Medienspiegel 8. Mai 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SCHWEIZ
Heute tagt das Flüchtlingsparlament: «Wir verlangen die gleiche Behandlung aller Geflüchteten»
In Bern tagt heute Sonntag zum zweiten Mal das Schweizer Flüchtlingsparlament. Sie fordern unter anderem die Gleichberechtigung aller Geflüchteter.
https://www.blick.ch/schweiz/heute-tagt-das-fluechtlingsparlament-wir-verlangen-die-gleiche-behandlung-aller-gefluechteten-id17470265.html
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/gleichberechtigung-fuer-alle-fluechtlinge-zweite-fluechtlingssession-im-berner-rathaus-146435093
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/gefluchtete-loben-und-kritisieren-den-schutzstatus-s-66173158
-> https://www.aargauerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/schutzstatus-fluechtlingsparlament-kritisiert-ungleichbehandlung-ld.2286875


Geflüchtete Artistinnen – Ukrainische Flüchtlinge erzählen auf der Bühne vom Krieg
Geflüchtete Artistinnen, Tänzerinnen und Sängerinnen erzählen auf der Bühne in einer Aarauer Industriehalle ihre Fluchtgeschichte.
https://www.srf.ch/news/schweiz/gefluechtete-artistinnen-ukrainische-fluechtlinge-erzaehlen-auf-der-buehne-vom-krieg


+++EUROPA
Gewalt an der Grenze
Stärker abgeriegelt als je zuvor: Autorenkollektiv untersucht das Grenzregime der EU, verzichtet aber auf Staats- und Gesellschaftskritik
https://www.jungewelt.de/artikel/426154.abschottung-gewalt-an-der-grenze.html


+++GASSE
Schreiner-Kunst – Vom Drogensüchtigen zum gefragten Tischler
Seine Jugend verbrachte Roger Jungo in der Drogenszene von Bern und Freiburg. Heute ist der 40-Jährige ein gefragter Kunsthandwerker.
https://www.srf.ch/news/panorama/schreiner-kunst-vom-drogensuechtigen-zum-gefragten-tischler


50-jähriges Jubiläum: Seit 1972 hilft die Stiftung Sucht Menschen mit Abhängigkeitsproblemen
Suchtprobleme sind nicht wegzureden. Auf dem Chratten im solothurnischen Jura finden Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung Unterstützung, um ein selbstständiges Leben zu führen. Zum 50. Jubiläum der Stiftung Sucht war Tele M1 mit dabei.
https://www.telem1.ch/aktuell/50-jaehriges-jubilaeum-seit-1972-hilft-die-stiftung-sucht-menschen-mit-abhaengigkeitsproblemen-146435507


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Kampf um den eigenen Körper: Recht auf Abtreibung wackelt
Der Supreme Court könnte in den USA möglicherweise das Recht auf Abtreibung kippen. Auch in der Schweiz befürchten manche ähnliche Tendenzen.
https://www.blick.ch/politik/kampf-um-den-eigenen-koerper-recht-auf-abtreibung-wackelt-id17470118.html


Ukrainerische Friedensdemo durch die Basler Innenstadt
Mit einer Friedensdemo durch die Basler Innenstadt haben die Ukrainerinnen und Ukrainer in Basel dem Ende des 2. Weltkrieges und dem aktuellen in ihrer Heimat gedacht. Tetjana Polt, Präsidäntin des Ukrainervereins in Basel, nimmt Stellung.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/ukrainerische-friedensdemo-durch-die-basler-innenstadt?id=12187899


Massenschlägerei auf Basler Marktplatz: PKK-Anhänger und Türken prügeln sich an Kinderfest
Ein Kinderfest in Basel endete in einer Massenschlägerei: Eine Gruppe Kurden gingen auf die feiernden Familien los. Die Polizei steht im Einsatz.
https://www.20min.ch/story/pkk-anhaenger-gehen-auf-tuerken-waehrend-kinderfest-los-457989710165
-> https://www.blick.ch/schweiz/basel/eskalation-bei-kinderfest-massenschlaegerei-zwischen-tuerken-und-kurden-in-basel-id17472176.html
-> https://www.nuceciwan104.xyz/en/2022/05/08/kurdish-youth-and-antifascists-in-basel-disrupts-celebration-of-turkish-massacre/
-> https://telebasel.ch/2022/05/08/mehrere-verletzte-bei-massenschlaegerei-auf-marktplatz/?utm_source=lead&utm_medium=grid&utm_campaign=pos%200&channel=105100
-> https://www.bazonline.ch/vogelgrippe-breitet-sich-in-loerrach-aus-177714431135


