Polizeimord in Mannheim, Abschiebung trotz Foltergefahr, Bestattung nach Jahren

Was ist neu?

Polizeimord in Mannheimn

Am Montag, 02. Mai, kam in Mannheim ein Mann bei einem Polizeieinsatz mitten am Tag in der Innenstadt ums Leben. Die Liste der Opfer von Polizeigewalt wird immer länger.

In Mannheim hat ein Arzt einer psychiatrischen Einrichtung die Polizei um Hilfe gebeten. Ein Mann hatte sich gegen seine Empfehlung aus der Einrichtung entfernt. In der Mannheimer Innenstadt trifft die Polizei mit einem 47-jährigen Mann zusammen. Videos zeigen den Polizeieinsatz: Fixierung auf dem Boden durch zwei Polizisten, hinter dem Rücken gefesselte Hände, Faustschläge ins Gesicht, später Szenen der Reanimation. Wieder stirbt ein Mensch durch die Hände der Polizei.

Der Fall erregt landesweit Aufmerksamkeit, weil es sich beim Getöteten um eine migrantisch gelesene Person handelt. NSU, Hanau, Halle. Mannheim der nächste ‚Einzelfall‘. In zahlreichen Städten finden Proteste und Demonstrationen statt.

„Die vielen rechtsextremen und rassistischen Umtriebe in der Polizei äussern sich nicht selten in Polizeigewalt auf der Strasse,“ heisst es in einem Demoaufruf. „Wir wollen uns nicht an Polizeigewalt gewöhnen. Das haben wir schon lange genug getan. Wir wollen keine Entschuldigung. Wir wollen kein Faseln von Einzelfällen, unglücklichen Umständen. Ausserdem akzeptieren wir keinen Verweis auf vermeintliche „Gegenwehr“ einer Person gegen eine Vielzahl von Polizist:innen! Nicht in Mannheim und nirgendwo! Uns ist klar: Kommt die Polizei, werden die Probleme grösser. Trifft die Polizei auf psychisch kranke Menschen, mündet das nicht selten in Mord durch die Polizei. Die Polizei bedeutet keine Sicherheit, vor allem nicht für people of color oder nicht-deutsch gelesene Menschen. Die Polizei löst keine Probleme. Die Polizei ist Teil des Problems. Und jede:r einzelne Polizist:in vergrössert das Problem.“

Als „Systemversagen“ bezeichnete kürzlich auch der UN-Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Nils Melzer, Deutschlands Umgang mit Polizeigewalt. In zwei Jahren sei nur ein einziges Mal ein Polizist wegen unverhältnismässiger Gewalt belangt worden, in mehreren Bundesländern gebe es gar keine Statistiken: „Die Behörden sehen gar nicht, wie blind sie sind. […] Die Überwachung der Polizei funktioniert in Deutschland nicht.“

Viel könnte man noch schreiben über die Medienarbeit der Polizei, die sich vordergründig als Opfer von hasserfüllten Internetkommentaren inszeniert und mit bereits über 150 Anzeigen lieber gegen Kritiker*innen vorgeht, als sich um die Aufklärung des Mords durch ihre eigenen Mitarbeitenden zu kümmern. Oder darüber, wie wichtig der Polizei die schnelle Kommunikation der deutschen Staatsangehörigkeit des Getöteten war – als würde der Rassismus gegen Migrant*innen mit der Einbürgerung verschwinden. Oder über die Berichterstattung vieler Zeitungen, in der die Sichtweisen und Formulierungen der Polizei nur allzu gern übernommen werden. „Wenn die Polizei dich umbringt, stirbst du nicht. Du kollabierst. #polizeigewalt #mannheim,“ Aie Al Khaiat.
https://www.rnz.de/nachrichten/mannheim_artikel,-mannheim-leiche-zeigt-spuren-von-stumpfer-gewalt-_arid,879589.html?fbclid=IwAR2srso0UJ7tKnI_7Z4WtGBRdT3wSpnRGdwxhnxq-Q58uKG6udaAFo5754M
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/polizei-pk-todesfall-nach-polizeieinsatz-in-mannheim-100.html
https://www.facebook.com/429584667109743/posts/4846850085383157/
https://m.faz.net/aktuell/politik/inland/un-experte-sieht-systemversagen-bei-polizeigewalt-in-deutschland-17971633.html?fbclid=IwAR0VsgaQAX2Pz4YQdOotnnN7wB-u6NNWp4loSn7W_AtzfCmnpG8wR-4ULa4

 

 

Spanien und Marokko: Abkommen erneuert, während weiter Menschen ertrinken

Spanien und Marokko haben das Abkommen über Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit erneuert. Gleichzeitig ertrinken weiter Menschen beim Versuch, die spanische Enklave Melilla zu erreichen oder verletzten sich selbst aus Angst vor Abschiebungen. Diese Ereignisse stehen in direktem Zusammenhang.

