anonyme Rauschgiftproben auf Qualität und gefährliche Inhaltsstoffe. Das Pilotprojekt wird nun zum festen Angebot – und weckt internationales Interesse.
https://www.bazonline.ch/hier-kann-man-seinen-stoff-abchecken-lassen-347470924319


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
500 Anarchisten treffen sich in St-Imier im Berner Jura und das ist kein Zufall
Rund 500 Anhänger der internationalen anarchistischen Bewegung werden am kommenden Wochenende in St-Imier BE erwartet. Der Ort ist nicht zufällig gewählt: Im bernjurassischen Städtchen wurde im September 1872 die Antiautoritäre Internationale ins Leben gerufen.
https://www.watson.ch/schweiz/bern/448434047-500-anarchisten-treffen-sich-in-st-imier-im-berner-jura
-> https://www.derbund.ch/500-anarchisten-treffen-sich-im-berner-jura-932019813012


125 Jahre nach 1. Zionistenkongress: Linksextreme fordern Absage der Jubiläumsfeiern in Basel
Anonyme Gruppen und Einzelpersonen rufen sowohl zu einer Gegenveranstaltung als auch zu einer Demonstration gegen den Zionistenkongress auf.
https://www.bazonline.ch/linksextreme-fordern-absage-der-jubilaeumsfeiern-in-basel-805662766770
-> Demoaufruf: https://barrikade.info/article/5287


+++REPRESSION AUT
Demo-Übung: Heer bereitet sich auch auf Inlandseinsätze vor
Das Bundesheer trainiert auch für den Einsatz auf Demonstrationen. Generell würden Aufgaben im Inneren wegen hybrider Bedrohungen wichtiger, heißt es aus dem Militär
https://www.derstandard.at/story/2000137756299/demo-uebung-heer-bereitet-sich-auch-auf-inlandseinsaetze-vor
-> Kommentar: https://www.derstandard.at/story/2000137761145/bundesheer-einsatz-im-inland-training-mit-tabubruch-gefahr?ref=rss


+++POLICE BE
derbund.ch 26.07.2022

Tod in Polizeigewahrsam: Der Tod des Kilian S. – ein Fall für Strassburg

2018 starb ein Mann auf einer Berner Polizeiwache. Bis heute wurde dafür niemand angeklagt. Zu Recht, urteilte nun das Bundesgericht. Die Angehörigen wollen weiter kämpfen.

Cedric Fröhlich

Kilian S. stirbt am zweiten Weihnachtstag. Auf der Polizeiwache am Berner Waisenhausplatz. Vielleicht ist es das Herz, vielleicht eine Überdosis, man wird es nie wissen. Tags zuvor hatte die Polizei den jungen Mann abgeführt – Partydrogen intus, er war kaum ansprechbar. Sie führten ihn einem Notfallarzt vor, der Kilian für «hafterstehungsfähig» hielt. Statt im Spital landete er in einer Zelle. Die Beamten sollten alle zwei Stunden nach ihm sehen.

In diesen letzten Momenten aber, in den frühen Morgenstunden des 26. Dezember 2018, ist niemand bei ihm: keine Polizistin, die den jungen Mann in die Seitenlage drehen würde, kein Arzt, der ihn reanimieren könnte. Um 5.40 Uhr wird man ihn finden – und seinen einsamen Tod in Polizeigewahrsam feststellen.

Was geschah in jener Nacht, auf jener Wache, in jener Zelle? Der Fall Kilian S. ist ein Fall der offenen Fragen. Seit viereinhalb Jahren verlangen Freunde, Verwandte und Angehörige Antworten. Bis heute beschäftigen sie auch die Justiz.

Dabei geht es noch nicht einmal um Schuld oder gar Sühne. Sondern um Grundsätzliches: ob überhaupt jemand für den Tod des damals 20-Jährigen vor Gericht gestellt werden soll.

Bundesgericht weist Beschwerden ab

Da es um mögliche Verfehlungen von Personen geht, die in jenen verhängnisvollen Stunden im Namen des Staates handelten, übernahm zunächst die Berner Staatsanwaltschaft für besondere Aufgaben. Sie ermittelte gegen den Arzt wegen fahrlässiger Tötung und der Aussetzung oder Unterlassung der Nothilfe, verzichtete aber auf eine Anklage.

Gegen diesen Entscheid wehren sich die Angehörigen seit Jahren vergebens. Nach dem Berner Obergericht kam jetzt auch das Bundesgericht in Lausanne zum Schluss: Das Verfahren sei zu Recht eingestellt worden. Das geht aus einem kürzlich publizierten Urteil hervor.

Die oberste Gerichtsinstanz des Landes hat sämtliche Rügen der Familie des Verstorbenen abgewiesen, wonach etwa die leitende Staatsanwältin befangen gewesen und ein vom rechtsmedizinischen Institut der Universität Bern erstelltes Gutachten ungenügend gewesen ist.

