Medienspiegel 23. Februar 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++GRAUBÜNDEN
Anfrage Gartmann-Albin betreffend Lebensumstände im Ausreisezentrum Flüeli in Graubünden
https://www.gr.ch/DE/institutionen/parlament/PV/Seiten/20220216Gartmann-Albin09.aspx


+++BALKANROUTE
Von Serbien aus versuchen Geflüchtete, die immer stärker überwachten EU-Grenzen zu überwinden
Wer Schutz sucht, findet Grenzen
In Serbien harren weiterhin zahlreiche Geflüchtete aus, die versuchen, über die Grenzen zu Kroatien und Ungarn in die Europäische Union zu gelangen. Die Grenzanlagen werden derweil immer besser abgesichert, unter anderem mit Drohnen- und Sensorsystemen.
https://jungle.world/artikel/2022/07/wer-schutz-sucht-findet-grenzen


+++FREIRÄUME
Mobile Holzkisten in der Selbstbauhalle
Neun Menschen teilen sich eine Halle im Parterre der Wohnbaugenossenschaft Warmbächli. Seit Oktober 2021 bauen sie dort ihren Wohnraum und entstanden sind 9 individuelle Holzkisten auf 280 Quadratmeter. Viel Platz fürs Kollektiv und wenig fürs Individuum.
https://journal-b.ch/artikel/mobile-holzkisten-in-der-selbstbauhalle/


+++GASSE
«Wohnen ist ein Menschenrecht»: Basel quartiert Obdachlose ein
2200 Menschen in der Schweiz sind obdachlos. Es gibt ein Konzept, um ihnen zu helfen. Aber zu wenige geeignete Wohnungen.
https://www.infosperber.ch/gesellschaft/wohnen-ist-ein-menschenrecht-basel-quartiert-obdachlose-ein/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Ukraine-Krise: Berner demonstrieren vor russischer Botschaft
Auch in Bern sorgt die brenzlige Lage in der Ukraine für Aufruhr: Vor der russischen Botschaft demonstrieren rund hundert Personen. TeleBärn ist vor Ort.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/ukraine-krise-berner-demonstrieren-vor-russischer-botschaft-145577147
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/wo-ist-die-schweizer-friedensbewegung-geblieben?partId=12149061
-> https://www.derbund.ch/hundert-menschen-protestieren-vor-der-russischen-botschaft-in-bern-598168942726
-> https://www.aargauerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/ukraine-konflikt-gegen-hundert-personen-demonstrierten-vor-russischer-botschaft-in-bern-ld.2255303


Junge Grüne demonstrieren vor Nord Stream 2
Heute morgen hat eine Gruppe in Zug vor dem Sitz von Nord Stream 2 gegen das Pipeline-Projekt demonstriert.
https://www.zentralplus.ch/zug-nord-stream-2-junge-gruene-demonstrieren-2308753/
-> https://www.zentralplus.ch/wichtiges-puzzleteil-des-ukraine-konflikts-sitzt-in-zug-2308175/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/interpellation-zuger-gruene-stellen-fragen-zu-nord-stream-2-zu-sanktionen-und-zum-klima-ld.2254951


+++POLIZEI BL
Lukas F. (52) wurde wegen Amtsmissbrauch und Körperverletzung verurteilt: Basler Rüpel-Cop ist jetzt Gemeindepolizist
Trotz Lügen, Amtsmissbrauch, leichter Körperverletzung, Schlägerei im Nachtleben und anderen Verfehlungen darf ein ehemaliger Basler Sondereinheits-Polizist weiterhin seinen Beruf ausüben. Heute ist er Gemeindepolizist im Baselbiet.
https://www.blick.ch/schweiz/basel/lukas-f-52-wurde-wegen-amtsmissbrauch-und-koerperverletzung-verurteilt-basler-ruepel-cop-ist-jetzt-gemeindepolizist-id17259898.html


+++REPRESSIOON SPANIEN
Nach Foltergeständnis: 24 Jahre Haft für die Baskin Iratxe Sorzabal
Anfang Februar stand die Baskin Iratxe Sorzabal in Madrid vor Gericht. Nun wurde sie aufgrund eines unter Folter erzwungenen Geständnis zu 24 Jahren Haft verurteilt. Der Fall wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf die Folterpraxis des spanischen Staates.
https://www.ajourmag.ch/iratxe-sorzabal/


