Rechter Terror in Buffalo, Pushbackcamps in der Schweiz, Prozesse am Mittelmeer

Protest vor dem Asylsymposium der SFH in Bern

Was ist neu?

Rechter Terror in Buffalo

Am Samstag, den 14. Mai, eröffnet ein weisser 18-Jähriger in einem Supermarkt in Buffalo (New York) das Feuer und erschiesst gezielt 10 Menschen, drei verletzt er schwer. 11 der 13 Opfer sind Schwarze Menschen. Der Supermarkt liegt in einer überwiegend von BIPoC-Personen bewohnten Nachbarschaft, die Tat ist rassistisch motiviert.

Trauernde vor dem Supermarkt, in dem das Attentat verübt wurde.

Die Opfer des rechten Anschlags sind:
Celestine Chaney, 65, aus Buffalo
Roberta A. Drury, 32, aus Buffalo
Andre Mackniel, 53, aus Auburn, N.Y.
Katherine Massey, 72, aus Buffalo
Margus D. Morrison, 52, aus Buffalo
Heyward Patterson, 67, aus Buffalo
Aaron Salter, 55, aus Lockport, N.Y.
Geraldine Talley, 62, aus Buffalo
Ruth Whitfield, 86, aus Buffalo
Pearl Young, 77, aus Buffalo

Die Verletzten sind:
Christopher Braden, 55, aus Lackawanna, N.Y.
Zaire Goodman, 20, aus Buffalo
Jennifer Warrington, 50, aus Tonawanda, N.Y.

Eine Angehörige von Katherine Massey sagte: „We lost a voice yesterday. We lost a powerful, powerful voice,“ (zu deutsch „Wir haben gestern eine Stimme verloren. Wir haben eine kraftvolle, starke Stimme verloren.“). Am Sonntag wurde eine Mahnwache einberufen, von mehreren sog. equity advocacy groups (Gruppen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen). Hunderte versammelten sich nahe des Tatorts. Ein Teil der Menge zog durch die Strassen und rief: „This is what community looks like“ und „We are mourning, we are hurt.“ (“So sieht Gemeinschaft aus“ und „Wir trauern, wir sind verletzt“. )

Die Umstände der Tat sind mittlerweile bekannt:  
Wie auch schon andere rechte Terroristen vor ihm streamte der Täter den Anschlag live auf der Streaming-Plattform twitch. Er veröffentlichte vorher seine Pläne sowie einen rassistischen Text im Internet, welcher sich u.a. auf die Verschwörungserzählung des ‚grossen Austausches‘ bezieht. Der ‚grosse Austausch‘ ist ein Mythos, nach welchem eine ‚jüdische Elite‘ mithilfe von Einwanderung, Rechten für queere Menschen und Abtreibungsgesetzen gezielt weisse Menschen auslöschen will (häufig wird in diesem Zusammenhang von dem Begriff ‚Rasse‘ Gebrauch gemacht, der jedoch eine rassistische Erfindung ist: es gibt nur eine Menschenrasse). Seit 2019 hat sich diese Verschwörungserzählung im Mainstream verbreitet, in den USA glauben seit einer aktuellen Umfrage ein Drittel der Befragten daran. U.a. durch Formate des rechten Senders Fox News und republikanische Politiker*innen wird diese abstruse Idee salonfähig gemacht.
Auch in Europa sind Ideen rechten Terrors durch Schnittstellen wie Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und Antifeminismus in der Dominanzgesellschaft äusserst anschlussfähig.
Und wie der Rechtsextremismus-Forscher Miro Dittrich betont, seien Verschwörungsideologien im Internet nur wenige Klicks von rechtsterroristischer Propaganda entfernt.
So bezog sich der Täter auch auf andere rechte Terroranschläge wie die in Utøya 2011, Charleston 2015, Pittsburgh 2018, Christchurch 2019, Halle 2019. Rechter Terror, der auf einschlägigen Social Media-Kanälen wie auf 4chan, Discord und Telegram seine Anhänger findet. Und auf denen der Täter in Buffalo in seiner rassistischen Weltsicht, seinem Hass und seiner Gewaltbereitschaft bestärkt wurde und wiederum andere aufhetzte. Durch die Vernetzung über das Internet, sowie die Ähnlichkeit der Tathergänge und der verbreiteten rechtsterroristischen Propaganda, kann daher nicht von Einzeltätern gesprochen werden.
Doch nach wie vor fällt es vielen Medien schwer, die Verbindungen herzustellen.
Um die Verbreitung des Gedankengutes und die potenzielle Glorifizierung des Täters durch rechte Anhänger und mögliche Nachahmer zu verhindern, rät Miro Dittrich deshalb dazu, weder Namen noch Bilder des Täters zu verwenden und keine direkten Zitate oder Screenshots aus seinen rassistischen Texten zu veröffentlichen.
https://www.tagesschau.de/ausland/grosse-austausch-verschwoerungsmythen-usa-101.html
https://www.n-tv.de/panorama/Buffalo-trauert-mit-gebrochenem-Herzen-article23332635.html
https://www.deutschlandfunk.de/buffalo-rechtsextremer-terror-kommunikationsstrategie-100.html
https://www.woz.ch/2220/rechter-terror/wir-muessen-wehrhafter-werden

 

 

Was geht ab beim Staat?

Bundesrat will geschlossene Pushback-Camps in Grenzkantonen legalisieren und mitfinanzieren

Der Bundesrat schickt eine weitere Verschärfung des Ausländer- und Integrationsgesetzes ins Parlament. Grenzpolizist*innen sollen Migrant*innen, die sie als illegal eingereist lesen, ohne Gerichtsverfahren in geschlossenen Camps einsperren dürfen, um sie innert weniger Stunden oder Tagen gruppenweise, ohne Asylverfahren und gegen ihren Willen in Nachbarstaaten abzuschieben. Grenzkantone sollen für solche Pushback-Camps sogar Geld vom Bund erhalten.

In Como strandeten 2016 tausende Menschen.

Im Anschluss an den Sommer der Migration 2015 strandeten tausende asylsuchende Personen im norditalienischen Como, einen Steinwurf entfernt von Chiasso an der Südgrenze der Schweiz. Allein von Juni bis Oktober 2016 wollten 24’179 Menschen in der Schweiz Asyl beantragen. Ohne gesetzliche Grundlage wurden sie in einem geschlossenen Camp bei Mendrisio eingesperrt. Alle paar Tage fuhren volle Busse der italienischen Grenzpolizei die Menschen gegen deren Willen nach Süditalien.

