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+++BERN
derbund.ch 23.07.2022
Containerdorf Viererfeld: Nichts los im grössten Flüchtlingscamp der Schweiz
Dank den Gastfamilien ist die Containersiedlung auf dem Berner Viererfeld kaum bewohnt. Dennoch sind die Sicherheitsvorkehrungen hoch.
Andres Marti
Im grössten Flüchtlingscamp der Schweiz auf Flüchtlinge zu treffen, ist gar nicht so einfach. Auch zehn Tage nach der Eröffnung der Containersiedlung wohnen auf dem Berner Viererfeld gerade mal 9 Geflüchtete aus der Ukraine. Eine von ihnen ist die 38-jährige Tanya aus Kiew, die nicht mit Nachnamen genannt werden möchte. Zusammen mit ihren beiden Kindern im Vorschulalter treffen wir sie am Mittwochvormittag vor dem ersten fertiggestellten Wohntrakt. Wie lebt es sich hier?
«Als ich zuerst von der Containersiedlung gehört habe, hatte ich Bedenken», sagt Tanya auf Englisch. Inzwischen fühle sie sich hier aber wohl. Sie lobt das Personal: «Die Leute hier sind sehr hilfsbereit und fragen mich ständig, ob ich etwas brauche.» Mit den beiden Kindern wohnte Tanya zuvor bei einer Gastfamilie. Für ihren Mann und ihre Schwiegermutter, die ebenfalls in die Schweiz geflüchtet sind, hatte es dort aber keinen Platz. Nun ist die Familie auf dem Viererfeld wieder vereint. Das sei die Hauptsache, sagt Tanya. Den asphaltierten Gang zwischen den fertiggestellten Wohnblöcken haben Tanyas Kinder mit Kreide verziert.
Entspannte Situation
Ursprünglich plante der Kanton auf dem Berner Viererfeld die Unterbringung von bis zu 1000 Personen. Die Stadt ging von bis zu 400 Kindern aus und plante, diese in 30 «Willkommensklassen» im Lager zu unterrichten. Die kasernenartige Anordnung der Container und die engen Platzverhältnisse bei Vollbelegung sorgten allerdings für teils massive Kritik.
Inzwischen hat sich die Situation deutlich entspannt. Weil der Kanton zuvor überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aufgenommen hat, werden seit einiger Zeit kaum noch Neuankömmlinge vom Bund nach Bern überwiesen. Auch haben die allermeisten Gastfamilien – entgegen den Befürchtungen der Behörden – ihr Engagement verlängert.
Statt fünf stellt der Kanton auf dem Viererfeld deshalb vorerst nur drei Wohnblocks fertig. Die restlichen zwei Blöcke sollen vorerst nur im Rohbau errichtet und bei Bedarf ausgebaut werden. Pro Block sollten 200 Personen untergebracht werden, vorerst sollen pro Block nur 100 Personen untergebracht werden. Zudem sind in den anderen kantonalen Kollektivunterkünften weitere Hunderte Betten frei.
Wie viel der Kanton mit dieser Redimensionierung einspart, gibt er nicht bekannt. Wegen gestiegener Materialkosten und Lieferengpässen rechnete er noch im Juni mit höheren Baukosten von 25 Prozent. Zudem hat ein Lieferant mangelhafte Betten und Matratzen zum Preis von 400’000 Franken geliefert. Weil der Verkäufer einen Rücktritt vom Kaufvertrag nicht akzeptiert, muss der Kanton die Angelegenheit juristisch abklären. Dies steht in den Protokollen des kantonalen Ukraine-Sonderstabs, welche diese Zeitung, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, einsehen konnte.
Hohes Sicherheitsdispositiv
Die zufällige Begegnung mit Tanya fand in Begleitung des Unterkunftsleiters statt. Spontane Besuche sind auf dem Viererfeld nicht vorgesehen. Wer Flüchtlinge treffen will, der wird am Zaun von einem Sicherheitsmann abgefangen und danach zum Schalter des Sicherheitsdienstes geschickt. Dort müssen alle Besucherinnen und Besucher ihre Identitätskarte gegen einen Besucherbadge eintauschen, derweil ein weiterer Sicherheitsmann Name und Grund des Besuches in einen Computer tippt. Damit soll laut den Behörden sichergestellt werden, dass die Anzahl Anwesende auf dem Gelände jederzeit bekannt ist. So könne im Notfall schnell und sicher evakuiert werden. Dafür würde allerdings auch eine simple Lichtschranke ausreichen.
Das ganze Prozedere erinnert so ein wenig an den Besuch eines Gefängnisses. «Das Sicherheitsdispositiv ist hoch, denn wir wollen den Bewohnern Schutz und Sicherheit sowie ein geregeltes Ankommen bieten», heisst es beim Kanton. Die Siedlung sei grundsätzlich offen, der Anschluss ans Quartier sei gewährleistet und werde aktiv gefördert.
«Kein geschlossener Ort»
Der Lagercharakter auf dem Viererfeld steht auch im Widerspruch zu dem, was die Stadt vor der Eröffnung der Flüchtlingssiedlung versprochen hatte. Sie reagierte damals auf Befürchtungen, dass hier ein Flüchtlingsghetto entstehen könnte. «Die Siedlung darf auf keinen Fall ein in sich geschlossener Ort werden», so Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) im Mai an einer Medienkonferenz. Die Siedlung Viererfeld sei offen und zugänglich, heisst es bei der Stadt. Bewohnende können sie laut der Stadt jederzeit verlassen und betreten und erhalten dafür einen Ausweis. Nachts sind Besuche verboten.