Telebasel-Talk zum 1. MaiImmer noch angesäuert? Baschi Dürr schweigt die Krawalle klein
Der ehemalige Regierungsrat ist ein hervorragender Moderator. An diesem Sonntag ist seine Darbietung aber nicht von kampfstarker Wildschweinschulter-Qualität. Eine kleine TV-Kritik.
https://www.bazonline.ch/immer-noch-angesaeuert-baschi-duerr-schweigt-die-krawalle-klein-453536740117


+++SPORT
Eingeschlagene Scheiben und Schmierereien: YB-Fans demolieren SBB-Extrazug nach Lugano-Pleite
Zerstörte Scheiben und demolierte Sitze. Nach der Pleite gegen Lugano wüten die YB-Fans im Extrazug zurück nach Bern. Nun laufen Abklärungen bei der Polizei.
https://www.blick.ch/schweiz/bern/eingeschlagene-scheiben-und-schmierereien-yb-fans-demolieren-sbb-extrazug-nach-lugano-pleite-id17472101.html
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/199501/


+++POLIZEI GL
Schusswaffeneinsatz nach Einbruch: Polizei stellt Flüchtige
Nachdem ihr ein Einbruch in ein Ferienhaus gemeldet worden war, errichtete die Kantonspolizei Glarus am Samstagabend am Ausgang des Oberseetals eine Strassensperre.
https://www.tagblatt.ch/news-service/vermischtes-people/glarus-schusswaffeneinsatz-nach-einbruch-polizei-stellt-fluechtige-ld.2286976
-> https://www.watson.ch/schweiz/polizeirapport/655433773-glarner-polizei-schiesst-bei-versuchter-verhaftung-von-verdaechtigen
-> https://www.blick.ch/news/mutmassliche-einbrecher-an-strassensperre-glarner-polizei-schiesst-bei-versuchter-verhaftung-von-verdaechtigen-id17470452.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/wo-man-in-st-gallen-leichen-entsorgen-kann?id=12187902 (ab 02:08)
-> https://www.20min.ch/story/die-schusswaffe-ist-immer-das-letzte-mittel-190201642699


+++RASSISMUS
Austausch über Weisse am «Blackstammtisch»: So denken schwarze Frauen über Rassismus in Luzern
Regelmässig treffen sich in Luzern Schwarze am «Blackstammtisch», um über ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit Rassismus zu reden. Weisse hören hier zu. Und lernen. Wir haben uns dazugesetzt.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/so-denken-schwarze-frauen-ueber-rassismus-in-luzern-2355097/



Sonntagszeitung 08.05.2022

Nachwuchs-König Sinisha Lüscher: Das grösste Schwingertalent wurde schikaniert und ausgegrenzt

Bei den Jungschwingern dominierte er, nun kämpft der 16-Jährige gegen die Elite. Der dunkelhäutige Hüne erlebte Rassismus und sagt: «Ich habe sehr darunter gelitten.»

Philipp Rindlisbacher

Er schluckt etwas Sägemehl und bricht sich beinahe den Arm. In seinem ersten Schwingtraining läuft bei Sinisha Lüscher schief, was schieflaufen kann. 11-jährig ist er, doch trotz missglückter Premiere zieht er die Zwilchhosen bald wieder an. Und sagt seinem Trainer: «Ich will der erste schwarze Schwingerkönig werden.»

Der Aargauer ist der Sohn einer Schweizerin und eines Ghanaers. Er ist einer der ganz wenigen dunkelhäutigen Hünen, die den Nationalsport betreiben. Harald Cropt, halb Schweizer, halb Haitianer, holte wie der Senegalese Dieylani Pouye einige Kränze, beide sind mittlerweile zurückgetreten. Lüscher aber ist erst 16, und er ist weder Grossmaul noch Fantast, wenn er vom Platz auf dem Schwingerthron träumt.

