Medienspiegel 14. Mai 2022

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+++BERN
derbund.ch 14.05.2022

Umstrittenes Integrationsprojekt: Stadtberner Alternativ-ID kommt nicht vom Fleck

Die Stadt Zürich stimmt über einen Ausweis für Sans-Papiers ab. Bern verfolgt ein ähnliches Projekt – wieso geht es hier nicht vorwärts?

Andres Marti

Am Sonntag entscheidet die Stadt Zürich, ob auch Personen ohne gültige Aufenthaltsbewilligung eine alternative Identitätskarte erhalten sollten. Die Idee dahinter: Mit der Züri-City-Card würde die Stadt einen offiziellen Ausweis für alle Städterinnen und Städter einführen – und zwar unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.

Gegenüber städtischen Behörden wie der Stadtpolizei wäre die Züri-City-Card als Ausweis gültig. Auf ihr sollen auch alle städtischen Karten wie Badi-Abos oder Bibliotheksausweise gebündelt werden. Möglichst viele Zürcherinnen und Zürcher sollen die City-Card benutzen. So würden Menschen, die sie vorzeigen, nicht als Sans-Papiers auffallen.

Auch die Stadt Bern ist «bestrebt», eine City-Card einzuführen, «um damit die Teilhabe aller Bewohnerinnen und Bewohner Berns unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zu fördern». So steht es im Schwerpunktplan Integration der Stadt Bern vom Dezember 2017.

Jahrelange Abklärungen

In den vergangenen vier Jahren ist das Berner Integrationsprojekt jedoch kaum vorangekommen: «Die konkrete Form und die technische Umsetzung der City-Card sind noch nicht abschliessend definiert», sagt Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) auf Anfrage. Ein Termin für die Einführung der Berner City-Card steht nicht fest.

Laut Teuscher ist die Einführung einer City-Card komplex und bedarf sorgfältiger juristischer und technischer Abklärungen. «Die City-Card ist mir ein wichtiges sozialpolitisches Anliegen. Ich will eine Lösung, die technisch funktioniert und rechtlich sauber abgeklärt ist», sagt Teuscher. Es sei wichtig und auch wirtschaftlich, sich dafür die nötige Zeit zu nehmen.

Mit den rechtlichen Abklärungen wolle man «den Handlungsspielraum für die Gemeinde Stadt Bern ausloten», sagt Teuscher. «Der Aufenthaltsstatus einer Person ändert sich mit der City-Card nicht, hingegen soll der Zugang zu Rechten, Dienstleistungen und Angeboten für alle Menschen, inklusive Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus, verbessert werden.»

Umstrittener Alternativausweis

In Zürich ist die Einführung der City-Card umstritten. Die Linken sind dafür, die Rechten dagegen, die GLP gespalten. Die Gegnerinnen und Gegner der City-Card warnen vor einer «Scheinlegalität» und einem «Parallelrecht», mit dem linke Städte versuchen würden, nationales Asylrecht auszuhebeln.

Auch in Bern ist die City Card umstritten. FDP-Stadtrat Tom Berger anerkennt zwar, dass auch Sans-Papiers «unentziehbare» Rechte haben, zweifelt aber vor allem an der praktischen Umsetzung einer solchen Karte. «Ich bin nicht sicher, ob diese Karte den erhofften Effekt bringen wird. Zudem ist es nicht sinnvoll, wenn nun unterschiedliche Städte separat an einer eigenen Lösung arbeiten und damit versuchen, übergeordnetes Recht auszuhebeln.» Wer die Situation von Sans Papiers nachhaltig verbessern wolle, müsse dieses übergeordnete Recht anpassen, so Berger.

Tatsächlich berufen sich die Befürworterinnen der City-Card – so auch Teuscher – auf das Konzept «Urban Citizenship» (städtische Staatsbürgerschaft). Dahinter steht die Idee, dass Städte ein inklusiver Ort für alle sein sollen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Bewohnenden.

Solidarische Stadt Bern

Einen Schub erhielt die Idee während und nach der Flüchtlingskrise 2015, als sich verschiedene Städte explizit gegen das strikte Asylregime ihrer Länder aussprachen und eine zusätzliche Aufnahme von Geflüchteten, beispielsweise aus Lagern wie Moria in Griechenland, forderten.

Unter dem Slogan «Solidarity City» schlossen sich in Europa verschiedene Städte zusammen, darunter Berlin, Athen, Florenz oder Stockholm. In der Schweiz zählen sich neben Bern St. Gallen, Luzern und Zürich zu den «solidarischen Städten».

Die Einführung einer City-Card würde den schönen Worten der Städte Taten folgen lassen. Doch nach wie vor ist unklar, was diese etwa in Bern den Papierlosen oder Menschen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus genau bringen würde.

Denkbar sind für Susanne Rebsamen, Leiterin der Fachstelle für Migrations- und Rassismusfragen, etwa ein erleichterter Zugang zu städtischen Dienstleistungen wie «Beratungsangeboten, familienergänzender Kinderbetreuung oder Zugang zu Eis- und Wasseranlagen zu reduzierten Tarifen». Es sei aber auch klar, dass der städtische Wohnausweis «nie das Level einer E-ID erreichen wird».

Im November sagte Teuscher an einer Veranstaltung zur City-Card: «Es gibt kaum eine politische Idee, die ich spannender finde.» Wieso kommt das Projekt aber dann kaum vom Fleck? Darüber könnte eine Studie Auskunft geben, welche der Gemeinderat zum Thema in Auftrag gegeben hat und die seit Oktober 2020 vorliegt. Doch der Gemeinderat hält sie unter Verschluss. Es handle sich dabei um ein «internes Arbeitspapier», dessen Publikation die Entscheidfindung des Gemeinderates beeinträchtigen würde, so die Begründung.

Kein Schutz vor Polizei

Was auch immer in der Studie steht: Von der ursprünglichen Idee, Papierlose mit einem Alternativausweis vor Polizeikontrollen zu schützen, hat man sich in Bern inzwischen verabschiedet. Denn im Gegensatz zu Zürich gibt es in Bern seit 2008 keine Stadtpolizei mehr. Dass die Kantonspolizei in der Stadt Bern anders kontrollieren wird als im Rest des Kantons, scheint fraglich.

