Medienspiegel 23. Januar 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SCHWEIZ
Erfolg: Afghanische Geflüchtete erhalten ab jetzt mindestens einen F-Ausweis
Schutz für alle, die aus Afghanistan fliehen!
Endlich akzeptiert auch das Staatssekretariat für Migration diese Minimalforderung. Seit dem 13. Januar 2022 gelten in der Schweiz neue Regeln für Asylsuchende aus Afghanistan: Wer neu ankommt, erhält mindestens eine vorläufige Aufnahme (F-Ausweis). Abgewiesene Afghan*innen, die aktuell in der Nothilfe isoliert werden, müssen ein Folgeasylgesuch einreichen, um den Ausweis F zu erhalten, sonst bleiben sie in der Nothilfe. Das SEM verzichtet leider auf eine einfache und schnelle Lösung. Weiter schliesst das SEM leider Afghan*innen, die eine lange Gefängnisstrafe absassen, vom Schutz aus und bestraft sie doppelt. Nach der abgesessenen Haftstrafe erhalten sie keine vorläufige Aufnahme, sondern werden weiterhin in der Nothilfe isoliert.
https://migrant-solidarity-network.ch/2022/01/23/erfolg-afghanische-gefluechtete-erhalten-ab-jetzt-mindestens-einen-f-ausweis


+++POLEN/EU/BELARUS
Hunderte Migranten an der Grenze zu Belarus baten um Hilfe
Weiter versuchen Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze, in die EU zu kommen. Ein Aktionsbündnis berichtet, dieses Jahr hätten schon 345 Menschen Hilfe benötigt.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-01/polen-belarus-grenze-notrufe-migranten
-> https://www.watson.ch/international/belarus/871644334-helfer-melden-345-notrufe-von-migranten-im-januar-an-der-belarus-grenze


+++RECHTSEXTREMISMUS
Hammerskins – Inszenierung eines Männerbundes
Die gekreuzten Hämmer sind ikonisch und identitätsstiftend für die Hammerskins. Seinen Ursprung hat das Symbol in einem nicht-faschistischen Kontext der Film- und Musikszene.
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/hammerskins-inszenierung-eines-m%C3%A4nnerbundes


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Neonazismus an der Corona-Demo in Bern
Am gestrigen Samstag demonstrierten Gegner der Corona-Massnahmen in Bern. Nun stellt sich heraus, dass offenbar Neonazis den Marsch angeführt haben sollen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/neonazismus-an-der-corona-demo-in-bern-66091908


„Ich habe die Typen von der „Jungen Tat“ gestern im Bahnhof Bern gesehen, als sie ankamen. Kurzer Thread dazu.“
https://twitter.com/lumpazza/status/1485199418840301574


„Nachdem zwei Jahre lang vehement abgestritten wurde, dass sich Rechtsextreme munter an den Massnahmenskeptier*innen Demos mitmischen, ist es jetzt nicht mehr länger möglich, dies zu leugnen. Wie geht die Szene damit um?“
https://twitter.com/jusinakerosina/status/1485200966135828491



derbund.ch 23.01.2022

Neonazis führen Demo in Bern an: «Diese Entwicklung bereitet mir Sorgen»

Im Kapern der Corona-Kundgebung vom Samstag durch Rechtsradikale sieht der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause eine neuer Bedrohungsstufe erreicht.

Benjamin Bitoun

An der Kundgebung gegen die Corona-Massnahmen marschierten rund 40 Neonazis aus verschiedensten rechtsextremen Gruppierungen vorn mit. Wussten Sie, dass am Samstag die Neonaziszene nach Bern kommt?

Aufrufe zur Teilnahme an Kundgebungen der Massnahmenkritiker wurden zwar schon früher in rechten Kreisen weit verbreitet. Doch dass sie nun derart breit mobilisieren konnten, davon hatten wir keine Kenntnis. Und auch wie die Kundgebung selbst ablief, war völlig neu.

Inwiefern?

Der Teilnehmerkreis der Corona-Demonstrationen ist sehr heterogen, der Protest gegen die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie reicht von ganz links bis ganz rechts. Doch dass sich die Rechtsextremen an die Spitze der Demonstranten setzen und die Kundgebung kapern, das sahen wir noch nie zuvor.

