Medienspiegel 7. Juni 2022

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+++BERN
derbund.ch 07.06.2022

Geflüchtete in Bern: Weshalb viele private Betten leer bleiben

Der Kanton Bern setzt für ukrainische Geflüchtete auf Kollektivunterkünfte. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe ist davon nicht überzeugt.

Maurin Baumann

Wie in der ganzen Schweiz war und ist auch in Bern die Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine gross: Viele haben Betten, Zimmer oder ganze Wohnungen bereitgestellt und diese über die Kampagnenorganisation Campax angeboten.

Neue Zahlen zeigen nun aber, dass der grösste Teil dieser privat angebotenen Betten ungenutzt bleibt. Ein Campax-Mediensprecher spricht auf Anfrage der «SonntagsZeitung» von schweizweit 52’500 freien Plätzen für Ukrainerinnen – 91 Prozent aller registrierten Plätze seien somit bis heute leer.

Ähnlich zeige sich die Situation im Kanton Bern, wo aktuell 8550 Plätze in Privatunterkünften frei seien. Gemeinsam mit der Flüchtlingshilfe vermittelt Campax diese privaten Unterkünfte an Geflüchtete. Doch die Zuweisung der Geflüchteten liegt letztlich in der Kompetenz des Kantons.

Ob in Bern die vielen freien Privatbetten überhaupt noch zum Zug kommen werden, bleibt deshalb fraglich. Denn der Kanton schätze zwar die «vielen Angebote für private Unterbringungen», doch er wolle sich auf Kollektivunterkünfte konzentrieren, wie Gundekar Giebel, Mediensprecher der kantonalbernischen Integrationsdirektion (GSI) auf Anfrage sagt.

«In Kollektivunterkünften können die Geflüchteten im eigenen Kulturkreis zusammenleben», erklärt Giebel diesen Entscheid. Die Strukturen seien grösser, und es sei einfacher, sich gegenseitig zu unterstützen. Zudem sei das Engagement der Gastfamilien freiwilliger Natur, weshalb sie jederzeit wieder aussteigen können. «Wir als Behörden müssen aber die zugewiesenen Personen jederzeit und dauerhaft unterbringen können.» Dem Kanton seien «einzelne Fälle» von vorzeitigen Abbrüchen von Gastfamilienaufenthalten bekannt.

Der Entscheid stimmt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) nicht glücklich. Mediensprecherin Sylvia Braun schreibt auf Anfrage, dass Kollektivstrukturen bei den aktuellen Flüchtlingszahlen zwar unumgänglich seien. «Sie sollten aber eine Übergangslösung für wenige Tage darstellen.» Die SFH würde es begrüssen, wenn die privaten Hilfsangebote genutzt würden.

Kanton rechnet mit mehr Geflüchteten

Die wohl prominenteste Kollektivunterkunft ist das Containerdorf auf dem Viererfeld am Berner Stadtrand, das derzeit für rund zehn Millionen Franken gebaut wird. Angesichts der vielen freien Privatunterkünfte ein Schnellschuss? Für den Kanton keineswegs. Dieser rechnet mit bis zu 20’000 ukrainischen Geflüchteten bis Ende Jahr. Laut GSI-Sprecher Giebel will der Kanton dafür mit 4000 Betten in Kollektivunterkünften vorbereitet sein.

Derzeit befinden sich gemäss GSI rund 6800 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer im Kanton Bern. Davon etwa 4700 in Gastfamilien, 900 in eigenen Wohnungen und 1100 in Kollektivunterkünften. Letztere sind nicht voll ausgelastet: Rund 750 Betten sind zurzeit frei. So schnell wird sich das auch nicht ändern, denn der Kanton Bern ist über dem interkantonalen Verteilschlüssel, weshalb derzeit kaum Zuteilungen erfolgen.

