Medienspiegel 12. Februar 2022

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+++BERN
bielertagblatt.ch 12.02.2022

Er hat die Schweiz seit 20 Jahren nicht verlassen

Als Siebenjähriger ist Flurim Zogaj aus dem Kosovo in die Schweiz geflüchtet. Bis heute ist er nur vorläufig aufgenommen. Er darf nicht ausreisen, einen Handyvertrag abzuschliessen ist schwierig. Der 30-Jährige erzählt seine Geschichte.

Sarah Grandjean

Flurim Zogaj steht vor der Nidauer «Lago Lodge», grüsst und redet unbeschwert drauf los. Er komme gerade von Bern, wo seine Freundin wohnt, sie sei krank, eine Erkältung. Er kümmere sich um sie, versuche zu helfen, und sei es nur, indem er Tee kocht. Denn was es heisst, krank zu sein, das weiss der 30-Jährige nur zu gut.

Drinnen bestellt Zogaj einen Kaffee, rührt Zucker und Rahm hinein und legt den Löffel auf dem Tassenrand ab, ohne einen Schluck getrunken zu haben. Er beginnt in einem albanisch gefärbten Schweizerdeutsch seine Geschichte zu erzählen.

Vater spurlos verschwunden

Aufgewachsen ist er in Peja, einer Stadt im Westen des Kosovo, der viertgrössten des Landes. Er hat fünf Geschwister, er ist der Jüngste. «Wir hatten ein schönes Leben dort», sagt Zogaj. Trotz des Krieges. Er erinnert sich, dass er mehrmals mit seiner Familie in den Bunker flüchtete.

Dann kam dieser warme, sonnige Tag, «Sommer, wenn ich mich nicht täusche». Harmlos begann er. Die Mutter hatte das Frühstück vorbereitet. Sie tranken Tee, die Mutter, der Vater, die sechs Kinder. Da kamen Kollegen des Vaters vorbei. Sie wollten mit ihm in die Stadt fahren, um sein kaputtes Fahrrad reparieren zu lassen. Die Mutter sagte, er solle da bleiben, in der Stadt sei es zu gefährlich. Das war kurz nach Ausbruch des Kosovo-Krieges. Er habe ja niemandem etwas zuleide getan, erwiderte der Vater, ging mit – und kehrte nicht wieder zurück. «Wir fragten seine Kollegen, wo er denn sei», sagt Zogaj, klingt dabei noch heute erstaunt. Die Kollegen des Vaters erzählten, sie seien beim Velomechaniker gewesen, dieser habe gesagt, es dauere noch eine Weile. Sie sollten doch in der Zwischenzeit einen Kaffee trinken gehen. Das hätten sie getan, und als sie zurückkehrten, sei der Vater nicht mehr dort gewesen.

Es war ein Schock. «Stellen Sie sich vor, meine Mutter allein mit sechs Kindern, alle noch relativ jung.» Die Mutter hätte schon früher nach Westeuropa flüchten wollen, sie hatte Geschwister in Deutschland und der Schweiz. Doch der Vater wollte bleiben. Er habe nichts zu befürchten, habe er immer gesagt. Doch nun gab es für die Mutter keinen Grund mehr zu bleiben. Zogaj war sieben Jahre alt, hätte in die erste Klasse gehen sollen, und musste stattdessen flüchten. Die Geschwister der Mutter kratzten Geld zusammen, dank dem die Familie mit Bus, Schiff und Zug nach Italien und in die Schweiz reisen konnte.
Einziger ohne Schweizer Pass

Hier angekommen, lebte sie in Asylzentren in Basel, Ostermundigen und Büren, besuchte Deutschkurse. In Büren wurde Zogaj mit seinen mittlerweile zehn Jahren in die vierte Klasse eingeteilt. Doch er war noch nie zur Schule gegangen und konnte gerade mal seinen Namen schreiben. Also wechselte er in die zweite Klasse. Ein Jahr später zog er mit seiner Familie in eine Wohnung in Aegerten, wo er noch heute wohnt, und besuchte die dortige Primarschule.

Er fühlte sich willkommen. Auch wenn er in der Klasse der einzige Ausländer war. Zwar gab es auch andere Kinder mit Migrationshintergrund, aber diese hatten den Schweizer Pass, «die waren für mich nicht Ausländer». Doch Schweizer oder nicht, das habe für ihn ohnehin nie einen Unterschied gemacht. Hin und wieder gab es Streit mit den anderen Jungs, weil er sich gut mit den Mädchen verstand und er einer der besten im Sport war. «Kinder halt», sagt Zogaj, und wenn er lacht, blitzt eine Zahnspange auf.

In Studen besuchte er die Oberstufe, dann das zehnte Schuljahr, brach ab, machte eine Vorlehre als Velomechaniker, ein Motivationssemester. 2012 begann er in Brügg eine Lehre als Anlagen- und Apparatebauer, das gefiel ihm. Ein stressiger, aber abwechslungsreicher Job. Zogaj trinkt einen ersten Schluck Kaffee.

