Bundesrat kürzt Sozialhilfe, Antisemitische Straftaten nehmen zu, Libyen inszeniert für die Medien

Graffiti im Rahmen einer Aktion am gegen die EU-Aussengrenze und ihre Beschützer*innen beim St. Johanns-Bahnhof in Basel.
  • Corona-Demo: Faschist*innen an der Spitze
  • Bundesrat will Sozialhilfe für sogenannte Drittstaatsangehörige weiter kürzen
  • Libyen: Eröffnung eines Zentrums für Migrantinnen entpuppt sich als reiner Medienstunt
  • Antisemitische Straftaten so hoch wie seit zehn Jahren nicht
  • Kopf der Woche : Gianni Infantino, Präsident des Weltfussballverbandes FIFA
  • CommemorAction als Protest gegen das Sterbenlassen an den Grenzen
  • Aktion gegen die EU-Aussengrenze und ihre Beschützer*innen beim St. Johanns-Bahnhof (BL)

Was ist neu?

Corona-Demo: Faschist*innen an der Spitze

Am Samstag letzter Woche, dem 22. Januar 2022, drängte sich die Neonazi-Gruppe „Junge Tat“ mit Transparent und Megafon an die Spitze der Corona-Demo in Bern. Die Massnahmengegner*innen liefen hinterher. Dass es soweit kommen würde, war absehbar. Denn nach bald zwei Jahren Corona-Demos hatte sich ein Macht-Vakuum zwischen den verschiedenen neuen Organisationen und Gruppierungen gebildet, die anfangs ihren gemeinsamen Nenner im Protest gegen die Pandemie-Massnahmen gefunden hatten. Einige Gruppierungen hatten sich aufgelöst, andere sich verstritten. Diese instabile Situation spielte nun, wie zu befürchten war, den organisierten Neonazis unter ihnen in die Hände.

Fronttranspi der Corona-Demo in Bern.
Fronttranspi der Corona-Demo in Bern.

Schon von Anfang an boten die Corona-Demos einen Nährboden für rechtsextreme Gruppierungen. Rechte Propaganda, Sündenbockpolitik und Verschwörungsideologien begünstigen sich gegenseitig und funktionieren alle nach dem Motto „Wir“ werden von „Ihnen“ bedroht. Es wird unter den Corona-Demonstrant*innen ein Feindbild konstruiert, das je nachdem Bill Gates, „die Lügenpresse“, Alain Berset, Klaus Schwab oder „die Antifa“ ist. Dieser Feind bedroht das „Wir“, das in den Augen der Corona-Demonstrant*innen aus aufrechten, schweizerischen „Volksgenossen“ besteht. Viele der Verschwörungsideologien, die unter den Corona-Massnahmengegner*innen beliebt sind, bedienen klar antisemitische, rassistische und rechts-populistische Narrative.

Auch Ideologien von esoterischen Impfgegner*innen, von denen es viele an die Corona-Demos zog, überschneiden sich an vielen Stellen mit rechten Verschwörungsideologien. Das Narrativ von „zurück zur Natur“ oder das Bild vom „gesunden, starken Menschen“, der keine Impfung braucht um zu überleben, sind unmittelbar verknüpft mit sozial-darwinistischen und anti-modernen Ideen, welche auch von Nazis nach dem ersten Weltkrieg propagiert wurden.

Obwohl rechtsextreme Gruppierungen von Anfang an versucht hatten, in der Bewegung ihren Einfluss zu nehmen, wächst wie immer der Faschismus auch hier aus der Mitte der Gesellschaft. Es sind die ignoranten, verschwurbelten und unreflektierten Haltungen des Grossteils der Massnahmengegner*innen, die den Neonazis überhaupt erst ermöglichen, in eine einflussreiche Position kommen zu können. Weitere Informationen unter bgra.ch oder auf Instagram @bgra.ch.