Unterdessen gehen die Bauarbeiten auf dem Viererfeld weiter. Angestellte in Leuchtwesten stellen Bäume auf, richten Spielplätze und Schulzimmer ein und stellen Zimmerpflanzen ins Empfangszimmer. Fehlen nur noch die Flüchtlinge.
Schwierige Prognosen
Wie sind die Prognosen? Beim Staatssekretariat für Migration (SEM) geht man von verschiedenen Szenarien aus. Bis Ende Jahr rechnet man mit gesamthaft 80’000 bis 120’000 in die Schweiz Geflüchteten (Stand jetzt: 60’000). Neben dem ungewissen Kriegsverlauf gibt es noch zahlreiche andere Faktoren, welche die Flüchtlingsbewegungen beeinflussen. «Es ist beispielsweise möglich, dass zum Schulbeginn in der Ukraine Anfang September manche Familien wieder zurückkehren», so SEM-Sprecher Reto Kormann.
Dann der Faktor Winter: In Polen und Moldau sind viele Flüchtlinge teils in Zeltlagern untergebracht. «Ob diese Menschen dort überwintern oder Richtung Westen weiterwandern werden, ist eine weitere Unbekannte», sagt Kormann. Und wie in der Schweiz ist es auch in den Ländern in Osteuropa eine grosse Frage, ob die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Gastfamilien anhält. «Bund und Kantone müssen sich deshalb auf weitere Fluchtbewegungen einstellen. Man kann nicht erst Unterkünfte aufbauen, wenn die Leute schon hier sind», sagt Kormann.
(https://www.derbund.ch/nichts-los-im-groessten-fluechtlingscamp-der-schweiz-540380228953)
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Ukraine Krieg: Boden-Wegweiser für Flüchtlinge praktisch unsichtbar
Es war eine clevere Hilfeleistung für Flüchtlinge aus dem Ukraine-Krieg: Bodenwegweiser am Berner Bahnhof. Heute sind die Markierungen kaum noch sichtbar.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-boden-wegweiser-fur-fluchtlinge-praktisch-unsichtbar-66226964
+++SCHWEIZ
Inklusive Telegram-Chat: Neue Informationsplattform für ukrainische Flüchtlinge
Das Schweizerische Rote Kreuz hat eine Online-Informationsplattform für Menschen aus der Ukraine lanciert. Ein von Freiwilligen moderierter Telegram-Chat liefert zudem Antworten auf Fragen, auf die die Website keine Antwort gibt.
https://www.blick.ch/politik/inklusive-telegram-chat-neue-informationsplattform-fuer-ukrainische-fluechtlinge-id17685536.html
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aargauerzeitung.ch 23.07.2022
Nach 7 Jahren immer noch kein Asyl: Was das mit einem Flüchtling und seiner Schweizer Pflegefamilie macht
Viele Privatpersonen haben ukrainische Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen und leben nun seit einer Weile mit ihnen. Was eine solch spezielle Beziehung mit einem machen kann, schildert unsere Autorin. Vier Jahre lang lebte der Afghane Erfan bei ihr.
Miriam Nietlispach
Erfan* hat mich verändert. Ich konnte mich bisher gut distanzieren. Ich bin aufmerksam und offen. Empathisch ja, ich kann zuhören und nachvollziehen. Aber wenn ich nach Hause gehe, bin ich zu Hause. Die Gefühle der anderen bleiben, wo sie hingehören. Jetzt ist mein Zuhause ein anderes geworden.
Wir haben ein dreiwöchiges Probewohnen vereinbart. Danach besprechen wir uns. Wir schauen, ob es für alle passt, wie wir es organisieren wollen. Nach ein paar Tagen frage ich Erfan nach einer Zigarette. «Was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein», antwortet er. Ich lache. Erfan ist mit einem halb leeren Rucksack bei uns eingezogen. Unser Haus quillt über. Nein, das ist ein schlechter Deal für mich.
Nach einer Woche zeigt mir Erfan seine Narben. Einige sind aus der Kindheit, einige sind die Zeichen seiner Fluchtgründe, ein paar hat er sich selber zugefügt. Er erzählt mir die erste Geschichte, erzählt mir, weshalb sein Knie kaputt ist. Ich höre zu und weine nicht. Ich habe ein stabiles Umfeld und stehe mit beiden Beinen auf dem Boden. Er kann das bei mir abladen.
Am Tag darauf, ich bin bei der Arbeit und eine kleine Skizze erinnert mich an seine Geschichte, beginne ich zu zittern. Mit fünfzehn Jahren war meine grösste Sorge, dass sich der schöne Schulkollege nicht für mich interessiert. Erfan war gefangen. Seine Zelle war klein, stehen konnte er nicht, ausgestreckt liegen auch nicht. Wöchentlich wurde er gefoltert.
Erfan macht sich in diesen Tagen Sorgen um seine Familie. Er hat schon lange nichts mehr von ihnen gehört. Das gibt es manchmal. Wahrscheinlich haben sie keinen Strom. Oder kein Telefonnetz. Nach zwei Wochen bekommt er Nachrichten. Sie sind in den Bergen und verstecken sich. Sein grosser Bruder liegt im Spital. Eine Kugel steckt zwischen Herz und Lunge. Er erzählt es mir nicht. Wir haben Besuch und Erfan gesellt sich kurz in unsere Nähe, verschwindet aber gleich wieder. Er verbringt die Nacht allein an der Aare.
