Medienspiegel 28. Februar 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Interfraktionelle Motion AL/GaP/PdA, GB/JA!, SP/JUSO, GFL/EVP, GLP/JGLP (Angela Falk, AL/Rahel Ruch, GB/Lena Sorg, SP/Michael Burkard, GFL/Peter Ammann, GLP): Die Stadt Bern soll Verantwortung im Bereich der medizinischen Grundversorgung von Sans-Papiers übernehmen: Für ein Pilot-Projekt nach Genfer Vorbild
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-28-februar-2022/interfraktionelle-motion-algappda-die-stadt-bern.pdf/download



derbund.ch 28.02.2022

«Das Boot ist nicht voll»: So bereitet sich Bern auf Flüchtende aus der Ukraine vor

Seit Kriegsbeginn fliehen Tausende aus der Ukraine. In Stadt und Kanton Bern wollen Behörden und Privatpersonen Hilfe anbieten, sobald diese benötigt wird.

Christian Häderli, Raphael Moser(Foto)

«Zimmer mit eigenem Eingang und Bad in Faulensee»: Was sich liest wie ein Ferienwohnungsinserat auf Airbnb, ist in Wahrheit ein kostenloses Unterkunftsangebot, das sich an Flüchtende aus der Ukraine richtet. Die Inserateplattform Ronorp und die Kampagnenorganisation Campax lancierten am Montagmorgen zeitgleich eine Onlinebörse, auf der Privatpersonen aus der Schweiz die Möglichkeit haben, Ukrainerinnen und Ukrainern kostenlose Unterkünfte zur Verfügung zu stellen.

Um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, wurden die beiden Börsen wenige Stunden nach Aufschaltung zusammengeführt. Die Solidarität ist gross: Bis kurz vor dem Mittag waren schweizweit schon mehr als 900 Personen gewillt, ihr Zimmer, ihre Wohnung oder ihr Ferienhaus anzubieten. Darunter waren auch zahlreiche Inserate aus dem Kanton Bern.

Hätten sich zu diesem Zeitpunkt schon Flüchtende aus der Ukraine in der Schweiz befunden, wären Ihnen dadurch bereits ungefähr 3000 Betten zur Verfügung gestanden. Bei der Vermittlung hofft man bei Campax auf die Behörden, namentlich auf das Staatssekretariat für Migration (SEM). «Wir haben zusätzlich gute Kontakte zur ukrainischen Diaspora, die uns bei der Koordination behilflich sein könnte», so Campax-Geschäftsführer Andreas Freimüller.

Stadt und Kanton Bern können Flüchtende aufnehmen

Noch ist unklar, wie viele Ukraine-Flüchtende in die Schweiz kommen werden. Bei Stadt und Kanton Bern ist man aber bereit, im Bedarfsfall rasch Hilfe anbieten zu können, wie es bei den zuständigen Direktionen heisst.

«In den Kollektivunterkünften des Kantons Bern stehen 200 Plätze zur sofortigen Nutzung zur Verfügung, weitere könnten geschaffen werden», sagt Gundekar Giebel, Sprecher der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern.

Während der Corona-Pandemie seien jene Unterkünfte nicht komplett ausgelastet worden, um das Ansteckungsrisiko zu senken. Nun aber, da die Infektionszahlen sinken würden und die meisten Massnahmen aufgehoben seien, könne man die Unterkünfte wieder mit mehr Leuten belegen. Falls mehr Platz benötigt wird, sind Notunterkünfte in Zivilschutzanlagen eine Option. «So könnten sofort 700 weitere Plätze geöffnet werden», erklärt Giebel.

Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB), die der Stadtberner Direktion für Bildung, Soziales und Sport vorsteht, betont, dass die Stadt Bern bereit ist, versprochene Solidaritätsaktionen rasch umzusetzen: «Das Boot ist nicht voll, weder in der Schweiz noch in der Stadt Bern. Wir müssen bereit sein, jenen, die kommen, rasch und unkompliziert Hilfe und eine Unterkunft zu bieten.»

