Medienspiegel 13. Juni 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Mehrere Berner Familien möchten die ukrainischen Flüchtlinge in den eigenen vier Wänden wieder loswerden.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/rund-7000-laeuferinnen-am-start-des-schweizer-frauenlaufs-in-bern?id=12205625


+++ZUG
In diese Ferienhäuser ziehen sie: Ägerital schafft Platz für Flüchtlinge aus der Ukraine
Wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt, ist derzeit schwer einzuschätzen. Klar ist: Es braucht weiter Platz für die Menschen, die aus dem Land flüchten mussten. Der Kanton hat nun zwei weitere Unterkünfte gefunden – im Ägerital.
https://www.zentralplus.ch/news/aegerital-schafft-platz-fuer-fluechtlinge-aus-der-ukraine-2387909/


+++ZÜRICH
Die unhaltbaren Zustände im Lilienberg dulden keinen weiteren Aufschub
Gemeinsame Fraktionserklärung der Grüne, SP und AL im Kantonsrat zu den Zuständen im Jugend-Asylheim Lilienberg.
https://al-zh.ch/blog/2022/06/die-unhaltbaren-zustaende-im-lilienberg-dulden-keinen-weiteren-aufschub/



tagesanzeiger.ch 13.06.2022

AOZ und Kanton Zürich in der KritikMissstände im Jugend-Asylheim sollen sofort aufhören

Gewalt, Alkohol, Depression – das Wohl der geflüchteten Teenager im Zentrum Lilienberg ist laut Insidern gefährdet. Linke Politikerinnen fordern jetzt mehr Platz und bessere Betreuung.

Pascal Unternährer

So lieblich der Name und idyllisch die Lage, so unschön die Schlagzeilen: Im Jugend-Asylheim Lilienberg in Affoltern am Albis müssen viele Jugendliche leiden. Wie diese Zeitung kürzlich berichtet hat, sind im Heim Streit und Gewalt an der Tagesordnung. Lärm, Alkohol, fehlende Regeln und beengende Platzverhältnisse machen den Teenagern zu schaffen. Einige seien suizidgefährdet, sagen Insider. So komme es immer wieder zu Notfallplatzierungen und Spitaleinweisungen.

Die Jugendlichen im Lilienberg sind Geflüchtete, die ohne Verwandte in die Schweiz gekommen sind. Derzeit stammen sie vor allem aus Afghanistan, manche haben möglicherweise Gräuel der Taliban miterlebt. Betreut werden die 12- bis 17-jährigen Teenager von der Asylorganisation Zürich (AOZ), die das Heim im Auftrag des Kantonalen Sozialamts betreibt. Die Infrastruktur sei aber schlecht, das Betreuungsteam für die rund 90 Bewohner viel zu klein, kritisieren Kenner des Heims.

Kanton ordnet Betriebsprüfung an

Die Kritik kommt von ehemaligen Mitarbeitenden, einer Psychotherapeutin und aus der Schule. «Das Kindeswohl praktisch aller Bewohner im Lilienberg ist gefährdet», haben Lehrpersonen von der Sekundarschule Affoltern am Albis in einem Brief ans Sozialamt geschrieben. Dieses hat reagiert und eine ausserordentliche Betriebsprüfung durch unabhängige Experten angeordnet.

Die AOZ schrieb in einer Reaktion, ihr seien die Vorwürfe bekannt. Tatsächlich gelinge es der AOZ «nicht immer, das Optimum für unsere Mitarbeitenden und die Geflüchteten herauszuholen». Das Umfeld sei herausfordernd.

Kritik an «Sparvertrag»

Nun tritt die Politik auf den Plan. Letzten Mittwoch haben die Grünen im Zürcher Stadtparlament die AOZ heftig kritisiert. Sie führen die Zustände auf einen «Sparvertrag» aus dem Jahr 2019 zwischen dem Kanton und der AOZ zurück. Die Grünen fordern die Anstellung zusätzlicher Sozialpädagoginnen und -pädagogen.