Besagtes Gutachten hatte sich mit der «Rettbarkeit» von Kilian S. befasst: ob er im Spital überlebt hätte – oder nicht. Der eingesetzte Gutachter kam zu keinem eindeutigen Schluss.

Ein Fall, viele Ebenen

Kilians Tod löste Bestürzung aus. Unglauben auch. Darüber, wie so etwas passieren kann, und noch vielmehr, wieso. «Kilu, R.I.P., 26.12. 2018» stand plötzlich an der Eisenbahnbrücke über der Schützenmatte. Verwandte und Bekannte legten auf dem Waisenhausplatz – die Polizeiwache in Sichtdistanz – Kerzen, Briefe und Blumen nieder. Sie schufen ein Mahnmal, einen Ort des Erinnerns. Ein SVP-Stadtrat wollte es räumen lassen. Für die Mitarbeitenden der Kantonspolizei sei diese Situation belastend und unhaltbar, glaubte er zu wissen.

Bis heute hat der Fall nicht an Brisanz verloren, weil er viele Dinge auf sich vereint: Behördenversagen, Drogenpolitik, den Umgang der Justiz mit sich selbst. Kilians Schwester sagte zweieinhalb Jahre nach der fatalen Nacht: «Ich hege keinen Groll gegen die Polizei. Sie führen zum Teil auch nur aus und sind ‹armi Sieche›.» Und sie sprach von einem Systemversagen: «Der Staat hat seine Verantwortung nicht wahrgenommen und will dies auch weiterhin nicht tun.»

Ein langer Weg wird länger

Philip Stolkin ist einer der renommiertesten Menschenrechtsanwälte des Landes und vertritt Kilians Angehörige seit zwei Jahren. Nach dem Verdikt aus Lausanne hält auch er daran fest: «Es hat keine effektive Strafuntersuchung gegeben», sagt er.

Stolkin und die Angehörigen führen von jeher eine Verletzung des Anklagegrundsatzes ins Feld. «In dubio pro duriore» – Latein für: «Im Zweifel für das Härtere» – besagt, dass die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich immer Anklage erheben müssen, wenn keine klare Straflosigkeit vorliegt.

Bereits das Berner Obergericht sah es anders: Der Arzt sei der begründeten Auffassung gewesen, der Verstorbene habe die stärksten Wirkungen der konsumierten Drogen bereits überstanden. Das Bundesgericht stützt diese Einschätzung: Die Beschwerdeführer hätten keine Verletzung von «In dubio pro duriore» aufgezeigt.

Stolkin sagt dazu: «Ich bin noch nicht mal überrascht. Es entspricht der schweizerischen Rechtswirklichkeit, die Polizei über alle Massen zu schützen.» Den Kampf für eine juristische Aufarbeitung des Falles gibt er noch nicht verloren. «Jetzt werden wir sehen, ob sie auch Strassburg schützt.»

Dort steht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Stolkin und die Angehörigen wollen den Fall weiterziehen.
(https://www.derbund.ch/der-tod-des-kilian-s-ein-fall-fuer-strassburg-219978720885)



ajour.ch 26.07.2022

Toter Häftling: Strafuntersuchung gegen Arzt zurecht eingestellt

Das Bundesgericht hat die Beschwerde der Mutter eines jungen Mannes abgewiesen, der im Dezember 2018 in der Zelle der Berner Polizeiwache starb.

sda

Der junge Mann war am 25. Dezember 2018 von der Polizei angehalten worden. Nach einem positiven Drogenschnelltest wurde er auf die Polizeiwache gebracht. Ein Arzt wurde aufgeboten, um zu beurteilen, ob der Mann hafterstehungsfähig ist oder allenfalls in ein Spital gebracht werden muss. Dies geht aus einem am Dienstag veröffentlichten Urteil des Bundesgerichts hervor.

Der Arzt ging davon aus, dass die Hauptwirkung der Drogen vorbei sei. Er wies die Polizisten an, den jungen Mann alle zwei Stunden auf Lebenszeichen zu untersuchen. Am 26. Dezember 2018 um 5.40 Uhr wurde der 20-Jährige tot in der Zelle aufgefunden.

Korrektes Gutachten

Die danach eingeleitete Strafuntersuchung gegen den Arzt stellte die Staatsanwaltschaft im April 2020 ein. Sie hatte untersucht, ob der Tatbestand der fahrlässigen Tötung, der Aussetzung oder der Unterlassung der Nothilfe erfüllt war.

Die Mutter des Verstorbenen verlangte die Aufhebung der Einstellungsverfügung und die Weiterführung der Untersuchung. Das Bundesgericht kommt nun jedoch zum Schluss, dass die Einstellung zurecht erfolgte.

