Medienspiegel 20. März 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++LUZERN
Aufnahme von Geflüchteten ist «ein enormer Kraftakt»
Die Kantone sind zurzeit daran, Unterkünfte zu suchen und bereitzustellen für die vielen Menschen, die aus der Ukraine fliehen. Was alles dafür getan werden muss, zeigt Silvia Bolliger auf. Die Leiterin der Luzerner Dienststelle Asyl und Flüchtlingswesen ist Sonntagsgast im Regionaljournal.  (ab 10:46)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/aufnahme-von-gefluechteten-ist-ein-enormer-kraftakt?id=12162851


+++THURGAU
Forderung: Metropol Arbon soll Flüchtlingsunterkunft werden
https://www.tvo-online.ch/aktuell/forderung-metropol-arbon-soll-fluechtlingsunterkunft-werden-145868364


+++SCHWEIZ
Ukraine Krieg: Kantone rechnen mit bis zu 300’000 Flüchtlingen
Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg könnte die Schweiz den grössten Flüchtlingszustrom seit Jahrzehnten erleben. Kantone rechnen mit 300’000 Flüchtlingen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-kantone-rechnen-mit-bis-zu-300000-fluchtlingen-66135620
-> https://www.blick.ch/politik/szenarien-zur-ukraine-kantone-bereiten-sich-auf-100000-fluechtlinge-vor-id17333579.html
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/mehr-als-erwartet-bis-im-sommer-koennten-bis-zu-300000-fluechtlinge-die-schweiz-erreichen-145869850
-> https://www.derbund.ch/kantone-rechnen-mit-bis-zu-300000-menschen-646624532632


Flüchtlinge in der Schweiz – «Der Stresstest für die Willkommenskultur folgt später»
Die Schweiz erlebt eine Solidaritätswelle. Historiker André Holenstein sagt, was dies mit dem Kalten Krieg zu tun hat.“
https://www.srf.ch/news/schweiz/fluechtlinge-in-der-schweiz-der-stresstest-fuer-die-willkommenskultur-folgt-spaeter


Flüchtende aus der Ukraine auch in der Schweiz schützen – Echo der Zeit
Täglich kommen Menschen aus der Ukraine in der Schweiz an. Acht von zehn Flüchtenden sind Frauen. Ihre Not-Situation könnte ausgenutzt werden – auf dem Weg hierher aber auch in der Schweiz. Die Behörden sind wachsam und verteilen Flugblätter in ukrainischer Sprache. Doch reicht das?
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/fluechtende-aus-der-ukraine-auch-in-der-schweiz-schuetzen?partId=12162833


Jobs für Ukraineflüchtlinge – Tagesschau
9800 Flüchtlinge aus der Ukraine sind bisher in der Schweiz registriert. Dank des Schutzstatus S dürfen sie in der Schweiz sofort eine Arbeit aufnehmen. Einige machen sich bereits auf die Suche nach einem Job.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/jobs-fuer-ukrainefluechtlinge?urn=urn:srf:video:ed8a6578-58cd-41cb-a26b-dbde31db8983


+++DEUTSCHLAND
Queeres Berlin auf sich selbst gestellt
Für schwule, lesbische, bi- und transsexuelle Geflüchtete mangelt es in der Hauptstadt an öffentlicher Unterstützung
Putins Krieg in der Ukraine ist auch ein Krieg gegen sexuelle Minderheiten. Queere russischsprachige Organisationen versuchen, Geflüchteten in Berlin zu helfen – stoßen dabei aber auf etliche Hindernisse.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162297.queere-gefluechtete-queeres-berlin-auf-sich-selbst-gestellt.html


+++EUROPA
Krieg in Osteuropa: EU droht neuer Streit über Flüchtlingsquoten
Die Flüchtlinge aus der Ukraine könnten zu einer Zerreißprobe in der EU führen. Denn auf die Ankunft von Millionen Menschen ist sie kaum vorbereitet. Schon bahnt sich neuer Streit über Umverteilungsquoten an.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ukraine-krieg-eu-droht-neuer-streit-ueber-fluechtlingsquoten-a-719bdf22-619a-431a-a152-25d1b8ba8935


+++SEXWORK
Sexgewerbe unter Druck: Freier wollen mehr für weniger Geld
https://www.tele1.ch/nachrichten/sexgewerbe-unter-druck-freier-wollen-mehr-fuer-weniger-geld-145869252


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Sonntagszeitung 20.03.2022

Fehlurteil mit Folgen: Demoteilnehmer zu Unrecht verurteilt

Die Berner Staatsanwaltschaft stellte 200 Strafbefehle aus und verhängte Geldstrafen. Die müssen nun aufgehoben werden.

Denis von Burg

Mehrere Hundert Personen, vor allem aus der links-autonomen Szene, zogen am Samstag, 7. April 2018, in einer unbewilligten Demonstration durch die Berner Innenstadt. Sie protestierten gegen die türkische Militäroffensive gegen die nordsyrische Stadt Afrin. Alarmiert wegen früherer Kurden-Demos und wegen möglicher Sachbeschädigungen, kesselte die Polizei den Demonstrationszug beim Bahnhof ein und nahm über 200 Personen mit auf den Posten. Das harte Durchgreifen der Polizei hatte später ein politisches Nachspiel.

Ein knappes Jahr später flatterten diesen Strafbefehle ins Haus, in denen sie wegen Landfriedensbruch zur Zahlung von je rund 2000 Franken (Geldstrafe und Gerichtskosten) verurteilt wurden. Ein Strafbefehl wird von der Staatsanwaltschaft selbst und ohne Gerichtsverhandlung ausgestellt.

Doch jetzt zeigt sich: Die Berner Staatsanwaltschaft hat etwas heftig und vorschnell gehandelt. Denn nach beinahe vier Jahren müssen sämtliche dieser Massen-Strafbefehle revidiert und die Geldstrafen sowie Gerichtskosten zurückerstattet werden. Denn in der Zwischenzeit haben mehrere Personen den Strafbefehl juristisch angefochten. Sie wurden vom Berner Regionalgericht vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen.