+++RECHTSEXTREMISMUS
Truckerproteste in Kanada: Am Rande des Abgrunds
Die „Trucker-Proteste“ in Kanada waren ein gezielter Umsturzversuch von rechts. Vorerst ist das gescheitert, aber die Konfrontation bleibt. Ein Essay.
https://taz.de/Truckerproteste-in-Kanada/!5833858/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Satanic Panic : Der Teufel im Therapiezimmer
Ein Oberarzt der Thurgauer Privatklinik Littenheid hat mit Aussagen zu satanistischen Ritualen schockiert. Doch ist er kein Einzelfall. Die «Satanic Panic» durchzieht die Fachwelt mit potenziell fatalen Folgen für Patient:innen.
https://www.woz.ch/2208/satanic-panic/der-teufel-im-therapiezimmer


Wie Verschwörungstheorien das Denken vernebeln
Verschwörungstheorien verbreiten sich wie Lauffeuer und verursachen grossen gesellschaftlichen Schaden. Auch der «Nebelspalter» trägt zu dieser Infodemie bei. Ein Blick in die Anatomie von Verschwörungstheorien – und ein Appell an unser aller Vernunft. Eine Replik.
https://www.nebelspalter.ch/wie-verschwoerungstheorien-das-denken-vernebeln


Das Netzwerk Urig breitet sich aus – unter ihnen viele Corona-Skeptiker: Corona-Skeptiker, Verschwörungs-Theoretiker oder nur Natur-Freunde und Selbstversorger?
Mysteriöse Urig-Gemeinschaften auf dem Vormarsch
In Altdorf UR wurde 2021 der erste Urig-Verein gegründet. Mittlerweile gibt es 51 von ihnen. Sie setzen sich für eine solidarische Landwirtschaft ein. Fest steht aber auch: Es gibt Verbindungen zur Corona-Skeptiker-Szene.
https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/corona-skeptiker-verschwoerungs-theoretiker-oder-nur-natur-freunde-und-selbstversorger-mysterioese-urig-gemeinschaften-auf-dem-vormarsch-id17263009.html?utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=blick-page-post&utm_content=bot


Medienbehörde prüft Verschwörungssender Auf1 und Regionalsender RTV
Komm Austria nimmt das Programm der beiden Sender wegen möglicher Verstöße gegen das Audiovisuelle-Mediendienste-Gesetz unter die Lupe
https://www.derstandard.at/story/2000133567205/medienbehoerde-prueft-verschwoerungssender-auf1-und-regionalsender-rtv?ref=rss


Radikale Corona-Proteste: Viele Täter polizeilich unbekannt
Viele radikalisierte Täter, die politisch-motivierte Straftaten mit Corona-Bezug begehen, sind zuvor polizeilich nicht in Erscheinung getreten. Das zeigen Recherchen von STRG_F und Panorama.
https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/radikale-corona-proteste-101.html


Wegen Demo-Teilnahme: «Wir für Euch» reicht Strafanzeige gegen SP-Molina ein
Der coronaskeptische Polizistenverein «Wir für Euch» hat Strafanzeige gegen SP-Nationalrat Fabian Molina eingereicht. Dies, weil der Zürcher an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen hat.
https://www.blick.ch/politik/wegen-demo-teilnahme-wir-fuer-euch-reicht-strafanzeige-gegen-sp-molina-ein-id17261687.html


Bernerin verschickte Maskendispens für 20 Franken per Post: Psychiaterin kassiert 3000 Franken Busse
Im Kanton Bern stellte eine Ärztin ohne Untersuchung Maskenatteste für 20 Franken aus. Als sie aufflog, behauptete sie, Masken seien auch für gesunde Menschen gefährlich. Die Ärztin muss nun eine Busse von 3000 Franken zahlen.
https://www.blick.ch/news/bernerin-verschickte-maskendispens-fuer-20-franken-per-post-psychiaterin-kassiert-3000-franken-busse-id17261700.html



derbund.ch 23.02.2022

Maskendispens ohne Konsultation: Berner Psychiaterin muss 3000 Franken Busse zahlen

Die Gesundheitsdirektion weist die Beschwerde einer Psychiaterin ab. Mit ihrem Verhalten habe sie die ärztliche Sorgfaltspflicht missachtet.

Hans Ulrich Schaad, Raphael MoserFoto

Er kriege Angstzustände, wenn er eine Hygienemaske tragen müsse, gab der Mann vor. Überall werde diese nun verlangt, im Zug oder beim Einkaufen. Deshalb wandte sich der Mann, ein Journalist von Tamedia, die auch die «Berner Zeitung» und den «Bund» herausgibt, im September 2020 an eine Ärztin aus Bern. Diese stellte möglicherweise Maskendispense aus, sie wurde auf einschlägigen Foren genannt.