Zudem hat ihr oberster Chef, der kantonale Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP), auf Twitter bereits mehrmals und sehr dezidiert gegen die City-Card Stellung bezogen («Schnapsidee»). Dass seine Polizistinnen und Polizisten eine Berner City-Card als Ausweis wohl kaum akzeptieren werden, scheint in Bern allen klar.

Dennoch will die Stadt an der City-Card festhalten, nimmt das Projekt auch in den neuen «Schwerpunkteplan Migration und Rassismus» auf. Statt Schutz vor Polizeikontrollen und Ausschaffungen soll die Berner City-Card nun vor allem eine «empowernde» Wirkung haben, so Susanne Rebsamen. «Viele Leute ohne Schweizer Pass getrauen sich oft nicht, gewisse Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen.» Davon seien nicht nur Papierlose betroffen, sondern auch Menschen mit einem prekären Aufenthaltsstatus, die sich beispielsweise nicht trauten, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen.
(https://www.derbund.ch/stadtberner-alternativ-id-kommt-nicht-vom-fleck-161469759390)


+++APPENZELL
«Café Ukraine» in Heiden AR – «Man fühlt sich oft fremd»
Ein Ort, wo sich Geflüchtete aus der Ukraine treffen, Antworten auf ihre Fragen erhalten und Hilf bekommen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/cafe-ukraine-in-heiden-ar-man-fuehlt-sich-oft-fremd


+++ZÜRICH
Andrang auf Gratis-Essen in Zürich: Ukrainische Flüchtlinge reisen für eine Tasche Lebensmittel von weither an
Die Nachfrage nach Gratis-Lebensmitteln in der Manegg ist seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs stark angestiegen. Der zuständige Verein ist besorgt.
https://www.tagesanzeiger.ch/ukrainische-fluechtlinge-reisen-fuer-eine-tasche-lebensmittel-von-weither-an-825194144693


+++SCHWEIZ
Ukraine Krieg: Flüchtlinge wollen lieber in der Stadt wohnen
Flüchtlinge aus dem Ukraine-Krieg wollen in der Schweiz lieber in den grossen Städten als in der Agglomeration wohnen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-fluchtlinge-wollen-lieber-in-der-stadt-wohnen-66171450


+++PORTUGAL
Die Nähe der portugiesischen Linksparteien zu Russland – Echo der Zeit
In Portugal soll eine Putin-freundliche russische Organisation ukrainische Kriegsflüchtlinge bespitzelt haben. Die Organisation habe ihre Pässe abfotografiert und sie über ihre Familien zuhause in der Ukraine ausgefragt, sagen betroffene Flüchtlinge. Der Fall wirft Fragen über den Umgang mit Flüchtlingsdaten auf und über die portugiesische Politik.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/die-naehe-der-portugiesischen-linksparteien-zu-russland?partId=12190953


+++EUROPA
Zum Rücktritt des Frontex-Exekutivdirektors Fabrice Leggeri
Nun ist er endlich weg. Der Rücktritt des Exekutivdirektors der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, war schon lange überfällig und dennoch eine Überraschung. Denn seit dem Bekanntwerden der ersten Vorwürfe gegen die Agentur im Herbst 2020 klebte Leggeri an seinem Posten, zeigte weder Problem- noch Unrechtsbewusstsein und konnte sich scheinbar darauf verlassen, dass weder die EU-Mitgliedstaaten noch die Europäische Kommission Interesse daran hatten, die Agentur durch den Sturz ihres Exekutivdirektors zu schwächen. Denn die Agentur befindet sich aktuell in einer entscheidenden Phase ihrer Transformation zur ersten uniformierten europäischen Polizeieinheit.
https://bordermonitoring.eu/analyse/2022/05/zum-ruecktritt-des-frontex-exekutivdirektors-fabrice-leggeri/


+++TUNESIEN
Kriminalisierung von Geflüchteten: die dunkle Seite der EU- und UNHCR-Politik in Tunesien
Dienen UN-Organisationen dem Schutz, oder sind sie Apparate zur Verweigerung von Rechten?
https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/kriminalisierung-von-gefluechteten-die-dunkle-seite-der-eu-und-unhcr-politik-in-tunesien/


Auf dem Weg nach Europa: 81 Migranten vor tunesischer Küste aus Seenot gerettet
80 Männer und eine Frau waren mit einem seeuntauglichen Boot von Libyen aus Richtung Europa aufgebrochen. Nach der Rettung sollen die jungen Flüchtlinge der tunesische Nationalgarde übergeben werden.
https://www.spiegel.de/ausland/seenotrettung-81-migranten-aus-boot-vor-tunesischer-kueste-gerettet-a-c850bc00-8e34-42a1-99a5-573ffc421417


+++GASSENARBEIT
bzbasel.ch 14.05.2022

Gassenarbeit – «Schwarzer Peter» eröffnet Kulturlokal: «Es ist ein soziales Experiment»

Der Streetwork-Verein Schwarzer Peter betreibt neu ein Kulturlokal auf dem Zwischennutzungsareal «Lysa Büchels Garten». Am Samstag feiert der Verein die Eröffnung.

Maria-Elisa Schrade

Es wird noch fleissig gesägt und geschraubt am Donnerstagvormittag, zwei Tage vor der Eröffnungsfeier des neuen Kulturlokals des Vereins für Gassenarbeit Schwarzer Peter. Ein alter Schiffscontainer schwebt abenteuerlich in der Luft, balanciert auf den Rändern eines weiteren, exzentrisch bemalten Containers und eines Holzbaus mit Dachterrasse und Türmchen. Künftig werden diese Räume ein Büro, einen Aufenthaltsraum, ein Kunstatelier und eine Werkstatt beherbergen. Ausserdem ist ein Urban-Gardening-Projekt geplant – erste Wildblumen spriessen bereits in grossen, runden Betonkübeln vor den Containern.

Ziel ist, zusammen mit Menschen am Rande der Gesellschaft Begegnungsräume zu schaffen, die ihnen eine niederschwellige Rückkehr in ein geregeltes Leben ermöglichen. Die Vision für das nun entstandene Kulturlokal stammt von der Projektleiterin Stefanie Twerdy, die seit vielen Jahren in der aufsuchenden Sozialarbeit und Suchthilfe tätig ist und sich intensiv damit auseinandergesetzt hat, was Menschen benötigen, um den Schritt aus der Gasse zurück in die Mitte der Gesellschaft zu bewältigen.