Die Behörden logen und behaupteten stur, die tausenden Geflüchteten aus Syrien und anderen Kriegsländern hätten alle kein Asylgesuch gestellt und seien gemäss Artikel 64c des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) „formlos“ weggewiesen worden. Für formlos weggewiesene Ausländer*innen hat die Schweiz mit Italien und den meisten EU-Staaten Ausschaffungsdeals abgeschlossen, die es erlauben, die Personen innert Stunden oder wenigen Tagen abzuschieben.

Die damaligen Pushbackvorwürfe wurden nie ernsthaft untersucht und verliefen im Sand. Stattdessen reichten damals rechte Politiker*innen Motionen ein und forderten Geld vom Bund für die Abschiebearbeit des Kantons Tessin. Die aktuelle Gesetzesverschärfung ist die Folge davon: (1) Das Einsperren in geschlossenen Camps ohne vorgängigen richterlichen Beschluss wird legalisiert; (2) die Co-Finanzierung solcher Camps durch den Bund wird durch eine Regelung gefördert. Obwohl es damals zu tausenden vermeintlichen Pushbacks kam, verzichtet der Bunderat auf jegliche Form vor Schutz vor Pushbacks.

SP und Gewerkschaften unterstützen die Verschärfung überwiegend. AsyLex, NKVF und SFH verzichten auf fundamentale Opposition, doch fordern, menschenrechtskonforme Bedingungen, z.B. Männer, Frauen und Familien getrennt unterzubringen. Und sie kritisieren, dass die richterliche Überprüfung der Festhaltung nicht nachträglich, sondern vorgängig erfolgen sollte.

Die Vorlage ist strukturell rassistisch. Der Staat diskriminiert Menschen von ausserhalb der EU. Er fördert Pushbacks und legalisiert das Wegsperren ohne Prozess. Antira.org schlägt vor, die Vorlage zu bekämpfen. Defund-Forderungen könnten einen Ansatz bieten.

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-88857.html
https://www.sem.admin.ch/dam/sem/de/data/aktuell/gesetzgebung/aig-umsetzung-ibm/bot.pdf

 
Justizskandal beim Bundesverwaltungsgericht. Oder: Wir haben es ja gesagt.

Neue Recherchen von der SRF-Rundschau und Tamedia bestätigen: Am Bundesverwaltungsgericht kommt es häufig zu manuellen Manipulationen der Richter*innengremien. Das Auswechseln von Richter*innen geschieht viel häufiger, als dies das Gericht bisher öffentlich einräumte. Und zwar vor allem in den Asylabteilungen.

Was kritische Jurist*innen, Betroffene und Medienschaffende schon lange sagen, wurde durch neue unabhängig voneinander geführte Recherchen der SRF-Rundschau und Tamedia bestätigt: Am Bundesverwaltungsgericht werden die Richter*innengremien – bestehend aus drei Richter*innen – von einem Algorithmus, dem sogenannten Bandlimaten, ausgewählt. So soll Neutralität garantiert werden. Regelmässig wird das Ergebnis nachträglich angepasst. Dazu gibt es legitime Gründe wie Ferienabwesenheit, Sprachkenntnisse, Überlastung oder Stellvertretungen. Doch auch die politische Haltung bzw. die Parteizugehörigkeit der Richter*innen scheint eine Rolle zu spielen. Beispielsweise läuft momentan ein Amtsenthebungsverfahren gegen David R. Wenger, SVP-Richter am Bundesverwaltungsgericht. In einem seiner Fälle hat er eine Richterin durch eine andere ersetzt, um den Fall in seinem Sinne beeinflussen zu können. Doch dies war kein Einzelfall: In ebendieser Abteilung (Asylabteilung V) könnten bei über 500 Fällen «gravierende Zuteilungsfehler» gemacht worden sein, so der Tagesanzeiger. Denn während kontrollierende Richter*innen aus anderen Abteilungen zeitweise drei, vier gravierende Zuteilungsfehler pro Monat entdeckt haben, blieben solche Zuteilungsfehler in der Abteilung V unerkannt.

Rechtssuchende haben gemäss Verfassung Anspruch auf ein korrekt zusammengesetztes Gericht – so der Artikel 121 im Bundesgerichtsgesetzes. Dieser räumt den Rechtssuchenden auch die Möglichkeit ein, den Fall neu aufzurollen, wenn das Gericht beim Urteilsspruch nicht korrekt zusammengesetzt war. Betroffene können demnach jetzt Revision einreichen.

Nicht zu vergessen: Auch ein vermeintlich ausgeglichenes Richter*innengremium ist nicht neutral: Das bürgerliche Rechtssystem schützt die bestehenden Machtverhältnisse, auf denen es beruht. Neutralität ist eine Illusion und dient vielmehr der Legitimation des bestehenden Rechtssystem. Ein Rechtssystem, das migrierte und geflüchtete Menschen verwaltet, systematisch unterdrückt, sie einteilt in «gute» und «falsche» Geflüchtete und ihnen gewiss alles andere als neutral begegnet.
https://www.derbund.ch/richterpfusch-in-st-gallen-nun-droht-revision-in-hunderten-von-faellen-687172416546
https://www.srf.ch/news/schweiz/richterzuteilung-manipulationsvorwurf-am-bundesverwaltungsgericht
https://www.watson.ch/!881631607

https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/bundesverwaltungsgericht-vorwuerfe-muessen-untersucht-werden

 

 

Was ist aufgefallen?

Namensänderung der M-Zunft

Die M-Zunft in der Altstadt Berns hat letzten Samstag (14.05.) in einer Abstimmung entschieden, dass sie neu Zunft zur Schneidern heissen soll. Auch das Logo und das Wappen sollen ersetzt werden, die «M-Figur» bleibt aber, da sie ein geschütztes Baudenkmal ist. Denkmalschutz ist kein Argument: Auch die rassistische Figur soll weg! Die Stadt soll sich verändern.

Während einer BLM-Demo 2020 wird die Statue der M-Zunft verhüllt.