Nach monatelangen Verhandlungen ist das Abkommen zwischen Marokko und Spanien am 30. April 2022 in Kraft getreten. Dabei geht es unter anderem um eine verstärkte Sicherung der Grenzen sowie die weitere Externalisierung der südlichen spanischen Grenze. Gleichzeitig wird im Abkommen Migration immer wieder in Zusammenhang mit Kriminalität gestellt, was als Begründung für die Verschärfungen dienen soll. Laut Migreurop und Euromed Rights ist ein Artikel des Abkommens besonders besorgniserregend. Darin werden «kriminelle Handlungen» mit «Menschenhandel und illegaler Einwanderung» gleichsetzt, ohne zu präzisieren, dass «illegale Einwanderung» per se keine Straftat in europäischen Ländern sein kann.
Im gleichen Zeitraum wurde die Leiche eines Mannes in der Nähe einer Ufermauer im Hafen von Melilla gefunden. Vermutlich versuchte er, die spanische Enklave Melilla zu erreichen, indem er vom marokkanischen Strand Béni Ansar aus schwamm.
Ebenfalls im gleichen Zeitraum versuchten 20 Migrant*innen aus dem Internierungslager Barranco Seco in Las Palmas zu fliehen. Von den zwanzig Personen gelang dies insgesamt 11 Personen, vier davon wurden kurz darauf mit einigen Verletzungen wieder aufgegriffen und festgenommen. Ein Anwalt der Geflüchteten gibt an, dass die Menschen «verzweifelt sind, weil sie wissen, dass sie nach dem Abkommen zwischen Marokko und Spanien wieder abgeschoben werden». Einige verletzten sich auch selbst, um eine Abschiebung zu verhindern. Nach Angaben von NGOs werden durch das Abkommen von Spanien und Marokko jede Woche etwa 80 Geflüchtete von Gran Canaria nach Marokko zurückgeschickt.
Migration ist eine Tatsache, keine Bedrohung. Menschen migrieren, Menschen fliehen. Es funktioniert nicht, Menschen gewaltvoll davon abhalten zu wollen oder die Festung Europa zuzumauern. Was stattdessen passiert: Indem Migration kriminalisiert wird, die Wege nach Europa geschlossen werden, sind flüchtende Menschen gezwungen, gefährliche Wege auf sich zu nehmen, die nicht selten tödlich enden. Diese Tatsache ist europäischen Politiker*innen in Entscheidungspositionen sehr wohl bekannt. Es sind ihre politischen Entscheidungen, die Migrant*innen im Mittelmeer ertrinken lassen.

Die Seegrenze zwischen dem marokkanischen Hafen von Béni Ansar und Melilla, an der am Samstag die Leiche eines Mannes gefunden wurde.
 
 
 
 
Verschärfung des Asylregimes in Grossbritannien angenommen

Das Gesetz bedeutet verstärkte Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht und weitere Beschneidungen ihrer Rechte. Ein zusätzliches Abkommen plant die Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda. Immerhin verhinderte eine Sammelklage gegen die britische Regierung die Legalisierung von Push-Backs auf dem Ärmelkanal.

