Medienspiegel 15. März 2022

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+++BERN
derbund.ch 15.03.2022

Ukrainischer Flüchtlings­ansturm: Flüchtlinge müssen stundenlang warten

Beim Bundesasylzentrum in Bern herrscht Grossandrang und bilden sich Schlangen. Für zusätzliche Nervosität sorgt ein falsches Gerücht.

Michael Bucher, Beat Mathys(Foto)

Im 19er-Bus nach Blinzern wird dieser Tage viel Ukrainisch gesprochen. So auch am Dienstagmorgen. Bei der Haltestelle Zieglerspital steigen zwei ukrainische Familien aus. Ihr Ziel: das Bundesasylzentrum im ehemaligen Bettenhochhaus des Zieglerspitals. Seit Samstag können sich dort – und bei den fünf anderen Zentren in der Schweiz – ukrainische Flüchtlinge registrieren lassen, um den Schutzstatus S zu erhalten.

«Wir waren gestern schon einmal hier», sagt die junge Mutter von drei Kindern. Vier Stunden hätten sie gewartet, «danach hat man uns gesagt, wir sollen heute wiederkommen». Das sei zwar etwas ärgerlich gewesen, meint die Frau, doch insofern nicht schlimm, da sie bereits bei einer Familie untergekommen seien.

Um 10.30 Uhr am Dienstagmorgen stehen rund 50 Personen vor dem Bundesasylzentrum Schlange. Es sind fast ausschliesslich junge Frauen, Kinder oder ältere Leute. Viele haben neben Koffern auch ihre Haustiere dabei. Securitas-Mitarbeiter und Leute vom Staatssekretariat für Migration (SEM) sind auf Platz.

Die SEM-Leute nehmen noch vor dem Haupteingang eine Triage vor: Flüchtlinge, welche bereits bei Privatpersonen untergekommen sind (laut SEM ist das rund ein Drittel), werden gebeten, wieder zu gehen. Denn aufgrund des hohen Ansturms sollen bei der Registrierung jene prioritär behandelt werden, welche noch über keine Bleibe verfügen.

«Chaotische Zustände»

Vor Ort ist am Dienstagmorgen auch Franz Morrissey aus der Gemeinde Radelfingen. Der pensionierte Uni-Dozent und seine Frau haben eine vierköpfige ukrainische Familie bei sich aufgenommen. Er mustert die Abläufe vor dem Bundesasylzentrum an der Morillonstrasse, während seine Gastfamilie im Gebäudeinnern auf die Registrierung wartet.

«Das sieht alles schon viel geordneter aus als gestern», sagt er. Die vorgelagerte Triage, die gespannten Absperrbänder, welche den Ansturm kanalisieren: Das habe es am Montag noch nicht gegeben. Der Platz vor dem Eingang sei komplett überfüllt gewesen. Er spricht von «chaotischen Zuständen».

Den ganzen Tag hätte die Familie am Montag beim Bundesasylzentrum verbracht, für eine Registrierung reichte es trotzdem nicht. Deshalb sind sie am Dienstag nochmals hergekommen. Weil das SEM die Abläufe mittlerweile verbessert hat, geht es nun zügiger.

Falsches Gerücht im Umlauf

«Dass nicht alles perfekt gelaufen ist in den ersten Tagen, ist gut möglich», sagt Daniel Bach, Kommunikationsverantwortlicher beim Staatssekretariat für Migration (SEM). Gerade auch, was die Kommunikation betrifft. Was er betonen möchte: Auch für die Behörden ist das Verfahren nach Schutzstatus S neu. «Wir lernen jeden Tag dazu und passen die Abläufe laufend an.»

In den ersten drei Tagen haben sich in den sechs Schweizer Bundesasylzentren laut SEM bereits rund 5200 ukrainische Flüchtlinge registriert. Gerechnet hatte man ursprünglich mit 1000 pro Woche. «Der Andrang ist sehr gross», sagt Bach, «die Mitarbeitenden in den Zentren laufen am Anschlag.» Beim SEM würde derzeit laufend Personal aus der Zentrale abdelegiert, um in den Bundesasylzentren auszuhelfen. Auch sei man mit Hochdruck daran, externe Möglichkeiten zur Registrierung zu prüfen. «Das Wichtigste ist für uns momentan, dass alle, die noch keine Unterkunft haben, am Abend ein Dach über dem Kopf haben», so Bach. Dies sei gewährt.

Daniel Bach hat Kenntnis davon, dass viele Ukrainerinnen und Ukrainer sich trotz privater Unterkunft so schnell wie möglich registrieren lassen wollen. Ein Grund ist laut ihm, dass unter den ukrainischen Flüchtlingen das Gerücht umgeht, die Schweiz nehme nur eine begrenzte Anzahl Flüchtlinge auf. Doch ein solches Kontingent gibt es nicht. «Wir versuchen, dies den ankommenden Flüchtlingen zu erklären und damit die Unsicherheit zu zerstreuen», sagt Bach. Auch auf der Homepage des SEM wird nun prominent darauf hingewiesen.

Wer bereits privat untergekommen ist, wird vor dem Bundesasylzentrum in Bern mit Unterlagen nach Hause geschickt. Dort drin steht, dass man für die Registrierung online einen Termin vereinbaren solle, und zwar erst dann, wenn der Andrang etwas nachgelassen hat. Die Kapazitäten kann man neuerdings auf der Homepage des SEM nachschauen. Am Dienstag war der Status aller sechs Zentren auf Rot gestellt – sprich, die Kapazitäten sind ausgeschöpft.

