Medienspiegel 14. März 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Eröffnung der Kollektivunterkunft in Reconvilier
Die Kollektivunterkunft Rue de la Colline 50 in Reconvilier wird per April 2022 eröffnet. Die Liegenschaft wird aktuell saniert, damit sie wieder für Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Flüchtlinge genutzt werden kann. Im Oktober 2021 war die Bevölkerung über eine allfällige Wiederinbetriebnahme der Unterkunft informiert worden. Aufgrund der momentanen Migrationslage in der Schweiz und der zu erwartenden höheren Zuweisungszahlen vom Bund an die Kantone, ist das Amt für Integration und Soziales des Kantons Bern zum Entscheid gekommen, dass die Kollektivunterkunft Reconvilier definitiv in Betrieb genommen wird. Die Unterkunft wird durch das Schweizerische Rote Kreuz Kanton Bern betrieben. Die Gemeinde Reconvilier steht dem Vorhaben offen gegenüber und ist für die künftige Zusammenarbeit positiv eingestellt.
https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=31c403a9-34f8-4f4d-925c-5227c37ebf1e
-> https://www.derbund.ch/kanton-eroeffnet-asylunterkunft-in-reconvilier-180875684734
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/freiburg-verzeichnet-deutlich-mehr-verkehrsdelikte?id=12159309 (ab 03:50)


+++AARGAU
Kanton könnte «massiv überfordert» sein, sagt Sozialdirektor Gallati. – Aargau rechnet mit bis 20’000 Flüchtlingen
Die Geflüchteten aus der Ukraine stellen die Kantone vor grosse Herausforderungen. Man sei auf die Hilfe Privater angewiesen, sagt der Aargauer Gesundheits- und Sozialdirektor Jean-Pierre Gallati. Die kantonalen Unterkünfte würden «nie und nimmer» reichen.
https://www.blick.ch/politik/kanton-koennte-massiv-ueberfordert-sein-sagt-sozialdirektor-gallati-aargau-rechnet-mit-bis-20000-fluechtlingen-id17315936.html


+++BASEL
Flüchtlinge aus der Ukraine in Basel (ab 08:55)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/coronafallzahlen-steigen-an-nach-der-fasnacht?id=12159531


+++THURGAU
Erste Flüchtlingskinder aus der Ukraine eingeschult
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/mehr-verkehrstote-im-thurgau?id=12159312
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/die-ueber-800-jaehrige-ramschwag-wird-saniert?id=12159537


+++ZUG
Der Kanton Zug stellt in Menzingen einen Pavillon für 120 ukrainische Flüchtlinge bereit.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/das-veraendert-sich-der-tag-nach-den-wahlen-in-ob-und-nidwalden?id=12159699


+++ZÜRICH
250 Zürcherinnen bieten bereits ihre Wohnung für Flüchtlinge an
Über 3000 Ukrainerinnen und Ukrainer sind bereits in die Schweiz geflohen. Viele von ihnen kommen in den Kanton Zürich. Es habe ihn Zürich genug Platz für alle, sagt der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr. Die Solidarität sei gross.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/250-zuercherinnen-bieten-bereits-ihre-wohnung-fuer-fluechtlinge-an?id=12159099


Stundenlanges Warten: Lange Schlangen vor dem Bundesasylzentrum in Zürich
Flüchtlinge aus der Ukraine haben am Wochenende die Bundesasylzentren überrannt. Auch am Montagmorgen bildeten sich wieder Schlangen vor dem Bundesasylzentrum in Zürich.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/ukraine-krieg-stundenlanges-warten-lange-schlangen-vor-dem-bundesasylzentrum-in-zuerich-ld.2262638


+++SCHWEIZ
Schutzstatus S – Humanität mit fahlem Beigeschmack
Die Schweizer Regierung zieht im Ukraine-Krieg alle Register. Nachdem sie bei den Sanktionen gegen Russland mit der EU gleichzog, tut sie es jetzt auch in der Flüchtlingspolitik. Seit Freitag um Mitternacht gilt Schutzstatus S für alle Menschen, die aus der Ukraine flüchten müssen.
https://rabe.ch/2022/03/13/schutzstatus-s-humanitaet-mit-fahlem-beigeschmack/