Letzte Woche hat das House of Parliament in Grossbritannien eine neues Migrationsgesetz angenommen, das faktisch das Recht auf Asyl aushebelt.
Da es im letzten Jahr aufgrund schärferer Grenzkontrollen wegen des Brexits schwieriger geworden war, per Lastwagen nach Grossbritannien einzureisen, und durch die Folgen von Pandemie und Krieg generell mehr Fluchtbewegungen vermerkt werden, hatten letztes und dieses Jahr vermehrt Menschen versucht, per Boot von Frankreich aus über den Ärmelkanal zu gelangen. Hierbei sind mindestens 22 Menschen gestorben. Die Innenministerin Priti Patel liess daraufhin verlauten: »Die Dinge müssen sich ändern, weil Menschen bei dem Versuch sterben, nach Grossbritannien zu kommen«. Diese Aussage ist nichts als Heuchelei. Denn die Verschärfungen des Migrationsrechts beinhalten: Menschen, die ‚illegal‘ ins Land einreisen, also per Boot, drohen hohe Haftstrafen und erhalten, wenn überhaupt, nur vorübergehenden Schutz. Sie werden immer wieder überprüft, um möglichst schnell wieder deportiert werden zu können. Auch Familiennachzug und Zugang zur Sozialhilfe werden erschwert. Die britische Regierung behauptet nun, diese Massnahmen würden Menschen auf der Flucht daran hindern, die Überfahrt zu wagen, doch in der Praxis sieht es anders aus: Vulnerable Menschen werden in noch prekärere Situationen gezwungen. Des Weiteren soll die Grenzwache mehr Befugnisse erhalten und es sollen härtere Strafen für sog. „Menschenschmuggler“ mit längeren Gefängnisstrafen umgesetzt werden. Dass diese Verurteilungen meistens willkürlich Menschen auf der Flucht betreffen, denen ein Steuer in die Hand gedrückt wird, könnt ihr im Artikel zu Kriminalisierung von Solidarität in der Wochenschau vom 18. April 22 nachlesen. Hinzu kommt, dass nach momentanem Asylrecht nur Menschen, die ihren Fuss auf britischen Boden setzen, in GB Asyl beantragen können. Menschen sind folgendermassen dazu gezwungen ‚illegal‘ nach GB einzureisen, um überhaupt Asyl beantragen zu können. Eine perfide Logik, die Patel anwendet. Aber schliesslich geht es in Debatten um Migrationspolitik häufig darum, von tatsächlichen politischen Problemen abzulenken: In diesem Fall z.B. von der sog. Partygate-Affäre von Premierminister Boris Johnson, bei der er illegale Parties im Amtssitz während des Lockdowns veranstaltete.
Und der Plan zu britischer Asylpolitik soll noch grotesker werden: letzten Monat unterzeichnete Patel nämlich einen Vertrag in Kigali, Ruanda, um Asylverfahren in GB komplett nach Ruanda auszulagern. Das bedeutet, die Menschen, die in GB per Boot ankommen, sollen sofort nach Ruanda verfrachtet werden, dort ein Asylverfahren durchlaufen und anschliessend nicht in GB Asyl erhalten sondern in Ruanda. Menschenrechtsfragen unter der autoritären Regierung von Paul Mugabe seien mal dahingestellt. Anfang 2021 hatte die britische Regierung sich noch besorgt über »andauernde Einschränkungen der bürgerlichen und politischen Rechte und der Medien­freiheit« gezeigt. Im Zuge der neuen Pläne bezeichnete Johnson Ruanda hingegen als »eines der sichersten Länder weltweit«. So ändern sich die Meinungen von Politiker*innen, wenn es ihrer jeweiligen Strategie gerade passt.
Trotz grosser Opposition gegen dieses geplante Verfahren, zieht Patel weiter. 160 Organisationen in GB unterschrieben einen offenen Protestbrief dagegen. In Ruanda kommentierte Frank Habineza, der Vorsitzende der oppositionellen Demokratischen Grünen Partei: «Wie kann ein reicheres, grösseres Land nicht in der Lage sein, Geflüchtete aufzunehmen, und denken, sie könnten sie einfach in Ruanda abladen, weil sie Geld haben. Das ist inakzeptabel.»
Der höchste Beamte des Innenministeriums, Matthew Rycroft, stoppte das ganze Vorhaben sogar, zwar nur wegen der finanziellen Unkosten, nicht wegen menschenrechtlicher Bedenken, aber Patel ging seltsamerweise den Weg einer sog. ‚ministerial direction‘, um Rycrofts Einspruch zu umgehen.
Nun, GB ist nicht das erste Land, das versucht, seine Asylverfahren auszulagern. Israel betrieb von 2014 bis 2017 Asyllager in Ruanda, Frankreichs Regierung unter Macron untersuchte die Möglichkeit, Aslyllager in Tschad und Niger einzurichten und auch die dänische Regierung ist mit der ruandischen Regierung im Gespräch. Die dänischen Hardliner, die versuchen, eine Zero Migration-Politik zu verfolgen, die letztes Jahr u.a. Teile von Syrien zu einem sicheren Herkunftsland erklärten, verfolgen zusätzlich den Plan eines Abschiebeknastes im Kosovo, den sich die Flüchtenden durch Zwangsarbeit auch noch selber verdienen sollen.
Einen Erfolg gab es immerhin: Ein weiterer Plan von Patel, Push-Backs auf dem Ärmelkanal zu legalisieren, konnte durch eine Sammelklage der PCS Union, Freedom From Torture, Care4Calais und Channel Rescue verhindert werden. Noch im September letzten Jahres wurden Berichte laut, in denen die Grenzwache das Abdrängen von Schlauchbooten mit Jetskis trainierte. Doch nun, kurz vor der Gerichtsverhandlung, zog die Regierung ihr Vorhaben zurück, da sie wussten, dass es legal nicht umsetzbar sein würde. Die britische Regierung ahnte dies anscheinend schon länger, trotzdem hielt sie in der Öffentlichkeit lange daran fest. „Ich bin schockiert, dass diese Regierung versucht, die Tatsache zu verbergen, dass Geflüchtete, die in britischen Gewässern Asyl beantragen, ein Recht darauf haben, zur Bearbeitung dieses Antrags nach Grossbritannien gebracht zu werden,“ kommentierte die Gründerin von Care4Calais, Claire Mosley.