Und Ende Januar hielt das Obergericht im Falle eines weiteren Strafbefehls fest, dass dieser in einem «unverträglichen Widerspruch» zu diesem neuen Urteil stehe und aufzuheben sowie der Verurteilte zu entschädigen sei. Das hat präjudiziellen Charakter: Anwalt Dominic Nellen, der weitere per Strafbefehl Verurteilte vertritt, sagt: «Jetzt müssen die Strafbefehle praktisch aller Teilnehmenden der Afrin-Demo durch Revision aufgehoben werden.»

Verurteilte müssen Revision selbst beantragen

Bloss hat die Sache einen Haken: Die rund 200 Strafbefehle für Personen, die an der Demo teilgenommen, aber keinerlei Sachbeschädigung begangen hatten, werden nicht automatisch revidiert. Jetzt muss jede und jeder Einzelne ein Revisionsgesuch stellen. Für Anwalt Nellen ein unhaltbarer Zustand: «Diese unrechtmässige Strafverfolgung verursacht enorme Kosten und übertriebenen Verwaltungsaufwand. Und die Leidtragenden sind ausgerechnet jene, die zu Unrecht verurteilt worden sind.»

Tatsächlich sind die Hürden für eine Revision hoch. Die Betroffenen müssen zuerst überhaupt Kenntnis vom positiven Urteil und der Möglichkeit der Revision erhalten. Dann selber ein korrektes Revisionsgesuch verfassen und beim Obergericht einreichen. Das Ganze innerhalb von drei Monaten, sonst ist es verspätet. Und das ohnehin überlastete Obergericht muss, obwohl die Fälle klar sind, die Akten jedes einzelnen Revisionsverfahrens einsehen, Stellungnahmen einholen und prüfen, ob der gleiche Sachverhalt gegeben ist.

Diese Verfahren sind enorm aufwendig. Anwalt Nellen fordert deshalb jetzt für solche oder ähnliche Fälle ein automatisiertes Verfahren: «Die Strafbefehle müssten von Amtes wegen aufgehoben werden können, das würde viel Aufwand und Geld sparen.»
(https://www.derbund.ch/demoteilnehmer-zu-unrecht-verurteilt-270508920022)
-> https://www.20min.ch/story/staatsanwaltschaft-verurteilte-bis-zu-147-demo-teilnehmende-zu-unrecht-204029711064


+++POLIZEI ZH
tagesanzeiger.ch 20.03.2022

Bei Krawall an Demos beteiligt: Umstrittene Einheit der Stadtpolizei unter politischem Beschuss

Ist die Polizei mit ihrem Auftreten mitverantwortlich für Krawall? Ja, findet eine linke Mehrheit und schränkt die «Rambo-Truppe» der Stadtpolizei ein.

Corsin Zander, Samuel Schalch (Foto)

Sie werden dann aufgeboten, wenn es zu Gewalt kommen kann, etwa bei Fussballspielen oder Demonstrationen. Die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) ist eine Spezialtruppe der Stadtpolizei, die es seit 2005 gibt, aber die erst seit 2017 sichtbar gekennzeichnet ist.

Das Auftreten dieser Einheit, die auch polizeiintern von Einzelnen als «Rambo-Truppe» bezeichnet wird, ist umstritten. Der Grüne Luca Maggi hatte zusammen mit der inzwischen zurückgetretenen Christina Schiller (AL) im März 2021 ein Postulat eingereicht, das die Abschaffung der BFE forderte – oder zumindest soll der Stadtrat klare Richtlinien erlassen, wann die BFE aufgeboten wird.

Ihr Auftreten widerspreche der Deeskalationspraxis der Stadtpolizei, begründete Maggi am Samstag im Gemeinderat den Vorstoss. «Die BFE tritt immer aggressiver auf. Wir brauchen keinen Stosstrupp, der sich durch Demos prügelt.» Unterstützt wurde er von Walter Angst (AL), der von sich sagte, er habe sehr viel Demo-Erfahrung und immer wieder erlebt, wie das Auftreten der Polizei Auswirkungen auf den friedlichen oder unfriedlichen Ablauf habe.

Empörte rechte Ratsseite

Diese Äusserungen empörten die rechte Ratshälfte. Die Polizei habe keine Bringschuld für Deeskalierung, sagte Derek Richter (SVP). Es sei «arrogant», der Polizei eine Mitschuld an Ausschreitungen zu geben, sagte Markus Merki (GLP). Peter Anderegg (EVP) nannte die Vorstellung «romantisch», und Andreas Egli (FDP) liess sich gar dazu verleiten, von einer «putinschen Argumentation» zu sprechen.

Trotz der lauten Voten: Die rechte Ratsseite blieb in der Unterzahl, weil sich die SP zu den Grünen und zur AL gesellte. Man wolle die BFE nicht gleich abschaffen, aber klare und auf Ausnahmefälle beschränkte, öffentliche Richtlinien erlassen, wann die Einheit eingesetzt werden kann, sagte SP-Vertreter Severin Meier.

Vergeblich hatte die grüne Polizeivorsteherin Karin Rykart versucht, das Bild der «Rambo-Truppe» zu entkräften. Sie beteuerte, die Polizisten der BFE seien wie alle anderen auch in der 3-D-Strategie ausgebildet: Dialog, Deeskalation, Durchgreifen. Ausserdem habe jedes grössere Polizeikorps eine solche Einheit.

Keine «Skorpion»-Polizisten mehr bei Demos

Auch wenn die BFE bestehen bleiben sollte, die Mitglieder der Interventionseinheit «Skorpion», die in der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit regelmässige Einsätze leisten, dürften in Zukunft nicht mehr bei Demonstrationen oder Sportanlässen berücksichtigt werden. Dies hatten Maggi und Schiller in einem zweiten Vorstoss gefordert, der ebenfalls eine Mehrheit fand.

