Medienspiegel 6. Mai 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Gastro-Jobs für ukrainische Flüchtlinge: GastroBern will Arbeitssuche erleichtern
Ukrainische Flüchtlinge sollen nach ihrer Ankunft in der Schweiz auch wieder Geld verdienen können. Ein spezielles Meldeformular von GastroBern ist seit heute online. Diese soll die Arbeitssuche für ukrainische Flüchtlinge vereinfachen.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/gastro-jobs-fuer-ukrainische-fluechtlinge-gastrobern-will-arbeitssuche-erleichtern-146415818


+++LUZERN
luzernerzeitung.ch 06.05.2022

«Auch in Syrien und Afghanistan fallen Bomben» – Luzerner Forschende orten Handlungsbedarf im Asylbereich

Ein neues Handbuch der Hochschule Luzern richtet sich an Fachpersonen aus dem Asyl- und Flüchtlingsbereich. Die Autoren schlagen unter anderem vor, den Status F zu überdenken.

Reto Bieri

Bald sind gegen 50’000 Menschen vor dem Krieg in der Ukraine in die Schweiz geflüchtet. Auch aus vielen anderen Ländern suchen Menschen hierzulande Schutz. Für sie alle gelten gleichermassen die Grund- und Menschenrechte. Das heisst konkret, ihre Würde ist zu achten und zu schützen, ungeachtet ihrer Nationalität, Religion, Hautfarbe oder sexueller Orientierung. Doch nicht immer werden diese Rechte eingehalten. Die Hochschule Luzern Soziale Arbeit hat nun ein Handbuch herausgegeben, welches auf diese Probleme hinweist – und insbesondere Handlungsempfehlungen für jene formuliert, die im Asylbereich tätig sind. Das sind diverse Berufsgruppen; nebst den Behörden auch Juristen, Verwaltungsangestellte, Sicherheitspersonal oder Sozialarbeiterinnen.

Der Anstoss für das Handbuch sei denn auch aus dem Kreis dieser Berufe gekommen, «also aus der Praxis, weshalb sich das Handbuch an diese richtet», sagt Gülcan Akkaya, Hauptautorin und Dozentin am Institut für Soziokulturelle Entwicklung: «Im Asylbereich wird man oft mit Problemen konfrontiert, bei denen es keine einfachen Lösungen gibt. Wir wollen deshalb eine praktische Orientierungshilfe geben.»

Das Buch fülle eine Lücke, ergänzt Mitautor und Anwalt Peter Frei, der auf Migrationsrecht spezialisiert ist, «weil es stark auf die konkrete Arbeitssituationen sozial tätiger Personen fokussiert».

So besteht fast die Hälfte der 187-seitigen Publikation aus 32 realen Fallbeispielen aus der Praxis. Zahlreiche Interviews mit Fachpersonen aus der Asyl- und Flüchtlingsarbeit in verschiedenen Kantonen und Städten wurden geführt. Drei Jahre hat das dreiköpfige Autorenteam am Buch gearbeitet.

So geht es bei einem Fallbeispiel um eine syrische Familie, die Asyl beantragt. Die 19-Jährige ist schwanger und hat den Verlust ihres Mannes zu verkraften, der vor ihren Augen hingerichtet wurde. Die traumatisierte Frau wird getrennt von ihren Eltern und der 16-jährigen Schwester in einem anderen Bundesasylzentrum untergebracht, da sie aufgrund ihrer Volljährigkeit nicht mehr zur Kernfamilie gehört. Die Autoren schreiben, die Umplatzierung sei rechtlich zwar zulässig, die Trennung erscheine aber angesichts der Traumatisierung der jungen Frau kaum sinnvoll.

In einem anderen Fall arbeitet ein vorläufig Aufgenommener (Status F) seit einigen Jahren als Küchenhilfe, spricht inzwischen sehr gut Deutsch und wird im Gastro-Team geschätzt. Eine Ausbildung kann er aber nicht beginnen, weil die direkte Vorgesetzte befürchtet, der Mann müsse bald ausreisen. Die Ausbildung lohne sich deshalb nicht.

Wegen Ukraineflüchtlingen den Status F überdenken

Akkaya und Frei bezeichnen denn auch den Status F als eine Schwachstelle im aktuellen Schweizer Asylsystem. Das Wort «vorläufig» sei unglücklich gewählt, verwirrlich und löse in der Praxis viele Irritationen aus, wie im beschriebenen Fallbeispiel. «Fakt ist, dass die grosse Mehrheit der vorläufig Aufgenommenen Jahre oder Jahrzehnte bleibt», sagt Frei. Darüber wissen viele Arbeitgeber nicht Bescheid. Bund und Kantone hätten dies inzwischen erkannt und im Januar 2019 ein vereinfachtes Meldeverfahren eingeführt.