Er fragte die Fachärztin in Psychiatrie und Psychotherapie per E-Mail, wie er zu einem Papier komme. Die Antwort folgte prompt. Sie brauche für das Attest nur Adresse und Geburtsdatum, dazu 20 Franken, zugestellt in einem Brief.

Zeitungsartikel löste Verfahren aus

Der Journalist hakte nach, ob es nicht problematisch sei, einen Dispens ohne vorherige Konsultation auszustellen? Denn andere Ärzte würden nur unter diesen Bedingungen ein Attest ausstellen. Am Tag darauf schrieb die Frau, dass das Attest gleichentags verschickt werde. Zudem hoffe sie auf Unterstützung für eine Petition an den Bundesrat gegen die Maskenpflicht.

Am 5. September 2020 schrieb der Journalist in der «SonntagsZeitung» einen Artikel über die Ärztin, die für 20 Franken Maskendispense per Mail ausstelle – ohne Visite. In der Folge eröffnete das Gesundheitsamt ein aufsichtsrechtliches Verfahren gegen die Frau.

Die Behörde untersuchte von Amtes wegen, ob sie mit ihrem Verhalten die Berufspflichten verletzt hatte. Gleichzeitig forderte das Amt die Ärztin auf, keine weiteren Maskendispense ohne vorgängige Konsultation auszustellen.

Entscheid ist rechtskräftig

Im Dezember 2020 büsste das Kantonsarztamt die Ärztin mit 3000 Franken. Weil sich die Frau gegen diese Busse wehrte, musste sich die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) mit dem Fall beschäftigen. Diese hat die Beschwerde im November 2021 abgewiesen, wie dem kürzlich publizierten und inzwischen rechtskräftigen Entscheid zu entnehmen ist.

Die GSI und das Kantonsarztamt machen im Urteil klar, dass es nicht mit einer sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung vereinbar sei, auf eine vorgängige Konsultation und Befragung zu verzichten. Sie habe sich auch nicht beirren lassen, als der Journalist auf die Problematik hingewiesen habe.

Ärztin sieht keinen Nutzen im Maskentragen

Die Ärztin argumentierte in ihrer Einsprache, sie habe kein falsches Attest ausgestellt. Es brauche «keine persönliche Untersuchung, um ein Zeugnis über die Gefährlichkeit der Maske» auszustellen. Die Schäden könnten bei jedem Gesunden auftreten: Kopfschmerzen, Angst, Atemnot, Schwindel.

Sie habe sich vertieft mit dem zweifelhaften, ja fehlenden Nutzen des Maskentragens auseinandergesetzt. Sie habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, betonte die Ärztin, die einem Netzwerk von Corona-Skeptikern angehört.

Sie räumte aber ein, dass sie im Eifer des Gefechts versäumt habe, mit dem Mann nochmals Rücksprache zu nehmen. Sie gehe in der Regel jedoch davon aus, dass sie nicht angelogen werde.

Sorgfaltspflicht wissentlich missachtet

Es gehe im Verfahren nicht darum, ob man Maskendispense ausstellen dürfe oder nicht, hält die GSI fest. Beim Attest handle es sich um ein Arztzeugnis, eine Urkunde, die erst nach vorgängiger Konsultation ausgestellt werden dürfe. Die Ärztin müsse sich ans Gesetz halten. Deshalb stelle ihr Verhalten eine «wissentliche Missachtung der ärztlichen Sorgfaltspflicht» dar.

An der Busse und deren Höhe hat die GSI nichts auszusetzen. Die Pflichtverletzung weise einen so hohen Schweregrad auf, dass eine Disziplinarmassnahme mit präventivem Charakter (Verwarnung, Verweis) nicht genüge. Andererseits falle ein befristetes oder definitives Berufsverbot ausser Betracht. Die Behörden mussten gegen die Ärztin in ihrer über 30-jährigen Berufstätigkeit nie eingreifen.