Bei der «Skorpion» handelt es sich um eine Truppe von Elite-Polizisten (Frauen sind keine dabei), die rund um die Uhr einsatzbereit ist und etwa die «Festnahme und Unschädlichmachung von Gewaltverbrechern» zur Aufgabe hat.
(https://www.tagesanzeiger.ch/umstrittene-einheit-der-stadtpolizei-unter-politischem-beschuss-512272774249)


+++POLIZEI DE
Einzelfälle gibt es nicht
Berliner Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt dokumentiert seit 20 Jahren rassistische Polizeigewalt
 Wer Rassismus durch Polizisten erlebt, ist mit Gewalt konfrontiert und erhält oft zudem noch die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Die Initiative KOP steht an der Seite der Opfer und dokumentiert seit 20 Jahren die endlose Liste sogenannter Einzelfälle.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162289.rassistsische-polizeigewalt-einzelfaelle-gibt-es-nicht.html


+++RASSISMUS
Sonntagszeitung 20.03.2022

Flüchtlingsdebatte: Nationalratspräsidentin reagiert auf Rassismusvorwurf gegen Thomas Aeschi

Mit einem neuen Gesetz soll die absolute Immunität von Parlamentariern künftig aufgehoben werden können. Aeschis Partei spricht von einem «Maulkorb».

Mischa Aebi, Denis von Burg

Aussagen von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi haben diese Woche hohe Wellen geschlagen. Nach Ansicht vor allem linker Politiker hat sich der Fraktionschef rassistisch geäussert, als er sagte, es dürfe nicht sein, «dass Nigerianer oder Iraker mit ukrainischen Pässen plötzlich 18-jährige Ukrainerinnen vergewaltigen». Weil er die Aussagen im Ratssaal machte, geniesst Aeschi jedoch Immunität gegen strafrechtliche Verfolgung.

In die Kritik geriet auch die grüne Nationalratspräsidentin Irène Kälin, weil sie den SVP-Mann für seine Aussagen nicht rügte. Jetzt reagiert sie: Sie bedauert, nicht eingegriffen zu haben, und fordert, dass künftig die absolute Immunität bei «schwerwiegenden und justiziablen Vergehen wie zum Beispiel eindeutig rassistischen Äusserungen oder Aufrufen zu Gewalt» aufgehoben werden kann. Dazu wäre eine Gesetzesänderung notwendig.

Die Nationalratspräsidentin schlägt vor, die absolute Immunität für im Ratssaal gemachte Aussagen auf eine relative Immunität zu reduzieren. Im Falle einer Strafanzeige könnte dann die Immunität durch eine Kommission aufgehoben und damit ein Strafverfahren ermöglicht werden.

SVP-Präsident: «So schaffen wir Meinungsfreiheit und Demokratie ab»

Die relative Immunität gilt bis heute nur bei strafbaren Aussagen, welche Parlamentarier ausserhalb des Ratssaals machen. Kälin sagt: «Es darf nicht sein, dass Politikerinnen und Politiker im Parlament ohne Konsequenzen rassistisch hetzen können.»

SVP-Präsident Marco Chiesa sagt, Kälins Forderung überrasche ihn nicht. «Damit wollen die Linken allen einen Maulkorb verpassen, die ihre Meinung nicht teilen.» Aber wenn das Parlament zulasse, dass «die Linke diese Zensur einführt, dann schaffen wir die Redefreiheit, die Meinungsfreiheit und letztlich die Demokratie ab».

Aeschi sagte später, dass er sich bei seiner Aussage auf einen Fall in Düsseldorf bezogen habe. Dort kam es mutmasslich zu einer Vergewaltigung einer Ukrainerin durch einen Nigerianer und einen Iraker. Im Ratssaal hat Aeschis Äusserungen niemand laut kritisiert. Nationalratspräsidentin Kälin sagte später auf Anfrage, sie sei abgelenkt gewesen und habe die Aussage deshalb nicht gehört. Tatsächlich wäre ihr höchstens die Möglichkeit einer Ermahnung geblieben.

Doch Stunden nach der Debatte löste ein Video von Aeschis Auftritt in den sozialen Medien heftige Reaktionen aus. Die Empörung ging so weit, dass SRF-Moderator Sandro Brotz Aeschis umstrittener Aussage in der Sendung «Arena» zum Thema «Krieg in der Ukraine» sogar ein eigenes Kapitel widmete.

Rassismuskommission verurteilt Aeschis Aussage

Das wiederum bewog die grüne Nationalrätin und Fraktionschefin Aline Trede dazu, ihren geplanten Auftritt in der «Arena» aus Protest abzusagen. Sie fand, wenn Moderator Brotz Aeschis Aussagen thematisiere, gebe man ihm nur wieder eine neue Plattform für rassistische Aussagen.

Brotz holte im Vorfeld der Sendung bei der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus ein Statement ein. Diese hielt fest: «Herr Aeschi nutzt rassistische Stereotype, um eine Gruppe von Menschen (in diesem Fall Iraker und Nigerianer) pauschalisierend als Vergewaltiger darzustellen.» Solche rassistischen Äusserungen seien zu verurteilen.

Aeschi selbst will sich zur Sache nicht mehr äussern. SVP-Präsident Marco Chiesa sagt, sein Fraktionschef habe sich «vielleicht etwas unklar» geäussert. «Aber er hat sicher nichts Rassistisches gesagt.» Er habe mit seiner Aussage darauf aufmerksam machen wollen, «dass es unter den vielen Kriegsvertriebenen aus der Ukraine auch Kriminelle geben könne, die die Fluchtbewegung für sich ausnützen», sagt Chiesa.

Er glaube, «diejenigen, die ihn jetzt verurteilen, wollten ihn falsch verstehen, weil sie lieber die Augen vor Realitäten verschliessen», sagt Chiesa. Selbstverständlich stehe die SVP zur humanitären Tradition der Schweiz. Gleichzeitig müsse man aber auch die Sicherheit der eigenen Bevölkerung und jener, die bei uns Schutz suchen, garantieren.