https://www.infomigrants.net/en/post/40151/dramatic-changes-to-uk-asylum-law-for-irregular-migrants
https://calais.bordermonitoring.eu/2022/04/25/aus-fuer-pushbacks-im-aermelkanal/
https://antira.org/2022/04/25/medienspiegel-24-april-2022/

https://jungle.world/artikel/2022/17/abkommen-zur-abschiebung
https://taz.de/Asylpolitik-in-Daenemark/!5851667/

Anklage gegen Andrea Costa von der Nichtregierungsorganisation «Baobab Experience» wurde fallen gelassen!

In den Augen der italienischen Staatsanwaltschaft ist Andrea Costa ein Verbrecher. Sie warf ihm in einem Gerichtsprozess, der letzte Woche in Rom endete, Beihilfe zu illegaler Einwanderung vor. Die Haftstrafe sollte zwischen sechseinhalb und achtzehn Jahren sein.
Baobab Experience unterstützt seit Jahren Migrant*innen mit Lebensmitteln und einem sicheren Schlafplatz kurz nach Ankunft in Rom. Das Camp, das in der Nähe des Bahnhofs von Baobab aufgebaut wurde, wurde in den letzten Jahren jedoch bereits 40 Mal von der Polizei geräumt. Dann kam die Anklage, dass Costa Tickets von Migrant*innen bezahlt haben solle, um nach Rom zu reisen. Der Prozess nahm Zeit und Geld in Anspruch. Die Vorwürfe waren (selbst wenn!) unhaltbar. Die italienische Regierung kriminalisiert hier einzig und allein Solidarität mit People on the Move.
Dies ist kein Einzelfall, sondern strategisch. Erinnern wir uns an die Schiffsbeschlagnahmung der «Sea Watch» und die Anklage der Kapitänin Carola Rackete oder im Jahr 2004 die Festnahme des Kapitäns Elias Bierdel von «Cap Anamur». Alle Verfahren endeten in einem Freispruch. Was zeigt: Flucht und Solidarität sind keine Verbrechen. Wieder und wieder!


https://taz.de/Verfahren-gegen-Fluechtlingshelfer/!5847529/
https://www.facebook.com/110564185632949/posts/5237550199600963/

Was geht ab beim Staat?

SEM schickt Eritreer in die Hände von Folterern und gewährt ihm nach zweiter Flucht Asyl

Das SEM verweigert einem Mann aus der Eritrea Asyl. Für ihn bestehe dort keine konkrete Gefahr. Nach seiner Rückkehr in das Land erlebt er Inhaftierung und Folter. Nach seiner zweiten Flucht in die Schweiz erhält er einen Aufenthaltstitel.
Eritrea ist eine Militärdiktatur, in der Gewalt und Willkür herrschen. Es gibt eine strenge Militärpflicht und Zwangsarbeit, jegliche Opposition ist verboten, Meinungs- oder Pressefreiheit fehlen. Geschätzt sind bereits 500’000 Menschen aus Eritrea geflohen. Ein Drittel von ihnen lebt im Nachbarland Äthopien. Seit 2016 lehnt das SEM immer mehr Gesuche von Eritreer*innen ab. Zu ihnen gehört ein Mann, dessen Angaben das SEM für unglaubwürdig hielt. Es lehnte seinen Antrag 2017 ab und schätze ein, dass er bei einer Rückkehr nach Eritrea nicht bedroht sein würde.
Da es kein Rückübernahmeabkommen mit Eritrea gibt, folgte darauf keine Ausschaffung, sondern das perspektivlose Leben in der Nothilfe. Diese reicht höchstens zum Überleben und ist verbunden mit zugewiesenem Wohnraum, einem Arbeitsverbot, keinen Perspektiven oder gesellschaftlicher Teilhabe.
2018 gibt der Mann auf. Er ist zermürbt vom Schweizer System und reist nach Eritrea zurück. Was Menschen passiert, die nach Eritrea zurückkehren, weiss das SEM nach eigenen Angaben nicht. Und möchte es auch nicht wissen – zumindest hat es noch nie nachgefragt. Woher es die Einschätzung nimmt, dass den Menschen nach der Rückkehr keine Gefahr droht, ist also sehr fraglich. Und in diesem Fall falsch. Der Mann wird nach seiner Ankunft in Eritrea inhaftiert und gefoltert. 
Ihm gelingt ein zweites Mal die Flucht aus dem Land. Er beantragt im Oktober 2021 ein zweites Mal Asyl in der Schweiz. Er macht weitere Asylgründe wie die Inhaftierung und Folter nach seiner Rückkehr sowie den Besuch einer regierungs­kritischen Demonstration im Sommer 2016 in Genf geltend und ihm wird dieses Mal der Flüchtlingsstatus zugesprochen. 
Fassen wir zusammen: Die politische Lage in Eritrea und die weitreichenden Menschenrechtsverletzungen durch das Regime sind bekannt. Die Schweiz verschärft trotzdem ihre Praxis und spricht immer häufiger Wegweisungen aus. Es gibt kein Monitoring, wie es Rückkehrer*innen in Eritrea ergeht. Das SEM hält eine Rückkehr in das Land dennoch für zumutbar und treibt einen Menschen in die Hände seiner Folterer. Die Einschätzung, die Rückkehr in die Militärdiktatur Eritrea sei «möglich und zumutbar» ist falsch. 
Es ist unwahrscheinlich, dass das SEM allein aufgrund dieses Falls seine Asylpraxis gegenüber Menschen aus Eritrea ändern wird. Die wohl eher politisch motivierten als durch die Sicherheitslage im Land begründeten Ablehnungen sind in der Schweiz so hoch wie kaum sonst in Europa. Es braucht einmal mehr gute Recherchen wie diese zum aktuellen Fall und politischen Druck auf die Entscheidungsträger*innen, ihre Praxis zu verändern. 