Es hast die Rügen der Mutter abgewiesen, wonach die Staatsanwaltschaft nicht unabhängig untersucht habe und das von der Rechtsmedizin erstellte Rechtsgutachten ungenügend gewesen sei.
(https://ajour.ch/story/toter-hftling-strafuntersuchung-gegen-arzt-zurecht-eingestellt/19425)

-> Bundesgerichtsentscheid: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://13-06-2022-6B_1055-2020&lang=de&zoom=&type=show_document
-> Hintergrund (2019): https://barrikade.info/article/1918


+++FRAUEN/QUEER
Vorstandsbeschluss: Terre des Femmes zieht transfeindliches Positionspapier zurück
2020 sorgte der Verein Terre des Femmes für Aufsehen, weil er die Transfeindlichkeit seiner Mitglieder per Positionspapier offiziell machte. Nun entledigte sich der Vorstand des Papiers – aus taktischen Erwägungen.
https://www.queer.de/detail.php?article_id=42742



nzz.ch 26.07.2022

Ein alter Lehrer soll an der Zürcher Bahnhofstrasse gegen Homosexuelle und ihre «böse Lust» gepredigt haben. Hat er sich strafbar gemacht?

In Zürich wird diese Woche einer der ersten Fälle verhandelt, die aufgrund der ausgeweiteten Rassismus-Strafnorm vor ein Gericht kommen.

Fabian Baumgartner, Jan Hudec

Eigentlich stehen die Zeichen auf Entspannung an diesem Samstag im Juni 2021. In Zürich herrscht prächtiges Sommerwetter, die Corona-Fallzahlen sind auf einen Tiefstwert gesunken, und die Menschen strömen zum Shopping an die Bahnhofstrasse. Gegen 15 Uhr 20 stellt sich ein älterer Lehrer aufs Trottoir. Er erhebt plötzlich seine Stimme und setzt zu einer lauten Predigt an.

Seine Rede ist jedoch keine über die Liebe zu Gott, sondern eine darüber, was aus seiner Sicht sündig ist. Es ist eine homophobe Tirade, die die Passanten zu hören bekommen haben sollen: Homosexuelle seien minderwertig, die gleichgeschlechtliche Liebe eine Sünde, die vor Gott keine Gültigkeit habe, sie sei eine böse Lust und schändliche Begierde. So fasst jedenfalls die Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft den Vorfall zusammen. Für den Mann gilt bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung.

Lange dauert die zornige Predigt des Mannes allerdings nicht. Denn Passanten, die sich von ihm gestört fühlen, rufen die Polizei. Als sich eine Viertelstunde später das Fahrzeug der Einsatzkräfte nähert, rennt der «Prediger» davon. Mehrere Polizisten nehmen die Verfolgung auf. Sie rufen: «Stopp, Polizei.» Doch davon lässt sich der Mann nicht beirren. Erst als er von einem Polizisten eingeholt und am Arm zurückgezogen wird, hält er inne.

Wegen des Vorfalls muss sich der Mann am Freitag vor dem Einzelrichter des Bezirksgerichts in Zürich verantworten. Hauptanklagepunkt: Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung. Es ist schweizweit einer der ersten Fälle überhaupt, die aufgrund der ausgeweiteten Rassismus-Strafnorm vor ein Gericht kommen.

Im Zentrum der Gerichtsverhandlung steht die Frage: Reicht die homophobe Tirade aus, um den Mann zu verurteilen? Wo beginnt die Hetze, und was ist noch unter dem Titel der Religionsfreiheit geschützt? Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil auch in der Bibel teilweise extrem abwertende Äusserungen über gleichgeschlechtliche Liebe zu finden sind. So heisst es im 3. Buch Mose: «Wenn jemand bei einem Manne schläft wie bei einer Frau, so haben sie beide getan, was ein Gräuel ist, und sollen des Todes sterben; ihre Blutschuld komme über sie.» (3. Mose 20, 13)

27 Mal Hetze wegen sexueller Orientierung angezeigt

Fast zweieinhalb Jahre ist es her, dass die Schweizerinnen und Schweizer der Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm mit einer deutlichen Mehrheit von 63,1 Prozent zugestimmt haben. Seit der Inkraftsetzung im Juli 2020 macht sich strafbar, wer öffentlich gegen Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung hetzt. Die Befürworter versprachen sich von der Ausweitung des Anti-Rassismus-Gesetzes einen besseren Schutz von Homosexuellen vor Hass.

Am Abstimmungssonntag war die Freude bei den Unterstützern denn auch gross. Die Operation Libero sprach von einem «Ja zur Menschenwürde», und Amnesty International Schweiz sah im Erfolg eine Trendwende: Die Schweiz habe endlich einen gesetzlichen Schutz vor Hassreden etabliert.

Die Gegner befürchteten derweil, dass die Meinungsäusserungsfreiheit durch den Entscheid eingeengt wird. So sagte der EDU-Präsident Hans Moser, man werde künftig «sehr schnell den Richter anrufen können, und Schweizer Bürgerinnen und Bürger haben ein Verfahren am Hals».