Ein paar Tage später hört er vom Tod seines zweiten Bruders. Er wollte Erfan nach Europa folgen, es hiess, er sei auf dem Weg in die Türkei. Irgendwann erfährt eine Tante im Iran von seinem Tod und ruft Erfan an. Er solle der Familie nichts erzählen. Es sind Feiertage in Afghanistan.
Erfan braucht ein Zuhause und ich werde versuchen, es ihm zu geben
Ich nehme spontan einen Tag frei und verbringe ihn mit Erfan. Ich kenne ihn noch nicht gut. Aber wie kann ich ihn jetzt allein lassen. Ich frage ihn, ob er bei uns bleibe. Ich habe ihn sehr gerne bekommen, sage ich ihm. Er nickt, lächelt schüchtern und sagt Ja, er bleibe. Ob die vereinbarten drei Wochen damals schon um waren? Für mich ist klar, es gibt kein Zurück mehr. Er braucht ein Zuhause in der Schweiz und ich werde versuchen, es ihm zu geben.
Aber ich bin nicht allein hier. Als Erfan bei uns eingezogen ist – es war Sommer und schönes Wetter –, haben meine Kinder mit ihm im Garten gespielt. Erfan ist stark und lustig, sie haben gelacht und gekämpft und wir waren glücklich.
Erfan geht es nicht immer so gut und er lässt sich nicht immer zum Spielen motivieren. «Du hast Erfan viel lieber als uns», hat mein Grosser einmal gesagt. Mein Herz blieb einen Moment stehen. «Ich habe niemanden so gern wie dich und deinen Bruder. Aber ich weiss, dass es euch gut geht. Euch fehlt es an nichts. Erfan geht es manchmal nicht so gut. Und ich versuche, mich ein bisschen um ihn zu kümmern. Es tut mir leid, wenn ich dann manchmal keine Energie mehr für euch habe.» Ich glaube, er versteht. Aber ich werde seinen Satz nie mehr vergessen. Ich war unsicher, ob ich das alles auf die Reihe bringe. Jetzt weiss ich, das ist keine Frage. Ich muss es auf die Reihe bringen.
Erfan schläft schlecht und manchmal gar nicht. Wenn er sich allein in sein Zimmer legt, begibt sich sein Kopf auf Reisen. Irgendwann beginnt er, abends zu versuchen auf dem Sofa im Wohnzimmer einzuschlafen. Mein Partner geht irgendwann ins Bett, ich bleibe oft auf. Manchmal, weil mich das Gespräch interessiert. Oft bleibe ich, weil ich weiss, dass Erfan nicht schlafen wird, wenn ich ihn jetzt allein lasse. Das sollte ich ihm nicht erzählen. Er will uns keine Umstände machen. Er will all die Last, die er auf seinen Schultern trägt, nicht bei uns abladen.
Er will nicht, dass seine Welt in unsere übergreift. Er will das mit sich selber ausmachen. Aber er will auch erzählen. Und ich will auch verstehen. Er gibt Zeichen, lässt mich nachfragen, er deponiert kleine Fetzen, meist bleibt er vage und undurchsichtig, manchmal wird er viel zu präzise. Er erzählt mir, wie der Hals eines abgetrennten Kopfes genau aussieht. Ich verstehe seine Welt nicht. Wenn ich denke, ich habe die meisten Aspekte erfasst, kommt ein neuer hinzu. In meinem Kopf formen sich seine Erzählungen und meine Ängste zu tausend Geschichten.
Zu jedem einzelnen Gesicht auf den Bildern der ankommenden Schlauchboote gehören intensiv ausgemalte Geschichten. Früher sind mir nach dem Feierabend beim Zeitunglesen im Zug manchmal Tränen gekommen. Jetzt kann ich sie nicht mehr lesen.
Unbekümmerte Freude kommt mir manchmal so falsch vor. Kunst ist nicht mehr relevant. Gutes Essen ist elitär. Mein Partner kümmert sich um mich. «Du musst loslassen können. Du bist nicht für sein Glück und Unglück verantwortlich.»
Ich fühle mich getäuscht. Von meiner glücklichen Welt, vom Leben mit meiner Familie, meinen Freunden und von der unbekümmerten Freude. «Das Gute an solchen Situationen ist, dass die eigenen Sorgen ein bisschen weniger wichtig werden», sagt ein Kollege. Aber es tut weh, wenn die eigenen Sorgen nicht mehr wichtig sind.
«Wieso erzählst du mir nicht deine ganze Geschichte? Wegen mir oder wegen dir?», frage ich Erfan wieder. Wir vereinbaren einen Nachmittag am Wochenende, eine Wiese am See, er erzählt mir seine Geschichte und wir werden nachher tanzen gehen. Er mit seinen Freunden, ich mit meinen.
Er beginnt bei seinem fünften Lebensjahr und erzählt vier Stunden. Bei 14 Jahren hört er auf. Die Zeit danach kenne ich im Groben und sein Kopf dröhnt. Er nimmt sein Handy hervor und beginnt zu scrollen. Ich weiss, dass er versucht, sich abzulenken, und ich würde ihm gerne dabei helfen. Aber auch ich bin erschöpft und kann keine Banalitäten von mir geben, keine Spässe machen. Ich finde kein Gesprächsthema, das auf dieser Wiese noch Platz hat. Seine Geschichte würde Bände füllen. Sie wäre kein gutes Buch, sie kann nicht aufhören. Sie zieht aus dem unendlichen Vorrat an Themen nach Belieben weitere hervor.
Erfan hat mir sehr viel mehr von der Welt gezeigt
In Afghanistan herrscht seit mehr als 40 Jahren Krieg. Das bedeutet immer wieder Flucht. Immer wieder Verlust von Hab und Gut. Immer wieder Angst um Familienangehörige. Um das eigene Leben. Was macht es mit einem kleinen Jungen, wenn er zusieht, wie seine Nachbarn getötet werden?