Die M-Zunft wurde schon lange aus einer antirassistischen Sicht kritisiert. Die Namens- und Wappenänderung kommt verzögert und ist nicht genug. So reichten Halua Pinto de Magalhães und Fuat Köçer bereits 2014 im Parlament der Bundesstadt ein Postulat ein, in dem unter anderem gefordert wurde, für rassistische Darstellungen im öffentlichen Raum eine Lösung zu finden. Was auch eine Entfernung dieser bedeuten kann (Postulat: https://bit.ly/3wB7Pmk ). Die M-Zunft reagierte daraufhin mit einer Infotafel. Auf der weder betont wird, dass die Zunft noch das Wappen einen rassistischen Hintergrund haben. Die verwendete Symbolik müsse im Kontext der Zeit verstanden werden, in der das Wappen entstanden sei. Auf die immer wiederkehrenden Klischees und Stereotype aus der Zeit der kolonialen Unterdrückung und den sogenannten wissenschaftlichen Rassismus wird nicht eingegangen.
Das Wappen der Zunft zeigt eine rassistische Darstellung des Gesichts einer Schwarzen Person. Das Wappenzeichen des «M-Wort» wurde im 13. Jahrhundert ­erfunden, als Christ*innen die islamisch beherrschte Iberische Halbinsel von den dort lebenden Berber*innen zurückeroberten. Bis heute finden sich in spanischen Kathedralen und Museen Zeugnisse dieser Zeit. Sie zeigen, wie christliche Ritter den Berber*innen die Köpfe abschlugen, um sie anschliessend in ihr christliches Wappen einzufügen. Der «M-Wort» als Wappenzeichen ist, historisch gesehen, eine Form der christlichen Demütigung des Islams.
Das Wappen der Zunft wurde in der Vergangenheit immer wieder erneuert. Die jetzige Version stammt aus dem Jahr 1891. Die Darstellung auf dem Wappen bedient alle Merkmale des wissenschaftlichen Rassismus zu dieser Zeit. Rassismus, der von Schweizer ‚Rassenforschern‘ wie Carl Vogt, Louis Agassiz sowie teils auch dem Berner Zoologieprofessor und Direktor am Naturhistorischen Museum der Burgergemeinde, Theophil Studer, verbreitet wurde. Die rassistische «Wissenschaft» war dazu da, die Ausbeutung von BIPoC zu legitimieren.
Die denkmalgeschützte Figur stammt aus dem 17. Jahrhundert. Vor der BLM Demonstration 2020 wurde sie vermutlich «aus Schutz vor Beschädigung» eingepackt. Die M-Zunft war sich also der rassistischen Darstellung bewusst.
Die M-Zunft nutzt nicht nur rassistische Symbole, sondern investierte im 18. Jahrhundert über die britische Südseekompanie auch in den afrikanischen Sklavenhandel.
https://bern-kolonial.ch/rathausgasse-9-kramgasse-12
https://www.derbund.ch/bern/stadt/-vergessene-kolonialgeschichte/story/30775820
https://www.nau.ch/news/schweiz/berner-zunft-zum-mohren-heisst-jetzt-zunft-zur-schneidern-66179081
https://www.blick.ch/schweiz/die-geschichte-eines-wortes-was-hat-es-mit-dem-wort-mohr-eigentlich-auf-sich-id15946664.html

Ein kleiner Ausschnitt davon, was auf den Migrations- und Fluchtrouten Richtung Europa geschah

Die teils tödlichen Folgen des europäischen Migrations- und Grenzregimes, welches auf Abschottung und Erhaltung von Ungleichheiten ausgelegt ist, zeigen sich täglich an den europäischen Aussengrenzen, in den Asyllagern oder auf See. Auch diese Woche mussten sich viele Menschen in unnötige Gefahr begeben, erhielten kaum Unterstützung oder erfuhren Gewalt auf der Flucht:

– Das Rettungsschiff GeoBarents hat in den letzten 14 Tagen in 3 Einsätzen fast 500 Personen aus Seenot geholt. Obwohl zwei der drei Seenotfälle in der maltesischen Such- und Rettungszone geschahen, blieb die maltesische Küstenwache wie immer inaktiv und machte keine Anstalten, den Booten in Seenot zu helfen. Dies, obwohl sie mehrmals über die Boote in Seenot informiert wurden. Wie so oft war das zivile Rettungsschiff also das einzige Schiff vor Ort und die Besatzung könnte wohl im Nachhinein zusätzlich eine Kriminalisierung wegen „Schleppertum“ oder Ähnlichem erhalten. Die GeoBarents erhielt dann über 7 Tage keine Anlegeerlaubnis in einem italienischen Hafen, obwohl sie sieben Anfragen stellte. Die 471 Menschen, welche teilweise verletzt und traumatisiert waren, sowie eine lange und teils sehr gewaltvolle Flucht hinter sich hatten, mussten über eine Woche auf engstem Raum auf dem Schiff ausharren, bis dann am 8. Tag endlich eine Anlegeerlaubnis für den Hafen in Augusta ausgestellt wurde. Die Ausschiffung dauerte mehr als 6 Stunden und nur die Hälfte der Überlebenden konnte von Bord gehen, da die Crew der GeoBarents plötzlich von den italienischen Behörden aufgefordert wurde, den Hafen zu verlassen, ohne jegliche Erklärung. 238 Menschen, darunter einige mit gebrochenen Gliedmassen, mussten also weiter auf dem Schiff ausharren. 6 der Überlebenden sprangen in der Folge aus Verzweiflung ins Wasser und versuchten, an Land zu schwimmen. Nach endlosen 12 Tagen konnten dann endlich alle das Schiff verlassen.
– Malta unterlässt nicht nur die Seenotrettung, es sperrt Ankommende auch unter widrigsten Bedingungen in Camps ein – was übrigens leider Realität in zahlreichen europäischen Ländern ist, nicht nur in Malta. Dazu ein lesenswerter Bericht.