Dafür zählt Teuscher auch auf die Berner Bevölkerung: «Die Solidarität ist gross, das hat die Kundgebung am Samstag gezeigt. Jeder Mensch, der kann, wird den Kriegsflüchtlingen seine Hilfe anbieten.»

Unkomplizierte Einreise

Die Schweiz lässt Kriegsflüchtende aus der Ukraine einreisen, auch wenn sie keinen Pass haben. Dies sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter am Montag an einer Medienkonferenz. Aufgrund des Schengen-Abkommens dürfen Ukrainer und Ukrainerinnen ohne Visa 90 Tage in der Schweiz bleiben. «Darüber hinaus sollen sie einen Schutzstatus erhalten, den Status ‹S›, der ihnen einen längeren Aufenthalt ermöglicht», so Keller-Sutter.



Ukraine-Krise: Wie kann ich helfen?

Wie mehrere Hilfsorganisationen bestätigen, ist die Solidarität mit der Ukraine und das Bedürfnis, helfen zu können, im Kanton Bern und in der Schweiz gross. Doch was tun? Lars Bünger, Präsident der auf die Ukraine spezialisierten Menschenrechtsorganisation Libereco, nennt drei Punkte, die etwas bewirken:

1. An Friedensdemonstrationen teilnehmen, Solidarität zeigen, Druck auf die Politik hochhalten.

2. Unterkunftsmöglichkeiten anbieten – beispielsweise über die Börse von Campax.

3. Spenden für humanitäre Hilfe.
(https://www.derbund.ch/so-bereitet-sich-bern-auf-fluechtende-aus-der-ukraine-vor-254801021189)


+++SCHWEIZ
Schweiz ist in der Verantwortung: Schutzstatus «S» für Flüchtende aus der Ukraine
Die Eidgenössische Migrationskommission EKM sieht die Schweiz in der Verantwortung, sich an der Bewältigung der grossen Fluchtbewegungen und der humanitären Krise im Ukraine-Krieg zu beteiligen. Sie empfiehlt dem Bundesrat deshalb die Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen aus der Ukraine über die Gewährung des Schutzstatus S. Wie bereits im Jahr 1999 während des Krieges in Ex-Jugoslawien, sollte diese Aufnahme sehr rasch und grosszügig geschehen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-87371.html
-> https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/ukraine-krieg-rasch-und-unkompliziert-migrationskommission-fordert-schutz-fuer-gefluechtete-ld.2256912


Ukraine: Die Schweiz muss eine barrierefreie Einreise und vorübergehenden Schutz gewähren.
Der Krieg in der Ukraine treibt immer mehr Menschen in die Flucht. Laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) befinden sich bereits 368 000 Schutzsuchende in den Anrainerstaaten. Es ist mit einer weiteren Zunahme der Fluchtbewegungen aus der Ukraine zu rechnen. Aus Sicht der SFH braucht es eine solidarische Verantwortungsteilung der europäischen Staaten und der Schweiz mit den Erstaufnahmeländern. Die SFH fordert daher den Bundesrat auf, den Kriegsflüchtlingen rasch und barrierefreien Schutz zu gewähren.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medienmitteilungen/ukraine-die-schweiz-muss-eine-barrierefreie-einreise-und-voruebergehenden-schutz-gewaehren
-> Neueste Entwicklungen: https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/ukraine-neuste-entwicklungen


Krieg in der Ukraine: Sogar die SVP will Flüchtlinge aufnehmen
Der Krieg in der Ukraine erschüttert auch die SVP. Für einmal ist selbst die Volkspartei bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Ansonsten aber erhebt sie vor allem altbekannte Forderungen.
https://www.blick.ch/politik/krieg-in-der-ukraine-die-svp-will-fluechtlinge-aufnehmen-id17277212.html


Asylstatistik Januar 2022
Im Januar 2022 wurden in der Schweiz 1446 Asylgesuche eingereicht, 115 weniger als im Vormonat (-7,4 %). Gegenüber Januar 2021 ist die Zahl der Asylgesuche um 614 gestiegen. Wichtigste Herkunftsländer waren Afghanistan und die Türkei.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-87377.html