Ein Auto direkt aus dem Krieg

Es ist mittlerweile Mittag an diesem regnerischen Dienstag. Bei jeder Busankunft bei der Haltestelle Zieglerspital treffen neue Flüchtlinge ein. Andere fahren mit dem Auto vor. Weil längst alle Parkplätze besetzt sind, wird wild parkiert.

Ein einfahrendes Auto fällt besonders auf. Der Nissan ist völlig verdreckt, die hinteren Fenster sind kaputt und behelfsmässig mit Karton repariert. Auf beiden Seiten sind Löcher in den Türen zu sehen – es sieht aus wie Einschusslöcher.

Aus dem Wagen steigt eine Frau mit ihren beiden Kindern. Dem jugendlichen Sohn guckt ein kleiner Hund vorne aus der Jacke. Die Löcher im Auto stammten von Bombensplittern, erzählt die Frau in gebrochenem Englisch. Sie und ihre Kinder kommen direkt aus Charkiw. Vor drei Tagen sind sie dort losgefahren. Ihr Mann sei in der Ukraine geblieben, um zu helfen, sagt die Frau.
Das Fluchtauto einer ukrainischen Familie. Die Löcher stammen laut der Mutter von Bombensplittern.

Sichtlich erschöpft begeben die drei sich zum Eingang des Bundesasylzentrums, um sich registrieren zu lassen. Lässt sich für sie keine private Unterkunft finden, so werden sie wohl nach ein paar Tagen in einer der 14 Kollektivunterkünfte des Kantons Bern unterkommen.
(https://www.derbund.ch/schweizer-asylzentren-sind-bereits-am-anschlag-896886172606)


+++AARGAU
700 Hotelbetten im Aargau für Aufnahme von Flüchtlingen gemeldet
In mindestens einem Aargauer Hotel haben Flüchtlinge aus der Ukraine Zuflucht gefunden. Zehn Zimmer stehen zur Verfügung, das Hotel möchte nicht genannt werden. Über 700 Hotelbetten seien im Aargau gemeldet, heisst es bei der Organisation Campax auf Anfrage. Im Kanton Solothurn sind es 22.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/700-hotelbetten-im-aargau-fuer-aufnahme-von-fluechtlingen-gemeldet?id=12159993


Glarner kritisiert Kanton: «Wenn ich die Schlösser im Haus auswechseln muss, um Flüchtlinge aufzunehmen, ist das lächerlich»
Vor einer Woche kündigte SVP-Nationalrat Andreas Glarner an, er wolle in seinem Haus in Oberwil-Lieli eine Flüchtlingsfamilie aus der Ukraine aufnehmen. Macht er das auch wirklich? Glarner sagt, er wolle «privat, ganz ohne Staat» eine Familie aufnehmen, weigert sich aber, sich bei einer Flüchtlingsorganisation zu registrieren.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/ukraine-krieg-glarner-kritisiert-kanton-wenn-ich-die-schloesser-im-haus-auswechseln-muss-um-fluechtlinge-aufzunehmen-ist-das-laecherlich-ld.2263167


+++BASEL
Kritik an Zuständen vor dem Bundesasylzentrum in Basel
Vor dem Bundesasylzentrum Bässlergut in Basel hatten sich in den letzten Tagen lange Warteschlangen gebildet. Personen, die vor Ort waren, sprechen gar von chaotischen Zuständen. Das Staatssekretariat für Migration SEM will diese Situation nun verbessern. Das Personal werde aufgestockt und auch an einem Online-Tool, um sich für die Registrierung anzumelden, werde gearbeitet. Ausserdem weist das SEM Flüchtende darauf hin, dass sie für die Registrierung 90 Tage Zeit hätten.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/kritik-an-zustaenden-vor-dem-bundesasylzentrum-in-basel?partId=12160661
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/basler-elektrobusse-werden-in-der-schweiz-gefertigt?id=12159999 (ab 03:23)


Familie in Möhlin nimmt Flüchtlingsfamilie auf und berichtet aus ihrem Alltag (ab 01:49)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/studierenden-vereinigung-fordert-gratis-oev-fuer-studis?id=12160299


Basler Hotel nimmt Geflüchtete aus der Ukraine auf
Der Basler Architekt Rolf Stalder hat eine Hilfsorganisation aufgezogen, die geflüchteten Ukrainer*innen ein Dach über dem Kopf organisiert. Und das möglichst langfristig.
https://bajour.ch/a/ti5Bp2ErA7CFCQRT/basler-hotel-nimmt-gefluechtete-aus-der-ukraine-auf


Basler Anwalt fordert: «Bund soll Asylverfahren von Flüchtenden aus der Ukraine an Kantone delegieren»
Ausserdem sollen die vorerst unnötige Verfahrensschritte der Befragung und der Abnahme der Fingerabdrücke auf einen späteren Zeitpunkt mit Terminvorladung verschoben werden.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/krieg-in-der-ukraine-basler-anwalt-fordert-bund-soll-asylverfahren-von-fluechtenden-aus-der-ukraine-an-kantone-delegieren-ld.2263130


+++GRAUBÜNDEN
Ostschweizer Kantone wappnen sich für ukrainische Flüchtlinge (ab 05:00)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/rekordverlust-fuer-die-st-galler-spitalverbunde?id=12160328


Hilfswerk: Kriegsflüchtlinge finden Schutz im Prättigau
https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/rondo-news/rondo-news-15-03-22
-> https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/rondo-fokus/rondo-fokus-15-03-22