Am 12.02. ist in Zürich wieder eine grössere Demonstration der Massnahmengegner*innen geplant. Es ist damit zu rechnen, dass dieselben Neonazis, die am 22.01. in Bern marschierten, wieder auftauchen werden und die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Dies lassen wir nicht zu! Deshalb wird es am 12.02. in Zürich eine Gegendemonstration geben, um den Nazi-Aufmarsch zu stoppen. Kein Fussbreit dem Faschismus!

https://www.derbund.ch/mehr-als-2000-massnahmenkritiker-versammeln-sich-auf-dem-bahnhofplatz-776312505170
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-massnahmen-gegner-demonstrieren-in-bern-66082433
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/grossmutter-und-enkel-als-spezielles-kuenstler-duo?id=12129419
https://www.20min.ch/story/corona-demo-wurde-von-neonazis-angefuehrt-949972289805
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/bern-zwei-demos-finden-gleichzeitig-statt-145181046
https://www.tele1.ch/nachrichten/corona-demo-in-bern-145180248
https://www.srf.ch/play/tv/srf-news/video/rechtsradikale-an-corona-demos-was-bedeutet-das-fuer-die-schweiz?urn=urn:srf:video:3cc8199b-0a67-4eef-a995-b17e3cae296a&aspectRatio=16_9
Aufruf Gegen(Velo)-Demo: https://barrikade.info/article/4953

Was geht ab beim Staat?

Bundesrat will Sozialhilfe für sogenannte Drittstaatsangehörige weiter kürzen

Die Jagd auf Betroffene von Armut in der Schweiz geht weiter: Der Bundesrat will die Sozialhilfe für Personen von ausserhalb der EU und Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) senken. Die rassistische Vorlage befindet sich jetzt in der Vernehmlassung.

Seit mehreren Jahren befindet sich die Schweiz in einem anhaltenden Kampf gegen Arme, nicht gegen Armut: Der Druck auf Sozialhilfebezieher*innen steigt allgemein, immer wieder kommt es zu rassistischen Vorstössen und Beschlüssen, bei denen Sozial- und Migrationspolitik miteinander verknüpft werden. Einen weiteren Schritt auf diesem Weg ging der Bundesrat vergangene Woche mit folgenden Vorschlägen: Die Sozialhilfe für Personen von ausserhalb EU/EFTA-Staaten soll während ihrer ersten drei Jahre in der Schweiz gekürzt werden. Zusätzlich verschärfen sich die Integrationskriterien: Neu soll geprüft werden, ob und wie die Personen die Integration der eigenen Kinder und Partner*innen fördern.

In der Medienmitteilung beklagt der Bundesrat die steigenden Ausgaben in der Sozialhilfe und schreibt davon, dass mit den vorgeschlagenen Massnahmen der «Anstieg der Sozialhilfekosten der Kantone und Gemeinden gebremst werden» soll. Es sollen «Anreize zur Integration im Arbeitsmarkt» gesetzt werden. Was der Bundesrat in seiner Medienmitteilung nicht erwähnt: Die Sozialhilfe ist in der Schweiz bereits heute so tief, dass sie kein würdiges Leben ermöglichen kann. Wie stellen sich Karin Keller-Sutter und Co. eine weitere Kürzung vor, wenn bereits nichts mehr vorhanden ist, das noch gekürzt werden kann?

Die Verknüpfung von Sozial- und Migrationspolitik, der Angriff auf Sozialhilfebezüger*innen ausserhalb von EU/EFTA-Staaten bleibt anhaltend: 2019 trat das «Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG)» in Kraft. Dieses sieht vor, dass Menschen ohne Schweizer Pass, welche über längere Zeit finanzielle Unterstützung erhalten, ausgewiesen werden können (antira.org/2020/04/06). Viele Personen hält das Gesetz davon ab, Sozialhilfe zu beantragen, was sie noch weiter in die Armut treibt (antira.org/2021/05/17). Und diese Woche lancierte die SVP in Solothurn eine Initiative mit dem Titel: «Weniger Sozialhilfe für Scheinflüchtlinge», über welche im Kanton Solothurn voraussichtlich im Mai abgestimmt wird. 

