Medienspiegel 4. Juni 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++AARGAU
Leiterin des kantonalen Sozialdienstes zur Flüchtlingskrise: «Wir spüren, dass sich die Gemeinden engagieren»
Die Leiterin des kantonalen Sozialdiensts, Pia Maria Brugger Kalfidis, referierte vor der Gemeindeammännervereinigung des Bezirks Bremgarten über die Herausforderungen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise und die Zusammenarbeit mit den Gemeinden.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/freiamt/bremgarten-leiterin-des-kantonalen-sozialdienstes-zur-fluechtlingskrise-wir-spueren-dass-sich-die-gemeinden-engagieren-ld.2299760


+++LUZERN
Bei ärztlicher Behandlung: Damian Müller fordert Dolmetscher für Ukraine-Flüchtlinge
Für eine nachhaltige medizinische Behandlung von ukrainischen Flüchtlingen braucht es Dolmetscherinnen, findet der Luzerner Ständerat Damian Müller. Er hat deshalb einen Vorstoss eingereicht.
https://www.zentralplus.ch/politik/damian-mueller-fordert-dolmetscher-fuer-ukraine-fluechtlinge-2382301/


Debatte um Ukraine-Bundesgelder: Gewinn auf Kosten der Flüchtlinge? Kanton Luzern wehrt sich
Die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen aus der Ukraine ist eine Herkulesaufgabe. Gegen den Vorwurf, dass der Kanton Luzern mit Bundesgeldern Profit macht, wehrt sich die zuständige Dienststelle. Was aber stimmt ist: Der Bund zahlt den Löwenanteil.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/gewinn-auf-kosten-der-fluechtlinge-kanton-luzern-wehrt-sich-2382999/


Debatte gibt in Luzern zu reden: 11 Stutz pro Flüchtling – und was ist mit armen Rentnern?
Reden wir über finanzielle Hilfe für ukrainische Flüchtlinge, so argumentieren viele: Ja, aber was ist mit den Schweizern? Jenen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und nach der Pensionierung trotzdem nur ein paar wenige Franken haben? Der Faktencheck.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/11-stutz-pro-fluechtling-und-was-ist-mit-armen-rentnern-2379085/


+++SCHWEIZ
Sohail ist zurück von Afghanistan – und das erlebte er dort
Der Afghane Sohail Khan ist vor sechs Jahren in die Schweiz geflüchtet. Vor kurzem ist er erstmals wieder zurückgekehrt, um sich ein Bild der Situation vor Ort zu machen.
https://www.watson.ch/videos/leben/626573203-sohail-ist-zurueck-von-afghanistan-und-das-erlebte-er-dort


Flüchtlinge aus der Ukraine – Kantone brauchen dringend mehr Betreuungspersonal für Geflüchtete
Neun Kantone mussten seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges 400 neue Stellen für die Betreuung der Geflüchteten schaffen, wie eine SRF-Umfrage zeigt.
https://www.srf.ch/news/schweiz/fluechtlinge-aus-der-ukraine-kantone-brauchen-dringend-mehr-betreuungspersonal-fuer-gefluechtete
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/ukraine-fluechtlinge-kantone-brauchen-mehr-betreuungs-personal?urn=urn:srf:video:4de96920-846f-443c-a31d-dad5d00efcf9


+++TÜRKEI
In Gaziantep, wo nun jeder Vierte aus Syrien kommt, gärt es unter der Oberfläche
Im türkischen Vorwahlkampf beginnen Parteien die wachsenden Ressentiments gegen syrische Flüchtlinge gegen Präsident Erdoğan zu nutzen. Ein Lokalaugenschein
https://www.derstandard.at/story/2000136283507/in-gaziantep-wo-nun-jeder-vierte-aus-syrien-kommt-gaert?ref=rss


+++GASSE
magazin.nzz.ch 04.06.2022

In Basel erhalten Obdachlose bedingungslos eine Wohnung. Wie erfolgreich ist das Projekt?

Basel holt obdachlose Menschen von der Strasse. Das Pilotprojekt Housing First findet schweizweit Beachtung.

Mirko Plüss

Es sind nur vier Wände, aber es sind seine eigenen. Endlich. Claude Ndoya (Name geändert) sitzt in seiner Wohnung am liebsten auf dem roten Sofa, das er vor einigen Wochen am Strassenrand entdeckt hat. Den riesigen Sony-Fernseher, sein Bett und den Kleiderschrank fand er auf dem Marketplace von Facebook. Ndoyas Reich – bloss 20 Quadratmeter gross – ist aufgeräumt und sauber. Was schätzt er am meisten? «Die Ruhe», sagt Ndoya, obwohl ganz in der Nähe der Basler Verkehr rauscht und man zwischendurch die Nachbarn hört.

