Medienspiegel 12. April 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Flüchtlinge bewohnen leere Ferienwohnungen in Sigriswil
In Sigriswil am Thunersee stehen Ferienwohnungen im Schnitt 300 Nächte pro Jahr leer. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Hochschule Luzern. Die Gemeinde versucht, dies zu ändern. Eine aktuelle Möglichkeit: Die Ferienwohnungen ukrainischen Geflüchteten zur Verfügung zu stellen.  (ab 02:36)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/fluechtlinge-bewohnen-leere-ferienwohnungen-in-sigriswil?id=12176070


Direkte Hilfe für die Ukraine
Zwei Einwohner von Leubringen/Magglingen organisieren Direkthilfe in der Ukraine. Am Montag stellten sie das Projekt vor. (ab 09:46)
https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2022-04-12


+++AARGAU
aargauerzeitung.ch 12.04.2022

Glarner will mehr Geld für Ukraine-Flüchtlinge – doch seine Partei sorgte dafür, dass die Ansätze im Aargau so tief sind

Die SVP hat 2017 der Kürzung der Asylsozialhilfe zugestimmt und erst letzten Herbst eine Erhöhung der Ansätze abgelehnt. Für Ukraine-Flüchtlinge findet Asylhardliner Andreas Glarner die 9 Franken plötzlich zu knapp. Die SP nimmt den Steilpass auf und plant einen Vorstoss, der mehr Geld für alle Geflüchteten verlangt.

Noemi Lea Landolt

Es ist gut vier Monate her, seit der Grosse Rat darüber debattiert hat, ob Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene 11 anstatt 9 Franken pro Tag erhalten sollen. SP-Grossrat Jürg Knuchel sagte damals, es brauche keine grossen Rechenkünste, um sich vorzustellen, dass mit 270 Franken pro Monat «niemand, aber auch wirklich niemand, einen nur halbwegs gesunden Lebenswandel führen und eine bescheidene gesellschaftliche Teilhabe finanzieren kann».

Trotz eindringlicher Appelle von Links blieb der Minderheitsantrag im Rat chancenlos. Er wurde mit 74 zu 52 Stimmen abgelehnt. SVP, FDP und Mitte stimmten geschlossen gegen die Erhöhung. Der Anhebung der Sozialhilfeansätze für Kinder und Jugendliche hingegen hat der Grosse Rat am selben Tag zugestimmt. Ab dem 1. Mai erhalten Kinder zwischen 0 und 6 Jahren 7.50 anstatt 5 Franken pro Tag und Kinder zwischen 6 und 16 Jahren 8.50 anstatt 8 Franken.

Im Zusammenhang mit den Ukraine-Flüchtlingen – auch sie erhalten im Aargau 9 Franken pro Tag – meldete sich am Wochenende SVP-Nationalrat und Kantonalpräsident Andreas Glarner zu Wort. In der «Sonntagszeitung» sagte er, der Betrag sei «tatsächlich knapp, wenn man bedenkt, dass das Geld auch noch für anderes, wie zum Beispiel Windeln oder Kleider reichen muss». Dass die 9 Franken pro Tag unter anderem von seiner Partei so gewollt sind, erwähnte er nicht. Stattdessen sagte er: «Wenn sich jetzt zeigt, dass der Betrag für den Lebensbedarf für die Ukrainerinnen und Ukrainer zu klein ist, müssen wir ihn anheben. Da bin ich der Erste, der das fordert.»

Auf die Frage, was er denn konkret fordere, hat Glarner am Montag keine Antwort. Er sagt, das müsse zuerst untersucht werden. Ausserdem müsse angeschaut werden, welche Auswirkungen es hätte, wenn man den Betrag für die Ukraine-Flüchtlinge erhöhen würde. Denn zumindest so viel scheint für ihn festzustehen: Von höheren Ansätzen sollen einzig Geflüchtete aus der Ukraine mit Schutzstatus S profitieren.

Dass dies schwierig werden könnte, hat ihm am Montag in der AZ eine Parteikollegin erklärt. SVP-Nationalrätin Martina Bircher hielt fest, dass es sich dabei um eine Bevorzugung einer einzigen Nationalität handeln würde, was vor Gericht sicher angefochten würde. Am Schluss, befürchtet Bircher, könnte es sein, «dass wir allen vorläufig Aufgenommenen auch höhere Ansätze zahlen müssten».

SP Aargau nimmt Glarner beim Wort

Während die beiden Aargauer Asylhardliner ihre Positionen intern noch klären müssen, nimmt die SP Aargau den Steilpass des SVP-Präsidenten auf. SP-Grossrätin Lelia Hunziker forderte Glarner am Sonntag auf Twitter dazu auf, den Worten Taten folgen zu lassen. Sie kündigte an, die SP bereite einen Vorstoss vor, damit Geflüchtete mehr Geld zum Leben haben.

    Ok! Lassen wir den Worten Taten folgen: wir bereiten einen Vorstoss für den #GRAG @kantonaargau vor damit Geflüchtete mehr Geld zum Leben haben. @svpaargau hier schon die Ankündigung, nicht dass ihr euch dann wieder verwundert die Augen reibt. @SP_Aargau https://t.co/IWLNSOwdS2 pic.twitter.com/Q0Rxn4cZE9
    — Lelia Hunziker (@HunzikerLelia) April 10, 2022

Was genau die SP fordern und wann sie den Vorstoss im Grossen Rat einreichen wird, ist noch unklar. «Wir wollen nichts überstürzen», sagt Hunziker. Grundsätzlich gehe es natürlich darum, «all die Verschärfungen der letzten Jahre rückgängig zu machen».

«Eigentlich sollten die Ansätze in allen Kantonen gleich sein»

Bis 2018 bekamen Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene im Aargau noch einen Franken mehr pro Tag. Doch das Parlament hatte 2017 in der Budget-Debatte den Betrag von 10 auf 9 Franken gekürzt, um 1,3 Millionen Franken einzusparen. Die Linke hatte auch damals versucht, die Sparmassnahme zu verhindern. Doch der Antrag wurde erneut von SVP, FDP und damals noch BDP und CVP (2 Enthaltungen) abgelehnt.

Ob ein weiterer Vorstoss erfolgreicher sein wird, ist offen. Hunziker sagt, man sei auch in Kontakt mit der SP Schweiz. Fragen über die Höhe der Sozialhilfeansätze für Geflüchtete würden sich wohl in allen Kantonen stellen, darum sei ein koordiniertes Vorgehen sinnvoll. Für die SP-Grossrätin ist klar: «Eigentlich sollten die Ansätze in allen Kantonen gleich sein, damit nicht mehr Glück oder Pech darüber entscheidet, wie viel Geld eine Person bekommt.»