Pro Wohngruppe sollen neu mindestens zwei Fachpersonen zuständig sein. Die AOZ soll die Zusatzkosten bis Ende Jahr aus ihrem Eigenkapital von über 11 Millionen Franken decken. Danach soll der Kanton oder die Stadt einspringen. Gefordert werden zudem die Halbierung der Kapazität im Lilienberg und die Eröffnung neuer Unterkünfte. Auch der Betreuungsschlüssel soll erhöht werden.

Linke will besseren Betreuungsschlüssel

Dieses Thema haben nun auch Politikerinnen von Grünen, AL und SP im Kantonsrat aufgenommen. In einer Fraktionserklärung am Montag wandten sie sich direkt an Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos) und kritisierten, dass halb so viele Betreuungspersonen eingesetzt werden wie in anderen Jugendheimen – obwohl «gerade minderjährige Geflüchtete besonderen Schutz und besondere Aufmerksamkeit» brauchten. Die Politikerinnen wollen nicht die Betriebsprüfung abwarten, sondern verlangen sofortiges Handeln.

In der Pipeline haben die drei Parteien einen Vorstoss, den sie für dringlich erklären wollen. Hauptanliegen: Für die Zentren für geflüchtete unbegleitete Minderjährige sollen dieselben Qualitätsanforderungen gelten wie in «normalen» Jugendheimen, was auf eine Verdoppelung der Anzahl Sozialpädagoginnen und -pädagogen hinausläuft. Auch soll eine Dezentralisierung geprüft werden. Das Lilienberg sei für 45 bis 50 Jugendliche konzipiert worden. In kleineren Wohngruppen könne man besser auf die Bedürfnisse der Jugendlichen eingehen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/missstaende-im-jugend-asylheim-sollen-sofort-aufhoeren-357142668799)


+++SCHWEIZ
Schluss mit den Zwangsrückführungen! Bleiberecht für alle in der Schweiz!
Maria, eine 30-jährige Frau aus Eritrea, kam Ende Dezember 2021 in die Schweiz. Im Bundeszentrum in Chiasso stellt sie ein Asylgesuch. Die Schweizer Behörden verweigerten ihr die Aufnahme unter dem Vorwand, dass ihr in Griechenland der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei. Anfang Mai wurde sie an den Kanton Luzern überstellt, der für die Durchführung der Zwangsrückführung zuständig ist. Dort verschwendeten sie keine Zeit. Ein paar Tage später ging sie zum Termin beim Migrationsamt, um ihr Aufenthaltsdokument zu verlängern. Doch dort wartet die Polizei auf sie. Sie wird verhaftet und in das Verwaltungsgefängnis Zürich gebracht. Sie wird von den Polizisten stark unter Druck gesetzt: Entweder sie nimmt den für sie gebuchten Linienflug, oder sie wird inhaftiert und zwangsweise nach Griechenland zurückgeschickt. Sie möchte eine Spur ihrer Erfahrungen und ihrer Verzweiflung hinterlassen.
https://barrikade.info/article/5217


Flucht aus der Ukraine – Viele Gastfamilien sind «ermüdet» – wohin mit den Geflüchteten?
Noch haben Kantone Kapazitäten für Geflüchtete, die neu untergebracht werden müssen. Aber ein Gesamtüberblick fehlt.
https://www.srf.ch/news/schweiz/flucht-aus-der-ukraine-viele-gastfamilien-sind-ermuedet-wohin-mit-den-gefluechteten
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/platznot-nicht-mehr-alle-gastfamilien-koennen-weiterhin-ukrainische-fluechtlinge-beherbergen-146842209


Ukrainische Flüchtlinge bescheren dem Verein Asylex viel Arbeit
Einfach ist das Zusammenleben zwischen Menschen aus der Ukraine und ihren Schweizer Gastfamilien nicht. Gastfamilien sind oft überfordert, Flüchtlinge mussten teilweise wieder ausziehen. Solche Fälle beschäftigen auch die Juristin Lea Hungerbühler und ihren Verein Asylex.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/ukrainische-fluechtlinge-bescheren-dem-verein-asylex-viel-arbeit?id=12205655