+++WALLIS
Auch Walliser Hotels stellen Betten für ukrainische Flüchtlinge zur Verfügung. Im Vergleich etwa zu Bern sind die Zahlen bisher allerdings tief. Weshalb? (ab 01:11)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/fuer-den-sc-bern-ist-die-saison-vorbei?id=12160017


+++ZUG
In Menzingen im Kanton Zug wurde ein Pavillon für Geflüchtete aus der Ukraine in Betrieb genommen. (ab 02:54)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/luzerner-eltern-sollen-mehr-kinderzulagen-erhalten?id=12160020


+++ZÜRICH
Achtung Tollwut: Behörden kontrollieren Tiere von Flüchtlinge
Auch in den Kantonen Zürich und Schaffhausen sind schon viele Flüchtlinge angekommen. Einige bringen auch Haustiere mit. Da in der Ukraine Tollwut noch verbreitet ist, wollen die Behörden genau hinsehen.
Winterthur bietet Zivilschutz auf für Betreuung der Ukraine-Flüchtlinge
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/achtung-tollwut-behoerden-kontrollieren-tiere-von-fluechtlinge?id=12160029


Zürcher Empfangsstelle rechnet bis Mittwochabend mit 2’500 Flüchltingen aus der Ukraine. (ab 03:169
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/in-drei-zuercher-spitaelern-koennten-bald-die-lichter-ausgehen?id=12160313
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/neue-spitalliste-so-reagieren-uster-und-affoltern?id=12160535 (ab 08:20)
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/empfangsstelle-vermittelt-mehrere-hundert-unterkuenfte-00178286/
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/das-bundesasylzentrum-zuerich-kommt-mit-registrieren-kaum-mehr-nach-00178266/
-> https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/empfangsstelle-fuer-fluechtende-aus-der-ukraine-in-zuerich?urn=urn:srf:video:f8209b61-9426-4498-8dc7-3d68e69827ce
-> https://www.20min.ch/story/die-gefluechteten-sind-einfach-froh-an-einem-sicheren-ort-zu-sein-982723233166
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/empfangsstelle-willkommen-in-der-schweiz-so-empfaengt-der-kanton-zuerich-fluechtlinge-aus-der-ukraine-ld.2263193


Ukraine Krieg: Zürich richtet Saalsporthalle für Flüchtlinge her
Die Stadt Zürich schafft 200 zusätzliche Plätze für Menschen, die vor dem Ukraine-Krieg fliehen. Die Saalsporthalle wird zu diesem Zweck hergerichtet.
https://www.nau.ch/ort/zurich/ukraine-krieg-zurich-richtet-saalsporthalle-fur-fluchtlinge-her-66131897


+++SCHWEIZ
Ständerat lehnt Wiedereinführung des Botschaftsasyls ab
Der Ständerat hält nichts von der Wiedereinführung des Botschaftsasyls. Er hat am Dienstag eine entsprechende Motion von Daniel Jositsch (SP/ZH) mit 29 zu 12 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2022/20220315121440645194158159038_bsd089.aspx
-> https://www.blick.ch/politik/wird-nicht-wieder-eingefuehrt-botschaftsasyl-faellt-im-staenderat-durch-id17319226.html


Ukraine Krieg: Noch 7800 freie Plätze in Bundesasylzentren»
Über 4000 Geflüchtete wurden in der Schweiz in der Folge vom Ukraine-Krieg registriert. Doch schon jetzt werden die Kapazitäten knapp.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-noch-7800-freie-platze-in-bundesasylzentren-66130419


Tierschutz organisiert Plätze für ukrainische Hunde und Katzen
Viele Flüchtlinge aus der Ukraine kommen mit ihren Haustieren in der Schweiz an. Der Tierschutz will Hilfe leisten.
https://www.nau.ch/ort/zurich/tierschutz-organisiert-platze-fur-ukrainische-hunde-und-katzen-66131687


Armee räumt Kasernen frei: Falsches Gerücht verunsichert Flüchtlinge
Der Andrang ist gross in den Asylzentren. Wegen einer Falschmeldung, dass die Aufnahmezahl in der Schweiz begrenzt sei, wollen sich viele ukrainische Flüchtlinge rasch registrieren lassen. Derweil sucht das Staatssekretariat für Migration Unterbringungsplätze.
https://www.blick.ch/politik/armee-raeumt-kasernen-frei-falsches-geruecht-verunsichert-fluechtlinge-id17317770.html



aargauerzeitung.ch 15.03.2022

Rassistisch oder verständlich? Warum viele Schweizer ukrainische Flüchtlinge aufnehmen wollen – aber kaum Afghanen

Millionen Ukrainer fliehen vor der russischen Kriegsmaschinerie. In der Schweiz werden sie mit offenen Armen empfangen. Von dieser Hilfsbereitschaft können Flüchtlinge aus anderen Ländern nur träumen. Sozialpsychologen wagen einen Erklärungsversuch.

Kari Kälin

Die Hilfsbereitschaft ist beeindruckend: Zehntausende Menschen in der Schweiz wollen geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer in den eigenen vier Wänden aufnehmen. Bis am Montag standen rund 55’000 Betten zur Verfügung, zum Teil in Hotels. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe trägt die privaten Angebote zusammen, die auf vielen Kanälen einfliessen. Innerhalb weniger Tage konnten aus dem Bundesasylzentrum Zürich bis am Sonntag bereits 100 ukrainische Kriegsflüchtlinge in Gastfamilien platziert werden.

