Wie der deutsche Staat die Ausschaffung von queeren Menschen rechtfertigt

Immer wieder werden queere Menschen mit Verweis auf die Möglichkeit eines ungeouteten, und damit vermeintlich sicheren, Lebens abgeschoben. Eine Praxis, die gegen geltende Rechtsprechung verstösst und die Queerfeindlichkeit des rassistischen Asylsystems aufs Neue aufzeigt.

Die Genfer Flüchtlingskonvention hält fest, dass alle, «die aufgrund ihrer [race], Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe begründete Furcht vor Verfolgung haben», als geflüchtete Person geschützt werden müssen. Sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität sind ein gemeinsames Merkmal einer solchen «bestimmten sozialen Gruppe». Die Genfer Flüchtlingskonvention hält also fest: Queere Menschen haben ein Bleiberecht.

Dass es in der Realität wieder einmal anders aussieht, zeigt sich tagtäglich am Umgang des deutschen Staates mit queeren Geflüchteten und aktuell an der Kritik des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD). Immer wieder werden queere Menschen in ihre Herkunftsländer abgeschoben, wo ihnen Verfolgung und Gewalt droht. Um die Ausschaffungen zu rechtfertigen – in einer staatlichen Logik, grundsätzlich sind Ausschaffungen nie gerechtfertigt – argumentieren die Behörden, dass queere Menschen ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität in ihren Heimatländern heimlich ausleben könnten und dann nicht verfolgt würden.

Diese Praxis wäre nach heutigem Rechtsstand nicht erlaubt: Der Europäische Gerichtshof hat bereits 2013 entschieden, dass von Geflüchteten nicht erwartet werden könne, dass sie ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim halten oder Zurückhaltung üben, um eine Verfolgung zu vermeiden.

Trotzdem liegen dem LSVD 70 negative Asylentscheide vor, bei denen das Gericht ein ungeoutetes Leben zur Grundlage genommen hat, um die Verfolgungswahrscheinlichkeit bei Rückkehr zu beurteilen. 2021 wurden diese dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Überprüfung vorgelegt.

Es sind nicht nur die Asylentscheide, bei denen queere Personen zusätzliche Unterdrückung erfahren. Auch die vorangehenden Interviews und Befragungen funktionieren rassistisch und queerfeindlich. So müssen queere Personen ihre sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität glaubhaft vortragen. Richter*innen und Behörden entscheiden darüber, wie queere Menschen zu sein haben und urteilen nach ihren stereotypen Vorstellungen.

Asylrecht: Bei homo- und bisexuellen Geflüchteten darf nicht von diskretem Leben ausgegangen werden
Einordnung und Analyse vom Lesben- und Schwulenverband LSVD

Bundesamt für Flüchtlinge „verstößt seit Jahren gegen die geltende Rechtsprechung“
Queer.de, 20. Januar 2022