Verein kann oft nur Schadenbegrenzung betreiben

«Am schwierigsten ist es, wieder ein soziales Umfeld und eine sinnvolle Beschäftigung zu finden», berichtet die Sozialarbeiterin über Betroffene und erklärt:  «Es fehlen Orte, an denen sich unsere Besucherinnen und Besucher sicher aufhalten und mit anderen Menschen in Kontakt treten können.»

Die Projektleiterin streicht sich die kurzen, blond gefärbten Ponyfransen aus der Stirn. Dicke, blonde Dreadlocks schmücken ihren Kopf. Sie berichtet: «Wir können oft nur Schadenbegrenzung betreiben, indem wir ein Obdach bieten und Bedingungen für einen sicheren Drogenkonsum gewährleisten.»

Das Kulturlokal des Schwarzen Peters will das anders machen: Die Klientinnen und Klienten sollen die Räume nicht nur gemeinsam mit Ehrenamtlichen und anderen Interessierten nutzen, sie haben auch entschieden, was entstehen soll und auf der Baustelle fleissig mitgearbeitet. Twerdy erzählt: «Einer unserer Besucher ist ein versierter Zimmermann. Das Bauteam konnte einiges von ihm lernen.» Ein anderer Klient liebe es, zu gärtnern, eine der Frauen habe sich als talentierte Künstlerin entpuppt. «Es ist wichtig, einander auch in anderen Rollen zu begegnen.»

Bis 2024 auf dem Areal

Heute, Samstag ab 14 Uhr eine Eröffnungsfeier statt, an der die Gäste dazu eingeladen sind, im Rahmen eines Streetart-Workshops die Fassade zu bemalen. Zudem stellen Besuchende des Schwarzen Peters ihre Kunstwerke aus und berichten über ihr Schaffen. Einer der Künstler sitzt gerade in Haft und hat seine Erfahrungen in diversen Kunstwerken verarbeitet: Briefe, Anekdoten, Notizen, Skizzen, kleine Gemälde. Aluschälchen, die als Farbtöpfchen gedient haben, ein paar Turnschuhe – Indizien, die helfen sollen, einen Fall aufzulösen.

Anlässlich der Architekturwoche führt ausserdem das Bauteam über das Gelände und erklärt die modulare Bauweise, die es dem Team ermöglichen wird, am Ende der Zwischennutzung 2024 alles schnell wieder abzubauen und mit dem Kulturlokal umzuziehen. Fast das gesamte Baumaterial ist recycelt, unzählige Ehrenamtliche haben mit angepackt. Wie in den meisten sozialen Projekten ist das Geld knapp, da helfe es, gut vernetzt zu sein, so Twerdy.

Ab Montag ist das Kulturlokal immer montags, mittwochs und freitags von 16 bis 22 Uhr geöffnet. Das Angebot ist kostenfrei und für alle zugänglich. Wie die Räume dann tatsächlich genutzt werden, muss noch gemeinsam ausgehandelt werden. «Es ist ein soziales Experiment», sagt Twerdy und lacht.
(https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/gassenarbeit-schwarzer-peter-eroeffnet-kulturlokal-es-ist-ein-soziales-experiment-ld.2289388)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Communiqué Grenzen töten Demo
Heute waren in Bern zwischen 200 und 250 Menschen gegen Grenzen auf der Strasse. Am Anfang der Demo versuchte die Polizei uns irgendwelche Vorgaben zu machen. In der Vergangenheit, heute und auch zukünftig sind wir nicht bereit mit der Staatsgewalt in einen Austausch zu treten. So nahmen wir uns selbstbestimmt die Berner Innenstadt. Krieg, Rassismus, Nationalismus oder Zerstörung – in der aktuellen globalen Krise zeigt sich, worauf dieses System baut. Die Herrschenden versuchen ihre Macht und das staatliche Gebilde mit aller Konsequenz zu retten und verursachen somit unfassbares Leid. Darum wollen wir dieses System überwinden und stehen für eine herrschaftsfreie Welt ein.
https://anarchistisch.ch/communique-grenzen-toeten-demo/
-> https://twitter.com/ag_bern
-> Demoaufruf: https://barrikade.info/article/5141


Erlahmte Demos, ausgebrannte Aktivisten – Schweizer Klimastreik in der Krise: «Wir können nicht mehr!»
Die Demos lahmen, die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ist gescheitert, die Aktivistinnen und Aktivisten sind ausgebrannt. Wie geht es weiter?
https://www.blick.ch/schweiz/lahme-demos-ausgebrannte-aktivisten-schweizer-klimastreik-in-der-krise-wir-koennen-nicht-mehr-id17488625.html


+++POLIZEI CH
Die Polizeischule Hitzkirch öffnet ihre Türen für Interessierte
Am Besuchstag bei der interkantonalen Polizeischule in Hitzkirch hat man heute einen Blick hinter das sogenannte Polizei-Absperrband werfen können. Interessierte erfahren, was alles zu der Ausbildung von Aargauer und Solothurner Polizisten dazugehört.
https://www.telem1.ch/aktuell/die-polizeischule-hitzkirch-oeffnet-ihre-tueren-fuer-interessierte-146505585


+++REPRESSION DE
Die Räumung eines Protestcamps vor dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg war rechtswidrig
Putsch auf Entenwerder
Das Verwaltungsgericht Hamburg stellte vergangene Woche in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil die Rechtswidrigkeit der Räumung des »Antikapitalistischen Camps« während des G20-Gipfels 2017 fest.
https://jungle.world/artikel/2022/19/putsch-auf-entenwerder


+++KNAST
bzbasel.ch 14.05.2022

Massnahmenzentrum: Opfer einer verzerrten öffentlichen Wahrnehmung? Der Arxhof sorgte immer wieder für Streit und Skandale

1971 wurde der Arxhof bei Niederdorf bezogen, 1989 musste er zeitweise geschlossen werden, seit 2019 verfügt er über eine geschlossene Eintrittsabteilung. Das sind nur drei Marksteine in seiner 50-jährigen Geschichte.