Auch Dorothea Diallo von der Institution Familynetwork im Kanton Aargau erhält in diesen Tagen vermehrt Anrufe von Menschen, die ganze Häuser zur Verfügung stellten für Menschen aus der Ukraine. Die Institution vermittelt seit 2015 für unbegleitete minderjährige Asylsuchende Plätze bei Pflegefamilien in den Kantonen Aargau, Bern, Solothurn und Zürich. Seit 2019 hilft Familynetwork zudem, anerkannte erwachsene Flüchtlinge bei Gastfamilien unterzubringen. Der Verein führt dabei ein Projekt der Flüchtlingshilfe weiter.

Mehr Interessenten als freie Plätze

Seit der Migrationswelle 2015 fand Familynetwork für 36 unbegleitete Minderjährige eine Pflegefamilie. Das ist zwar eine erfreuliche Bilanz, aber: Es möchten viel mehr minderjährige Asylsuchende, zum Beispiel aus Afghanistan, in einer Familie wohnen, als Plätze zur Verfügung stehen. Auch für erwachsene anerkannte Flüchtlinge mangelt es an Gastfamilien. Kurzum: Während ukrainische Kriegsflüchtlinge mit offenen Armen empfangen werden, bekunden Geflüchtete aus anderen Ländern Mühe, bei einer Gastfamilie unterzukommen.

Auf ein vergleichsweise bescheidenes Echo stiess auch ein Gastfamilienprojekt, das die Flüchtlingshilfe vor sieben Jahren startete. Zwischen 2015 und März 2018 durften 672 Geflüchtete bei 408 Gastfamilien wohnen. Die Flüchtlingshilfe, die das Projekt 2019 an lokale Organisationen übergab, zog damals ein positives Fazit. Dank der Wohngemeinschaften fassten die Flüchtlinge hierzulande einfacher Fuss, lernten die Landessprache rascher und fanden schneller einen Job.

Miriam Behrens, Direktorin der Flüchtlingshilfe, sagt: «Es gab genügend Gastfamilien.» Das Projekt sei auf grosse Solidarität in der Bevölkerung gestossen. Als die Flüchtlingshilfe das Konzept 2015 lancierte, habe die Organisation Neuland betreten und Aufbauarbeit geleistet. Seither habe es sich etabliert. Heute sei man besser aufgestellt, auch um die Angebote für ukrainische Flüchtlinge zu sammeln und zu koordinieren.

Zur Erinnerung: 2015 setzten rund 850’000 Menschen von der türkischen Küste auf die griechischen Inseln über. Ein grosser Teil wanderte nach West- und Nordeuropa weiter. Die Schweiz zählte 2015 rund 40’000 Asylgesuche, die meisten aus Eritrea, Afghanistan und Syrien. Auch damals gab es viele Menschen, die ein neues Dach über ihrem Kopf benötigten. Zum Vergleich: Bis am Montag hat das Staatssekretariat für Migration rund 4000 Schutzsuchende aus der Ukraine registriert.

Rassismusvorwurf in sozialen Medien

In den sozialen Medien kursiert denn auch der Rassismusvorwurf. Er lautet sinngemäss so: Die Menschen in der Schweiz empfangen die christlich-orthodoxen Ukrainer euphorisch, während sie Muslimen mit Ablehnung begegnen. Sind die Menschen in der Schweiz rassistisch oder selektiv solidarisch? Weshalb sind viel mehr Leute bereit, ukrainische Geflüchtete aufzunehmen als zum Beispiel Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea?

    Widerlich. W-I-D-E-R-L-I-C-H.

    Die Situation in der Ukraine ausnutzen für Hass gegen Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt. Die #NZZ hat gerade das letzte Recht verspielt sich liberal zu nennen. pic.twitter.com/7Egp6PE5Ay
    — Cédric Wermuth (@cedricwermuth) March 1, 2022

    Gibt es irgendeine Erklärung, die uns halbwegs gut aussehen lässt, warum wir vor einigen Jahren Syrer und Afghanen mit NATO-Draht, Pushbacks und Ersaufenlassen begegneten, während wir Ukrainer mit überschwänglicher Menschlichkeit empfangen?
    — Perica Grašarević (@PGrasarevic) March 10, 2022

Margit Oswald, emeritierte Professorin für Sozialpsychologie der Universität Bern, wagt einen Erklärungsversuch aus psychologischer Sicht: «Die Ukraine gehört zu Europa, eine Annäherung an die EU steht zur Debatte. Man fühlt sich kulturell und auch religiös den Ukrainerinnen und Ukrainern näher als vielen Menschen aus ferneren Ländern», sagt sie. Auch Präsident Wolodimir Selenski betone sehr stark die Zugehörigkeit seines Landes zum Westen. Die Ukraine sei also Teil der westlichen Wertegemeinschaft.

Opfer eines klar identifizierbaren Aggressors

Weiterhin nehme man spätestens seit dem russischen Überfall auf die Krim die Ukrainerinnen und Ukrainer unmissverständlich als Opfer eines klar identifizierbaren Aggressors wahr. Das erinnere vielleicht an den Aufstand in Ungarn 1956 und an den Prager Frühling in der Tschechoslowakei 1968. Damals nahm die Schweiz, auch beseelt von der antikommunistischen Grosswetterlage, bereitwillig Tausende Flüchtlinge auf. Das alles, sagt Oswald, löse jetzt eine stärkere Hilfsbereitschaft aus als beispielsweise bei Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien, aus Afghanistan oder Eritrea flohen. Dort habe es möglicherweise auch die Sorge gegeben, es könnten auf dem Weg der Flucht Menschen mit extremistischem Gedankengut in die Schweiz gelangen.