Zwar kommen weniger ukrainische Geflüchtete – doch es gibt ein neues Problem
Fast 54’000 Geflüchtete aus der Ukraine haben unterdessen den Schutzstatus S erhalten. Viele wurden mit offenen Armen empfangen. Doch je länger der Krieg andauert, desto komplizierter wird die Suche nach einer Zweitunterkunft. Ein Augenschein in Thun und Bern.
https://www.watson.ch/schweiz/ukraine/818372202-warum-ukrainische-gefluechtete-nach-zweitunterkuenften-suchen


+++DEUTSCHLAND
Experte für Abschiebungshaft: „Ich sehe politisches Kalkül“
Die Ampel-Koalition plant Verschärfungen bei der Abschiebungshaft. Dafür gebe es gar keinen Grund, sagt Rechtsanwalt Fahlbusch.
https://taz.de/Experte-fuer-Abschiebungshaft/!5860137/


+++EUROPA
Frontex: Illegale Einreise in EU über Balkan hat sich fast verdreifacht
Gründe für den kräftigen Anstieg nennt die Grenzschutzagentur nicht. Flüchtlinge aus der Ukraine seien in den Zahlen nicht erfasst
https://www.derstandard.at/story/2000136537289/illegale-einreise-in-eu-ueber-balkan-laut-frontex-fast-verdreifacht?ref=rss
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-06/frontex-illegale-einreisen-eu-zunahme?utm_referrer=https%3A%2F%2Ft.co%2F


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Immer noch wenig Plätze für Fahrende im Kanton Zürich
Eigentlich muss der Kanton Zürich Fahrenden einen Platz zur Verfügung stellen, wo sie eine Zeit lang campieren können. Nur: Solche Plätze für die knapp 3000 Jenischen, Roma und Sinti sind Mangelware. Gerade einmal neun Plätze für Wohnmobile gibts aktuell. Benötigt würden aber rund doppelt so viele. (ab 06:20)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/immer-noch-wenig-plaetze-fuer-fahrende-im-kanton-zuerich?id=12205997


+++FREIRÄUME
Wem gehört der öffentliche Raum?
Sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum ist immer noch eine Realität. Verschiedene Initiativen machen in den letzten Jahren vermehrt darauf aufmerksam. Etwa das Projekt «Raum für alle» in Basel, bei dem vor allem Männer sensibilisiert werden sollen. Wie gelingt Gleichstellung im öffentlichen Raum?
https://www.srf.ch/audio/kontext/wem-gehoert-der-oeffentliche-raum?id=12203372


Städtebau in der Schweiz – Apérotreff statt Asphaltwüste: So sehen Plätze der Zukunft aus
In Bern hat sich der aufgewertete Viktoriaplatz zum Szenetreff gemausert. Andere Städte planen den grossen Wurf.
https://www.srf.ch/news/schweiz/staedtebau-in-der-schweiz-aperotreff-statt-asphaltwueste-so-sehen-plaetze-der-zukunft-aus


+++REPRESSION DE
Im inneren Kreis
Iris P. führte enge Freundschaften und ging intime Beziehungen mit Menschen ein, die sie zugleich ausspionierte. Als verdeckte Ermittlerin Iris Schneider forschte sie jahrelang die linke Szene und die Rote Flora in Hamburg aus. Und auch im idyllischen Heidelberg hat sich der Polizist Simon B. 2010 eigens an der Universität immatrikuliert, um linke Studierende auszuspähen. Eindrucksvoll erzählen die Protagonisten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven ihre Geschichten.
https://www.ardmediathek.de/video/doku-und-reportage/im-inneren-kreis-oder-doku/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS8zZDQyNzhlYi0zOGMwLTQ4MDQtODBkYi0wOTQyMzRjYjE5MGM


+++POLICE BE
Regierungsratsantwort auf M 279-2021 Brönnimann (Mittelhäusern, glp) Eine Polizei für alle Berner und Bernerinnen
https://www.rr.be.ch/de/start/beschluesse/suche/geschaeftsdetail.html?guid=b40e8bc9e6a34d8c9dbd4da1af4bd864


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Hungerstreik wegen Ruanda-Ausschaffungen, Pushbacks nach Italien, Freispruch für Mousafir
https://antira.org/2022/06/13/hungerstreik-wegen-ruanda-ausschaffungen-pushbacks-nach-italien-freispruch-fuer-mousafir/