Im Zusammenhang mit den Flüchtlingen aus der Ukraine sehen die Autoren eine Gelegenheit, den Status F zu überdenken und anzupassen. Geflüchtete aus der Ukraine erhalten den zum ersten Mal überhaupt angewandten Schutzstatus S, der vorübergehenden Schutz gewährt. Zusätzlich hat der Bundesrat Lockerungen beschlossen. So können ukrainische Geflüchtete sofort Arbeit suchen statt erst nach drei Monaten. Peter Frei begrüsst den Schutzstatus S zwar, dennoch sei eine «frappante Ungleichbehandlung im Gang, die viele Leute sehr belastet. Ich erhalte zum Beispiel entsprechende Rückmeldungen aus kosovarischen Gemeinschaften.» So können Ukrainerinnen und Ukrainer frei im Schengenraum umherreisen, Angehörige in die Schweiz bringen und ihre Kinder können zur Schule gehen. Frei: «Das ist bei vorläufig Aufgenommenen nicht der Fall, obwohl ihre Situation identisch ist. Auch in Syrien und Afghanistan fallen Bomben.»

Vorläufig Aufgenommene erhalten laut Akkaya zudem weniger Asyl-Sozialhilfe, als die Skos-Richtlinien vorgeben. «Ihre Kinder können dadurch nicht an Freizeitaktivitäten teilnehmen und sind vom sozialen Leben ausgeschlossen.» Noch prekärer sei die Situation für abgewiesene Asylbewerber. «Um ihnen das Leben schwer zu machen, erhalten sie bloss Nothilfe, das sind 8.50 Franken pro Tag», kritisiert Akkaya, die von 2008 bis 2019 Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus war. Nothilfe sei für einen kurzen Zeitraum gedacht, manche Menschen lebten aber Jahrzehnte in den Nothilfestrukturen. Das führe dazu, dass sich Familien oft nicht gesund ernähren können.

Handlungsbedarf sehen die beiden Autoren auch in weiteren Bereichen. Zum Beispiel bei der Unterbringung in kollektiven Unterkünften, wo in vielen Fällen die Privatsphäre nicht beachtet werde. Ein Dorn im Auge sind Gülcan Akkaya abgelegene, schlecht an den ÖV angeschlossene Asylzentren, namentlich nennt sie den Glaubenberg im Kanton Obwalden. «Man schottet die Migrantinnen und Migranten von Familie und Freunden ab, aber auch von der Möglichkeit zu arbeiten.»

Ein weiteres Problem sei bezahlbarer Wohnraum. Zudem seien viele Flüchtlinge traumatisiert. «Die Behandlungszentren für Folteropfer sind chronisch überlastet, Zugang zu Psychiatern zu finden, ist schwierig», so Akkaya. Die Überlastung der Psychiatrie habe sich während der Coronapandemie bekanntlich noch verschärft.

Kinder werden nicht eingeschult

Probleme gebe es auch bei den unbegleiteten Minderjährigen. «Kinder im Asylverfahren werden häufig nicht eingeschult. Dabei gewährt unsere Verfassung das Recht auf Bildung», sagt Peter Frei. Aus Spargründen komme es zudem vor, dass Flüchtlinge von Personen betreut werden, die keine sozialpädagogische Ausbildung haben. Auch im Kanton Luzern sei dies der Fall, sagt Frei. Mängel ortet Gülcan Akkaya zudem bei Asylverfahren, in die Kinder und Jugendliche involviert sind. Deren Anhörung komme zu kurz. «Und dies, obwohl auch die Schweiz die Kinderrechtskonvention der UNO ratifiziert hat», betont sie.



Hochschule bietet Weiterbildungen an

Das vorliegende Handbuch «Grund- und Menschenrechte in der Asyl- und Flüchtlingsarbeit» reiht sich ein in eine Serie von bislang vier Publikationen der Hochschule Luzern, die in den vergangenen zehn Jahren rund um die Rechte von benachteiligten Menschen erschienen sind. Das Handbuch ist im Handel erhältlich oder kann beim Interact Verlag bestellt werden. Als zusätzliches Angebot will die Hochschule zudem für im Asylbereich tätige Personen Weiterbildungen anbieten.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/hochschule-luzern-auch-in-syrien-und-afghanistan-fallen-bomben-luzerner-forschende-orten-handlungsbedarf-im-asylbereich-ld.2285137)


+++ZÜRICH
Auch zwei Monate nach Kriegs-Ausbruch ist die Solidarität in Zürich hoch mit Ukrainerinnen, sagen Hilfswerke. (ab 04:44)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/das-schaffhauser-polizei-und-sicherheitszentrum-wird-teurer?id=12187437