Interessant ist ein Blick zurück in die 1950er-Jahre. Auch damals erfuhren nicht alle Flüchtlinge gleich viel Solidarität. Während die Schweiz Tausende Ungarinnen und Ungarn grosszügig aufnahm, verwehrte die Regierung 200 sephardischen Juden aus Ägypten Asyl, die in der Suezkrise 1957 in der Schweiz eine neue Heimat suchten, wie man in der «Schweizer Migrationsgeschichte» (André Holenstein, Patrick Kury, Kristina Schulz) nachlesen kann.

Nähe und Ähnlichkeit fördern Empathie

Johannes Ullrich, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Zürich, argumentiert derweil ganz ähnlich wie Oswald: «Faktoren, die dazu beitragen, dass Menschen Mitleid und Empathie empfinden und sich für andere engagieren, sind unter anderem Nähe und Ähnlichkeit. Die Menschen aus der Ukraine sind den Menschen in der Schweiz räumlich näher und kulturell ähnlicher», sagt er. Auch sei die Gruppe der Flüchtenden homogener als etwa 2015, als die Menschen aus unterschiedlichsten Regionen und aus den unterschiedlichsten Gründen nach Europa geflüchtet seien.

«Schliesslich haben wir aktuell ein unterstützendes, einfach verständliches Gut-Böse-Narrativ», sagt Ullrich. Hier Übeltäter Putin, dort die wehrhaften Ukrainer. Bei Geflüchteten aus anderen Ländern habe sich das Bild komplexer präsentiert und sei rechtspopulistischer Meinungsmache überlagert worden. Ullrich folgert: «Alles in allem überrascht mich das Ausmass der Hilfsbereitschaft im Vergleich zu früher wenig.»

Integration gelingt besser in Pflegefamilien

Dorothea Diallo vom Familynetwork hofft unterdessen, dass die aktuelle helvetische Hilfsbereitschaft vermehrt Menschen aus anderen Krisenregionen erfasst. Dass sich mehr Private bereit erklären, Flüchtlinge aus allen Ländern bei sich aufzunehmen, gerade auch unbegleitete Minderjährige. Eine Untersuchung des Vereins Pflege- und Adoptivkinder Schweiz zeigt nämlich: Die jungen Geflüchteten lernen die Sprache schneller und integrieren sich einfacher in die Gesellschaft, wenn sie bei einer Pflegefamilie wohnen anstatt in einer Kollektivunterkunft.

Interessiert an der Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen? Melden kann man sich bei info@familynetwork.ch
(https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/krieg-in-der-ukraine-rassistisch-oder-verstaendlich-warum-viele-schweizer-ukrainische-fluechtlinge-aufnehmen-wollen-aber-kaum-afghanen-ld.2263059)


+++SCHWEIZ
Besonders geflüchtete Frauen von Ausbeutung gefährdet
Bereits 2,8 Millionen Ukrainer*innen sind auf der Flucht, die meisten davon Frauen und Kinder. In der Schweiz kommen sie auch in Privatunterkünften unter. Wer aber überprüft, ob sie sich eignen und sicher sind?
https://bajour.ch/a/8bV9yYz1kVmC8c3q/gefluchtete-frauen-vor-ausbeutung-schutzen


Gedränge an den Bundesasylzentren – Sechs Zentren am Anschlag
An den Bundesasylzentren drängen sich die Flüchtlinge aus der Ukraine. Die sechs Zentren waren am Dienstag bereits am Anschlag: Boudry NE, Basel, Bern, Chiasso TI, Altstätten SG und Zürich. Gut 5000 Geflüchtete haben sich in der Schweiz bereits registrieren lassen.
https://www.swissinfo.ch/ger/gedraenge-an-den-bundesasylzentren—sechs-zentren-am-anschlag/47434798


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Corona-Politik Schweiz – Demo-Verbot: Schweiz war zu restriktiv
EGMR-Urteil: Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind möglich, aber eben nicht nach Belieben einer Regierung.
Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR ist die Schweiz im Frühjahr des ersten Pandemiejahres 2020 zu weit gegangen mit dem Verbot von öffentlichen Kundgebungen. Die Strassburger Richter rügen in ihrem heute publizierten Urteil insbesondere, dass die Entscheidung der Regierung nicht von Gerichten auf ihre Verhältnismässigkeit überprüft worden sei.
https://www.srf.ch/news/schweiz/corona-politik-schweiz-demo-verbot-schweiz-war-zu-restriktiv
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/strassburger-richter-verurteilen-schweiz-fuer-coronapolitik?partId=12160394
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/gewerkschaftsrechte-durch-demonstrationsverbot-verletzt-66131654
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/corona-politik-schweiz-demo-verbot-schweiz-war-zu-restriktiv


+++JUSTIZ
Stress am Gericht
Die Fallzahl am Berner Regionalgericht stieg im letzten Jahr um 25 Prozent. Ein Auslöser für die Zunahme ist Corona – doch nicht nur. Gerichtspräsident Jürg Christen sucht nach Gründen, aber klar ist: Nun werden zusätzliche Richter*innen angestellt.
https://www.hauptstadt.be/article/25-prozent-mehr-falle-am-regionalgericht