Karin Keller-Sutter: Schutz von Frauen “extrem auf dem Radar”
Die Schweizer Behörden richten ein besonderes Augenmerk auf den Schutz von aus der Ukraine geflüchteten Frauen. Dies, nachdem es namentlich in Deutschland Anhaltspunkte gibt, dass gewisse Männer sich dafür interessieren, Frauen bei sich aufzunehmen. Sie hoffe sehr, dass es zu keine Zwischenfällen komme, sagte Justiziministerin Karin Keller-Sutter in der Fragestunde des Nationalrates.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2022/20220314151323562194158159038_bsd110.aspx
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/so-werden-frauen-aus-der-ukraine-bei-uns-geschutzt-66130769


+++UKRAINE
Anja Klug: Historische Fluchtbewegung in Europa
Laut Uno sind bisher fast 2,7 Millionen Menschen vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet. Welche Herausforderungen kommen mit dieser Fluchtbewegung auf Europa zu? Gast im «Tagesgespräch» ist Anja Klug, Leiterin des UNHRC-Büros für die Schweiz und Liechtenstein.
https://www.srf.ch/audio/tagesgespraech/anja-klug-historische-fluchtbewegung-in-europa?id=12159213


Ukraine: Aktuelle Informationen
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/ukraine-neuste-entwicklungen


+++ITALIEN
Für eine sichere und würdevolle Aufnahme von Migrant*innen. Schluss mit den Quarantäneschiffen
Seit der Inbetriebnahme von Quarantäneschiffen sind fast zwei Jahre vergangen und im Laufe der Zeit haben sich ernsthafte Missstände aufgezeigt. Diese wurden von den Mitarbeiter*innen des Roten Kreuzes, die vor Ort institutionell im Einsatz sind, bestätigt.
https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/fuer-eine-sichere-und-wuerdevolle-aufnahme-von-migrantinnen-schluss-mit-den-quarantaeneschiffen/


+++EUROPA
Mädchen und Frauen auf der Flucht sind besonders gefährdet
Kriminelle lauern auf Frauen und Mädchen aus der Ukraine. Hilfsorganisationen warnen, erste Fälle von Erpressung gab es bereits.
https://www.infosperber.ch/frau-mann/gewalt/maedchen-und-frauen-auf-der-flucht-sind-besonders-gefaehrdet/


+++GASSE
Kein einziger Todesfall – Zürcher Drogensüchtige sorgen für Corona-Überraschung
Covid-19 galt anfangs der Pandemie für schwer Drogensüchtige als tödliche Gefahr. Nun ist alles anders gekommen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/kein-einziger-todesfall-zuercher-drogensuechtige-sorgen-fuer-corona-ueberraschung
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/studie-kaum-schwere-verlaeufe-bei-drogenabhaengigen?urn=urn:srf:video:751893c4-9493-439d-afc8-32148f2df884


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
8 März – Internationaler Kampftag gegen das Patriarchat
Communiqué zur Demonstration in Basel.
Am 12.03 nahmen wir, 600 FINTA Personen (Frauen, Intersex -, Nonbinäre, Trans und Agender Personen), uns selbstbewusst die Strassen Basels. Wir gingen auf die Strasse um gegen sexistische Übergriffe, Femizide, Rassismus, Knäste, die cis-heteronormative Geschlechterbinarität und die tagtägliche patriarchale Unterdrückung zu kämpfen. Wir haben genug von der Ausbeutung in prekären und oftmals auch sexistischen Arbeitsbedingungen und gehen gegen ein System auf die Strasse, das auf rassistischer, sexistischer und kapitalistischer Gewalt basiert!
https://barrikade.info/article/5066


+++POLIZEI AG
«Besorgniserregend:» Polizeiverbands-Präsidentin Marclay kritisiert Richterin, die Blessuren bei Polizisten als Berufsrisiko sieht
Die Präsidentin des Bezirksgerichts Kulm habe Gewalt gegen Polizisten bagatellisiert, kritisiert der Verband Kantonspolizei Aargau. Die Richterin hatte gesagt, Blessuren seien bei Polizisten ein Stück weit Berufsrisiko. Die Sprecherin der Aargauer Gerichte entgegnet, die Richterin habe damit nur den Polizeialltag beschrieben.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/prozess-polizeiverband-wirft-bezirksgericht-bagatellisierung-von-gewalt-gegen-beamte-vor-diese-weist-die-kritik-zurueck-ld.2262490


