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+++BERN
derbund.ch 08.06.2022
Vier Küchen für 200 Menschen: Harte Kritik an Pionierdorf für ukrainische Flüchtlinge
Die Containersiedlung, die auf dem Berner Viererfeld errichtet wird, hält die humanitären Mindeststandards nicht ein.
Esther Diener-Morscher, Nina Fargahi, Andres Marti
Es sollte das Pionierprojekt des Kantons Bern werden mit nationaler Strahlkraft: das Containerdorf für ukrainische Flüchtlinge. Doch das Bauprojekt am Berner Stadtrand droht zum Fiasko zu werden. Der Architekt und Experte für Notunterkünfte Ueli Salzmann war vor Ort und kritisiert: Gemessen an den europäischen Richtlinien sei das, was der Kanton Bern geplant habe, «grundfalsch». Das Containerdorf halte humanitäre Mindeststandards nicht ein – mit vier Küchen für 200 Menschen, zu engen Gängen, einer falschen Raumaufteilung und viel zu wenig Wohnfläche.
«Eine solche Siedlungsarchitektur verwenden wir in unseren Schulungen als Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll», sagt Salzmann. Er war in den vergangenen dreissig Jahren immer wieder für die UNO, für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) im Einsatz. In dieser Zeit hat er über hundert Notunterkunft-Siedlungen geplant und Fachleute für solche Planungen geschult.
Knapp 4 Quadratmeter pro Person
Insgesamt stehen auf dem Areal, wo künftig bis zu 1000 Ukrainerinnen und Ukrainer leben sollen, 3800 Quadratmeter als Wohnfläche zur Verfügung. Bei voller Auslastung bedeutet das 3,8 Quadratmeter pro Person. Oder 15 Quadratmeter für eine vierköpfige Familie. Auch die Aussenfläche ist laut Experte Salzmann viel zu klein bemessen.
Er kennt den Alltag, der sich in solchen Notunterkünften einstellt: Man deponiere Dinge vor dem Container, die drinnen keinen Platz hätten. Die Velos der Kinder lägen herum. Oder man wolle schnell duschen gehen, und alle Kabinen seien besetzt. «Das ist völlig normal, aber es darf nicht mit so engen Platzverhältnissen noch zusätzlich gefördert werden. Sonst eskalieren solche an sich harmlosen Konflikte.»
Das Flüchtlingslager in Lesbos, das im September 2020 von einem verheerenden Brand zerstört worden ist, sei ähnlich angelegt gewesen wie die Siedlung im Viererfeld, so der Deza-Experte.
Neben der hohen Wohndichte kritisiert Salzmann die Anordnung der zweistöckigen Wohnmodule. «Solche Zentren sollen nicht in einem Rastersystem gebaut werden, sondern um einen zentralen Kreis herum organisiert sein.» Denn in einem Rastersystem würden sich die Bewohner – viele von ihnen vom Krieg und der Flucht traumatisiert – wie in Militärbaracken oder in einer Haftanstalt fühlen. Und nicht wie in einer Unterkunft, in der sie mit ihren Kindern wohnen werden.
Gefährlicher Gang zur Toilette
Die Anordnung der Container berge zudem Risiken für sexuelle Übergriffe, weil Frauen, Männer und Kinder die gleichen engen Gänge zu den Duschen und Toiletten benützen müssen – auch nachts. Das Problem ist seit längerem bekannt. Sexuelle Übergriffe und Belästigungen in Asylunterkünften sind seit Jahren ein Thema. Dennoch hat sich mit gendersensiblem Bauen, wofür es bekannte Richtlinien gibt, offenbar niemand befasst.
Die Planung der Unterkunft wurde gemäss Kanton von Grafikern erstellt. Es sei kein Architekturbüro beteiligt gewesen, heisst es bei der Berner Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion. Das Büro, das den Auftrag vom Kanton freihändig erhalten hat, heisst Grafikreich und besteht gemäss seiner Website aus fünf Männern. Dass das Büro zuvor jemals Flüchtlingsunterkünfte geplant hat, wird auf der Website nicht ersichtlich. Grafikreich hat vom Kanton die Anweisung erhalten, nicht mit den Medien zu sprechen.
Fragwürdige Vergabe
Warum und wie es dazu kam, dass Grafikreich den Zuschlag vom Kanton erhalten hat, ist unklar. Auf der Vergabeplattform Simap, bei der alle öffentlichen Aufträge registriert werden müssen, fehlt eine entsprechende Eingabe. Gundekar Giebel vom Kanton Bern sagt auf Anfrage: «Die Firma Grafikreich ist dem Kanton bestens bekannt, und sie war und ist befähigt, in kurzer Zeit die dringend notwendige Leistung zu liefern.»
Die Kantonsbehörden sind überzeugt, dass ihr Vorgehen korrekt ist. Doch warum wurden keine Architekten mit humanitärem Fachwissen beigezogen? Giebel erklärt: «Weil der Kanton grosse Erfahrung hat in der Erstellung von Modulbauten und in der Ausgestaltung von Kollektivunterkünften.» Trotz der Enge und der kasernenartigen Architektur ist der Kanton der Meinung, dass der Standard der Unterkunft hoch sei.