Nur «sehr wenige Fälle»

Das Gesundheitsamt des Kantons Bern hat im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zwei Disziplinarverfahren gegen Ärztinnen oder Ärzte eröffnet. In beiden Fällen gehe es um die Verletzung der ärztlichen Berufspflichten, schreibt Gundekar Giebel, Sprecher der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion, auf Anfrage. Neben der Psychiaterin war noch eine Person aus dem Fachbereich Gynäkologie betroffen. Bisher wurde eine Busse ausgesprochen. Die GSI kann keine Angaben machen, ob allenfalls noch weitere Verfahren hängig sind. Giebel hält aber generell fest, dass es sich um «sehr wenige Fälle» gehandelt habe. (hus)
(https://www.derbund.ch/berner-psychiaterin-muss-3000-franken-busse-zahlen-539936158081)



«Erhebliches Gewaltpotenzial»: Schweizer «Reichsbürger» zermürben Thurgauer Behörden
Im Thurgau kämpfen die Behörden mit Personen, die den Staat nicht anerkennen. Diese stellen sich beim Bezahlen von Steuern quer oder nehmen Gerichtstermine nicht wahr. Im Mittelpunkt steht eine geheimnisvolle Organisation, die nach ihren eigenen Regeln spielt.
https://www.blick.ch/schweiz/ostschweiz/erhebliches-gewaltpotenzial-schweizer-reichsbuerger-zermuerben-thurgauer-behoerden-id17262207.html



nzz.ch 23.02.2022

Sie leben in einer bizarren Parallelwelt: wie Schweizer «Reichsbürger» Thurgauer Behörden zermürben

Thurgauer Staatsanwälte und Gerichte haben es vermehrt mit Personen zu tun, die den Staat nicht anerkennen. Im Fokus steht eine Gruppe, deren Anführer in Österreich der Prozess droht.

Daniel Gerny

Münchwilen ist ein verschlafenes Nest im Hinterthurgau, das nicht oft von sich reden macht. Am 27. Januar 2022 aber herrscht dort eine Stimmung, «wie man es eher von Mafia-Prozessen gewohnt ist». So jedenfalls beschreibt es tags darauf die «Thurgauer Zeitung». Dabei geht es vor dem örtlichen Bezirksgericht eigentlich nur um eine Kleinigkeit: um zwei Bussen gegen den Maskenverweigerer Roland Lenz*.

Doch das Gerichtsgebäude muss von Dutzenden Polizisten gesichert werden, Einsatzfahrzeuge fahren auf. Der Prozess selbst wird zur Farce: Der Beschuldigte stellt sich quer, zettelt Streit an und beschimpft den Richter. Schliesslich wird die Verhandlung abgebrochen. Draussen geht der Radau weiter: Eine Menschenmenge jubelt dem Beschuldigten zu. Lenz greift zum Megafon und setzt zu einer achtminütigen, konfusen und aggressiven Schmährede an.

«Ufhänke!»

Er fordert die Polizisten auf, Staatsanwalt und Richter zu verhaften. «Ufhänke!», schallt es aus dem Publikum. Das ist auf Videos zu sehen, die in geschlossenen Telegram-Chats kursieren. Hinterher wird der 43-Jährige Thurgauer, dessen Identität der NZZ bekannt ist, von Gleichgesinnten als Held gefeiert. Als Kämpfer, der sich furchtlos gegen eine Staatsmacht zur Wehr setzt.

Münchwilen aber verfällt wieder in den Alltagstrott.

Inzwischen befürchtet man im Thurgau, dass hinter dem Vorfall mehr steckt als ein isolierter Querulantenauftritt. Immer häufiger haben es die Staatsanwaltschaften und die Gerichte im Kanton mit derartigen Konflikten zu tun: mit Personen, die den Staat als Firma ansehen und bestreiten, dass die Behörden Befugnisse haben. Die Rede ist von «einer Art Schweizer Reichsbürgern», wie es ein Staatsanwalt formuliert.

Tatsächlich ist der Beschuldigte von Münchwilen gemäss Recherchen der NZZ Anhänger eines geheimnisumwitterten Gebildes, das sich «Global Court of the Common Law» (GCCL) nennt. Der GCCL ist eine Art Pseudogerichtshof und eine sektenartige Gruppierung zugleich. Seine Unterstützerinnen und Unterstützer anerkennen weder das Gesetz noch die Justiz an. Sie orientieren sich an einer Art Naturgesetz und berufen sich auf angeblich biblische Grundsätze. Und sie sind auf der bei Verschwörungstheoretikern beliebten Chat-Plattform Telegram enorm aktiv.

Vieles beim GCCL erinnert an den «International Common Law Court of Justice Vienna» (ICCJV), der vor einigen Wochen auch in der Schweiz ins Blickfeld geriet. Österreich geht äusserst rigoros gegen Staatsverweigerer vor, seit der ICCJV 2014 mit spektakulären Fällen von Selbstjustiz für Aufsehen gesorgt hat. Kürzlich stand deshalb der Thurgauer Unternehmer Daniel Model in Graz vor Gericht, nachdem ihm die Justiz Verbindungen zum ICCJV und «staatsfeindliche Verbindungen» vorgeworfen hatte.