In meiner Realität gab es keine vergleichbaren Situationen. Ich kann die Geschichte annehmen, aber nicht verstehen. Jede Erwartung oder Forderung von meiner Seite fühlt sich vermessen an, solange ich nicht weiss, ob ich in seiner Rolle noch funktionieren würde. Ich bin toleranter mit ihm und kann mich kaum noch abgrenzen. Er soll mir glauben: Sein Platz hier ist nicht an Bedingungen geknüpft.
Der Nachmittag beruhigt mich ein bisschen. Teile fügen sich zu einem zwar unvorstellbarem Ganzen, aber auch zu einer Vergangenheit. Seine Zukunft wird anders aussehen. Ich bin beeindruckt, wie er sein Leben zum Funktionieren bringt. Und dann wieder am Boden zerstört, wenn er es doch nicht schafft. Er sucht. Er hört auf, Alkohol zu trinken. Oder er beginnt, jeden Abend Alkohol zu trinken, um schlafen zu können. Er geht jeden Tag fort, um mit seinen Kollegen zu lachen. Oder er geht nicht mehr fort, um Ruhe zu finden. Er beginnt auf dem Sofa zu schlafen. Er beginnt auf der Terrasse zu schlafen. Er stellt sein Zimmer um. Er tigert durch die Welt und findet die Antwort nicht. Bei uns lernt er Deutsch, er integriert sich. Aber seine Wunden lassen sich nicht so einfach heilen.
«Miriam, darf ich dich etwas fragen? Warst du früher auch so? Als ich dich kennen gelernt habe, warst du immer fröhlich. Ich habe dich nie wütend oder traurig gesehen. Und jetzt bist du so.» Er weiss, dass er mich verändert hat. Er denkt, er hat mich traurig gemacht. Mir hat die Zeit mit ihm den Boden unter den Füssen weggezogen. Meine Unbeschwertheit habe ich tatsächlich verloren. Erfan hat mir sehr viel mehr von der Welt gezeigt, als ich vorher anzuschauen bereit war. Und ich bin glücklich und dankbar, dass er seine Geschichte mit mir teilt.
Erfan hat vier Jahre bei uns gewohnt. Meine Kinder sind mit ihm als grossem Bruder aufgewachsen. Wir sehen uns immer noch häufig. Erfan lebt seit bald sieben Jahren in der Schweiz, er hat noch immer kein Asyl bekommen. Das heisst auch, er hat noch immer keine Arbeitsbewilligung. Ich habe Angst, dass er uns verloren geht.
(https://www.aargauerzeitung.ch/leben/ein-bericht-nach-7-jahren-immer-noch-kein-asyl-was-das-mit-einem-fluechtling-und-seiner-schweizer-pflegefamilie-macht-ld.2320333)
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Bussen wegen «Marsch für’s Läbe» 2021
Nach den Verzeigungsvorhalten von vergangenem November (https://rotehilfech.noblogs.org/post/2021/11/01/marsch-furs-labe-gegendemo-2021-verzeigungsvorhalte/) haben nun erste Personen Strafbefehle wegen der Demonstration gegen den letzten «Marsch für’s Läbe» im 2021 in Oerlikon gekriegt.
https://barrikade.info/article/5293
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tagesanzeiger.ch 23.07.2022
Gegendemonstration in Oerlikon: Protest gegen «Marsch fürs Läbe» wird gebüsst
Die unbewilligte Demonstration gegen den «Marsch fürs Läbe» 2021 hat rechtliche Konsequenzen. Erste Personen haben einen Strafbefehl erhalten.
Sascha Britsko
Wer sich Abtreibungsgegnern in den Weg stellte, muss nun mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Wie die Plattform Barrikade.info am Samstag mitteilt, haben erste Personen, die an der Gegendemonstration des «Marsches fürs Läbe» im September teilgenommen haben, Strafbefehle erhalten.
Dass die unbewilligte Gegendemonstration Konsequenzen haben wird, hat sich bereits im November 2021 abgezeichnet. Damals vermeldete die revolutionäre Gruppierung «Rote Hilfe Schweiz», dass einige Personen Verzeigungsvorhalte von der Stadtpolizei Zürich gekriegt hätten, nachdem sie während des Umzuges kontrolliert worden seien.
«Der Staat will uns einschüchtern»
Zum elften Mal hat letztes Jahr der «Marsch fürs Läbe» stattgefunden. Diverse christliche Organisationen, die konservativ-christliche Partei EDU und die Stiftung CH haben zu dem Protest gegen Abtreibungen aufgerufen.
Aufgrund wiederkehrender heftiger Gegendemonstrationen wollte die Stadt den Marsch eigentlich verbieten. Doch der Verein akzeptierte diesen Entscheid nicht, beschwerte sich beim Statthalter und obsiegte. Der Marsch fand statt, die Gegendemonstration auch.
An dem unbewilligten Gegenprotest nahmen im September geschätzt 200 Personen teil. Als sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingefunden hatten, griff die Polizei rigoros durch, kesselte sie ohne Vorwarnung ein und begann, ihre Personalien zu kontrollieren.
«Der Staat will uns einschüchtern und dadurch erreichen, dass wir uns nicht mehr gegen die rechte und frauenfeindliche Hetze wehren», schreiben die Gegendemonstranten auf der Plattform Barrikade.info kämpferisch. «Es wird ihm und ihnen nicht gelingen.»