Der Regierungsrat wird sich unabhängig vom Vorstoss der SP mit den Sozialhilfeansätzen im Asylbereich befassen müssen. Eine vorläufig aufgenommene syrische Familie, die seit 2017 im Aargau lebt, hat Klage eingereicht. Die Eltern und ihre vier Kinder müssen mit 1440 Franken pro Monat auskommen. In ihrer Beschwerde verlangen sie deutlich mehr Geld und werfen dem Kanton vor, die Sozialhilfeansätze würden unter anderem gegen das Diskriminierungsverbot und die Menschenwürde verstossen.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/asylpolitik-glarner-will-mehr-geld-fuer-ukraine-fluechtlinge-doch-seine-partei-sorgte-dafuer-dass-die-ansaetze-im-aargau-so-tief-sind-ld.2275271)


+++LUZERN
Wegen Bürokratie-Hürde des Kantons: Luzerner Peter Rohner muss Flüchtlinge wieder rausschmeissen
Der Luzerner Peter Rohner hat vor einem Monat drei Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Nun muss er sie aber wieder wegschicken. Der Grund: Das Geld fehlt. Und eine Unterstützung vom Kanton kann er nicht bekommen.
https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/luzern/wegen-buerokratie-huerde-des-kantons-luzerner-peter-rohner-muss-fluechtlinge-wieder-rausschmeissen-id17401504.html


+++SOLOTHURN
Fast 1000 Ukrainerinnen und Ukrainer im Kanton Solothurn – Durchgangszentrum Fridau ist voll
943 ukrainische Flüchtlinge sind bisher im Kanton Solothurn angekommen. Die meisten sind in Solothurn und Mümliswil bei Privaten untergekommen. Aber auch die kantonalen Durchgangszentren füllen sich.
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/fluechtlingskrise-fast-1000-ukrainerinnen-und-ukrainer-im-kanton-solothurn-durchgangszentrum-fridau-ist-voll-ld.2275834


++++ST. GALLEN
Kantönligeist bei Sozialhilfe für Ukrainer: In Bern gibts mehr als doppelt so viel wie im Aargau
Ukrainische Flüchtlinge haben in der Schweiz Anrecht auf Sozialhilfe. Doch wie viel sie bekommen, ist von Kanton und Kanton – und teilweise von Gemeinde zu Gemeinde – ganz unterschiedlich.
https://www.blick.ch/politik/kantoenligeist-bei-sozialhilfe-fuer-ukrainer-st-gallen-laesst-fluechtlinge-fuer-gastfamilien-zahlen-id17398843.html


«Jede Hilfe ist willkommen»: Katholische Kirchgemeinde Henau-Niederuzwil sucht Freiwillige für die Betreuung von Flüchtlingen
250 Flüchtlinge werden in der Katholischen Kirchgemeinde Henau-Niederuzwil erwartet. An der Kirchbürgerversammlung wurde dazu aufgerufen, sich zu engagieren. Zudem wurde an der Versammlung die Rechnung präsentiert und der Präsident gab seinen Rücktritt bekannt.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/wil/krieg-in-der-ukraine-jede-hilfe-ist-willkommen-katholische-kirchgemeinde-henau-niederuzwil-sucht-freiwillige-fuer-die-betreuung-von-fluechtlingen-ld.2275709


+++THURGAU
«Ich denke, jeder würde das machen»: Neue Besitzerin der «Krone» in Diessenhofen bietet Flüchtlingen aus der Ukraine ein Zuhause auf Zeit
Das Hotel/Restaurant Krone hat eine neue Besitzerin, nachdem das Ehepaar Oberholzer im Januar 2021 den Betrieb schloss. Sie bietet derzeit zwei Familien aus der Ukraine ein Zuhause. Die Zukunft soll Veränderung bringen: Aus dem Hotel mit sechs Zimmern soll ein modernes Apartmenthotel werden.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/ukraine-krieg-ich-denke-jeder-wuerde-das-machen-neue-besitzerin-der-krone-diessenhofen-bietet-fluechtlingen-aus-der-ukraine-ein-zuhause-auf-zeit-ld.2273078


+++ZUG
Kanton Zug will neue Gross-Unterkünfte für Ukraine-Geflüchtete
Im Kanton Zug leben aktuell über 600 Geflüchtete aus der Ukraine; mehr als die Hälfte von ihnen bei Gastfamilien. Neu plant die Regierung nun neue Gross-Unterkünfte. Für die Betreuung will Zug mit der Caritas Luzern zusammenarbeiten.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/kanton-zug-will-neue-gross-unterkuenfte-fuer-ukraine-gefluechtete?id=12176298


Engagierte Zuger Helfer:innen hatten viele Fragen
Wie kann den Geflüchteten aus der Ukraine am besten geholfen werden? Schiesst der Kanton den Gastfamilien Geld vor für ihre Unterstützung oder: Wie kann der Zahnarztbesuch abgerechnet werden? An einem Info-Anlass informierten die Verantwortlichen des Kantons Zug.  (ab 04:42)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/engagierte-zuger-helfer-innen-hatten-viele-fragen?id=12176451
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/fluechtlingshilfe-lob-und-kritik-von-zuger-gastfamilien-146147904


+++ZÜRICH
Ukrainische Flüchtlinge stehen in Zürich für Essen an – Schweiz Aktuell
In der Schweiz sind bisher 29’562 geflüchtete Menschen aus der Ukraine registriert worden. 25’235 dieser Personen haben den Schutzstatus S erhalten, doch viele warten noch und sind auf Nothilfe angewiesen. Das funktioniert nicht immer.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/ukrainische-fluechtlinge-stehen-in-zuerich-fuer-essen-an?urn=urn:srf:video:227a8ea5-29f6-47f3-9fce-cc1ceeceb385


Heilsarmee eröffnet bei der Hardbrücke Kleiderabgabe für ukrainische Flüchtlinge
Oftmals haben die ukrainischen Flüchtlinge bei ihrer Flucht nur das Nötigste gepackt, weswegen sie nun in der Schweiz auch auf neue Kleider angewiesen sind. Die Heilsarmee eröffnete deswegen heute bei der Hardbrücke eine Kleiderabgabe für Flüchtlinge in der Stadt.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/heilsarmee-eroeffnet-bei-der-hardbruecke-kleiderabgabe-fuer-ukrainische-fluechtlinge-146148089
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/heilsarmee-eroeffnet-kleiderabgabestelle-fuer-gefluechtete-00180436/


+++SCHWEIZ
Probleme bei der Flüchtlingsverteilung: Kantone sind unglücklich über Ballung von Ukrainern in Städten
Die Flüchtlinge aus der Ukraine konzentrieren sich auf die Städte Basel, Bern, Zürich und den Kanton Tessin. Jetzt will der Sonderstab Asyl die Zuteilung verbessern.
https://www.derbund.ch/kantone-sind-ungluecklich-ueber-ballung-von-ukrainern-in-staedten-156471834931


Ukraine: Kantonszuweisungen werden mit verschiedenen Massnahmen optimiert
Der Sonderstab Asyl (SONAS) hat mehrere Massnahmen verabschiedet, um die Zuweisung von geflüchteten Personen aus der Ukraine mit Schutzstatus S an die Kantone zu optimieren.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-88006.html
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-zuweisung-von-fluchtlingen-soll-optimiert-werden-66154371


Ukrainische Geflüchtete – Gastfamilien kämpfen mit der Bürokratie
Flüchtlinge privat bei sich aufzunehmen, kann sehr aufwändig sein. Denn die Abläufe mit den Behörden sind kompliziert.
https://www.srf.ch/news/schweiz/ukrainische-gefluechtete-gastfamilien-kaempfen-mit-der-buerokratie


+++DEUTSCHLAND
Anerkannt in Griechenland, abgelehnt in Deutschland? Die Odyssee der »Anerkannten«
Nach monatelangem Entscheidungsstopp kündigt das BAMF an, dass bei Asylsuchenden, die in Griechenland schon anerkannt sind, ein reguläres Asylverfahren durchgeführt werden soll. Das Problem: An die Entscheidung aus Griechenland fühlt sich die Behörde nicht gebunden.
https://www.proasyl.de/news/anerkannt-in-griechenland-abgelehnt-in-deutschland-die-odyssee-der-anerkannten/


+++POLEN
Amnesty kritisiert ungleiche Behandlung von Flüchtlingen in Polen
Während Polen Geflüchteten aus Syrien oder Irak mit Gewalt und herabwürdigendem Verhalten begegnet, werden Menschen aus der Ukraine herzlich empfangen
https://www.derstandard.at/story/2000134831954/amnesty-kritisiert-ungleiche-behandlung-von-fluechtlingen-in-polen?ref=article