Diagnose Krebs

Aber dann, er war inzwischen im vierten Lehrjahr und 24 Jahre alt, wurde er ständig krank. Er hatte die Grippe, immer wieder, Fieber, Kopfschmerzen, starker Husten. Fühlte sich schwach. «Ich war im Fussballtraining, und nach einer halben Stunde waren meine Beine so schwer, dass ich aufhören musste.» Sein Chef riet ihm, sich untersuchen zu lassen. Er ging zum Hausarzt, der ihn in die Klinik Linde schickte. Dort machte man ein MRI, stellte fest, dass etwas nicht stimmte, und verwies ihn ans Berner Inselspital. Am Tag der Untersuchung ging es ihm gut. Er fuhr danach zu einer Kollegin, um mit ihr einen Fussballmatch zu schauen. Am nächsten Tag das genaue Gegenteil: Er hatte Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, konnte sich kaum bewegen. Als die Resultate der Untersuchung vorlagen, fuhr er ins Spital, allein. Er habe Krebs, sagte man ihm. Ein bösartiger Hirntumor. Zu 99 Prozent heilbar. «Ich habe es nicht realisiert», sagt Zogaj. Er war am Ende seiner Lehre, hatte bereits seine Vertiefungsarbeit zum Thema Fitness und Ernährung abgeschlossen, nun stand nur noch die Abschlussprüfung an. Doch er musste abbrechen.

Im Spital wurde er mehrere Wochen untersucht, bis man herausgefunden hatte, was für einen Tumor er genau hatte und wie man diesen behandeln sollte. Dann begann die Chemotherapie. Und eines morgens fand Zogaj seine eigenen Haare auf dem Kopfkissen. Wie ein Schlag ins Gesicht sei das gewesen. «Erst da habe ich realisiert, dass ich am Arsch bin.» Er liess drei Monate Chemotherapie über sich ergehen, es gab Komplikationen, Herpes im Hals, eine Thrombose, er nahm Cortison, das seinen Körper aufblähte, «ich bin aufgegangen wie ein Weggli». Seine Familie war für ihn da, der Mann seiner Schwester sass fast immer neben seinem Bett. Abends nach der Arbeit kamen Freunde vorbei und setzten sich mit ihm auf die Krankenhaus-Terrasse.

Als Zogaj den Krebs ein erstes Mal besiegt hatte, wollte er den Lehrabschluss nachholen. Der Lehrmeister habe ihm jedoch gesagt, die vierjährige Lehre innerhalb eines Jahres nachzuholen, werde er wohl nicht schaffen. Also begann er die zweijährige Lehre. Und dann, kurz vor Lehrabschluss, kehrte der Krebs zurück. Wieder Chemotherapie, dazu Radiobestrahlung. Wieder Komplikationen: ein erhöhter Hirndruck, was im schlimmsten Fall tödlich enden kann.

Zogaj erinnert sich nur lückenhaft an diese Zeit. Er habe mit seinem Schwager gestritten, mit seiner Mutter, das habe ihm seine Familie später erzählt. Er wurde in den Notfall eingeliefert. Die Ärzte hätten die Hoffnung schon aufgegeben, rechneten damit, dass er eine Behinderung davon tragen würde. Sie wollten ihn operieren, doch sein Bruder liess das nicht zu. Dann, wie durch ein Wunder, liess der Hirndruck nach. Zogaj erwachte auf der Intensivstation und hatte das Gefühl, im falschen Film zu sein. «Plötzlich schauten mich alle an, jeder kannte meinen Namen und lachte mit mir.» Eine Krankenschwester, eine Albanerin, kannte er bereits von einem früheren Spitalaufenthalt. Sie erzählte ihm, er habe behauptet, Türke zu sein und kein Albanisch zu sprechen. Zogaj lacht, trinkt einen zweiten Schluck Kaffee. «Und jetzt bin ich hier.»

Reisen nur im Ausnahmefall

Hier, in der Schweiz, seit 20 Jahren mit dem Status «vorläufig aufgenommener Ausländer». Mit dem F-Ausweis kann er je nach Anbieter keinen Handyvertrag auf seinen Namen abschliessen, das macht seit Jahren ein Kollege für ihn. Und er darf das Land nicht verlassen, ausser in Ausnahmefällen, etwa, wenn ein Familienmitglied schwer krank oder gestorben ist. Als Kind, erinnert er sich, fuhren im Sommer alle weg. «Keiner war da ausser mir, am schönsten Sommertag war ich allein.» Er würde gern in den Kosovo fliegen, seinen Geburtsort sehen, die Gräber seines Vaters und seiner Grosseltern besuchen.

Zogaj hat mehrere Gesuche gestellt, um den F- in einen B-Ausweis umzuwandeln. Die Ausländerbehörde prüft dabei Kriterien wie Integration, Sprachkenntnisse, Erwerbstätigkeit und soziale Unabhängigkeit. Als Zogaj in der Lehre war, habe er den B-Ausweis nicht erhalten, weil er zu wenig Geld verdiente, um als selbstständig zu gelten. Nach seiner ersten Krebserkrankung habe er ihn nicht erhalten, weil er von der Invalidenversicherung (IV) lebte und entsprechend keinen Arbeitsvertrag vorweisen konnte. Gemäss seiner IV-Rentenverfügung dürfe er Vollzeit arbeiten, jedoch mit 30 Prozent Einschränkungen. Er dürfe nichts Schweres heben, keine Überzeit oder Nachtschichten leisten, und müsse Pausen machen können, wann immer er wolle. «Welcher Chef stellt jemanden zu diesen Bedingungen ein?», sagt Zogaj. Seine sonst gutmütige Stimme wird lauter. Er habe sich wieder bei der IV angemeldet, warte auf Bescheid, und lebe in der Zwischenzeit von Sozialgeld. «Ich will nicht mehr zuhause sitzen und auf das Geld vom Sozialdienst oder von der IV warten», sagt er. Er will arbeiten. Ein weiterer Schluck. «Der Kaffee ist schon kalt geworden.» Er lacht.