Man werde auch den für den 17. August dieses Jahres bewilligten «Marsch fürs Läbe» mit einer Gegendemonstration empfangen, heisst es weiter. «Internationale und nationale Entwicklungen der letzten Monate – wie das Abtreibungsverbot in den USA und die Initiativen der SVP gegen das Abtreibungsrecht in der Schweiz – zeigen die Bedeutung dieses gemeinsamen Kampfes für die Selbstbestimmung klar auf.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/protest-gegen-marsch-fuers-laebe-wird-gebuesst-787210701131)
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derbund.ch 23.07.2022
Tierschützerdemo in Bern: Sie fordern die Gesellschaft zum Veganismus auf
Am Samstag demonstrierten in Bern rund 300 Personen für die Rechte der Tiere. Die Kundgebung fand unter speziellen politischen Vorzeichen statt.
Quentin Schlapbach, Jürg Spori (Fotos)
Eine Handvoll Kinder rennt kurz nach 14 Uhr rund um das Wasserspiel auf dem Bundesplatz. Es ist tüppig heiss, die meisten Menschen suchen den Schatten. Gut 300 Personen lassen sich von der Sonne und den hohen Temperaturen aber nicht beirren. Sie stehen mitten auf dem Bundesplatz und skandieren ihre Parolen: «Schluss mit dem Profit – auf Kosten der Tiere!»
Die Organisation Tier im Fokus hatte am Samstagnachmittag zur Demonstration aufgerufen. Zwar finden in Bern in regelmässigen Abständen Demos im Ansinnen der Tierrechte statt. Diese hier stand aber unter besonderen Vorzeichen. Am 25. September stimmt die Schweizer Bevölkerung über die Massentierhaltungsinitiative ab. Die Initiative will die Auflagen für die Tierhaltung weiter verschärfen.
Laut den Initianten wurden in der Schweiz im vergangenen Jahr 83 Millionen Nutztiere geschlachtet. «Das heutige System ist moralisch bankrott», sagte Philipp Ryf, Co-Kampagnenleiter der Initiative, in seiner Rede. Er und sein Komitee fordern eine Tierhaltung, bei der alle Tiere die Möglichkeit haben, nach draussen zu gehen, und genug Platz zum Spielen haben. Damit die Bäuerinnen und Bauern hierzulande keinen Wettbewerbsnachteil befürchten müssen, dürften auch nur noch Tierprodukte importiert werden, die dem Schweizer Standard entsprechen.
Die Gegner der Initiative betonen, dass die Schweiz im internationalen Vergleich bereits heute ein strenges Tierschutzgesetz habe und eine weitere Verschärfung unnötig sei.
Motivierter Demo-Animator
Auf dem Bundesplatz machten viele Tierschützerinnen und Tierschützer mit ihren Transparenten klar, dass sie im Prinzip noch viel weiter gehen wollten als die Forderungen der Initiative. «Würdest du Bio-Menschen essen?» stand da etwa auf einem Plakat. Oder: «Milch + Eier = Mord + Versklavung».
Für die meisten der Anwesenden ist der Veganismus der einzige Lebensstil, der moralisch gerechtfertigt werden kann. Selbst Vegetarier werden in dieser Szene als «blutrünstige Heuchler» betitelt, wie eine Demonstrantin mit ihrem Schild klar machte.
Trotz der teils martialischen Wortwahl blieb es während der Demo friedlich. Dafür, dass auch die Menschen abseits des Bundesplatzes von der Kundgebung etwas mitkriegten, sorgte der bis in die Fingerspitzen motivierte Demo-Animator, ein Gymnasiallehrer aus München. «Ich kann euch nicht hören», sagte er immer wieder, wenn er vom Publikum nach mehr Lautstärke verlangte. Und auch beim Tanzen forderte er sie zu Höchstleistungen auf: «Bewegt euch mal ein bisschen für die Tiere.»
Höhepunkt der Demo war eine Aktion, als sich zwanzig Aktivistinnen und Aktivsten auf zwei parkplatzgrossen Feldern niederlegten, um zu symbolisieren, wie viel Platz ein Schwein in der Schweiz bei den heutigen Haltungsmethoden hat. Dazu wurde eine einminütige Schweigeminute abgehalten. Um 16 Uhr löste sich die Kundgebung auf. Einige Teilnehmende zogen weiter zur Afterparty in den Breitsch-Treff, wo neben einer Podiumsdiskussion auch ein veganes Essen auf dem Programm stand.
(https://www.derbund.ch/sie-fordern-die-gesellschaft-zum-veganismus-auf-773721611588)
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/kundgebung-gegen-massentierhaltung-in-bern-66228624
+++KNAST
Kein Platz, schlechte Räume – Strafanstalt Gmünden in Ausserrhoden in desolatem Zustand
Den Gefängnissen im ausserrhodischen Gmünden fehlt es an allen Ecken und Enden. Renovationen ziehen sich aber noch hin.
https://www.srf.ch/news/schweiz/kein-platz-schlechte-raeume-strafanstalt-gmuenden-in-ausserrhoden-in-desolatem-zustand
+++POLIZEI BL
bzbasel.ch 23.07.2022
Der Polizeiverband fordert mehr Rückendeckung von der Regierung
Der Unterbestand bei der Baselbieter Polizei hat sich seit 2016 verdreifacht. Der Personalverband Polizei Basel-Landschaft sieht die Gründe in zu hoher Arbeitsbelastung und fehlendem Respekt und fordert Massnahmen von Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer.