+++GASSE
Jeder fünfte Jugendliche war schon bewaffnet im Ausgang
Letztes Wochenende wurde bei Auseinandersetzungen in Bern zweimal ein Messer benutzt. Dabei starb ein 20-jähriger an seinen Verletzungen, ein zweiter wurde schwer verletzt. Heutzutage ist eine solche Szene im Ausgang bei weitem kein Einzelfall, wie ein Extremismusexperte und die Kantonspolizei Bern bestätigen.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/jeder-fuenfte-jugendliche-war-schon-bewaffnet-im-ausgang-146148267


+++SEXWORK
Pop-ups laufen Bordellen den Rang ab: Sexarbeit findet vermehrt in Wohnungen statt
Fachstellen melden eine Trendwende im Sexgeschäft von den klassischen Bordellen hin zu Wohnungen. Die Veränderung wird mit gemischten Gefühlen beobachtet: Ohne die Bordelle ist es schwieriger, den Zugang zu den Frauen zu finden.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/pop-ups-laufen-bordellen-den-rang-ab-sexarbeit-findet-vermehrt-in-wohnungen-statt-146148055


+++POLICE BE
Probleme beim IT-Grossprojekt der Berner Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft: Wie die Lieferantin Swisscom die Probleme erklärt.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/fluechtlinge-bewohnen-leere-ferienwohnungen-in-sigriswil?id=12176070


+++POLIZEI LU
Nur zehn Fälle bei Sportveranstaltungen – Gewalt gegen Luzerner Polizei: Warum keine Bodycam?
Nirgends sind Gewaltdelikte gegen die Polizei so häufig wie in Luzern. Ein wirksames Gegenmittel scheint man jedoch nicht gefunden zu haben. So zumindest kann man die Antwort der Luzerner Regierung auf eine parlamentarische Anfrage zusammenfassen. Und auch auf eine bestimmte Massnahme will man weiterhin verzichten.
https://www.zentralplus.ch/justiz/gewalt-gegen-luzerner-polizei-warum-keine-bodycam-2343487/


+++POLIZEI CH
11.04.2022 Haltung des VSPB zur Übernahme der EU-Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache
VSPB – Am 15. Mai 2022 findet die Volksabstimmung zum Thema „Übernahme der EUVerordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache“ statt. Der Bundesrat und das Parlament empfehlen die Annahme dieser Vorlage. Es wurde jedoch das Referendum dagegen ergriffen.
https://www.vspb.org/de/fuer_medien/medienmitteilungen


Nach Schiesserei in Wallisellen ZH: Zürcher Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen Polizei
Kevin W. entführte Impfchef Christoph Berger und liess ihn später wieder frei. Als die Polizei den Deutschen festnehmen wollte, kam es zu einer Schiesserei. W. wurde dabei getötet. Jetzt wird ein Verfahren gegen die zuständigen Polizisten eingeleitet.
https://www.blick.ch/schweiz/nach-schiesserei-in-wallisellen-zh-zuercher-staatsanwaltschaft-ermittelt-auch-gegen-polizei-id17400590.html


+++RASSISMUS
Rassistisch oder einfach nur «geschmacklos»? Rorschacher «Mohrenkopf»-Verkäufer stand wegen Rassendiskriminierung vor dem Kantonsgericht
Am Dienstag stand ein Imbissunternehmer wegen Rassendiskriminierung zum zweiten Mal vor Gericht, nachdem das Kreisgericht Rorschach ihn freigesprochen hatte. Der Mann hatte im Sommer 2020 schwarz bemalt «Mohrenköpfe» der Firma Dubler verkauft. Das Urteil steht noch aus.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/kantonsgericht-mohrenkopf-verkaeufer-von-rorschach-steht-erneut-wegen-rassendiskriminierung-vor-gericht-kommt-es-diesmal-zum-schuldspruch-ld.2275388


+++RECHTSPOPULISMUS
SVP-Asylchef Andreas Glarner in Kritik
Andreas Glarner kämpft derzeit mit Kritik aus eigener Reihe. Einst loyale Parteikollegen wenden sich vom Präsidenten der SVP Aargau ab. Dies Aufgrund einer Aussage zum Ukraine-Krieg. Nun sorgt er mit seiner Forderung, nach mehr Geld für Ukraine-Flüchtlinge, wieder für Irritation in seiner Partei. Bei Rolf Cavalli stellt er sich nun der Kritik.
https://www.telem1.ch/talktaeglich/svp-asylchef-andreas-glarner-in-kritik-146095542


Glarner wehrt sich gegen Image als Putinversteher – und Naveen Hofstetter droht der Rauswurf aus der SVP-Geschäftsleitung
Der SVP-Aargau-Präsident sagt im TalkTäglich bei Tele M1, er rechtfertige den Krieg nicht – könne aber nachvollziehen, wie Russland westliche Aktionen einschätze. Und er sagt, wenn das Urteil wegen Rassendiskriminierung gegen Naveen Hofstetter rechtskräftig werde, sei für diesen kein Platz mehr in der SVP-Geschäftsleitung
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/talktaeglich-glarner-wehrt-sich-gegen-image-als-putinversteher-und-will-naveen-hofstetter-aus-svp-geschaeftsleitung-werfen-wenn-dieser-letztinstanzlich-verurteilt-wird-ld.2276014


+++RECHTSEXTREMISMUS
nzz.ch 12.04.2022

«Ein Nazi ist ein Ukrainer, der sich zuzugeben weigert, dass er Russe ist» – nun gibt es auch eine russische Anleitung zum Völkermord in der Ukraine

So wie der Angriff der russischen Armee auf die Ukraine bleibt auch deren Wüten gegen die Zivilbevölkerung unfassbar. Klarheit über die Motive schafft ein Dokument, das die offizielle Presseagentur RIA Nowosti veröffentlicht hat. Es ist ein Aufruf zur Völkervernichtung.

Timothy Snyder

In Russland ist unlängst ein Handbuch zum Völkermord in seinem Krieg gegen die Ukraine veröffentlicht worden. Die offizielle russische Presseagentur RIA Nowosti publizierte ein explizites Programm für die vollständige Auslöschung der ukrainischen Nation als solcher. Es ist immer noch einsehbar und wurde inzwischen mehrfach ins Englische übertragen.

Wie ich schon seit Beginn des Krieges betont habe, bedeutet «Entnazifizierung» im offiziellen russischen Sprachgebrauch nichts anderes als die Zerstörung des ukrainischen Staates und der ukrainischen Nation. Ein «Nazi», so erklärt das Handbuch zum Völkermord, ist einfach ein Mensch, der sich als Ukrainer identifiziert.

Dem Handbuch gemäss kam die Gründung eines ukrainischen Staates vor dreissig Jahren der «Nazifizierung der Ukraine» gleich. So ist «jeder Versuch, einen solchen Staat zu errichten», ein «Nazi»-Akt. Die Ukrainer sind «Nazis», weil sie «die notwendige Tatsache, dass das Volk Russland unterstützt», nicht akzeptieren. Die Ukrainer sollen dafür büssen, zu glauben, dass sie als eigenständiges Volk existieren; nur diese Busse kann zur «Erlösung von Schuld» führen.

Spezielle Definition

Für alle, die immer noch denken, dass Putins Russland in der Ukraine oder anderswo der extremen Rechten entgegentritt, gibt das Völkermordprogramm Anlass zum Umdenken. Putins Regime spricht nicht von «Nazis», weil es gegen die extreme Rechte ist, was ganz sicher nicht der Fall ist, sondern benutzt den Begriff als rhetorisches Mittel, um einen unprovozierten Krieg und eine völkermordende Politik zu rechtfertigen.