Eine eigene Wohnung zu haben, eigene Möbel, eine Tür, die man hinter sich abschliessen kann, all das ist für Ndoya keine Selbstverständlichkeit. Bis vor kurzem war der 39-Jährige obdachlos, einer von schätzungsweise mehreren hundert wohnungslosen Menschen in Basel. Wenn er darüber spricht, tönt es wie eine ferne Erinnerung. «Ich schlief irgendwo, bei einer Freundin, einem Freund.» Die Tage verbrachte er in der Stadt, ging «spazieren». Auf diese Zeit angesprochen, schaut Ndoya ein, zwei Sätze lang zurück, dann lenkt er das Gespräch wieder auf das Hier und Jetzt, wo alles besser ist.

Ndoya ist Teilnehmer des Projekts Housing First in Basel. Hinter dem Namen versteckt sich nicht weniger als ein radikaler Systemwechsel im Umgang mit Obdachlosigkeit. In vielen Städten und Gemeinden erhält heute nur eine Wohnung, wer es sich verdient hat – sei dies mittels der Teilnahme an Sozialberatungen, Tagesstrukturen, einem Wohnkompetenztraining oder einem Drogenentzug. Housing First kehrt die Reihenfolge um. Die Wohnung, die ein geregelteres Leben erst möglich macht, wird quasi zum Menschenrecht.

Das Basler Sozialdepartement initiierte das Pilotprojekt 2020, nun wurde es bis Ende 2023 verlängert. Dann soll es in ein «Gesamtkonzept soziales Wohnen» überführt werden. Von «positiven Resultaten» spricht Ruedi Illes, Leiter der Sozialhilfe Basel. «Insgesamt haben sich bisher 21 Personen angemeldet. Für 18 wurde eine Wohnung gefunden.» Vermietet werden die Wohnungen von der Stadt selber, von der Heilsarmee oder von Privaten. Die Mietkosten werden mit Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen gedeckt. Die grösste Herausforderung ist laut Illes, passenden und günstigen Wohnraum zu finden.

Ein paar Bedingungen gibt es zudem. Die Teilnehmenden müssen erwachsen sein und seit mindestens zwei Jahren in Basel angemeldet. Das Projekt richtet sich unter anderem explizit an Suchtkranke und Personen mit psychischen Problemen, die durch bisherige Angebote von den Behörden nicht erreicht werden konnten. Ein Drittel der Teilnehmenden sind Frauen.

Hoffnungslose Suche

Der Fall von Claude Ndoya zeigt exemplarisch, was der Paradigmenwechsel bewirken kann. Ndoya, der fast sein ganzes Leben in Basel wohnt, rutschte vor mehr als vier Jahren wegen eines immer grösser werdenden Schuldenbergs in die Obdachlosigkeit. Wegen einer kaputten Schulter und Hüfte konnte er zudem seine Gelegenheitsjobs als Gipser nicht mehr wahrnehmen. Drogen seien bei ihm nie ein Thema gewesen, sagt er.

Die Wohnungssuche gestaltete sich hoffnungslos. «Wenn ich meine Betreibungen zeigen musste, war Schluss.» Das fehlende Zuhause, die Schulden, die körperlichen Beschwerden – «irgendwann wurde alles chaotisch», sagt Ndoya. Letzten November meldete er sich bei der Heilsarmee, sie vermittelt die Wohnungen und betreut die Teilnehmenden. Bereits am 1. Februar konnte Ndoya seine eigene Wohnung beziehen. Bei der Besichtigung musste er keine Sekunde überlegen: «Ich wollte nur noch da rein.»

Housing First ist auch in der europäischen Obdachlosenpolitik das Schlagwort der Stunde und wird momentan in zahlreichen Ländern getestet. Die Idee stammt zwar ursprünglich aus den USA, doch Finnland gilt als grosser Vorreiter. «Die finnische Regierung plant, die Obdachlosigkeit bis im Jahr 2027 zu beenden», erklärt Juha Kahila. Er ist Koordinator des Netzwerks «Housing First Europe Hub» in Helsinki. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeite man in Finnland aber nicht mit separaten Projekten: «Das Housing-First-Modell ist vielmehr unser ganzheitlicher Ansatz im Umgang mit Obdachlosen», sagt Kahila. «Seit 2008 konnten wir die Zahl der Obdachlosen von 8000 auf 4000 Personen verringern.»