Die rassistisch motivierte Verknüpfung der Sozialhilfe mit Migrationspolitik widerspricht dabei dem Grundgedanken der Sozialhilfe: Sozialhilfe hat sich am Bedarf der von Armut betroffenen Personen auszurichten. Und die Lebenshaltungskosten sind unabhängig vom Pass, über den eine Person verfügt. Wenn der Bundesrat zynisch von «Anreizsetzung zur Integration» spricht, geht es eigentlich doch darum, die rassistisch motivierte Zweiklassengesellschaft gesetzlich noch stärker zu verankern.

Der Vorschlag des Bundesrates befindet sich in der Vernehmlassung, entschieden wird bis im Mai 2022. Je nach Ausgang dieses Entscheids und auch unabhängig davon, gilt es sich zu organisieren und widerständig zu bleiben: Das nächste Referendum wartet, vielleicht.

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-86909.html
https://www.srf.ch/news/schweiz/entscheid-des-bundesrates-schweiz-will-nicht-eu-buergern-weniger-sozialhilfe-zahlen
https://www.woz.ch/-bf79
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/svp-asylinitiative-stoesst-auf-wenig-gegenliebe?id=12131375
https://www.sozialhilfeberatung.ch/entry/stellungsnahme-entscheid-bundesrat

Was ist aufgefallen?

Libyen: Eröffnung eines Zentrums für Migrantinnen entpuppt sich als reiner Medienstunt

Die neue Unterkunft für Migrantinnen soll von weiblichem Wachpersonal geleitet werden und wesentliche Verbesserungen für die untergebrachten Frauen bedeuten. Doch dies ist reine Propaganda, berichtet die Libya Review. Derweil setzt die EU ihr Ausbildungsprogramm für die sogenannte libysche Küstenwache trotz bewiesener Menschenrechtsverletzungen fort.

Die libysche Aussenministerin Najla Al-Mangoush bei der Eröffnung des neuen Zentrums für Migrantinnen.
Die libysche Aussenministerin Najla Al-Mangoush bei der Eröffnung des neuen Zentrums für Migrantinnen.

Laut den vom Aussenministerium veröffentlichten und von Aussenministerin Najla Al-Khoja geteilten Fotos umfasst das Zentrum eine Näherei, einen Kindergarten, eine Schule, eine Klinik, eine Turnhalle und eine Station für Waisenkinder. „All dies ist ein Theater und billige Propaganda für die Medien, die behaupten, die Regierung der Nationalen Einheit (GNU) sei an Migranten interessiert. Das tägliche Leben und Leiden von Tausenden von Migranten ist nicht nur ein farbenfroher Kindergarten, während ihre Kinder verhungern, oder eine Nähfabrik, während sie nackt und barfuß auf der Straße stehen“, sagte ein Beamter, der an der Eröffnungsfeier teilnahm und gegenüber Libya Review um Anonymität bat.

Er führte weiter aus: „Sie brachten Medienfachleute mit, insbesondere Vertreter der internationalen Medien, um der internationalen Gemeinschaft zu zeigen, dass die GNU sich um die Migranten kümmert. Sie brachten etwa zwanzig Migrantinnen aus afrikanischen Ländern, stellten sie vor die Kameras und begannen zu filmen. Diese schienen das Geschehen abzulehnen, aber sie waren machtlos. Dann brachten sie sie an einen unbekannten Ort.“ Auch die UNHCR-Sonderbeauftragte für Angelegenheiten des westlichen und zentralen Mittelmeerraums, Vincent Cochetel, widersprach der Inszenierung durch die GNU-Regierung: „Wir haben bisher keine weiblichen Angestellten in den DCIM-Gefängnissen gesehen, wo viele Misshandlungen von Mädchen und Frauen gemeldet wurden.“

Ein vertraulicher Militärbericht der Europäischen Union fordert gleichzeitig die fortgesetzte Unterstützung und Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine. Und dies trotz der Bedenken hinsichtlich der Behandlung von Migrant*innen, der steigenden Zahl von Todesopfern auf See und des anhaltenden Fehlens einer zentralen Autorität in dem nordafrikanischen Land. Der Bericht, der am 4. Januar an EU-Beamte verteilt wurde und unter anderem der Associated Press vorliegt, bietet einen seltenen Einblick in die Entschlossenheit Europas, mit Libyen zusammenzuarbeiten. Dabei wird im Bericht sogar auf die „exzessive Anwendung von Gewalt“ durch die libyschen Behörden hingewiesen. Weiter steht darin, dass es schwierig ist, politische Unterstützung für die Durchsetzung „angemessener Verhaltensstandards (…) im Einklang mit den Menschenrechten, insbesondere im Umgang mit irregulären Migranten“ zu erhalten. Die Europäische Kommission und der Auswärtige Dienst der EU lehnten eine Stellungnahme zu dem Bericht ab.