Anders sieht das Nationalratspräsidentin Kälin: «Nationalrat Aeschi hat sich in unhaltbarer Weise rassistisch geäussert. Dass er es ganz anders gemeint habe, ist nur eine Ausrede.»
(https://www.derbund.ch/nationalratspraesidentin-reagiert-auf-rassismusvorwurf-gegen-thomas-aeschi-310619764214)


+++RECHTSEXTREMISMIS
Das sind die Tarnnamen der Gruppe Identitäre
Die neofaschistische Gruppe Identitäre verwendet in Österreich inzwischen zahllose Tarnnamen – regelmäßig fallen Medien und Antifaschist*innen darauf rein. Hier sind alle Namen, die die Gruppe verwendet!
https://www.bonvalot.net/das-sind-die-tarnnamen-der-gruppe-identitaere-982/


Les nouvelles femmes de droite
Magali Della Sudda étudie la nouvelle génération de femmes françaises engagées à la droite de la droite, et revendiquant un antiféminisme ou un alterféminisme. Entretien avec Lucie Delaporte, paru le 15 février 2022 sur Médiapart.
https://renverse.co/analyses/article/les-nouvelles-femmes-de-droite-3466



derbund.ch 20.03.2022

SIG-Generalsekretär zum Neonazinetzwerk: «Es ist höchste Zeit für ein Verbot von Nazisymbolen»

Eine Videodoku der Redaktion Tamedia deckt das Netzwerk der Schweizer Neonazis auf. Jonathan Kreutner vom Dachverband der jüdischen Gemeinde erklärt, wie sie mit der Bedrohung umgeht.

Boris Gygax, Adrian Panholzer, Nicolas Fäs

Mit dem Krieg in der Ukraine sind Nazivergleiche wieder allgegenwärtig: Putin spricht von einer «Entnazifizierung der Ukraine». Was war Ihre Reaktion darauf?

Dies als Rechtfertigung für einen Angriffskrieg anzuführen, hat mich sprachlos gemacht. Besonders unter der Berücksichtigung, dass der ukrainische Präsident jüdisch ist und ein Teil seiner Vorfahren während des Holocaust ermordet wurden. Diese Begrifflichkeit dafür zu benutzen, ist in jeder erdenklichen Hinsicht falsch.

Bei Putin ist es Propaganda. Doch auch im Pandemiealltag kommt es immer wieder zu Nazivergleichen. Sind diese im privaten Sprachgebrauch angekommen?

Leider ja. Schon vor der Pandemie gab es dieses Problem. Doch in den letzten zwei Jahren ist die Situation richtiggehend eskaliert. In gesellschaftspolitischen Debatten werden heute oft reflexartig NS-Vergleiche herangezogen, um der eigenen Position mehr Gewicht zu geben, jegliche Art von Frust und Leid auszudrücken oder den politischen Gegner und Andersdenkende zu verunglimpfen.

Mit dem Krieg in der Ukraine sind Nazivergleiche wieder allgegenwärtig: Putin spricht von einer «Entnazifizierung der Ukraine». Was war Ihre Reaktion darauf?

Dies als Rechtfertigung für einen Angriffskrieg anzuführen, hat mich sprachlos gemacht. Besonders unter der Berücksichtigung, dass der ukrainische Präsident jüdisch ist und ein Teil seiner Vorfahren während des Holocaust ermordet wurden. Diese Begrifflichkeit dafür zu benutzen, ist in jeder erdenklichen Hinsicht falsch.

Bei Putin ist es Propaganda. Doch auch im Pandemiealltag kommt es immer wieder zu Nazivergleichen. Sind diese im privaten Sprachgebrauch angekommen?

Leider ja. Schon vor der Pandemie gab es dieses Problem. Doch in den letzten zwei Jahren ist die Situation richtiggehend eskaliert. In gesellschaftspolitischen Debatten werden heute oft reflexartig NS-Vergleiche herangezogen, um der eigenen Position mehr Gewicht zu geben, jegliche Art von Frust und Leid auszudrücken oder den politischen Gegner und Andersdenkende zu verunglimpfen.
Jonathan Kreutner

Dr. Jonathan Kreutner ist Generalsekretär des Schweizerischer Israelitischen Gemeindebundes (SIG), des Dachverbands der Schweizer Jüdinnen und Juden. Einmal im Jahr veröffentlicht der SIG einen Bericht, der den Antisemitismus in der Schweiz untersucht.

In Ihrem aktuellen Antisemitismusbericht stellen Sie fest: «Die Stimmungslage in der Schweiz ist aufgeladen.» Wie kommen Sie darauf?

Während der letzten beiden Jahre hat sich in der Pandemie die Stimmung aufgeheizt. Gesellschaftliche Krisen – wie diese Pandemie – waren immer wieder klassische Katalysatoren für Antisemitismus. Dies manifestierte sich beispielsweise in einer Explosion von antisemitischen Vorfällen im Internet. Insbesondere antisemitische Verschwörungstheorien wurden und werden auch in der Schweiz verbreitet. Und das bereitet mir Sorgen.

Welche Auswirkungen hat dies?

Die antisemitischen Verschwörungstheorien und Vorurteile, die im Internet verbreitet werden, überdauern wohl auch die Pandemie. Es wäre naiv, zu glauben, dass diese Welle nun einfach folgenlos abebbt. Diese Botschaften bleiben leider in vielen Köpfen hängen, bewusst und unbewusst. Insofern ist unsere Präventionsarbeit schwieriger geworden.

Unsere Videodokumentation zeigt, dass Rechtsextreme Gegnerinnen und Gegner von Corona-Massnahmen instrumentalisieren.

Die Rechtsextremen von heute wissen sehr gut, wie sie diese heterogene Gruppe erreichen. Sie posten auf Telegram oder Twitter nicht direkt antisemitische und rechtsextreme Botschaften, sondern verpacken diese geschickt in codierte Narrative und Verschwörungstheorien. Schweizer Gegnerinnen und Gegner von Corona-Massnahmen würde ich als staatskritisch, anarchistisch oder auch esoterisch geprägt beschreiben. Unser Monitoring zeigt jedoch, dass diese Narrative bei dieser Gruppierung auf fruchtbaren Boden fallen und weiterverbreitet werden.

Können Sie ein Beispiel für diese codierten Narrative nennen?

Während der Pandemie entdeckten die Rechtsextremen das Feindbild der Juden wieder, nachdem der Fokus eher auf den Muslimen und der Einwanderung gelegen war. Nun schreibt man jedoch nicht von «den Juden», sondern von der «finanzstarken Rothschild-Familie» sowie von Zionisten in einem nicht israelischen Kontext. Oder man erzählt das Narrativ der jüdischen Weltverschwörung in all seinen Facetten. Mit diesem unterschwelligen Antisemitismus erreichen sie nicht nur rechtsextreme Menschen, sondern alle jene, die für Verschwörungstheorien empfänglich sind. So werden die uralten, antisemitischen Klischees bedient und leider auch verinnerlicht.