Doch die Schweizerische Flüchtlingshilfe mahnt, dass diese konkreten Vorschläge und Hinweise von Fachpersonen mit langjähriger Erfahrung im Bereich der Unterbringung von geflüchteten Menschen auf jeden Fall ernst genommen und berücksichtigt werden müssten.
In Containern statt bei Gastfamilien
Doch warum setzt der Kanton überhaupt auf Kollektivunterkünfte aus Containern? Schliesslich bieten in der Schweiz Private weiterhin Tausende freie Betten an, wovon gemäss der Plattform Campax über 90 Prozent immer noch nicht besetzt sind. Im Kanton Bern sollen aktuell 8550 Plätze in Privatunterkünften frei sein.
Sprecher Giebel sagt, dass das soziale Leben im Containerdorf «erleichtert» sei, weil dort nicht unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen würden. Die Anlage sei auch rund um die Uhr mit Sicherheitspersonal besetzt, das bei Notfällen sofort eingreifen könne. Für die Kollektivunterkünfte sprächen auch die grösseren Strukturen und dass es somit einfacher sei, sich gegenseitig zu unterstützen. Zudem sei das Engagement der Gastfamilien, die im Gegensatz zu den Behörden jederzeit aussteigen können, freiwilliger Natur.
Der Kanton Bern ist nicht der einzige, der an einem langfristigen Engagement der Privaten zweifelt: Die oberste Sozialdirektorin der Schweiz, die jurassische SP-Regierungsrätin Nathalie Barthoulot, sieht in den Gastfamilien nur eine «Übergangslösung». Sie geht davon aus, dass viele Gastfamilien nicht länger als drei Monate die nötigen Ressourcen haben, um Geflüchtete zu beherbergen. Containerdörfer könnten da eine Lösung sein.
Alles hängt davon ab, wie lange der Krieg in der Ukraine andauert. Der Bund rechnet mit 80’000 bis 120’000 Geflüchteten aus der Ukraine bis im Herbst, der Kanton Bern will bis Ende Jahr mit 4000 Betten in Kollektivunterkünften vorbereitet sein, wie Giebel sagt. Derzeit befinden sich 1100 Geflüchtete in Bern in Kollektivunterkünften.
Mehr als nur eine Durchgangsstation?
Das Containerdorf auf dem Viererfeld in Bern hätte ein Vorbild für andere temporäre Unterkünfte in der Schweiz sein sollen wie zum Beispiel in Zürich, Basel, Schwyz und Zug. Zürcher Gemeinden wie Thalwil oder Birmensdorf schauen nach Bern, weil sie Wohncontainer für die ukrainischen Geflüchteten bauen wollen.
Dauerhafte Unterkünfte für die Kriegsvertriebenen werden hierzulande immer wichtiger. Denn viele Kantone übernehmen von Gastfamilien die aufgenommenen Menschen aus der Ukraine und wollen sie in individuelle Wohnungen platzieren. Doch in Städten wie Bern und Zürich herrscht Wohnungsknappheit. Die Containerdörfer könnten deshalb zu einer langfristigen Heimat für die Geflüchteten werden. Obwohl Kanton und Stadt stets betonen, dass der Aufenthalt in der Containersiedlung nur für wenige Monate geplant sei.
(https://www.derbund.ch/harsche-kritik-an-pionierdorf-fuer-ukrainische-fluechtlinge-598976526942)
+++GRAUBÜNDEN
Versorgung ukrainischer Flüchtende in Disentis ungewiss – Schweiz Aktuell
Aus einer gut gemeinten Aktion wird eine Herausforderung für Gemeinde und Kanton. Die 2’000-Seelen-Gemeinde Disentis hat viele Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. Doch diese dürfen nur bis zur Wintersaison bleiben und die Schulen sind zu klein, um die 30 Kinder zu integrieren.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/versorgung-ukrainischer-fluechtende-in-disentis-ungewiss?urn=urn:srf:video:21e20019-e746-4c10-b8d6-2ae87c2ea19a
+++ST. GALLEN
Zu wenig Personal für zu viele Flüchtlinge
Die Mitarbeitenden der Sozialen Dienste St.Gallen sind am Anschlag. Wegen der vielen ukrainischen Flüchtlinge können sie ihrer Arbeit nicht wie gewohnt erledigen.
https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/zu-wenig-personal-fuer-zu-viele-fluechtlinge-00185746/
+++ZÜRICH
tagblatt.ch 08.06.2022
Asylsuchende lernen Deutsch: Ein Besuch im Altstätter Bundesasylzentrum, wo neuerdings Tipiti-Kurse angeboten werden
Erwachsene im Altstätter Bundesasylzentrum, die auf den Asylentscheid warten, können neuerdings Tipiti-Deutschkurse besuchen. Ein Besuch im Schulzimmer.