Nein zum Frontex-Gesetz
Am 15. Mai stimmen wir mit NEIN zum Frontex-Gesetz: Kein Geld für Menschenrechtsverletzungen!
https://www.youtube.com/watch?v=GORnYDRsdRU


+++DEUTSCHLAND
Petition und Selbsthilfe: Queere Ukraine-Flüchtlinge unterstützen!
Eine Petition fordert von der Bundesregierung Maßnahmen für queere Ukraine-Flüchtlinge. Und: Organisationen in und außerhalb der Ukraine bemühen sich bereits tatkräftig um LGBTI-Selbsthilfe.
https://www.queer.de/detail.php?article_id=41302


Das Leid ein wenig mildern
Ukrainische Flüchtlinge werden in der Hauptstadt empfangen
3000 Geflüchtete aus der Ukraine sind allein am Wochenende in Berlin angekommen. Man wisse derzeit von 380.000 Menschen, die auf ihrer Flucht als Ziel Deutschland angeben, sagt Gesundheitssenatorin Ulrike Gote am Montag im Abgeordnetenhaus.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161726.ukrainische-fluechtlinge-in-berlin-das-leid-ein-wenig-mildern.html


Tamilen fordern Schutz vor Abschiebung nach Sri Lanka
Mit Aktionen in über 50 deutschen Städten macht Exil-Community auf die Lage in Sri Lanka aufmerksam
Die geplanten Menschenketten der tamilischen Exil-Community in über 50 Städten haben rund 4500 Menschen auf die Straße gebracht, um gegen die anhaltende Repression in Sri Lanka gegen die dortige Minderheit zu protestieren.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161721.menschenrechte-tamilen-fordern-schutz-vor-abschiebung-nach-sri-lanka.html


+++POLEN
Polens Grenzschutz weist Vorwürfe von rassistischem Vorgehen zurück
Afrikaner sollen bei ihrer Flucht vor dem Krieg an der polnisch-ukrainischen Grenze zurückgewiesen worden sein. Das stimmt nicht, sagt Polens Grenzschutz.
https://www.nau.ch/news/europa/polens-grenzschutz-weist-vorwurfe-von-rassistischem-vorgehen-zuruck-66118991


Flucht aus der Ukraine: Dunkle Haut kann Flucht erschweren
In Nigeria bangen die Eltern um die Flucht ihres in der Ukraine studierenden Sohnes. Nach Tagen meldet er sich schließlich aus Rumänien.
https://taz.de/Flucht-aus-der-Ukraine/!5837996/
-> https://www.tagesschau.de/faktenfinder/ukraine-rassismusvorwurf-101.html


+++FREIRÄUME
40 Millionen für die Traum-WG aufgetrieben: Warmbächli
Tobias Willimann, Co-Präsident der Wohnbaugenossenschaft Warmbächli, spricht mit Kusi über das Haus im ehemaligen Lagergebäude der Chocolat Tobler, in dem seit November circa 200 Menschen wohnen.
Tobias Willimann war schon 2017 zu Gast bei Bölz no eis, damals war das Warmbächli noch viel weniger fortgeschritten.
https://rabe.ch/2022/02/26/40-millionen-fuer-die-traum-wg-aufgetrieben-warmbaechli/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Solidarität mit Ukraine: 20’000 Menschen demonstrieren in Zürich für den Frieden
Die Stimmen gegen die russische Invasion in der Ukraine werden immer lauter. Weltweit kommt es zu Kundgebungen und Demonstrationen. Auch in Zürich wird am Montagabend Solidarität gezeigt. Blick TV ist vor Ort.
https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/solidaritaet-mit-der-ukraine-grosse-friedens-demo-in-zuerich-id17278038.html
-> Schweiz Aktuell 1: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/demo-gegen-den-ukraine-krieg-in-zuerich—-teil-1?urn=urn:srf:video:142903bf-5890-48dc-bb29-3f5e487cd497
-> Schweiz Aktuzell 2: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/demo-gegen-den-ukraine-krieg-in-zuerich—–teil-2?urn=urn:srf:video:fed89edf-33a8-4b7c-8e14-eceef17587cb