+++RECHTSEXTREMISMUS
#IgnazBearth
Unter Auswanderern iin Ungarn: So machen Rechte mobil
Ungarn ist ein beliebtes Ziel für deutsche Auswanderer. Doch darunter mischen sich Rechte und Querdenker – und gründen „Stützpunkte“.
https://www.morgenpost.de/politik/article235521675/auswanderer-deutsche-ungarn-rechte-verschwoerung-afd-querdenker.html


+++HISTORY
Fürsorgerische Zwangsmassnahmen: Mehr Fälle als angenommen
Die beiden Forscherinnen Nadja Ramsauer und Susanne Businger haben im Historischen Museum Uri ihre Erkenntnisse zu den Urner Zwangsmassnahmen präsentiert.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/uri/kanton-uri-fuersorgerische-zwangsmassnahmen-mehr-faelle-als-angenommen-ld.2304128


Rauswurf von russischen Künstlern wieder vor Gericht
Russische Künstler werden aus dem Dachstock eines Hauses in der Wasserstrasse vertrieben. Der Fall wurde am Basler Appellationsgericht neu aufgerollt.
https://telebasel.ch/2022/06/13/rauswurf-von-russischen-kuenstlern-wieder-vor-gericht


+++PSYCHIATRIE
derbund.ch 13.06.2022

Münsinger Psychiatriedirektor: «Wir haben Patienten, die glauben, sie seien Napoleon»

Umstrittene Anstellungen, Vorwürfe zu präventiven Fixierungen und Verschwörungstheorien: Was ist im Psychiatriezentrum Münsingen los? Der Direktor erklärt.

Brigitte Walser, Marius Aschwanden

Es rumort im Psychiatriezentrum Münsingen (PZM). Die Vorwürfe gegen das Unternehmen sind so gravierend, dass sowohl das PZM selbst als auch der Kanton eine Untersuchung veranlassten.

Im Fokus steht dabei einerseits die Frage, ob präventiv freiheitsbeschränkende Massnahmen angewendet wurden. Andererseits wird die Anstellung von Personen der Kirschblüten-Gemeinschaft untersucht, welche in der Psychiatrie umstrittene Therapieformen vertritt.

Erst kürzlich wurde zudem weitere Kritik laut. Auch am PZM hätten sich in den Therapien Verschwörungserzählungen verbreitet, so der Vorwurf, den Mitarbeitende und Patienten gegenüber Radio SRF äusserten. Konkret geht es darum, dass Patienten etwa im Glauben bestärkt wurden, Opfer von satanistischen Kreisen zu sein.

Diese Woche ist die Situation am PZM Thema im Grossen Rat. Jetzt nimmt der Psychiatriedirektor Ivo Spicher (59) erstmals ausführlich Stellung. Wortreich und energisch äussert er sich zu den Vorwürfen. Der Freiburger leitet das PZM seit zwei Jahren. Er hat zuvor unterschiedliche Spitäler geleitet und zusammengeführt. Spicher ist Facharzt für Zahnmedizin und Wiederherstellungschirurgie, überdies verfügt er über einen Master of Law sowie einen MBA in Finanzmanagement und Controlling.

Herr Spicher, in den letzten Monaten wurden viele Vorwürfe gegen das Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) laut. Schlafen Sie als Direktor noch gut?

Wer in der Psychiatrie arbeitet, braucht starke Nerven. Ich habe es mit langen Arbeitstagen und vielen Herausforderungen zu tun. Aber es ist unendlich spannend. Ich arbeitete früher als Chirurg, da gab es auch schwierige Situationen, sie sind für mich deshalb nicht neu. Schlafen konnte ich bisher immer gut.

Die Kritik richtet sich immer wieder gegen die gleiche Klinik, jene für Depression und Angst. Was ist dort los?

Uns beschäftigen Themen, die auch andere Kliniken und Spitäler umtreiben und die mit dem System zu tun haben: Organisation, Führung, Konzepte. Kommen dann noch äussere Faktoren hinzu, die das Team fordern – etwa der Fachkräftemangel oder Covid –, kann das System schnell kippen. So entstand eine Dynamik, die nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen ist.