Gert Bruderer
Schon seit März 2019 führt der Verein Tipiti (mit Zentralsekretariat in Wil) für das Bundesasylzentrum (BAZ) die Volksschule. Gegenwärtig werden 77 Kinder und Jugendliche in fünf Klassen unterrichtet; vier dieser Klassen werden von 14- bis 17-Jährigen besucht, also von Oberstufenschülerinnen und -schülern. Über zwei Drittel aller Unterrichteten sind unbegleitet, ohne ihre Familie hier.
Der Unterricht erfolgt grösstenteils im ehemaligen Union- Gebäude an der Bahnhofstrasse und im benachbarten Haus an der Kriessernstrasse, aber auch im früheren EgoKiefer-Bürogebäude wird eine Klasse geführt.
Schule 18+ ist eine Tipiti-Initiative
Der Volksschulbetrieb durch Tipiti ist mit einer Leistungsvereinbarung zwischen Verein und Kanton geregelt. Die neue Freiwilligenschule 18+ für Erwachsene bietet Tipiti hingegen aus eigener Initiative an. Die Asylsuchenden können sich in Deutsch unterrichten lassen und lernen dabei auch einiges über das Leben in der Schweiz. Als Unterrichtszimmer dient einer von zwei Containern beim Bundesasylzentrum. Die Container waren vom Staatssekretariat für Migration (SEM) ursprünglich als Aufenthalts- und Sitzungsräume errichtet worden und erfüllen nun einen zusätzlichen Zweck.
Ein Abschied ist nicht möglich
Die erwachsenen Asylsuchenden haben dreimal wöchentlich die Möglichkeit, am Deutschunterricht teilzunehmen. Obschon das Angebot erst in der vierten Woche besteht, haben schon fast vier Dutzend Interessierte mitgemacht. Die Zahl der Teilnehmenden schwankt von Tag zu Tag. Ein Grund ist die Aufenthaltsdauer. Die Menschen im Bundesasylzentrum sind in aller Regel höchstens hundert Tage hier, oft ist der Aufenthalt viel kürzer.
Von Altstätten gelangen die Asylsuchenden entweder nach Kreuzlingen (um dort nach einem ablehnenden Entscheid die Rückführung abzuwarten) oder in einen anderen Kanton, sei es für ein erweitertes Verfahren oder dank der Erteilung des Bleiberechts. Von einer Verlegung erfahren die Asylsuchenden jeweils erst am Tag davor, so dass es den Unterrichteten und den freiwillig Unterrichtenden nicht möglich ist, voneinander Abschied zu nehmen.
Mehr Lehrende sind willkommen
Den Deutschunterricht im Container erteilen derzeit fünf Frauen. Die einheimische Corinne Buschor als eine von ihnen ist von Beruf Lehrerin und schulpädagogische Heilpädagogin, es sind aber auch pädagogisch nicht ausgebildete Frauen und Männer als Kursleitende willkommen, sofern sie über das nötige pädagogische Geschick verfügen, kontaktfreudig sind und ihre Grundhaltung mit jener des Vereins Tipiti übereinstimmt. Wer mitwirkt, erhält eine Spesenentschädigung. Gern würde der Verein mit mehr Freiwilligen zusammenarbeiten, um die eineinhalb Kursstunden möglichst jeden Vormittag anzubieten.
Am Deutschunterricht kann jeder und jede Asylsuchende teilnehmen, ganz gleich, ob er Vorkenntnisse hat oder nicht. Während manchen sogar unsere Schrift völlig neu ist, können sich andere schon etwas verständigen oder erfreuen sich eines verhältnismässig guten Niveaus wie beispielsweise ein Architekt aus der Türkei. Wer ganz am Anfang steht und unsere Schrift nicht kennt, absolviert zuerst einen Leselehrgang und macht sich mit unseren Buchstaben und dem Zusammensetzen von Silben vertraut. Am Anfang jeder Lektion steht eine kurze gegenseitige Begrüssung.
Angehende Lehrkräfte haben Dossiers erarbeitet
Als Glücksfall bezeichnet die in Lüchingen lebende Tipiti-BAZ- Schulleiterin Eva Graf ein Projekt, das drei angehende Lehrerinnen und ein angehender Lehrer der Pädagogischen Hochschule Rorschach erarbeitet haben.
Ausgehend von Unterrichtsmaterial, das in der BAZ-Volksschule verwendet wird, hat das Quartett Unterrichtsmaterial für die Erwachsenendeutschkurse aufbereitet. Zur Verfügung stehen verschiedene Dossiers zu Themen wie Familie, Verkehr, Nahrungsmittel oder Gesundheit.