+++KNAST
«Unrechtmässige Haftbedingungen»: Brian erhält vom Kanton Zürich 1000 Franken
Das Bezirksgericht Zürich hat dem bekannten Gefangenen eine Genugtuung zugesprochen, die jedoch weit unter der Forderung des jungen Mannes bleibt.
https://www.tagesanzeiger.ch/zuercher-bezirksgericht-spricht-brian-1000-franken-genugtuung-zu-377946421560
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/haft-kanton-zuerich-muss-zahlen-brian-bekommt-genugtuung-ld.2263114
-> https://www.landbote.ch/zuercher-bezirksgericht-spricht-brian-1000-franken-genugtuung-zu-377946421560
-> https://www.watson.ch/schweiz/215266405-1000-franken-genugtuung-fuer-brian-wegen-haftbedingungen
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/zurcher-bezirksgericht-spricht-brian-eine-kleine-genugtuung-zu-66131617
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/neue-spitalliste-so-reagieren-uster-und-affoltern?id=12160535 (ab 16:52)
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/unrechtmaessige-haftbedingungen-brian-erhaelt-genugtuung-00178243/



nzz.ch 15.03.2022

Die Zürcher Justiz hat Straftäter Brian erniedrigend und unmenschlich behandelt – nun erhält er doch noch eine Genugtuung

Weil er am Boden schlafen musste, keine Kleider erhielt und keinen Besuch empfangen durfte, klagte der Straftäter Brian gegen den Staat. Das Bezirksgericht Zürich gibt ihm nun in der zentralen Frage recht.

Fabian Baumgartner

Verstiess die Behandlung des Straftäters Brian im Gefängnis Pfäffikon gegen die Europäische Menschenrechtskonvention? Und hat der 25-Jährige deshalb Anspruch auf eine Genugtuung und Schadenersatz? Über diese beiden Fragen hat das Bezirksgericht Zürich im Rahmen einer Haftungsklage des unter dem Pseudonym «Carlos» bekannt gewordenen jungen Mannes befinden müssen.

In seinem schriftlich eröffneten Urteil vom 11. März 2021 hat das Bezirksgericht nun die erste Frage bejaht, die zweite jedoch verneint. Es hält fest, dass die Haftbedingungen, denen Brian in Pfäffikon zwischen dem 6. und dem 26. Januar 2017 ausgesetzt gewesen war, eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention waren und deshalb eine Persönlichkeitsverletzung darstellten. Es hätten trotz dem aggressiven Verhalten von Brian Alternativen bestanden, um die konventionswidrigen Haftbedingungen zu mildern, schreibt das Gericht.

Es geht in dem Fall um Ereignisse vom Januar 2017 im Gefängnis Pfäffikon. Brian befand sich dort in Untersuchungshaft und zwischen dem 6. und dem 26. Januar stets in Einzelhaft. Brian verhielt sich laut einem nach den Vorfällen erstellten Bericht renitent und gewaltbereit, er beleidigte und bedrohte die Aufseher. Zudem versuchte er zwei Mal, sich mit einem Teil seines Körpers durch die Essensluke in der Zellentüre zu zwängen.

Das Gefängnispersonal reagierte mit drastischen Massnahmen. Brian musste unter anderem ohne Matratze auf dem Boden schlafen, er durfte in den rund drei Wochen nur einen Poncho tragen, jedoch keine eigene Kleidung, nicht einmal Unterwäsche. Auch Spaziergänge waren nicht möglich. Zudem musste er immer Fussfesseln tragen, er konnte nicht duschen, Besuche wurden ihm verwehrt.

Keine Matratze, keine Kleider, kein Spaziergang

Der Kanton hatte vor Gericht argumentiert, es habe beim Gefängnispersonal keine Schädigungsabsicht bestanden. Vielmehr seien die Mitarbeiter mit dem aussergewöhnlich aggressiven Verhalten des Straftäters überfordert und die Infrastruktur nicht auf die speziellen Verhältnisse ausgelegt gewesen. Brian habe die Behandlung mit seinem Verhalten selbst herbeigeführt.

Das Gericht bezeichnet diese Einwände jedoch als nicht stichhaltig. Der Staat könne sich nicht wesentlich dadurch entlasten, dass das Personal überfordert gewesen sei und die erniedrigende Behandlung nicht beabsichtigt gewesen sei. Zwar müsse man den Kampf des jungen Mannes gegen die Justiz als geradezu krankhaft bezeichnen.

Doch gerade bei schwierigen Insassen müsse der Staat für deren Gesundheit und Wohlergehen sorgen – soweit dies unter den gegebenen Umständen möglich und zumutbar sei. «Es geht weniger um die Frage, ob sich der Häftling die fraglichen Haftbedingungen selber zuzuschreiben hat, als vielmehr darum, ob es dem Justizvollzug unter den gegebenen Umständen möglich und zumutbar war, die objektiv konventions- und verfassungswidrigen Haftbedingungen zu beseitigen.»

Alternativen hätten laut Gericht durchaus bestanden. So hätte das Gefängnis die Polizei für die Spaziergänge, die Körperhygiene oder die Ausstattung der Zelle mit einer Matratze aufbieten können – unter Umständen auch ausgerüstet mit Tasern und einem Polizeihund. Der Renitenz hätte mit den Einsatzkräften begegnet werden müssen, hält das Gericht fest.

Die Konventions- und Verfassungsverletzung hat das Gericht jedoch nur knapp bejaht. Dies aufgrund des ungewöhnlich aggressiven Verhaltens von Brian und weil keine Schädigungsabsicht durch das Gefängnispersonal vorgelegen habe.