Bis er Bescheid von der IV erhält, experimentiert er beim Vater seiner Freundin mit Kunstharz. «Epoxidharz, sagt Ihnen das etwas?» Er nimmt sein Handy hervor und zeigt stolz, wie die Ausbuchtungen in einer Holzplatte mit flüssigem Harz gefüllt werden. Die Nachfrage nach solchen Möbeln sei gross. Vielleicht könne er sich damit etwas aufbauen. Oder irgendwann eine Autogarage eröffnen. Hauptsache, er verdient sein eigenes Geld und kann den B-Ausweis beantragen. Damit er endlich ans Meer fliegen kann.
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/seeland/er-hat-die-schweiz-seit-20-jahren-nicht-verlassen)
-> https://www.20min.ch/video/ich-bin-in-der-schweiz-aber-existiere-hier-nicht-631824119906


+++SCHWEIZ
Grüne fordern: Städte wollen Flüchtlinge selbst aufnehmen dürfen
Nach den Bränden im Flüchtlingslager Moria wollten Städte mehr Flüchtlinge aufnehmen als der Bund. Die Grünen wollen dies nun mit einer Initiative ermöglichen.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/grune-fordern-stadte-wollen-fluchtlinge-selbst-aufnehmen-durfen-66105782


+++ITALIEN
Jusqu’au bout: Tunesische Frauen gegen das Grenzregime
Wie die Frauen, Mütter und Schwestern vermisster Migrant*innen aus Tunesien einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit im Mittelmeerraum leisten
https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/jusquau-bout-tunesische-frauen-gegen-das-grenzregime/


Ein Junge aus dem Tschad hinter Gittern: Ist das Gerechtigkeit?
Ahmed, ein junger Migrant aus dem Tschad, den der italienische Staat für den Schiffbruch vom 11. November 2020 verantwortlich machte, wurde zu 6 Jahren und 8 Monaten Haft und einer Geldstrafe von 1.200.000 Euro verurteilt.
https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/ein-junge-aus-dem-tschad-hinter-gittern-ist-das-gerechtigkeit/


+++MITTELMEER
Migrants‘ lives don’t matter in the Atlantic – another case of fatal non-assistance?
On 6th February at 23:23h CET, Alarm Phone was informed about a rubber boat carrying 54 people (20 women, 33 men, 1 minor). Once we had established direct contact to the boat, we learned that they had left Boujdour on February 5th February around 20h CET. The people in distress stated that one person had died and that the lifeless body was with them on board. They immediately relayed their GPS position, which showed them to be in the shared (i.e Spanish and Moroccan) Search and Rescue zone, about 75NM south-west of Boujdour (Western Sahara).
https://alarmphone.org/en/2022/02/09/migrants-lives-dont-matter-in-the-atlantic-another-case-of-fatal-non-assistance


+++RECHTSPOPULISMUS
Schweizer Referendum über Mediengesetz: Zuspitzen und herrschen
Am Sonntag stimmt die Schweiz über ein neues Presseförderungsgesetz ab. Die Diskussion darüber ist nicht nur für helvetische Verhältnisse hitzig.
https://taz.de/Schweizer-Referendum-ueber-Mediengesetz/!5831103/


+++RECHTSEXTREMISMUS
nzz.ch 12.02.2022

Die Auflösung der Pnos verheisst nicht nur Gutes: Das rechtsextreme Lager stellt sich in der Schweiz neu auf

Mit dem Ende der Pnos verliert die rechtsextreme Szene ihren parteipolitischen Arm. Eine Schwächung des Milieus ist damit allerdings nicht verbunden – im Gegenteil: Die Radikalisierung könnte sogar zunehmen, meint der Nachrichtendienst.

Andri Rostetter, Daniel Gerny

Die Pnos galt in den letzten zwei Jahrzehnten als bekannteste rechtsextreme Gruppierung in der Schweiz. In den 2000er Jahren holte sie in Langenthal sogar einen Sitz im Stadtrat und sorgte damit für Schlagzeilen. Doch seit Jahren ist von der Pnos nicht mehr viel zu hören. Anfang Jahr wurde die Partei National Orientierter Schweizer, wie sie ausgeschrieben heisst, aufgelöst. Der «Blick» berichtete diese Woche über ein Schreiben, in dem der derzeitige Präsident das Ende vermeldet und «ein neues Kapitel» ankündigt.

Kenner des rechtsextremen Milieus sind nicht überrascht. Die Partei habe sich de facto schon lange in einem komatösen Zustand befunden, sagen sie. Der Luzerner Journalist Hans Stutz, der die Szene seit Jahren beobachtet, erklärt gegenüber der NZZ, mehrere Sektionen seien in den letzten Jahren untätig gewesen, und die Zahl der Aktiven habe abgenommen. 2015 ging das Bundesamt für Polizei von 250 Mitgliedern aus, doch letzthin dürfte die Zahl deutlich tiefer gewesen sein.

Für Dirk Baier vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ist ein parteipolitisches Engagement für eine junge Generation ganz einfach nicht mehr zeitgemäss: «Mit dem Ende der Pnos stirbt eine Aktionsform aus, nicht aber die Ideologie.»

Auftrieb für die neue Rechte

Die im Jahr 2000 gegründete Pnos ging aus der Nazi-Skin-Bewegung hervor und orientierte sich in den ersten Jahren offen an der national-völkischen Gesinnung der Nationalsozialisten, wie Stutz erklärt. Das widerspiegelte sich im ersten Parteiprogramm, das sich direkt auf die Rassengesetze des «Dritten Reiches» bezog.