+++SCHWEIZ
Ärger über Amtsschimmel: Beamte reissen Flüchtlinge aus ihren Gastfamilien!
Schon 46’000 aus der Ukraine geflohene Menschen sind in der Schweiz, meist Frauen und Kinder. Die Solidarität der Bevölkerung ist noch immer gross. Aber nun nimmt der Bund Gastfamilien Flüchtlinge weg und teilt sie anderen Kantonen zu. Dagegen laufen die Kantone Sturm.
https://www.blick.ch/politik/aerger-ueber-amtsschimmel-beamte-reissen-fluechtlinge-aus-ihren-gastfamilien-id17464940.html


Ukraine: Bundesrätin Karin Keller-Sutter dankt den Kantonen für die gute Zusammenarbeit
Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat heute an der Plenarversammlung der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) teilgenommen. Sie nutzte die Gelegenheit, um den Kantonen für die gute Zusammenarbeit bei der Unterbringung und Betreuung der Geflüchteten aus der Ukraine zu danken und sich über die damit verbundenen Herausforderungen auszutauschen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-88667.html


Ukrainerinnen in der Schweiz – Lässt man Private mit den Geflüchteten im Stich?
Helfer sprechen von einem Behördenmarathon. Die Vorsteherin des Staatssekretariats für Migration SEM nimmt Stellung.
https://www.srf.ch/news/schweiz/ukrainerinnen-in-der-schweiz-laesst-man-private-mit-den-gefluechteten-im-stich


Vom Krieg ins Puff: Zoran* lockt Ukrainerinnen ins Bordell – wir stellen ihn zur Rede
Eine 20-Minuten-Recherche zeigt, dass Männer in der Schweiz die Not von geflüchteten Frauen aus der Ukraine ausnutzen, indem sie beispielsweise Wohnungen gegen sexuelle Dienste anbieten. Im zweiten Teil der Reportagen-Serie überführen wir mithilfe eines Lockvogels Zoran*, der Frauen in die Erotikbranche lockt.
https://www.20min.ch/video/zoran-lockt-ukrainerinnen-ins-bordell-wir-stellen-ihn-zur-rede-167040503376


+++DEUTSCHLAND
»Ich kann gerade nicht träumen«
Drittstaatsangehörige, die aus der Ukraine fliehen, bekommen in Deutschland derzeit nur in bestimmten Fällen temporären Schutz
Marc und Jean Jacques lebten seit zehn Jahren in Odessa. Esther und Eddie Queen studierten Medizin in Uschgorod und Poltawa. Die Flucht führt sie nach Berlin, wo ihnen jegliche Zukunftsperspektive verweigert wird.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1163557.flucht-aus-der-ukraine-ich-kann-gerade-nicht-traeumen.html


+++EUROPA
Umstrittene Grenzschutzagentur: Europaparlament stimmt gegen Entlastung von Frontex-Haushalt
Das EU-Parlament hat Zweifel an der Haushaltsführung der umstrittenen Grenzschutzagentur Frontex. Die Abgeordneten lehnten eine Entlastung des Etats deshalb vorerst ab.
https://www.spiegel.de/ausland/frontex-eu-parlament-stimmt-gegen-entlastung-von-haushalt-a-1432d5ce-c28e-4c23-891a-0ea72415c8be


+++DROGENPOLITIK
Staatlich konzessionierter Marihuana-Anbau im Aargau – Rendez-vous
Im Rahmen der ersten Schweizer Cannabis-Studie dürfen in Basel ab Herbst 400 Personen legal Marihuana rauchen. Den «Stoff» für die Studie liefert die Aargauer Firma Pure Holding. Sie wird zukünftig ausgewählte Basler Apotheken mit THC-Hanf beliefern. Ein Besuch in der Firma.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/staatlich-konzessionierter-marihuana-anbau-im-aargau?partId=12187374


Europol-Drogenreport: 3,5 Millionen Europäer haben 2021 gekokst
In Europa wird mehr Kokain angeboten als je zuvor. Das geht aus dem neuen EU-Drogenreport hervor. Ermöglicht wird die Zunahme durch verstärkten Schmuggel aus Südamerika – und neue Geschäfte in Europa.
https://www.spiegel.de/ausland/europol-drogenreport-3-5-millionen-europaeer-haben-2021-gekokst-a-8825cac0-04d5-4fcb-9626-6b6c60637bfa