In Wien werden die Demonstrationen der Massnahmengegner schon seit längerem von Neonazis angeführt. Rechnen Sie damit, dass das nun auch in Bern die Regel wird?

Da werden wir in Zukunft ein Auge darauf halten und ganz genau hinsehen müssen. Diese Entwicklung bereitet mir tatsächlich Sorgen. Allerdings muss man sagen, dass das nun in Bern zum ersten Mal passiert ist. Frühere Versuche von rechtsextremen Kreisen, ganz vorn an den Kundgebungen mitzumischen, blieben vor Samstag erfolglos.

Erst als sich der Demo-Zug aufspaltete, wurden die Neonazis am Bahnhof von der Polizei gestellt und kontrolliert. Warum nicht schon früher?

Die Polizei kann nicht einfach so einschreiten, wenn die Demo-Teilnehmer noch gar keine strafbaren Handlungen begangen haben.

Dann war dieses Vorgehen von der Polizei so geplant?

Über Details der polizeilichen Taktik kann ich keine Auskunft geben. Es ist aber entscheidend, ob es an einer Kundgebung zu strafbaren Handlungen kommt, ganz gleich, ob die Demo-Teilnehmer der linksextremen oder der rechtsextremen Szene angehören. Wenn das der Fall ist, dann greift die Polizei sofort ein. Wenn nicht, dann ist das Eingreifen wie am letzten Samstag eine Frage der Verhältnismässigkeit.
(https://www.derbund.ch/diese-entwicklung-bereitet-mir-sorgen-815220322344)


Trychler in Rottenschwil erhalten anonym böse Post – «wir sind keine Freiheitstrychler»
In Rottenschwil bekommen Josef Stadelmann und seine Trychlergruppe Rottenschwil einen anonymen Drohbrief. Darin werden die Trychlerglocken als Todbringer bezeichnet.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/freiamt/drohbrief-trychler-in-rottenschwil-erhalten-anonym-boese-post-wir-sind-keine-freiheitstrychler-ld.2241842


+++FUNDIS
NZZ am Sonntag 23.01.2022

 Nun droht der nächste Import eines Kulturkampfes aus den USA: die Debatte um Abtreibung

Eine christlich-fundamentalistische Minderheit in den USA will ein Abtreibungsverbot – am liebsten weltweit. Jetzt ist die Schweiz dran.

Katharina Bracher

Als Anne-Marie Rey in jungen Jahren von ihrer Schwangerschaft erfuhr, glaubte sie, zu ersticken. Sie beschrieb die Erfahrung mit einer Kindheitserinnerung: Mit ihren Brüdern hatte sie einen Schneetunnel gebaut, der zu niedrig war, um auf allen vieren hineinzukriechen. Man musste sich hinlegen, um ins Innere zu gelangen. Mit blossen, in die Eisdecke gekrallten Fingern, zog sich Anne-Marie rücklings voran, als sie in der Mitte an einer engen Stelle steckenblieb und in Panik ausbrach. Jahre später löste die Vorstellung, jung Mutter zu werden, dasselbe Gefühl aus: nicht mehr atmen zu können, ausgeliefert zu sein.

Jede fünfte bis vierte Frau bricht in ihrem Leben einmal eine Schwangerschaft ab. In der Schweiz liegt dieser Wert eher bei jeder fünften Frau. Seit 2002 gilt landesweit die Fristenlösung, die eine Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Wochen straflos ermöglicht. Dass Frauen heute mehrheitlich selber bestimmen dürfen, ob sie Mutter werden wollen oder eine Schwangerschaft vorzeitig beenden, hat auch mit Reys Schneetunnel-Erlebnis zu tun. Die Schweizerin hat ein halbes Leben lang für die Fristenlösung gekämpft und starb 2016 in der Gewissheit, dass keine Frau mehr im Schneetunnel stecken bleiben würde.