Putins Regime ist selber die extreme Rechte. Es ist das Weltzentrum des Faschismus. Es unterstützt Faschisten und rechtsextreme Autoritaristen in der ganzen Welt. Indem sie die Bedeutung von Wörtern wie «Nazi» verdrehen, schaffen Putin und seine Propagandisten mehr rhetorischen und politischen Raum für Faschisten in Russland und anderswo auf der Welt.

Das Handbuch zum Völkermord erklärt, dass sich die russische Politik der «Entnazifizierung» nicht gegen Nazis in dem Sinne richtet, in dem das Wort normalerweise verwendet wird. Das Handbuch räumt, ohne zu zögern, ein, dass es keine Beweise dafür gibt, dass der Nazismus im allgemeinen Sinne in der Ukraine von Bedeutung ist. Es geht von der speziellen russischen Definition des Begriffs «Nazi» aus: Ein Nazi ist ein Ukrainer, der sich weigert, zuzugeben, dass er Russe ist. Der besagte «Nazismus» ist «amorph und ambivalent»; man muss in der Lage sein, hinter die Welt des Scheins zu blicken und die Affinität zur ukrainischen Kultur oder zur Europäischen Union als «Nazismus» zu entschlüsseln.

Die tatsächliche Geschichte der tatsächlichen Nazis und ihrer tatsächlichen Verbrechen in den dreissiger und vierziger Jahren ist somit völlig irrelevant und wird völlig beiseitegeschoben. Dies steht in völligem Einklang mit der russischen Kriegsführung in der Ukraine. Im Kreml werden keine Tränen über die russische Ermordung von Holocaust-Überlebenden oder die russische Zerstörung von Holocaust-Gedenkstätten vergossen, weil Juden und der Holocaust nichts mit der russischen Definition von «Nazi» zu tun haben.

Dies erklärt, warum Wolodimir Selenski, obwohl er ein demokratisch gewählter Präsident sowie ein Jude ist, dessen Familienmitglieder in der Roten Armee gekämpft haben und im Holocaust umgekommen sind, als Nazi bezeichnet werden kann. Selenski ist ein Ukrainer und verkörpert somit alles, was «Nazi» bedeutet.

Kein Russe kann Nazi sein

Nach dieser absurden Definition, nach der Nazis Ukrainer sein müssen und Ukrainer Nazis sein müssen, kann Russland nicht faschistisch sein, egal, was Russen tun. Das ist sehr bequem. Wenn dem Begriff «Nazi» die Bedeutung «Ukrainer, der sich weigert, Russe zu sein», zugewiesen wurde, dann folgt daraus, dass kein Russe ein Nazi sein kann.

Da für den Kreml das Nazi-Sein nichts mit faschistischer Ideologie, hakenkreuzähnlichen Symbolen, gigantischen Lügen, Aufmärschen, Säuberungsrhetorik, Angriffskriegen, Entführungen von Eliten, Massendeportationen und der massenhaften Tötung von Zivilisten zu tun hat, können die Russen all diese Dinge tun, ohne sich jemals fragen zu müssen, ob sie selbst auf der falschen Seite der Historie stehen.

Und so kommt es, dass die Russen eine faschistische Politik im Namen der «Entnazifizierung» betreiben. Das russische Handbuch ist eines der offensten völkermörderischen Dokumente, die mir jemals unter die Augen gekommen sind. Es fordert die Liquidierung des ukrainischen Staates und die Abschaffung aller Organisationen, die in irgendeiner Weise mit der Ukraine verbunden sind. Es postuliert, dass die «Mehrheit der Bevölkerung» der Ukraine «Nazis» sind, also Ukrainer. (Dies ist eindeutig eine Reaktion auf den anhaltend erfolgreichen ukrainischen Widerstand; zu Beginn des Krieges ging man davon aus, dass es nur wenige Ukrainer gebe und dass diese leicht zu beseitigen seien. Dies geht aus einem anderen Text hervor, der vorschnell bei RIA Nowosti veröffentlicht wurde, nämlich der «Siegeserklärung» vom 26. Februar.)

Diese Menschen, «die Mehrheit der Bevölkerung», also mehr als zwanzig Millionen Menschen, sollen getötet oder zur Arbeit in «Arbeitslager» geschickt werden, um ihre Schuld, Russland nicht geliebt zu haben, zu tilgen. Die Überlebenden sollen einer «Umerziehung» unterzogen werden. Die Kinder werden zu Russen erzogen. Der Name «Ukraine» wird verschwinden.

Absicht und Tat

Wäre dieses Handbuch zum Völkermord zu einem anderen Zeitpunkt und in einem weniger bekannten Medium erschienen, wäre es vielleicht unbemerkt geblieben. Aber es wurde mitten in der russischen Medienlandschaft publiziert, während eines russischen Vernichtungskrieges, der ausdrücklich durch die Behauptung des russischen Staatschefs legitimiert wurde, ein Nachbarland existiere nicht.

Russlands Handbuch zum Völkermord wurde am 3. April veröffentlicht, zwei Tage nach der ersten Enthüllung, dass russische Soldaten in der Ukraine Hunderte von Menschen in Butscha ermordet hatten, und gerade als die Geschichte die grossen Zeitungen erreichte. Das Massaker von Butscha war einer von mehreren Fällen von Massenmord, die nach dem Rückzug der russischen Truppen aus der Region Kiew auftraten.

Das bedeutet, dass das Völkermordprogramm wissentlich veröffentlicht wurde, als die Beweise für den Völkermord bereits vorlagen. Der Autor und die Redaktoren wählten diesen besonderen Zeitpunkt, um ein Programm zur Auslöschung der ukrainischen Nation als solcher zu veröffentlichen.

Als Historiker in Bezug auf Massenmord fallen mir nur wenige Beispiele ein, in denen Staaten den völkermörderischen Charakter ihrer eigenen Handlungen in dem Moment ausdrücklich ankündigen, in dem diese Handlungen öffentlich bekannt werden.

Aus rechtlicher Sicht macht es das Vorhandensein eines solchen Textes (im grösseren Kontext ähnlicher Erklärungen und der wiederholten Leugnung der Existenz der Ukraine durch Wladimir Putin) sehr viel leichter, den Vorwurf des Völkermordes zu erheben. Rechtlich gesehen bedeutet Völkermord sowohl Handlungen, eine spezifische Gruppe von Menschen ganz oder teilweise zu vernichten, als auch die Absicht, dies tatsächlich zu tun. Russland hat die Tat begangen und sich nun auch zur Absicht bekannt.