«Plan-demie» als gigantische Operation

Aktiv ist die Szene laut dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) vor allem in Deutschland und in Österreich. Das Milieu der Staatsverweigerer ist heterogen. Phantasiegerichte wie der ICCJV oder der GCCL gibt es viele. Anfang Jahr berichtete die «Republik» über die Umtriebe des Mitbegründers der Gastrokette Tibits, C. F, der von einem Systemumsturz phantasiert haben soll. Auch die GCCL-Anhänger sehen in der «Plan-demie» eine gigantische Operation, um die Versklavung zu beschleunigen.

Wie viele Unterstützer der GCCL hat, ist schwer abzuschätzen. Im Telegram-Chat für die gesamte Schweiz sind fast 1500 Accounts registriert. In der Gruppe für den Kanton Thurgau sind es 300 Nutzer, was wohl der grössten Ballung in der Schweiz entspricht. In der Zürcher Gruppe befinden sich rund 80 Personen. Auch in Liechtenstein ist der GCCL aktiv. Die Gruppe wächst, doch wie aussagekräftig solche Zahlen sind, ist offen. Das sagt gegenüber der NZZ eine Kennerin der Szene, die tiefen Einblick in die Gruppierungen hat.

Gemeinsam ist den Anhängern der Glaube an finstere Machenschaften. Schon durch die Geburtsurkunde werde dem Menschen eine juristische Person aufgezwungen, womit er seine Freiheit verliere. Mit Phantasieausweisen, den sogenannten «Lebenderklärungen», könne man sich aber aus der Macht des Staates befreien. Formuliert sind die Papiere oft in einer floskelhaften, bedeutungsschwangeren Sprache, kombiniert mit einer eigenen Schreibweise.

«Als unverschollener, lebender, geistig beseelter und freier Mensch bin ich, :marco, ausgestattet mit den allumfassenden Rechten an Land, Luft und Wasser», heisst es beispielsweise in einer solchen «Lebenderklärung», die Ende Januar auf dem Pult eines Thurgauer Staatsanwaltes gelandet ist: «Ich bin nicht Übertragungsidentität der juristischen Fiktion (Person).»

Auch Lenz ist tief in diese Welt eingetaucht. Welche Schlüsse er aus solchen Konstrukten zieht, zeigt sich auf sonderbare Weise im Gericht von Münchwilen: Lenz weigert sich auf Aufforderung des Richters standhaft, Platz zu nehmen. Er legt eine Kopie seiner Identitätskarte auf den Tisch und wiederholt Mal um Mal: «Die Person sitzt, der Mensch steht vor Ihnen.»

Zollkontrolle wird zum Drama

In den sozialen Netzwerken finden sich Dutzende von Belegen, mit denen die GCCL-Mitglieder solche querulatorischen Aktionen dokumentieren. So ist in einem Video ein Autofahrer zu sehen, der als «lebender Mensch» eine einfache Zollkontrolle zu einem 18-minütigen Drama umfunktioniert. Bei der Fachstelle der Kantonspolizei Thurgau melden sich die Betreibungsämter mit Fällen. Krankenversicherungen, Steuerbehörden, Gerichte oder die Erhebungsstelle für die SRG-Gebühr (Serafe) werden mit Schreiben, Pamphleten und Strafanzeigen bombardiert. Nachvollziehbar sind sie meist nicht, doch sie sind nicht selten der Anfang eines nervenaufreibenden Papierkrieges.

Von einem «erheblichen Mehraufwand» spricht René Hunziker, Präsident des Bezirksgerichts von Frauenfeld, der seit 2021 eine deutliche Zunahme solcher Fällen feststellt. Nicht nur verschlinge die Bearbeitung der oft überlangen Eingaben voller kaum nachvollziehbarer Ausführungen enorm viel Zeit. Die Annahme von Briefen werde von den «Reichsbürgern» konsequent verweigert. Verhandlungstermine werden laut Hunziker nicht wahrgenommen und müssen neu angesetzt werden. Personen müssen mit polizeilichen Mitteln zu den Verhandlungen gebracht werden, und je nach Lage ist Polizeischutz erforderlich. Marcel Keller, Staatsanwalt in Frauenfeld, spricht von einem «erheblichen Gewaltpotenzial».