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
1. Mai 2022 in Basel
Communique vom Revolutionären 1. Mai Bündnis Basel
Am 1. Mai nahmen wir uns in Basel mit einer starken Demonstration die Strasse! Mit 1500 Menschen zogen wir unter der Parole «Kapitalismus bedeutet Krieg und Krise – Für eine revolutionäre Perspektive» als Antikapitalistischer Block durch die Stadt. An der Demonstration nahmen auch Basisgewerkschaften teil und es gab den grossen Sans-Papiers Block. Im Anschluss an die Demo fand auf dem Theodorskrichpaltz ein revolutionäres 1.Mai Fest statt, wo es Austausch, Infostände und einige Reden gab.
https://barrikade.info/article/5160


Graffitis auf der Ufenau: Sprayer Harald Nägeli schlägt wieder zu
Die 82-jährige Graffiti-Legende Harald Nägeli hat wieder zugeschlagen. Der Künstler hat seine weltberühmten Strichmännchen an die heiligen Mauern der Pfarrerkirche auf der Insel Ufenau gesprayt. Was steckt dahinter? TeleZüri geht dieser Frage nach.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/graffitis-auf-der-ufenau-sprayer-harald-naegeli-schlaegt-wieder-zu-146415710
-> https://www.zsz.ch/harald-naegeli-sorgt-fuer-einen-graffiti-coup-auf-der-ufenau-686293031617
-> https://www.blick.ch/schweiz/was-passiert-jetzt-mit-harald-naegelis-graffiti-auf-kirchenmauer-der-sprayer-von-zuerich-hat-wieder-zugeschlagen-id17467997.html



Basler Zeitung 06.05.2022

Basler Polizeikommandant Martin Roth: «Unser Einsatz am 1. Mai war kein Ruhmesblatt»

Der Kommandant der Basler Polizei räumt im Nachgang zum 1. Mai Fehler ein. Er versteht die Wut von Regierungsrätin Stephanie Eymann und kündigt bei Vandalismus eine härtere Gangart an.

Marcel Rohr

Herr Roth, am 1. Mai hat der Schwarze Block in der Basler Innenstadt ungehindert gewütet. Hat die Basler Polizei versagt?

Der letzte Sonntag hat gezeigt, dass Erfolg und Misserfolg sehr nahe beieinander liegen können. Am Abend hatten wir mit dem Match FCB – FCZ einen sehr erfolgreichen Polizeieinsatz, jener am Mittag in der Innenstadt war kein Ruhmesblatt. Aufgrund der letzten Jahre haben wir damit gerechnet, dass der 1. Mai friedlich verläuft. Tatsächlich sind wir von der Gewalteskalation des Schwarzen Blocks überrascht worden.

Also hat die Polizei versagt.

Das ist die falsche Formulierung. Unser Einsatz beginnt mit einer Lagebeurteilung, die auf Erfahrungswerten der Vergangenheit basiert. Der 1. Mai war in Basel nicht bekannt für Vandalismus und Gewalteskalation. Über allem steht die Verhältnismässigkeit. Stellen Sie sich vor – im Demonstrationszug vom 1. Mai hatten wir Kinder und ältere, gebrechliche Leute dabei.

Waren zu wenige Polizisten im Einsatz, weil am Abend das FCB-Spiel gegen Zürich stattfand?

Nein, das hat damit nichts zu tun. Wir schätzen jedes Ereignis separat ein. Aber wir müssen festhalten, dass wir das Dispositiv der Beamten sowie die Taktik anders hätten wählen sollen.

Was heisst das?

Mit dem heutigen Wissensstand wären wir mit mehr Beamten vor Ort gewesen. Und wir hätten uns anders aufgestellt – offensiver. Wir wären sichtbarer geworden. Das machen wir in der Regel eher selten, weil wir sofort aggressiver wirken.

Ihr Polizeisprecher sagte nach dem Saubannerzug, ein Eingreifen der Polizei wäre «unverhältnismässig» gewesen. Können Sie das erklären?

Verhältnismässigkeit ist eine Güterabwägung. Sie ist eines der wichtigsten Polizei-Prinzipien in einem Rechtsstaat. Wir vergelten Unrecht nicht mit Unrecht. Das Risiko, dass am Sonntag friedliche Teilnehmer des Umzugs verletzt worden wären, war grösser als der zu verhindernde Schaden. Das war die Güterabwägung vor Ort.

Und die wird harsch kritisiert! Auf Bildern sind Chaoten zu sehen, die seelenruhig mit einem Hammer in der Hand durch die Stadt laufen und Scheiben zertrümmern.

Jeder Person, die wir festnehmen lassen, müssen wir klar beweisen können, dass sie mit einem Hammer eine Scheibe einschlagen wollte. Bei derart aggressiven Menschen ist das Risiko sehr hoch, dass die Situation eskaliert und es Verletzte gibt. Wir haben am 1. Mai zwei Personen zur Kontrolle angehalten, eine davon wurde an die Staatsanwaltschaft rapportiert.