Timothy Snyder, Jahrgang 1969, ist amerikanischer Historiker und Professor an der Yale University mit den Schwerpunkten Osteuropa und Holocaust-Forschung. 2010 veröffentlichte er mit «Bloodlands» eine Darstellung zur nationalsozialistischen und stalinistischen Vernichtungspolitik. Zuletzt ist 2020 beim Wiener Passagen-Verlag «Und wie elektrische Schafe träumen wir. Humanität, Sexualität, Digitalität» erschienen. Der abgedruckte Text wurde zuerst auf seiner Website veröffentlicht. – Aus dem Englischen von Andreas Breitenstein.
(https://www.nzz.ch/meinung/snyder-ein-russisches-handbuch-zum-voelkermord-in-der-ukraine-ld.1678933)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Warum Berger wohl wirklich entführt wurde – und wie viel Geld der Erpresser wollte
Ein 38-jähriger Deutscher brachte den Impfkommissionspräsidenten Christoph Berger vorübergehend in seine Gewalt. Recherchen zeigen, was der Täter von ihm wollte und wie er zur Pandemie stand.
https://www.watson.ch/!101088043


Wer war die Freundin des mutmasslichen Impfchef-Entführers?
Bei der missglückten Verhaftung in Wallisellen starb auch die Freundin des mutmasslichen Impfchef-Entführers. Welche Rolle die 28-Jährige im Entführungsdrama spielte, ist unklar.
https://www.20min.ch/story/wer-war-die-freundin-des-mutmasslichen-impfchef-entfuehrers-524926924409
-> https://www.20min.ch/story/stellt-sich-die-frage-ob-b-s-freiwillig-mit-in-den-tod-gerissen-wurde-345852373350


Wie Kantonsarzt Rudolf Hauri mit Drohungen umgeht – Hauri: Entführung von Christoph Berger «macht vorsichtiger»
Wie die Entführung von Impf-Chef Christoph Berger auf erschreckende Weise zeigt, werden Corona-Exponenten immer häufiger Ziel von Anfeindungen und Drohungen. Damit hat auch der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri zu kämpfen. Einschüchtern lässt er sich aber nicht.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/wie-zuger-kantonsarzt-rudolf-hauri-mit-drohungen-umgeht-2343339/


Falsche Atteste: Staatsanwaltschaft klagt „Querdenken“-Arzt Schiffmann an
Nach beinahe zwei Jahren sind die Ermittlungen abgeschlossen: Bodo Schiffmann, prominentester Arzt aus der „Querdenken“-Bewegung, muss vor Gericht. Er lebt aber jetzt in Tansania.
https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_92004540/-querdenken-arzt-bodo-schiffmann-anklage-wegen-volksverhetzung.html
-> https://www.volksverpetzer.de/querdenker/schiffmann-angeklagt/


Wegen Älpli-Patententzug in Gommiswald SG: Corona-Skeptiker belagern Haus von Gemeindepräsident
Weil sie mehrmals gegen die geltenden Corona-Regeln verstossen hatte, wurde der Wirtin der Gommiswalder Beiz Älpli das Patent entzogen. Dutzende Freiheitstrychler wollten das nicht hinnehmen – und belagerten kurzerhand das Haus des Gemeindepräsidenten.
https://www.blick.ch/ausland/wegen-aelpli-patententzug-in-gommiswald-sg-corona-skeptiker-belagern-haus-von-gemeindepraesident-id17400228.html
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-trychler-belagern-haus-vom-gemeindeprasident-gommiswald-66153763


Ukraine-Krieg: Putin-Versteher melden sich zu Wort
Eine Politikerin der Grün-alternativen Partei engagiert sich zusammen mit Gleichgesinnten für eine russlandfreundlichere Berichterstattung in der Schweiz.
https://www.20min.ch/story/putin-versteher-melden-sich-zu-wort-749977338014



derbund.ch 12.04.2022

Neues Netzwerk gegründet: Berner Linksgrüne können Putins Forderungen nachvollziehen

Man müsse sich fragen, was der russische Präsident Wladimir Putin mit dem Krieg beabsichtige, sagt Stadträtin Simone Machado. Grünen-Chef Balthasar Glättli geht auf Distanz.

Bernhard Ott, Beat Mathys(Foto)

Vor kurzem ging sie noch auf die Strasse, um gegen die Corona-Massnahmen zu demonstrieren. Nun mobilisiert die Berner Stadträtin Simone Machado von der Grün-alternativen Partei (GaP) gegen die «einseitige Berichterstattung» über den Ukraine-Krieg.

«Natürlich ist der Angriff Russlands auf die Ukraine zu verurteilen», sagt die Politikerin. Aber es gehe nun in erster Linie darum, den Krieg zu beenden. Dafür seien Waffenlieferungen und Sanktionen sicher nicht der richtige Weg. «Man muss sich fragen, was der russische Präsident Wladimir Putin eigentlich will», sagt Machado. Und um dies herauszufinden, brauche es Verhandlungen.

«Totalitäre Züge»

Machado ist nicht die einzige linksgrüne Politikerin, die das so sieht. International sieht sie sich auf der Linie von Sahra Wagenknecht, der einstigen Chefin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. In Bern hat Machado mit Mitstreitenden das Netzwerk Linksbuendig.ch gegründet, das laut einem Bericht von «20 Minuten» vermehrt die Russlandberichterstattung ins Visier nehmen will.

Auf der Website der Plattform findet sich vor allem (Medien-)Kritisches zu den Corona-Massnahmen in der Schweiz. Machado hat sich bei den «Freien Linken» engagiert, einem Zusammenschluss gegen die Corona-Massnahmen.

Sie sieht Parallelen zwischen den Debatten über die Corona-Massnahmen und über den Ukraine-Krieg. «Es gibt keine Graubereiche mehr, es wird nur noch in Schwarz-Weiss berichtet.» Wer für eine differenzierte Sichtweise eintrete, werde in eine russlandfreundliche Ecke gedrängt. Diese Diskurskultur habe eindeutig «totalitäre Züge».

Machado hat keine Bedenken, mit Rechtsaussen-Politikern und Putin-Verstehern wie SVP-Nationalrat Roger Köppel in einen Topf geworfen zu werden. «Mein Problem ist nicht die Haltung der Rechten, sondern dass links keine Auseinandersetzung mehr stattfindet.»

So sei laut einer Umfrage rund ein Viertel der grünen Parteianhänger gegen oder eher gegen das Covid-Zertifikat eingestellt. Innerhalb der Grünen Schweiz hätten diese Menschen aber keine Stimme. «Es gab keine Debatte über das Zertifikat.» Die Delegiertenversammlungen der Grünen Schweiz zum Beispiel seien «kein diskursives Format» mehr. «Für mich liegt die Stärke einer Partei aber in ihrer Vielfalt und nicht in ihrer Einheit», sagt Machado.

Glättli kontert

Grünen-Chef Balthasar Glättli sieht das anders. «Wir Grünen debattieren immer wieder gerne und leidenschaftlich.» So habe die GaP sowohl an der Delegiertenversammlung vom März als auch an jener vom August letzten Jahres Stimmfreigabe zu den beiden Revisionen des Covid-Gesetzes beantragt – beim ersten Mal auf Antrag von Simone Machado. In der Debatte über die zweite Revision hat es laut Glättli «verschiedene differenzierte Wortmeldungen» zum Zertifikat gegeben. Der GaP-Antrag auf Stimmfreigabe sei aber mit 110 zu 5 Stimmen «sehr deutlich» ab

Von der Haltung Machados zum Ukraine-Krieg distanziert sich Glättli deutlich. In Bezug auf die Ukraine hielt sie gegenüber «20 Minuten» fest, dass eine Neutralisierung des Landes, ein Abzug der Nato-Truppen von der russischen Grenze und eine Anerkennung der Krim als russisches Gebiet «kein zu hoher Preis» für die Beendigung des Krieges seien. «Frau Machados Verständnis des russischen Krieges gegen die Ukraine passt zur Haltung der Grünen wie die Faust aufs Auge.» Die Grünen in der Schweiz und die Europäischen Grünen verurteilten die «völkerrechtswidrige Invasion der Ukraine durch Putin in aller Schärfe», sagt Glättli.

Machado ist es gewohnt, wegen ihres Engagements unter Beschuss zu geraten. So hat ihre kritische Haltung zu den Covid-Massnahmen Ende letzten Jahres zum Ausschluss aus der Freien Fraktion im Stadtrat geführt. Auch die GaP stand nicht einstimmig hinter ihr. Die Partei habe beim Covid-Thema ebenso kontrovers diskutiert wie nun beim Ukraine-Krieg, sagt Machado.