Nichtsdestotrotz ist für den Kanton eines klar: Niemand wisse, wie sich die Lage entwickeln werde. «Daher ist es wichtig, vorbereitet zu sein und genügend Betten zur Verfügung zu haben», so Giebel. Hierfür seien auch Unterbringungen in Gastfamilien sehr wichtig. «Aber oftmals keine Lösung, die über längere Zeit stabil bleibt.»
(https://www.derbund.ch/weshalb-viele-private-betten-leer-bleiben-262213021542)



Interpellation SP: Videoüberwachung in Rückkehrzentren
https://www.gr.be.ch/de/start/geschaefte/geschaeftssuche/geschaeftsdetail.html?guid=b2e1efbb943246079f7c255db57936e2


+++SCHWEIZ
Schweizer Schulen – So unterrichtet man Schulkinder aus der Ukraine
Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine stehen Schulen vor grossen Herausforderungen. Um die vielen geflüchteten Kinder zu unterrichten, greifen sie auch auf ungelernte und pensionierte Lehrkräfte zurück.
https://www.srf.ch/news/schweiz/schweizer-schulen-so-unterrichtet-man-schulkinder-aus-der-ukraine


+++DEUTSCHLAND
Abschiebungen in die Türkei: Deutschland als Erdogans Handlanger? – MONITOR
Abschiebungen aus Deutschland in die Türkei sind keine Seltenheit – deutsche Behörden lehnen reihenweise Asylanträge von politisch Verfolgten ab und schieben immer mehr Menschen in die Türkei zurück, wo sie von Erdogans Regime weiter verfolgt oder inhaftiert werden. Spätestens der Fall des türkischen Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala hat gezeigt: In der Türkei gibt es keine unabhängige Justiz mehr. Osman Kavala muss für viele Jahre hinter Gitter. Das Urteil gegen ihn sorgte europaweit für Entsetzen. Auch die Bundesregierung gab sich empört. Doch Kavala ist nur ein Fall unter vielen – trotzdem: Deutschland schiebt weiter politisch Verfolgte in die Türkei ab.
https://www.youtube.com/watch?v=lHk6U77-dJM


+++ÖSTERREICH
Die Stimmung gegenüber Ukraine-Vertriebenen droht zu kippen
Die Versorgung der vielen Frauen mit Kindern ist drei Monate nach Kriegsbeginn unverändert lückenhaft. Das schafft Unfrieden, den Flüchtlingsfeinde nutzen
https://www.derstandard.at/story/2000136322486/die-stimmung-gegenueber-ukraine-vertriebenen-droht-zu-kippen?ref=rss


+++GROSSBRITANNIEN
Home Office offers asylum seekers choice between war zones they fled and Rwanda
High number of first 100 people to be sent to Rwanda are from Sudan, despite being small number of those crossing the Channel
https://www.theguardian.com/uk-news/2022/jun/06/home-office-offers-asylum-seekers-choice-between-war-zones-they-fled-and-rwanda?CMP=Share_iOSApp_Other


+++POLEN
Streik in polnischen Internierungslagern: „Sie behandeln uns wie Tiere“
Menschen, die vor dem Ukrainekrieg nach Polen fliehen, können sich dort frei bewegen. Andere Geflüchtete sitzen dort in Internierungslagern fest.
https://taz.de/Streik-in-polnischen-Internierungslagern/!5856606/


+++ITALIEN
»Migration ist etwas Stinknormales«
13 Jahre Knast für Flüchtlingshilfe? EU-Abgeordnete Cornelia Ernst über Ex-Bürgermeister Mimmo Lucano
Mimmo Lucano bot Flüchtlingen im Dorf Zuflucht. Nun steht der Ex-Bürgermeister von Riace deswegen vor Gericht. Die Linke-EU-Abgeordnete Cornelia Ernst hat ihn mit einer Delegation besucht.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164335.mimmo-lucano-migration-ist-etwas-stinknormales.html


+++GASSE
Mehr Hilfsbedürftige: Schweizer Gassenküchen am Limit
Diverse Essensausgaben schlagen Alarm. Mit dem Zuwachs der ukrainischen Geflüchteten stossen sie an ihre Kapazitätsgrenzen. Schweizweit ist die Lage angespannt. Jetzt soll der Staat die Organisationen unterstützen.
https://www.20min.ch/video/schweizer-gassenkuechen-am-limit-118929825278


+++SEXWORK
“Respect Sex Workers” – Sexarbeit ist Carearbeit!?
Sexarbeit ist Carearbeit!? Am 2. Juni 1975 besetzten in Lyon (Frankreich) Sexarbeiter*innen über mehrere Tage eine Kirche, nachdem sie vermehrt Opfer von Polizeirazzien wurden. Seitdem wird an diesem Tag der International Sex Workers Day begangen, um einerseits gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung, andererseits gegen die ausbeuterischen Arbeits- und Lebensverhältnisse von Sexarbeiter*innen zu protestieren und mehr Rechte für Sexarbeiter*innen zu fordern.
https://barrikade.info/article/5209