In der Schweiz sind die Zahlen nicht ganz so hoch. Wobei – so genau weiss das niemand. Im Februar nannte die Studie «Obdachlosigkeit in der Schweiz», welche die Hochschule für Soziale Arbeit Nordwestschweiz erarbeitet hat, erstmals Schätzungen. Basierend auf einer Online-Umfrage unter Kantonen und Gemeinden schätzten die Forscher die Zahl der Obdachlosen im Land auf 2200 Menschen, mit einer grossen Unsicherheitsspanne. Weitere 8000 Menschen seien «von Wohnungsverlust bedroht», heisst es. Die Zahlen könnten jedoch eine Unterschätzung sein, da wohnungslose Personen wie Claude Ndoya, die zum Zeitpunkt der Erhebung bei Freunden oder Bekannten übernachten, nicht berücksichtigt werden.

Laut Professor Jörg Dittmann, Co-Autor der Studie, gelangten die Forscher auch zu bisher nicht bekannten Erkenntnissen. Überraschend ist laut Dittmann beispielsweise, dass die meisten Obdachlosen die ihnen zustehende Sozialhilfe nicht beanspruchen. Zudem bestehe eine starke Verbindung zu der Stadt, in der sie leben. «Vor dem Hintergrund der vielen Exklusionserfahrungen, die sie in diesen Städten machen, entspricht dies nicht unseren Erwartungen», sagt Dittmann.

Tausende Euro gespart

Auch Dittmann spricht sich deshalb für bedingungslose Wohnangebote aus: «Eine der effektivsten Lösungen ist, Wohnraum für die Betroffenen zur Verfügung zu stellen.» Die grösste Herausforderung bestehe für die Schweiz allerdings darin, eine Lösung für diejenigen Obdachlosen zu finden, die keine gültigen Aufenthaltspapiere besässen. «In unserer Studie hatten 61 Prozent aller Obdachlosen keine gültigen Aufenthaltspapiere. Was den Umgang mit diesen Sans-Papiers angeht, müssen also auch rechtliche und sozialpolitische Lösungen entwickelt werden.»

Dittmann fordert vorerst, dass Bund und Kantone ein nationales Obdachlosen-Monitoring aufbauen. «Die Sozialpolitik hat auf nationaler Ebene das Thema Obdachlosigkeit bisher zu wenig im Blick gehabt.» Die Studie stellte fest, dass eine Strategie fehlt.

Zumindest in den Kantonen zeichnet sich hier aber eine Veränderung ab. So wird das Basler Pilotprojekt in der ganzen Schweiz genau beobachtet. In den Städten Zürich und Bern fordern parlamentarische Vorstösse eigene Projekte. Die Städteinitiative Sozialpolitik organisiert kommende Woche ihre Frühlingskonferenz zum Thema in Basel. Auch der finnische Experte Juha Kahila nimmt daran teil und wird unter anderem über die finanziellen Aspekte sprechen. «Studien zeigen, dass mit Housing First zwischen 10 000 und 15 000 Euro pro Jahr und Person gespart werden kann.» Für die Betroffenen brauche es weniger Notfalleinsätze, Polizeidienste und Gefängnisaufenthalte, sagt Kahila.

Claude Ndoya hofft, dass er seine neu gewonnene Ruhe beibehalten kann. Seit seinem Einzug im Februar ist viel passiert. Er nimmt an einer Schuldenberatung teil und plant eine berufliche Umschulung. Nun könne er auch endlich seine beiden kleinen Töchter zu sich einladen, erzählt er. Diese leben mit ihrer Mutter in Frankreich, Ndoya hat sie in den vergangenen Jahren nur wenig gesehen. Jetzt, dank Ndoyas eigener Wohnung, kommen sie für die Sommerferien zum Vater nach Basel. «Es wird vielleicht ein bisschen eng, aber wenigstens haben sie wieder einen Platz bei mir.»
(https://magazin.nzz.ch/empfehlungen/housing-first-basel-holt-obdachlose-von-der-strasse-ld.1687419)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Über 1000 Menschen bei erster Pride-Kundgebung in Chur
Um die 1200 Menschen haben am Samstagnachmittag an der ersten Pride in Chur für die Akzeptanz und Gleichstellung von queeren Lebensweisen demonstriert.
https://www.watson.ch/schweiz/lgbtqia+/944224170-ueber-1000-menschen-bei-erster-pride-kundgebung-in-chur
-> https://www.suedostschweiz.ch/aus-dem-leben/erste-pride-in-chur-lockt-rund-1200-menschen-an