Eine erste Auswertung zwei Jahre nach Inkrafttreten der erweiterten Strafnorm zeigt nun: Schweizweit sind im letzten Jahr 27 Verstösse gegen die neue Strafnorm angezeigt worden. Das sind knapp 10 Prozent der insgesamt 312 Anzeigen, die unter dem Straftatbestand «Diskriminierung und Aufruf zu Hass» registriert wurden. Im Kanton Zürich sind auch Zahlen für das Jahr 2020 verfügbar. Die Behörden erfassten im letzten und im vorletzten Jahr je vier Fälle, die aufgrund der erweiterten Gesetzesbestimmung zur Anzeige gebracht wurden.

Das eine ist die verbale Hetze, das andere sind die physischen Übergriffe. Tätliche Angriffe auf Lesben, Schwule oder Transmenschen werden bis jetzt nicht schweizweit statistisch erfasst. Die Stadtpolizei Zürich bildet da eine der Ausnahmen. Seit Anfang 2021 registriert sie in einer speziellen Kategorie sogenannte Hate-Crimes. Im vergangenen Jahr haben 25 Betroffene bei der Polizei ausgesagt, dass ihre sexuelle Orientierung der Grund für den Angriff auf sie gewesen sei, in diesem Jahr wurden bisher 9 solche Fälle statistisch festgehalten.

«Das ist ein wichtiges Signal»

Für die LGBTQ-Community war die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm um die Kategorie der sexuellen Orientierung ein grosser Erfolg. «Wir mussten lange dafür kämpfen», sagt Alessandra Widmer, Co-Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz. Es sei erfreulich zu sehen, dass der neue Artikel nun auch Anwendung finde. Zum Zürcher Fall will sie sich nicht äussern, weil sie ihn nicht kennt. In der Westschweiz gab es aber bereits einen Fall, in welchen die Lesbenorganisation direkt involviert war.

Im April hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt den rechtsextremen Essayisten Alain Soral per Strafbefehl zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Der 63-Jährige hatte in einem Video eine lesbische Journalistin beleidigt und dabei auch homophobe Äusserungen gemacht. Widmer ist zufrieden, «dass dieser extremistische Polemiker nun bestraft wurde. Das ist ein wichtiges Signal.»

In den letzten dreissig Jahren habe sich zwar viel getan, Queerfeindlichkeit sei aber leider nach wie vor ein Problem. Dies zeige auch die «LGBT+ Helpline», bei der Übergriffe gemeldet werden können. 92 Fälle seien es im letzten Jahr gewesen. Rund 80 Prozent der Meldenden hätten Beleidigungen erlebt, 30 Prozent physische Gewalt, und 12 Prozent der Betroffenen hätten auch Verletzungen davongetragen. Es bleibe also noch viel zu tun, so Widmer.

Sie ist deshalb froh, dass der Nationalrat kürzlich einem Postulat zugestimmt hat, mit dem der Bundesrat beauftragt wurde, einen nationalen Aktionsplan zur Verminderung von LGBTQ-feindlichen Hate-Crimes zu erarbeiten. Obwohl der Bundesrat das Ansinnen ablehnte, stimmte das Parlament mit 105 zu 64 Stimmen deutlich zu. Mit dem Aktionsplan sollen die Unterstützung und der Schutz von Betroffenen verbessert werden. Zudem sind auch präventive Massnahmen vorgesehen. Diese muss der Bund nun gemeinsam mit Kantonen und unter Einbezug der zivilgesellschaftlichen Organisationen erarbeiten.

Der Prediger, der sich selbst verteidigt

Weil sich zu diesem neuen Straftatbestand noch keine einheitliche Gerichtspraxis etabliert hat, sind die Augen von Juristen und Mitgliedern der LGBTQ-Gemeinschaft nun auf Fälle wie den des alten Lehrers gerichtet.

Ob die Tiraden des Mannes ausreichen, um den Straftatbestand der erweiterten Anti-Rassismus-Strafnorm zu erfüllen, muss nun der Einzelrichter am Bezirksgericht Zürich entscheiden. Die Staatsanwaltschaft fordert in seinem Fall eine bedingte Freiheitsstrafe von 8 Monaten sowie eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen à 150 Franken.