+++REPRESSION DE
de.Indymedia: Verfassungsschutz stuft linke Plattform als extremistisch ein
Nicht entfernte Beiträge auf de.Indymedia ließen eine verfassungsfeindliche Linie erkennen. Es handele sich etwa um Bekenntnisse zu linksextremistischen Straftaten.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2022-06/indymedia-linke-plattform-verfassungsschutz-extremismus


+++RECHTSEXTREMISMUS
Paul Mason: „The return of fascism is a symptom of the breakdown of neoliberal ideology“
Renowned writer and activist Paul Mason on the new far right and how to stop it.
https://blogs.taz.de/dissenspodcast/faschismus/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Experten warnen vor Wohnprojekten der Corona-Protest-Szene
Nach “Report Mainz”-Recherchen plant die Corona-Protest-Szene Wohnprojekte, um sich vom Rest der Gesellschaft abzuschotten.
https://www.swr.de/unternehmen/kommunikation/pressemeldungen/report-mainz-wohnprojekte-corona-protestler-102.html


Jetzt wird den Massnahmen-Gegnern der Prozess gemacht
Wegen Nichteinhaltung von behördlichen Auflagen müssen sich Josef Ender, Präsident vom Aktionsbündnis Urkantone, und Alt-Regierungsrat René Bünter vor Gericht verantworten. Grund: die Demo vom November 2020 gegen die damaligen Corona-Massnahmen.
https://www.20min.ch/story/jetzt-wird-den-massnahmen-gegnern-der-prozess-gemacht-894858452884


++++ROCKERKRIEG
Berner Rocker-Prozess: Staatsanwalt fordert hohe Haftstrafen für Bandidos
8,5 und 9,5 Jahre Gefängnis: Diese Strafen fordert der Staatsanwalt im Berner Rockerprozess für die zwei Hauptangeklagten.
https://www.derbund.ch/staatsanwalt-fordert-9-5-jahre-fuer-bandido-522212462728
-> https://www.watson.ch/schweiz/justiz/224048162-staatsanwalt-will-bandido-9-5-jahre-hinter-gitter-sehen
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/rocker-prozess-staatsanwalt-verliest-sein-pladoyer-66194868
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/angestellte-eines-freiburger-elektrikergeschaefts-im-streik?id=12202928 (ab 01:46)
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/rockerprozess-in-bern-bandido-ballerei-anklage-fordert-9-5-jahre-gefaengnis
-> Liveticker: https://www.blick.ch/schweiz/bern/rocker-bleiben-prozess-in-bern-fern-wir-muessen-ja-nicht-unnoetig-provozieren-id17555043.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/das-passiert-in-koeniz-wenn-der-kanton-das-ruder-uebernimmt?id=12203150
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/bern-am-rocker-prozess-werden-hohe-gefaengnisstrafen-gefordert?urn=urn:srf:video:f8dbce07-0643-4f95-a28a-6a0d98eaf199
-> https://www.telebaern.tv/tele-barn-news/rockerprozess-geht-weiter-hauptangeklagtem-drohen-fast-zehn-jahre-gefaengnis-146774319
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/200317/



derbund.ch 07.06.2022

Plädoyers im Rockerprozess: Die drei Hauptbeschuldigten sollen lange ins Gefängnis

Der Staatsanwalt fordert für drei Bandidos Gefängnisstrafen zwischen 4 und 9,5 Jahren. Sie verletzten die Angreifer zum Teil lebensbedrohlich.

Hans Ulrich Schaad

Bandenkrieg, Raufhandel, Schüsse, 19 Personen angehalten. Mit diesen Stichworten sei er am Abend des 11. Mai 2019 von der Kantonspolizei Bern alarmiert worden, sagt der Staatsanwalt zu Beginn seines Plädoyers am Dienstagmorgen vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland. Beteiligt waren an der Auseinandersetzung in Belp gemäss Meldung Mitglieder der Bandidos, Hells Angels und Broncos. Es müsse damit gerechnet werden, dass nicht alle überleben. Doch am Schluss blieb es bei Schwerverletzten.