+++SPORT
Der Aufstieg des FCW bringt die Stadtpolizei an ihre Grenzen
Zwei Wochen ist es her, seit der FCW den Aufstieg in die Super League geschafft hat. Seither steckt die Winterthurer Stadtpolizei in den Vorbereitungen für die kommende Saison. Sie rüstet sich für strengere Einsätze rund um die Schützenwiese, da diese wohl regelmässiger tausende Zuschauer anlocken wird.
https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/der-aufstieg-des-fc-winterthurs-bringt-die-stadtpolizei-an-ihre-grenzen-00185483/


+++PSYCHIATRIE
Zwangsmedikation in der Zuger Psychiatrie: Wieder unterläuft der Klinik Zugersee ein fataler Fehler
Die grösste Psychiatrie im Kanton Zug hat wiederholt gegen gesetzliche Vorgaben für eine Zwangsmedikation verstossen. Das rührt an den Grundrechten der Patienten.
https://www.zentralplus.ch/justiz/wieder-unterlaeuft-der-klinik-zugersee-ein-fataler-fehler-2382389/


+++KNAST
Ins Gefängnis geht jeder Zweite wegen eines Armutsdelikts
Wer wegen Schwarzfahrens oder einer Parkbusse in den Bau muss, hat schlicht kein Geld. Die Freiheitsstrafen kosten aber viel.
https://www.infosperber.ch/gesellschaft/ins-gefaengnis-geht-jeder-zweite-wegen-eines-armutsdelikts/


+++BIG BROTHER
Manuela Weichelt im Fokus des Nachrichtendienstes
Seien es Terroristen, Link- oder Rechtsextreme oder auch ein Spion. Sie alle können eine Bedrohung für die Schweiz sein und geraten darum in den Fokus des Nachrichtendienstes vom Bund. Aber nicht nur, der Nachrichtendienst sammelt auch Informationen über ganz andere Personen wie zum Beispiel Manuela Weichelt, Zuger Nationalrätin der Grünen. Das heisst es in einem Schreiben an sie und die Anwort hat sie ein wenig geschockt.
https://www.tele1.ch/nachrichten/manuela-weichelt-im-fokus-des-nachrichtendienstes-146744550


+++POLICETECH
Gegen Schulmassaker: Axon will Taserdrohne entwickeln
Der führende Hersteller von „Distanzelektroimpulsgeräten“ will diese zukünftig an Quadrokopter montieren. Die Bürgerrechtsorganisation EFF warnt vor einer Normalisierung der Bewaffnung von Drohnen und Robotern.
https://netzpolitik.org/2022/gegen-schulmassaker-axon-will-taserdrohne-entwickeln/


+++ROCKERKRIEG
Broncos Security in Bedrängnis: Entzieht die Stadt Bern ihnen die Aufträge?
An Eishockey-Spielen und Festivals werden in Bern gern die Dienste der Broncos Security genutzt. Wegen der Nähe zum Motorrad-Club Broncos MC wird diese Zusammenarbeit nach den Vorfällen am Rocker-Prozess in Bern vom Stapi Alec von Graffenried kritisiert.
https://www.telebaern.tv/tele-barn-news/broncos-security-in-bedraengnis-entzieht-die-stadt-bern-ihnen-die-auftraege-146743817



derbund.ch 04.06.2022

Gewalttätige Motorradgangs: Nun geraten die Broncos unter Druck

Die Ausschreitungen zwischen Hells Angels und Bandidos werfen auch ein Schlaglicht auf die Broncos. Nun spricht Berns Stadtpräsident ein Machtwort.

Andres Marti, Michael Bucher

In Bern galten die Broncos bislang als raue, aber insgesamt eher harmlose Töfffans. Dass dieses Bild nicht der ganzen Wahrheit entspricht, zeigte sich vergangene Woche. Vor dem Hintergrund des Rockerprozesses in Bern attackierten die mit den Broncos verbündeten Hells Angels vor dem Amthaus Mitglieder der verfeindeten Bikergang Bandidos.

Um die Broncos ranken sich immer wieder Gerüchte um Verstrickungen in kriminelle oder zumindest halblegale Tätigkeiten. Hartnäckig hält sich jenes, wonach die Motorradfreunde im Inkassogeschäft tätig sind. Sie würden für Firmen oder Privatpersonen Geld eintreiben, dabei die Schuldner auch mal bedrohen. Jimy Hofer, der offizielle Mediensprecher der Broncos, wollte sich dazu – und auch zu allen anderen Fragen – nicht äussern. Tatsache ist jedoch, dass in den letzten sieben Jahren zwei Broncos wegen des Eintreibens von Schulden verurteilt wurden.

Einen bereits wegen Drohung und Nötigung vorbestraften Bronco verurteilte das Berner Regionalgericht 2015 zu einer unbedingten Geldstrafe von 5500 Franken. Der 50-Jährige soll einen Geschäftsmann am Hals gepackt und ihm gedroht haben, er werde ihm ins Gesicht schneiden.