– Seit dem 6. Mai leben Menschen auf der Flucht im Lager auf Samos, das bei seiner Eröffnung im September 2021 von der EU als „vorbildlich“ dargestellt wurde, ohne fliessendes Wasser. Berichten zufolge erhalten die Menschen in dem Lager 4,5 Liter Wasser pro Person und Tag, um ihren gesamten Wasserbedarf zu decken, vom Waschen bis zum Trinken. Zum Verlgeich: In der Schweiz verbraucht eine Person pro Tag durchschnittlich 142 Liter Wasser.
Es sollte ein Musterlager sein, eine ideale Version aller Hotspots für Asylbewerber*innen. Stattdessen scheint sich in diesem geschlossenen Lager auf der griechischen Insel Samos seit seiner Eröffnung im September 2021 ein Problem nach dem anderen angesammelt zu haben.
Nach Angaben des griechischen Migrationsministers Notis Mitorakis ist die Ursache für den Rückgang der Wasserversorgung ein Defekt an einer der Wasserpumpen. Organisationen, die im Lager arbeiten und sich für die Rechte der Menschen einsetzen, weisen jedoch darauf hin, dass diese Störung nur eines von vielen Problemen ist, mit denen die Menschen im Lager seit seiner Eröffnung zu kämpfen haben.
Während sie auf die Reparatur der Pumpe warten, erhalten die Lagerbewohner dreieinhalb Flaschen Wasser pro Person und Tag, was 4,5 Litern entspricht. Diese Menge reicht nicht aus, um alle Bedürfnisse zu decken, vom Trinken über Kochen bis hin zur Hygiene. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass die Menschen 20 Liter pro Tag benötigen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. Der Mangel an Wasser und damit an Hygiene zwingt die Bewohnenden dazu, sanitäre Risiken einzugehen. Letzte Woche kamen 33 Personen im Lager an. Sie haben immer noch nicht duschen können. Der Wassermangel hat das ohnehin schon schwierige Leben der Menschen, die in dem Lager leben, noch weiter erschwert. Im Lager gab es von Anfang an gravierende Probleme. Im vergangenen Oktober wurde die Insel von starken Regenfällen heimgesucht, und das Lager, das in einer Talsenke errichtet wurde, war schnell überflutet.
Die Europäische Union hat Griechenland 276 Millionen Euro für den Bau neuer geschlossener Lager zur Verfügung gestellt, darunter auch das Lager auf Samos, das rund 43 Millionen Euro kostete. Ein Teil dieses Geldes floss in die Einrichtung des Videoüberwachungssystems, die magnetischen Eingangstore und die hohen Zäune mit Stacheldraht, die das Lager umgeben. So werden die Prioritäten der EU gesetzt. Geld in Überwachung und Gewalt, statt Geld für grundlegende Bedürfnisse wie genügend Wasser.

Ein Bild aus einem maltesischen Lager, das der Welt die Zustände im geschlossenenen Camp zeigen soll.
 

https://www.infomigrants.net/en/post/40579/greece-migrants-at-samos-camp-without-running-water
https://twitter.com/MSF_Sea/status/1527382880992645129?fbclid=IwAR1O4RgltPa5NxHeLLkfquVDicgBZ75Gc_Spqm76TFL447wBBbH5GNYxhZI
https://www.politico.eu/article/pictures-inside-malta-crowded-migrant-detention-center/?fbclid=IwAR2V53KCMhQ-942Z2ZhedNWEOoTRIPQUKSAVQhW_H18JH0hhjIV2SMctfl8
https://www.facebook.com/SeebrueckeSchafftsichereHaefen/posts/pfbid014miJWAui9mj5vGkRTNiFzkVY9VzgwmNwcsFJjkk4nnnNsoDJKNNQFa8gCoL6Kurl

Kopf der Woche

SVP-Perrin muss keine Verantwortung für Rassendiskriminierung auf seiner Facebookseite tragen

Mit einem muslimenfeindlichen Kommentar auf Facebook hat SVP-Vertreter Yvan Perrin eine Reihe rassistischer Kommentare provoziert. Sechs Verfasser*innen dieser Kommentare wurden wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Nicht aber Perrin selbst – für die Kommentare unter seinem Post sei der Verfasser nicht verantwortlich.

Yvan Perrin (rechts) mit seinem Verteidiger, dem Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor.

 

Das SVP-Vertreter*innen rassistisch diskriminierende Aussagen machen, ist leider nichts Neues und es macht auch vor Social Media-Plattformen nicht halt. Dass im aktuellen Fall von Yvan Perrin ein Inhalt gesät wurde, der diskriminierende Kommentare nur so provoziert, anerkennt sogar das Bundesgericht in seiner Medienmitteilung: «Indem der Kontoinhaber seine Pinnwand öffentlich gemacht und politische Themen angesprochen hat, die darüber hinaus heikel und anfällig für Unsachlichkeit waren, hat er ein Risiko für die Hinterlegung rechtswidriger Beiträge geschaffen. Diese Gefahr übersteigt das gesellschaftlich Erlaubte allerdings nur dann, wenn der Betroffene Kenntnis vom Inhalt der problematischen Inhalte hatte, die seiner Pinnwand hinzugefügt wurden. Bis zur Eröffnung des Strafverfahrens wusste der Kontoinhaber indessen nicht, dass dort rechtswidrige Inhalte Dritter zu finden waren.»
Das Urteil beurteilt sehr formell, dass grundsätzlich Kontoinhaber*innen von Facebook-Accounts keine Pflicht hätten, die Kommentare auf ihre Seite zu überwachen, wobei es auch keinen Unterschied zwischen Privatpersonen und Politiker*innen gebe. Für Perrin, was würde man anders erwarten, «ein Sieg für die Meinungsfreiheit». Nur: Hass und Hetze sind keine Meinung. Nicht jeden rassistischen, sexistischen oder sonstwie diskriminierenden Dünnschiss, den manche Menschen als ihre Meinung verkaufen wollen, sind schützenswertes Gedankengut. Wo Grundrechte verletzt werden und Personen zur Diskriminierung und Gewalt gegen Menschen aufgrund ihrer Religion, Herkunft, Hautfarbe oder sexuellen Orientierung aufrufen, ist die Grenze zur Meinungsfreiheit klar überschritten.
Dass Perrin nichts von den Kommentaren gewusst haben will, kann man in Frage stellen. Mit welchem Ziel werden provokante Aussagen, bewusst an der Grenze der juristischen Beurteilung als Rassismus, in die Öffentlichkeit getragen, wenn nicht um Zustimmung und Verstärkung durch die rechte Anhänger*innenschaft zu ernten?
In der Vergangenheit verfasste Perrin regelmässig Beiträge für den rechtsextremen Blog LesObservateurs.ch. Der Gründer der Seite, Uli Windisch, steht sowohl der SVP als auch faschistischen Bewegungen in der Schweiz nahe, insbesondere der neofaschistischen Schweizer Bewegung Résistance Helvétique.
Auf Facebook verwendet Yvan Perrin wiederholt den Begriff „kulturelle Bereicherung“ in ironischer Weise, wenn er von Verbrechen spricht, die von vermeintlich ausländischen Personen begangen wurden. Dabei handelt es sich um einen klassischen Euphemismus in westlichen neofaschistischen Kreisen, der zur indirekten Stigmatisierung von Migrant*innen und rassifizierten Personen dient. Auch die Verwendung der Rhetorik der „Infektion“ zur Bezeichnung einer als unerwünscht eingestuften Bevölkerungsgruppe (hier Muslim*innen) ist ein Klassiker der faschistischen Sprache. Wie das Gericht nun bewertet hat, aber keine Rassendiskrimierung gemäss dem Schweizer Strafrecht.
https://www.srf.ch/news/schweiz/urteil-bundesgericht-es-gibt-keine-pflicht-sein-social-media-konto-zu-ueberwachen-1
https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/6b_1360_2021_2022_05_13_T_d_11_41_59.pdf
https://www.watson.ch/schweiz/svp/559617038-svp-perrin-vom-vorwurf-der-rassendiskriminierung-erneut-freigesprochen
https://renverse.co/infos-locales/Permeabilite-des-theses-fascistes-chez-Yvan-Perrin-et-Pierre-Hainard-2126