«‹Echt jetzt?›, habe ich am Telefon gesagt und zuerst leer geschluckt», fährt der Staatsanwalt fort. Es folgten für ihn viele schlaflose Nächte und eine interessante Ermittlung in einem schweigsamen Umfeld dreier Motorradclubs. Das Resultat geht nun in Form eines Monsterprozesses über die Bühne. Angeklagt sind vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland 22 Mitglieder der drei Motorradclubs. Zwei von ihnen, beides Bandidos, müssen sich wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verantworten.

Es artete aus

Die Anklageschrift sei eine Schnittmenge aus Beobachtungen von Zeugen sowie den Aussagen der Beteiligten. Jenen aus dem «Dunstkreis» der Bandidos auf der einen sowie jenen der Hells Angels und Broncos auf der anderen Seite, fasst der Staatsanwalt zusammen. «Wenn die Hells Angels und die Bandidos aufeinandertreffen, bebt die Erde.» Dass es in Belp so ausarten würde, damit hätten sie wohl nicht gerechnet. Aber es sei ihnen auch klar gewesen, dass man nicht nur miteinander reden würde.

Für den 37-jährigen Schweizer, einen Bandido, der bei der Auseinandersetzung mit einer Pistole auf die Angreifer geschossen und dabei einen Hells Angel lebensbedrohlich verletzt hatte, fordert der Staatsanwalt eine Gefängnisstrafe von neuneinhalb Jahren wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. «Wer in einem Tumult so rumballert, weiss, was er anrichten kann.» Der genaue Ablauf sei dabei nicht entscheidend.

Gegenseite ist keine Ballettgruppe

Dass die anstehende Gründung eines Bandidos-Ablegers in der Schweiz bei den Hells Angels nicht gut ankommen würde, sei den Bandidos bewusst gewesen. Deshalb hätten sie im Lokal in Belp vorsorglich Waffen deponiert. Der Staatsanwalt zitierte aus einer Aussage des Schützen, warum dieser eine Pistole angeschafft habe: «Bei der Gegenseite handelt es sich um keine Ballettgruppe.»

Beim 37-Jährigen, der seit gut drei Jahren in Haft sitzt, fallen die Vorstrafen erheblich ins Gewicht. Wegen Gewaltdelikten war er 2005 zu sechseinhalb und 2013 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Eine Strafreduktion soll es hingegen geben, weil er ein umfassendes Geständnis abgelegt hat, trotz möglicher Repressalien durch andere Beteiligte.

DNA auf dem Klappmesser

Der zweite Bandido, der wegen versuchter vorsätzlicher Tötung angeklagt ist, soll laut Antrag des Staatsanwalts für achteinhalb Jahre ins Gefängnis. Für den in der Schweiz aufgewachsenen, 42-jährigen Spanier, käme ein Landesverweis von zehn Jahren dazu.

Ihm wird vorgeworfen, während der Auseinandersetzung einem Bronco ein Klappmesser in den Rücken gerammt zu haben. Das Opfer hat ihn zwar nicht als Messerstecher erkannt. Aus Sicht des Staatsanwalts war er aber in der Nähe, das Klappmesser gehörte ihm. Dort fanden die Ermittler sowohl seine DNA als auch Blut des Opfers.

Vier Jahre ins Gefängnis soll der designierte Präsident des neuen Bandidos-Chapters. Der 38-jährige Österreicher hat gemäss Anklage einem angreifenden Bronco ein massives Kabel 15-mal mit voller Wucht auf den Kopf geschlagen. Jenem Bronco, der danach das Messer in den Rücken erhalten hat. Zu der Gefängnisstrafe soll ein Landesverweis von mindestens acht Jahren dazukommen.

Für die anderen 19 Beschuldigten verlangt der Staatsanwalt wegen Raufhandels bedingte Gefängnisstrafen zwischen 6 und 14 Monaten. Die Haftlänge hängt unter anderem von ihren Vorstrafen, den Geständnissen sowie der Zugehörigkeit zum jeweiligen Lager ab. Der Staatsanwalt spricht von einem Raufhandel, den man sich kaum schlimmer vorstellen könne, mit so vielen Beteiligten, Messern und Schusswaffen.

Schütze wollte sich und Gäste schützen

Der Verteidiger des mutmasslichen Schützen plädiert für eine Gefängnisstrafe von 30 Monaten. Als designierter Sicherheitschef habe dieser sich selber und die Gäste der Geburtstagsparty vor der angreifenden Übermacht schützen wollen. Es seien Personen vor Ort gewesen, die mit den Bandidos nichts am Hut hätten.