Nur zwei Personen? Insgesamt liefen rund einhundert Vermummte vorneweg. Warum trennte die Polizei den Schwarzen Block nicht gleich vom restlichen Umzug?

Ich gebe Ihnen recht: Wenn wir richtig im Gelände gestanden wären, hätten wir durchgreifen müssen, als sich die Lage verschärfte. Am Sonntag entschied der Einsatzleiter anders. Wir dürfen nicht zur Rache-Polizei werden. Aber wenn wir eingreifen, ist es einfach wichtig, dass sich die übrigen Demoteilnehmer schnell von Vermummten entfernen. Das erleichtert die Polizeiarbeit ungemein.

Die Passivität der Polizei an Demos gegenüber Gewalttätern oder Chaoten wird in Basel seit Jahren kritisiert. Dennoch ändert sich nichts. Warum?

Wir lernen bei der Polizei sehr wohl dazu. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass sich die Gesellschaft wandelt, der Respekt gegenüber der Polizei hat in den letzten Jahren abgenommen. Und zweitens wird uns ja auch immer wieder vorgeworfen, wir seien zu offensiv, zu hart. Tatsächlich versuchen wir immer, den Rechtsbruch zu verhindern und verhältnismässig zu handeln. Glauben Sie mir: Ich habe mich am 1. Mai sehr geärgert. Ich ärgere mich auch für alle Ladenbesitzer, die nun einen Schaden beklagen. Das finde ich gar nicht lustig.

Auffallend ist auch, dass im Saubannerzug zunehmend Frauen auszumachen sind. Schockiert Sie das?

Gewalttaten sind geschlechtsneutral. Frauen brechen wie Männer das Gesetz. Aber vermummte Frauen irritieren mich schon. Sie sind sicher ein bisschen emanzipierter geworden, was Auftritte bei Demonstrationen betrifft.

Kritik kommt diesmal sogar von Ihrer Vorgesetzten. Regierungsrätin Stephanie Eymann forderte in der BaZ, dass das Vermummungsverbot durchgesetzt wird. Überdies ist sie der Meinung, dass bei Sachbeschädigungen eingegriffen werden muss. Wie antworten Sie darauf?

Ich nehme die Kritik von Frau Eymann sehr ernst. (Lesen Sie hier das ganze Interview mit ihr). In Bezug auf Sachbeschädigungen werden wir einen Gang zulegen – unter Wahrung der Verhältnismässigkeit.

Haben Sie sich geärgert über die kritischen Aussagen von Stephanie Eymann?

Kritik gehört zu meinem Job. Ich verstehe, dass Frau Eymann wütend ist. Das muss ich aushalten.

Wie ist denn die Stimmung innerhalb Ihres Polizeikorps – gibt es interne Kritik an der Zögerlichkeit?

Natürlich kommt es vor, dass auch mal Polizisten unzufrieden sind. Sie stehen an vorderster Front, sie müssen viel aushalten. Aber sie sind auch darauf geschult, dass sie in brenzligen Momenten deeskalieren, freundlich sind und beim Dialog bleiben. Daran führt kein Weg vorbei.

Welche Aufgaben haben die Dialogteams bei der Polizei?

Sie sind erste Ansprechpartner für jene Personen, die Demos organisieren. Die jeweiligen Beamten sind optisch erkennbar und mischen sich auch mal unter eine Kundgebung. Die Teams haben sich sehr bewährt, sie haben schon manche brenzlige Situation entschärft, beispielsweise bei der grossen Corona-Demo im Oktober 2021.

Kommunizieren die Dialogteams auch mit dem Schwarzen Block?

Nein, das nicht. Der Schwarze Block will nicht mit der Polizei reden.

Warum lässt sich das die Polizei bieten?

Das ist wirklich eines unserer grössten Probleme. Deshalb ist es so wichtig, dass sich Demoteilnehmer physisch von diesen Menschen distanzieren.

Das ist Ihr Appell, Herr Roth. Mein Appell ist: Die Polizei soll mal ein Zeichen setzen und einen Sprayer oder Randalierer samt Hammer verhaften.

Wir haben in jüngster Vergangenheit immer wieder Übeltäter verhaftet, viele kamen vor Gericht und wurden hart verurteilt, zum Beispiel wegen Landfriedensbruch. Das geht in der Presse gerne unter.