Bei den Junioren ist er die unangefochtene Nummer 1, vergangenen Sommer gewann er in Schwarzenburg den eidgenössischen Nachwuchsschwingertag des Jahrgangs 2006. Ein solcher Triumph mag keine Garantie sein für spätere Erfolge bei den «grossen Bösen». Und doch: Kilian Wenger, Joel Wicki, Remo Käser, Samuel Giger – sie alle hatten einst beim wichtigsten Fest der Jungschwinger reüssiert.

Fussball, Yoga – und tägliche Trainings

Die Gegner in seiner Altersklasse hat Sinisha Lüscher fest im Griff. Letzte Saison gewann er 52 von 54 Gängen, nur einmal wurde er gebodigt. Für einen 16-Jährigen ist er technisch erstaunlich versiert und vor allem muskulös: Rund 105 Kilo wiegt er, was die Postur betrifft, braucht er sich vor den arrivierten Athleten nicht zu verstecken.

Der Teenager ist einer dieser Typen aus der neuen Schwingergeneration, die fast wie Profis trainieren. Er sagt denn auch: «Bei mir dreht sich alles ums Schwingen, meine anderen Termine plane ich darum herum.»

Sieben Einheiten pro Woche absolviert Lüscher, neben Krafttraining setzt er auch auf Yoga. Letzteres mag er nicht wirklich, tut es aber für seine Beweglichkeit. Überdies spielt er einmal pro Woche Fussball, bei den B-Junioren des FC Kölliken gibt er den rustikalen Innenverteidiger, der alles wegräumt. Aber nicht sonderlich begabt ist, wie er selbst mit einem Augenzwinkern sagt. Anders als Bruder Noah, der vom FC Aarau an den Erstligisten Thalwil ausgeliehen ist.
Vollgas – in jeder Trainingseinheit: Sinisha Lüscher hat hohe Ziele, dem Schwingsport ordnet er fast alles unter.

Das Talent im Sägemehl ist hingegen offensichtlich, die Nordwestschweizer Spitzenschwinger Nick Alpiger und Patrick Räbmatter bezeichnen Lüscher als «schwingerisches Juwel». Wobei aller Anfang schwer war – nicht nur aufgrund des missglückten ersten Trainings. Wegen seiner Hautfarbe spürte und erlebte Lüscher Abneigung, er wurde schikaniert, mal weniger, mal mehr. Er sagt: «Ich wurde ausgegrenzt, von ganzen Gruppen. Als ich anfing, war ich der Andere, der einzige Schwarze, mich schaute man mit komischen Augen an. Es war schlimm, ich habe sehr darunter gelitten.»

Er geht auf Konfrontation – mit Erfolg

Immer wieder hat Lüscher abfällige Kommentare anhören müssen. Kamen sie von älteren Herren, sah er auch mal darüber hinweg. «Ihre Denkweisen lassen sich kaum mehr ändern. Aber Sprüche von Jungen? In der heutigen Zeit? Damit habe ich Mühe.» Einmal sagte ein Kontrahent zu Lüscher: «Du bist ein Neger, du darfst nicht zu uns in die Dusche kommen.» Es kam auch vor, dass er in der Garderobe herumgeschubst wurde. Die Schmerzen waren heftig, nicht physisch, aber psychisch.

Doch Lüscher, dessen Vater wieder in Afrika lebt, hat einen Weg gefunden, mit all dem umzugehen. Oft konfrontiert er die Leute direkt mit ihren Aussagen, entgegnet jeweils, er sei hier geboren und ein stolzer Schweizer. Meistens zeige das Gespräch denn auch Wirkung, hält er fest.

Trainer Gregor Bucher sagt, sein Schützling werde wohl für immer der Exot bleiben. «Ein paar Unverbesserliche gibt es heute noch», stellt er klar, wobei die Situation nicht mehr mit jener von früher vergleichbar sei. Eine Zeit lang habe es das Einteilungskampfgericht mit Lüscher nicht sonderlich gut gemeint, er habe ungeachtet der Ausgangslage zumeist besonders starke Gegner vorgesetzt bekommen. «Aber mit seinen starken Leistungen hat er allen gezeigt, dass es nichts bringt, ihn zu plagen.»