2007 sorgte die Gruppe für Entsetzen, als sie auf dem Rütli den damaligen Bundesrat Samuel Schmid niederschrie und den Hitlergruss zeigte. Und im letzten Jahr wurden zwei Führungsmitglieder verurteilt, weil sie in ihrer Parteizeitung Auszüge aus den «Protokollen der Weisen von Zion» veröffentlicht hatten – eines der schlimmsten antisemitischen Machwerke, mit dem die Nazis den Holocaust rechtfertigten.

Inzwischen wird diese Form des Rechtsextremismus von einer neuen Strömung zurückgedrängt. Auftrieb erhält die sogenannte Neue Rechte. Sie gibt sich modern, vermeidet allzu direkte Bezüge zu den Nationalsozialisten, verfolgt aber eine nicht minder rassistische und demokratiefeindliche Ideologie, wie Baier erklärt. Auch die identitäre Ideologie, aus der die Neue Rechte hervorgeht, basiert auf der Überzeugung, dass Nationen ihre «kulturelle Identität» bewahren müssten.

In der Schweiz ist es vor allem die Organisation Junge Tat, die zur Neuen Rechten zählt. Sie versucht über die sozialen Netzwerke zu mobilisieren und mit kleinen und spontanen Aktionen Aufmerksamkeit zu erregen. Über Telegram und andere Kanäle verbreitet sie Fremdenhass und rassistische Botschaften. Die Mittelbeschaffung erfolgt zeitgemäss in Kryptowährung. Und sie kultiviert eine Körperlichkeit, die an die «Kraft durch Freude»-Bewegung der Nazis erinnert. «Schlussendlich ist es unser Körper, welcher den Geist, ja unsere innere Gesundheit repräsentiert», wirbt die Junge Tat auf ihrer Website. Stutz ordnet auch die Westschweizer Résistance Helvétique dieser Bewegung zu.

Radikalisierung im Stillen

Nach Einschätzung des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) übersteigen derzeit die Veränderungen in der Szene das Normalmass. Der Zerfall einer Organisation lasse einzelne gewalttätige Rechtsextreme ohne Bindung an eine Gruppe zurück. Sie schlössen sich üblicherweise rasch anderen Gruppierungen an, die zumindest ein gewisses Mass an sozialer Kontrolle über ihre Mitglieder ausüben und sie damit eher von Gewalttaten abhalten würden, heisst es im sicherheitspolitischen Lagebericht des NDB von 2021.

Fänden einzelne Exponenten keinen Anschluss an eine neue Gruppe, bestehe eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie sich im Stillen radikalisierten. Wo das Personal der aufgelösten Pnos lande, lasse sich derzeit noch nicht sagen, erklären Baier und Stutz.

Beunruhigt zeigt sich der NDB darüber, dass die üblicherweise diskrete Szene vermehrt öffentlich kommuniziert. Vor allem die jüngeren Gruppierungen stellten Propagandavideos und Fotos von Ereignissen teilweise in öffentlichen Profilen ins Netz. Unklar ist, ob dies aus Lust an der Provokation oder aus Naivität geschieht.

Der NDB rechnet aber aus mehreren Gründen mit einer Zunahme rechtsextremer Gewalttaten. Der Austausch jüngerer, strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getretener Rechtsextremer mit älteren, erfahrenen Exponenten stärke die Handlungsfähigkeit der einzelnen Gruppierungen. Dieser Austausch steigere zudem die Bereitschaft, sich zu exponieren und die Auseinandersetzung zu suchen.

Mit welcher Hemmungslosigkeit sich die rechtsextreme Szene mittlerweile in der Öffentlichkeit präsentiert, zeigte sich jüngst an einer unbewilligten Kundgebung der Corona-Massnahmen-Gegner in Bern am 22. Januar. Die «Berner Zeitung» berichtete von dreissig bis vierzig Rechtsradikalen, die sich an die Spitze der Demonstration setzten. Federführend sei dabei die Neonazigruppe Junge Tat gewesen, unterstützt durch Mitglieder von Nationaler Aktionsfront (NAF), Blood & Honour und Hammerskins.

Potenzial für gewalttätige Aktionen

Gemeinsame Aktionen von Exponenten verschiedener Gruppierungen sind nicht ungewöhnlich, die Szene funktioniert als grosses Netzwerk mit engen Kontakten, Querverbindungen und personellen Überschneidungen. Als Schaltstellen fungieren der Schweizer Ableger der britischen Blood-&-Honour-Gruppe und dessen gewaltbereite Nebenorganisation Combat 18. Auch die Zentralschweizer Gruppierungen Brigade 8 und Kameradschaft Morgenstern treten immer wieder in Erscheinung, ebenso die in den Kantonen Schwyz und St. Gallen aktive Kameradschaft Heimattreu. Pnos-Aktivisten pflegten Kontakte zu diversen dieser Gruppierungen. Baier warnt allerdings auch davor, die zahlenmässige Stärke der einzelnen Organisationen zu überschätzen.

Bisher habe es der rechtsextremen Szene in der Schweiz an verbindenden Themen und charismatischen Figuren gefehlt, hält der NDB fest. Das ändere sich nun in Teilen der Szene, was die Wahrscheinlichkeit von gezielten gewalttätigen Aktionen weiter steigere. Ein weiterer Hinweis, der von Experten und Behörden zunehmend mit Sorge zur Kenntnis genommen wird, ist die Bewaffnung der rechtsextremen Szene.