Stille Solidaritätsaktion: 500 Menschen gedenken auf dem Postplatz den Menschen in der Ukraine
Am Montagabend fanden sich gut 500 Menschen auf dem Stadtzuger Postplatz ein, um still für den Frieden in der Ukraine zu protestieren. Es wurden traditionelle Lieder gesungen und Kerzen angezündet.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/stadt-zug-stille-solidaritaetsaktion-500-menschen-gedenken-auf-dem-postplatz-den-menschen-in-der-ukraine-ld.2256870


+++SPORTREPRESSION
Vor FCZ – FCB: Basler Chaoten reissen Zürcher Polizisten vom Motorrad
Zahlreiche Basler Chaoten haben anlässlich des Super-League-Spitzenkampfs zwischen dem FCZ und dem FCB Zürcher Stadtpolizisten angegriffen. Zwei Polizisten wurden dabei verletzt.
https://www.blick.ch/news/vor-fcz-fcb-basler-chaoten-reissen-zuercher-polizisten-vom-motorrad-id17277275.html
-> https://www.20min.ch/story/eine-angemessene-strafe-waere-ein-signal-an-fussball-szene-785487780151
-> https://www.20min.ch/story/basler-fussballfans-reissen-polizisten-von-motorrad-und-schlagen-auf-sie-ein-316963453834


++++ARMEE
Krieg in der Ukraine: Schweizer Elitesoldaten sollten die Botschaft in Kiew schützen – doch die wurde geschlossen
Der Bundesrat liess die Schweizer Botschaft mit Angehörigen des geheimnisumwitterten Aufklärungsdetachements der Armee schützen. Allerdings wurde diese inzwischen geschlossen.
https://www.derbund.ch/schweizer-elitesoldaten-sollten-die-botschaft-in-kiew-schuetzen-doch-die-wurde-geschlossen-554763742053


+++FRAUEN/QUEER
«Trieft vor Transphobie» – Fasnachtszeitung «Knallfrosch» erntet wieder harte Kritik
Die Luzerner Fasnachtszeitung «Knallfrosch» gibt zu reden. Der feministische Streik Luzern und Queer Office sagen, dass die Ausgabe vor Transphobie triefe. Ein Beitrag gibt besonders zu reden.
https://www.zentralplus.ch/fasnachtszeitung-knallfrosch-erntet-wieder-harte-kritik-2312149/


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Trucker überholen rechts, Konferenz führt zurück, Antisemitismus ist in voller Fahrt
https://antira.org/2022/02/28/trucker-ueberholen-rechts-konferenz-fuehrt-zurueck-antisemitismus-ist-in-voller-fahrt/


+++RECHTSPOPULISMUS
SVP kassiert Ohrfeige: So stimmten die Nationalräte bei der Ukraine-Erklärung ab
Der Nationalrat verurteilte am Montag die russische Aggression in der Ukraine. Die SVP wollte die «Erklärung des Nationalrats» verhindern – vergeblich.
https://www.watson.ch/!235865477



nzz.ch 28.02.2022

Wladimir Putin, der Missverstandene, und Roger Köppel, der angeblich missverstandene Putin-Versteher – wie die «Weltwoche» im Ukraine-Krieg taumelt

Ausgerechnet zum Kriegsbeginn porträtierte das Wochenmagazin Wladimir Putin als den «Missverstandenen». Nun soll die Zeitschrift auch noch ins Visier von proukrainischen Hackern geraten sein.