Was war eher gut?

Die #Samos2 sind frei

Mit einem Freispruch und einer Bewährungsstrafe endete in Griechenland der Prozess gegen N. und Hasan. Angesichts der sonst hohen Haftstrafen ist das ein Erfolg. Am Samstag fand auch der erste Prozesstag im Iuventa-Verfahren in Italien unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Unterstützer*innen der Iuventa-Crew vor dem Prozessbeginn in Trapani.

Im Gerichtsverfahren gegen die #Samos2 ging es um Hasan und N.. Hasan wurde wegen Menschenschmuggels angeklagt und mit bis zu 230 Jahren Gefängnis bedroht. Er habe ein Boot gesteuert, das im November 2020 vor Samos Schiffbruch erlitt. An Bord waren auch N. und sein Sohn, der den Schiffbruch nicht überlebte. N. wird angeklagt, weil sein 6-jähriger Sohn auf der Flucht starb – weil er sein Kind durch die Flucht in Gefahr gebracht habe. N. wurde vom Vorwurf der Gefährdung seines Sohnes freigesprochen. Hasan wurde zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und 5 Monaten verurteilt, wobei das Gericht anerkannte, dass er kein „Schmuggler“ ist. Prozessbegleiter*innen werten die Urteile als grossen Erfolg.
Erst Anfang Mai waren Kheiraldin, Abdallah und Mohamad, die #Paros3 von einem griechischen Gericht zu insgesamt 439 Jahren Haft für das Steuern eines Bootes auf ihrer eigenen Flucht verurteilt worden. Systematisch werden Menschen, die auf der eigenen Flucht das Steuern der Boote übernehmen müssen, kriminalisiert. Davon waren in den letzten Jahren allein in Griechenland mehr als 2’000 Migranten (immer Männer) betroffen. Beinahe täglich finden weitere Prozesse gegen geflüchtete Menschen statt. Dabei ist allgemein bekannt: Schmuggler*innen, welche die Überquerungen nach Europa organisieren, steigen nicht selbst in die Fluchtboote und stehen auch nicht vor Gericht.
Am Samstag begann auch der Vorprozess gegen 21 Seenotretter*innen der Iuventa-Crew und weiterer Organisationen in Trapani, Italien. Die Iuventa-Crew hat insgesamt 14’000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet, bevor ihr Schiff von den italienischen Behörden beschlagnahmt wurde. Mit dem Vorwurf der „Beihilfe zur illegalen Einreise“ drohen ihnen Gefängnisstrafen von bis zu 20 Jahren, sowie Geldstrafen von bis zu 15’000€ pro geretteter Person. Der politische Prozess erhält internationale Aufmerksamkeit – schliesslich kann es nicht sein, dass es zu einem Verbrechen gemacht wird, Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Die Staatsanwaltschaft verweigerte jedoch der angereisten Delegation internationaler Prozessbeobachter*innen den Zugang zum Gericht.
Es bleibt klar: Ein Boot zu steuern und Grenzen zu überqueren kann niemals ein Verbrechen sein. Seenotrettung kann niemals ein Verbrechen sein. Das eigentliche Verbrechen ist das Grenzregime, das von der EU und ihren Partner*innen entlang der verschiedenen Migrationsrouten eingerichtet wurde.
https://taz.de/Prozesse-gegen-Fluechtlinge-im-Mittelmeer/!5852596/
https://www.facebook.com/iuventacrew/posts/pfbid06E1Qd3nVHM9LF7oew8zVhnmS8HcaR6VZNnN1f6Rp5J7QXUD8ysb3Dea8Lo6qEi2Rl
https://www.jungewelt.de/artikel/426701.fluchtroute-mittelmeer-das-ist-vor-allem-ein-politischer-prozess.html
https://seebruecke.org/aktuelles/die-samos2-sind-frei-stoppt-die-kriminalisierung-aller-menschen-auf-der-flucht

Wo gabs Widerstand?

Protest in Basel: Alle zusammen gegen die Lügen der SVP!

Am Samstag gab es in Basel Widerstand gegen die SVP-Werbeveranstaltung „SVP bi de Lüt“. Dabei konnte die SVP auf grosse Unterstützung der Polizei zählen, die Gegenproteste zu verhindern versuchte.

 
 