Dabei sei sein Mandant kaskadenartig vorgegangen. Zuerst habe er mit der Pistole einen Gegner geschlagen, danach ein paarmal in die Luft geschossen und erst, als sich das Ganze nicht beruhigte, auf ein stehendes Auto der Angreifer geschossen.

«Alles ging schnell, er musste sich in Sekundenbruchteilen entscheiden. Er war in Angst und Panik», argumentiert der Verteidiger. Die Notwehr sei berechtigt gewesen, er habe aber unverhältnismässig reagiert. Es handle sich um einen Notwehrexzess. Seinem Mandaten müsse zudem wegen des Geständnisses die Strafe erheblich gemildert werden.

Der Verteidiger erklärt weiter, dass der Hells Angel möglicherweise gar nicht durch seinen Klienten schwer verletzt worden sei. Bei der Auseinandersetzung sei wohl mehr als eine Schusswaffe im Spiel gewesen.

Es gibt nur Beweisfetzen

Der Anwalt des Spaniers verlangt einen Freispruch auf der ganzen Linie. Der Staatsanwalt lege nur ein «Potpourri aus Beweisfetzen» vor, weil er einen Schuldigen für die Messerstiche haben müsse. Es sei logisch, dass auf dem Messer die DNA seines Mandanten gefunden wurden. Schliesslich habe es ihm gehört. Und auch das Opfer habe gesagt, dass der Spanier nicht jener gewesen sei, der zugestochen habe.

Die Plädoyers dauern noch bis nächsten Montag. Das Urteil wird am 30. Juni eröffnet.
(https://www.derbund.ch/die-drei-hauptbeschuldigten-sollen-lange-ins-gefaengnis-268932573608)



Rocker-Prozess in Bern
22 Angeklagte stehen seit Ende Mai vor dem Regionalgericht im Amthaus Bern. Am ersten und zweiten Prozesstag kommt es rund ums Amthaus zu Scharmützel mit der Polizei. Die rivalisierenden Töff-Clubs Hells Angels, Broncos und Bandidos geraten aneinander. Die Polizei ist mit einem Grossaufgebot vor Ort damit die Situation nicht eskaliert. Im TalkTäglich diskutieren der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause und der Anwalt Roger Lerf unter anderem über die angespannte Sicherheitslage rund um den Prozess und ob das Amthaus der richtige Ort für die Verhandlung ist.
https://www.telebaern.tv/talktaglich-bern/rocker-prozess-in-bern-146691348


+++HISTORY
derbund.ch 07.06.2022

Nach Vernichtungsaktion: Die Grube-Buben erhalten «ihr» Buch zurück

Erfolg für die ehemaligen Heimkinder: Eine aus dem Verkehr gezogene Publikation über das Könizer Kinderheim erscheint in neuer Form.

Naomi Jones

 Im Oktober erscheint ein neues Buch über die Geschichte des 2011 geschlossenen Könizer Knabenheims «Auf der Grube». Dann wird es ziemlich genau zwei Jahre her sein, dass eine Gruppe von ehemaligen Heimkindern über 500 Unterschriften gesammelt und die Wiederauflage «ihres» Buches gefordert hatte.

«Ihr» Buch ist heute nicht mehr erhältlich. Und zwar nicht, weil es ausverkauft wäre, sondern weil rund 1500 Exemplare vernichtet wurden.

In den Entsorgungshof hatte sie Hans-Peter Hofer gebracht. Der zweitletzte Leiter des Heims fand, er sei im Buch falsch dargestellt worden, und klagte gegen die Herausgeber. In einem Vergleich bewirkte er, dass ihm der Rest der Auflage ausgehändigt wurde. Mehr noch, er suchte Bibliotheken auf und brachte sie dazu, das Buch für die Ausleihe zu sperren, etwa die Schweizer Nationalbibliothek.

Grube-Bub gründet Redaktionsgruppe

Für die ehemaligen Heimkinder war das ein Schlag ins Gesicht. Als Folge der Petition gründete Heinz Kräuchi, selber ein Grube-Bub, gemeinsam mit dem Journalisten Fredi Lerch und den Historikerinnen Tanja Rietmann, Katrin Rieder und Caroline Bühler eine Redaktionsgruppe, um ein neues Buch herauszugeben. Zusammen mit dem Verlag suchte die Gruppe die nötigen Geldgeber und weitere Schreibende. Auch das Konzept des Buches ist neu.