Mittlerweile würden abschätzige Bemerkungen fast nur noch hinter seinem Rücken erfolgen, sagt Lüscher. «Ganz normal wird es wohl nie sein, damit muss ich leben können.» In der Sekundarschule befasst sich sein Abschlussprojekt mit dem Thema Rassismus im Sport, für einen Podcast hat er neben dem einstigen Schwinger Cropt auch Simon Sohm, Fussballprofi bei Parma, gewinnen können.

Das Eidgenössische – ein realistisches Ziel

Lüscher will aber nicht primär mit Worten, sondern mit sportlichen Taten aufhorchen lassen. Altersbedingt darf er erst in dieser Saison gegen die Grossen ran, am Basellandschaftlichen Kantonalschwingfest vom Sonntag in Oberwil nimmt er erstmals an einem Kranzfest teil.

Den Gewinn von Eichenlaub (Rang in den ersten 15 Prozent der Rangliste) halten sowohl Coach Bucher als auch Guido Thürig, der technische Leiter des Nordwestschweizer Teilverbandes, für möglich. An einem Vorbereitungsfest in Brunegg kämpfte Lüscher im März gar um die Teilnahme im Schlussgang, nach Platz 6 meinte er, nicht das Optimum herausgeholt zu haben.

«So ist er», sagt Bucher, «Sinisha ist extrem ehrgeizig. In den fünf Jahren, in denen er schwingt, hat es nicht ein Training gegeben, in dem er nicht Vollgas gegeben hat.» Lüscher sei fordernd, erzählt Bucher, aber auch sehr reif für sein Alter. So hilft er bereits beim Ausbilden der jüngsten Schwinger mit.

Lüscher, der im Sommer mit der KV-Lehre beginnt, will von den Besten lernen, das betont er mehrmals im Gespräch. Alpiger und Kilchberg-Sieger Samuel Giger sind seine Vorbilder, und gerade Letzterer sei mit 16 schon deutlich weiter gewesen als er, sagt der Sennenschwinger.

Der Nordwestschweizer Teamchef Thürig aber hat Lüscher bereits in sein 35 Mann starkes Kader integriert. 29 Startplätze stehen dem Teilverband fürs Eidgenössische Ende August in Pratteln zur Verfügung, Thürig hält Lüschers Qualifikation für den Saisonhöhepunkt durchaus für möglich. Es wäre ein erster kleiner Schritt auf seiner königlichen Mission.
(https://www.tagesanzeiger.ch/das-groesste-schwingertalent-wurde-schikaniert-und-ausgegrenzt-568852554594)


+++RECHTSPOPULISMUS
Affäre um beschlagnahmte Luxusuhren«Hinreichender Tatverdacht» gegen Roger Köppel
Die Bundesanwaltschaft erhebt detaillierte Vorwürfe gegen den SVP-Nationalrat. Am Mittwoch muss er vor der Immuni¬täts¬kommis¬sion antraben.
https://www.derbund.ch/hinreichender-tatverdacht-gegen-roger-koeppel-777966440148


+++RECHTSEXTREMISMUS
Die Rückkehr des Faschismus
Der Schrecken des Faschismus ist Geschichte. Dass er zurückkehrt: unvorstellbar. Das ist ein Irrtum, sagt der britische Wirtschaftswissenschaftler, Journalist und Aktivist Paul Mason in seinem Buch „Faschismus. Und wie man ihn stoppt“.
https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/ttt-titel-thesen-temperamente-2750.html
-> https://www.suhrkamp.de/buch/paul-mason-faschismus-t-9783518029770


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Wie gefährlich ist Xavier Naidoos Telegram-Kanal? | Die Spur
Xavier Naidoo galt lange als die wichtigste Identifikationsfigur für Verschwörungsideologen und ebnete so vielen Menschen den Weg in krude Parallelwelten. Noch 2021 machte er Musik mit Rechtsextremen, leugnete die Corona-Pandemie und äußerte sich antisemitisch. Für die Verbreitung seiner Thesen nutzte er Telegram, ein Messenger-Dienst, der sich bisher staatlichen Regulierungen in Deutschland entziehen konnte.
https://www.youtube.com/watch?v=JdzbwxP6L18