+++POLIZEI DE
“Graue Wölfe” als Ordnungshüter in Deutschland
Auch Rechtsextreme mit türkischem Hintergrund sind bei der deutschen Polizei beschäftigt. Die Bundesregierung tut sich schwer mit dem Prüfauftrag
https://www.heise.de/tp/features/Graue-Woelfe-als-Ordnungshueter-in-Deutschland-6547423.html


+++EUROPOL
Schengener Informationssystem: Europol könnte bald Fahndungsvorschläge aus Drittstaaten koordinieren
Die EU-Polizeiagentur soll Listen mit Personen von ausländischen Behörden erhalten und diese dann im Schengen-Raum zur Einreiseverweigerung, Festnahme oder Beobachtung ausschreiben lassen. Damit wird ein längst praktiziertes, fragwürdiges Verfahren legalisiert.
https://netzpolitik.org/2022/schengener-informationssystem-europol-koennte-bald-fahndungsvorschlaege-aus-drittstaaten-koordinieren/


+++FRAUEN/QUEER
Nur ein kleines Zeichen?
Am Gendersternchen entzündet sich eine Debatte – auch in der Kanti Schaffhausen. Mit ein Grund: Politisierte Jugendliche fordern Anerkennung.
https://www.shaz.ch/2022/03/14/nur-ein-kleines-zeichen/


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Militarismus im Aufwind, Schutzstatus S aktiviert, Proteste in Libyen und Tunesien
https://antira.org/2022/03/14/militarismus-im-aufwind-schutzstatus-s-aktiviert-proteste-in-libyen-und-tunesien/


12. Aktionswoche: Struktureller Rassismus, was ist das?
Die Aktionswoche gegen Rassismus der Stadt Bern ist «live» zurück. Zwischen dem 19. und dem 26. März finden mehr als 40 Veranstaltungen für Erwachsene und Kinder statt. Mit der 12. Aktionswoche soll aufgezeigt werden, ob und wie sich struktureller Rassismus, der unhinterfragt in Entscheidungsabläufen und Organisationsstrukturen steckt, auf das Leben vieler Berner*innen auswirkt.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/12-aktionswoche-struktureller-rassismus-was-ist-das


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Alina Lipp: Das ist Putins deutsche Infokriegerin
Jenseits der Frontlinie gibt es wenige Journalisten, die über den Ukraine-Krieg berichten. Eine Deutsche sendet Eindrücke von der anderen Seite. Aus Donezk berichtet sie voll auf Kreml-Kurs.
https://www.watson.ch/!462644743
-> https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_91759336/alina-lipp-auf-telegramm-das-ist-putins-deutsche-infokriegerin-.html



bernerzeitung.ch 11.03.2022

Wortbrüchige Politikerin? Meier irrlichtert weiter, Amstutz schweigt

Seit Wochen kündigt Madeleine Amstutz an, sich zu Verschwörungstheorien zu äussern, die ein Kandidat ihrer Wahlliste verbreitet. Trotzdem schweigt sie beharrlich.

Marco Zysset

«Kinderschänder» seien all jene, welche Kindern wegen Corona Schutzmasken anziehen oder solche Massnahmen verordnen und durchsetzen würden. Und es gebe «keinen Staat Ukraine», sondern «ausschliesslich russische Zone». Solche Aussagen macht oder verbreitet Hans Meier, Grossratskandidat auf der Liste 19 im Wahlkreis Thun, auf seinem Facebook-Profil. Die Liste 19 ist die Bürgerliche Stadt- und Land-Liste (BSL) der in ihrer Partei in Ungnade gefallenen SVP-Grossrätin Madeleine Amstutz. Ziel: Amstutz’ Sitz im Grossen Rat bei den Wahlen vom 27. März zu halten. Ihre Bewerbung für eine offizielle SVP-Liste zog sie zurück, nachdem sich abgezeichnet hatte, dass die Delegierten des Wahlkreisverbands sie nicht nominieren würden.