Der Fokus liegt jetzt weniger auf der historischen Recherche als vielmehr auf Zeugenberichten aus den letzten Jahrzehnten. Eine Chronik des Heims ist in gekürzter Form nach wie vor Teil des Buches. Den Hauptteil bilden aber acht Porträts von ehemaligen Heimkindern in Form von Aufzeichnungen. Sie geben zum Teil sehr intime und berührende Einblicke in das, was sie in den 1960er- und 1970er-Jahren im autoritär geführten Kinderheim erlebt haben.
Der Buchautor Fredi Lerch bereut, dass er in den Vergleich zum Rückzug des Grube-Buchs eingewilligt hat, und findet das neue Buch besser als das alte.

Daneben kommen ehemalige Mitarbeitende zu Wort. Auch Hans-Peter Hofer, der letztlich den Ausschlag für das neue Buch gegeben hat, darf seine Sicht der Dinge darstellen. Er habe sich nie gegen die Aufarbeitung der Geschichte des Heims gewehrt, schreibt Hofer auf Anfrage, sondern lediglich gegen die Arbeit des Autors Fredi Lerch. Hofer wirft Lerch auch bei dieser Gelegenheit vor, «Geschichte fahrlässig oder vorsätzlich falsch wiedergegeben» zu haben, ein Vorwurf, dem etwa die Historikerin Tanja Rietmann dezidiert widerspricht. Aber er wünsche dem neuen Buch, «dass es diesmal ein wirklich gutes» werde, schreibt Hofer. In der Chronik wird die Ära der letzten beiden Heimleiter nur noch erwähnt, aber nicht mehr wirklich behandelt.

Entschuldigung für «erlittenes Unrecht»

Das erste Buch war im Mai 2013 erschienen. Es arbeitete die Geschichte der Institution und damit ein Stück Schweizer Sozialgeschichte auf. In einer ausführlichen Chronik, die auf schriftlichen Quellen beruhte, stellte der Journalist Fredi Lerch dar, wie Kinder in der Grube unter Zwang erzogen wurden. Das Buch war von der Nachfolgestiftung des aufgelösten Heims in Auftrag gegeben und finanziert worden und wurde den ehemaligen Heimkindern gewidmet. Die Stiftung entschuldigte sich darin explizit «für erlittenes und ertragenes Unrecht». Für die Betroffenen bedeutete dies «das Ende der Stigmatisierung», wie Kräuchi damals sagte.

Als die Vernichtung des Buches im Juli 2020 publik wurde, entbrannte eine öffentliche Diskussion über deren Rechtmässigkeit. Namhafte Historiker und Historikerinnen wie Urs Germann und Tanja Rietmann kritisieren Hofers Vernichtungsaktion als «massiven Eingriff in die Aufarbeitung der Geschichte fürsorgerischer Zwangsmassnahmen». Das Berner Onlineportal Journal-B machte das Buch zumindest elektronisch wieder zugänglich, und die Nationalbibliothek stellte es wieder ins Regal.

Der Initiator des neuen Buches, Heinz Kräuchi, ist froh, dass dieses schon bald in Druck gehen kann. «Es war ein ‹Chrampf›, aber es wird ein schönes Buch.» Auch der von Hofer angeklagte Autor Fredi Lerch freut sich. Er bereut, in den Vergleich mit Hofer eingewilligt zu haben. Dass er mit seiner «Unterschrift unter den Vergleich zugelassen habe, was dann folgte, war sicher der schwerere Fehler» als derjenige, den er im Text des ersten Buches tatsächlich gemacht habe, schreibt Lerch. Es ging um die exakte Bezeichnung einer Ausbildung, die Hofer hätte nachholen sollen. Er habe sich auf das Protokoll einer Sitzung bezogen, in der sich der Stiftungsrat, Vertretende der kantonalen Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) und das Ehepaar Hofer zur Trennung ausgesprochen hätten, so Lerch. «Mein Fehler bestand genau genommen darin, dass ich das Wort ‹Heimleitungsausbildung› nicht in Anführungszeichen gesetzt und mit einem Fussnotenverweis auf dieses Protokoll versehen habe.» Das neue Buch sei aber besser als das erste. Nämlich «mit den Ehemaligen, statt über die Ehemaligen».
(https://www.derbund.ch/die-grube-buben-erhalten-ihr-buch-zurueck-773120880169)