Martin Roth

Seit dem 26. Mai 2017 ist er der höchste Basler Polizist und damit Chef von rund eintausend Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Der 57-jährige Basler ist ein Quereinsteiger, machte seine ersten beruflichen Schritte in der chemischen Industrie. Der promovierte Chemiker mit Nachdiplomstudien in Betriebswirtschaft und Security Policy and Crisis Management (MAS) ist seit 1999 in verschiedenen Funktionen bei der Kantonspolizei Basel-Stadt tätig. (mr)
(https://www.bazonline.ch/unser-einsatz-am-1-mai-war-kein-ruhmesblatt-667358373901)


+++REPRESSION DE
Gerichtsurteil gegen Hamburger Polizei: Legal, illegal, scheißegal
Fünf Jahre nach dem G20-Gipfel in Hamburg hat ein Gericht nun polizeiliches Handeln für rechtswidrig erklärt. Konsequenzen hat das dennoch nicht.
https://taz.de/Gerichtsurteil-gegen-Hamburger-Polizei/!5849119/


+++EUROPOL
Mehr Macht für Europol: Datenschützer befürchten Massenüberwachung
Die Polizeibehörde der EU darf künftig eigene Algorithmen entwickeln und sie mit Massen an Daten nationaler Polizeibehörden füttern
https://www.derstandard.at/story/2000135459368/europol-wird-maechtigerdatenschuetzer-befuerchten-massenueberwachung-europol-wird-maechtiger?ref=rss


+++RECHTSPOPULISMUS
«Nemesis» prangert Gewalt gegen Frauen durch Einwanderer an – 10vor10
«Nemesis» ist eine Gruppe junger Westschweizer Feministinnen die der Meinung ist, dass Gewalt gegen Frauen sowie sexuelle Übergriffe pauschal auf die Einwanderung zurückzuführen sei. Mit ihren Aktionen stellt sich «Nemesis» gegen die traditionellen feministischen Bewegungen, was zuletzt in Lausanne zu Spannungen und Zusammenstössen führte.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/nemesis-prangert-gewalt-gegen-frauen-durch-einwanderer-an?urn=urn:srf:video:2a98e77e-c85f-4159-a50f-ff3827d8ded0


+++RECHTSEXTREMISMUS
Rassenwahn, Kampfsport und Aktivismus: Die aktuelle Taktik der Identitären
Attacke auf das Ute-Bock-Haus in Wien und Betonung von “White Lives Matter” – welche Strategie die Rechtsextremen verfolgen
https://www.derstandard.at/story/2000135285424/rassenwahn-kampfsport-und-aktivismus-die-aktuelle-taktik-der-identitaeren


+++HISTORY
Bürgerliche ermöglichen Nazis politisches Asyl: Die schwierige Entnazifizierung in Luzern
Wir schreiben Kriegsende 1945. Die Luzerner Politik ist entzweit. Während das «Demokratische Säuberungskomitee» auf eine Auseinandersetzung mit den in Luzerner Nazis bestehen, teilen die Konservativen diese Dringlichkeit nicht. Sie behindern die Entnazifizierung, Demonstrationen gegen Nazis werden von der Regierung gar verboten.
https://www.zentralplus.ch/blog/damals-blog/die-schwierige-entnazifizierung-in-luzern/


Von Furtigen und Hiesigen
Die PHSG inszeniert mit «Die Furtigen» ein gelungenes Musical über Flüchtlingsgeschichten zur Zeit des Dritten Reichs. Es ist mehr als eine schlichte Laienproduktion und schafft aufgrund des Kriegs in der Ukraine unverhofft Bezüge zur traurigen Aktualität. Heute ist Premiere.
https://www.saiten.ch/von-furtigen-und-hiesigen/



bzbasel.ch 06.05.2022

Distanz von der Substanz: Die Basler Stiftung Sucht feiert den 50. Geburtstag

Alles begann mit sechs Ehepaaren, die einen Bauernhof im Schwarzbubenland kauften und dort jugendliche Suchtkranke unterbrachten.

Nora Bader und Dimitri Hofer

In den 1960er-Jahren war die Stimmung vieler junger Menschen in den USA stark geprägt von Sehnsucht nach Frieden, Freiheit, Antirassismus und Abkehr vom Kommerz. Bald schwappte diese Jugendbewegung auf Europa über. Auch in der Schweiz fanden vermehrt Demonstrationen statt. Als sich die 68er-Bewegung langsam auflöste, kehrten viele in ihr bürgerliches Leben zurück.

Andere jedoch blieben in der Drogenszene und der Sucht hängen. «Der Staat reagierte mit Strafen und zeigte sich eher hilflos», so Astrid Kugler, Präsidentin des Stiftungsrats der Stiftung Sucht. Bis 2012 hiess diese Stiftung für Sucht- und Jugendprobleme. Die Stiftung Sucht mit Sitz in Basel feiert dieses Jahr ihr 50-Jahr-Jubiläum. Gestern lud sie in diesem Rahmen zu einer Medienkonferenz.