«Bitte zeigt mein Gesicht nicht und nennt mich nicht beim Namen. Sonst passiert meiner Familie in Eritrea das, was ich erleben musste.»
 
 

Was tut Frontex?

Frontexausrüstung umfasst nächstes Jahr „tödliche und nicht-tödliche Waffen“

Vor Kurzem wurden zusätzliche Einzelheiten zum Frontex-Waffenpark bekannt. Dieser wird nicht gebraucht, um Menschenrechte zu schützen, wie es die Befürwortenden des Frontexreferendums laut und falsch behaupten. Die Materialliste für 2023 umfasst tödliche und nicht-tödliche Waffen. Ein grösser werdender Teil davon gehört Frontex selber, doch auch Schengenstaaten stellen Material zur Verfügung.

Frontex verfügt über alles Denkbare, was es braucht, um Europa abzuschotten. Die Materiallisten umfassen Drogen- und Sprengstoffdetektoren, Endoskope, Detektoren für Mobiltelefone und Satellitentelefone, Störsender und Strahlungsdetektoren sowie Drohnen. Lange war Frontex auf den Goodwill der Schengenstaaten angewiesen, die nebst Personal auch die Ausrüstung stellten. Neu hat Frontex eigenes Geld für eigenes Material im Krieg gegen Migration. Die Ausrüstung ist gekauft oder geleast und wird zu grossen Teilen von den Schengenmitgliedstaaten über den sogenannten „Fonds für die innere Sicherheit“ finanziert.
Da es sich um ein grosses Business handelt, trifft sich Frontex regelmässig mit der Waffenlobby und Kriegsmaterialherstellenden. Im März suchte Frontex eine Firma, die neue Einsatzgurte, Zubehör und Schlagstöcke im Wert von 200’000 Euro verkaufen würde. Auf der Einkaufsliste für nächstes Jahr stehen unter anderem tödliche und nicht-tödliche Waffen. Weiterhin wird aber auch von den Mitgliedstaaten erwartet, dass sie Material bereitstellen. Seeüberwachungsschiffe, Streifenwagen und -boote, Starrflügler, Hubschrauber und Fahrzeuge mit Wärmebildkameras (und manchmal auch mit Radar) werden weiterhin vorwiegend von den Mitgliedstaaten gestellt, während die Drohnen und die Ausrüstung für Ausschaffungsaktionen zu 100 % von Frontex bereitgestellt werden.
https://prd.frontex.europa.eu/wp-content/uploads/mb-decision-18_2022-on-technical-equipment_deployed-in-fx-coordinated-activities-in-2023.pdf
https://www.statewatch.org/news/2022/april/eu-frontex-equipment-requirements-for-2023-include-lethal-and-non-lethal-weapons/

Was nun?