Wie äusserte sich diese Dynamik?

Der Mensch und das System stossen an ihre Belastungsgrenzen, wenn die Ressourcen knapp sind – etwa weil permanent Fachpersonal fehlt.

Aber warum steht ausgerechnet die eine Klinik im Fokus?

Wir behandeln dort Patienten mit hochkomplexen Krankheitsbildern. Insbesondere im Akutbereich sind wir zudem mit viel Aggression und Gewaltbereitschaft konfrontiert. Das belastet zusätzlich und beschleunigte die Dynamik. Ich vergleiche das mit einem Organismus: Eine Entzündung wird auch nicht über Nacht zum Problem, sie entwickelt sich langsam, und so war es auch bei uns. Nun versuchen wir, wieder eine solide Basis zu schaffen, das wird einige Zeit in Anspruch nehmen.

Am Anfang der Kritik stand die Anstellung von drei Frauen, die der umstrittenen Kirschblüten-Gemeinschaft angehören. Weshalb arbeiteten diese Frauen am PZM?

Wir pflegen eine diskriminierungsfreie Anstellungspraxis. Wenn jemand die erforderliche staatlich anerkannte Ausbildung vorweist, gute Referenzen hat und unsere Richtlinien einhält, dann sind wir interessiert. So war das auch bei diesen Anstellungen. Der Verwaltungsrat hat dazu im Februar eine externe, unabhängige Untersuchung in Auftrag gegeben. Sollte diese ergeben, dass etwas nicht gut gelaufen ist, sind wir die Ersten, die Verbesserungen anstreben.

Dem Klinikchef Thomas Reisch wird nachgesagt, er habe eine Beziehung mit einer Kirschblütlerin.

Er hat von Anfang an informiert, dass es diese Beziehung gibt. Er hat auch klar deklariert, dass er sich von den Therapien distanziert, welche bei Kirschblütlern ein Thema sein könnten, und dass er nicht Mitglied der Gemeinschaft ist.

Ihnen genügte diese Erklärung?

Wir haben keinen Anhaltspunkt, dass sie nicht stimmt. Wir arbeiten in interdisziplinären Teams. Als Arzt oder Therapeut kann man deshalb Patientinnen und Patienten nicht über längere Zeit behandeln, ohne dass es Rückmeldungen gäbe, sollte etwas nicht richtig laufen.

Kann es sein, dass Thomas Reisch selbst ein Grund für die Probleme der Klinik ist?

Die Themen, die nun im Raum stehen, sind multidimensional und komplex. Es würde viel zu kurz greifen, sie mit einer einzigen Person in Verbindung zu bringen. Natürlich wird im Rahmen der Untersuchung auch beim Klinikchef hingeschaut. Das gilt übrigens für mich ebenso. Ich bin von den vier externen Experten ebenfalls interviewt worden. Jetzt sind wir gespannt auf das Resultat. Bis die Untersuchung abgeschlossen ist, hat sich Thomas Reisch in gegenseitigem Einvernehmen zurückgezogen.

Was sagen Sie zur Kritik, dass in seiner Klinik Patienten vorsorglich und systematisch mit Zwangsmassnahmen ruhiggestellt werden?

Das ist ein sehr schwerwiegender Vorwurf. Ich bin dankbar, dass die kantonale Gesundheitsdirektion dies untersuchen lässt. Zwangsmassnahmen sind ein unglaublicher Eingriff in die Autonomie und die Freiheit. Sie müssen verhältnismässig sein und dürfen nur als Ultima Ratio eingesetzt werden.

Wie haben sich die Zahlen der Zwangsmassnahmen bei Ihnen entwickelt?

Sie sind – wie schweizweit auch – angestiegen. Uns hat aber beruhigt, zu sehen, dass am PZM im Vergleich zu anderen Kliniken nicht überdurchschnittlich viele Zwangsmassnahmen angewendet werden.

Werden Zwangsmassnahmen schneller eingesetzt, wenn das Personal knapp ist?