Für die Asylsuchenden geht es nicht nur darum, sich möglichst rasch in unserer Sprache auszudrücken und verständigen zu können. Der Deutschunterricht im Container ist auch ein wichtiger Teil einer sinnvollen Tagesstruktur.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/rheintal/asylsuchende-lernen-deutsch-ld.2301228)
+++SCHWEIZ
Nationalrat will Ausbildungs-Hürden für Sans-Papiers abbauen
Sans-Papiers sollen leichter Zugang erhalten zu einer beruflichen Ausbildung. Der Nationalrat hat am Mittwoch eine entsprechende Motion seiner Staatspolitischen Kommission angenommen – mit 111 zu 73 Stimmen bei 4 Enthaltungen.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2022/20220608102156891194158159038_bsd064.aspx
-> https://www.blick.ch/politik/nationalrat-senkt-huerden-einfacherer-zugang-zu-ausbildung-fuer-sans-papiers-id17558870.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/nationalrat/451282849-nationalrat-will-ausbildungs-huerden-fuer-sans-papiers-abbauen
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/nationalrat-will-huerden-zur-ausbildung-von-sans-papiers-abbauen?urn=urn:srf:video:93d0891f-c90a-47f2-acc6-316380183704
Willkommen in der Schweiz – Neuer Schutzstatus statt vorläufige Aufnahme
Die Ungleichbehandlung von Geflüchteten mit Schutzstatus S gegenüber anderen Kriegsvertriebenen zeigt: es besteht Handlungsbedarf, damit alle Schutzberechtigten in der Schweiz gleichen Zugang zu grundlegenden Rechten haben.
https://www.youtube.com/watch?v=S_BBH_j-I6k&t=1s
+++ÖSTERREICH
Innenminister Karner will Asylprüfungen in Drittstaaten auslagern
Damit will der ÖVP-Politiker dem Vorbild Großbritanniens und Dänemarks folgen
https://www.derstandard.at/story/2000136373574/innenminister-karner-will-asylpruefungen-in-drittstaaten-auslagern?ref=rss
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-06/fluechtlinge-oesterreich-asylpruefung-drittstaaten
+++ITALIEN
Fall Rackete in Italien: Salvini verunglimpft Seenotretter vor Gerichtsprozess
Der italienische Rechts-Politiker Matteo Salvini ätzt gegen private Hilfsorganisationen, wie die von Aktivistin Carola Rackete: Sie würden mit Schleppern im Mittelmeer kooperieren, behauptet er.
https://www.spiegel.de/panorama/matteo-salvini-vor-prozess-gegen-kapitaenin-carola-rackete-kritisiert-er-seenotretter-a-7a6ca006-9300-4aa4-a338-f792e9883f8d
+++GRIECHENLAND
Nichts ist gut an Europas Außengrenzen!
Dr. med Arndt Dohmen war mit der Organisation Medical Volunteers International sieben Wochen lang im Flüchtlingscamp Mavrovouni auf der Insel Lesbos, um dort als Arzt zu helfen. In seinem Gastbeitrag für PRO ASYL zieht er Bilanz.
https://www.proasyl.de/news/nichts-ist-gut-an-europas-aussengrenzen/
+++SEXWORKN
EVP-Politikerin will Sexkauf verbieten – Nationalrat fegt Vorstoss vom Tisch
Soll der Kauf von Sexarbeit verboten werden? Darüber streiten Fachkreise seit Jahren. Den Vorstoss einer EVP-Politikerin fegte der Nationalrat heute vom Tisch.
https://www.watson.ch/schweiz/gesellschaft%20&%20politik/612250451-nationalrat-will-kein-verbot-von-prostitution-debatte-spaltet-schweiz
-> https://www.telebaern.tv/tele-barn-news/nationalrat-will-kein-verbot-kauf-sexueller-dienstleistungen-soll-erlaubt-bleiben-146785726
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/evp-nationalraetin-fordert-bestrafung-fuer-freier-146785854
-> https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/prostitution-sexkaufverbot-wie-in-schweden-warum-die-forderung-im-nationalrat-durchfiel-ld.2301398
Sexarbeitende laufen Sturm gegen geplantes Sexkaufverbot
Das Parlament entscheidet am Mittwoch über ein Sexkauf-Verbot. Zwei Sexarbeitende wehren sich vehement dagegen. Eine Aussteigerin widerspricht: «Was Freier einer Hure antun, ist krass», sagt sie.
https://www.20min.ch/story/sexarbeitende-laufen-sturm-gegen-geplantes-prostitutionsverbot-745566652627
Sexkauf-Verbot
Wer Sex kauft, soll bestraft werden. Das fordert eine Motion aus der Mitte im Nationalrat. Die Begründung: Prostitution sei fast immer mit Zwang verbunden, sei es durch einen Zuhälter oder durch soziale Not. Kritische Stimmen aus dem Sexgewerbe befürchten, die Sexarbeitenden werden mit dem Verbot in die Illegalität gezwungen. Bringt ein Verbot mehr oder weniger Schutz? Die kontroverse Debatte heute live im «TalkTäglich».
https://www.telebaern.tv/talktaeglich/sexkauf-verbot-146691374
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derbund.ch 08.06.2022
Debatte über käuflichen Sex: Prostitutionsverbot abgeschmettert: Freier dürfen weiterhin ins Bordell
Das Parlament hält an der liberalen Praxis der Schweiz fest. Das spaltet die Frauenorganisationen.