So wird der Staat konstant auf die Probe gestellt, und seine Vertreter müssen sich als Handlanger eines korrupten Willkürregimes beschimpfen lassen. Auch am Bezirksgericht Frauenfeld artete im September eine Verhandlung gegen eine wahrscheinliche GCCL-Anhängerin tumultartig aus. Zudem seien Aussagen gemacht worden, «die zumindest als Drohung empfunden wurden», erklärt Hunziker.

In Frauenfeld sind mehrere Verfahren wegen Drohung und Gewalt gegen Behörden, Ehrverletzungsdelikten und anderer Straftaten hängig. In einem GCCL-internen Zoom-Call soll Lenz gemäss der Szenekennerin vorgeschlagen haben, sich zu Hunderten vor den Privatwohnungen liechtensteinischer Minister zu versammeln: «Sie sollen vor uns Angst bekommen.»

GCCL-Erfinder sitzt in Untersuchungshaft

In Vaduz wurde vor fünf Monaten Carl-Peter Hofmann festgenommen, der Erfinder und Anführer des GCCL. Jetzt sitzt der 61-Jährige dort in Auslieferungshaft. Österreich hat Hofmann international zur Festnahme ausgeschrieben, unter anderem wegen Gründung einer staatsfeindlichen Organisation.

Vor einem Jahr verurteilte das Salzburger Landesgericht mehrere Anhänger des GCCL, die Staatsanwälte, Richter und Politiker entführen und vor ein Phantasiegericht stellen wollten. Carl-Peter Hofmann tauchte unter. Voraussichtlich im März soll nun über die Auslieferung definitiv entschieden werden. In der Schweiz hat Hofmann mit Plänen für ein Phantasiegericht schon 2017 für Aufsehen gesorgt. Doch ist es deswegen nie zu einem Verfahren gekommen.

Die schweizerischen Bundesbehörden äussern sich zu dem Phänomen nur zurückhaltend. Der NDB erklärt, Personen, die sich radikalisierten, fielen nur dann in sein Aufgabengebiet, wenn ein konkreter Gewaltbezug vorliege. In der Deutschschweiz seien einzelne Aktivitäten verzeichnet, von denen bisher aber keine gewalttätig gewesen sei. Und das Bundesamt für Polizei (Fedpol) sagt, Drohungen gegen Bundesräte und Parlamentarier hätten während der Corona-Krise zwar stark zugenommen – doch inwiefern Gruppierungen wie der GCCL involviert seien, sei unbekannt.

Leute, die sonst kaum auffallen

So gefährlich die «Reichsbürger»-Szene in Deutschland oder Österreich teilweise eingeschätzt wird: In der Schweiz scheint vorerst keine vergleichbare Bedrohung zu bestehen. Die Thurgauer Polizei berichtet, sie habe die «Reichsbürger» als organisierte Gruppe unter der Bezeichnung GCCL bisher noch gar nicht wahrgenommen. Und Staatsanwalt Keller beobachtet, dass es sich bei vielen Staatsverweigerern um Leute handelt, die sonst kaum auffallen und die sich ausser ihrer Renitenz nichts zuschulden kommen lassen.

Alles nur ein Spuk? Die Berichte aus dem Thurgau, aber auch die Unzahl an Webseiten und Chats lassen nichts Gutes erahnen. Doch möglicherweise nimmt die Wut ab, wenn der Staat nach dem Ende der Pandemie wieder weniger in Erscheinung tritt. Vielleicht verschwinden die Verschwörungstheoretiker dann von der Bildfläche. Und ziehen sich zurück in ihre extreme und bizarre Scheinwelt, aus der sie an jenem Tag in Münchwilen beinahe wie aus dem Nichts aufgetaucht sind.

* Name geändert.
(https://www.nzz.ch/schweiz/bizarre-parallelwelt-reichsbuerger-zermuerben-thurgauer-behoerden-ld.1670803)



«Erhebliches Gewaltpotenzial»: Schweizer «Reichsbürger» zermürben Thurgauer Behörden
Im Thurgau kämpfen die Behörden mit Personen, die den Staat nicht anerkennen. Diese stellen sich beim Bezahlen von Steuern quer oder nehmen Gerichtstermine nicht wahr. Im Mittelpunkt steht eine geheimnisvolle Organisation, die nach ihren eigenen Regeln spielt.
https://www.blick.ch/schweiz/ostschweiz/erhebliches-gewaltpotenzial-schweizer-reichsbuerger-zermuerben-thurgauer-behoerden-id17262207.html