Dieser Vorwurf liegt auf dem Tisch. Von aussen hat man schnell das Gefühl, dass es diesen Zusammenhang gibt. Aber es funktioniert nicht so, dass Patienten fixiert werden und dann ist Ruhe. Zum einen sind Zwangsmassnahmen sehr personalintensiv. Zum andern muss jede einzelne Zwangsmassnahme vom zuständigen Chefarzt entschieden werden. Zudem wird eine Meldung an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) gemacht. Patienten können den Rechtsweg einschlagen. Das wird auch gemacht. Es ist auch deshalb keine Massnahme, die man schnell ergreift.

Sie haben das teilweise hohe Aggressionspotenzial der Patientinnen und Patienten angesprochen. Wie muss man sich das vorstellen?

Wir hatten letztes Jahr 3100 stationäre Eintritte, 765 davon waren Zwangseinweisungen. Eine unglaublich hohe Anzahl Patientinnen und Patienten wurde also gegen den eigenen Willen zu uns gebracht. Im Vorjahr waren es gar 940.

Was bedeutet das?

Es bringt Stress ins System. Nicht nur neu ankommende, sondern auch bereits aufgenommene Patienten können dekompensieren, also Aggressionen entwickeln und die Kontrolle verlieren. Wir müssen die Patienten jederzeit vor sich selbst, aber auch vor anderen schützen. Aber erst wenn wir nicht anders handeln können, greifen wir zu bewegungseinschränkenden Massnahmen.

Sie bestreiten also den Vorwurf, dass Zwangsmassnahmen wegen Personalmangels vorsorglich ergriffen wurden?

Wir haben keine Anhaltspunkte für eine solche Praxis. Es sind immer Einzelfallentscheide, und ich begrüsse es, dass der Kanton diese in seiner Untersuchung noch einmal anschaut. Unsere Mitarbeitenden sind top ausgebildet, sie beherrschen fachlich die ganze Klaviatur und setzen Zwangsmassnahmen erst ein, wenn es medikamentös und therapeutisch keine Alternativen mehr gibt. Das hat auch mit ihrem Berufsethos zu tun.

Wie akut der Personalmangel ist, zeigte sich vor wenigen Tagen. Sie mussten wiederum in der Klinik für Depression und Angst zwölf Betten schliessen. Haben Sie Patienten nach Hause geschickt?

Nein. Weder schicken wir Patienten nach Hause, noch mussten wir bisher welche abweisen. Man darf die Relationen nicht aus den Augen verlieren. Wir haben 292 Betten und mussten 12 Akutbetten temporär schliessen. Bevor wir dies taten, haben wir unsere Zuweiser und die kantonale Gesundheitsdirektion informiert. Die Spitäler und Ärzte suchen für ihre Patienten nun vermehrt Alternativen oder fragen uns vor einer Überweisung an, ob wir Kapazitäten haben.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sie Betten reduzieren müssen. Weshalb bekommen Sie das Problem nicht in den Griff?

Der Fachkräftemangel trifft uns empfindlich. Doch auch andere Psychiatrien mussten Betten schliessen.

Aber bei Ihnen scheint die Unruhe gross zu sein.

Ja, es gibt Themen, die wir intern angehen müssen. Gleichzeitig können wir nicht alles selber beeinflussen. Wenn Arbeitnehmende plötzlich ein rares Gut werden, finden sie rasch und problemlos einen neuen Job. Bisher haben wir es tatsächlich nicht geschafft, die Personallücke in der Klinik für Depression und Angst zu schliessen. Das bereitet mir Sorgen. Gleichzeitig bin ich zuversichtlich, dass die neue Akutaufnahmestation, die momentan gebaut wird, Entlastung bringt.

Erst kürzlich folgten die neusten Vorwürfe: Im PZM würden Therapeuten Verschwörungstheorien verbreiten, etwa über rituellen Missbrauch in satanistischen Kreisen. Wie kann so etwas passieren?

Ich sage das sehr deutlich: Verschwörungstheorien und derartige Therapien haben bei uns keinen Platz. Wir distanzieren uns davon und diagnostizieren und therapieren ausschliesslich auf wissenschaftlicher Basis.

Es gibt gemäss Radio SRF aber Mitarbeitende und Patienten, die etwas anderes sagen.