Ja zur «Züri City Card» am 15. Mai

Die Züri City Card soll allen Stadtzürcher*innen ausgestellt werden und das Alltagsleben der mehr als 10’000 Zürcher Sans-Papiers erleichtern, indem sie durch diese Karte einen amtlichen Ausweis erhalten – ungeachtet ihrer Herkunft oder ihres Aufenthaltsstatus. Zürcher Sans-Papiers setzen sich mit diesen Argumenten für ein JA am 15. Mai ein:
„1.Schutz vor Gewalt: Stell dir vor, du erlebst Gewalt und kannst die Polizei nicht rufen? Genau das passiert uns. Mit der Züri City Card erhalten wir zwar keine Aufenthaltsbewilligung, aber immerhin die Möglichkeit, im Notfall die Polizei zu alarmieren.
2.Alltagserleichterungen: Was du als völlig selbstverständlich empfindest, ist für uns unmöglich: Das Abholen der eigenen Post, das Eröffnen eines Bankkontos oder das Buchen eines städtischen Angebotes. Die Züri City Card ist ein erster Schritt, um den Zugang zu solchen Dienstleistungen zu ermöglichen.
3. Integration stärken: Um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten, müssen Sans-Papiers sehr gut integriert sein. Doch wie soll das gehen, wenn wir uns ständig verstecken müssen? Die Züri City Card bietet uns die Chance, am öffentlichen Leben teilzunehmen.
4. Anerkennung: Wir erarbeiten unser Einkommen selbst. Als Hausarbeiterinnen, Reinigungskraft oder Küchenhilfe leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft. Die Züri City Card ist auch ein Zeichen der Anerkennung!“

 
 
 
Aktionstag am 21. Mai zur Verfahrenseröffnung gegen Seenotrettungs-Crew der Iuventa

Am 21. Mai startet der Vorprozess gegen die Iuventa-Crew. Der Aktionstag soll genutzt werden, um auf die Kriminalisierung von Seenotrettung, aber auch von Migrant*innen aufmerksam zu machen.
„An den europäischen Außengrenzen sterben seit Jahrzehnten Menschen. Die rigorose Abschottungspolitik der Europäischen Union führt zu immer gefährlicheren Fluchtrouten und steigenden Todeszahlen auf dem Mittelmeer und entlang der Grenzverläufe. Trotzdem blockiert die EU seit Jahren eine eigene Seenotrettungsmission und überträgt die Verantwortung, Menschen zu retten, auf private Initiativen und Aktivist*innen.
Die europäische Grenzschutzagentur Frontex ist nicht nur immer wieder in illegale und gewaltsame Pushbacks verwickelt, sondern behindert auch aktiv andere Organisationen bei Rettungsaktionen. Gleichzeitig steigt der Druck an Land und es werden zunehmend mehr Menschen für Rettungsaktionen oder Flucht verfolgt und kriminalisiert.
Nun sollen erneut Aktivist*innen in Italien vor Gericht gestellt werden. Fünf Jahre nach dem Beginn strafrechtlicher Ermittlungen findet am 21.05.22 der erste Tag der Vorverhandlungen gegen 21 Seenotretter*innen der Iuventa-Crew und weiterer Organisationen in Trapani statt. Hier soll entschieden werden, ob es tatsächlich zu einem Hauptverfahren vor Gericht kommt. Der Vorwurf: Beihilfe zur illegalen Migration. Bei Verurteilung droht eine Gefängnisstrafe von bis zu 20 Jahren sowie eine Geldstrafe von 15.000€ pro geretteter Person.
Doch sie sind nicht die Einzigen, gegen die europäische Behörden aktuell ermitteln. Die meisten Menschen, die wegen „Beihilfe zur illegalen Migration“ angeklagt werden, sind selbst Menschen auf der Flucht. Seit 2013 wurden alleine in Italien über 2500 fliehende Menschen mit dieser Anklage inhaftiert. Dies passiert oft ohne eine große Öffentlichkeit und ist ein weiterer Teil der europäischen Abschottungspolitik, die Flucht immer und immer mehr kriminalisiert. So beginnt beispielsweise nur wenige Tage vor dem Start der Vorverhandlungen gegen die 21 Seenotretter*innen am 18.05.22 der Prozess gegen den Vater N. in Griechenland, der für den Tod seines Kindes auf der Flucht angeklagt wird. N. steht gemeinsam mit Hasan vor Gericht, dem eine lebenslange Haftstrafe droht, weil er das Boot steuerte.
Wir stehen solidarisch an der Seite der 21 angeklagten Seenotretter*innen sowie an der Seite aller Menschen, die für ihre Flucht kriminalisiert werden. Flucht ist ein Menschenrecht, Seenotrettung ist Pflicht! Lasst uns am 21.05.2022 ein deutliches Zeichen setzen und gemeinsam fordern: Stoppt die Anklage gegen die Seenotretter*innen! Freiheit für die SAMOS 2! Fight for Solidarity – Stoppt die Kriminalisierung von Flucht und Seenotrettung!
Nach fast fünf Jahren strafrechtlicher Ermittlungen beginnt am 21. Mai 2022 das Vorverfahren gegen die Seenotretter_innen der Iuventa-Crew in Trapani, Italien. Den vier deutschen Crewmitgliedern drohen in Italien bis zu 20 Jahre Gefängnis, weil sie dabei geholfen haben, mehr als 14.000 Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten. Amnesty International fordert, das Verfahren gegen die Iuventa-Crew und andere Seenotrettungsorganisationen sofort einzustellen. Die Menschenrechtsorganisation mahnt außerdem an, den Straftatbestand „Beihilfe zur irregulären Einreise“ so zu verändern, dass humanitäre Hilfe an den europäischen Außengrenzen nicht länger kriminalisiert wird.“