Die Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche von Brian hat das Gericht abgewiesen. Brians Anwalt Markus Bischoff hatte eine Genugtuung in der Höhe von 40 000 Franken sowie 15 600 Franken Schadenersatz gefordert. Diese Ansprüche hätten jedoch im damaligen Strafverfahren gegen Brian geltend gemacht werden müssen, hält das Bezirksgericht fest.

Das Verfahren war am 6. März 2017 rechtskräftig abgeschlossen und Brian wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden. Ohne Zweifel, schreibt das Gericht in seinem Entscheid, hätte er die Möglichkeit gehabt, seine finanziellen Ansprüche im Laufe des damaligen Strafverfahrens geltend zu machen. Die Ansprüche seien deshalb verwirkt.

Anwalt wertet Urteil als Erfolg

Der Haftungsklage zugrunde liegt eine Administrativuntersuchung, welche die Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr 2017 angeordnet hatte. Mit dem Bericht beauftragt hatte Fehr damals den ehemaligen Staatsanwalt Ulrich Weder. Dieser stellte fest, dass Brian in den 20 Tagen diskriminierend und erniedrigend behandelt worden sei.

Als Ursache für die Behandlung machte Weder Überforderung des Gefängnispersonals mit dem Insassen aus. Im Bericht listete er auf, Brian habe seine Zelle verwüstet und sie unter Wasser gesetzt, indem er die Toilette verstopft habe. Zudem habe er die Aufseher in Pfäffikon massiv bedroht, bespuckt und beschimpft.

Weder bejahte in seinem Bericht zwar eine «objektiv klar diskriminierende und erniedrigende Behandlung». Eine Erniedrigungs-, Demütigungs- oder Diskriminierungsabsicht seitens des Gefängnispersonals sei jedoch nicht zu erkennen gewesen. Deshalb liege auch keine konventions- und verfassungswidrige Behandlung im Sinne der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention vor. Dies sieht das Zürcher Bezirksgericht nun anders.

Beim Kanton heisst es auf Anfrage, das Urteil sei grundsätzlich vertretbar und in Bezug auf die Staatshaftung im Ergebnis richtig. Roger Keller, Sprecher der Finanzdirektion, schreibt: «Wir analysieren das Urteil noch detailliert, gehen im gegenwärtigen Zeitpunkt aber eher davon aus, dass wir es nicht anfechten werden.»

Brians Anwalt Markus Bischoff wiederum hält fest, er werte das Urteil als Erfolg, weil im Grundsatz die Verletzung der Menschenrechtskonvention festgehalten worden sei. Die Frage eines Weiterzugs sei jedoch noch nicht entschieden.

Urteil CG 200026 vom 11. 3. 21, noch nicht rechtskräftig.



Genugtuung für Brian wegen unrechtmässiger Haftbedingungen

bai. Nachdem das Obergericht das ursprüngliche erstinstanzliche Urteil aufgehoben hat, spricht das Bezirksgericht Zürich dem jungen Mann nun doch noch eine Genugtuung von 1000 Franken zu. Das Bezirksgericht stützt sich in seinem Urteil vom 24. Februar bezüglich der Haftbedingungen im Wesentlichen auf den Schlussbericht vom Mai 2017 in der Administrativuntersuchung zum Gefängnis Pfäffikon. Demnach befand sich der Kläger im Januar 2017 stets in Einzelhaft und trug Fussfesseln. Brian erhielt nie Gelegenheit zu einem Hof- oder Spaziergang. Ausser bei Verlegungen wurde die Türe zu seiner Zelle nie geöffnet. Insgesamt liege eine Verletzung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und von Art. 10 Abs. 3 der Bundesverfassung vor. Der Kläger forderte eine Genugtuung von 40 000 Franken. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände spricht ihm das Gericht 1000 Franken nebst 5 Prozent Verzugszins seit 16. Januar 2017 zu. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann beim Obergericht des Kantons Zürich angefochten werden.
(https://www.nzz.ch/zuerich/fall-carlos-straftaeter-wurde-im-gefaengnis-unmenschlich-behandelt-ld.1608453)


+++RASSISMUS
bzbasel.ch 15.03.2022

Antisemitismus im Netz nimmt weiter zu: Grossrätin Tonja Zürcher fordert Antworten vom Kanton

2021 nahmen antisemitische Online-Vorfälle in der Schweiz um 66 Prozent zu. An der Uni Basel sorgte ein «Zoom-Bombing» für Aufsehen und auch der Präsident des Israelitischen Gemeindebundes Ralph Lewin erhielt ein brutales Schreiben.

Zara Zatti

Das antisemitische «Zoom-Bombing» an der Uni Basel machte letztes Jahr schweizweit Schlagzeilen: Während der Präsentation des Studienfachs Jüdische Studien erschienen plötzlich Szenen aus Nazideutschland auf den Bildschirmen. Der Vorfall reiht sich in eine unschöne Entwicklung: In der Schweiz nimmt Antisemitismus in der digitalen Welt weiterhin stark zu –das zeigt der Antisemitismusbericht 2021. Erarbeitet wurde dieser in einer Zusammenarbeit der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG). 2021 nahmen antisemitische Online-Vorfälle um 66 Prozent zu (806 Vorfälle 2021, 485 Vorfälle 2020). 61 Prozent der Vorfälle ereigneten sich dabei auf dem Messengerdienst Telegram, 28 Prozent auf Twitter. In der realen Welt kam es im Vergleich zum Vorjahr zu sechs Vorfällen mehr.