+++HISTORY
Eizenstat-Bericht vor 25 Jahren: Wie die Schweiz sich an Nazi-Raubgold bereicherte
Am 7. Mai 1997 veröffentlichte der amerikanische Spitzenbeamte Stuart Eizenstat einen Bericht, aus dem hervorging, was für schmutzige Geschäfte die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs mit Nazi-Deutschland getrieben hatte. Dabei ging es um Gold – von Holocaust-Opfern und den Bewohnern der besetzten Länder.
https://www.deutschlandfunk.de/schweiz-nazi-gold-eizenstat-bericht-100.html



Sonntagszeitung 08.05.2022

Wie Dürrenmatt RAF­-Terroristen die Leviten las

Der Schweizer Starautor wurde 1970 von einem Anhänger der Baader-Meinhof-Gruppe kontaktiert, der Geld für die Flucht des RAF-Anführers sammelte. Nun ist das Protokoll von Dürrenmatts Einvernahme aufgetaucht.

Andreas Tobler

Ausgerechnet an einem Pfingstsonntag erhielt Friedrich Dürrenmatt einen Anruf eines Baader-Meinhof-Sympathisanten. Also von jener Gruppierung, die in den 1970er-Jahren als Rote Armee Fraktion (RAF) mit mehreren Sprengstoffanschlägen und Toten eine Blutspur in der deutschen Geschichte hinterlassen und ganz Europa in Angst und Schrecken versetzt hat.

Von Dürrenmatt wollte der Anrufer damals im Mai 1970 eigentlich nur eines: Geld. Dafür war Günter V. in die Schweiz gekommen: Um bei «liberal denkenden Menschen» für die Flucht von Andreas Baader nach Chile zu sammeln – insgesamt 6000 Mark. Für Reisepässe, aber auch für eine Gesichtsoperation, damit der Anführer der Terrorbande unerkannt untertauchen konnte.

Andreas Baader? Noch nie gehört.

Friedrich Dürrenmatt hatte keine Ahnung, wovon die Rede war. Andreas Baader? Noch nie gehört. Auch sonst kam ihm die Sache merkwürdig vor. Er bat um einen zweiten Anruf am folgenden Tag, um sich über die Baader-Meinhof-Gruppe informieren zu können. Aber auch, damit der Terrorhelfer nicht auf die Idee kam, Dürrenmatt bei sich zu Hause in Neuenburg zu besuchen.

Wir wissen das alles so genau, weil ich bei meiner Arbeit an meinem Buch über die linksanarchistische Gruppe Bändlistrasse – gerade eben erschienen im Echtzeit-Verlag – einen überraschenden Fund gemacht habe: Im Schweizerischen Bundesarchiv fand ich ein Vernehmungsprotokoll der Neuenburger und der Berliner Polizei, das eine Woche nach dem Anruf des Terrorsympathisanten bei Dürrenmatt zu Hause aufgenommen wurde.

Das bisher unveröffentlichte Protokoll ist ein einzigartiges Dokument – nicht zuletzt, weil es von Dürrenmatts Sekretärin auf Papier der Neuenburger Kantonspolizei getippt wurde, was wohl nicht der üblichen Praxis einer Einvernahme entspricht.

«Ist das nicht unser Günter V.?»

Zum Verhör des Schweizer Starautors kam es, weil Günter V. noch in der Nacht nach seinem zweiten Dürrenmatt-Anruf in einem Hotel in Basel verhaftet werden konnte: «Ist das nicht unser Günter V.?», soll die Verwalterin des Hotels gerufen haben, als sie am Fernsehen das Fahndungsbild des Baader-Meinhof-Sympathisanten sah. Die Hotelverwalterin war sich unsicher, ihr Gast war viel korpulenter als auf dem Fahndungsbild.

Eine andere TV-Zuschauerin kam ihr zuvor und alarmierte die Polizei: Kurz nach der Ausstrahlung wurde Günter V. im Basler Hotel verhaftet.