Vor Gericht wird auch der 63-jährige Beschuldigte zum Vorwurf Stellung beziehen können. Einen Anwalt hat der Mann nicht hinzugezogen. Er verteidigt sich vor Gericht selbst.
(https://www.nzz.ch/zuerich/homophobie-in-zuerich-lehrer-wegen-aufruf-zu-hass-vor-gericht-ld.1694488)


+++RASSISMUS
Band muss Konzert abbrechen – weil weisse Musiker Rastas tragen
Die Berner Mundart-Band Lauwarm trat am 18. Juli in der Brasserie Lorraine auf, musste aber den Auftritt frühzeitig beenden, weil Gäste sich «unwohl» fühlten. Das sorgt für Kritik.
https://www.20min.ch/story/band-muss-konzert-abbrechen-weil-weisse-saenger-rastas-tragen-770725450313
-> https://www.watson.ch/schweiz/facebook/557060218-berner-beiz-bricht-reggea-konzert-ab-weil-sich-besucher-unwohl-fuehlen
-> https://www.blick.ch/news/weisser-musiker-spielt-reggae-berner-beiz-bricht-konzert-ab-weil-besucher-protestieren-id17695894.html
-> https://weltwoche.ch/daily/unwohlsein-in-bern-weisse-musiker-gecancelt-weil-sie-reggae-spielen-der-veranstalter-entschuldigt-sich-schlechte-gefuehle-ausgeloest-zu-haben/
-> FB-Post Brass Lorraine: https://www.facebook.com/brassbern/posts/pfbid0Xjx7rrrDfTGr2kmLZfTbyi5LcQK2hsb9WjTGNyXzHMkmsPwAT2LsdNdwHq7KHKc2l
-> Band: https://www.lauwarm.net/musik


Konzertabbruch: «Nur, weil wir Rastas tragen, sind wir keine Rassisten»
Die Berner Mundart-Band Lauwarm musste ein Konzert abbrechen, weil Gäste sich daran störten, dass weisse Männer mit Rastalocken Reggae-Musik machen. Jetzt äussert sich der Band-Leader Dominik Plumettaz.
https://www.20min.ch/story/nur-weil-wir-rastas-tragen-sind-wir-keine-rassisten-642506557964
-> https://www.blick.ch/people-tv/schweiz/berner-band-lauwarm-wehrt-sich-wir-sind-total-vor-den-kopf-gestossen-id17697154.html



derbund.ch 26.07.2022

Eklat um «Kulturelle Aneignung»: Linke Alternativbeiz bricht Konzert ab und entschuldigt sich

Agieren Weisse mit Dreadlocks, die Reggaemusik spielen, ausbeuterisch? Der Streit über die sogenannte kulturelle Aneignung erreicht ein Berner Szene-Quartier.

Andres Marti, Alexandra Elia

Am vorletzten Montag brach die Berner Brasserie Lorraine ein Konzert der Band Lauwarm ab. «Während des Konzerts kamen mehrere Menschen unabhängig voneinander auf uns zu und äusserten Unwohlsein mit der Situation. Es ging dabei um die Thematik ‹Kulturelle Aneignung›», schreibt die Brasserie auf Facebook. «Wir möchten uns bei allen Menschen entschuldigen, bei denen das Konzert schlechte Gefühle ausgelöst hat», so die «Brass».

Mit dem Begriff «kulturelle Aneignung» (Englisch: cultural appropriation) wird die Übernahme eines Bestandteils einer Kultur von Trägern einer anderen Kultur oder Identität bezeichnet.
Dieses Statement veröffentlicht die Brass im Nachgang an das Konzert vom vorletzten Montag.
Quelle: Genossenschaft Restaurant Brasserie Lorraine (Facebook)

Man habe es verpasst, sich vornweg mit dem Thema auseinanderzusetzen. «Unsere Sensibilisierungslücken und die Reaktion von vielen Gästen auf das Abbrechen des Konzerts haben uns wieder einmal gezeigt, dass das Thema emotional geladen ist und wir zusammen reden und einander zuhören müssen.» Das Restaurant plant nun eine Diskussionsrunde zum Thema «Kulturelle Aneignung».

Beim Publikum sorgte der Abbruch für Erstaunen und Ärger. Ein Gast vermutete zunächst, dass das Konzert wegen Beschwerden lärmempfindlicher Nachbarn abgebrochen werden musste. Nach dem Statement der Brass eine Woche danach äussern die meisten Kommentierenden in den sozialen Medien wenig Verständnis für das Vorgehen des Beizenkollektivs.

Der Konzertabbruch erinnert an einen ähnlichen Vorfall in Deutschland. Weil sie Dreadlocks trug, luden in Hannover Klimaaktivistinnen die Sängerin Ronja Maltzahn aus. Mit dem Vorfall in der Alternativbeiz hat die Debatte über kulturelle Aneignung nun auch die Stadt Bern erreicht.

Dominik Plumettaz ist der Leadsänger der Band Lauwarm. Er und seine Band hätten vom Unwohlsein einzelner Anwesender während des Konzerts nichts gemerkt. Erst in der Pause wurden sie von den Veranstaltern auf die Kritik angesprochen. «Wir wurden sehr vor den Kopf gestossen, so etwas haben wir noch nie erlebt.»

Er stellt klar: Bei der Kritik einzelner Anwesender sei es um die Kleider, die Musik und die Frisuren einzelner Bandmitglieder gegangen. Zwei Bandmitglieder haben Dreadlocks und trugen beim Konzert farbige afrikanische Kleidung aus Gambia und Senegal.