Wir filmten im Januar 2022 an einer Massnahmendemonstration in Bern, als Rechtsextreme sich vor den Umzug drängten.

Das habe ich gesehen.

Was ging Ihnen dabei durch den Kopf?

Die Aussenwirkung hat mich beunruhigt. Schockiert hat mich auch, dass die grosse Masse einfach weiter mitgelaufen ist. Dabei zeigte sich deutlich: Die heutigen Rechtsextremen sind oftmals auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar. Viele begreifen nicht, was da vor sich geht. Das gleiche Problem stellt sich auch in Foren und Gruppen auf Messengerdiensten. Dennoch frage ich mich, warum sich die grosse Mehrheit der Gegnerinnen und Gegner von Corona-Massnahmen im Nachgang nicht deutlich oder deutlicher von den Rechtsextremen abwendet.

Was ist die Antwort?

Vielleicht tragen doch mehr Gegnerinnen und Gegner von Corona-Massnahmen diese Narrative und antisemitischen Gedanken mit, als wir denken. Ein Problem ist aber auch, dass diese Leute den Medien nicht glauben, wenn geschrieben wird, dass sich Rechtsextreme an die Spitze des Umzugs gesetzt haben. Gleichzeitig wäre es sicher falsch, zu behaupten, dass die Mehrheit der Gegnerinnen und Gegner von Corona-Massnahmen rechtsradikal ist. Wir stellen jedoch fest: Der Umgang mit dieser Szene und der Nazisymbolik verunsichert die jüdische Gemeinde.

Verunsichern dürften wohl auch die zunehmenden Fälle von antisemitischen Botschaften im Internet.

Unser Monitoring zeigt: Antisemitismus breitet sich in der digitalen Welt schnell aus. Im Vergleich zu 2020 nahmen die Vorfälle letztes Jahr um 66 Prozent zu (Anm. d. Red.: von 485 auf 806). Das nehmen wir auch als Bedrohung wahr.

Zynisch könnte man feststellen, dass die Rechtsextremisten Erfolg haben mit ihrer Strategie.

Es ist natürlich immer schwer zu sagen, welcher Gruppe wie viel «Erfolg» anzurechnen ist. Aber sie tragen sicher auch dazu bei, dass sich Schritt für Schritt antisemitische Narrative in der breiteren Bevölkerung festsetzen. Während der Pandemie hat sich die Grenze des Sag- und Zeigbaren verschoben. Das sehen wir am Beispiel der Nazisymbole, die wir in vielen Kommentaren und Nachrichten sehen und die dann viele Gegnerinnen und Gegner von Corona-Massnahmen während der Demonstrationen plötzlich auf sich tragen.

All diesen Personen Rechtsextremismus zu unterstellen, geht das nicht zu weit?

Das sage ich damit nicht. Sie wollen damit zeigen, wie schlimm ihre Situation angeblich sei. Sie verbinden Holocaust mit dem grösstmöglichen Leid, das sie kennen. Neonazis hingegen wollen ja das Gegenteil erreichen und den Holocaust verharmlosen – ein Widerspruch. Und trotzdem merken Gegnerinnen und Gegner von Corona-Massnahmen nicht, was sie mit dem Zurschautragen dieser Symbole bewirken: Problematisch wird es, wenn in der breiten Öffentlichkeit das Gefühl entsteht, dass der Holocaust wirklich vergleichbar ist mit dem Leiden in der Pandemie. Dies führt zu einer Banalisierung dieser Verbrechen. Das ist absurd und gefährlich und spielt den Rechtsextremen in die Hände.

Was können wir gegen diese Banalisierung und die Nazivergleiche im Sprachgebrauch tun?

Es braucht zum Beispiel ein Verbot von Nazisymbolen. Immerhin werden jetzt vom Bundesamt für Justiz Handlungsbedarf und -möglichkeiten geprüft. Wir bleiben dabei: Es ist höchste Zeit, ein Verbot einzuführen. In den letzten Jahren gab es eine Reihe von rechtsextremen Anschlägen in Europa und durch die Pandemie eine inflationäre Verwendung von Nazisymbolen. Da frage ich mich schon: Wenn nicht jetzt, wann dann? Es wäre ein wichtiges Zeichen gegen den Rechtsextremismus und gegen die Verharmlosung des Holocaust. Und zwar nicht nur für uns Juden, sondern für alle Minderheiten und die ganze Schweiz.



Jonathan Kreutner

Dr. Jonathan Kreutner ist Generalsekretär des Schweizerischer Israelitischen Gemeindebundes (SIG), des Dachverbands der Schweizer Jüdinnen und Juden. Einmal im Jahr veröffentlicht der SIG einen Bericht, der den Antisemitismus in der Schweiz untersucht.
(https://www.derbund.ch/es-ist-hoechste-zeit-fuer-ein-verbot-von-nazisymbolen-146726648393)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Corona-Demo sorgt für Shitstorm – «wohlstandsverdummte Vollpfosten»
Am Wochenende demonstrierten rund 500 Corona-Skeptiker in der Basler Innenstadt. Politiker haben dafür wenig Verständnis.
https://www.20min.ch/story/corona-demo-sorgt-fuer-shitstorm-wohlstandsverdummte-vollpfosten-397244163421



NZZ am Sonntag 20.03.2022

Die Wahrheit stirbt zuerst – Geschichte der Kriegspropaganda

Inszenierte Überfälle, fingierte Beweise und schamlose Lügen. Zum Krieg gehört seit je die perfide Propaganda. Wer wie manipuliert hat, von Alexander dem Grossen bis Wladimir Putin.

Daniel Friedli

Genozid an Russen, Nazis in der Regierung oder nun sogar die Produktion biologischer Waffen: Was Wladimir Putin alles anführt, um seinen Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen, erinnert unweigerlich an eine der ältesten Kriegsweisheiten: Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Oder genauer: Häufig ist es bereits eine Lüge, die den Krieg überhaupt auslöst.