Zeugen hörten Telefongespräch mit

Die deutsche Polizei fahndete damals intensiv nach den Angehörigen der Baader-Meinhof-Gruppe, die am 14. Mai 1970 – also drei Tage vor dem Anruf bei Dürrenmatt – ihren Anführer mit Schusswaffen aus dem Lesesaal des Berliner Zentralinstituts für soziale Fragen befreit hatten, wo er unter Polizeibewachung zusammen mit Ulrike Meinhof Dokumente für ein Buchprojekt einsehen konnte.

Die Baader-Befreiung, bei der es mehrere Verletzte gab, gilt heute als Geburtsstunde der RAF. Zwölf Tage danach kam die Polizei bei Friedrich Dürrenmatt zu Besuch: Zeugen hatten Günter V.s Telefonate mit Dürrenmatt mitgehört – und den «Blick» informiert, der darauf gross über den Kontakt zwischen dem Schweizer Autor und dem deutschen Terroristen berichtete.

Dürrenmatt spöttelte über die «harten Burschen» der RAF

Dafür interessierte sich auch die Polizei. Dürrenmatt gab ihr bereitwillig Auskunft: Als Günter V. bei ihm anrief, habe er den Eindruck gehabt, er telefoniere mit einem «sympathischen Menschen, der sich in einer Notlage befand». Tatsächlich soll Günter V. gesagt haben, er werde «umgelegt», wenn er sich von den gewaltbereiten Linken abwende. So steht es in Dürrenmatts Einvernahmeprotokoll.

Seine Sympathien für den Anrufer hinderten Dürrenmatt aber nicht daran, Günter V. die Leviten zu lesen: Der Schweizer Dramatiker fand es absurd, dass sich die Terroristen als «harte Burschen» ausgaben, aber zu weich waren, um die zweieinhalb Jahre Haft durchzustehen, die Andreas Baader wegen Kaufhaus-Brandstiftungen drohten.

Für Dürrenmatt war Gewalt nur berechtigt, wenn es keinen anderen Weg mehr gab, um ein politisches Ziel zu erreichen. Aber das sei bei den Aktionen von Baader-Meinhof ganz klar nicht der Fall: ihre Gewaltanwendung sei ohne berechtigten Zweck, daher letztlich «verbrecherisch», gab Dürrenmatt der Berliner und der Neuenburger Polizei zu Protokoll.

Sein Rat an Günter V. war denn auch klar: «Ich sagte ihm, seine Gruppe befinde sich in einer Sackgasse.» Das «einzig Vernünftige» wäre es, wenn sich Baader stellen würde, und wenn er Angst davor habe, sich in Deutschland zu stellen, dann «solle er sich den Schweizerbehörden stellen», meinte Dürrenmatt.

Ulrike Meinhof schreibt über Dürrenmatt-Kontakt

Das Gespräch zwischen Dürrenmatt und Günter V. sollte später eine gewisse Berühmtheit erlangen, weil Ulrike Meinhof es in der ersten Programmschrift der RAF erwähnte: «Viele Genossen verbreiten Unwahrheiten über uns», schreibt Meinhof da. «Sie machen sich damit fett, dass wir bei ihnen gewohnt hätten, dass sie über Kontakte informiert wären, über Wohnungen, dass sie was für uns täten, obwohl sie nichts tun.»

Manche wollten damit nur zeigen, dass sie «in» sind, schreibt Meinhof. «So hat es Günter V. erwischt, der sich gegenüber Dürrenmatt zum Baader-Befreier aufgeblasen hatte, was er bereut haben wird, als die Bullen kamen», so Meinhof in «Das Konzept Stadtguerilla», das im April 1971 veröffentlicht wurde.

Fahrt über den Bodensee, «um mit Dürrenmatt zu verhandeln»?

Die Erwähnung Dürrenmatts in der «Stadtguerilla»-Schrift könnte ein Grund gewesen sein, warum auch später von Kontakten der RAF mit dem Schweizer Dramatiker die Rede war: Ende September 1971 – also mehr als ein Jahr nach den Anrufen von Günter V. – sollen zwei RAF-Terroristen illegal mit einer «Motorgondel» über den Bodensee gefahren sein, «um mit Dürrenmatt zu verhandeln». So steht es in Dürrenmatts Fiche.