Tomasz Sikora
Wie die bz berichtete, läuft der Kantonspolizei Basel-Stadt das Personal davon. Allein im vergangenen Halbjahr kündigten mehr Polizistinnen und Polizisten ihre Stelle, als im gesamten Jahr 2021. Die Gründe sind vielfältig. Der Polizeibeamtenverband betont besonders die Zunahme an Demonstrationen und die damit verbundene Mehrbelastung. Kurzfristige Einsätze an Wochenenden kämen immer öfter vor.
Die Politik will dem Problem mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen begegnen. Bereits drei Grossräte verschiedener politischer Parteien haben Vorstösse lanciert oder angekündigt.
Die Situation betrifft jedoch nicht nur den Kanton Basel-Stadt. Bereits im vergangenen Jahr hat der Baselbieter Polizeikommandant Mark Burkhard vor einem Notstand gewarnt und gesagt, dass er unbedingt mehr Leute brauche, denn: «Schon heute können wir nach einem Notruf nicht mehr in jedem Fall eine Patrouille schicken.»
Zwar scheint die Situation nicht ganz so gravierend zu sein, wie im Stadtkanton. Doch ein Blick auf die Stellensituation zeigt, dass der Unterbestand auch im Landkanton zunimmt. Lag der Sollbestand Ende 2016 lediglich gut vier Vollzeitstellen über dem Istbestand, hat sich der Unterbestand bis Ende 2021 auf fast 14 Vollzeitstellen erhöht. Das entspricht mehr als einer Verdreifachung.
Verband sieht Regierung in der Pflicht
Die Arbeitsbelastung sei entsprechend sehr hoch, sagt Ivo Corvini, Präsident des Personalverbandes Polizei Basel-Landschaft (PVPBL): «Das Personal ist oft am Anschlag und die Erholungsphasen werden immer kürzer.»
Das könne kein Dauerzustand sein, weshalb sich der PVPBL für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einsetze.
Ein besonderes Dorn im Auge ist Corvini, der als Anwalt selber Polizistinnen und Polizisten in Strafverfahren vertritt, fehlender Respekt gegenüber der Polizei: «Drohungen und Gewalt gegen die Polizei sind leider an der Tagesordnung.» Die Polizei schrecke davor zurück, solche Verfahren, in denen die Polizei Opfer ist, überhaupt anzustreben, weil sie viel zu lange dauern würden. «Viele Urteile sind ausserdem zu milde oder werden mit einem Strafbefehl erledigt, was zur Folge hat, dass solche Straftaten gegen die Polizei verharmlost werden.» Seine Forderung sei deshalb klar: «Die Staatsanwaltschaft muss solche Verfahren prioritär behandeln.» Und: «Ich sehe hier die Politik, insbesondere Sicherheitsdirektorin Schweizer, in der Pflicht, der Polizei den Rücken zu stärken.»
FDP-Landrat Marc Schinzel ist Mitglied der zuständigen Justiz- und Sicherheitskommission des Landrats und findet ebenfalls, dass das Personal bei der Baselbieter Polizei eher knapp bemessen sei. «Die Tatsache, dass die Region Basel eine Grenzregion ist, fordert unsere Polizei.»
SVP-Landrat sieht keinen Handlungsbedarf
Anders als Kantone wie Zug oder Glarus habe das Baselbiet bekanntermassen Probleme mit Kriminaltourismus aus dem Elsass. «Wir sollten darum im schweizweiten Vergleich sicherlich nicht die geringste Dotation und Personaldichte haben», sagt Schinzel und ergänzt: «Mir scheint, dass man mehr investieren muss, als es in den vergangenen Jahren der Fall war.»
Keinen Handlungsbedarf bei der Personalsituation der Baselbieter Polizei sieht hingegen SVP-Landrat Hanspeter Weibel, ebenfalls Mitglied der landrätlichen Justiz- und Sicherheitskommission. Er verweist auf eine Landratssitzung von Ende Januar, in der diskutiert wurde, ob Ausländer mit Ausweis C zum Polizeiberuf zugelassen werden sollen. Damals sagte Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer (SP): «Die Polizei Basel-Landschaft konnte bislang immer genügend Personen rekrutieren.»
Weibel stimmt Schweizer zu: «Es gibt bei der Baselbieter Polizei keine Personal- und Rekrutierungsprobleme, auf jeden Fall keine akuten.»
Im Gegenteil: Die Personalsituation sei in den vergangenen Jahren so gut gewesen, dass man keine Leute in die Polizeiausbildung nach Hitzkirch habe schicken müssen.
(https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/sicherheit-verband-fordert-mehr-rueckendeckung-von-regierung-ld.2320642)
+++RECHTSEXTREMISMUS
Express Zeitung: Eine rechtsextreme Verschwörungs-Zeitung aus der Region Basel
Die ExpressZeitung ist ein Print- und Onlinemedium aus Oberwil, Baselland, das seit 2016 die reaktionärsten Verschwörungstheorien zusammenmischt, verbreitet und nebenbei Nazis finanziert.
https://baselnazifrei.info/blog/express-zeitung-eine-rechtsextreme-verschworungs-zeitung-aus-der-region-basel
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
tagblatt 23.07.2022
Aufrecht Thurgau: «Wir müssen unsere Bewegung mobilisieren» – der Thurgauer Massnahmenkritiker Robin Spiri bereitet den «Sturm auf die Politik» vor
Eine Thurgauer Gruppe von Corona-Massnahmenkritikern formiert sich für die Nationalratswahlen 2023. Für Aufrecht Schweiz wollen sie ins Bundeshaus. Mit dabei sind Barbara Müller, Georg Schulthess und der Amriswiler Robin Spiri. Sie alle haben sich mit ihren Parteien überworfen.