Wer Krieg führt, braucht dafür einen guten Grund. Er muss die eigenen Leute anstacheln, den Gegner einschüchtern und verunsichern und bestenfalls Dritte für sich gewinnen. Daher ist Krieg von jeher nicht nur ein Kampf um Macht und Land, sondern immer auch ein Kampf um Informationen und ihre Deutung. Und darum haben Kriegsherren schon immer buchstäblich Unglaubliches gesagt und getan, um die Meinungen in ihrem Sinne zu beeinflussen oder gar zu manipulieren.

334–324 v. Chr. Der Alexanderzug

Dass Krieg und Propaganda unzertrennlich sind, hat schon der Feldzug Alexanders des Grossen gegen die Perser gezeigt. Der König der Makedonier führte eigene Historiker mit, die seine Taten ausschmückten und ihn so zu einem antiken Superhelden stilisierten. So berichtete Hofchronist Kallisthenes, dass in der Türkei das Meer vor Alexander zurückwich und dieser vom Orakel in Siwa zum Sohn des Zeus ausgerufen wurde. Auch inszenierte Kallisthenes den Feldzug als Racheakt, den Alexander im Namen aller Griechen gegen die Perser führe. So wollte er verhindern, dass sich unterdessen in der Heimat andere griechische Städte gegen den Hegemon auflehnten. Dass er seinen König etwas gar positiv beschrieb, musste Kallisthenes am Ende selbst erfahren: Als er sich weigerte, sich Alexander vor die Füsse zu werfen, liess dieser ihn umbringen.

1618–1648 Der Dreissigjährige Krieg

Was Kallisthenes’ Berichte im Alexanderzug waren, zu dem wurden im Dreissigjährigen Krieg die Flugblätter. Der epische Glaubenskampf gilt als erster europäischer Krieg, über den regelmässig in Medien berichtet wurde. Dies geschah in Zeitungen, aber auch auf über 10000 verschiedenen illustrierten Flugblättern, die via Post und Reiterboten verteilt wurden. Sie zeigten und beschrieben Schlachten, Belagerungen und Plünderungen, oft auch spöttisch oder agitierend. Nachdem etwa der schwedische König Gustav Adolf in der Schlacht von Lützen gefallen war, machte auf protestantischer Seite bald ein Flugblatt die Runde, das seine Anhänger mit ungläubigem Trotz zum Weitermachen anhielt: «Der Schwede lebet noch.»

Wie unterschiedlich die Ereignisse mitunter dargestellt wurden, zeigte sich schon beim Kriegsanlass, dem Prager Fenstersturz: 1618 warfen wütende böhmische Protestanten drei Statthalter der habsburgischen Macht aus einem Fenster der Prager Burg, was erstaunlicherweise alle drei überlebten. Ein Wunder!, jubelte die kaiserlich-katholische Seite und verbreitete die These, die Jungfrau Maria persönlich habe das Trio gerettet. Unter Protestanten indes kursierte die hämische Legende, die Statthalter hätten nur überlebt, weil sie auf einem Misthaufen gelandet waren.

1914–1918 Erster Weltkrieg

Als erster richtiger Krieg der Medien gilt im Urteil vieler Historiker der Erste Weltkrieg. In bis dato unbekanntem Ausmass wurde in Zeitungen und auf Plakaten über das Geschehen berichtet, und neu auch mit Fotos und Stummfilmbeiträgen. Im Vorteil waren dabei von Beginn an die Alliierten. Sie setzten auf eine aggressive Kampagne, welche die Deutschen als Bestien oder «Hunnen» darstellte. Geschichte schrieb auch der britische Film «Die Schlacht an der Somme», die erste längere Kriegsdokumentation überhaupt. Über 20 Millionen Briten sahen den Film, der den Krieg so brutal und so realistisch wie noch nie zeigte, auch wenn er letztlich das militärische Patt als britischen Sieg deutete.

Die deutsche Propaganda blieb weit weniger wirkungsvoll. Sie zielte primär darauf, die eigenen Soldaten zu glorifizieren und die Gegner lächerlich zu machen. Kampfhandlungen oder gar Tote sah man in den deutschen Wochenschauen keine. Auch waren die meisten Aufnahmen gestellt, was generell für den ganzen Krieg gilt: Man schätzt heute, dass gut 80 Prozent des Filmmaterials inszeniert war.

Sicher ist, dass die deutsche Niederlage an der Propagandafront wesentlich zur Entstehung der «Dolchstosslegende» beitrug, die bald das Land vergiftete. Demnach blieb Deutschland «im Felde unbesiegt» und verlor den Krieg nur, weil «vaterlandslose Gesellen» den Kampf im Verborgenen sabotierten.

1939–1945 Zweiter Weltkrieg

Wie stark diese Legende wirkte, zeigte sich bei dem Mann, der 20 Jahre später den nächsten Weltkrieg lostrat. Schon im Buch «Mein Kampf» schrieb Adolf Hitler, die deutsche Propaganda im letzten Krieg habe versagt. Wie es richtig gehe, «war leider wieder alles auf der anderen Seite zu studieren». Und Hitler hatte gelernt. Er setzte Joseph Goebbels als «Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda» ein. Und dieser vereinbarte bald mit der Wehrmacht: «Der Propagandakrieg wird als wesentliches, dem Waffenkrieg gleichrangiges Kriegsmittel anerkannt.»

Dass die Nazis dabei unzimperlich vorgingen, machte schon die Kriegsauslösung 1939 deutlich. Die SS fingierte einen Angriff polnischer Soldaten auf den Rundfunksender in Gleiwitz. Am Tag darauf erklärte Hitler Polen den Krieg, die Wehrmacht marschierte ein.