Die EU macht sich damit weiter mitschuldig am Sterben im Mittelmeer und der Folter und Misshandlungen in den libyschen Lagern. Der neue Bericht zeigt, dass sie sehr genau Bescheid weiss über die katastrophalen Zustände. Und trotzdem forciert sie die Zusammenarbeit mit einer Regierung und deren militärischen und paramilitärischen Einheiten, ohne auch nur die geringsten Kontrollmechanismen zu besitzen. Die Zusammenarbeit mit paramilitärischen Gruppen wie der libyschen Küstenwache und die Externalisierung der EU-Aussengrenzen muss sofort gestoppt und stattdessen sichere Fluchtwege geschaffen werden.

https://libyareview.com/20728/opinion-female-migrant-center-opened-in-libyan-capital-a-media-stunt/
https://apnews.com/article/coronavirus-pandemic-business-health-libya-migration-a30dd342513aeeede5a7558de4c3089d

Antisemitische Straftaten so hoch wie seit zehn Jahren nicht

Im Zusammenhang mit dem internationalen Holocaust-Gedenktag veröffentlichten die Zionistische Weltorganisation und die Jewish Agency einen Jahresbericht zu Antisemitismus für das Jahr 2021. Die Anzahl dokumentierter antisemitischer Straftaten beträgt durchschnittlich zehn pro Tag weltweit. Und die nicht gemeldeten Vorfälle dürften noch deutlich höher sein.

  Bildunterschrift: Demonstrant:innen halten am Rande einer Aktion von Corona-Massnahmen-Gegner*innen in Frankfurt am Main im Januar ein Schild gegen rechte Hetze und Antisemitismus.

Demonstrant*innen halten am Rande einer Aktion von Corona-Massnahmen-Gegner*innen in Frankfurt am Main im Januar ein Schild gegen rechte Hetze und Antisemitismus.

Die häufigsten Taten waren antisemitische Graffitis, Vandalismus und Brandstiftung, die Entweihung von Gedenkstätten, sowie antisemitische Hetze und Propaganda. Physische und verbale Gewalt machten ein Drittel aller gemeldeten Vorfälle aus. Fast fünfzig Prozent aller gemeldeten antisemitischen Vorfälle trugen sich auf dem europäischen Kontinent zu, 30 Prozent wiederum in den USA. New York meldete eine Zunahme antisemitischer Angriffe von 100 Prozent: von 262 im Jahr 2020 auf 503 im Jahr 2021. Auch Australien und Kanada berichteten von einer „dramatischen Zunahme“ der registrierten antisemitischen Straftaten. In Frankreich wurden 589 Hassverbrechen gegen jüdische Personen, Gebäude oder Gemeinschaftseinrichtungen gemeldet, das sind 75% mehr als im Jahr zuvor. 45% davon richteten sich gegen Menschen, 10% waren körperliche Angriffe. Dies entspricht einem Anstieg von 36% zum Vorjahr.

In Grossbritannien verdoppelte sich die Anzahl antisemitischer Straftaten von 875 in der ersten Jahreshälfte 2020 auf 1308 in derselben Periode im Jahr 2021. In Deutschland wurden von Januar bis Oktober 2021 bereits 1850 antisemitische Hassverbrechen dokumentiert, im Vergleich zu 1909 im gesamten Jahr 2020. Die meisten Taten ereigneten sich im Mai, einem Monat, in dem einerseits einige jüdische Feiertage gefeiert werden und in dem andererseits ein elftägiger Konflikt zwischen Israel und der Hamas ausgetragen wurde.