Thomas Ribi, Lucien Scherrer

Die Bilder sind unspektakulär, aber sie werden wohl einigen Fernsehzuschauern in Erinnerung bleiben, wie der Nachthimmel über Bagdad im Jahr 1991. Luzia Tschirky, SRF-Korrespondentin in Russland, steht an einer Ausfallstrasse bei Kiew. Sie trägt eine blaue schusssichere Weste und ein Stirnband, hinter ihr stauen sich die Autos, eine Distanztafel zeigt 417 Kilometer nach Kowel an. «Ich habe eine schlaflose Nacht hinter mir», sagt sie, «ich habe sprichwörtlich kein Auge zugetan die ganze Nacht.»

Irritation im eigenen Publikum

Ebendiese Bilder, gesendet am Morgen des 24. Februar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, sollen dem Wochenmagazin «Weltwoche» des SVP-Nationalrats Roger Köppel nun einen Cyberangriff eingebracht haben – von einem «weltweiten Hacker-Widerstand», der auf der Seite der Ukraine steht. Das jedenfalls behaupteten am Montag der «Tages-Anzeiger», «20 Minuten» und andere Medien. Auslöser für den Angriff soll eine «Polemik über die SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky» gewesen sein.

Einen Beleg, dass die «Weltwoche» von proukrainischen Cyberkriegern attackiert wurde, gibt es bis anhin allerdings nicht. Sicher ist einzig, dass die «Weltwoche» mit ihrer Russlandberichterstattung selbst das eigene Publikum irritiert. So prangte auf der Donnerstagsausgabe – also am 24. Februar – ausgerechnet Wladimir Putins Konterfei auf der Titelseite, mit der Schlagzeile «Der Missverstandene». Da die «Weltwoche» am Dienstagabend Redaktionsschluss hat, konnte man den Kriegsausbruch zwar nicht voraussehen, aber das Risiko, das der auf spielerische Provokation spezialisierte Chefredaktor damit in Kauf nahm, war beträchtlich – und in diesem Fall wurde er von der Brutalität der Ereignisse ziemlich blossgestellt.

Ein proukrainischer Angriff? «Nicht dass ich wüsste»

Am 24. Februar veröffentlichte die «Weltwoche» auch die besagte Polemik gegen die SRF-Korrespondentin Tschirky, die als eine Art Drama-Queen mit Kriegsweste verhöhnt wurde. «Stand sie da etwa mitten im Kugelhagel? Wurde in Kiew schon herumgeschossen?», so fragte Autor Hubert Mooser, «was soll also diese Inszenierung?» Lahmgelegt wurde die Website der «Weltwoche» jedoch erst am Sonntag – und dies ausgerechnet, nachdem auf der Seite ein hymnischer Gegenartikel zu Moosers Tschirky-Verriss publiziert worden war. «Sie», so heisst es da über Tschirky, «trotzt Winterstürmen, Staatswillkür und Zensur. Sie ist die unabhängige Stimme im Chaos des Russland-Ukraine-Konflikts.»

Solche Sätze hätten wohl eher die Hacker des Kremls auf den Plan gerufen, denn Tschirky bezeichnet Putin als das, was er ist. Auf die Frage, ob er Opfer eines proukrainischen Angriffs geworden sei, antwortete Roger Köppel am Montag: «Nicht dass ich wüsste.» Aus der Redaktion war zu vernehmen, dass es um einen sogenannten DDoS-Angriff ging, bei dem jedoch unklar sei, wer ihn losgetreten habe. Die Berichterstattung der «Weltwoche» zu Putin sei jedenfalls viel differenzierter, als das oft dargestellt werde.

«Was ausgeblendet wird vom Mainstream»

Das ist allerdings Ansichtssache. Roger Köppel hat sich in den vergangenen Tagen ausgiebig zur russischen Invasion in der Ukraine geäussert. Mit sehr viel Verständnis für Präsident Wladimir Putin, um es gelinde zu sagen. Als die russischen Panzer schon in Bewegung waren, räumte Köppel im Videoformat «Viertel nach acht» der deutschen «Bild»-Zeitung ein, in der Ukraine herrschten «tragische Verhältnisse». Damit war dann aber auch schon Schluss mit dem Verständnis für die Situation eines Landes, das nichts anderes will, als seine Geschicke selbst bestimmen.