Und im Dezember 2019 wollte ein 30-jähriger Bronco bei einem Barbetreiber in Langenthal Schulden in der Höhe von 5000 Franken eintreiben. Als dieser sich weigerte, schlug ihm der Bronco mit der Faust mehrmals ins Gesicht und nahm ihm 230 Franken aus dem Hosensack. Weil der Mann, der heute nicht mehr Bronco-Mitglied sein soll, auch die ausgerückten Polizisten beleidigte, kassierte er eine achtmonatige Freiheitsstrafe.

Stapi fordert Entflechtung

Sorgen die Machenschaften des Broncos MC für negative Schlagzeilen, färben diese unweigerlich auch auf die Broncos Security ab. Die Sicherheitsfirma ging 1999 aus dem Motorradclub hervor. Sie sorgt nicht nur bei Spielen des SCB oder beim Gurtenfestival für Sicherheit, sondern wird auch von Gemeinden wie Köniz gebucht, um im Eichholz zu patrouillieren.

Die Stadt Bern engagierte die Broncos Security für zahlreiche Anlässe: So etwa für die 1.-August-Feier, den Empfang für das diplomatische Corps und das eidgenössische Parlament, die städtischen Personalanlässe im Jahr 2017 und 2019. Hinzu kamen «einzelne Anlässe im Erlacherhof, bei denen ein besonderer Sicherheitsaufwand angezeigt war», wie die Stadt auf Anfrage schreibt. Zeitweilig war die Broncos Security AG auch mit der Regelung des Aareböötli-Verkehrs im Marzili betraut.

Doch bei der Stadt könnten die Szenen vor dem Berner Gerichtsgebäude nun zu einem Umdenken bei der künftigen Mandatsvergabe führen. Zwar lobt Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) die «gute und professionelle» Arbeit der Broncos Security AG. Die Nähe des Sicherheitsdienstes zum MC bezeichnet von Graffenried aber als «problematisch».

Die Broncos Security sei nach seinem Dafürhalten personell, mit dem Namen und mit der Corporate Identity zu stark mit dem Broncos MC verbunden. Von Graffenried ist der Ansicht, dass die Beziehung der beiden entflochten und gekappt werden müsse. «Ansonsten hat die Firma in Bern nach meiner Einschätzung keine Zukunft mehr, schon gar nicht für öffentliche Aufträge», so der Stadtpräsident.

Broncos Security wehrt sich

Die Broncos Security AG hält hingegen auf Anfrage fest, man habe keine Berührungspunkte mit den Vorfällen rund um das Amthaus. «Wir distanzieren uns klar von gewalttätigen Handlungen», sagt Roger Rutschi, Verwaltungsratspräsident und stellvertretender Geschäftsleiter. Eine Änderung des Firmennamens kommt für den Sicherheitsdienst dennoch nicht infrage. «Wir stehen zu unserer Entstehungsgeschichte», so Rutschi.

Doch wie eng sind Security und MC verbandelt? Der «Blick» zitierte 2015 Insider, die berichteten, dass bei den Broncos eine Aufnahmegebühr von über 10’000 Franken erhoben werde – den die Rocker bei der Security abarbeiten könnten. Zudem werden bei Grossanlässen der Security, wie dem Gurtenfestival, regelmässig auch Mitglieder des Motorradclubs aufgeboten.

Roger Rutschi dementiert eine enge Verzahnung. Einzelne MC-Mitglieder seien bei der Security im Stundenlohn angestellt und würden an Spitzentagen aushelfen. «Die Quote beträgt lediglich zwischen 2 und 3 Prozent aller Angestellten und ist somit vernachlässigbar.» Diese würden auch konform entlöhnt, inklusive Sozialabgaben. Davon fliesse kein Geld zum Broncos MC, hält Rutschi fest. Ganz generell gebe es keine finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Motorradclub. Auch unter den Aktionären befänden sich keine Member des Motorradclubs.

Werden Broncos marginalisiert?

Die turbulenten Prozesstage verdeutlichten einmal mehr, dass in der Schweiz die Hells Angels die tonangebende Gruppierung ist und den befreundeten Broncos bloss die Rolle eines Juniorpartners zukommt. Die Aktivitäten der Hells Angels im Raum Bern dürften in Zukunft gar zunehmen. Denn laut deren Webseite haben die sonst eher in Zürich präsenten «Höllenengel» 2020 in Bern eine Ortsgruppe ins Leben gerufen. Werden die Broncos langsam an den Rand gedrängt?