Ihr Vorgänger im Stadtrat, GaP-Doyen Luzius Theiler, hat sich an Linksbuendig.ch nicht beteiligt. Er zeigt aber Verständnis für die Haltung des Netzwerks. Er vertrete nach wie vor die Haltung der Grünen in den Neunzigerjahren, die sich gegen die Nato-Osterweiterung und für eine neutrale Pufferzone zwischen Russland und dem Westen aussprachen, sagt Theiler. Leider hätten die Grünen diesen Pfad aber verlassen. «Es besteht die Gefahr, dass Aufrüstung und Militarisierung wieder begrüsst werden», sagt Theiler.
(https://www.derbund.ch/berner-linksgruene-koennen-putins-forderungen-nachvollziehen-616123802873)


+++HISTORY
Neues Archiv für Antirassismus: „Wir müssen von uns erzählen“
An antirassistischen Bewegungen waren hierzulande auch nicht-weiße Gruppen beteiligt. Das ist kaum bekannt. Ein neues Archivprojekt möchte das ändern.
https://taz.de/Neues-Archiv-fuer-Antirassismus/!5843634/



nzz.ch 12.04.2022

«Ein Nazi ist ein Ukrainer, der sich zuzugeben weigert, dass er Russe ist» – nun gibt es auch eine russische Anleitung zum Völkermord in der Ukraine

So wie der Angriff der russischen Armee auf die Ukraine bleibt auch deren Wüten gegen die Zivilbevölkerung unfassbar. Klarheit über die Motive schafft ein Dokument, das die offizielle Presseagentur RIA Nowosti veröffentlicht hat. Es ist ein Aufruf zur Völkervernichtung.

Timothy Snyder

In Russland ist unlängst ein Handbuch zum Völkermord in seinem Krieg gegen die Ukraine veröffentlicht worden. Die offizielle russische Presseagentur RIA Nowosti publizierte ein explizites Programm für die vollständige Auslöschung der ukrainischen Nation als solcher. Es ist immer noch einsehbar und wurde inzwischen mehrfach ins Englische übertragen.

Wie ich schon seit Beginn des Krieges betont habe, bedeutet «Entnazifizierung» im offiziellen russischen Sprachgebrauch nichts anderes als die Zerstörung des ukrainischen Staates und der ukrainischen Nation. Ein «Nazi», so erklärt das Handbuch zum Völkermord, ist einfach ein Mensch, der sich als Ukrainer identifiziert.

Dem Handbuch gemäss kam die Gründung eines ukrainischen Staates vor dreissig Jahren der «Nazifizierung der Ukraine» gleich. So ist «jeder Versuch, einen solchen Staat zu errichten», ein «Nazi»-Akt. Die Ukrainer sind «Nazis», weil sie «die notwendige Tatsache, dass das Volk Russland unterstützt», nicht akzeptieren. Die Ukrainer sollen dafür büssen, zu glauben, dass sie als eigenständiges Volk existieren; nur diese Busse kann zur «Erlösung von Schuld» führen.

Spezielle Definition

Für alle, die immer noch denken, dass Putins Russland in der Ukraine oder anderswo der extremen Rechten entgegentritt, gibt das Völkermordprogramm Anlass zum Umdenken. Putins Regime spricht nicht von «Nazis», weil es gegen die extreme Rechte ist, was ganz sicher nicht der Fall ist, sondern benutzt den Begriff als rhetorisches Mittel, um einen unprovozierten Krieg und eine völkermordende Politik zu rechtfertigen.

Putins Regime ist selber die extreme Rechte. Es ist das Weltzentrum des Faschismus. Es unterstützt Faschisten und rechtsextreme Autoritaristen in der ganzen Welt. Indem sie die Bedeutung von Wörtern wie «Nazi» verdrehen, schaffen Putin und seine Propagandisten mehr rhetorischen und politischen Raum für Faschisten in Russland und anderswo auf der Welt.

Das Handbuch zum Völkermord erklärt, dass sich die russische Politik der «Entnazifizierung» nicht gegen Nazis in dem Sinne richtet, in dem das Wort normalerweise verwendet wird. Das Handbuch räumt, ohne zu zögern, ein, dass es keine Beweise dafür gibt, dass der Nazismus im allgemeinen Sinne in der Ukraine von Bedeutung ist. Es geht von der speziellen russischen Definition des Begriffs «Nazi» aus: Ein Nazi ist ein Ukrainer, der sich weigert, zuzugeben, dass er Russe ist. Der besagte «Nazismus» ist «amorph und ambivalent»; man muss in der Lage sein, hinter die Welt des Scheins zu blicken und die Affinität zur ukrainischen Kultur oder zur Europäischen Union als «Nazismus» zu entschlüsseln.

Die tatsächliche Geschichte der tatsächlichen Nazis und ihrer tatsächlichen Verbrechen in den dreissiger und vierziger Jahren ist somit völlig irrelevant und wird völlig beiseitegeschoben. Dies steht in völligem Einklang mit der russischen Kriegsführung in der Ukraine. Im Kreml werden keine Tränen über die russische Ermordung von Holocaust-Überlebenden oder die russische Zerstörung von Holocaust-Gedenkstätten vergossen, weil Juden und der Holocaust nichts mit der russischen Definition von «Nazi» zu tun haben.

Dies erklärt, warum Wolodimir Selenski, obwohl er ein demokratisch gewählter Präsident sowie ein Jude ist, dessen Familienmitglieder in der Roten Armee gekämpft haben und im Holocaust umgekommen sind, als Nazi bezeichnet werden kann. Selenski ist ein Ukrainer und verkörpert somit alles, was «Nazi» bedeutet.

Kein Russe kann Nazi sein

Nach dieser absurden Definition, nach der Nazis Ukrainer sein müssen und Ukrainer Nazis sein müssen, kann Russland nicht faschistisch sein, egal, was Russen tun. Das ist sehr bequem. Wenn dem Begriff «Nazi» die Bedeutung «Ukrainer, der sich weigert, Russe zu sein», zugewiesen wurde, dann folgt daraus, dass kein Russe ein Nazi sein kann.

Da für den Kreml das Nazi-Sein nichts mit faschistischer Ideologie, hakenkreuzähnlichen Symbolen, gigantischen Lügen, Aufmärschen, Säuberungsrhetorik, Angriffskriegen, Entführungen von Eliten, Massendeportationen und der massenhaften Tötung von Zivilisten zu tun hat, können die Russen all diese Dinge tun, ohne sich jemals fragen zu müssen, ob sie selbst auf der falschen Seite der Historie stehen.

Und so kommt es, dass die Russen eine faschistische Politik im Namen der «Entnazifizierung» betreiben. Das russische Handbuch ist eines der offensten völkermörderischen Dokumente, die mir jemals unter die Augen gekommen sind. Es fordert die Liquidierung des ukrainischen Staates und die Abschaffung aller Organisationen, die in irgendeiner Weise mit der Ukraine verbunden sind. Es postuliert, dass die «Mehrheit der Bevölkerung» der Ukraine «Nazis» sind, also Ukrainer. (Dies ist eindeutig eine Reaktion auf den anhaltend erfolgreichen ukrainischen Widerstand; zu Beginn des Krieges ging man davon aus, dass es nur wenige Ukrainer gebe und dass diese leicht zu beseitigen seien. Dies geht aus einem anderen Text hervor, der vorschnell bei RIA Nowosti veröffentlicht wurde, nämlich der «Siegeserklärung» vom 26. Februar.)

Diese Menschen, «die Mehrheit der Bevölkerung», also mehr als zwanzig Millionen Menschen, sollen getötet oder zur Arbeit in «Arbeitslager» geschickt werden, um ihre Schuld, Russland nicht geliebt zu haben, zu tilgen. Die Überlebenden sollen einer «Umerziehung» unterzogen werden. Die Kinder werden zu Russen erzogen. Der Name «Ukraine» wird verschwinden.