Viel interessanter fand Köppel die Berichterstattung der westlichen Medien. Diese sei völlig «geschichtsblind», sagte er. Man schreibe sich die Finger wund über die bösen Russen und den «angeblichen Teufel Putin». Niemand rede von den Fehlern, der Dummheit und der Überheblichkeit des Westens, aus der diese Situation erst entstanden sei. Die Ursachen für die russische Intervention liegen nach Köppels Ansicht nämlich nicht in erster Linie bei Russland oder, bewahre, vielleicht sogar beim russischen Präsidenten. Nein, schuld ist eigentlich der Westen, der Russland in eine Lage gebracht hat, in der Putin – ja, was denn nun: gar nicht mehr anders konnte, als so zu handeln, wie er es jetzt tat? Irgendwie so scheint sich der SVP-Nationalrat das vorzustellen.

«Mit voller Kraft zurück»

Unter Führung der Amerikaner hätten die westlichen Staaten nach dem Fall der Berliner Mauer die Chance verpasst, Russland zu einem Verbündeten zu machen, legte Köppel später nach. Stattdessen hätten sie ihren Machtbereich immer weiter nach Osten ausgedehnt, ohne die Russen einzubeziehen. «War es ein Plan? Oder Leichtsinn?», fragt er, um sich die Antwort gleich selbst zu geben: «Vielleicht beides. Die Russen jedenfalls fühlen sich nicht ernst genommen und schlagen jetzt mit voller Kraft zurück.»

Irgendwie verständlich, dass sie das tun, scheint das suggerieren zu wollen. Auch wenn Köppel dann selbstverständlich nachschiebt, Putin sei zweifellos der «unmittelbare Aggressor» und nichts rechtfertige «diesen brutalen Bruch des Völkerrechts und die Vergewaltigung des historisch leidgeprüften ukrainischen Volks». Er sei kein Putin-Versteher, wehrte sich Köppel am Freitag in «Weltwoche Daily». Verstehen sei sowieso verboten in einer Situation, in der sich die Welt wieder in «Gesinnungsgemeinschaften» spalte, die sich unversöhnlich gegenüberstünden.

Von der Gefahr, in der sich das ukrainische Volk befindet, ist bei Köppel kaum die Rede. Dafür umso mehr davon, dass der Krieg in der Ukraine die Meinungsfreiheit im Westen bedrohe: «Die Atmosphäre gefriert. Es wird schwieriger, seine Meinung zu äussern, man fühlt sich umzingelt von Inquisitoren.» Dem wolle die «Weltwoche» die «Blockfreiheit des Denkens» entgegensetzen.

Männlichkeit, Militär, Machtpolitik

Die prorussische Haltung dieser Spielart hat bei der «Weltwoche» und ihrem Chefredaktor Tradition. Und das Verständnis für Putin auch. Man könnte sogar von einer gewissen Bewunderung sprechen, die Köppel für den Autokraten aufbringt. Für die Mehrheit der Deutschen sei Putin gar kein Feind, findet Köppel. Journalisten und Intellektuelle aber hassten den russischen Präsidenten von Herzen. Warum sie das tun? Köppel weiss es: «Weil Putin für all das steht, was sie ablehnen, verteufeln und was deshalb nicht sein darf: Tradition, Familie, Patriotismus, Krieg, Religion, Männlichkeit, Militär, Machtpolitik und nationale Interessen. Putins Verbrechen besteht aus ihrer Sicht darin, dass er die grösste Schwäche des Westens aufgedeckt hat: politische Korrektheit.»