Hinzu kommen Corona-Massnahmen-Gegener*innen, die antisemitische Verschwörungsmythen verbreiten, laut denen jüdische Menschen von der Corona-Pandemie profitierten oder sie sogar anstifteten. Nicht zuletzt wird seit Beginn der Pandemie wiederholt der Holocaust verharmlost. Die Corona-Massnahmen und der Gesundheitspass werden mit der Politik von Nazideutschland während des Holocausts verglichen, was eine extreme Verzerrung der Umstände bedeutet. Dieser gefährlichen Entwicklung müssen wir uns entgegen stellen!


https://www.tachles.ch/artikel/news/das-antisemitischste-jahr-im-letzten-jahrzehnt
https://www.i24news.tv/fr/actu/france/1643263819-les-actes-antisemites-en-france-ont-augmente-de-75-en-2021-rapport?mc_cid=72d3d3c904&mc_eid=889a716329
https://www.i24news.tv/fr/actu/international/europe/1642656574-suede-plus-d-un-crime-de-haine-sur-quatre-vise-la-minorite-juive-rapport?mc_cid=e13cf5f813&mc_eid=889a716329
https://www.i24news.tv/fr/actu/international/1642777554-l-antisemitisme-au-plus-fort-en-2021-depuis-10-ans-rapport?mc_cid=2b4b651655&mc_eid=889a716329 

Gianni Infantino, Präsident des Weltfussballverbandes FIFA

Fussball-WM alle zwei Jahre, um den Menschen in Afrika Hoffnung zu schenken: Mit dieser verstörenden Aussage hat FIFA-Präsident Gianni Infantino letzte Woche für Empörung gesorgt. Doch die mediale Kritik liess eines aussen vor: Nicht Funktionäre wie Infantino sind das Hauptproblem, sondern die neokolonialen Strukturen als Ganzes.

FIFA-Präsident Gianni Infantino
FIFA-Präsident Gianni Infantino

Bei seiner Rede im Europarat in Strassburg warb der Präsident des Weltfussballverbandes FIFA für seine Idee, die Weltmeisterschaft der Männer zukünftig alle zwei statt vier Jahre durchzuführen. Sein Verband möchte «Möglichkeiten und Würde» nach Afrika bringen. Die Rede gipfelte in der viel zitierten Aussage: «Wir müssen den Afrikanern Hoffnung geben, damit sie nicht über das Mittelmeer kommen müssen.» Für diese Aussage und der damit einhergehenden Instrumentalisierung von Armut hätte sich Infantino die Ernennung zum Kopf der Woche bereits verdient. Dass die Pläne und Aussagen des Wallisers rassistisch, scheinheilig und verlogen sind, wurde von ziemlich allen Medien, Kommentator*innen und natürlich auch seinen Gegner*innen richtig festgehalten. Besonders letztere, wozu die Vertreter*innen und Clubs des Europäischen Fussballverbandes UEFA zählen, haben eine Steilvorlage erhalten.

Dass Infantino die Zustände ehrlich benannt hat, wollte hingegen niemand sehen: «Wir sehen, dass Fussball sich in eine Richtung entwickelt, wo wenige alles haben und die Mehrheit hat nichts. In Europa findet die WM zweimal pro Woche statt, weil die besten Spieler in Europa spielen.» Bähm, voll auf die Zwölf. Dass die FIFA selber eine treibende Kraft dieser Entwicklung ist, sieht Infantino natürlich nicht. Die neokolonalistischen Zustände im Fussball haben sich in den letzten Jahrzehnten nochmals verstärkt. Die besten Talente werden bereits im Kindesalter in die Jugendakademien Europas geholt, die Ausbeutung des Globalen Südens setzt sich im Fussball genauso fort wie in allen anderen Bereichen. Eine Lösung wäre eine Fussball-WM alle zwei Jahre natürlich nicht, im Gegenteil. Die Vorschläge von Infantino und seinesgleichen zeigen fast schon klischeehaft das Bild von alten, weissen Männern, welche sich selber als Wohltäter sehen. Die Logik Infantinos ist schlussendlich keine andere, als die vorherrschende neoliberale Marktlogik, mit der von der Klimaerwärmung bis zur Ungleichheit im Weltfussball alle Probleme gelöst werden sollen: Mehr für alle, dann geht es allen besser.