„Die meisten haben sich mittlerweile an die SVP gewöhnt – schliesslich ist sie die wähler*innenstärkste Partei der Schweiz. Wir nicht! Wir wollen nicht tolerieren, dass Magdalena Martullo-Blocher, Thomas Aeschi und Ueli Maurer in unserer Stadt eine Plattform haben, wo sie wieder so tun, als wären sie auf der Seite der kleinen Leute. Kommt also alle, um zu zeigen, dass in Basel «d‘ Lüt» keinen Bock auf die SVP und ihre Lügen haben – kein Fussbreit der SVP!,“ schreibt Basel Nazifrei im Aufruf zum Protest der SVP am Samstag in Basel.
Die SVP war ab ca 09:30 Uhr mit Alphornmusik und Stehtischen auf dem Platz, ebenso auch Robocops, Streifenbullen und Zivis in Hülle und Fülle. Durch weiträumige Personenkontrollen und das Herumtragen der mobilen Videokamera lief «Team Blau» auf repressiven Hochtouren, die Robocops schwitzten in der Vormittagssonne entlang des Bahnhofausgangs nervös vor sich hin.
Kurz nach 10 Uhr formierte sich eine Gruppe auf der gegenüberliegenden Strassenseite zum Gegenprotest. Die Polizei setzte sofort Gummischrot ein, um den Protest in Keim zu ersticken. Die Demonstrant*innen liessen sich jedoch nicht vertreiben, sondern formierten sich spontan zu einem Demozug durch das Gundeli-Quartier.
Im Vorfeld stand der Anlass der SVP in verschiedenster Kritik. Selbst SVP-Grossrätin Tonja Kaufmann äusserte sich im SRF-Interview verständnisvoll zum Gegenprotest: In der SVP gäbe es Exponenten, welche sich nach rechts hin nicht abgrenzten.
Das krasse polizeiliche Aufgebot liess das SVP-Event umdefinieren in: «D`Bulle bi de Lüt».
https://baselnazifrei.info/blog/kommunique-dlut-gege-dsvp
https://www.srf.ch/news/schweiz/konfliktpotential-in-basel-gruppe-basel-nazi-frei-will-svp-anlass-stoeren

Asylsymposium: KKS, SEM, EDA, UNHCR? SFH = QGO ≠ NGO

Heute startet an der Fabrikstrasse in Bern das Asylsymposium der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH). Das Wort erhalten aber nicht Geflüchtete oder Migrant*innen. Die SFH sucht stattdessen einmal mehr die Nähe zur Verwaltung der Asylmaschinerie und positioniert sich so al quasi-governmental Organisation. Stargäste auf der SFH-Bühne sind nämlich Bundesrätin Karin Keller-Sutter (KKS), Christine Schraner Burgener vom Staatssekretariats für Migration (SEM) sowie ranghohe Vertreter*innen vom Eidgenössischen Departement für Äusseres (EDA) oder vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Diskutiert wird über den «Zugang zu Schutz». Doch dieser, so die Kritik vom Migrant Solidarity Network (MSN), wird nicht verbessert durch das Verteidigen eines kolonialen Grenzregimes und Frontex. Und auch nicht durch die Mitverwaltung des entrechtenden, zermürbenden, isolierenden Asylregimes.
Die SFH ist keine Non-Governmental Organization (NGO), sondern eine Quasi-Governmental-Organisation (QGO)
Dass sich die SFH gerne auf die Seite des Staates stellt, zeigte sich beispielhaft während des NoFrontex-Referendums. In der Vernehmlassung sprach sich die SFH für den Frontex-Ausbau aus und sagte Ja zu den 61 Millionen Franken pro Jahr für Menschenrechtsverletzungen durch Frontex. Nachdem das Referendum ohne SFH zustande kam, beschloss die SFH die Stimmfreigabe. Farbe bekennen für Geflüchtete ginge auch anders!
Seit dem Angriff auf die Ukraine zeigt die SFH, dass sie weiss, was Solidarität heisst. Mit den ukrainischen Geflüchteten ist die SFH solidarisch. So organisiert sie die private Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine. Und sie fördert und fordert Solidarität aus der Bevölkerung. Warum ist von dieser Solidarität bei der Ankunft der Menschen aus anderen Kriegs- und Krisengebieten der Welt weniger zu spüren?

Die SFH spricht über Zugang zu Schutz. Wir fordern Zugang und Schutz für alle, statt wenige.

  • Keine selektive Solidarität und keine Ungleichbehandlung zwischen ukrainischen und anderen Geflüchteten.
  • Gleiche Rechte und Freiheiten für Menschen mit Ausweis S und vorläufig aufgenommenen Personen mit Ausweis F.
  • Sichere Flucht- und Migrationsrouten und Bewegungsfreiheit für alle.
  • Sprecht respektvoll von geflüchteten Menschen statt viktimisierend verniedlichend von «Flüchtlingen».

 

 
Hausbesuch bei Securitas-Chefs

In der Nacht auf Freitag erhielten der Securitas-CEO Daniel Liechti und Verwaltungsratspräsident Hans Winzenried zu Hause Besuch. Es wurden Botschaften an den Wänden und Autos hinterlassen. Die Aktion macht auf die Verantwortung der Securitas am Tod von Jamilia im Asylcamp Büren aufmerksam.

«Am 24. April 2022 wurde Jamilia in dem Asylcamp Büren an der Aare von ihrem Ehemann getötet. Obwohl Jamilia die Campleitung über die anhaltende Gewalt ihres Mannes informierte, unternahm diese nichts um ihr Leben zu schützen. Die 7 köpfige Familie musste weiterhin in einem kleinen Zimmer ausharren und sich der Gewalt des Mannes aussetzen.
Dieser Feminizid macht uns traurig, aber vor allem wütend. Wütend über das rassistische und patriarchale System, das immer wieder zu Feminiziden führt. Wütend über das Asylregime, das gerade Frauen, Mädchen, Trans und Nonbinäre Personen mehrfach bedroht. Wütend über all die Leben, die durch dieses rassistische und sexistische System zerstört werden.
Mit dieser Wut im Bauch sind wir losgezogen und haben die Luxuskarosse von Securitas-CEO Daniel Liechti Zuhause in Büren versprayt und das Garagetor von Verwaltungsratspräsident Hans Winzenried in Stettlen mit der Botschaft «Securitas tötet» verschönert. Die Securitas und ihre Chefs sind mitverantwortlich und interessiert an diesem System, weil sie darin angebliche Sicherheit versprechen und verkaufen.
Die sogenannten Sicherheitsangestellten, aber auch die meisten Anderen, die in diesen Camps arbeiten, sind nicht nur absolut inkompetent im Umgang mit patriarchaler Gewalt, sondern reproduzieren diese selbst immer und immer wieder – es gibt weder Schulungen, noch sonstige Auseinandersetzungen damit. Frauen, Mädchen, Trans und Nonbinäre Menschen werden in diesen Camps gezwungen auf engstem Raum zu wohnen und sind der Gewalt durch das Asylregime ohne Schutzmassnahmen ausgesetzt. Geschlechtsspezifische Fluchtgründe und Fluchterfahrungen werden nicht genügend anerkannt. […]Die Sicherheitsangestellten in den Camps schützen nicht die Menschen, sondern halten die repressive Ordnung aufrecht. Um sich tatsächlich zu schützen und gegen die Gewalt zu wehren, braucht es selbstorganisierte Strukturen und Netzwerke, die einander entschlossen verteidigen und die Ursachen der Gewalt bekämpfen. Es braucht die Abschaffung der Asylpolitik und die Schliessung dieser Form der Camps. Menschen müssen selbstorgansiert und solidarisch leben können. Sicherheitsfirmen, staatliche Institutionen – Polizei, Sozialarbeit, Migrationsdienst … – müssen angegriffen und überwunden werden.»
(Auszug aus der Stellungnahme der Aktivist*innen)

https://barrikade.info/article/5188

Was schreiben andere?