Köppels These, mit der Nato-Osterweiterung habe der Westen die Probleme geschaffen, vor der die Welt nun stehe, ist in den wesentlichen Punkten eine Geschichtsklitterung. Auch wenn der «Weltwoche»-Chefredaktor sie weltläufig mit Hinweis auf den US-Diplomaten George F. Kennan zu begründen versucht. Die «andere Sicht», die Köppel der «Weltwoche» verschrieb, hat ihn weit ins Abseits geführt – Hacker hin oder her.
(https://www.nzz.ch/feuilleton/putin-der-missverstandene-und-die-missverstandenen-putin-versteher-wie-die-weltwoche-im-ukrainekrieg-taumelt-ld.1672161)


+++RECHTSEXTREMISMUS
Nazis ziehen in den Krieg
Vertreter der extremen Rechten sind seit Jahren im Konflikt um die Ukraine involviert
Mehrere Anfragen an die Bundesregierung belegen: Neonazis aus Deutschland sind schon länger auf beiden Seiten am Konflikt in der Ukraine beteiligt. Offen ist, ob sie auch im aktuellen Krieg kämpfen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161730.ukraine-krieg-nazis-ziehen-in-den-krieg.html


Podcast „Das Hannibal-Netzwerk“: Rechte Schattenkrieger
Seit mehr als vier Jahren recherchiert ein taz-Team zum „Hannibal“-Netzwerk. Die Recherche gibt es jetzt auch zum Hören als Podcast.
https://taz.de/Podcast-Das-Hannibal-Netzwerk/!5837582/


+++HISTORY
Putins Welt
Seit 22 Jahren regiert Wladimir Putin Russland. Der Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine alarmiert den Westen, einmal mehr. Wer ist der Mann, der die Welt in Schrecken versetzt? Wie denkt Putin? Ein Gespräch mit Michel Eltchaninoff, Philosoph und Autor des Buches «In Putins Kopf».
Zum Neujahrsempfang 2014 schenkte Wladimir Putin seinen wichtigsten Beamten drei philosophische Werke zur Pflichtlektüre. Zudem zitiert der ehemalige KGB-Spion in seinen politischen Reden gerne russische Intellektuelle, konservative Vordenker und anti-westliche Philosophen. Manche dieser Visionäre träumen von einem russischen Grossreich, andere gar von einem eurasischen Imperium. Wer sind diese Vordenker von Wladimir Putin? Im Gespräch mit Yves Bossart erklärt Michel Eltchaninoff, Chefredaktor des französischen «Philosophie Magazine», aus welchen Werken Putin Ideen für seine Geopolitik schöpft, wohin ihn diese führen und welche aktuellen Gefahren sie bergen.
https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-philosophie/video/putins-welt?urn=urn:srf:video:5e24ed35-1282-4f30-8957-f0b1916ff7f7



derbund.ch 25.02.2022

Exklusive Archivrecherche zu Iwan Iljin: Geheimakte von Putins Lieblingsphilosoph wird erstmals veröffentlicht

Die Schweizer Behörden hielten ihn für einen Agenten von Joseph Goebbels: Iwan Iljin ist der wichtigste philosophische Stichwortgeber von Wladimir Putin – auch bei der Ukraine-Invasion.

Andreas Tobler

Er ist Putins wichtigster Stichwortgeber – und lebte 16 Jahre lang in der Schweiz, wo er unaufhörlich an seinem umfangreichen Werk schrieb. Die Rede ist vom Russen Iwan Iljin, geboren 1883 in Moskau, gestorben 1954 in Zollikon.

Im Grunde genommen fusst Putins Ukraine-Politik im Wesentlichen auf Iljins «organischem Modell», in dem aus Russland und der Ukraine «eine Person» werden soll. Schon bei der Invasion in der Krim im Jahr 2014 erhielten alle hochrangigen Bürokraten und lokalen Regierungsbeamten von Putin eine Ausgabe von Iljins Essaysammlung «Unsere Aufgaben» zugeschickt.

In die Schweiz kam Iljin als Opfer der Russischen Revolution: Mit dem berühmten Philosophenschiff gelangte Iljin 1922 nach Deutschland, wo er bis 1938 blieb. In dieser Zeit sah Iljin im Faschismus eine gesunde Reaktion auf den «linken Totalitarismus». Als Hitler 1933 an die Macht kam, feierte ihn der russische Philosoph als Verteidiger Europas gegen die bolschewistische Barbarei.