Mit seiner Aussage zur Anzahl toter Gastarbeiter auf den WM-Baustellen in Katar bewies Infantino dann aber auch noch, dass er nicht nur die falschen Analysen sondern auch ganz dreiste Lügen am Start hat. Nicht 6’500 Menschen seien auf den Baustellen ums Leben gekommen, sondern nur 3. Eine Aussage, die mittlerweile von jedem Untersuchungsbericht widerlegt wird. Bei so viel Schwachsinn gebührt Infantino schlussendlich dann doch fast die Ernennung zum Hydra-Mehrkopf der Woche.

https://taz.de/Fussball-WM-soll-oefter-stattfinden/!5827432/
https://11freunde.de/artikel/der-groesste-schurke-ist-immer-der-naechste/5235471
https://www.sueddeutsche.de/sport/fifa-gianni-infantino-wm-rhythmus-fluechtlinge-afrika-1.5516848

Was nun?

CommemorAction als Protest gegen das Sterbenlassen an den Grenzen

Die Geschehnisse auf den maritimen Fluchtrouten wiederholen sich, Tag für Tag. Tote, Vermisste, Überlebende. An den Aktionstagen CommemorAction vom 4.-6. Februar wird in europaweiten dezentralen Aktionen der Menschen gedacht, deren Geschichten hinter den Zahlen stecken.

Zahlreiche Berichte zu den Geschehnissen gab es in dieser Woche:

  • Sieben junge Menschen erfrieren auf der Überfahrt nach Lampedusa. Sie befanden sich mit 280 weiteren Menschen auf einem überfüllten Holzboot.
  • Elf Menschen ertrinken vor der tunesischen Küste, nachdem ihr Boot sinkt.
  • Vierunddreissig Menschen, die aus Tunesien mit einem Fischerboot Richtung Europa aufbrachen, werden am Samstag vermisst.
  • Achtzehn Menschen sterben auf der Atlantikroute beim Versuch, die kanarischen Inseln zu erreichen.
  • Vier Leichen werden in der vergangenen Woche am Strand von Malaga, Südspanien, angeschwemmt. Sie zeugen von Schiffbrüchen auf dem westlichen Mittelmeer.

Diese Meldungen sind die traurigen «Highlights», die es in die Berichterstattung schaffen und von denen auch wir daher wissen. Daneben gibt es täglich dutzende Überfahrten unter menschenunwürdigen Bedingungen und der Ungewissheit, am anderen Ufer lebend anzukommen. 

Wir teilen den Aufruf von Missing at the Borders: Migration ist ein Recht. Machen wir den 6. Februar zu einem globalen Tag des «Kampfes gegen das Regime des Todes an unseren Grenzen und für die Forderung nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für Migrationsopfer und ihre Familien.

Machen wir auf die Menschen aufmerksam, die an den Land- oder Seegrenzen Europas, Afrikas und Amerikas gestorben sind, vermisst werden und/oder Opfer von Verschwindenlassen sind».

Weitere Infos: https://missingattheborders.org/en/news.

https://missingattheborders.org/img/mini_Marcia-Milano_3-anni.jpg
https://missingattheborders.org/img/mini_Marcia-Milano_3-anni.jpg

https://www.zeit.de/news/2022-01/25/erfroren-sieben-tote-auf-migrantenboot-vor-lampedusa?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.borderline-europe.de%2F
https://www.lastampa.it/cronaca/2022/01/22/news/mare_jonio_sbarca_i_migranti_a_lampedusa_e_pozzallo_ancora_in_attesa_le_altre_navi_ong_con_quasi_500_persone_a_bordo-2838118/
https://www.facebook.com/NewsfromtheMed
https://apnews.com/article/europe-africa-migration-canary-islands-spain-db69051e116af93021f430e01acff1e6
https://www.infomigrants.net/en/post/38106/shipwreck-feared-after-4-bodies-found-in-7-days-off-southern-spain

Wo gabs Widerstand?