Der Bericht veranlasste die Basler Grossrätin Tonja Zürcher (Grün-Alternatives Bündnis) zu einer Interpellation. Darin will sie vom Regierungsrat etwa wissen, wie antisemitische Straftaten erfasst werden und wie die Polizei und die Staatsanwaltschaft mit antisemitischen Hassbotschaften im Netz umgehen. «Durch die Coronapandemie tauchten vermehrt Verschwörungstheorien auf, darunter auch antisemitische. Das Problem hat sich verschärft.»

Brutales Schreiben an SIG-Präsident Ralph Lewin

Der Antisemitismusbericht unterscheidet zwischen Vorfällen in der realen Welt und online. Regional zugeordnet werden können nur erstere. In Basel kam es im Jahr 2021 zu einer Beschimpfung, zwei antisemitischen Auftritten und einer Zusendung. Ein Auftritt kann etwa ein Vortrag, bei dem antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet werden, sein oder das Zeigen des Hitlergrusses an einer Demonstration. Bei einem der beiden Auftritte handelt es sich um das «Zoom-Bombing» an der Universität Basel. Bei der verzeichneten Zusendung um ein Schreiben «der brutaleren Sorte» an den Präsidenten des SIG und ehemaligen Basler Regierungsrat Ralph Lewin.

Zu den Zahlen im Bericht, sagt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner: «Was nicht gemeldet wird, kann nicht registriert werden. Wir gehen davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt, weil nicht jeder den Aufwand einer Meldung auf sich nehmen will.» Die Zunahme an antisemitischen Aussagen, die online stattfinden, habe sich schon vor der Pandemie abgezeichnet, sagt Kreutner. «Aber während der Pandemie erlebten wir eine regelrechte Explosion an solchen Vorfällen.»

Dabei handle es sich um eine traurige Tradition: «Die Geschichte zeigt, dass während Krisensituationen, etwa während der Pest, auch der Antisemitismus zunimmt. Wenn die Struktur wankt, dann wird die Stimmung generell aufgeladener, ein Teil davon zeichnet sich immer in Antisemitismus ab.»

«Holocaust-Vergleiche sind sehr schmerzhaft»

Nicht als antisemitische Vorfälle werden im Bericht Vergleiche der Coronamassnahmen mit dem Holocaust gewertet, etwa das Tragen von einem Judenstern an einer Coronademo. Kreutner findet dennoch klare Worte für solche Aktionen: «Für die Überlebenden des Holocaust und deren Nachkommen sind solche Vergleiche sehr schmerzhaft. Die Sturheit, seine eigene Situation während der Pandemie so dermassen zu erhöhen und ein Missbrauch des Holocaust zu betreiben, ist höchst erschreckend.»

Die Interpellation von Zürcher soll morgen Mittwoch in der Grossratssitzung behandelt werden.
(https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/basel-antisemitismus-im-netz-nimmt-weiter-zu-grossraetin-tonja-zuercher-fordert-antworten-vom-kanton-ld.2263295)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Warum der Kreml plötzlich Tucker Carlson toll findet
Der Starmoderator von Fox News hat eine Story über ein angebliches Bio-Lab in der Ukraine lanciert. Jetzt explodiert diese Lüge in seinem Gesicht.
https://www.watson.ch/international/analyse/175777880-warum-der-kreml-tucker-carlson-ploetzlich-toll-findet


+++HISTORY
«Making Memories» – Theater über Familien- und Kolonialgeschichte
Woher kommen meine Grosseltern? Wie haben sie ihre Kindheit und Jugend verbracht? Sebastian Gisi, der Basler Theatermacher mit niederländischen Wurzeln, geht diesen Fragen im Stück «Making Memories» im Theater Roxy in Birsfelden nach. Gemeinsam mit dem niederländisch-indonesischen Filmemacher Sven Peetoom will er das Schweigen über die koloniale Vergangenheit der Grosseltern brechen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/making-memories-theater-ueber-familien-und-kolonialgeschichte?partId=12160709


50. Todestag des Verlegers: Der rätselhafte Tod des Giangiacomo Feltrinelli
Giangiacomo Feltrinelli war Verleger, Lebemann, Kommunist, Millionär – und möglicherweise Terrorist. Am 15. März 1972 wurde er tot an einem Hochspannungsmast aufgefunden. Was tags zuvor passiert war, bleibt mysteriös.
https://www.deutschlandfunk.de/50-todestag-von-giancomo-feltrinelli-100.html


Dänemark entschuldigt sich bei Grönland – Echo der Zeit
Bis Ende der 1970er-Jahre war Grönland eine dänische Kolonie. Bis die Insel zur autonomen Region wurde, mussten deren indigene Bewohnerinnen und Bewohner viel Demütigung ertragen, vor allem aus Dänemark. Dafür hat sich die dänische Ministerpräsidentin nun vor Ort hochoffiziell entschuldigt.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/daenemark-entschuldigt-sich-bei-groenland?partId=12160727


Neuenburg rückt Statue von David de Pury in neues Licht
In Neuenburg werden in den nächsten Monaten zwei Kunstwerke in der Nähe der umstrittenen Statue von David de Pury installiert. Die Aktion ist ein erster Schritt, um das von Rassismusgegnern beanstandete Denkmal in ein neues und kritisches Licht zu stellen.
https://www.swissinfo.ch/ger/neuenburg-rueckt-statue-von-david-de-pury-in-neues-licht/47435048