Im August 2021 stellte die Zürcher Kantonspolizei bei Hausdurchsuchungen in Winterthur bei Mitgliedern der mittlerweile als aufgelöst geltenden Gruppierung Eisenjugend mehrere Waffen sicher. Das zeigt laut Experten, dass sich das Nazi-Milieu für «den Ernstfall» rüstet – den Umsturz des bestehenden Systems. «Die Attraktivität des Schiessens und von Kampfsportarten bleibt bestehen, und die Fähigkeiten in diesen Bereichen nehmen zu», stellt der NDB nüchtern fest. Die Auflösung der Pnos zeigt sich damit vor einem beunruhigenden Hintergrund.
(https://www.nzz.ch/schweiz/die-aufloesung-der-pnos-verheisst-nicht-nur-gutes-ld.1669230)



Rassisten mit Uniform und Schlauchtuch
Wie eine Sekte
Jüngst im Internet veröffentlichte interne Dokumente und Chatverläufe der US-amerikanischen Nazi-Gruppe Patriot Front bieten Einblick in eine straff geführte, autoritäre Organisation.
https://jungle.world/artikel/2022/06/wie-eine-sekte


Chaos nach Corona-Demo in Zürich: Grossaufmarsch gegen Nazis und «Schwurbler», Polizei setzt Wasserwerfer und Tränengas ein
Am Samstag kam es in Zürich zu unbewilligten Demonstrationen. Die Polizei stoppte sowohl Massnahmengegner, als auch randalierende Linksautonome und verhaftete 31 Rechtsextreme.


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Chaos nach Corona-Demo in Zürich: Grossaufmarsch gegen Nazis und «Schwurbler», Polizei setzt Wasserwerfer und Tränengas ein
Am Samstag kam es in Zürich zu unbewilligten Demonstrationen. Die Polizei stoppte sowohl Massnahmengegner, als auch randalierende Linksautonome und verhaftete 31 Rechtsextreme.
https://www.tagesanzeiger.ch/viel-polizei-am-hauptbahnhof-500-linke-wollen-neonazi-aufmarsch-verhindern-215985066953
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-skeptiker-demonstrieren-in-zurich-66105854
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/linke-gegen-corona-skeptiker-zuercher-polizei-ruestet-sich-fuer-demo-clash-am-samstag-id17223018.html
-> https://www.20min.ch/story/linke-wollen-massnahmengegner-demo-verhindern-395424917583
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/das-neueste-zur-coronakrise-polizei-markiert-vor-demos-am-zuercher-hauptbahnhof-praesenz
-> https://www.watson.ch/schweiz/international/805753725-corona-news-norwegen-hebt-letzte-massnahmen-auf
-> https://www.nzz.ch/zuerich/polizei-news-aus-zuerich-tankstelle-ausgeraubt-khat-am-flughafen-ld.1663169
-> https://www.swissinfo.ch/ger/stadtpolizei-zuerich-laesst-linke-demonstranten-in-den-kreis-4-ziehen/47342632
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/polizei-setzt-am-limmatquai-wasserwerfer-ein-145130875
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/viel-polizei-bei-zwei-unbewilligten-demos-in-zuerich?id=12142709
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/stadtpolizei_zuerich/medien/medienmitteilungen/2022/februar/grosseinsatz_derstadtpolizeiverhindertaufeinandertreffenzwis.html
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/krawalle-in-zuerich?urn=urn:srf:video:3c9963d1-73e9-4e95-8fe5-f9e155b14723
-> Kurzvideos TeleZüri: https://tv.telezueri.ch/news/demos-in-zuerich-polizei-setzt-pfefferspray-ein-145440233
-> TeleZüriNews: https://tv.telezueri.ch/zuerinews/demonstrationen-polizei-setzt-gummischrot-und-traenengas-ein-145443669
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-polizei-markiert-vor-unbewilligten-demos-praesenz-00175085/
-> https://telebasel.ch/2022/02/12/zuercher-polizei-weist-an-demos-ueber-100-personen-weg/?channel=105105
-> https://www.tagblatt.ch/news-service/vermischtes-people/illegale-demonstrationen-massnahmengegner-und-gegendemo-marschieren-durch-zuerich-polizei-schreitet-ein-ld.2249945
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/news-service/vermischtes-people/illegale-demonstrationen-massnahmengegner-und-gegendemo-marschieren-durch-zuerich-polizei-schreitet-ein-ld.2249945
-> Demoaufruf: https://barrikade.info/article/4994

-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/leckerbisse
-> https://twitter.com/ajour_mag
-> https://twitter.com/Megafon_RS_Bern
-> https://twitter.com/StadtpolizeiZH
-> https://twitter.com/realaydemir
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-> https://twitter.com/La_Hirt
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-> https://twitter.com/LAfu3000
-> https://twitter.com/CovidiotenCH
-> https://twitter.com/the_vaxxer
-> https://twitter.com/LinkePoC
-> https://twitter.com/liu_ya_li



nzz.ch 12.02.2022

In Zürich setzt die Polizei bei Demonstrationen linksautonomer Gruppen Wasserwerfer und Gummischrot ein – von den Corona-Skeptikern ist nur wenig zu sehen

Dabei war deren geplante – aber ebenfalls unbewilligte – Kundgebung der eigentliche Grund für den Aufmarsch.

ela/ak./wde In Zürich ist es am Samstag bei unbewilligten Demonstrationen vor allem linksautonomer Gruppen zu Ausschreitungen gekommen. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Gummischrot ein, nahm eine Gruppe Rechtsextremer fest und verzeigte zahlreiche Personen.