Bei diesen Verhandlungen mit Dürrenmatt soll wieder der ein Jahr zuvor in Basel verhaftete Günter V. involviert gewesen sein. Wie die Bundespolizei darauf kam, wirkt ziemlich abenteuerlich: In den Akten der Thurgauer Polizei ist von drei Personen die Rede – zwei Männern und einer Frau –, die im deutschen Hemmenhofen ein Ruderboot mit Aussenbordmotor gemietet hatten, das sie darauf nicht mehr zurückgaben – und das schliesslich am Bootssteg eines Hotels bei Steckborn gefunden wurde.

Der Bundespolizei wirds zu abenteuerlich

Einen Zusammenhang zwischen dem Bootsdiebstahl und der Baader-Meinhof-Bande ergab sich für die Polizei, weil der Bootsvermieter die Frau des Diebesduos «zweifelsfrei» als eine gesuchte RAF-Terroristin identifizierte, als man ihm ein Fahndungsfoto der damals 23-jährigen Deutschen zeigte. In diesem Zusammenhang scheint sich ein Beamter der Bundespolizei daran erinnert zu haben, dass es mal Kontakte mit einem Baader-Meinhof-Sympathisanten gab – und schon war in der Fiche von «Verhandlungen» zwischen Dürrenmatt und der RAF die Rede.

Das war sogar der Polizei bald etwas zu abenteuerlich: Nachdem sie die Namen der RAF-Terroristin in den Meldezetteln von Dürrenmatts Wohnkanton Neuenburg nicht gefunden hatte, stellte sie ihre Ermittlungen wieder ein. Mit Dürrenmatt werde diesmal «kein Kontakt aufgenommen», heisst es darauf in der Fiche.

Vielleicht mal bei Max Frisch anrufen?

Wahrscheinlich wären die RAF-Sympathisanten erfolgreicher gewesen, wenn sie bei einem anderen Schweizer Autor angerufen hätten: bei Dürrenmatts Dauerrivalen Max Frisch. Der war nämlich viel offener, wenn es um die sogenannte Gewaltfrage ging: In seinem zweiten Tagebuch, das die Jahre 1967 bis 1971 umfasst, diskutiert Frisch in vier Selbstgesprächen ausführlich die Frage, unter welchen Bedingungen die Anwendung von Gewalt legitim ist, um politische Ziele zu verfolgen.
Miteinander befreundete Dauerrivalen: Im Laufe der 1970er Jahre näherte sich Max Frisch in der Diskussion über den Linksterrorismus der Position von Friedrich Dürrenmatt an.

Den Höhepunkt erreicht Frischs Nachdenken über die Gewaltfrage im dritten von vier Verhören, in dem er auf den Fall Bührle eingeht, der damals hohen Wellen warf: 1968 war Dieter Bührle, Sohn des Firmengründers Emil G. Bührle, wegen unerlaubter Waffenexporte in Kriegsgebieten vom Bundesgericht zu acht Monaten plus Geldstrafe verurteilt worden.

Drohung mit Sprengstoffanschlag – «was würdest du dazu sagen?»

Für viele Linke war das ein Unding: Wegen des milden Urteils kam es zu Strassendemonstrationen, auch vor dem Zürcher Kunsthaus, wo heute Bilder aus Emil G. Bührles Kunstsammlung gezeigt werden. «Einmal angenommen: eine Gruppe von Leuten, die sich auf die Handhabung von Waffen verstehen, besetzen die Fabriken in Oerlikon und drohen mit Sprengung der Anlagen des Bührle-Konzerns, falls das Geschäft mit dem Krieg nicht verboten wird – was würdest du dazu sagen?», fragte Frisch sich selbst im Tagebuch-Verhör.

Seine Antwort: Er denke nicht, «dass der Bührle-Konzern sich auf Tolstoi berufen könnte», der jede Anwendung von Gewalt verurteilte. Zur Gewaltanwendung gehörte für Tolstoi auch ein Krieg, an dem sich Bührle – gemäss Frischs Auffassung – mit der Lieferung von Waffen beteiligt hatte.