Bereits vor einem Monat recherchierte diese Zeitung über Meiers verbale Entgleisungen und bat Madeleine Amstutz um eine Stellungnahme. Dasselbe tat die Nachrichtenagentur SDA wenige Tage später. Beide Male äusserte sich Amstutz inhaltlich nicht zu den Aussagen des streitbaren Kandidaten und verwies auf eine Medienkonferenz, die «in den nächsten Tagen» stattfinden sollte.

Keine Stellungnahme

Am Freitagmorgen nun verschickte ihr Sekretariat eine zwei A4-Seiten lange Medienmitteilung. Der grösste Teil des Textes ist eine Aufarbeitung des Sigriswiler Spesenstreits aus ihrer Sicht, der letztlich die Ursache für das Zerwürfnis ist, und eine eigentliche Abrechnung mit Partei-Exponenten, denen Amstutz eine Diffamierungskampagne vorwirft.

Unter anderem heisst es im Text, Madeleine Amstutz habe gegen Alt-Nationalrat Adrian Amstutz eine Strafanzeige wegen übler Nachrede und Verleumdung eingereicht. «Ich habe bis heute keine Meldung von der Polizei, dass eine Anzeige gegen mich eingegangen sei», sagt dieser auf Anfrage. «Ich weiss also gar nicht, ob es überhaupt eine Anzeige gegen mich gibt und was mir konkret vorgeworfen wird.»

In der Medienmitteilung werden weiter die Beweggründe für den Alleingang mit der BSL erläutert sowie die politischen Verdienste von Madeleine Amstutz und ihr politisches Programm. Zu Hans Meier ist im Text trotz der ursprünglichen Ankündigungen kein Wort zu finden. Ein E-Mail mit fünf Fragen zur Medienmitteilung beziehungsweise zur Person Hans Meier liess Amstutz ebenso unbeantwortet wie zwei SMS-Nachrichten, obwohl sie als Kontakt für Nachfragen auf der Medienmitteilung angegeben war.

«Aussitzen ist verständlich»

Während im Wahlkreis Thun die Gemüter ob der Causa Meier/Amstutz da und dort arg erhitzt sind, stellt der Berner Politologe und Wahlkampfexperte Mark Balsiger fest: «Ausser in der Region Thun hat die Kandidatur von Hans Meier auf der Liste von Madeleine Amstutz in den letzten Wochen nirgends Wellen geschlagen.» So gesehen sei es verständlich, dass Madeleine Amstutz versuche, die Sache auszusitzen.

«Letztlich kann man ihr höchstens vorwerfen, dass sie ihre Leute beim Zusammenstellen der Liste zu wenig genau geprüft hat», sagt Balsiger – fügt jedoch an: «Wenn sie eine klare Stellungnahme abgeben würde, könnte sie verhindern, dass aufsässige Journalisten die Geschichte immer wieder aufgreifen.» Aber das passiere, wenn jemand eine Ankündigung mache und diese dann nicht einhalte.
(https://www.bernerzeitung.ch/thuner-kandidat-verbreitet-fake-news-amstutz-schweigt-412061946358)


+++HISTORY
bzbasel.ch 14.03.2022

Für die Atombombe wären Schweizer Offiziere über Leichen gegangen: Erst 1988 stellte die Schweiz ihre Atomwaffenpläne ein

Während des Kalten Krieges dachte der Bundesrat, die Schweiz brauche für eine effektive Landesverteidigung Atomwaffen. Warum die Militärspitze dafür auch tote Zivilisten in Kauf genommen hätte und warum das Schweizer Atomwaffenprogramm schliesslich scheiterte, zeigt der Blick in die Geschichte.

Ann-Kathrin Amstutz

Seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine geht in Europa die Angst vor einem Atomschlag um. Dabei hält sich noch heute hartnäckig die Ansicht, der Besitz von Atomwaffen würde auf feindliche Staaten abschreckend wirken und somit den Frieden stabilisieren.

Genau so argumentierte während des Kalten Krieges auch die Schweiz: Der Bundesrat sprach sich im Juni 1958 offen für eine atomare Bewaffnung der Schweizer Armee aus: «Der Bundesrat ist der Ansicht, dass der Armee zur Bewahrung unserer Unabhängigkeit und zum Schutze unserer Neutralität die wirksamsten Waffen gegeben werden müssen. Dazu gehören die Atomwaffen.»