Silvan Meile
Robin Spiri hat sich einen Namen gemacht. Er werde auf der Strasse oft angesprochen, sagt er. «Busfahrer hupten schon beim Vorbeifahren.»
Für Corona-Massnahmenkritiker und weitere Menschen, die einen Groll gegen den Staat hegen, ist der Thurgauer ein Sprachrohr. Seine Bühne ist das Internet.
Im Parterre eines schmucklosen siebenstöckigen Mehrfamilienhauses in Amriswil hat er sein Büro. Hier arbeitet er als selbstständiger Steuerberater. «Arbeiter, aber auch Millionäre, zählen zu meinen Kunden», sagt er am Besprechungstisch im Büro.
Mit Massnahmenkritik zu Bekanntheit
Auf sozialen Medien wettert der Amriswiler seit bald zwei Jahren gegen die Coronamassnahmen der Behörden. Dabei schlägt der Steuerberater gerne dramatische Töne an. «Was hier geschieht, ist ein Menschheitsverbrechen.»
Das sagte er im vergangenen Herbst in einem seiner Videos über die Einführung der Zertifikatspflicht. «Es war schnell klar, dass Corona kein Todesvirus ist», sagt Spiri heute. Dennoch seien «die Grundrechte massiv eingeschränkt», Teile der Gesellschaft vom öffentlichen Leben ausgeschlossen worden. Dafür verlangt er eine Steuerreduktion.
Spiri betreibt auf sozialen Medien wie Facebook oder Telegram zahlreiche Kanäle, um seine Botschaften unter die Leute zu bringen. Heute würden ihm insgesamt 80’000 Internetuser folgen, sagt er. Ziehe er jene ab, die ihn auf mehreren Plattformen gleichzeitig abonniert hätten, seien es wohl rund 60’000. Das macht den bald 30-Jährigen, der seine Botschaften bei laufender Kamera einsam in sein Handy spricht, zu einer Bekanntheit in der Szene.
Robin Spiri will in den Nationalrat
In einem seiner dutzenden Videos sagt Robin Spiri, man solle alle Zeitungsabos kündigen und den Fernseher aus dem Fenster werfen. Denn beide würden nur «Müll und Schrott» verbreiten. Heute mag er sich nicht mehr so richtig daran erinnern. Viel lieber möchte er nun dieser Zeitung seine Neuigkeiten verraten. In seinem Büro hat er extra ein Werbebanner von Aufrecht Schweiz aufgestellt: «Ich kandidiere für den Nationalrat.»
Aufrecht Schweiz will keine Partei sein. Der Verein hat dennoch das Ziel, Massnahmenskeptiker in politische Ämter zu hieven. Die Coronademonstranten sollen an die Schalthebel der Politik – und zwar auf allen drei Staatsebenen. Bisher gab es vor allem Wahlschlappen. Vereinspräsident Patrick Jetzer schaffte immerhin den Sprung ins Dübendorfer Stadtparlament.
Die Kandidatenliste der Ausgeschlossenen
Aufrecht Schweiz ist ein Sammelbecken für Politiker, die sich wegen Corona mit ihren Parteien überwarfen. Im Thurgau trifft das jedenfalls zu. Gemäss Spiri kandidiert im Herbst 2023 auch die aus der SP ausgeschlossene Kantonsrätin Barbara Müller auf der Aufrecht-Thurgau-Liste für den Nationalrat. Ausserdem zähle der im Mai aus der SVP rausgeworfene Kreuzlinger Stadtparlamentarier Georg Schulthess zu den möglichen Kandidaten. Dessen theatralische Maskenverweigerung wurde der Partei zu viel.
In diese Gruppe der Ausgeschlossenen passt auch Spiri. Er überwarf sich einst mit der Jungen SVP. Das sei schon lange her, sagt er. Sein Engagement an vorderster Front für die kantonale Volksinitiative «Ja zur freien Schulwahl» war 2010 Auslöser für den Ärger. Zuvor war Spiri auf Parteilinie, kämpfte engagiert für das Minarettverbot, schrieb Leserbriefe gegen Burkas und «den schleichenden EU-Beitritt». Plötzlich war er weg – bis Corona kam.
Ein Kandidat mit viel Selbstvertrauen
Heute sei er gegen ein Links-Rechts-Denken, sagt Spiri. «In der Kernfrage, der Wahrung der Bürger- und Grundrechte, sind wir uns bei Aufrecht Thurgau einig.» Jetzt wolle er Gas geben. Spiri rechnet damit, dass die Nationalratsliste von Aufrecht Thurgau «acht bis zwölf Prozent Wähleranteil» holen kann. Mit einer Listenverbindung – «eine Möglichkeit wäre die EDU» – liege ein Sitz drin. An Selbstvertrauen mangelt es Robin Spiri nicht: «Wir wollen einen Nationalratssitz. Wir werden einen holen.»
Im Thurgau hätten viele Leute seit Corona «die Schnauze voll». «Wenn wir unsere Bewegung mobilisieren können, dann sind wir drin.» Daran arbeite er nun als Wahlkampfleiter von Aufrecht Thurgau, auch Bezirks- und Ortsgruppen will er lancieren. Für Ferien habe er seit zweieinhalb Jahren keine Zeit mehr. «Wir müssen einen politischen Arm erschaffen, um die Möglichkeit zu erhalten, im System etwas ändern zu können», sagt Spiri. «Wir wollen möglichst viele Leute unserer Bewegung in Ämter bringen.»