1938 wurde es Iljin dann wohl doch etwas zu heiss in Deutschland. Einen Ferienaufenthalt im Tessin nutzte er, um ein ausführliches Aufenthaltsgesuch zu stellen. Es wurde bewilligt.

Dennoch war man sich in der Schweiz lange uneins, wer Iljin eigentlich ist. Das zeigen die Staatsschutzfichen und die Akten, die wir heute erstmals veröffentlichen. Iljin sei Verfasser des Buches «Welt vor dem Abgrund», das «in allen Nazi-Schulungskursen auch in der Schweiz gebraucht wird», meldete im Mai 1944 ein Information namens «Styx» dem Schweizer Nachrichtendienst. Iljin unterhalte «gute Beziehungen» mit dem deutschen Propagandaminister Joseph Goebbels und «stehe im Verdacht, ein Gestapo-Agent zu sein».

Russen seien «unerbittliche Kämpfer»

Erhärten konnte sich dieser Verdacht nicht. Auch wenn die Behörden wussten, dass Iljin Schweizer Rechtskonservative wie den Pfarrer Rudolf Grob zu seinen Förderern zählen konnte, der 1940 als Erstunterzeichner der «Eingabe der Zweihundert» eine Annäherung ans Nazi-Regime gefordert hatte.

Dafür wurde ein Solothurner Polizist Zeuge eines Vortrags, in dem Iljin «den» Russen als «Kind der Natur und Leidenschaft» beschrieben haben soll. Die Russen seien «unerbittliche Kämpfer», «verbissene Zähigkeit» würden sie auszeichnen. «Die Zukunft wird zeigen, dass das, was ich heute gesprochen habe, in Wirklichkeit aufgehe», schloss Iljin seinen Vortrag vom März 1944.

Ilijn starb 1954 in Zollikon. 2005 wurden seine sterblichen Überreste – finanziert vom Oligarchen Viktor Vekselberg – von der Schweiz nach Russland überführt, wo seither ein intensiver Kult um Iljin betrieben wird. Nicht zuletzt von Wladimir Putin, der seinem Grab einen Besuch abstattete.

2012 hatte er Russland mit Iljins Worten als «spirituellen Organismus» beschrieben, der sich nicht auf die Länder der Orthodoxen oder einer möglichen Eurasischen Union beschränke, sondern sich «auf alle Nationen der Erde» ausdehnen könne. Selten wurden Grossmachtsambitionen weniger zurückhaltend formuliert.

Von Russland gehe eine Hoffnung für Europa aus

Nicht nur Putin, auch die Schweizer Behörden erlagen der suggestiven Kraft von Iljins Äusserungen – wahrscheinlich aufgrund eines Missverständnisses über Iljins Ausführungen zur russischen Spiritualität: Von Iljins Vorlesungen ginge keine Gefahr aus, heisst es in einem Gutachten des Schweizer Armeekommandos von 1942. Sie seien «national in dem Sinn, dass es sich gegen gesamten Westen richtet».

Iljin stelle Russland als tief religiös dar, Europa habe daher nicht den Bolschewismus, «sondern eine Erneuerung des Christenglaubens zu erwarten», heisst es weiter im Gutachten. Insofern sei Russland keine Bedrohung, «sondern eine Hoffnung» für Europa. Heute würde man dies wohl etwas anders sehen.

Der Artikel baut auf den Recherchen von Jürg Schoch auf, die 2015 erstmals von Tamedia publiziert wurden. Weiterführende Literatur zu Iljins Philosophie und seiner Bedeutung für Putin: Timothy Snyders «Der Weg in die Unfreiheit» (C.H. Beck, 376 Seiten, ca. 36 Fr.). Wir danken dem Schweizerischen Bundesarchiv für die Scans von Iljins Fichen.
(https://www.derbund.ch/geheimakte-von-putins-lieblingsphilosoph-wird-erstmals-veroeffentlicht-238176255437)