Von 1945 bis 1988 verfolgte die Schweiz ein Atomwaffenprogramm – grösstenteils unter strenger Geheimhaltung. Wie weit die Schweizer Träume von einer eigenen Atombombe gingen, zeigt der Historiker Michael Fischer in seinem Buch «Atomfieber: Eine Geschichte der Atomenergie in der Schweiz» von 2019. Auf Fischers Recherchen stützt sich der folgende Bericht hauptsächlich.

Es drohte ein Atomkrieg, der die Menschheit vernichten könnte

Nach den Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki im August 1945 war die Welt nicht mehr die gleiche wie zuvor. Der Zweite Weltkrieg war zu Ende. Doch die USA und die Sowjetunion befanden sich in einem Rüstungswettlauf, der das Risiko eines Atomkriegs erhöhte und damit die Gefahr der Vernichtung der gesamten Menschheit schuf.

Darauf reagierte auch die Schweiz. Nur wenige Monate nach den Atombombeneinschlägen regte Bundesrat Karl Kobelt die Gründung einer Studienkommission für Atomenergie (SKA) an. Deren Leiter wurde der renommierte Atomphysiker und ETH-Professor Paul Scherrer. Offiziell diente die Kommission der wissenschaftlichen Forschung, doch damit sollte bloss der militärische Zweck getarnt werden. Militärdepartementsvorsteher Karl Kobelt erteilte der SKA im Februar 1946 einen klaren Auftrag: «Die SKA soll die Schaffung einer schweizerischen Bombe oder anderer Kriegsmittel anstreben, die auf dem Prinzip der Atomenergie beruhen.»

Die Mitglieder der SKA verpflichteten sich vertraglich zur Geheimhaltung ihrer Arbeit. Im Juni 1946 wurde die Kommission vom Bundesrat offiziell ernannt. Gleichzeitig weibelte Bundesrat Kobelt im Parlament erfolgreich für einen Millionenkredit für die Atomforschung – indem er geradeheraus log, «dass kein Mensch daran denkt, dass in der Schweiz das grauenhafte Kriegsinstrument der Atombombe gebaut werden soll».

Eine fieberhafte Suche nach Uran begann

Es war neben technischem Wissen also auch Geld da, um die Forschung an der Atombombe voranzutreiben. Nur eines fehlte: spaltbares Material, das Uran. Da die USA sämtliches Uran für sich behalten wollten und ein Ausfuhrverbot verhängten, war es auf dem freien Markt nicht verfügbar.

In der Schweiz suchte im eigenen Land. Doch bald wurde klar: Die eigenen Vorkommen waren so klein, dass sich ein Abbau kaum lohnen und immense Kosten verursachen würde. So gab es nur eine Alternative: Das Uran legal oder illegal im Ausland zu kaufen.

In einem geheimen Dreiecksgeschäft mit Grossbritannien und Belgien gelang es der Schweiz zwischen 1953 und 1955, zehn Tonnen Uran aus dem Belgisch-Kongo zu beschaffen. Das Uran wurde als Kriegsreserve eingelagert. Es hätte für den Bau einer Uranbombe ausgereicht, doch wegen der «unvernünftig hohen Kosten» wurde das Bauprojekt nicht umgesetzt.

Armeespitze war zu Atomschlag ohne Rücksicht auf Bevölkerung bereit

Als Atomwaffen-Pläne selbst von neutralen Staaten wie Schweden publik wurden, entbrannte ab 1954 eine Debatte über die atomare Bewaffnung in Schweizer Offizierskreisen. Die Schweiz war damals von einem radikalen Antikommunismus ergriffen. Um einen Angriff der Sowjetunion mit gleicher Münze heimzahlen zu können, wäre ein Teil der Armeespitze zu allem bereit gewesen – gar zu einem kollektiven Suizid. 1957 sagte Louis de Montmollin, Generalstabschef der Schweizer Armee: «Es gibt Fälle, in denen wir unbedingt Atomwaffen einsetzen müssten, selbst auf die Gefahr hin, dass die Zivilbevölkerung einen grossen Schaden erleiden würde.»