Glaubt man Szenekennern, so steht es um die Broncos seit ein paar Jahren nicht mehr zum Besten. So wurden in der Vergangenheit mehrere Mitglieder aus dem Club geworfen. Diese waren zum Teil massgeblich daran beteiligt, in Belp ein Chapter der Bandidos aufzubauen – das wurde an der Gerichtsverhandlung deutlich. Dass Abtrünnige zur unliebsamen Konkurrenz übergelaufen waren, sorgte zusätzlich für böses Blut.

Was die Broncos weiter ärgern dürfte, ist die Redseligkeit ihrer Ex-Mitglieder. Während die angeklagten Hells Angels und Bandidos konsequent die Aussage verweigerten, zeigte sich ein ehemaliger Bronco erstaunlich offen. Ein halbes Jahr nach dem Vorfall in Belp, bei welchem dem 54-jährigen Österreicher ein Klappmesser in den Rücken gerammt worden war, sei er beim Club «ausrangiert» worden. Seither werde er geächtet, sagte der Mann gemäss «Blick» vor Gericht.

Ein Szenekenner glaubt, dass die Broncos in absehbarer Zeit bei den Auseinandersetzungen zwischen Hells Angels und Bandidos zerrieben werden. Er spricht von einem Generationenkonflikt: Die älteren, etwas behäbigen Broncos hätten das Gewaltpotenzial der Jungen völlig unterschätzt, wie man in Belp habe sehen können. Laut Anklageschrift gingen zwei der vier angeklagten Broncos mit Klappmessern an die Auseinandersetzung, während die Bandidos dort mit Pistole und Pump-Gun warteten.
(https://www.derbund.ch/nun-geraten-die-broncos-unter-druck-459992510609)
-> https://www.20min.ch/story/beendet-die-stadt-bern-die-zusammenarbeit-mit-den-broncos-329627551121



derbund.ch 04.06.2022

Analyse zum Rockerprozess: Die Justiz darf sich nicht aufhalten lassen
Eine Gerichtsverhandlung gegen Mitglieder von verfeindeten Motorradclubs sorgt rund um das Berner Amthaus für einen Ausnahmezustand.

Hans Ulrich Schaad

In der Regel sollte man sich bei Prognosen zurückhalten mit Superlativen. Von einem Monsterprozess wurde im Vorfeld der Gerichtsverhandlung rund um den Rockerkrieg geschrieben. Aber die Szenen, die sich Anfang dieser Woche vor und im Amthaus abgespielt haben, hat Bern so noch nie gesehen. Der Monsterprozess ist in der Bundesstadt angekommen.

Auf der Anklagebank sitzen 22 Mitglieder der Bandidos, Hells Angels und Broncos, die im Mai 2019 in Belp mit Messern, Schlaginstrumenten und Schusswaffen aufeinander losgegangen sind. Mehrere Männer wurden teilweise schwer verletzt, zwei davon mussten notoperiert werden. Im Gerichtssaal sind sie weniger offensiv, die Angeklagten der drei Motorradclubs hüllen sich fast die ganze Zeit in Schweigen. Als Beschuldigte ist das ihr gutes Recht.

Weniger gesittet sind die Geschehnisse rund um das Gerichtsgebäude. Da stehen sich am Montagmorgen Hundertschaften von dunkel gekleideten, furchteinflössenden Gestalten gegenüber. Es wird deutlich, wie verfeindet die Hells Angels und die Bandidos sind. Flaschen und Steine fliegen, die Männer provozieren einander. Nur ein Grossaufgebot der Kantonspolizei Bern kann verhindern, dass es zur direkten Konfrontation kommt. Die Polizei setzt Gummischrot, Reizmittel und Wasserwerfer ein. Am Dienstag prügeln sich die Rivalen selbst im Vorraum des Gerichtsgebäudes. Jegliche Gewalt in und um das Amthaus ist zu verurteilen.

Der Verkehr an einem neuralgischen Verkehrsknotenpunkt der Stadt kommt während Stunden zum Erliegen. Unzählige Pendlerinnen und Pendler bleiben stecken und kommen zu spät zur Arbeit oder in die Schule. Der Unmut ist gross. Es ist nachvollziehbar, dass der verärgerte Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause eine Verlegung der Verhandlung an einen weniger exponierten Ort ins Spiel brachte.