In den sozialen Netzwerken hatten in der Woche zuvor Gegner der Corona-Politik zu Protesten aufgerufen. Daraufhin planten auch linke Gruppen unter Parolen wie «Zürich nazifrei» eine – ebenfalls unbewilligte – Gegendemonstration. Die Polizei war nach eigenen Angaben entsprechend vorbereitet.

Pfefferspray und Gummischrot

Am Samstagnachmittag versammelten sich vor dem Landesmuseum und auf dem Bahnhofplatz Gruppen von mehreren hundert Personen. Sie hielten Transparente hoch mit Botschaften wie «Zürich bleibt nazifrei» oder «Gemeinsam gegen rechts». Die Polizei kesselte zwei grössere Demonstrationsgruppen ein. Nach Angaben der Polizei formierte sich ein Demonstrationszug, um via Neumühlequai in Richtung Bellevue zu marschieren. Dort sei der Treffpunkt der Corona-Massnahmen-Gegner gewesen. Die Stadtpolizei habe jedoch verhindert, dass der Demonstrationszug in die Innenstadt gelangen konnte.

Das Gebiet rund um Central und Hauptbahnhof war für Auto- und Tramverkehr für längere Zeit lahmgelegt.

Die Gruppe vom Hauptbahnhof brach gegen 15 Uhr Richtung Löwenplatz, teilweise auch zum Bellevue auf. Wieder hielt die Polizei sie nach eigenen Angaben auf. Auf dem Limmatquai hätten Teilnehmer der Demonstration randaliert. Sie seien mit einem Wasserwerfer zurück Richtung Central gedrängt worden.

In Videos, die in den sozialen Netzwerken zu finden sind, ist zu sehen, wie die Polizei mit Pfefferspray gegen Demonstranten aus der linken Szene vorgeht.

    🚨#POLIZEI stoppt #Antifa gewaltsam. Pfefferspray + Übergriffe.#ZH1202 pic.twitter.com/WoW1EvozKA
    — Astiag (@astiagrahmani) February 12, 2022

Auf Twitter schrieb die Polizei: «Teilweise versuchen Teilnehmende der unbewilligten Demonstration, die Polizeisperren zu durchbrechen. Deswegen mussten der Wasserwerfer sowie Gummischrot und Reizstoff eingesetzt werden.»

Von den Massnahmen-Gegnern ist wenig zu sehen

Von der angekündigten rechten Demonstration war zunächst nichts zu erkennen. Kurz nach 14 Uhr kam es dann allerdings beim Escher-Denkmal zu einer kurzen, heftigen Schlägerei. Eine Gruppe von Männern floh anschliessend Richtung Central. Vermutlich handelte es sich um jene Gruppierung, die später von der Polizei verhaftet wurde. Auf Twitter schrieb die Stadtpolizei: «In der Altstadt wurde eine grössere, gewaltbereite Personengruppe angehalten. Diese kann der rechtsextremen Szene zugeordnet werden. Sie werden für weitere Abklärungen in eine Polizeiwache geführt.» Am Abend sprach die Polizei von 31 Personen in dieser Gruppe.

Um 16.30 Uhr meldete die Stadtpolizei, dass sich am Limmatquai eine Gruppe von Corona-Massnahmengegnern gebildet habe. Die Leute seien aufgefordert worden, den Umzug aufzulösen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer würden nun kontrolliert, weggewiesen und verzeigt, schreibt die Stadtpolizei auf Twitter.

Insgesamt hat die Polizei Zürich nach eigenen Angaben mehrere Dutzend Personen festgenommen. Stadt- und Kantonspolizei hätten weit über 100 Wegweisungen vorgenommen.
(https://www.nzz.ch/zuerich/demonstrationen-in-zuerich-polizei-mit-gummischrot-gegen-antifa-ld.1669479)



Schwurbeldemo Bern:
-> https://twitter.com/__investigate__/status/1492497900999487492


Coronavirus: Rechtsextreme und Skeptiker vermischen sich immer mehr
Inzwischen sind sie bei fast jeder Massnahmen-Demo dabei: Neonazis. Der rechtsextreme Hass ist während der Krise um das Coronavirus stärker geworden.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-rechtsextreme-und-skeptiker-vermischen-sich-immer-mehr-66104863
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/extremisten-an-protesten-der-einfluss-der-rechtsextremen-innerhalb-der-massnahmenkritiker


Wegen Sicherheitsbedenken – Schweiz-Besuch von österreichischem Bundeskanzler ohne Publikum
Grund sind Sicherheitsbedenken nach angekündigten Störaktionen, wie die Stadt Zofingen AG mitteilte.
https://www.srf.ch/news/schweiz/wegen-sicherheitsbedenken-schweiz-besuch-von-oesterreichischem-bundeskanzler-ohne-publikum
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/zofingen-aus-sicherheitsgruenden-kein-publikum-am-staatsempfang?id=12142694
-> https://www.telem1.ch/aktuell/kein-publikum-beim-empfang-des-oesterreichischen-bundeskanzlers-145443062
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/zofingen-ernstzunehmende-hinweise-staatsempfang-findet-wegen-moeglicher-stoerung-ohne-publikum-statt-ld.2249793


Auf Druck der Bundesregierung – Telegram sperrt 64 extremistische Kanäle
Bei Telegram haben sich auch Rechtsextreme und Querdenker vernetzt. Auf Druck der Bundesregierung hat der Messenger-Dienst nun erstmals solche Kanäle gesperrt.
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/telegram-sperrung-kanaele-100.html