Bojan Stula

Die turbulente Geschichte der einstigen Arbeitserziehungsanstalt schrieb der Arxhof, bevor er überhaupt gebaut war. Am 30. Mai 1960 versammelten sich ob Niederdorf die hochwohllöblichen Regierungen von elf Deutschschweizer Kantonen, um an der Gründungsversammlung das – noch heute gültige – «Konkordat über den Vollzug von Strafen und Massnahmen nach dem Schweizerischen Strafgesetzbuch» aus der Taufe zu heben. Zu dessen erstem Präsidenten wurde der basel-städtische Justizdirektor Carl Peter gewählt.

Natürlich war der Versammlungsort in der Oberbaselbieter Peripherie nicht zufällig ausgewählt worden. Wenige Monate zuvor hatte der Landrat einen Kredit über 1,85 Millionen Franken für den Landkauf auf dem Arxhof «einschliesslich Gebäulichkeiten und landwirtschaftlichen Inventars» beschlossen, zum Zwecke der Errichtung einer «Arbeitserziehungsanstalt». Diese Anstalt war die Mitgift des Landkantons, die in die Wiege des neugeborenen Konkordats gelegt wurde.

Der Streit ist lanciert: Gegner ergreifen das Referendum

Allerdings dauerte es noch ein weiteres Jahrzehnt, bis auf dem Arxhof Eröffnung gefeiert werden konnte. Die Baukosten von rund 10 Millionen Franken, von denen der Bund die Hälfte übernahm, flossen in einen Gebäudekomplex, der ursprünglich für die Aufnahme von 89 straffälligen Jugendlichen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren ausgelegt war, ziemlich rasch aber auf 46 Plätze redimensioniert wurde. Rund um den bestehenden Landwirtschaftsbetrieb entstanden auf 68 Hektaren Verwaltungsgebäude, Unterkünfte, Werkstätten und Freizeiträume.

Über Sinn und Zweck der neuen Anstalt schrieb im fernen Zürich die NZZ: «Hier wird der Straffällige im Sinne einer Arbeitstherapie zu jener speziellen Arbeit erzogen, die seinen Fähigkeiten entspricht und ihn in den Stand setzt, in der Freiheit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.»

Neben der körperlichen Arbeit solle «die Erziehung auch auf das geistige Gebiet ausgeweitet» werden. Zusammen mit der offenen Unterbringung und der Möglichkeit, eine dreijährige Berufslehre zu absolvieren, stellte dieses im Prinzip ein ungemein modernes Rehabilitationsprogramm dar, welches heute, ein halbes Jahrhundert später, weltweit noch weitgehend unerfüllt bleibt.

Revolutionär hin oder her, die Baselbieter Bevölkerung selbst stand dem Projekt von allem Anfang an skeptisch gegenüber. Gegen den Baukredit über 9,8 Millionen Franken ergriff 1966 ein Komitee das Referendum, das von 1765 Unterzeichnern gestützt wurde. Der Abstimmungskampf wurde «recht leidenschaftlich geführt», wie die Medien berichteten, auch wegen der angeblichen Übergrösse der Anstalt.

Der Entscheid selbst lockte dann aber nicht allzu viele Baselbieter hinter dem Ofen hervor. Bei einer laut «Basellandschaftlicher Zeitung» «sehr schwachen» Stimmbeteiligung von 22,39 Prozent sagten 6895 Stimmberechtigte Ja zum Kredit, 3636 lehnten diesen ab. Der Baubeginn erfolgte im September 1968, der Erstbezug im August 1971. Dann ging es erst richtig los.

Die erste Gruppenflucht schon nach wenigen Tagen

Bereits am 11. August 1971 vermeldet eine knappe Zeitungsnotiz, wie in Hamburg vier aus dem Arxhof entwichene Jugendstraftäter von der deutschen Polizei wieder eingefangen werden müssen, nachdem sie per Autostopp 800 Kilometer weit gekommen sind. Keine zehn Monate später wird ein erstes Mal die Geschäftsprüfungskommission des Landrats auf den Arxof angesetzt, um «den unbestreitbar vorhandenen Mängeln» in Struktur und Organisation auf den Grund zu gehen.

Im zwei Jahre später erschienen Untersuchungsbericht mahnt das Parlament streng, die Anstalt sei voreilig ohne ausreichende Regelungen in Betrieb genommen worden. Dieser müsse künftig «unter allen Umständen den gesetzlichen Vorschriften entsprechen». Man munkelt von weitverbreiteten Drogen- und Alkoholproblemen. Es wird nicht das einzige Mal bleiben, dass sich das Parlament mit dem Arxhof beschäftigen muss.

1989 folgt nach heftigem Streit das abrupte Ende von «Arxhof I». Neben der Politik verlieren auch die zuweisenden Kantone zunehmend das Vertrauen in die Arbeitserziehungsanstalt, ab 1985 bleiben schlicht die für den Erhalt nötigen Belegungszahlen aus. Für die Öffentlichkeit und die umliegende Bevölkerung sind es aber insbesondere die häufigen Fluchten, die für Aufregung sorgen können und für jeden Baselbieter Sicherheitsdirektor oder Sicherheitsdirektorin ein politisches Minenfeld darstellen.

Hohe Identifikation mit dem Betrieb

Was der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln ist: Der offene Vollzug und die relativ einfache mögliche Möglichkeit zum Entweichen sind Teil des Konzepts.

«Mit der Fluchtmöglichkeit so umzugehen, dass man nicht Gebrauch davon macht, gehört zum notwendigen Entwicklungsprozess. Ziel ist es für alle Insassen, der Versuchung zum Entweichen zu widerstehen», erklärt der langjährige Generalsekretär der Baselbieter Sicherheitsdirektion Stephan Mathis.

Mathis kommt beruflich erstmals 1980 in Kontakt mit dem Arxhof und ist schon damals beeindruckt von der Begeisterung und Leidenschaft, mit der sich das Personal der Resozialisierung der in der Regel schwierigen und rasch gewaltbereiten Kundschaft verschreibt: «Es herrscht jeweils eine enorme Identifikation mit dem Arxhof und der dahinter steckenden Philosophie. Wer auf dem Arxhof arbeitet, ist Idealist.»