Die Stiftung entstand, weil Private nach der 68er-Bewegung in die Bresche sprangen, um den Suchterkrankten zu helfen. So kauften sechs Ehepaare gemeinsam in Beinwil einen Bauernhof. Der Chratten wurde die erste Auffangstation für suchterkrankte Jugendliche in der Schweiz. «Und nicht etwa eine Institution des verstorbenen Pfarrers Ernst Sieber aus Zürich, wie viele meinen», so Kugler.

Im Chratten die Abhängigkeit von Drogen in den Griff bekommen

Das Chalet mit den gelben Fensterläden könnte auch irgendwo im Berner Oberland stehen. Inmitten der saftigen Wiesen wirkt das abgelegene Gebäude des Chratten wie ein Ferienhäuschen. Urlaub zu machen, das haben diejenigen, die sich oberhalb von Beinwil aufhalten, aber nicht im Sinn. Sie versuchen in der idyllischen Solothurner Juralandschaft ihre Abhängigkeit von Drogen in den Griff zu kriegen.

Hier, zwischen Hoher Winde und Passwang, nahm die Basler Stiftung Sucht vor einem halben Jahrhundert also ihren Anfang. Im Jahr 1972 fanden Jugendliche mit Suchtproblemen hier Betreuung. In einer neuen Umgebung halfen die Drogenabhängigen beim Betrieb des Hofs mit. Der ursprüngliche Chratten liegt ein wenig unterhalb der heutigen Einrichtung. «Damals waren es vor allem Cannabiskonsumenten, die nach Beinwil kamen. Die Dorfbevölkerung reagierte ablehnend auf die langhaarigen Hippies», sagt Fridolin Wyss. Der Breitenbacher leitet den Chratten seit dem Jahr 2018.

Im Verlauf der 1970er-Jahre sei Cannabis immer mehr durch Heroin abgelöst worden. «Dessen Wirkung war deutlich stärker, weshalb die Drogenabhängigen mit der Zeit nicht mehr in der Lage waren, den Bauernhof zu führen.» Der Hofbetrieb wurde eingestellt und weiter oben wurden neue Räumlichkeiten gebaut, in denen sich der Chratten bis heute befindet.

In den 1980ern überflutete eine Heroinwelle die Schweiz und Europa. Die Infektionskrankheit HIV verbreitete sich. Auf dem Basler Marktplatz fanden Aktionen mit weissen und roten Kerzen statt zum Gedenken an die Menschen, die an der Infektion verstarben. Die Drogenszene breitete sich im Kleinbasel und am Rhein aus.

In der gesamten Schweiz wurde ein Bogen um Drogenkranke gemacht. 1989 eröffnete die Stiftung Sucht das Haus Gilgamesch am Stadtrand Richtung Allschwil. Heute werden dort 13 substituierte Drogenabhängige, die in einem ambulanten Opioidverschreibungsprogramm eingebunden sind, unterstützt und begleitet. Zusätzlich bietet die Institution eine ambulante Wohnbegleitung an für Personen mit einer Abhängigkeitserkrankung oder anderen Beeinträchtigungen psychischer, somatischer oder sozialer Art.

Wanderung mit Eselsdamen soll Selbstwertgefühl stärken

Noch vor wenigen Wochen lag auf den Feldern neben dem Chratten in Beinwil 40 Zentimeter Schnee. Mittlerweile hat rund um die Institution der Frühling Einzug gehalten. Im Wintergarten geniessen zwei Klienten die Sonne und rauchen eine Zigarette. Eine Mitarbeiterin ist gerade dabei, die Kräuter in den Beeten umzutopfen. Hinter der Liegenschaft füttert ein Bewohner die beiden Eselsdamen Helvetia und Olivia und den erst wenige Wochen alten Nachwuchs Haley und Oscar.

Zweimal pro Woche unternehmen die Klientinnen und Klienten mit den Eseln eine Wanderung. «Der Umgang mit den Tieren kann dabei helfen, das Selbstwertgefühl wieder zu stärken. Das gilt vor allem bei Menschen mit sozialphobischen Tendenzen», sagt Chratten-Leiter Fridolin Wyss. Zum Angebot gehört auch eine Reittherapie in Breitenbach. Von den zwölf Therapieplätzen im Chratten sind derzeit elf belegt. Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten seien die Bewohnenden deutlich älter. Das Durchschnittsalter beträgt 44 Jahre.

War er in den Anfangsjahren nicht gerne gesehen, ist der Chratten heute in Beinwil akzeptiert und aus der Gemeinde im Thierstein kaum mehr wegzudenken. «Die traditionelle Suchttherapie wurde vor einigen Jahren zu Gunsten einer stärkeren Fokussierung auf Integration und Auszeit aufgegeben», so Wyss.