Anfangs habe er Verständnis für die Situation gehabt. Aber: «Aus unserer Sicht wäre es besser gewesen, wenn die Leute direkt auf uns zugekommen wären.» Mit kultureller Aneignung seien Plumettaz und seine Band erstmals konfrontiert worden. «Für uns war das eine sehr schräge Situation und ein komisches Gefühl», so Plumettaz. «Ich finde, in der Musik geht es in erster Linie um Kreativität», sagt Plumettaz, «wenn wir etwas aus einer anderen Kultur nutzen, ist das etwas, das uns weiterträgt und auch bereichernd ist.» Die Musik von Lauwarm reicht von Reggae bis hin zu Indie World und Pop.

Im Nachgang an das abgebrochene Konzert hätten sie mit vielen Leuten vor Ort Gespräche geführt und seien da auf viel Verständnis gestossen. «Wir stehen zu unserer Musik und unseren Frisuren und werden nichts ändern», stellt Plumettaz klar.

Historiker kritisiert «Essenzialisierung»

Professor Harald Fischer-Tiné forscht an der ETH Zürich zur Geschichte von Kolonialismus und Imperialismus. Für ihn beruht die Empörung über kulturelle Aneignung auf der Annahme, es gebe so etwas wie eine «reine» Kultur. Es gebe also «gelbe», «schwarze» und «weisse» Musikstile, die sich nicht vermischen sollten. Für den Professor basiert das letztlich «auf einer Essenzialisierung von Kultur, was hochproblematisch und empirisch unhaltbar ist». Bereits die Vorstellung, dass kulturelle Ausdrucksformen klar abgrenzbar seien, sei falsch. «Letztlich leisten die Kritiker der kulturellen Aneignung einer Ethnisierung von Kultur Vorschub», sagt Fischer-Tiné

Würde man kulturelle Aneignung verbieten, ist der Historiker überzeugt, dann wäre keine populäre Musikform mehr spielbar. Weder Jazz noch Blues, Rock, Tango oder Hip-Hop. Popmusik beruhe immer auf Hybridisierung und Vermischung von musikalischen Traditionen, Stilen und Instrumentarien. «Nur so kann letztlich Neues entstehen. Es ist ein konstanter Prozess.»

Für Fischer-Tiné weist die jetzige Debatte interessante Parallelen zu Kontroversen in der klassischen Musik in den 1980er-Jahren auf. Damals störten sich viele Europäer daran, dass immer mehr Klassikvirtuosen aus Asien stammten. «Bei den Gralshütern der europäischen Kultur sorgte die scheinbar mühelose Aneignung des abendländischen kulturellen Kanons durch ethnisch Aussenstehende für Unwohlsein. Statt Rastafrisuren und afrikanische Gewänder löste damals der Frack des koreanischen Geigenkünstlers Unbehagen aus», sagt Fischer-Tiné.

Stadträtin äussert Verständnis

Verständnis für das Vorgehen der Brass äussert Stadt- und Grossrätin Tabea Rai (AL). Sie sei am Konzert nicht anwesend gewesen, aber es müsse möglich sein, Themen wie «Kulturelle Aneignung» auch bei uns anzusprechen, ohne gleich in eine fundamentale Ecke gedrängt zu werden. «In der westlichen Kultur haben sehr viele Weisse von der Aneignung fremder Kulturen profitiert und gut verdient», sagt Rai.

Es gebe bei diesem Thema aber keine einfachen Antworten. «Wenn Menschen aus anderen Ländern in der Schweiz ihre Kultur und ihre Bräuche ausleben, ihre Frisuren und Kleider tragen, heisst es, sie wollen sich nicht integrieren. Ist es aber möglich, mit kultureller Aneignung Geld zu machen, und tun Weisse dann das Gleiche, ist es ein innovatives Konzept oder ein Modetrend.» Sie befürchtet, dass der Vorfall in der Brass nun vor allem Leute anspornt, noch mehr gegen Minderheiten zu hetzen. Sie begrüsse es deshalb sehr, wenn die Brass nun eine Diskussionsveranstaltung zum Thema organisiere.
(https://www.derbund.ch/linke-alternativbeiz-bricht-konzert-ab-und-entschuldigt-sich-653461984118)



nzz.ch 26.07.2022

«Unsere Musik hat nichts mit kultureller Aneignung zu tun, sondern mit Inspiration» – Konzertbesucher beschweren sich, weil Musiker Rastas tragen und Reggae spielen

In einer Stellungnahme entschuldigte sich die Veranstalterin für «Sensibilisierungslücken». Man hätte das Publikum besser vor dem Auftritt «schützen müssen».

Kevin Capellini Aktualisiert

Die Berner Mundart-Band «Lauwarm» ist bekannt für ihr Repertoire aus Reggae, Indie-World- und Pop-Musik. Genau dieses Repertoire hat bei einem Auftritt im Stadtberner Kulturlokal Brasserie Lorraine dafür gesorgt, dass das Konzert abgebrochen werden musste.