2019 kommt die geschlossene Eintrittsabteilung

Unter CVP-Justizdirektor Clemens Stöckli erfolgt die Wiederauferstehung als «Arxhof II» 1990. Fortan basiert der Vollzug auf den drei Säulen Ausbildung, Sozialpädagogik und psychiatrische Therapie. Mit Direktor Renato Rossi erlebt der Arxhof von 1999 bis 2013 eine meist ruhige, also erfolgreiche Periode. Danach wird es wieder turbulent.

Für Stephan Mathis ist es die starke Entwicklung der Gesellschaft hin zu einer «Null-Risiko-Toleranz», welche dem Prinzip des offenen Vollzugs Grenzen setzt. Intern gibt es zwar heftigen Widerstand, und zur Premiere eine spektakuläre Gruppenflucht, doch zeigt sich die Eröffnung einer geschlossenen Eintrittsabteilung 2019 als unumgänglich.

Der heutige Direktor Francesco Castelli vermeldet Belegungszahlen von weit über 90 Prozent, was auf ein intaktes Verhältnis mit den Zuweisungsbehörden der Konkordatskantone schliessen lässt.

Vor Misstrauen, Vorbehalten und verzerrter Aussenwahrnehmung dürfte der Arxhof aber auch künftig nicht gefeit sein. «Richtig erfasst man die gesellschaftliche Bedeutung dieser Institution nur, wenn man selber längere Zeit dort oben verbracht hat; sei es als Mitarbeitender oder als Bewohner», sagt Stephan Mathis.
(https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/massnahmenzentrum-opfer-einer-verzerrten-oeffentlichen-wahrnehmung-der-arxhof-sorgte-immer-wieder-fuer-streit-und-skandale-ld.2289928)


+++BIG BROTHER
Statement zum EU-Verschlüsselungsverbot/Chatdurchleuchtungspflicht
Kritik an der von der Eu geplanten “Chatkontrolle”. Gegen die präventive Überwachung aller!
Die EU-Kommission fordert in einem neuen Gesetzesentwurf eine sogenannte “Chatkontrolle” und will damit sehr bald schaffen. Damit sollen zukünftig Dateien wie Bilder und Nachrichten direkt auf unseren Kommunikationsgeräten wie Smartphones, Laptops und PCs in Echtzeit “KI-basiert” gescannt werden. Als problematisch erkannte Inhalte bzw. “Verdachtsfälle” sollen dann an Stellen wie Behörden und bestimmte private Akteure (NGOs) weitergeleitet werden.
https://barrikade.info/article/5180


Rasterfahndundung: US-Einwanderungsbehörde errichtet beispielloses Überwachungssystem
Für 2,7 Milliarden Euro hat die US-Einwanderungs- und Zollbehörde ICE in den vergangenen Jahren Informationen und Spionagetechnik gekauft. Aus Daten von privaten Versorgungsunternehmen und Behörden entstand eine anlasslose Massenüberwachung, die einen Großteil der US-Einwohner:innen betrifft.
https://netzpolitik.org/2022/rasterfahndung-us-einwanderungsbehoerde-errichtet-beispielloses-ueberwachungssystem/


+++RECHTSEXTREMISMUS
Jung, hip – und rechtsextrem: Nemesis-Feministinnen stammen aus der Neonazi-Szene
Das Frauenkollektiv Nemesis aus der Romandie prangert sexuelle Gewalt von Migranten an. Hinter der Gruppe stehen Aktivistinnen aus dem rechtsextremen Milieu.
https://www.blick.ch/ausland/jung-hip-und-rechtsextrem-nemesis-feministinnen-stammen-aus-der-neonazi-szene-id17488986.html


Putins Motorradgang in der Schweiz: Wie gefährlich sind die «Nachtwölfe»?
Ein russischer Töffclub verbreitet brutale Propaganda – mit offizieller Unterstützung der Botschaft Russlands in Bern.
https://www.watson.ch/!735266636


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
„1/ Der Dokumentarfilm “Pandamned” geht in Corona-querdenkerischen Kreisen gerade durch die Decke. Ich hab ihn mir angeschaut.
Kann es sein, dass der Film neue Fakten auf den Tisch legt und gute Argumente liefert? Schön wär’s. Ein paar Highlights im Thread“
https://twitter.com/marko_kovic/status/1525570525262651392



tagblatt.ch 14.05.2022

«Klinik gilt als Hotspot satanistischer Verschwörungstheorien»: Warum der Präsident von Pro Mente Sana Littenheid im Moment nicht für Therapien empfiehlt

Die Fachwelt sei sensibler gegenüber satanischen Verschwörungstheorien unter Therapeuten geworden, sagt Thomas Ihde. Er ist Chefarzt der Psychiatrischen Dienste Frutigen, Meiringen, Interlaken und erklärt, welche Vorbehalte er gegenüber der Clienia Littenheid hat.

Ida Sandl

Nach Traumatherapien in Münsterlingen, Littenheid und in einer privaten Praxis in Kreuzlingen hat eine junge Herisauerin ihren Vater wegen versuchter Tötung und Vergewaltigung angezeigt. Sie glaubt, ihre Eltern seien Satanisten, die Babys opfern. Obwohl die Polizei keine Beweise für die Vorwürfe findet, läuft die Therapie weiter. Die Eltern fühlen sich ohnmächtig. Die Mutter sagt: «Unsere Tochter wird auf ein Trauma therapiert, das sie nicht hat.»

Thurgauer Amt für Gesundheit prüft die Beschwerde der Eltern

Ende 2018 reichen die Eltern beim Thurgauer Amt für Gesundheit Beschwerde gegen die aus ihrer Sicht fatale Therapie ein. Etwa ein halbes Jahr später wird ihnen mitgeteilt, das aufsichtsrechtliche Verfahren sei abgeschlossen. Mehr Auskunft dürfe man ihnen nicht geben, heisst es, da sie als Anzeigende nicht am Verfahren beteiligt seien. Die Eltern sind enttäuscht, sie vermuten, ihre Beschwerde habe nichts bewirkt.