Corona-Demos: Unter gefährlichen Flaggen
Die Symbole der Rechtsextremen bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen – Eine STANDARD-Analyse
https://www.derstandard.at/story/2000133302828/corona-demos-unter-gefaehrlichen-flaggen?ref=rss


Telegram, die Informationszentrale der Impfgegner
Über den Messengerdienst werden auch Strategien diskutiert, wie man die Impfpflicht umgehen kann
https://www.derstandard.at/story/2000133302592/telegram-die-informationszentrale-der-impfgegner?ref=rss


Schweizer in Kanada: Trucker-Demos sind «ignorante Minderheit»
Die grossen Trucker-Demonstrationen in Kanada stören den Alltag. Ein Auslandschweizer erzählt Nau.ch, wie er die Proteste erlebt.
https://www.nau.ch/news/amerika/schweizer-in-kanada-trucker-demos-sind-ignorante-minderheit-66103182


+++FUNDIS
Beschwerde eingereicht – Berner Psychiatrie hat sektennahe Psychiaterinnen angestellt
Vertreterinnen der Kirschblütengemeinschaft waren in Münsingen BE tätig. Beim Kanton ist eine Beschwerde eingegangen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/beschwerde-eingereicht-berner-psychiatrie-hat-sektennahe-psychiaterinnen-angestellt
-> https://www.derbund.ch/aufsichtsbeschwerde-gegen-psychiatriezentrum-muensingen-203987345429
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/kritik-an-psychiatrie-zentrum-muensingen-wegen-angehoerige-der-umstrittenen-kirschblueten-gemeinschaft-145443688
-> https://www.bern-ost.ch/Sektenaehnliche-Gemeinschaft-Psychiatrie-Muensingen-hat-Kirschblueten-Mitglieder-angestellt-650663


+++HISTORY
tagblatt.ch 12.02.2022

«Führer, wir stehen zu dir»: Als in der Ostschweiz die Hitlerjugend marschierte

Frauenfeld, Arbon, Toggenburg: Die Reichsdeutsche Jugend hat auch eine Ostschweizer Vergangenheit. Und in St.Gallen gab’s sogar ein «Nazi-Nest». Ein Überblick über die Tätigkeiten und Vorkommnisse der Reichsdeutschen Jugend in der Schweiz.

Sabrina Bächi

1943: Durch die Gassen gehen ein paar Buben. Alle tragen die gleichen schwarzen Hosen und weisse Hemden. Ihr Haar ist kurzgeschnitten. Es sind Buben aus der Hitlerjugend. Allerdings nicht in Deutschland. Sondern in der Schweiz. In Frauenfeld, Weinfelden, St.Gallen oder Rorschach haben sich derartige Szene sicherlich auch abgespielt. Denn in insgesamt zehn Ostschweizer Orten gab es Standorte nationalsozialistischer Jugendorganisationen.

Es ist ein Thema, das bisher wenig bekannt und vor allem auch wissenschaftlich praktisch nicht aufgearbeitet ist. Der Historiker Martin J. Bucher hat sich in seiner Dissertation «Führer, wir stehen zu dir» mit der Geschichte der Reichsdeutschen Jugend in der Schweiz beschäftigt. Auffällig ist: In der Ostschweiz gab es vergleichsweise viele Standorte der Reichsdeutschen Jugend (RDJ). Es sind dies: St.Gallen, Rorschach, St.Margrethen, Wil, Werdenberg, Arbon, Frauenfeld, Amriswil, Weinfelden und Kreuzlingen.

Die Reichsdeutsche Jugend gehörte zu der Deutschen Kolonie – die Mitgliedschaft in diesen Kolonien war Pflicht für deutsche Staatsbürger. Es war ein Machtinstrument der Nazis, selbst im Ausland wohnende Bürger, sogenannte Reichsdeutsche, an die Heimat zu binden. Auf der ganzen Welt gab es derlei Kolonien. Etwa in Brasilien oder auch Australien.

Den Kindern und Jugendlichen kommt dabei eine besondere Stellung zu, sind sie doch der Nachwuchs, der für den Einsatz an der Kriegsfront vorbereitet werden soll. Theoretisch waren alle deutschen Kinder verpflichtet, Mitglied in der RDJ zu sein. In der Schweiz, schreibt Bucher, konnte man sich diesen Organisationen jedoch verhältnismässig gut entziehen. Dennoch trafen sich in der ganzen Schweiz zwischen 1931 und 1945 wöchentlich deutsche Kinder und Jugendliche zu sogenannten Heimabenden, zu Sportanlässen oder Feierlichkeiten.

Die Reichsdeutsche Jugend in der Ostschweiz

Die Struktur der Reichsdeutschen Jugend war sehr militärisch ausgerichtet. Es gab, wie in Deutschland auch, einen Landesjugendführer, der alle Organisationen unter sich hatte und auch Befehle erliess. Von sich reden machte Landesjugendführer Wilhelm Gustloff, der in Davos eine der ersten RDJ gründete. Er wurde in seiner Wohnung in Davos erschossen und danach von den Nazis als Märtyrer gefeiert.