Aktion gegen die EU-Aussengrenze und ihre Beschützer*innen beim St. Johanns-Bahnhof (BL)

Wir teilen an dieser Stelle das Communique zu einer Aktion, welche letzte Woche an der Grenzstation (CH/FR) des St. Johanns-Bahnhof stattgefunden hat.

«Im Zuge zur Situation an der polnisch-belarussischen Grenze wurden an der Grenzstation (CH/FR) des St. Johanns-Bahnhof, wo oftmals Grenzpolizist*innen stehen und viele Kontrollen stattfinden, Sprüche angebracht. Dass die schweizerischen Grenzpolizist*innen auch am Desaster an der EU-Aussengrenze direkt mitverantwortlich ist, heisst dass sie sich unteranderem auch aktiv an der Grenzsicherung unter der Agentur Frontex beteiligen, ist wenig überraschend. Selbst wenn das Frontex-Referendum nun angenommen werden würde, unterstützt die Schweiz die Grenzschutz-Agentur immer noch mit einem jährlichen Budget von 17 Millionen und bis zum Jahr 2027 soll dieses auf knapp 100 Millionen aufgestockt werden. Diese Finanzierung ist Teil einer kalkulierten Abschottung Europas von einer immer mehr ausgebeuteten und zusammenbrechenden Welt, in welcher durch die bestehenden und kommenden Klimakatastrophen und ihre Auswirkungen bis 2050 schätzungsweise eine halbe Milliarde Menschen ihren Lebensraum verlieren werden.

Die untragbaren Zustände an der polnisch-belarussischen Grenze haben sich keinesfalls in Luft aufgelöst, auch wenn die Medien wegschauen. Deshalb ist es umso wichtiger, weiterhin auf der Strasse solidarisch, selbstbestimmt und ungefragt für Aufmerksamkeit zu sorgen.

Wir schicken unsere volle Solidarität an alle Menschen auf der Flucht! Nieder mit den EU-Aussengrenzen und der Festung Europa! Freiheit für alle (A)»

Graffiti am Grenzbahnhof St. Johann
Graffiti am Grenzbahnhof St. Johann

Weitere Bilder der Aktion gibt es hier: https://barrikade.info/article/4959

Was steht an?

Offenes Antifaschistisches Treffen (OAT) Basel
31.01.2022 | 20:00 Uhr | Ort auf Nachfrage.
https://barrikade.info/event/1611

Commémor Action
06.02.2022 | Ganzer Tag | Genf
https://renverse.co/infos-locales/article/appel-a-la-commemoraction-le-6-fevrier-2022-3407

Zürich Nazifrei. Den rechten Aufmarsch verhindern.
12.02.2022 | Ort und Zeit folgen
Neonazis wollen am Samstag, 12.02. um 14 Uhr koordiniert mit den Massnahmengegner*innen an den Hauptbahnhof Zürich kommen. Die Neonazis fühlen sich zwischen Schweizerfahnen, Kuhglocken und Holocaust-Verharmlosung offensichtlich wohl. Seit dem letzten Wochenende in Bern sollte allen klar sein, dass rechtsextreme Organisationen tragende Funktionen an den Demonstrationen übernehmen. Wir akzeptieren es nicht, dass Neonazis ungehindert in Zürich aufmarschieren. Wir nehmen uns die Strassen und lassen den Nazis keinen Fussbreit! Zürich, Basel, Bern und überall: unsere Quartiere, unsere Strassen – Nazifrei! Ort und Zeit der Besammlung folgen.
https://www.aufbau.org/event/den-rechten-aufmarsch-verhindern/znf1/

Lotte Winterkino: Entkolonisieren
13.02.22 I 16:00 Uhr I Rosststall Luzern
16:00 Uhr Teil eins „Lehrjahre“ und Teil zwei „Befreiung“
18:30 Uhr Suppe am Feuer
19:30 Uhr Teil drei „Die Welt gehört uns“
Arte 2019/2020. Eine Dokumentationsreihe (3x 55′) von Karim Miské und Marc Ball gesprochen von Reda Kateb. Originalsprache mit deutschen Untertiteln.
https://lotte-bibliothek.org/?page_id=905