Alessandra Paone
Marianne Streiff will den Kampf gegen die Prostitution nicht aufgeben. Sie sagt: «Es braucht eben Zeit, bis Gesellschaft und Politik umdenken.» Die EVP-Nationalrätin ist am Mittwoch mit ihrem Anliegen, den Kauf von Sex und sexuellen Dienstleistungen zu verbieten, gescheitert – und zwar deutlich. Das Parlament will an der liberalen Praxis der Schweiz festhalten und schmetterte die Motion mit 172 gegen 11 Stimmen bei 4 Enthaltungen ab.
Damit beendet die Politik kurz und diskussionslos eine Debatte, die in der Schweiz vor zehn Jahren mit verschiedenen Vorstössen zur Bekämpfung sexueller Ausbeutung losgetreten worden war. Eine Gesetzesänderung in Schweden hatte damals unter anderem den Ausschlag dazu gegeben: Seit 1999 wird dort bestraft, wer sexuelle Dienste kauft oder vermittelt – also Freier, Zuhälter oder Bordellbetreiberinnen; Prostituierte werden hingegen nicht belangt.
Eine Expertengruppe mit Vertreterinnen und Vertretern aus Bund, Kantonen, Gewerkschaften und Beratungsstellen sprach sich 2015 aber gegen das schwedische Modell aus. Sie kam zum Schluss, dass ein Prostitutionsverbot kontraproduktiv wäre. Länder wie Norwegen, Island, Frankreich, Kanada, Irland und Israel folgten indes dem Beispiel aus Schweden.
«Das Nein ist ein Dämpfer»
018 startete die Frauenzentrale Zürich mit einer medienwirksamen Kampagne einen neuen Versuch für ein Prostitutionsverbot. Sie stiess damit jedoch auf breiten Widerstand. Mehrere Organisationen wie Terre des Femmes Schweiz, Amnesty International, die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich und auch verschiedene Fachstellen für Sexarbeit wie Xenia oder die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration wehrten sich gegen die Aktion. Sie argumentierten vor allem damit, dass ein Prostitutionsverbot die Frauen in die Illegalität treiben und die sexuelle Ausbeutung fördern würde.
An den Positionen hat sich bis heute nichts geändert. So reagiert die Frauenzentrale Zürich enttäuscht auf die ablehnende Haltung des Parlaments. «Das deutliche Nein ist ein Dämpfer und zeigt, dass vor uns noch ein weiter Weg liegt», sagt die Präsidentin und frühere BDP-Nationalrätin Rosmarie Quadranti. Es sei inakzeptabel, dass im 21. Jahrhundert noch menschliche Körper gekauft werden dürften. Prostitution sei immer mit Gewalt und Menschenhandel verbunden, mit schutzlosen Frauen und Männern. «Das kann man nicht gutheissen.»
Anders als in Schweden, wo Sexarbeit in der Gesellschaft nicht erwünscht ist, anerkennt die Schweiz Prostitution als staatlich geregelte Arbeit. Quadranti hat Mühe, eine Erklärung für die Haltung der Schweiz zu finden. Vielleicht habe es mit einer Urangst der Schweizerinnen und Schweizer zu tun, dass ein Prostitutionsverbot die Zunahme von Vergewaltigungen begünstigen könnte, sagt sie. Vielleicht aber auch mit veralteten Rollenbildern.
Mehr niederschwellige Beratungsangebote
Procore, das nationale Netzwerk zur Verteidigung der Interessen von Sexarbeitenden in der Schweiz, hat eine ganz andere Erklärung für die unterschiedlichen Auffassungen: «Die Schweiz geht pragmatischer vor», sagt Geschäftsleiterin Rebecca Angelini. Der Bund unterstütze die Beratungs- und Fachstellen an der Basis und lege den Fokus auf die Gewalt- und Gesundheitsprävention. Angelini verfolgt die Debatte seit Beginn und begrüsst das klare Nein des Parlaments zu einem Prostitutionsverbot. «Ein deutlicheres Signal hätten wir uns nicht wünschen können. Die Zwängerei nimmt nun endlich ein Ende.»
Angelini stört sich an der «realitätsfremden» Haltung der Verbots-Befürworter. Es gehe hier um existenzielle Fragen. Wer sexuelle Dienstleistungen anbiete, tue dies in der Regel aus wirtschaftlichen Gründen. «Durch ein Verbot verlieren Sexarbeiterinnen ihre Lebensgrundlage oder werden gezwungen, in der Illegalität zu arbeiten», sagt die Procore-Geschäftsleiterin. Sie schlägt stattdessen ein flächendeckendes Angebot von niederschwelligen Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen vor. Diese fehlten nämlich in einigen Kantonen wie beispielsweise im Aargau.
Damit knüpft Angelini teilweise an die Motion von EVP-Nationalrätin Streiff an, die neben dem Sexkauf-Verbot auch breite, existenzsichernde Ausstiegsangebote für Prostituierte sowie wirkungsvolle Aufklärungs-, Präventions- und Bildungsmassnahmen verlangt. Streiff kann sich gut vorstellen, diese Forderung in einen neuen Vorstoss zu packen.