Eine solche Verlegung ist absolut unrealistisch. Eine andere Lokalität kann nicht einfach mit einem Fingerschnippen gefunden werden. Dazu ist die Verhandlung durchgeplant, und die Termine sind mit über zwei Dutzend Personen abgesprochen. Das Gericht kann den Prozess nicht einen oder zwei Tage aussetzen für einen Umzug. Es selbst hat alle Vorkehrungen getroffen, damit der Prozess nicht abgebrochen und auf einen unbestimmten Zeitpunkt in einigen Monaten verschoben werden muss. Ein Ersatzrichter verfolgt die Verhandlung im Saal und kann allenfalls einspringen, sollte eine Kollegin oder ein Kollege ausfallen.

Einen schwierigen Job hat die Kantonspolizei, die am Montag im wahrsten Sinne des Wortes zwischen die Fronten der Motorradclubs geraten ist. Danach standen die Ordnungshüter in der Kritik, weil sie niemanden angehalten respektive keine Personalien aufgenommen hatten. Nicht etwa so wie bei einer friedlichen Demonstration der Klimajugend.

Bei dieser aufgeheizten Stimmung sind solche Massnahmen allerdings fast nicht durchzusetzen, die Situation hätte leicht eskalieren können. Dass mit diesen Motorradgangs nicht zu spassen ist, hat ein Vorfall vor knapp drei Wochen in Genf gezeigt. In einem Café haben deren Mitglieder Pistolen gezückt und aufeinander geschossen.

Es darf nicht sein, dass ein wütend gewordener Haufen die Justiz lahmlegen kann. Deshalb muss die Gerichtsverhandlung weitergeführt werden, ungeachtet der widrigen Umstände. Skandalös ist, dass ein blutiger Streit, der gerade mal ein paar Minuten gedauert hat, die Steuerzahlenden unter dem Strich möglicherweise einen siebenstelligen Betrag kosten wird. Und das ganze Theater könnte sich wiederholen, falls sich auch das Obergericht in zweiter Instanz mit der Causa befassen müsste.

Aber wie sagte einer der Verteidiger am Mittwoch im Amthaus: «Das Schweizer Rechtssystem hat seinen Preis.» Bitter, aber wahr.
(https://www.derbund.ch/die-justiz-darf-sich-nicht-aufhalten-lassen-374472622144)


+++HISTORY
luzernerzeitung.ch 04.06.2022

Rund 340 Urnerinnen und Urner wurden bis in die 1970er-Jahre in Arbeitsanstalten und Kinderheime gesteckt

Etwa 700 Zwangsmassnahmen sind im Kanton Uri von 1905 bis 1970 vollstreckt worden. Das zeigen die Ergebnisse einer dreijährigen Untersuchung. Die Gründe dafür waren oft willkürlich.

Lucien Rahm

Es ist ein dunkles Kapitel der Urner Geschichte. Zumindest, was die Transparenz betrifft, bringen nun die Ergebnisse einer dreijährigen Forschungsarbeit etwas Licht in die Sache. Wie auch im Rest der Schweiz wurden im Kanton Uri bis in die 1970er-Jahre sogenannte «fürsorgerische Zwangsmassnahmen» verhängt, Damit konnten Personen weggesperrt werden, die sich nicht an die sozialen Normen jener Zeit hielten. Auch in Uri waren es Hunderte.

Konkret wurden von 1905 bis 1970 insgesamt rund 700 solche Massnahmen durch Urner Behörden erlassen, wie die Forschungsergebnisse der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften nun zeigen. Von den Massnahmen betroffen waren in den untersuchten 65 Jahren um die 340 Urnerinnen und Urner, darunter auch Kinder, wie der Urner Historiker Romed Aschwanden auf Anfrage sagt. Der Historische Verein Uri, dessen Vizepräsident er ist, hat die Hochschule mit der Erforschung der Urner Zwangsmassnahmen beauftragt. Ein Bundesgesetz von 2016 verpflichtet die Kantone dazu, ihre Vergangenheit diesbezüglich aufzuarbeiten.

Oft war keine Arbeit zu finden

Die Gründe für eine Zwangseinweisung in eine Arbeitsanstalt waren dabei vielfältig, wie die Analyse von Dokumenten aus den Gemeindearchiven und dem Urner Staatsarchiv sowie Aussagen noch lebender Betroffener ergeben haben. Bei den Männern, die etwas häufiger Opfer von solchen Massnahmen wurden als die Frauen, konnten Alkoholabhängigkeit, Straffälligkeit oder auch «Arbeitsscheu» zur Wegsperrung führen. Wer dabei als Alkoholiker galt, das legten die Urner Behörden nach eigenem Ermessen fest und wurde teils willkürlich entschieden, wie Aschwanden sagt. «Es konnte beispielsweise ausreichen, dass jemand am Sonntag nicht in die Kirche kam, weil er am Tag zuvor einen über den Durst getrunken hatte.»