Sturm auf die Politik statt Selbstmitleid
Er habe sich beruflich selbstständig gemacht, damit er sein eigener Chef sein könne. Auch für den Gang in die Politik hat er seinen eigenen Kompass. Auf drei A4-Seiten hat er sein persönliches Positionspapier verfasst. Beispielsweise soll die Mehrwertsteuer bei drei Prozent gedeckelt werden, der öffentliche Verkehr für alle gratis sein und «die Schweiz soll sich nicht an Sanktionen westlicher Staaten gegenüber anderen Ländern beteiligen».
Es sei nicht seine Art, als Opfer der unterdrückenden Coronamassnahmen in Selbstmitleid zu verfallen. Selbstbewusst geht er in die Offensive, will Einfluss auf den Staat nehmen: «Das wird ein Sturm auf die Politik.»
Spiri vergleicht seine Ausgangslage als Politiker mit einem Arbeiter, der vor einem baufälligen Haus steht. «Das Fundament ist gut, doch was darauf steht, ist alt und morsch, es muss ersetzt werden.»
Der Hitzkopf und das Eisfeld
Besonders in Rage versetzte Spiri im vergangenen Herbst die Ankündigung der Stadt Amriswil, dass für die mehrwöchige Open-Air-Veranstaltung «Amriswil on Ice» mit künstlichem Eisfeld, Restaurant, Bar und Bühne eine 3G-Regel gelte. Spiri sprach von «einem Apartheidsregime, das einen Level erreicht hat, der nicht mehr tolerierbar ist». Er rief seine Gefolgschaft auf, der Stadtverwaltung und insbesondere Stadtpräsident Gabriel Macedo mit Anrufen und E-Mails die Meinung zu geigen. Dutzende von Massnahmenkritikern deckten daraufhin die Behörden mit Drohungen und Beleidigungen ein.
Er kämpfe gegen die Spaltung der Gesellschaft an, rechtfertigt Spiri in seinem Büro diese Aktion. Sie sei nicht gegen Macedo als Person gerichtet gewesen. Sie würden sich gut kennen, seien im gleichen Quartier in Schönenberg an der Thur aufgewachsen.
Spiri hat sich in das Thema Corona verbissen, obwohl fast alle Massnahmen längst aufgehoben sind. Er sagt, er sei eben Bürgerrechtler, der für die Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen einstehe. Dabei scheint er aber einseitig zu gewichten. Als der Impfbus in Amriswil vorfuhr, rief er zur Demonstration dagegen auf. Er setzte sich vor dem Pentorama derart lautstark in Szene, dass ihn der «Blick» als «Impfbus-Pöbler» bezeichnete. Und Spiri rief den russischen Botschafter auf, sich «sofort um die massive Unterdrückung der Opposition in der Schweiz» zu kümmern.
Spiri fordert Macedo an der Urne heraus
Wäre er Stadtpräsident von Amriswil, hätte er die vom Bund und dem Kanton verordneten Massnahmen niemals so gehorsam umgesetzt. In seinen Augen handelte seine Wohngemeinde nicht im Sinn der Wähler, denn Amriswil sei die einzige Stadt der Schweiz, welche beide Covid-Vorlagen ablehnte. Diesen Herbst sind wieder Wahlen. Spiri sagt: «Ich überlege mir eine Kandidatur als Stadtpräsident.»
Dicke Post vom Bundesamt für Polizei
Nachdem Spiri Gesundheitsminister und Feindbild Alain Berset auf dessen Direktnummer anrief, war plötzlich das Bundesamt für Polizei zur Stelle. In einem Brief forderte das fedpol den Amriswiler in aller Deutlichkeit auf, solche Anrufe zu unterlassen. «Ihre Handlung erfüllt Straftatbestände des Schweizerischen Strafgesetzbuches und kann zu einer Strafuntersuchung führen.»
Der Bund dulde solche Handlungen sowie ehrverletzende Äusserungen und Drohungen insbesondere gegen Bundesvertreter in keiner Weise, heisst es im Schreiben weiter, das Spiri auf Telegram teilte.
Einigen seiner Follower sei er zu hart, für andere sei er zu anständig, erklärt er in seinem Büro. In seinem Positionspapier seiner Nationalratskandidatur gibt er sich ganz nett. «Für eine menschenfreundliche Politik», lautet die Überschrift.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-thurgau/aufrecht-thurgau-wir-muessen-unsere-bewegung-mobilisieren-der-thurgauer-massnahmenkritiker-robin-spiri-bereitet-den-sturm-auf-die-politik-vor-ld.2319319)
+++HISTORY
Freidorf Basel: Modelldorf zwischen Kapitalismus und Kommunismus
Vor hundert Jahren begeisterte sich die Internationale Genossenschaftsbewegung für das Freidorf in Basel: Hier sollte ein dritter Weg zwischen Klassenkampf und Markt gesucht werden – in der Arbeit, im Wohnen und im Konsum. Eine Zone zwischen Utopie und kleinbürgerlicher Kontrolle.
https://www.swissinfo.ch/ger/freidorf-basel–modelldorf-zwischen-kapitalismus-und-kommunismus/47646616
«Bis das Blut an die Decke hinauf spritzt»: So war es im Interniertenheim im Château Gütsch wirklich
Geschichten von Migration und Flucht sind die Hauptthemen des Untergrundgangs. Ein neuer Archivfund belegt nun, welch sadistische Szenen sich im als Interniertenheim genutzten Hotel Château Gütsch zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs abspielten.
https://www.zentralplus.ch/blog/damals-blog/so-war-es-im-interniertenheim-im-chateau-guetsch-wirklich/