Anfang 1942 übernahm Heinrich Bieg die Führung. Unter seiner Hand wurde die RDJ deutlich soldatischer. Mit Elsa Hammann gibt es eine St.Gallerin, die in der oberen Führungsetage bei der RDJ mitwirkte. Die in St.Gallen geborene Deutsche ist damit die Einzige in jener Führungsetage, die in der Schweiz geboren wurde und hier aufgewachsen war. Alle anderen Kader kamen aus Deutschland. Hammann arbeitete auf dem Deutschen Konsulat in St. Gallen; 1942 nach Berlin versetzt, verliert sich ihre Lebensspur.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die RDJ in der Ostschweiz nicht anders organisiert war, als in der übrigen Schweiz. Die grossen Zentren waren in Zürich, Davos und Basel. In der Ostschweiz ist die hohe Anzahl der Standorte auffällig. Allerdings waren die Mitgliederzahlen geringer. Insgesamt gab es 2500 RDJ-Mitglieder im Jahre 1943 schweizweit.

Das «Nazi-Nest» am Institut

Interessant sind die Aktivitäten der RDJ in St.Gallen. Zum einen, weil es im Institut am Rosenberg eine hohe Anzahl von RDJ-Mitglieder gab. Ein Lehrer bezeichnete das Institut gar als «Nazi-Nest». Aber auch wegen der grösseren Feierlichkeiten, wie etwa die Verpflichtungsfeier 1943 im grossen Saal des Restaurants Schützengarten.

Wie aus Polizeiberichten hervorgeht, waren rund 120 Erwachsene, 50 Angehörige des BDM und 120 aus der HJ St.Gallen und Rorschach im Saal. In der Mitte der Bühne prangte das Zeichen der HJ. Der Anlass war wie für nationalsozialistische Feierlichkeiten üblich geprägt von gemeinsamem Singen, einigen Ansprachen und eben den Aufnahmezeremonien.

Auch in kleineren Orten, wie etwa in Weinfelden gibt es Feierlichkeiten. So stellte die Polizei 1943 am Nazi-Feiertag zur Machtübernahme fest, dass nur 53 Personen, inklusive Jugendgruppen, an dieser Feier in Weinfelden teilgenommen hätten. 1941 waren es noch über 300 Personen.

Widerstand an der Schule Rorschach

Es gab auch Widerstand gegen die Deutschen Kolonien und die Reichsdeutsche Jugend. So wehrte sich 1938 etwa die Schule Rorschach gegen die politischen Aktivitäten und verbot die Hitlerjugend. Damals gehörten 20 Knaben und sechs Mädchen der RDJ in Rorschach an. Die Treffen fanden in Rorschacherberg statt. Man wollte dem Treiben Einhalt gebieten. Und so machte sich die Schulbehörde zu Nutze, dass Schülerorganisationen die Bewilligung der zuständigen Behörde bedürfen. Dieses Verbot funktionierte aber nur für eine Weile. Der Widerstand in der gesamten Schweiz gegen die RDJ hielt sich eher in Grenzen.



Tätigkeiten der Reichsdeutschen Jugend in der Schweiz

Heimabende: Die Erziehung zum nationalsozialistischen Menschen geschah in erster Linie an den wöchentlichen Heimabenden. Dabei ging es weniger um das gesellige Beisammensein, vielmehr sollten die Kinder regelrecht beschult werden. Landesjugendführer Heinrich Bieg formulierte es so: «Sie lernen das grösste Wunder, das für den deutschen Menschen gekommen ist – den deutschen Sozialismus – kennen». Die Landesjugendführung gab zur Gestaltung dieser Abende klare Anweisungen. Zentrale Themen waren Rassenkunde, Antisemitismus, Nationalismus, Geopolitik, Volksgemeinschaft oder Führerkult.

Exerzieren: Das Einüben militärischer und soldatischer Formen war vor allem in der HJ wichtig. Der Drill hatte einen ernsthaften Hintergrund: Den Krieg.

Musik: Im Mittelpunkt standen deutsche Volkslieder. Sie sollten «verschworene Gemeinschaften» formen. So wurden den Kindern und Jugendlichen die propagierte Ideologie rund um Ehre, Treue, Gemeinschaft und Heldenmut musikalisch vermittelt. Es entstanden in jener Zeit auch ganze Orchester – von strammen Nationsozialisten geführt. In St.Gallen wurde 1937 etwa eine sogenannte Spielschar gegründet.

Radio und Film Rundfunksendungen ergänzten mit Kinderhörspielen die Heimabende. Besonders beliebt, auch bei der Schweizer Bevölkerung, waren die von Nationalsozialisten organisierten Filmabende. Auch dabei wird klar: Es handelte sich nicht um ein Vergnügen – auch wenn es von aussen so aussieht, sondern vor allem um nationalsozialistische Propaganda.

Werkarbeit: Besonders bei den Mädchen war die sogenannte Werkarbeit wichtig. Dabei sollten handwerkliche Fähigkeiten und der Umgang mit verschiedenen Materialien erlernt werden. Sie bastelten auch Spielzeug für Kinder in Deutschland – streng nach Vorgabe.

Sport: Zwei Stunden Sport pro Woche waren für die Mitglieder der HJ und den Mädchen vom BDM Pflicht. Sport war nicht Erholung, Leidenschaft oder Spiel, sondern lebenswichtige Aufgabe und Verpflichtung, den Körper zum Wohl des «Volksganzen» zu stärken. Auch hier wieder zeigt sich die Ideologie der Nationalsozialisten, die das Leben der Kinder durchwirkte. «Der Sport ist das Symbol des Gemeinschaftgeistes der Deutschen Jugend.»
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kreuzlingen/geschichte-fuehrer-wir-stehen-zu-dir-als-in-der-ostschweiz-die-hitlerjugend-marschierte-ld.2249483)