Absicht und Tat

Wäre dieses Handbuch zum Völkermord zu einem anderen Zeitpunkt und in einem weniger bekannten Medium erschienen, wäre es vielleicht unbemerkt geblieben. Aber es wurde mitten in der russischen Medienlandschaft publiziert, während eines russischen Vernichtungskrieges, der ausdrücklich durch die Behauptung des russischen Staatschefs legitimiert wurde, ein Nachbarland existiere nicht.

Russlands Handbuch zum Völkermord wurde am 3. April veröffentlicht, zwei Tage nach der ersten Enthüllung, dass russische Soldaten in der Ukraine Hunderte von Menschen in Butscha ermordet hatten, und gerade als die Geschichte die grossen Zeitungen erreichte. Das Massaker von Butscha war einer von mehreren Fällen von Massenmord, die nach dem Rückzug der russischen Truppen aus der Region Kiew auftraten.

Das bedeutet, dass das Völkermordprogramm wissentlich veröffentlicht wurde, als die Beweise für den Völkermord bereits vorlagen. Der Autor und die Redaktoren wählten diesen besonderen Zeitpunkt, um ein Programm zur Auslöschung der ukrainischen Nation als solcher zu veröffentlichen.

Als Historiker in Bezug auf Massenmord fallen mir nur wenige Beispiele ein, in denen Staaten den völkermörderischen Charakter ihrer eigenen Handlungen in dem Moment ausdrücklich ankündigen, in dem diese Handlungen öffentlich bekannt werden.

Aus rechtlicher Sicht macht es das Vorhandensein eines solchen Textes (im grösseren Kontext ähnlicher Erklärungen und der wiederholten Leugnung der Existenz der Ukraine durch Wladimir Putin) sehr viel leichter, den Vorwurf des Völkermordes zu erheben. Rechtlich gesehen bedeutet Völkermord sowohl Handlungen, eine spezifische Gruppe von Menschen ganz oder teilweise zu vernichten, als auch die Absicht, dies tatsächlich zu tun. Russland hat die Tat begangen und sich nun auch zur Absicht bekannt.

Timothy Snyder, Jahrgang 1969, ist amerikanischer Historiker und Professor an der Yale University mit den Schwerpunkten Osteuropa und Holocaust-Forschung. 2010 veröffentlichte er mit «Bloodlands» eine Darstellung zur nationalsozialistischen und stalinistischen Vernichtungspolitik. Zuletzt ist 2020 beim Wiener Passagen-Verlag «Und wie elektrische Schafe träumen wir. Humanität, Sexualität, Digitalität» erschienen. Der abgedruckte Text wurde zuerst auf seiner Website veröffentlicht. – Aus dem Englischen von Andreas Breitenstein.
(https://www.nzz.ch/meinung/snyder-ein-russisches-handbuch-zum-voelkermord-in-der-ukraine-ld.1678933)



zeit.de 12.04.2022

Schweizer Hilfswerk: Sie stahlen ihnen die Kinder

Vor 50 Jahren kam einer der größten Skandale der Schweizer Sozialgeschichte ans Licht: Das vermeintliche Hilfswerk „Für die Kinder der Landstrasse“ nahm mit staatlicher Unterstützung Hunderten Familien ihre Kinder weg. Weil sie Jenische waren 

 Ein Gastbeitrag von Willi Wottreng

Der Zürcher Journalist und Schriftsteller Willi Wottreng (73) ist beruflich und persönlich mit dem jenischen Volk verbunden. Seit 2014 ist er Geschäftsführer der Radgenossenschaft der Landstrasse, die sich für die Rechte der Jenischen und der Sinti in der Schweiz einsetzt. Zuletzt von ihm erschienen: „Jenische Reise“. Roman. Bilgerverlag, Zürich 2020

Es war der Moment, da ein Vorhang riss. Der Vorhang der Biederkeit. Was in der Schweiz vor fünfzig Jahren ans Licht kam, hätten viele nicht für möglich gehalten: 1972 wurde bekannt, dass der Staat zusammen mit sogenannten Hilfswerken und Fürsorgebehörden Kinder in großer Zahl ihren Familien entrissen hatte, weil diese als Vaganten galten, weil sie Jenische waren – Angehörige einer wenig bekannten Volksgruppe, die man abwertend zu den „Zigeunern“ zählte. 40.000 Menschen, so wird geschätzt, umfasst diese Bevölkerung heute in der Schweiz.

Clemente Graff war einer von ihnen. Als Journalist mit Beziehungen zu Jenischen hatte ich ihn kennengelernt und mich mit ihm angefreundet. Er war einer der Allerersten gewesen, die „wegkamen“. Ohne Grund. Seine Familie war nicht etwa ohne Wohnsitz, sondern heimatberechtigt in der Gemeinde Cureggia bei Lugano mit einem eigenen Dach über dem Kopf. Aber sie zog im Dienst ihres Gewerbes der Kundschaft nach, als Korber- und Händlerfamilie.

Weihnachten 1926. Als Clementes Familie in Agno am See mit ihrem Wohnwagen lagerte, in dem sie in der Saison ihrer Kundschaft nachreiste, kamen die Polizisten. So besagt es eine von verschiedenen Erzählungen über die Ereignisse. Der dreijährige Clemente wurde zusammen mit zwei Schwestern den Eltern weggenommen und einer Karriere als „Verdingkind“ zugeführt, wie man in der Schweiz jene Kinder nannte, die bei fremden Menschen untergebracht wurden. Nach und nach erlitten drei weitere Geschwister dasselbe Schicksal.

Clemente war kein Waise, kein Halbwaise, kein verwahrloster Bub gewesen. Er war ein Jenischer.

Verantwortlich für die Kindswegnahmen zeichnete ein Mann bei der vom Staat unterstützten Stiftung Pro Juventute: Dr. Alfred Siegfried, von Beruf Lehrer und kurz zuvor wegen sexuellen Missbrauchs aus dem Schuldienst entlassen. Siegfried und die Stiftung Pro Juventute schufen Mitte der 1920er-Jahre ein „Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse“.

Dabei handelten sie mit Billigung des Staates und führender gesellschaftlicher Kreise. Als Stiftungsratspräsident wirkte ein Mitglied der schweizerischen Landesregierung, der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes Heinrich Häberlin. Als Auftakt publizierte Siegfried am 13. Juni 1926 einen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung: „Es gibt in der Schweiz eine ganze Anzahl von nomadisierenden Familien, die, in irgendeinem Graubündner oder Tessiner Dorfe heimatberechtigt, jahraus, jahrein das Land durchstreifen, Kessel und Körbe flickend, bettelnd und wohl auch stehlend, wie es gerade kommt; daneben zahlreiche Kinder zeugend, um sie wiederum zu Vaganten, Trinkern und Dirnen heranwachsen zu lassen.“

Man behauptete, Kindswegnahme sei Kindsrettung, und stützte sich auf das Zivilgesetzbuch, das bei Gefährdung der Kinder staatliche Zwangsmaßnahmen erlaubte. „Endlich sind wir zur Einsicht gekommen, es müsse trotz Geldmangel, trotz schlechten Erfahrungen, trotz Angst vor erblicher Anlage versucht werden, wenigstens die Kinder zu retten“, schrieb Siegfried. So wie die Verantwortlichen von Missionsschulen in Kanada argumentierten, es sei Kindsrettung, wenn sie indigene Kinder von der Schulhaustür weg entführten, Hunderte Kilometer wegbrachten, ihnen die Haare schnitten, ihre Tänze verboten und ihnen Seife in den Mund legten, damit sie spüren sollten, wie schmutzig ihre Muttersprache sei.