 

Wo gabs Widerstand?

Neun Jahre später: Würdige Bestattung für 19 Migrant*innen

Erst vor wenigen Tagen wurden 19 der 368 Menschen, die am 13. Oktober 2013 im Mittelmeer ertranken, würdig begraben. Es zeigt sich einmal mehr: Keines der grossen Versprechen, die in den Tagen nach dem 13. Oktober 2013 gemacht wurden, haben europäische Politiker*innen eingehalten. Stattdessen wurde die Abschottung Europas weiter vorangetrieben.
Am 3. Oktober 2013 kenterte ein Boot mit über 500 Menschen vor der Küste Lampedusas, mind. 366 von ihnen starben. Drei Tage zuvor waren sie von der libyschen Hafenstadt Misrata aufgebrochen. Damals ging ein Aufschrei durch die Gesellschaft und die europäische Politprominenz flog auf die kleine Mittelmeerinsel. Innenminister*innen, Regierungschefs, EU-Abgeordnete und andere Politiker*innen sagten Dinge wie: «Es muss anders werden» oder «Wir müssen handeln». Die unzähligen seither gekenterten Boote und ertrunkenen Menschen sprechen für sich: Das Einzige, was europäische Politiker*innen seither getan haben, ist Europa weiter abzuschotten.
Die grossen Worte, die in den Tagen nach dem 13. Oktober 2013 von europäischen Politiker*innen ausgesprochen wurden, stehen konträr zu der Realität auf dem Friedhof in Sciacca, Sizilien. Dort wurden die Menschen, die am 13. Oktober ums Leben gekommen sind, beerdigt: Ihre Gräber sind mit einem abgenutzten Holzkreuz und einer mit Bleistift geschriebenen Nummer gekennzeichnet. Erst vor wenigen Tagen wurden 19 der 368 Migrant*innen würdig beigesetzt – und dies nur dank dem stetigen Druck von Organisationen wie dem «Comitato 3 ottobre 2013» oder Aktivist*innen wie Mussie Zerai. Leonardo Marino, der Anwalt einer Familienangehörigen, sagt dazu: «Eine zivilisierte Gesellschaft erkennt man auch daran, wie sie ihre Toten bestattet, und zwar alle, ohne Unterschied».

Was steht an?

No Frontex Veranstaltungen
Im Vorfeld der Abstimmung über das Frontex-Referendum am 15. Mai finden in verschiedenen Schweizer Städten (Winterthur, Basel, St. Gallen, Lausanne, Interlaken, Neuchatel, Zürich, Brugg) Veranstaltungen statt: Filmvorführungen, Diskussionen, Podien, Lesungen.
Alle Daten findet ihr hier: https://frontex-referendum.ch/events/

Grenzen Töten Demo Bern
14.05.2022 | 14:00 | Bern (Genauer Ort folgt)
Aufruf: https://barrikade.info/event/1737

Soliparty für das Legal Centre Lesvos mit best-elle und anschliessender Tanzmusik
14.05.2022 | Reitschule Bern, Frauenraum
Türöffnung: 21:00 Uhr

Beginn Konzert: 22:00 Uhr
anschliessend: DJs

Stadtrundgang, Podium und Konzert: Zürichs koloniale Vergangenheit
14.05.2022 I 15:00 I Haupteingang Uni Zürich; ab 18:00 im ÖFF

Zwar verfügte die Schweiz selbst formal über keine Kolonien, dennoch war sie stark in die kolonialen Projekte anderer europäischer Nationen involviert. Zürcher:innen wurden mit Überseeplantagen reich, investierten in die Sklaverei, organisierten Völkerschauen oder stellten sich als Söldner in den Dienst von Kolonialarmeen, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Auswirkungen davon setzen sich bis heute in Form von globalen Wohlstandsunterschieden und rassistischen Vorurteilen fort. Mit dem Stadtrundgang möchten wir auf diese kolonialen Verwicklungen aufmerksam machen und uns dadurch für eine gewaltfreie, gerechte und tolerante Gesellschaft einsetzen. Um den Zugang auch für Menschen zu ermöglichen, die nicht vor Ort sein können, gibt es die Möglichkeit, die Texte online zu hören oder zu lesen.
https://barrikade.info/article/5167