Wir haben nach Bekanntwerden der Vorwürfe sehr genau hingeschaut. Fakt ist: Dissoziative Persönlichkeitsstörungen gibt es. Auch wir haben Patienten, die mit dieser Diagnose zu uns kommen und das Gefühl haben, sie seien in solche Dinge involviert. Wir haben aber auch Patienten, die glauben, sie seien der liebe Gott oder Napoleon.

Und was tun Sie mit diesen Patienten?

Wir nehmen sie ernst und versuchen, ihnen zu helfen. Auch bei komplexen Traumatisierungen gibt es ein systematisches Vorgehen. Suggestive Therapiemethoden sind bei uns tabu.

Aber offenbar gibt es Therapeuten, welche die Patienten in ihrem Glauben an rituellen Missbrauch bestärken. Wissen Sie davon?

Wenn ein Patient sagt, er werde von einem solchen Kreis missbraucht, ist das sein Gedankengut. Eine Therapeutin muss diese Gedanken aufnehmen und mit diesen arbeiten. Sie versucht etwa, herauszufinden, wie realistisch die Erzählungen sind. Dafür gibt es verschiedene Instrumente wie eine zeitliche und geografische Verortung der mutmasslichen Vorfälle. Für alle Traumatherapeutinnen ist es aber eine Herausforderung, dabei die nötige emotionale Distanz zu wahren. Wären wir jemals zum Schluss gekommen, dass es rituellen Missbrauch gibt, dann hätten wir die Strafverfolgungsbehörden einschalten müssen.

Bei den Kirschblütlern und den Zwangsmassnahmen begrüssen Sie also die Untersuchungen, bei den Verschwörungsvorwürfen halten Sie hingegen weitere Abklärungen nicht für nötig?

Im Rahmen der beiden Untersuchungen dürften auch diese Vorwürfe aufgegriffen werden. Sollte es irgendwelche Anhaltspunkte auch zu dieser Thematik geben, wären wir die Letzten, die sich gegen weitere Schritte wehren würden.

Sie haben seit März Massnahmen umgesetzt, um die Qualität zu sichern. Welche?

Wir haben insbesondere die Diagnostik und Therapie von Traumapatienten vertieft analysiert und Massnahmen zur Qualitätssicherung ergriffen. So haben wir beispielsweise beschlossen, dass nur noch der Chefarzt die Diagnose dissoziative Persönlichkeitsstörung stellt. Vorher konnten das auch Fachärzte. So oder so kommt das Krankheitsbild aber selten vor.

Auch der Kanton lässt das PZM noch überprüfen. Kommen Ihre Angestellten überhaupt noch zum Arbeiten?

Es ist belastend für die Mitarbeitenden. Sie hinterfragen sich und sind verunsichert, ob sie das Richtige tun. Deshalb sind wir sehr froh, wenn die Untersuchungen dann abgeschlossen sind. Gleichzeitig begrüssen wir es, eine objektive Sicht von aussen zu haben.

Zumindest einem Teil des Teams scheint das Vertrauen in die Führung zu fehlen – Vorwürfe wurden via Medien publik.

Ja, wir müssen auch Diskussionen über die Unternehmenskultur führen und uns fragen, ob es neue Plattformen braucht, damit sich Mitarbeitende intern noch besser Gehör verschaffen können.

Sie sind Zahnarzt und Wiederherstellungschirurg. Welche Unterschiede stellen Sie zur Psychiatrie fest?

Als Zahnarzt kann ich ein Röntgenbild erstellen oder einen Kältetest machen. So wird deutlich, welche Behandlung angezeigt ist. Auch in Spitälern ist das häufig so. In der Psychiatrie hingegen ist alles viel weniger eindeutig.

Sie sind seit knapp zwei Jahren im Amt. Bleiben Sie noch eine Weile?

Ich bin Sportler und brauche Herausforderungen. Lernen kann man nur ausserhalb der Komfortzone. Also ja, ich habe nicht vor, das Handtuch zu werfen.
(https://www.derbund.ch/wir-haben-patienten-die-glauben-sie-seien-napoleon-554470069440)