Überhaupt spielte das Radio in der Kriegspropaganda beider Seiten eine wichtige Rolle. Neben Film und Wochenschau setzte Goebbels stark auf die sogenannten «Volksempfänger», die er günstig in den Verkauf brachte, damit das Volk Hitlers Reden und den Front-Berichten der bis zu 15000 Mann starken Propagandakompanien lauschen konnte. Umgekehrt wurde das Hören fremder «Feindsender» bei schwerer Strafe verboten. Dies hinderte die Alliierten indes nicht daran, nach allen Regeln der weiter verfeinerten Propagandalehre selbst nach Deutschland zu senden. Sie betrieben Radios mit richtig deklariertem Absender wie den BBC World Service oder Voice of America (weisse Propaganda). Es gab aber auch Sender mit unklarem Absender (graue Propaganda) und solche wie das beliebte Radio Gustav Siegfried 1, die sich als deutsch ausgaben, obschon die Briten dahintersteckten (schwarze Propaganda).

Am deutschen Radio endete der Krieg derweil, wie er begonnen hatte: mit einer Lüge. Hitler sei «gefallen» und den «Heldentod» gestorben, hiess es am 1. Mai 1945. Vom Selbstmord des Führers war kein Wort zu hören.

1955–1975 Vietnamkrieg

Wie wichtig Propaganda ist, zeigte sich in jenem Krieg, in dem sie nicht funktionierte. Der Vietnamkrieg wird von Historikern als «unzensierter Krieg» beschrieben, den die Amerikaner zu Hause am TV verfolgten. Er wurde für das Land zum Trauma. Die Medien konnten relativ frei berichten und taten dies zunächst sehr regierungsfreundlich. Je länger der Krieg aber dauerte, desto negativer wurden die Beiträge – und desto entsetzter reagierte das Publikum. Bilder wie das ikonische Foto eines schreienden Mädchens, das nach einem Napalm-Angriff nackt aus seinem Dorf flieht, liessen die Stimmung kippen. Die Regierung ging ihrerseits dazu über, kritische Journalisten einzuschüchtern und sie als Verräter oder Kommunisten zu verleumden, was aber nicht mehr half.

Die Kritik hatte sich die US-Regierung auch selbst zuzuschreiben: 1971 flog durch die «Pentagon-Papers» auf, dass sie die Öffentlichkeit über die Kriegsabsichten und den Kriegsverlauf systematisch belogen hatte. Auch der vorgegebene Anlass für das massive Eingreifen der USA war eine Lüge: Es hiess, die Nordvietnamesen hätten im Golf von Tonkin zwei US-Kriegsschiffe beschossen. Das stimmte, wie später aufflog, nicht.

1990–1991 Zweiter Golfkrieg

Was die USA aus diesem Debakel gelernt hatten, wurde 1991 im Zweiten Golfkrieg ersichtlich. Der Umgang mit den Medien wurde dieses Mal von Anfang an reglementiert, so dass sich Journalisten nicht frei auf den Kriegsschauplätzen bewegen konnten. Das Rezept lautete Pool-Journalismus: Handverlesene Journalisten wurden in Pools vereint und an ausgewählte Orte des Kampfgebiets gebracht, wo sie unter Aufsicht filmen und berichten durften. Dafür mussten sie detaillierte Einsatzregeln akzeptieren und ihr Material zum «Sicherheitscheck» vorlegen. Auf diese Weise sicherte sich die Armee grossen Einfluss auf die Berichterstattung sowie die Kontrolle über fast alles Bildmaterial. Und so gelang es der Regierung, das Image eines sauberen Krieges zu transportieren, in dem angeblich «smarte» Bomben mit chirurgischer Präzision genau definierte Ziele zerstörten. Über die Bildschirme flimmerten Bilder aus dem grünlich erleuchteten Bagdad, die den Krieg aussehen liessen wie ein Videospiel.

Dass es die Behörden auch in diesem Konflikt mit der Wahrheit nicht so genau nahmen, zeigt das Beispiel einer Episode, die Präsident George Bush in etlichen Reden benutzte und die später als «Brutkastenlüge» bekannt wurde: Eine vermeintliche Krankenschwester aus Kuwait sagte im Kongress unter Tränen aus, dass irakische Soldaten in einem Spital in Kuwait Babys aus den Brutkästen geworfen und am Boden hätten sterben lassen. Nach dem Krieg kam aus, dass die Frau in Tat und Wahrheit die Tochter des kuwaitischen Botschafters war und die Geschichte von einer PR-Agentur schlicht erfunden wurde, mutmasslich im Wissen der Regierung.

20. März – 1. Mai 2003 Dritter Golfkrieg

Als nach dem Krieg die Kritik aufkam, man habe die Medien zu sehr eingeengt, reagierten die Behörden, indem sie im Dritten Golfkrieg ihre Umarmungsstrategie noch verstärkten: Die Zensur wurde gelockert, dafür wurden «embedded journalists» in die Truppen eingebettet und mit ihnen in den Kampf geschickt. So waren die Berichterstatter zwar näher am Geschehen, aber auch so nahe an den Truppen, dass Kritik schwierig wurde. Die Iraker hatten dieser Strategie nicht viel mehr entgegenzusetzen als ihren Informationsminister Mohammed Said al-Sahhaf, der wegen seiner abstrusen Auftritte rasch den Übernamen Comical Ali erhielt. Er verkündete noch, dass Hunderte von Amerikanern vor den Toren Bagdads Selbstmord begingen, als bereits die ersten US-Panzer einrollten.

Recht behielt der Irak dafür in dem Punkt, den die USA als Kriegsgrund vorgaben: Massenvernichtungswaffen produzierte das Land keine mehr. Der damalige US-Aussenminister Colin Powell musste später zugeben, dass die vermeintlichen Beweise, die er vor der Uno dafür präsentiert hatte, nie existierten.

24. Februar 2022 – heute Putins Krieg in der Ukraine

Über Beweise wird auch jetzt wieder gestritten. Dabei kommt Präsident Putins Kriegsbegründung, man müsse einen Genozid an Russen stoppen, noch als Mär im traditionellen Stil daher. Neu ist hingegen, dass die USA eigene Geheimdienstinformationen rasch öffentlich machen, damit die russischen Pläne voraussagen und so Putins Propaganda unterlaufen. Und neu ist auch, dass der Kampf um Informationen heftig über die sozialen Medien geführt wird. Dort kann nun zwar jedermann eigene Bilder und Beobachtungen teilen, gleichzeitig sind die Kanäle auch ein Einfallstor für schwer verifizierbare weisse, graue oder schwarze Propaganda. Dass ein Video über die Kapitulation des ukrainischen Präsidenten Selenski gefälscht war, wurde rasch entdeckt. Aber wer weiss schon, ob Selenskis eigene Videobotschaften stimmen, in denen er etwa über die Verluste der russischen Armee und die schlechte Moral der russischen Soldaten berichtet?