In einer Mitteilung auf der Facebook-Seite der Brasserie Lorraine erklärten die Veranstalter: Während des Auftritts der Gruppe hätten zahlreiche Konzertbesucher «Unwohlsein mit der Situation» geäussert. Dies, weil die Musiker der Band «Lauwarm» – fünf weisse Männer – mit Rastafrisuren und in afrikanischen Kleidern Reggae-Musik gespielt hatten.

Es handle sich um kulturelle Aneignung. Rastafrisuren und Reggae-Musik sei grundsätzlich indigenen – also dunkelhäutigen – Jamaicanern vorbehalten. Denn die Vorfahren ebendieser Jamaicaner hätten durch Kolonisation und Unterdrückung Ausgrenzung und Rassismus erfahren. Dies werde in der Reggae-Musik thematisiert, wodurch es für Weisse nicht angezeigt sei, Reggae zu spielen oder Rastas zu tragen.

Für diese vorgebliche «Übernahme einer Kultur durch Angehörige einer anderen Kultur» hat sich die Brasserie Lorraine als Veranstalterin dann auch in den sozialen Netzwerken entschuldigt. Sie bedauert, dass der Auftritt «bei Menschen schlechte Gefühle ausgelöst hat».

«Unsere Musik hat nichts mit Aneignung zu tun»

Dass man die Band überhaupt für den Auftritt eingeladen habe, sei auf eigene «Sensibilisierungslücken» zurückzuführen. Als Veranstalterin hätte man das Publikum «besser schützen müssen», hiess es weiter. Die Brasserie Lorraine wolle daher weiter über das Thema diskutieren, um Verständnis zu schaffen. Für den 18. August sei eine Diskussionsrunde zum Thema kulturelle Aneignung geplant.

Dass man das laufende Konzert abgebrochen habe, sei für die Band «Lauwarm» alles andere als schön, sagte Bandchef Dominik Plumettaz der NZZ. «Wir fühlten uns vor den Kopf gestossen, da niemand aus dem Publikum auf uns zugekommen ist, als wir an dem Abend gespielt haben.» Stattdessen hätten sich einige wenige Besucher direkt bei der Veranstalterin beschwert. Plumettaz relativierte die gemachten Vorwürfe. Es gehe bei den Auftritten seiner Band weder um Provokation, noch um kulturelle Aneignung. «Wir inspirieren uns von anderen Kulturen und anderem Musikrichtungen, entwickeln dies weiter und machen so unsere Musik», sagte er.

Das sei auch der Grund, warum einige Bandmitglieder etwa Rastas oder traditionelle Kleidung aus afrikanischen Ländern wie Gambia oder Senegal tragen würden: «weil sich einige der Band-Kollegen damit identifizieren können», erklärt Plumettaz. Dass sich die Aufruhr um den Auftritt negativ auswirken werde, glaubt der Musiker jedoch nicht. «Wir stehen zu unserer Musik und werden auch in Zukunft damit weitermachen.» Denn die Gesellschaft würde sich in einem multikulturellen Wandel befinden, verschiedene Kulturen würden ineinander verschmelzen, führte Plumettaz aus. Warum es aber einen Aufschrei gebe, wenn Kulturschaffende andere Kulturen aufgreifen und ineinander verschmelzen würden, verstehe er nicht. Es sei nicht förderlich für die Kultur.

Irritierte Reaktionen nach Konzertabbruch

In den sozialen Netzwerken starteten die Diskussionen kurz nach der Publikation der öffentlichen Entschuldigung der Veranstalterin. Viele der Reaktionen waren gezeichnet von Unverständnis: Musik sei in den meisten Fällen Übernahme einer anderen Kultur. Würde man der Argumentation der Veranstalter folgen, dürften Schweizer Musiker ja nur noch Ländler spielen, alle anderen Musikarten seien ein Tabu, da bereits Pop-Musik, die ihren Ursprung in Grossbritannien hat, oder Country, ein Musikstil aus den USA, aus einer anderen Kultur stammten.

Ähnlich verhalte es sich auch mit den Haaren, kommentierte jemand die Stellungnahme der Brasserie Lorraine irritiert. Seien lange, gerade Haare Weissen vorbehalten, während geflochtene Haare oder Rastas ausschliesslich von Schwarzen getragen werden dürften?