Dienen UN-Organisationen dem Schutz, oder sind sie Apparate zur Verweigerung von Rechten?

Am Donnerstag, den 14. April, wurden 18 Geflüchtete in der tunesischen Hauptstadt Tunis von Sicherheitskräften verhaftet. Die Verhaftungen erfolgten, nachdem eine Gruppe von 210 Personen ihre Frustration über die Untätigkeit des UNHCR zum Ausdruck gebracht und beschlossen hatte, ihren Protest an den Hauptsitz der Organisation in Tunis zu verlegen.

Protest vor dem UNHCR-Sitz in Tunis

Ein Beitrag von borderlinesicilia.it

Die Entscheidung, den Protest zu verlegen, kam, nachdem die Gruppe bereits mehr als zwei Monate lang vor dem UNHCR-Büro in Zarzis ein Sit-in abgehalten hatte. Damit hatten sie nach der kürzlich beschlossenen und nicht angekündigten Politik der Agentur begonnen: Die Schließung vieler Wohnheime für Geflüchtete und Asylsuchende sowie die Reduzierung der Zahl der Bewohner*innen; das Zwingen vieler von ihnen zum Verlassen der Wohnheime – im Austausch gegen Alternativen, die nicht den Mindestlebensstandards und den Erwartungen von Menschen auf der Flucht entsprechen. All dies geschah aufgrund von „fehlender finanzieller Unterstützung“, wie die Agentur zu Beginn dieses Jahres erklärte.

Während die 18 festgenommenen Personen am 15. April wieder freigelassen wurden, wird vielen Frauen, Männern und Kindern immer noch das Recht auf Freizügigkeit verweigert, indem sie z.B. daran gehindert werden, sich zum Bahnhof von Zarzis zu bewegen. Dieser Vorfall ist ein schlagender Beweis für die Unzulänglichkeit der Agentur, deren einzige Reaktion auf die monatelang unter unwürdigen Bedingungen ausharrenden Migrant*innen darin bestand, ihre Dienste einzustellen und ihnen alle Türen vor der Nase zu verschließen, während sie ihre Forderungen auf unmenschliche und respektlose Weise mit dem Hinweis „wir sind keine Reiseagentur“ beantwortete.

Die UN-Agentur kündigte als Reaktion auf den Protest der Geflüchteten und Asylsuchenden an, ihre Dienstleistungen für den 18. und 19. April 2022 einzustellen. Geflüchtete und Asylsuchende möchten ein begünstigendes Umfeld, in dem ihre Rechte geachtet werden. Unabhängig von der Berechtigung ihrer Forderungen schafft es die Politik der geschlossenen Türen angesichts des Leidens von Männern, Kindern und Frauen, die Zuflucht suchen und für längere Zeit im Freien leben müssen, nicht „das Bewusstsein für das Leid der Geflüchteten zu schärfen, ihre Rechte zu verteidigen und die Bemühungen zu ihrer Unterstützung zu koordinieren.“

Die unterzeichnenden „Akteure“ (1) Sind solidarisch mit den Geflüchteten, die für ihre Rechte und ihre Würde kämpfen und protestieren; (2) machen das UNHCR für die eskalierende Situation verantwortlich, die durch das Fehlen eines Dialogs mit Geflüchteten und Asylsuchenden verursacht und durch die Politik der geschlossenen Türen sowie durch den Rückgriff auf provokative Erklärungen noch verschärft wird; (3) sind der Auffassung, dass die Leistungen der Agentur in Tunesien und insbesondere im Regierungsbezirk Medenin, wie z.B. das Fehlen einer angemessenen Unterstützung für Geflüchtete und Asylsuchende, die schleppende Bearbeitung von Anträgen und andere Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit dem Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung, rechtlicher Unterstützung, Lebensunterhalt sowie finanzieller, psychologischer und sozialer Unterstützung, dazu beigetragen haben, die prekäre Lage von Geflüchteten und Asylsuchenden, insbesondere von Frauen und Kindern, zu verschärfen; (4) verurteilen scharf die Externalisierungspolitik, mit der die EU versucht, Geflüchtete von ihren Grenzen fernzuhalten, und bei der das UNHCR stärker die Interessen der EU als die Rechte der Geflüchtete schützt.
https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/kriminalisierung-von-gefluechteten-die-dunkle-seite-der-eu-und-unhcr-politik-in-tunesien/