Ein wichtiger Teil des Aufenthalts in der Einrichtung besteht darin, die Klientinnen und Klienten auf die Zeit danach vorzubereiten. «Wir haben Kontakt zu regionalen Unternehmen, an welche wir schon mehrere Male ehemalige Bewohnende vermitteln konnten.»

Tageshaus für Obdachlose und Werkstatt Jobshop

Die Stiftung Sucht betreibt seit 1999 auch ein Tageshaus für Obdachlose. Die Liegenschaft konnte übernommen werden von der Offenen Kirche Elisabethen. Hier bekommen bedürftige Menschen etwa ein Mittagessen für drei Franken, können Kaffee trinken oder ihre Habseligkeiten deponieren.

«Einen Kaffee zu trinken und mit jemandem zu plaudern, ist Normalität und diese gibt Sinnhaftigkeit», so Paul Rubin, Leiter Tageshaus für Obdachlose. Dieses bietet vieles an, um die Menschenwürde zu gewähren: Duschen, Zahnbehandlungen, soziale Kontakte. Die Stiftung hatte immer wieder mit finanziellen Problemen zu kämpfen, war auf Spenden und Subventionen angewiesen.

2009 kam zu den Angeboten der Stiftung Sucht noch die Werkstatt Jobshop hinzu, die Arbeitsplätze anbietet. «Die Angebote der Stiftung Sucht sind ausgerichtet auf spezielle Bereiche der Therapie, der Schadensminderung und Überlebenshilfe», so Hannes Strasser, Vizepräsident des Stiftungsrates und Leitender Arzt in Zentrum für Abhängigkeitsfragen UPK. Von den Menschen aus den 80er- und 90er-Jahren nutzen viele die Angebote der Stiftung Sucht noch heute.

Die sich verändernden Einflussfaktoren würden Anpassungen in der Suchtarbeit erfordern. Und auch mit dem Alter würden sich die Bedürfnisse der Menschen verändern. Der Grossteil sei heute um die 50 Jahre alt oder älter. Allen Bedürfnissen gerecht zu werden, sei nicht immer einfach, so Strasser. «Suchtarbeit bedeutet nicht Schluss mit Sucht. Viele Menschen begleitet sie in irgendeiner Form ein Leben lang.»

Eine neue Tagesstruktur soll von der Sucht ablenken

Im Beinwiler Chratten ist die Behandlung der Personen individuell: Einige erhalten eine Ersatzsubstanz wie Methadon, während dies bei anderen schon nicht mehr nötig ist. In Breitenbach existieren einige Wohnungen, die zum Chratten gehören und wo eine Nachbetreuung möglich ist. Aufgrund der stärkeren Verlagerung von Heroin zu anderen Drogen laute das Motto nicht mehr wie früher «Weg vom Schuss», sondern «Distanz von der Substanz», sagt Fridolin Wyss. Gemäss Chratten-Leiter hätten die Abhängigen heute vor allem Probleme mit Alkohol, Cannabis und Kokain.

Im Schwarzbubenland erhalten die Bewohnenden eine Tagesstruktur, die dazu führen soll, sich weniger mit den Drogen zu beschäftigen. «Jeden Morgen werden die Arbeiten vergeben. Dazu gehört der Küchendienst, die Arbeit mit den Eseln und der Einsatz im Garten», sagt Wyss. Wie in anderen Einrichtungen stellen die Bewohnenden auch Alltagsgegenstände her, die verkauft werden. Im Chratten sind dies Anzündhilfen sowie Bestandteile von Helmen.

In der grossen Werkstatt können Objekte für den Eigengebrauch hergestellt werden. «Momentan ist ein ehemaliger Schreiner im Chratten, der häufig hier anzutreffen ist», so der Leiter. Fitnessgeräte und die verschiedensten Musikinstrumente sind wiederum im Freizeitraum zu finden. Am Abend versammeln sich die Klientinnen und Klienten häufig vor den beiden Fernsehern.

In den letzten 50 Jahren machte die Gesellschaft und somit auch die Stiftung Sucht viele Veränderungen durch. Die Nachfrage nach personalisierter Suchtbehandlung ist weiterhin gross. Geschäftsleiter Niggi Rechsteiner wirft einen Blick in die Zukunft: «Es ist nicht auszuschliessen, dass zu den bestehenden Institutionen Tageshaus für Obdachlose, Werkstatt Jobshop, Haus Gilgamesch und Chratten noch weitere hinzukommen werden.»
(https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/eine-zeitreise-distanz-von-der-substanz-die-basler-stiftung-sucht-feiert-den-50-geburtstag-ld.2285903)