Bei anderen Betroffenen seien aber durchaus schwerwiegende Alkoholprobleme vorhanden gewesen.

Auch bei der attestierten «Arbeitsscheu» herrschte grosse Willkür. Vielfach hätten die betroffenen Personen zwar eigentlich arbeiten wollen, konnten aber schlicht keine Arbeit finden. Das wurde vor allem Tagelöhnern zum Verhängnis, die im Sommer vielleicht auf einer Alp mithalfen, im Winter dann aber keiner Tätigkeit nachgehen konnten, so Aschwanden. «Diese Leute waren nicht arbeitsscheu, der Markt bot ihnen einfach keine Möglichkeiten.»

Gerade im Kanton Uri sei die Arbeitslosigkeit ein häufiger Grund für eine Zwangsmassnahme gewesen, wie Aschwanden weiter erläutert. Er vermutet, das könnte mit den vielen Berggemeinden zusammenhängen, die finanziell schlecht dastanden. Statt die Arbeitslosen finanziell zu unterstützen, sei es die Gemeinden nämlich günstiger gekommen, sie wegsperren zu lassen.

Rekurs blieb in der Regel erfolglos

In den Arbeitsanstalten, in denen sie schliesslich landeten, hätten sie «harte Arbeit und teilweise demütigende Behandlungen» erwartet, wie der Historische Vereins Uri beschreibt. Urnerinnen und Urner kamen beispielsweise in die Zwangsarbeitsanstalt Kaltbach in Schwyz. Dabei sei den Betroffenen oft auch nicht bekannt gewesen, wie lange sie in den Anstalten bleiben mussten. Nach welcher Zeit sie letztlich wieder entlassen wurden, sei sehr unterschiedlich gewesen, so Aschwanden. Es konnte jedoch mehrere Jahre dauern. Wie es für die Betroffenen danach weiterging, sei eher schlecht dokumentiert. Teilweise wurden Entlassene später erneut eingewiesen.

Rechtlich gesehen war diese Vorgehensweise damals korrekt. Die Grundlagen dazu waren im Schweizerischen Zivilgesetzbuch zu finden, vor 40 Jahren wurden sie schliesslich angepasst. Manche Urner Betroffene hätten durchaus auch versucht, gegen eine Zwangsmassnahme rechtlich vorzugehen, wie Aschwanden weiter sagt. «Zumindest in Uri war ein Rekurs aber häufig nicht erfolgreich.»

Rekursbehörde war der Urner Regierungsrat. Und der habe oftmals die Gemeindebehörden unterstützt, was wohl auch der Kleinräumigkeit Uris geschuldet sei. So seien denn auch keine erfolgreichen Beschwerden in Uri bekannt. Das bedeute aber nicht, dass deswegen alle Entscheide des Regierungsrats falsch gewesen seien, so Aschwanden.

Klosterfrauen bestimmten Alltag der Kinder

Bei Frauen führten oft andere Gründe zu einer Zwangsmassnahme. Ihnen konnte «unsittliches Verhalten» vorgeworfen werden, wenn sie beispielsweise ein uneheliches Kind hatten. «Das wurde im katholischen Kontext als sehr schlimm bewertet.» Landete die Frau dann in einer Arbeitsanstalt, gelangte das Kind zu Verwandten, wurde verdingt oder in ein Kinderheim eingewiesen – zum Beispiel in jenes in Altdorf. Dort sorgten Klosterfrauen für einen stark strukturierten Arbeitsalltag, in dem religiöse Rituale wie das Beten eine grosse Rolle spielten. Auch Isolation, Blossstellung und Bestrafung seien dabei an der Tagesordnung gewesen.

Bis 2018 konnten sich noch lebende Betroffene beim Bund melden, der ihnen eine gewisse Entschädigungszahlung zukommen liess. Rund 25 Personen aus Uri haben davon Gebrauch gemacht. Das dürften aber nicht alle Betroffenen gewesen sein, vermutet Aschwanden. Auch wenn das verursachte Unrecht nicht wieder gutgemacht werden könne, sei es wichtig, die Thematik aufzuarbeiten. Für Romed Aschwanden ist klar: «Für die Anerkennung des Unglücks ist es unabdingbar, das Geschehene zu dokumentieren.»

Hinweis: Die rund 150-seitige Studie ist im neuen Historischen Neujahrsblatt Uri zu finden. Die Vernissage findet am kommenden Freitag um 19 Uhr im Historischen Museum Uri statt.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/uri/zwangsmassnahmen-rund-340-urnerinnen-und-urner-wurden-bis-in-die-1970er-jahre-in-arbeitsanstalten-und-kinderheime-gesteckt-ld.2300102)