Thomas Ihde ist Psychiater und Chefarzt der Psychiatrischen Dienste Frutigen, Meiringen und Interlaken. Dazu präsidiert er die Stiftung Pro Mente Sana, die sich für die Interessen von psychisch beeinträchtigten Menschen einsetzt. Er sagt, die Stellung von Patienten und Angehörigen in der Medizin sei schwach.

Herr Ihde, eine Therapie läuft aus dem Ruder, doch die Warnungen der Angehörigen werden nicht gehört, woran liegt das?

Thomas Ihde: Uns fehlen in der Schweiz die unabhängigen Ombudsstellen, die solche Themen aufgreifen. Wie soll zum Beispiel ein Gesundheitsamt, das zugleich Auftraggeber einer privaten Klinik ist, eine unabhängige Untersuchung bei dieser Klinik durchführen? Da fehlt es klar an der Objektivität.

Was könnte eine unabhängige Ombudsstelle tun?

Zum Beispiel einen runden Tisch einberufen und alle Beteiligten anhören. Entscheidend ist, dass eine neutrale, kompetente Stelle sich mit dem Thema befasst. Allgemein ist die Stellung von Patienten und Angehörigen in der Medizin leider schwach.

Es gibt immer wieder Fälle, in denen nach einer Therapie plötzlich jemand des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wird. Lässt sich so etwas überhaupt objektiv klären?

Das ist ein sehr schwieriges Thema. Man muss auch aufpassen, denn häufiger kommt es immer noch vor, dass Opfern von Gewalt nicht geglaubt wird. Aber es gibt in einer Therapie sicher auch die gegenteilige Dynamik.

Was heisst das?

Menschen in schwerer psychischer Not suchen eine Erklärung dafür, warum es ihnen schlecht geht. In dieser Situation sind sie empfänglich für alles. Wir spüren das innerhalb der Klinik in den Patientengruppen.

Inwiefern?

Es gibt das Phänomen, dass bestimmte Symptome wandern. Das heisst, plötzlich leiden in einer Gruppe auffällig viele am gleichen Symptom. Als Therapeut muss man deshalb sehr sorgfältig damit umgehen, was man beim Patienten auslöst.

Muss ein Therapeut alles glauben, was der Patient erzählt?

Ein Therapeut glaubt gar nichts. Er schaut sich die innere Landschaft seines Patienten an und ist so etwas wie sein Lotse. Dabei muss er sich stets bewusst sein, dass das, was er hört, die Wahrnehmung des Patienten ist.

Im Fall der jungen Herisauerin regte der Kreuzlinger Traumatherapeut gegenüber der KESB ein weiteres Gutachten an, um der Satanisten-Sekte das Handwerk zu legen.

Das ist für mich nicht nachvollziehbar.

Gibt es keine Stelle, die sich kritisch mit Therapieformen auseinandersetzt?

Es findet momentan in der Fachgesellschaft ein Umdenken statt, gerade was die Traumatherapie betrifft. Da ist man dabei, korrigierend einzugreifen. Es wird auch diskutiert, ob sich der nächste Psychotherapiekongress mit unerwünschten Nebenwirkungen von Psychotherapien befassen soll.

Betrifft das auch den Glauben mancher Therapeuten an rituelle satanistische Gewalt?

Auch da ist man in den Fachkreisen sensibler geworden, was auch mit den Medienberichten zu diesem Thema tun hat.

Die Clienia Klinik in Littenheid gilt als ein Hotspot solch satanistischer Verschwörungstheorie. Ist das so?

Es gibt in der Schweiz drei bis vier solcher Hotspots. Und ja, Littenheid ist einer davon.

Littenheid hat seine Traumastationen von zwei Experten untersuchen lassen und das Ergebnis war wohl ausgezeichnet.

Sie haben sich weisser als weiss gewaschen. Wir von Pro Mente Sana hätten gerne Einsicht in den Bericht, das haben wir der Clienia auch gesagt.

Ist das bereits passiert?

Bis jetzt noch nicht. Clienia hat uns stattdessen nach Littenheid eingeladen, aber daran sind wir nicht interessiert. Solange wir den Bericht nicht geprüft haben, können wir Littenheid für eine Therapie nicht empfehlen.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/interview-klinik-gilt-als-hotspot-satanistischer-verschwoerungstheorie-warum-der-praesident-von-pro-mente-sana-littenheid-im-moment-nicht-fuer-therapien-empfiehlt-ld.2282211)


+++HISTORY
Auch sie flüchteten einst vor dem Krieg in die Schweiz – doch nach vier Jahren war es vorbei mit der Willkommenskultur
Als in ihrer bosnischen Heimat der Krieg tobte, fanden Ivana Dunaj und Zaneta Strbac Zuflucht in der Schweiz. Obwohl bestens integriert, mussten sie das Land später wieder verlassen. Das Szenario könnte sich mit den ukrainischen Flüchtlingen wiederholen. Lernt die Schweiz aus der Geschichte?
https://www.nzz.ch/schweiz/ukraine-wird-es-wieder-enden-wie-mit-den-bosnien-fluechtlingen-ld.1681331?mktcid=smch&mktcval=twpost_2022-05-14


Ukraine Krieg: Flüchtlinge erzählen von russischen Filtrationslagern
Die aus dem Asow-Stahlwerk Evakuierten wurden von Russen in einem Filtrationslager kontrolliert. Damit wendet Putin im Ukraine-Krieg jetzt Stalin-Methoden an.
https://www.nau.ch/news/europa/ukraine-krieg-fluchtlinge-erzahlen-von-russischen-filtrationslagern-66177760



derbund.ch 14.05.2022

Namenswechsel beschlossen: Berner Zunft zum Mohren heisst neu Zunft zur Schneidern

Der Entscheid der Versammlung fiel deutlich aus: Die Zunft zum Mohren trennt sich von ihrem bisherigen Namen.

Brigitte Walser

Der Namenswechsel ist beschlossene Sache. Die Berner Zunft zum Mohren nennt sich künftig Zunft zur Schneidern und beendet damit eine intensive und lange geführte Diskussion rund um den Begriff Mohr.