Mit Helmut Schmidt im Kanzlerbungalow

Bei Max Frisch braucht es mehrere Jahre – und auch mehrere RAF-Tote –, bis er zu einem Umdenken kam. Am 16. Oktober 1977 sass er mit seinem Verleger Siegfried Unseld und seinen Autorenkollegen Heinrich Böll und Siegfried Lenz im Bungalow des deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt in Bonn, als dieser die schwierigsten Stunden seiner Kanzlerschaft durchlebte: Palästinensische Terroristen hatten mit der «Landshut» eine Lufthansa-Maschine mit etwas mehr als 80 Passagieren an Bord entführt, um damit Gudrun Ensslin, Andreas Baader und die anderen RAF-Gefangenen aus dem Hochsicherheitsgefängnis von Stammheim freizupressen.

Helmut Schmidt war offensichtlich nicht entgangen, dass Frisch in seinem Tagebuch über die Gewaltfrage nachgedacht hatte. Aber genau das war es, was ihn im Oktober 1977 am Schweizer Autor interessierte: Der deutsche Bundeskanzler nahm an, «dass Frisch die Motive jener überwiegend noch jugendlichen Täter vielleicht besser verstände als wir in Parlament und Regierung».

Deshalb lud Schmidt zum Autorengespräch in den Kanzlerbungalow, wobei er sich während der insgesamt fünfstündigen Diskussion wiederholt verabschiedete, um sich mit seinem eigentlichen Krisenstab über das weitere Vorgehen zu sprechen.

«Will er uns als Zeugen, (falls alles schiefgeht)?»

Max Frisch war die Übungsanlage etwas unheimlich: «Will er uns als Zeugen, (falls alles schiefgeht)?», heisst es in seinen Notizen zum abendlichen Treffen. Im Gespräch mit Schmidt zeigte sich Frisch aber durchaus selbstsicher: Er vertrat die These, dass der Terrorismus mit dem «Verlust transcendenter Ziele in unserer Gesellschaft» zu erklären sei. Bekämpfbar sei der Terrorismus nur, «wenn auf Menschenhandel nicht eingegangen wird; d.h. die Aktion bleibt Mord – ohne politische Effizienz».

Damit hatte sich Frisch Friedrich Dürrenmatt angenähert, der auch im Deutschen Herbst bei seinen früh gefassten Überzeugungen blieb: Im September 1977 hatte Dürrenmatt sich an einer Umfrage von Roger Schawinskis Zeitung «Die TAT» beteiligt, wie mit dem Terrorismus umgegangen werden sollte, nachdem die RAF den deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer entführt hatte.

Dürrenmatt war entschieden dagegen, dass man auf die Forderungen der RAF einging: Für ihn waren die Terroristen keine politischen Überzeugungstäter, sondern lediglich Kriminelle, die mit ihren Aktionen einen «Machtrausch» erleben wollten. Daher war für ihn auch klar, dass man den RAF-Terroristen keinen Schritt entgegenkommen dürfe. «Schleyer muss geopfert werden!», lautete die Überschrift von Dürrenmatts Beitrag zur Debatte. Und so kam es denn auch: Hanns Martin Schleyer wurde am 18. Oktober 1977 von der RAF umgebracht, am gleichen Tag begingen Andreas Baader und Gudrun Ensslin Suizid im Gefängnis von Stammheim.



Der Autor dieses Artikels liest am Montag, 9. Mai, im Zürcher Kaufleuten aus seinem Buch über die linksanarchistische Gruppe Bändlistrasse, die Kontakte zur RAF hatte. Als Zeitzeuge zu Gast ist der Filmemacher Paul Riniker. Moderiert wird das Podium von Mario Stäuble, Co-Chefredaktor des «Tages-Anzeigers». Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier. Leserinnen und Leser der Tamedia-Zeitungen erhalten hier das Buch für 26 statt 29 Franken.
(https://www.tagesanzeiger.ch/wie-duerrenmatt-raf-terroristen-die-leviten-las-686704393372)