Die Frauenzentrale Zürich bleibt skeptisch. Solange die Prostitution erlaubt sei, unterstütze man selbstverständlich alle Bestrebungen, die Arbeitssituation der Sexarbeiterinnen zu verbessern, sagt Quadranti. Die Grundsatzfrage bleibe bestehen: «Ist es gerechtfertigt, dass Prostitution als Arbeit bezeichnet wird?»
(https://www.derbund.ch/prostitutionsverbot-abgeschmettert-freier-duerfen-weiterhin-ins-bordell-444324795401)
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Wegen Drohung gegen Bundesrat – Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Klimaaktivisten
Mit einer «Rebellion» wollten sie die Schweizer Regierung zu mehr Klimaschutz bewegen. Jetzt läuft ein Strafverfahren.
https://www.srf.ch/news/schweiz/wegen-drohung-gegen-bundesrat-bundesanwaltschaft-ermittelt-gegen-klimaaktivisten
-> https://www.swissinfo.ch/ger/bundesanwaltschaft-eroeffnet-strafverfahren-gegen-klimaaktivisten/47658734
Klimaaktivismus: Genf teilfinanziert «Extinction Rebellion» – Schweiz Aktuell
Der Genfer Klimafonds unterstützt Kampagnen der radikalen Klimaschutz-Bewegung «Extinction Rebellion» mit 20’000 Franken. Auf Kritik aus dem bürgerlichen Lager lässt man sich nicht ein.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/klimaaktivismus-genf-teilfinanziert-extinction-rebellion?urn=urn:srf:video:b02bbfd2-7ca9-42b8-831e-d22722885ea1
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tagesanzeiger.ch 08.06.2022
Aus dem Bezirksgericht ZürichRichterin will keine «Verbündete» von Klimaaktivisten sein
Die Organisation Extinction Rebellion kämpft in Zürich vor dem Bezirksgericht für das Klima. Ihr Misserfolg spornt sie weiter an.
Corsin Zander
Ob sie denn nicht seine Verbündete sein wolle, fragt der 26-jährige Aktivist von Extinction Rebellion am Mittwochmorgen in seinem Schlusswort die Bezirksrichterin. Diese gibt ihre unmissverständliche Antwort etwas mehr als eine Stunde später nach der Urteilsberatung: Sie verurteilt den Mann wegen Nötigung zu einer bedingten Geldstrafe von 7 Tagessätzen à 30 Franken.
Der in Genf wohnhafte Mann war im vergangenen Oktober zusammen mit 133 anderen von der Stadtpolizei Zürich verhaftet worden. Die Aktivistinnen und Aktivisten hatten eine lange im Voraus angekündigte Aktion in die Tat umgesetzt und in der Innenstadt mit Booten, Stühlen, Transparenten und einem aufblasbaren Globus die Uraniastrasse blockiert. Sie wollten damit auf die Klimakrise aufmerksam machen.
Gross angekündigte Aktionswoche in Zürich
Die Polizei sperrte die Strasse ab und leitete den Verkehr um. Dies war der Auftakt der internationalen Organisation Extinction Rebellion («Aufstand gegen das Aussterben») für eine Aktionswoche in Zürich. Der Stadtrat bezifferte später die Kosten für die Einsatzkräfte von Polizei sowie Schutz & Rettung während der ganzen Aktionswoche auf 684’578 Franken. Im Rahmen mehrerer Aktionen kontrollierte die Polizei während der Aktionswoche insgesamt 209 Personen. Nur schon für den ersten Tag hatte Extinction Rebellion mit 350 Personen gerechnet.
Auch dem Bezirksgericht Zürich hatte die Organisation mehr Personen angekündigt, als tatsächlich erschienen sind. Dieses hatte sich darauf vorbereitet, den Prozess gegen den 26-Jährigen per Video in einen anderen Saal zu übertragen. Die etwas mehr als ein Dutzend Unterstützerinnen und Unterstützer hatten dann aber gut im kleinen Hauptsaal am Bezirksgericht Platz. Eine auf den Anschluss angekündigte Demonstration zum Hauptbahnhof sagten sie ab.
Sie wollen bis nach Strassburg gehen
Jene, die erschienen waren, betonten, sie seien entschlossen, den rechtlichen Weg gegen die von der Zürcher Staatsanwaltschaft verhängten Strafbefehle bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen, wie sie in einem Flugblatt schreiben. Der 26-jährige Student und Modedesigner aus Genf hatte sich mit anderen zur «Strassburg-Gruppe für die Anerkennung des Notstands» zusammengeschlossen. Dazu gehören auch eine 73-jährige Rentnerin, eine 46-jährige Yoga-Lehrerin oder ein 45-jähriger Soziologe. Die meisten von ihnen kommen aus der Romandie. Man gehe davon aus, dass mehrere Dutzend Personen die Urteile weiterziehen würden, sagt ein Sprecher von Extinction Rebellion vor dem Gerichtssaal.