An der Versammlung vom Samstag brauchte es für die Zunftangehörigen keine grosse Debatte mehr. «Es gab einige wenige Wortmeldungen, danach fiel der Entscheid für den Namenswechsel sehr deutlich aus», sagt Christoph Ott, Mitglied des Vorgesetztenbotts, dem Vorstand der Zunft.

Dessen neun Mitglieder hatten der Versammlung den Namenswechsel einstimmig empfohlen. Entscheidend sei die heutige Wirkung der Bezeichnung Mohr, und diese sei diskriminierend, lautete ihre Begründung. Wenn die Zunft betone, dass sie jegliche Form von Diskriminierung und Rassismus ablehne, dann zeige sie dies mit dem Namenswechsel.

Nicht nur der Name ändert

Schrittweise werden nun nach dem Namen auch das Logo und das Wappen ersetzt, das am Haus in der Berner Altstadt zur Seite der Rathausgasse angebracht ist. Die steinerne Mohrenfigur auf der Seite der Kramgasse bleibt gemäss der Zunft jedoch erhalten, denn es handle sich um ein geschütztes Baudenkmal der Stadt Bern.

Die Zunft zum Mohren, die heute gut 1000 Angehörige zählt, hat eine bis ins 14. Jahrhundert reichende Tradition. Unklar ist, ob ihr Name sich auf den Heiligen Mauritius bezieht oder darauf zurückgeht, dass sie im Gasthof «Zum Mohren» ihren Sitz hatte.

Jedenfalls ist sie aus dem Zusammenschluss der Schneider und Tuchscherer hervorgegangen, wie der Website zu entnehmen ist. Auf diese Wurzeln bezieht sich ihr neuer Name. «Mit dem Namenswechsel stellt die Zunft sicher, dass ihre Tradition erhalten bleibt», schreibt die Zunft in einer Medienmitteilung im Anschluss an die Versammlung vom Samstag.

Unterschiedliche Meinungen

Die Debatte um den Namen wurde in Bern lange und intensiv geführt, sie erreichte 2014 auch das Stadtparlament, als die SP-Fraktion kritisierte, die Zunft bediene sich «rassistischer Symbolik aus der Kolonialzeit». Intern führte die Zunft in den vergangenen Monaten eine Umfrage durch, die durchaus unterschiedliche Meinungen hervorbrachte.

Einige wollten mit der Tradition nicht brechen, zumal die Wahl des Wappens keinesfalls einen rassistischen Hintergrund gehabt habe. Andere verwiesen auf die junge Generation, die Mühe bekunde, einer Zunft anzugehören, die sich «zum Mohren» nenne.

Als Zunft zur Schneidern stelle man nun das Handwerk ins Zentrum, für welches die Zunft seit ihrer Gründung stehe, heisst es in der Medienmitteilung.
(https://www.derbund.ch/berner-zunft-zum-mohren-heisst-neu-zunft-zur-schneidern-158666349484)


+++DÄNEMARK
spiegel.de 14.05.2022

Dänemarks Doppelmoral in der Asylpolitik: Willkommenskultur, exklusiv für Ukrainer

Mit Zwangsumsiedlungen will Dänemark Parallelgesellschaften bekämpfen. Für Geflüchtete aus der Ukraine macht die Regierung eine Ausnahme. Kritiker sehen sich in ihren Diskriminierungsvorwürfen bestätigt.

Von Anna-Sophie Schneider

Die Siedlung Nørager in der dänischen Kleinstadt Sønderborg ist zu zweifelhafter Bekanntheit gelangt. Seit Jahren erfüllt das Wohngebiet Kriterien, die aus Sicht der Regierung Belege für eine Parallelgesellschaft darstellen. Demnach lebten dort zu viele Arbeitslose und Geringverdiener sowie Menschen mit niedrigem Bildungsstand. Die Kriminalitätsrate sei hingegen zu hoch, ebenso wie der Anteil jener Anwohner, die ihre Wurzeln in einem nicht westlichen Land haben. Dieser liegt bei mindestens 50 Prozent. Die dänische Regierung schreibt per Gesetz vor, dass sich die gesellschaftliche Zusammensetzung in der Siedlung nachhaltig verändern muss – notfalls durch Zwangsumsiedlungen.

Um die Vorgaben zu erfüllen, hat der Stadtrat in Sønderborg einen restriktiven Entwicklungsplan für Nørager vorgelegt. Demnach dürften sich viele alteingesessene Anwohner die Miete dort künftig kaum noch leisten können.

In den kommenden sechs Jahren sollen in dem Viertel zahlreiche Sozialwohnungen verschwinden. Einige Wohnblöcke werden umgewandelt, andere ganz abgerissen, um Platz für private Reihenhäuser zu schaffen. Spätestens in zwei Jahren sollen die Bauarbeiten beginnen. Bis dahin müssen Dutzende Mieter ihre Wohnungen räumen. Nicht westlichen Menschen bleibt zudem der Zuzug in die verbleibenden Sozialwohnungen vorerst verwehrt – mit einer Ausnahme.

Anfang des Monats hat die Mehrheit des dänischen Parlaments dafür gestimmt, dass Geflüchtete aus der Ukraine Sozialwohnungen nutzen können, aus denen »Nicht-Westler« ausziehen mussten. Die Ausnahmeregelung hat die Debatte über Dänemarks Migrationspolitik neu befeuert.

»Null Asylbewerber in Dänemark« als politisches Ziel

In Asyl- und Migrationsfragen verfolgt das skandinavische Land einen so harten Kurs wie kaum ein anderes EU-Land. Geplante Abschiebungen in Länder wie Syrien oder Afghanistan sorgen in der Bevölkerung kaum noch für größere Empörung. Mit Ruanda verhandeln die Dänen derzeit über einen umstrittenen Deal, der vorsieht, dass Asylsuchende dänischen Boden während der Prüfung ihrer Verfahren gar nicht erst betreten dürfen. Und in Dänemark verurteilte Straftäter könnten ihre Haftstrafe künftig im Kosovo verbüßen und anschließend von dort in ihre Heimatländer geschickt werden.

Die sozialdemokratische Premierministerin Mette Frederiksen hat »Null Asylbewerber in Dänemark« zum Ziel ihrer Politik erklärt. Um das zu erreichen, setzen die Dänen auf Abschreckung. Seit Beginn des Ukrainekriegs zeigt das Land allerdings, dass im Umgang mit Geflüchteten auch in Dänemark ein anderer Weg möglich ist.