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

«Abstimmungs-Arena» zur Finanzierung Frontex
Die Schweiz arbeitet seit über zehn Jahren mit Frontex zusammen. Gegen den finanziellen und personellen Ausbau der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache haben Gegnerinnen das Referendum ergriffen. Wer es ernst meine mit dem Schutz für Flüchtende, müsse den Ausbau stoppen. Mit der Revision von Frontex würden die Grundrechte gestärkt, widersprechen die Befürworter. Ist es besser, mitzureden statt zuzusehen? Oder macht sich die Schweiz bei Menschenrechtsverletzungen mitschuldig?
https://www.srf.ch/play/tv/arena/video/abstimmungs-arena-zur-finanzierung-frontex?urn=urn:srf:video:d97215e2-15ae-4c6b-8c84-224210ffb494

A disaster waiting to happen’: who was really responsible for the fire at Moria refugee camp?
Days after fire destroyed the overcrowded camp, six inmates were charged with arson. Greece is now opening ‘prison-like’ secure camps in the Aegean islands as part of a growing tendency to criminalise Refugees.
https://www.theguardian.com/world/2022/apr/21/disaster-waiting-to-happen-moria-refugee-camp-fire-greece-lesbos

Der Hotspot-Ansatz: vom griechischen Versuchslabor zum neuen EU-Pakt zu Migration und Asyl
Auf der Konferenz von Borderline Sicilia wurden die neuesten Veränderungen der Migrationskontrollpolitik analysiert
https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/der-hotspot-ansatz-vom-griechischen-versuchslabor-zum-neuen-eu-pakt-zu-migration-und-asyl/

 

Inhaftierung von Einwanderern inmitten des Krieges: Der Fall des ukrainischen Gefangenenlagers von Volyn
Anfang März, kurz vor Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine, erhielt das Global Detention Project (GDP) E-Mails und Videos von Personen, die behaupteten, Menschen zu kennen, die trotz des herannahenden Krieges in einem Einwanderungsgefängnis in der Ukraine gefangen gehalten wurden. Wir erhielten auch Nachrichten von einem Vertreter der in Polen ansässigen humanitären Gruppe Alight, der sagte, dass auch sie Nachrichten von Gefangenen in Volyn sowie Ausweispapiere, Fotos und Videos erhalten hätten.
https://www.globaldetentionproject.org/immigration-detention-amidst-war-the-case-of-ukraines-volyn-detention-centre

Familie Nguyễns Flucht aus der Ukraine
Seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine sind mehr als fünf Millionen Menschen ins Ausland geflohen – darunter auch viele Vietnames:innen, die teilweise seit Sowjetzeiten dort gelebt haben. Wir haben die Familie von Lita Nguyên getroffen, die Anfang März aus Kiew nach Warschau geflohen ist. Litas Eltern hatten in Moskau und Kiew studiert und später als Übersetzer in Kherson gearbeitet. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sind sie wie viele andere ehemalige Vertragsarbeiter:innen geblieben und bauten sich in der Ukraine eine neue Existenz auf. Entsprechend schwer fiel es ihnen, all das plötzlich zurückzulassen. Wir haben die Familie gefragt, wie ihre relativ späte Flucht gelang, wie es ihnen heute geht und wie sie vierzig Jahre nach dem Krieg in Vietnam auf den heutigen Krieg in der Ukraine blicken.
https://riceandshine-podcast.de/2022/05/03/familie-nguyens-flucht-aus-der-ukraine/

„Aktivistenwochenende“ der Identitären in Baden-Württemberg
Am 11. März 2022 kündigten die „Wackren Schwaben“, ein Label der extrem rechten „Identitären Bewegung Schwaben“, in den Sozialen Netzwerken ein „Aktivistenwochenende“ an. Die Veranstaltung sollte am 7. und 8. Mai stattfinden. Der Veranstaltungsort: geheim. Ein Monat nach der Ankündigung, am 14. April, posteten die „Wackren Schwaben“ via Telegram, das „Aktivistenwochenende“ habe bereits am 9. und 10. April stattgefunden. Der Veranstaltungsort sei „in Schwaben“ gewesen. Eine exklusive Recherche zeigt: Das „Aktivistenwochenende“ fand nicht in Schwaben, sondern im Domizil des völkischen „Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V.” in Hohenlohe (Baden-Württemberg) statt.
https://www.belltower.news/exklusiv-aktivistenwochenende-der-identitaeren-in-baden-wuerttemberg-130519/