Im Unterschied zu anderen fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen jener Jahrzehnte richtete sich die Aktion „Kinder der Landstrasse“ gezielt gegen eine Volksgruppe: die Jenischen. Allein die Tatsache, dass Familien dieser Bevölkerung zugerechnet wurden, reichte zum gewaltsamen Einschreiten der Behörden. Meist wurden dann Begründungen wie Vagantentum, Verwahrlosung und sexuelle Haltlosigkeit der Eltern hinzugefügt.

„Ich wurde wie ein Mensch zweiter Klasse gehalten“

Eine der im Text anvisierten Familien waren die Graff. Clemente Graff wurde unter Vormundschaft gestellt als ein persönliches Mündel von Dr. Alfred Siegfried. Er kam in eine Pflegefamilie, anschließend in eine andere, dann lebte er in einem von Klosterfrauen geführten Heim, irgendwann in einem Knabenheim, später musste er bei Bauern arbeiten: „Ich wurde wie ein Mensch zweiter Klasse gehalten“, erzählt er bei einem unserer Treffen. Als er erwachsen wird, absolviert er zuerst einmal die Rekrutenschule im Dienst seiner Heimat, die ihm so übel mitgespielt hat.

Sein Geld verdient Clemente als Torfstecher. Eines Tages, wir schreiben das Jahr 1946, schreitet eine Hausiererin durch das Tor des Gartens, in dem er arbeitet. Er fragt sie aus, und sie entpuppt sich als Verwandte. Über diese Zufallsbegegnung lernt er schließlich seine Mutter kennen, mit der er nie vertraut werden wird. Er findet weitere Familienmitglieder, kündigt seine Stelle und zieht zu ihnen. „Von da an blieb ich bei meinem Volk“, erzählte mir Clemente. Als Mündelvater Siegfried davon erfährt, taxiert er diesen Fall als „völligen Misserfolg“. Viele Menschen in der Schweiz stützen die Praxis der Kindswegnahmen und Versorgungen – bis 1972. Wobei es immer auch Widerstand gab, sowohl vonseiten der Eltern, die sich mit Briefen, Bittgängen und Einsprachen wehrten, wie von Erzieherinnen, die in diesen Kindern oft keine verwahrlosten Wesen erkennen konnten. Ein bisschen ungebärdig, ein bisschen freiheitsliebend waren manche vielleicht.

Die 68er-Bewegung schuf mit ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit und Selbstbestimmung den Boden für ein Umdenken. Es wuchs die Einsicht ins Unrecht der ethnisch begründeten Zwangsmaßnahmen. Zu einem schockartigen Aufwachen führten schließlich die Artikel in der Zeitschrift Beobachter, die den Skandal um die gestohlenen Kinder mit all seinen Details ans Licht brachten.

Mehr als 600 Kinder waren durch die Pro Juventute ihren Familien entrissen worden. Hinzu kamen Kindswegnahmen durch kirchliche Werke, kommunale Behörden. Besonders scheinheilig nannte sich eine katholische Stelle im Kanton Solothurn: „Seraphisches Liebeswerk“.

Als der Skandal auffliegt, organisieren jenische Mütter und Heimkinder mehrere Aufklärungs- und Widerstandsvereinigungen, welche die Anerkennung des Unrechts fordern. Clemente ist einer von ihnen und wird in den Vorstand der „Radgenossenschaft der Landstrasse“ gewählt, die heute noch die einflussreichste Vertreterin von Jenischen und Sinti in der Schweiz ist. Kräftig hilft er mit, den Karren vorwärtszubringen. Seine Tochter Genuveva ist später Radgenossenschafts-Präsidentin geworden, erfüllt von der Energie und vom Zorn jener Generation von Müttern und Kindern.

Als seine Frau erkrankt, muss sich Clemente Graff eine neue Arbeit suchen, geht in die Maschinenindustrie von Baden und Zürich und steigt dort auf zum Werkmeister. Daneben spielt er Schwyzerörgeli, zeigt an jenischen Kulturveranstaltungen das traditionelle Handwerk des Korbens und lebt – was bleibt ihm anderes übrig? – seine Tage in scheinbarer Heiterkeit. Kaum merkt man ihm an, dass seine Jugend im Schoß einer Familie zerstört worden ist. Wo man ihn antrifft, ist seine Schwester Elisabeth nicht weit. Denn die Familie bleibt für viele dieser Ausgegrenzten die einzige Heimat und der einzige Rückzugsort, wo sie Vertrauen haben können.

Seine Freunde und Bekannten nannten Clemente „Zisli Frack“: Mit „Zisli“ war ein Vorfahre gemeint, der Zeisig-Vögel fing, und „Frack“ erinnerte an einen Pfarrer, der jenem einmal einen guten Anzug geschenkt hatte. Die Körbe, die Clemente fertigte, gehörten zu den schönsten, sagten viele. Er genoss den Respekt seiner wiedergefundenen Leute, die ihn für seine Offenheit und sein Engagement schätzten. Als 1982 in Gersau am Vierwaldstättersee eine sogenannte „Feckerchilbi“ stattfand – ein Kulturfest, das zugleich auch eine Art Landsgemeinde ist –, wurde er dort zum „Altvater“ gewählt. Ein Titel, den es zuvor nicht gegeben hatte.

Eine Beraubung der persönlichsten Art

Clemente wollte, wie wohl viele Betroffene, nicht nur „Wiedergutmachung“, die ja nie möglich ist, sondern, dass das jenische Volk wieder aufblühe. Er hat nicht mehr erlebt, dass die Schweizer Landesregierung 2016 die Jenischen zusammen mit den Sinti als nationale Minderheiten anerkannte. Und er wäre glücklich gewesen, hätte er gesehen, wie derzeit jenische Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland, in Österreich, in Luxemburg, in Lothringen und im übrigen Frankreich sich bemerkbar machen, ihre Stimme erheben und von ihrer Kultur erzählen. Selbst ein Europäischer Rat der Jenischen hat sich gebildet, dem der Schreibende angehört. Der Rat stellt fest, dass die Jenischen eine transnationale Volksgruppe sind, und verlangt deren Anerkennung. Die österreichische Regierung will sich des Themas annehmen. In ihrem Regierungsprogramm steht: „Prüfung der Anerkennung der jenischen Volksgruppe“.

Eines hat Clemente Graff bis zu seinem Lebensende nicht erreicht. Im Verlauf seiner Stationen durch die Heime und bürgerlichen Wohnungen und durch all die Stuben der Bürokratie wurde sein Name verändert. Das zweite „f“ seines Namens kam ihm abhanden, sein offizieller Name lautete nur noch „Graf“. Er empfand dies als eine Beraubung der persönlichsten Art. Bei einem unserer letzten Gespräche sagte er, dass er nicht mehr die Kraft habe, die Wiedererlangung seines Namens anzustreben. „Ich wollte nicht mehr kämpfen.“

Clementes Sohn und dessen jenische Frau aber kämpften weiter, für ein Anliegen, das manche als unwichtig ansehen mögen: ihr schönes zweites „f“ im Namen. Ich durfte sie dabei bei ihren Behördengängen unterstützen. „Bekanntlich kann eine Namensänderung die Änderung einer kulturellen Identität bedeuten“, argumentierten wir gemeinsam. Nach zähen Monaten kam 2016 der Bescheid von den kantonalen Behörden in Lugano. Befürwortend. Seither heißt die ganze Familie wieder, wie sie immer geheißen hat: Graff.
(https://www.zeit.de/2022/16/hilfswerk-schweiz-kinder-jenische-bevoelkerungsgruppe/komplettansicht)