Dass die Argumentation des Berner Kulturlokals vielleicht nicht ganz aufgeht, zeigt auch das Beispiel von Bob Marley, dem bedeutendsten Vertreter und Mitbegründer der Reggae-Musik und dem wohl berühmtesten Rasta-Träger. Marley war zwar Jamaicaner und wuchs dort auch auf, als die Insel noch britische Kolonie war – allerdings war ein Elternteil nicht jamaicanischer, sondern britischer Herkunft: Marley hatte eine schwarze Mutter, jedoch einen weissen Vater.
 (https://www.nzz.ch/panorama/wegen-kultureller-aneignung-band-muss-konzert-abbrechen-da-weisse-musiker-rastas-tragen-ld.1695296?mktcid=smch&mktcval=twpost_2022-07-26)



derbund.ch 26.07.2022

Analyse zum Brasserie-VorfallDie Dreadlock-Debatte ist mehr als ein sommerlicher Aufreger

Die Debatte der «kulturellen Aneignung» aus den USA ist in Bern angekommen. Sie wird nicht so schnell verschwinden, auch wenn sie im hiesigen Umfeld etwas grotesk wirkt.

Isabelle Jacobi

Die Berner Band Lauwarm sah es nicht kommen. Als weisse Truppe lupfigen Mundart-Reggae zu spielen, ist plötzlich ein Vergehen. «Kulturelle Aneignung» heisst der Tatbestand. Der war beim Auftritt im links-alternativen Restaurant Brasserie Lorraine erfüllt, denn einige Bandmitglieder trugen westafrikanische Kleider und jamaikanische Rasta-Frisuren.

Auf das Thema «Race» sensibilisierte Menschen im Publikum protestieren bei den Veranstaltenden, was zum Abbruch des Konzerts führte. Die Band zeigte sich verblüfft – so fühlt sich Cancel-Culture an, wie sie in den USA gängig ist. Das Thema ist so amerikanisch, dass ohne englische Begrifflichkeiten kaum darüber zu sprechen ist.

In Übersee hat die «Black Lives Matter»-Bewegung unter anderem der kulturellen Aneignung den Kampf angesagt. Die Anhänger und -Anhängerinnen der Bewegung klagen die Farbenblindheit der liberalen Gesellschaft ein. Farbenblind zu sein, sei lediglich eine bequeme Selbstlüge, zu tief sei der Rassismus verankert in der US-Gesellschaft.

Keine weisse Person könne sich der Tatsache entziehen, dass Weisse 157 Jahre nach dem Ende der Sklaverei immer noch bevorteilt würden, sagt etwa der afroamerikanische Autor Ibram X. Kendi. Ein Fressen für rechtskonservative Politstrategen. Denn die Debatte versetzt ihre weisse Wählerschaft in Rage. In den USA lassen sich Wahlkämpfe gewinnen mit der Politisierung von Vorfällen wie jener in der Brasserie Lorraine.

Was hat das alles mit Bern zu tun und einer Band namens Lauwarm? Die «Black Lives Matter»-Bewegung hat die hiesige Jugend erfasst. Für sie ist der europäische Kolonialismus präsent, wirkt weiter im Unterbauch der Gesellschaft. Sie glaubt, den Blickpunkt dunkelhäutiger Menschen zu erahnen.

Das Brisante ist, dass hier eine weisse Band in einem mehrheitlich weissen Kontext von der Bühne geholt wird. So sieht Wokeness in Bern aus. Die Frage stellt sich: Ist das nun nicht auch eine kulturelle Aneignung, eben der «Black Lives Matter»-Bewegung? Afroamerikanische Menschen in den USA zeigten sich wenig erfreut, als weisse Autonome Städte wie Portland monatelang besetzten – in ihrem Namen.

Und so wirkt der Lorraine-Vorfall etwas grotesk. Doch dieser ist mehr als ein sommerlicher Aufreger. Denn die Debatte wird kaum verschwinden. Zu einfach lässt sie sich aufblasen und für politische Zwecke instrumentalisieren.
(https://www.derbund.ch/die-dreadlock-debatte-ist-mehr-als-ein-sommerlicher-aufreger-567926714614)


+++FRAUEN/QUEER
Debatte weißer Feminismus: Ja, wir sind ungeduldig
Weiße Feministinnen agieren häufig im Sinne des Patriarchats. Denn weiße Mittelmäßigkeit kann vorteilhaft sein.
https://taz.de/Debatte-weisser-Feminismus/!5867137/


«Ehe für alle»-Gegner fordern: Post soll Sondermarke einstampfen
Seit anfangs Juli gilt in der Schweiz die «Ehe für alle». Die Post hat dazu eigens eine Sondermarke herausgegeben. Für die Gegner ist das ein Verstoss gegen die politische Neutralität und ein Missbrauch staatlicher Mittel zu Propaganda-Zwecken.
https://www.blick.ch/politik/ehe-fuer-alle-gegner-fordern-post-soll-sondermarke-einstampfen-id17697380.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
Junge Amokläufer bewegen sich vor ihren Taten oft in menschenverachtenden Online-Subkulturen
Massenmord für Ruhm und für die Lulz
In den vergangenen Monaten häuften sich Terroranschläge und Amokläufe junger Männer, die sich zuvor häufig in menschenverachtenden Online-Subkulturen herumgetrieben haben.
https://jungle.world/artikel/2022/29/massenmord-fuer-ruhm-und-fuer-die-lulz