Dass diese Kriegspropaganda Wirkung zeigt, davon ist die belgische Historikerin Anne Morelli überzeugt. Sie hat gestützt auf frühere Autoren «zehn Prinzipien der Kriegspropaganda» herausgearbeitet, die seit Jahren nahezu unverändert verwendet werden (siehe unten). Und laut Morelli funktionieren diese Regeln, weil sie bei einem menschlichen Grundbedürfnis ansetzen: Die Menschen wollen an etwas glauben und sich auf der guten Seite wähnen. Darum blickt Morelli auch wenig optimistisch in die Zukunft: Sooft Kriegspropaganda auch nachträglich durchschaut werde – im nächsten Krieg werde sie doch wieder Wirkung zeigen.



Die Regeln der Kriegspropaganda

Die Kriege und ihre Anführer ändern sich, die Rechtfertigungen dafür bleiben immer gleich. Die Historikerin Anne Morelli hat zehn eherne Regeln der Kriegspropaganda definiert, die, wie folgende Beispiele zeigen, über alle Epochen gelten.

1. Wir wollen keinen Krieg

«Wollen wir Krieg oder nicht? Natürlich nicht!» – Wladimir Putin im Februar 2022 nach einem Gespräch mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz, neun Tage vor dem Angriff auf die Ukraine.

2. Das feindliche Lager trägt die alleinige Verantwortung für den Krieg

«Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen!» – Adolf Hitler in seiner Reichstagsrede vom 1. September 1939, nachdem die SS einen polnischen Angriff auf den deutschen Rundfunksender Gleiwitz inszeniert hatte.

3. Der Feind hat dämonische Züge

«Zerstör diese verrückte Bestie» – Werbeplakat, mit dem die USA 1917 Soldaten für den Kampf im Ersten Weltkrieg anwarben.

4. Wir kämpfen für eine gute Sache

«Was wir heute am Persischen Golf sehen, ist Gut gegen Böse, Richtig gegen Falsch.» – US-Präsident George Bush im Oktober 1990, drei Monate vor dem ­Zweiten Golfkrieg.

5. Der Feind begeht mit Absicht Grausamkeiten. Wenn uns Fehler unterlaufen, dann versehentlich

«Die Bombenangriffe waren unglaublich genau.» – US-Präsident George Bush im Februar 1992 zur Bombardierung von Bagdad, die auch Tausende zivile Opfer forderte.

6. Der Feind verwendet unerlaubte Waffen

«Die Fakten und Iraks Verhalten zeigen, dass Saddam Hussein und sein Regime ihre Bemühungen verdecken, mehr Massenvernichtungswaffen zu produzieren.» – US-Aussenminister Colin Powell im Uno-Sicherheitsrat, kurz vor dem Dritten Golfkrieg. Später gab Powell zu, dass es für diese Aussage nie Beweise gab.

7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm

«Bagdad ist sicher. (…) Die Ungläubigen begehen zu Hunderten Selbstmord vor den Toren der Stadt.» – Iraks Informationsminister Mohammed Said al-Sahhaf im April 2003 an einer Pressekonferenz, während hinter ihm bereits die ersten US-Panzer im Zentrum der Stadt auftauchten.

8. Angesehene Persönlichkeiten, Wissenschafter, Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache

«Glaubt uns! Glaubt, dass wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle.» – Aus dem «Manifest der 93», mit dem sich 1914 93 deutsche Künstler und Wissenschafter gegen den Vorwurf der brutalen deutschen Kriegsführung wehrten.

9. Unsere Mission ist heilig

«Tretet den Weg zum Heiligen Grab an, nehmt das Land dort dem gottlosen Volk, macht es euch untertan.» – Papst Urban II. ruft 1095 die Christen zum Kreuzzug auf Jerusalem auf.

10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, steht auf der Seite des Gegners und ist ein Verräter

«Frank, hier ist dein Präsident, und gestern haben deine Jungs auf die amerikanische Flagge geschissen.» – US-Präsident Lyndon B. Johnson am Telefon zu CBS-Chef Frank Stanton, nachdem der Sender 1965 den US-Truppen in Vietnam das Abbrennen eines Dorfes vorgeworfen hat.
(https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/hintergrund/warum-in-kriegen-noch-vor-dem-ersten-schuss-die-wahrheit-stirbt-ld.1675428)



Rechte Rhetorik: Aus Putins Mund ins rechte Ohr
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine wird in rechtskonservativen Kreisen mit der angeblichen Dekadenz des liberalen, «woken» Westens erklärt. Dieses Deutungsschema stammt aus der Propagandafeder des Kreml. Jene, die es wiedergeben, machen sich zu nützlichen Idiot:innen.
https://www.woz.ch/2209/rechte-rhetorik/aus-putins-mund-ins-rechte-ohr


Corona-Verschwörungen in der katholischen Kirche
Ein Pastor in Brilon verbreitet antisemitische Verschwörungsideologien im Internet. Westpol-Recherchen zeigen: Er ist Teil eines Netzwerks in der katholischen Kirche. Doch das zuständige Bistum schweigt.
https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/corona-verschwoerung-katholische-kirche-100.html
-> Video: https://www.ardmediathek.de/video/westpol/westpol/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTE4YmI2MDBlLWM5MmItNDRlNy04M2VkLTIxNTEyMjkwMjYzMA (ab 05:48)


+++HISTORY
Der Bub aus Borneo, der Schweizer Nationalrat wurde
Alois Wyrsch war der erste Parlamentarier of Colour der Schweiz. Das ist weitgehend unbekannt. Was das über unsere Geschichtsschreibung aussagt.
https://www.swissinfo.ch/ger/zensierte-geschichte_der-bub-aus-borneo–der-schweizer-nationalrat-wurde/47393768