Jene, die bisher bereits vor Gericht gestanden haben, erfuhren vom Bezirksgericht keine Gnade. Zwar zeigt die Richterin am Mittwoch Verständnis für die Motivation des 26-Jährigen, doch sie macht klar: «Sie haben den Autofahrenden ihren Wille aufgezwungen.» Dies sei als Nötigung zu taxieren und müsse deshalb bestraft werden. Sie riet dem Mann, sein Talent als Modedesigner zu nutzen oder den politischen Weg zu beschreiten, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen.
Auf dem politischen Weg wenig erreicht
Die Aktivistinnen und Aktivisten sehen das anders. Ihr Sprecher sagt: «Seit Jahrzehnten setzen sich Menschen auf dem legalen Weg ein, und dennoch hat sich nichts geändert.» Er betont, dass die Proteste im Sinne des zivilen Ungehorsams stets friedlich verlaufen seien.
Neben der bedingten Geldstrafe muss der 26-Jährige 1000 Franken für das Vorverfahren bezahlen und 1500 Franken für das Verfahren am Bezirksgericht. Zieht er das Urteil wie angekündigt noch weiter, werden sich die Kosten bei jeder Instanz weiter erhöhen. Extinction Rebellion will zumindest einen Teil davon mit Spenden decken.
(https://www.tagesanzeiger.ch/richterin-will-keine-verbuendete-von-klimaaktivisten-sein-883058787931)
+++SPORT
Projekt zur Eindämmung von Fangewalt
Gemeinsames Projekt von Bewilligungsbehörden und Swiss Football League zur Eindämmung von Fangewalt in der Super League
Die Sicherheitsdirektorinnen und -direktoren der Kantone und Städte haben am 3. Juni 2022 gemeinsam mit der Swiss Football League und ausgewählten Club-Vertretern die Durchführung eines Projekts zur Klärung der Voraussetzungen für die Einführung eines personalisierten Tickets und allfälliger weiterer Massnahmen zur Eindämmung von Gewalt im Umfeld von Spielen der obersten Liga beschlossen. Sie haben sich ausserdem zu den Auswirkungen des neuen Spielmodus ausgetauscht.
https://www.kkjpd.ch/newsreader/projekt-zur-eind%C3%A4mmung-von-fangewalt.html
-> PDF: https://www.kkjpd.ch/newsreader/projekt-zur-eind%C3%A4mmung-von-fangewalt.html?file=files/Dokumente/News/2022/220308%20Medienmitteilung%20Dialog%20Fussball%20-%20Politik%20d.pdf
+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Parlament will Personen mit Landesverweis Namenswechsel verbieten
Personen mit Landesverweis sollen nach dem Willen des Parlaments ihren Namen nicht mehr ändern können. Nach dem Ständerat hat am Mittwoch auch der Nationalrat einem entsprechenden Vorstoss zugestimmt.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2022/20220608082452668194158159038_bsd031.aspx
+++BIG BROTHER
Fichenskandal: So verlangen Sie Einsicht in Ihre Daten
Der Nachrichtendienst des Bundes hat nicht nur Politiker und Parteien ausgespitzelt. Auch Sie könnten eine Fiche haben. Mit unserem Musterbrief verlangen Sie Einsicht.
https://www.beobachter.ch/burger-verwaltung/schweizer-geheimdienst-ndb-fichenskandal-so-verlangen-sie-einsicht-in-ihre-daten?utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=article_traffic
+++RECHTSEXTREMISMUS
Steht der Faschismus vor einem erneuten Durchbruch?
Der Brite Paul Mason ist sich sicher: Wenn wir jetzt nicht handeln, werden faschistische Kräfte unsere Demokratien vernichten. Allerdings sieht der linke Autor die Gefahr nicht dort, wo sie sich heute am deutlichsten zeigt.
https://www.nzz.ch/feuilleton/faschismus-paul-mason-beschreibt-wie-er-zu-stoppen-waere-ld.1687479
Propaganda auf Social Media: Die Putinfluencer
Junge Influencer verbreiten in Europa prorussische Desinformation. Sie behaupten, selbstständig zu berichten. Dem Kreml liefern sie aber moderne Propaganda.
https://www.zeit.de/campus/2022-06/propaganda-social-media-influencer-russland/komplettansicht
+++ROCKERKRIEG
derbund.ch 08.06.2022
Plädoyers im Rockerprozess: Dünne Beweislage in einem verschwiegenen Milieu
Die Verteidiger der angeschuldigten Bandidos verlangen Freisprüche. Es gebe keine Beweise, dass ihre Mandanten aktiv an der Schlägerei beteiligt gewesen seien.
Hans Ulrich Schaad
Die Auseinandersetzung am Abend des 11. Mai 2019 dauerte nur wenige Minuten. Sie war aber umso heftiger. Eine Gruppe aus Hells Angels und befreundeten Broncos stürmten eine Geburtstagparty von Bandidos und deren Sympathisanten. Grund für den Angriff war die Absicht der Bandidos, in der Schweiz einen Ableger zu gründen. Die Hells Angels, als Platzhirsch unter den Motorradclubs, wollten mit dem Einschüchterungsbesuch zeigen, dass sie diese Gründung nicht duldeten.