Nur aus Rücksichtnahme auf die Bevölkerung könne man unmöglich darauf verzichten. Auch General Henri Guisan schrieb 1959: «Wer heute unserem Lande den Gebrauch der Verteidigungswaffen des Atomzeitalters verwehren will, treibt das Spiel des Kommunismus.» Die Träume einer Schweizer Atombombe hatten ihren Höhepunkt erreicht. Auch der Bundesrat befürwortete öffentlich Atomwaffen, um die Neutralität zu sichern.

Dienten die Reaktoren militärischen oder zivilen Zielen?

Gleichzeitig waren mehrere Projekte für den Bau von Atomkraftwerken im Gange. 1960 sprach das Parlament 50 Millionen Franken für die Entwicklung von Versuchsreaktoren. In der heutigen Literatur ist umstritten, inwiefern diese militärischen oder zivilen Zwecken dienen sollten. Klar ist, dass die Schweiz die Atomenergie als Energiequelle der Zukunft fördern wollte. Das Projekt einer eigenen Atombombe wurde gleichzeitig weiterverfolgt.

1960 wurde der Forschungsreaktor Diorit in Würenlingen (AG) eingeweiht. Beim Betrieb des Natururan-Reaktors wurde Plutonium erzeugt, das auch für Atomwaffen hätte verwendet werden können. In Lucens (VD) begann der Bau eines Versuchsatomkraftwerks. Es war ein neuer Reaktortyp, der wohl als Versuchsreaktor für Atomwaffen dienen sollte. Schon beim Bau kam es zu zahlreichen Verzögerungen und Pannen – bis es in Lucens zu einem folgenschweren Atomunfall kam, doch dazu später.

Das Parlament stimmte 1961 der Beschaffung von 100 «Mirage»-Flugzeugen zu, die auch als Transportmittel für Atombomben einsetzbar sein sollten. Der Mirage sollte fähig sein, mit Atombomben bis nach Moskau zu fliegen. Zusammen mit den Flugzeugen wollte man von Frankreich auch gleich Atomwaffen kaufen.

Volksinitiative für Atomwaffenverbot hat keine Chance

Doch dagegen regte sich in der Bevölkerung Widerstand: Ein Teil der SP sowie kirchlich-pazifistische Kreise lancierten eine Volksinitiative, die ein Verbot von Atomwaffen verlangte. Im April 1962 und im Mai 1963 stimmten die Schweizer Stimmbürger darüber ab – und zweimal verwarf man das Atomwaffenverbot mit einer Zweidrittelsmehrheit.

Abrupt kehrte die Stimmung jedoch im Jahre 1964. Die Armeespitze konnte nicht länger geheim halten, dass man das «Mirage»-Budget von 871 Millionen Franken bei weitem überziehen würde. Ein Sturm der Entrüstung ging durch die Bevölkerung. Man verlangte, dass Köpfe rollen. Mehrere hochrangige Militärangehörige und ein Bundesrat mussten abtreten, der Skandal ging als die «Mirage-Affäre» in die Schweizer Geschichtsbücher ein.

Auch der Bundesrat ruderte bezüglich der atomaren Bewaffnung der Armee zurück. Es war ein schwerer Dämpfer für die Atombombenträume der Armeeführung.

Bundesrat unterzeichnet Sperrvertrag – und lässt trotzdem weiterforschen

In den 60er-Jahren wollten die USA, Grossbritannien und die Sowjetunion ihr Monopol auf Atomwaffen sichern. Sie drängten zu einem internationalen Atomwaffensperrvertrag. Die Schweiz musste dem Druck der Supermächte nachgeben, da sie für den Betrieb der Kernkraftwerke auf Uranlieferungen aus den USA angewiesen war. So unterzeichnete die Schweiz den Vertrag 1969 nur höchst widerwillig und unter grossem innenpolitischem Widerstand.

Der Bundesrat hielt sich aber die nukleare Option offen für den Fall, dass der Vertrag scheitern sollte. Dazu wurde der Arbeitsausschuss für Atomfragen (AAA) gegründet, der das technische Wissen des atomaren Schwellenlandes Schweiz sichern sollte.

Unfall in Lucens: Schweiz schrammt haarscharf an einem Super-GAU vorbei

Im gleichen Jahr überschlugen sich die Ereignisse in der Schweiz: Im Januar 1969 kam es im Versuchsreaktor in Lucens nach einer Explosion zu einer Kernschmelze. Nur haarscharf schrammte die Schweiz an einem Super-GAU vorbei. Das Ausmass der Gefahr wurde damals vertuscht, ein Bericht kam zum Schluss, es habe nie eine Gefährdung für die Bevölkerung bestanden. Heute gilt der Unfall in Lucens als siebtschwerster Atomunfall weltweit.