Lotte Winterkino: 1804 – The hidden history of Haiti
14.02.22 I 19:30 I Rosststall Luzern
1804: The Hidden History of Haiti is a documentary film about the untold history of the Haitian Revolution. Produced by Tariq Nasheed, 1804 goes in-depth about the four principal players who were instrumental in Haiti’s independence: Makandal, Dutty Bookman, Toussaint Louvature, and Jean-Jacques Dessalines. This documentary give a competing look into the strategies, the motivation and the mindset that led to Haiti being the only enslaved population who successfully overthrew their oppressors.
https://lotte-bibliothek.org/?page_id=905

Demo: 2 Jahre Hanau
19.02.22 | 18:00 Uhr | Marktplatz Basel
„Wir fordern Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen! Erinnern heisst Kämpfen“, heisst es im Aufruf zur bewilligten Demonstration, organisiert von unterschiedlichen migrantischen Organisationen.
„Am 19. Februar 2022 jährt sich das rassistische Attentat von Hanau zum zweiten Mal. 9 migrantischen Menschen wurden von einem Rechtsterroristen gezielt ermordet, da sie nicht in sein rechtsextreme Weltbild passen. Heute wissen wir, dass eine rassistische Polizeipraxis den Notausgang der Arena-Bar zusperren liess, 13 rechtsextreme SEK-Beamte im Einsatz waren und die Angehörigen und Überlebenden seither Schikane, Demütigung und Kriminalisierung ausgesetzt sind. Institutioneller Rassismus so weit das Auge reicht. Es ist Zeit uns zu wehren. Lasst uns daher treffen in Gedenken an Ferhat, Said Nesar, Hamza, Vili, Mercedes, Kaloyan, Fatih, Sedat und Gökhan.“
19feb-hanau.org

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Tod und Spiele
Am 27. Januar 1945 wurde das Kon­zen­tra­ti­ons­lager Ausch­witz befreit. Wie in anderen KZs wurde auch dort Fuß­ball gespielt. Über das makabre Neben­ein­ander von Mord und Ver­gnügen.
https://11freunde.de/artikel/tod-und-spiele/412151

Auf dem Radar: Wie in Griechenland zivilgesellschaftliche Arbeit bedroht wird Zivilgesellschaftliche Akteure*innen engagieren sich seit Jahren für die Einhaltung grundlegender Rechte von Menschen, die in Europa Asyl suchen. Sie werden damit zur Zielscheibe einer aggressiven Abschreckungspolitik, die Geflüchtete und solidarische Arbeit gleichermaßen gefährdet.
https://www.boell.de/de/2022/01/21/wie-in-griechenland-zivilgesellschaftliche-arbeit-bedroht-wird

Alltag, wo keiner ist Der Fotograf ­Sebastian Sele berichtet von Bord des Seenotrettungsschiffs Ocean Viking, das zwischen Libyen und ­Lampedusa unterwegs ist.
https://www.tagesanzeiger.ch/alltag-wo-keiner-ist-227226031111

Ein Besuch in der spanischen Exklave Melilla: Abgeschottet in Nordafrika
Seit Beginn der Covid-19-Pandemie sind die spanischen Exklaven in Nordafrika, Melilla und Ceuta, vom Nachbarland Marokko für den Personen- und Frachtverkehr abgeschottet. Sie sind zudem Bollwerke gegen Asylsuchende und Migranten, die die EU erreichen wollen. Ein Besuch in Melilla.
https://jungle.world/artikel/2022/03/abgeschottet-nordafrika

Holocaust-Gedenktag: Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus
80 Jahre nach der Wannsee-Konferenz und aus Anlass des Internationalen Holocaust-Gedenktags zeigt ARTE einen Themenschwerpunkt mit Dokumentationen, die das Grauen der Shoah erzählen, aber auch Momente der Hoffnung. Überlebende erzählen von Trauer und Traumata, aber auch von Widerstand und Zuflucht.
https://www.arte.tv/de/videos/RC-020104/holocaust-gedenktag/

Peter Staudenmaier: Anthroposophie und Ökofaschismus
(Deutsche Übersetzung eine*r Aktivist*in, publiziert auf barrikade.info)
https://barrikade.info/article/4979