Schnell und pragmatisch hat das Land auf die Massenflucht aus der Ukraine reagiert. Seit Mitte März ermöglicht das sogenannte Ukraine-Gesetz  ukrainischen Vertriebenen eine befristete Aufenthaltsgenehmigung von zunächst zwei Jahren mit einer möglichen Verlängerung um ein weiteres Jahr. Ein Asylverfahren ist nicht notwendig. Dafür steht mit dem Aufenthaltstitel der Zugang zu Bildungs- und Gesundheitssystem offen. Auch arbeiten dürfen Ukrainer demnach gleich nach der Ankunft. Geflüchtete aus der Ukraine werden dann nicht als Asylsuchende geführt.

Auch das berüchtigte »Schmuck-Gesetz« gilt für sie nicht. Dieses ist seit Februar 2016 in Kraft und ermöglicht es den dänischen Behörden, Geld und Wertgegenstände von Geflüchteten ab einem Wert von 10.000 Kronen (umgerechnet etwa 1343 Euro) zu beschlagnahmen, um deren Unterbringung mitzufinanzieren.

Der Umgang mit ukrainischen Geflüchteten hat aus Sicht von Kritikern die dänische Doppelmoral entlarvt. NGOs werfen der Regierung Diskriminierung nicht weißer Geflüchteter vor. Die ehemalige Ausländer- und Integrationsministerin Inger Støjberg kommentierte salopp auf Facebook: Die Dänen sollten sich eingestehen, dass sie lieber ukrainischen Geflüchteten helfen als Somaliern oder Palästinensern. »Niemand wagt es, die Dinge so zu benennen, wie sie sind: Das liegt daran, dass die Ukrainer uns ähnlicher sind und dass sie hauptsächlich Christen sind.«

Die Regierung weist die Anschuldigungen von sich. Das Sondergesetz wird mit der großen Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine begründet. Durch die Ausnahme für Ukrainer von Dänemarks sogenanntem Getto-Plan fühlen sich viele nun in ihren Diskriminierungsvorwürfen erneut bestätigt.

Seit 2010 listet Kopenhagen jährlich Wohngebiete auf, in denen es die Entstehung einer Parallelgesellschaft fürchtet. Als Kriterien werden Einkommen, Bildungsstand sowie Arbeitslosenquote und Kriminalitätsrate ausgewiesen. Hinzu kommt die Bevölkerungszusammensetzung. Im Fokus stehen dabei von der Regierung als nicht westliche Anwohner definierte Personen. Dazu zählen Menschen, deren Wurzeln außerhalb der EU und dem angelsächsischen Raum liegen. Auch in Dänemark geborene Personen, von denen nur ein Elternteil als »Nicht-Westler« definiert ist, fallen darunter – und eigentlich auch Ukrainer. Für sie alle werden in als gefährdet gelisteten Wohngebieten Quoten vorgeschrieben. Um diese zu erfüllen, dürfen Kommunen auch zu Zwangsumsiedlungen greifen.

Das Wort »Getto« gestrichen, die Regeln verschärft

Trotz massiven Widerstands gegen das Gesetz und wechselnder Regierungen hält Dänemark an dem Kurs fest. Die aktuelle sozialdemokratisch geführte Regierung hat zwar das Wort »Getto« gestrichen, bis dahin war von Getto-Listen die Rede. Allerdings wurden die Vorgaben im vergangenen Jahr noch einmal verschärft. Neben Nørager werden derzeit elf weitere Viertel als Parallelgemeinden gelistet, Dutzende andere Wohngebiete stehen unter besonderer Beobachtung. Von ihrer Seite gibt es Erleichterung über die Ausnahme für Ukrainer.

Erik Lauritzen, der Bürgermeister von Sønderborg, äußerte sich positiv darüber, dass in seinem Problemviertel künftig Ukrainer leben dürfen. »Wir haben darauf gedrängt, dass es möglich gemacht wird, also sind wir damit sehr zufrieden«, sagte er lokalen Medien. Susheela Math von der Open Society Justice Organisation, einem Verband, der seit Jahren gegen die Zwangsräumung kämpft, äußerte sich kritischer.

Die Ausnahmegenehmigung für Ukrainer sei der Beweis dafür, dass die »rassistisch, ungerecht und unnötig sei«, sagte sie. »Viele der rassifizierten Bewohner, die vertrieben werden, sind Dänen und identifizieren sich stark mit ihrer dänischen Identität, da sie in diesen sogenannten Getto-Gebieten geboren wurden oder dort jahrelang gelebt haben. Diese Nachbarschaften sind ihre Heimat.« Einige dieser Personen seien selbst vor Konflikten und Verfolgung geflohen – nicht anders als die Ukrainer, die jetzt vor Krieg fliehen. »Die diskriminierende Behandlung, der sie ausgesetzt waren, steht in krassem Gegensatz zu dem zu Recht mitfühlenden Empfang, den ukrainische Geflüchtete in Dänemark erfahren«, sagt Math.

Die Ausnahmeregelung für ukrainische Geflüchtete begründet die Regierung mit Zahlen. Ursprünglich war Kopenhagen davon ausgegangen, dass es etwa 20.000 vertriebene Ukrainer nach Dänemark ziehen könnte. Mittlerweile rechnet man jedoch mit 100.000.

Experten glauben, dass die aktuellen Entwicklungen im Ukrainekrieg ein Umdenken in der dänischen Migrationspolitik bewirken könnten und die Bevölkerung für das Leid Geflüchteter sensibilisiert werden könnte. Die Open Society Justice Organisation fühlt sich bestärkt in ihrem Kampf für die Abschaffung des Getto-Plans. Aus Sicht von Math hat Kopenhagen mit der Ausnahmereglung für die Ukraine das beste Argument für ein Ende des Gesetzes nun selbst geliefert.
(https://www.spiegel.de/ausland/daenemark-diskriminierungsvorwuerfe-wegen-sonderbehandlung-ukrainischer-fluechtlinge-a-bc2d4a52-cd10-4df2-acc8-3a3a233b9360)