Die Folgen sind bekannt. Nach über drei Jahren müssen sich 22 Mitglieder der drei Motorradclubs vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland verantworten. Drei von ihnen sind wegen versuchter vorsätzlicher Tötung respektive schwerer Körperverletzung angeklagt. Die anderen neunzehn Beschuldigten müssen in erster Linie wegen Raufhandels antraben. Die zentrale Frage ist: Wer hat sich wie an der Schlägerei beteiligt?
Am Mittwoch der zweiten Prozesswoche kamen die ersten Verteidiger der des Raufhandels Beschuldigten mit ihren Plädoyers an die Reihe. Sämtliche Anwälte forderten einen Freispruch für ihre Mandanten mit gleich lautenden Argumenten. Den Angeschuldigten könne nicht nachgewiesen werden, dass sie in die blutige Auseinandersetzung direkt und aktiv involviert gewesen seien.
Staat muss die Schuld zweifelsfrei beweisen
Mehrmals wiesen die die Verteidiger auf den grossen gesellschaftlichen Druck rund um den Rockerprozess hin. Die Öffentlichkeit erwarte harte Strafen und dass an den Beteiligten ein Exempel statuiert werde. Vom Druck von der Strasse dürfe sich das Gericht jedoch nicht leiten lassen, betonten die Verteidiger. Der Staat müsse die Schuld der Beteiligten beweisen – zweifelsfrei. Nicht die Angeklagten müssten ihre Unschuld aufzeigen. Es gehe nicht um eine «Sippenhaftung oder eine Gesinnungsjustiz».
In diesem Punkt setzten sie in ihren Plädoyers an. Der Staatsanwalt habe zwar die «Grosswetterlage» rund um das Ereignis richtig dargestellt. Und dass sich die Hells Angels und Bandidos nicht ausstehen könnten, treffe zu. Zu den Vorwürfen gegen die drei Hauptbeschuldigten habe sich der Staatsanwalt ebenfalls ausführlich geäussert. Aber bei den restlichen Beschuldigten sei er pauschal geblieben, eine konkrete Tathandlung werde ihnen nicht vorgeworfen. «Ich hätte etwas mehr Fleisch am Knochen erwartet», sagte einer der Verteidiger.
Teilnahme an Geburtstagsfest ist nicht strafbar
Die Anwälte anerkannten die schwierige Arbeit der Ermittler. Diese hatten es mit einem verschwiegenen Milieu zu tun. Kaum jemand machte konkrete Aussagen. Der genaue Ablauf der Auseinandersetzung konnte deshalb nicht rekonstruiert werden. Die Beweislage sei dünn, was aber nicht dem Unvermögen des Staatsanwalts geschuldet sei. Dieser hatte für die Beteiligung am Raufhandel bedingte Gefängnisstrafen zwischen 6 und 14 Monaten gefordert.
So wiesen die fünf Verteidiger etwa darauf hin, dass ihre Klienten von den anderen nicht identifiziert worden seien als jene, die aktiv an der Schlägerei beteiligt gewesen seien. Oder sie hätten sich im Lokal aufgehalten und seien nicht verletzt gewesen. Nicht alle Gäste der Geburtstagsparty seien bewaffnet zur Barrikade gestürmt. Und allein die Anwesenheit an der Feier sei nicht strafbar.
Eskalation muss Konsequenzen haben
Zu Beginn der Plädoyers am Mittwochmorgen war der Verteidiger jenes Österreichers an der Reihe, der als Präsident des neuen Bandidos-«Chapters» vorgesehen war. Er hatte einem angreifenden Bronco ein massives Elektrokabel über den Kopf geschlagen. Der Staatsanwalt verlangte für den 38-Jährigen vier Jahre Gefängnis wegen schwerer Körperverletzung.
Der Verteidiger sprach nur von einer einfachen Körperverletzung. Sein Mandat habe nicht nur ausgeteilt, sondern auch eingesteckt. Er habe aufgrund der eigenen Verletzungen ein Blackout und könne sich nicht mehr erinnern.
In diesem Fall greife die traditionelle Opfer-Täter-Schablone nicht, betonte der Anwalt. Das Opfer sei gleichzeitig Angreifer gewesen. Damit habe der Bronco eine Gegenwehr in Kauf genommen, quasi als Teil der Spielregeln.
Der Verteidiger plädierte auf eine bedingte Gefängnisstrafe von 22 Monaten. Ins Gewicht fallen müsse die Beteiligung seines Klienten an der Schlägerei. «Gegen einen Raufhandel mit dieser Eskalationsstufe muss man ein Zeichen setzen», sagte er.
Die Plädoyers dauern noch bis zum nächsten Montag. Das Urteil im Rockerprozess wird am 30. Juni eröffnet.
(https://www.derbund.ch/duenne-beweislage-in-einem-verschwiegenen-milieu-882723710318)