Lucens war ein Fiasko. Zwar war die Schweiz mit viel Glück einer atomaren Katastrophe entgangen, doch der teure und nun verstrahlte Reaktor musste nach wenigen Monaten Betrieb aufwendig rückgebaut werden.

Die Atomwaffenforschung hatte als Nebenprodukt auch die Technologie zur Energiegewinnung gefördert. Im Dezember ging mit Beznau 1 das erste Kernkraftwerk der Schweiz ans Netz. Doch immer lauter wurden die Stimmen, die der Atomenergie kritisch gegenüberstanden. Zum Symbol des Widerstands wurde 1975 die Besetzung des AKW-Areals in Kaiseraugst, die Atomfrage wurde für Jahre zum wohl umstrittensten politischen Thema in der Schweiz.

1977 gipfelten die Konflikte in der «Schlacht um Gösgen». Demonstrierende blockierten die Zufahrtswege zum fast fertig gebauten AKW. Während man die AKW-Gegner in Kaiseraugst hatte gewähren lassen, reagierte die Polizei diesmal hart: Die Demonstration wurde gewaltsam niedergeschlagen. In der Anti-AKW-Bewegung machte sich Frustration breit.

Zwar ratifizierte die Schweiz 1977 den acht Jahre früher unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag. Doch das hinderte Schweizer Industriefirmen nicht daran, noch in den 1970er-Jahren Atomtechnologie in Länder wie Indien, Pakistan, Argentinien und Südafrika zu liefern. So lieferten Schweizer Firmen wichtige Komponenten zur Urananreicherung für die sechs südafrikanischen Atombomben, die in einem geheimen Programm entstanden.

Tschernobyl löst eine Debatte über den Atomausstieg aus

Ein Schock war im April 1986 der Atomunfall in Tschernobyl. Bald erreichten die Folgen der Katastrophe die Schweiz: Die Unruhe in der Bevölkerung war riesig, auch hierzulande stieg die Radioaktivität an – zum Teil sind die Folgen bis heute nachweisbar.

Zum ersten Mal wurde der Welt das ganze Zerstörungspotenzial der Atomenergie vor Augen geführt. Trotz des Unfalls in Lucens stellte sich die Schweizer Atomindustrie auf den Standpunkt, dass etwas Ähnliches hier nie hätte passieren können. Dennoch löste die massiv befeuerte Kritik an der Atomenergie eine Debatte über den Atomausstieg aus.

Das stille Ende des über 40-jährigen Atomwaffenprogramms

All dessen ungeachtet beschäftigte sich der Arbeitsausschuss für Atomfragen (AAA) auch 1987 noch mit der Beschaffung von Atomwaffen, wie den Sitzungsprotokollen zu entnehmen ist. Bundesrat Arnold Koller verschwieg dem Parlament, dass der AAA noch immer aktiv war.

So blieb auch unbemerkt, als Bundesrat Arnold Koller 1988 den Arbeitsausschuss für Atomfragen auflöste. Es war das leise Ende des Schweizerischen Atomwaffenprogramms, das zeitweise mit grosser Vehemenz verfolgt wurde, schliesslich aber nicht mehr als ein Papiertiger war.



Die Schweiz und die Atombombe
https://youtu.be/oZ70teLjXN4



Quellen

Fischer, Michael: «Atomfieber: Eine Geschichte der Atomenergie in der Schweiz» (2019)

Fischer, Michael: «Schweizer Atombombe», Blog Nationalmuseum (2019)

Jorio, Marco: «Atomwaffen», in: Historisches Lexikon der Schweiz (2011)

Stüssi-Lauterburg, Jürg: «Historischer Abriss zur Frage einer Schweizer Nuklearbewaffnung» (1995)
(https://www.bzbasel.ch/schweiz/geschichte-fuer-die-atombombe-waeren-schweizer-offiziere-ueber-leichen-gegangen-erst-1988-stellte-die-schweiz-ihre-atomwaffenplaene-ein-ld.2261184)