Unterdessen in Trapani

Ein Beitrag von Kaspar Surber in der WOZ vom 19.05.22 zum Ergebnis der Frontex-Abstimmung.
Es wird auf lange Zeit eines der mutigsten Referenden bleiben. Mutig, weil es von Menschen lanciert wurde, die nicht über das Stimmrecht verfügen, denen offiziell der Platz des Schweigens zugewiesen ist. Und mutig, weil die klare Niederlage absehbar war: Mit mehr als siebzig Prozent haben die Stimmenden den Ausbau der Schweizer Beteiligung an der europäischen Grenzschutzagentur Frontex angenommen.
Trotz dieser Niederlage wird das Referendum nachhallen. Es hat die tödliche Katastrophe an den europäischen Aussengrenzen und die Mitverantwortung der Schweiz zum Thema gemacht. Und es hat die Asylbewegung, die aus vielen lokalen Gruppen besteht, zusammengeschweisst. Sie war über die Jahrzehnte noch immer dann am stärksten, wenn sie gleichermassen praktischen wie politischen Widerstand gegen die Zumutungen der Asylpolitik geleistet hat.
Schliesslich zeichnete die Frontex-Abstimmung eine Besonderheit aus, die bisher unkommentiert blieb. Die Schweiz ist damit definitiv in der EU angekommen. Sie könnte ihr auch gleich ganz beitreten. Die Institution, über die gestritten wurde, hat ihren Sitz nicht in Basel oder Genf, sondern in Warschau. Mit dem Mantra vom drohenden Schengen-Rauswurf wiederholten die Befürworter:innen zwar noch die eingeübte Darstellung, wonach es um die Nähe und die Distanz der Schweiz zur EU gehe. Tatsächlich aber stellt sich längst die Frage, von welchem Europa wir Teil sein wollen: einem der Solidarität oder einem der Privilegien.
Hier die Geflüchteten, die das Grenzregime am eigenen Leib spürten, unterstützt von Aktivist:innen aus ganz Europa, dort die Wohlstandskinder der Operation Libero, die alle Reisefreiheit der Welt geniessen, gut eingebettet in die Phalanx der bürgerlichen Parteien: Letztlich ging es um eine Klassenfrage.
Ganz im Gestus der Privilegierten sprachen die Befürworter:innen oft von der Verantwortung, die sie durchaus übernehmen wollten. Das können sie nun beweisen: Verantwortung braucht es für die Geflüchteten aus der Ukraine wie aus dem Globalen Süden. Aber auch für alle, die schon da sind. Der unwürdige Status F der vorläufigen Aufnahme, der nicht viel grosszügigere Status S für Kriegsflüchtlinge – sie müssen reformiert werden. Die Schweiz benötigt eine Kategorie des humanitären Schutzes, der Aufgenommene nicht über Jahre prekarisiert. Die Idee einer City Card, erfreulicherweise in Zürich angenommen, schafft die Gelegenheit, mehr für Sans-Papiers zu tun.
Die Auseinandersetzung um das europäische Grenzregime geht derweil diese Woche vor Gericht weiter. Im sizilianischen Trapani sind 21 Seenotretter:innen angeklagt, denen bis zu zwanzig Jahre Haft drohen. Sie haben Zehntausende Geflüchtete im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Die Staatsanwaltschaft behauptet, dass sie in «krimineller Absicht Ausländer zum Zweck der unerlaubten Einreise» transportiert hätten.
Einer der Angeklagten ist der deutsche Rettungssanitäter Sascha Girke. Am Telefon aus Sizilien spricht er von einem politisch motivierten Prozess. «Unsere Fluchthilfe wird kriminalisiert, weil der Staat damit vom absichtlichen Versagen bei der Seenotrettung ablenken kann.» Seitdem das Schiff Iuventa, auf dem Girke im Einsatz gewesen war, beschlagnahmt wurde, haben mehr als 10 000 Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute ihr Leben verloren.
Die Angeklagten betonen, sie seien nur die prominentesten Beispiele für die Kriminalisierung. In den Gefängnissen von Italien und Griechenland würden Tausende von Geflüchteten sitzen, die in Europa Schutz gesucht hätten und denen nun Schlepperei vorgeworfen würde. Girke sieht der Vorverhandlung vom Samstag, an der es um formale Fragen geht, mit gemischten Gefühlen entgegen: «Einerseits raubt uns der Prozess viel Lebenszeit. Andererseits spüren wir eine starke Solidarität aus ganz Europa.» Dann fügt er noch an: «Richtigerweise würden nicht wir auf der Anklagebank sitzen, sondern die Verantwortlichen der rassistischen europäischen Grenzabwehr wie der abgetretene Frontex-Direktor Fabrice Leggeri.»
Es klingt wie ein letzter Kommentar zur Frontex-Abstimmung.
https://www.woz.ch/2220/frontex/unterdessen-in-trapani

Was steht an?

Antifa Rally
13.-29. Mai 2022
Mit Veranstaltungen in Bern, Zürich, Basel, Solothurn und Luzern.
https://buendnisgegenrechtsabbiegen.ch

Flyer Antifa-Rally


Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Der schwarze Aufstand
Triggerwarnung: Explizite Darstellung von Gewalt und Tod.

Am 25. Mai 2020 kauft George Floyd eine Schachtel Zigaretten. Kurz darauf wird er von der Polizei festgenommen, weil man ihn verdächtigt, mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt zu haben. Was dann geschah, weiß die ganze Welt. Der Dokumentarfilm fragt nach der Bedeutung der Bewegung „Black Lives Matter“ und lässt ihre wichtigsten Protagonisten zu Wort kommen.
https://www.arte.tv/de/videos/100287-000-A/der-schwarze-aufstand/

Rechter Terror: «Wir müssen wehrhafter werden»
Rassistisch motivierte Morde in den USA, ein verhinderter Anschlag in Deutschland – beides in nur einer Woche. Im Gespräch mit der WOZ spricht die Expertin Karolin Schwarz über Hintergründe des erstarkenden Rechtsterrorismus.
https://www.woz.ch/2220/rechter-terror/wir-muessen-wehrhafter-werden

Strafvollzug: «Struktureller Rassismus ist kein Geist im Getriebe»
Eine Uno-Expert:innengruppe wertet den Fall Brian als rassistisch, der Bundesrat muss bis Ende Mai auf eine entsprechende Intervention reagieren. Die Wahrheit liege nicht weit unter der Oberfläche, sagt die Vorsitzende Dominique Day.
https://www.woz.ch/2220/strafvollzug/struktureller-rassismus-ist-kein-geist-im-getriebe

Ukraine-Geflüchtete in Tschechien: Die Flucht der anderen
In Tschechien ist die Solidarität groß für geflüchtete Ukrai¬ne¬r*in¬nen. Es sei denn, sie sind Roma. Eindrücke vom Prager Hauptbahnhof.
https://taz.de/Ukraine-Gefluechtete-in-Tschechien/!5852177/

In pictures: Inside Malta’s crowded migrant detention centers
A Moroccan asylum seeker locked in one of Malta’s migration detention centers during the COVID-19 pandemic wrote a poem about his troubles on the back of a Western Union credit transfer form.
https://www.politico.eu/article/pictures-inside-malta-crowded-migrant-detention-center/?fbclid=IwAR2V53KCMhQ-942Z2ZhedNWEOoTRIPQUKSAVQhW_H18JH0hhjIV2SMctfl8

 

Digitale Unterdrückung: Diktaturen verfolgen Aktivisten auf der ganzen Welt
Die politische Verfolgung von Dissidenten und politischen Aktivist:innen macht nicht an Staatsgrenzen halt. Eine Studie des Citizen Lab untersucht die Folgen für Betroffene von digitaler transnationaler Unterdrückung.
https://netzpolitik.org/2022/digitale-unterdrueckung-diktaturen-verfolgen-aktivisten-auf-der-ganzen-welt/