Doch dann kam Weihnachten 2021, und zwei Frauen stellten Reys Vermächtnis infrage. Die SVP-Politikerinnen traten vor die Medien und kündigten zwei Initiativen an: Die eine soll vor jeder Abtreibung einen Tag Bedenkzeit vorschreiben, die andere will Spätabtreibungen, wie sie heute nach Ablauf der Frist von Ärztinnen mit medizinischer Begründung vorgenommen werden kann, unter Strafe stellen.

Da war er wieder, Reys Schneetunnel. Viele Frauen mögen sich die Augen reiben: Müssen wir bis ans Ende unserer Tage alle paar Jahre für das Recht, eigenverantwortlich über unsere Körper zu entscheiden, streiten?

Eigentlich sind die Meinungen gemacht: Das Stimmvolk hatte die Fristenlösung vor zwanzig Jahren mit über 72,2 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen. Und auch der letzte Angriff auf die Abtreibungsrechte im Jahr 2014, als eine Initiative forderte, dass Abtreibungen nicht mehr von der Krankenkasse übernommen werden, stiess mit 69,8 Prozent Nein-Stimmen auf Ablehnung.

Einiges spricht dafür, dass auch die beiden neuen Initiativen, die dank geballten Kräften von Volkspartei und christlich-konservativen Kreisen bis nächsten Juni zustande kommen werden, ebenfalls an der Urne scheitern werden. Doch es sprechen auch ein paar Indizien dagegen.

Zu nennen wäre der internationale Trend zum Backlash in Abtreibungsfragen: Er zeigt sich in osteuropäischen Staaten wie Polen oder Ungarn, aber vor allem in den USA, wo der Oberste Gerichtshof an einem wegweisenden Grundsatzurteil aus den 1970er Jahren rütteln will, der den ­Entscheid über Abbruch oder Fortführung einer Schwangerschaft in der Regel den Frauen überlässt. Gleichzeitig hat sich dort an der öffentlichen Meinung nichts verändert: 70 Prozent der Amerikaner wollen am Grundsatzentscheid des Gerichts festhalten. In den USA tobt ein Kulturkampf, den fundamentalistische, christliche Gruppen gegen den Konsens der liberalen Gesellschaft führen. Es handelt sich um eine Minderheit, die viel Geld in diesen Kampf investiert und erfolgreich global exportiert – auch in die Schweiz.

Eine Analyse der Londoner Initiative «Opendemocracy» hat aufgezeigt, dass von 280 Millionen Dollar, die christlich-fundamentalistische Organisationen seit 2007 im Ausland investiert haben, 90 Millionen Dollar nach Europa geflossen sind. Allerdings liegt die wahre Zahl höher, denn die Analyse erfasste nur öffentlich deklarierte Ausgaben von Nonprofitorganisationen. Die Mittel flossen an Partnerorganisationen – die ihrerseits Lobbyarbeiten, Anwaltskosten und Veranstaltungen damit finanzierten.

Wie amerikanische Abtreibungsgegner auf die Debatte in Europa einwirken, hat das Brüsseler «Forum europäischer Parlamente» untersucht. Der Abschlussbericht heisst «Die natürliche Ordnung wieder herstellen – wie religiöse Extremisten die europäische Gesellschaft gegen sexuelle und reproduktive Rechte mobilisieren wollen». Gemäss diesem soll 2013 ein Treffen religiös-fundamentalistischer NGO und Politikerinnen in London stattgefunden haben, die über Strategien berieten, wie der Trend zur Liberalisierung der Gesellschaftspolitik im christlichen Sinne zu drehen wäre. Initiiert hatte den geheimen Konvent ein Trio bestehend aus einem Exponenten der amerikanischen «Pro-Life»-Bewegung, einer österreichischen Politikerin und der Gründerin einer christlichen Lobby-Organisation.

Es folgten jährliche Treffen unter dem Motto «Agenda Europe – restoring the natural order» mit jeweilen bis zu 150 Teilnehmerinnen, darunter auch solche aus der Schweiz. Sie diskutierten, auf welchem Wege die «natürliche Ordnung» wieder herzustellen sei. Im Programm wird als oberstes Ziel die «menschliche Würde» definiert – wogegen eigentlich kaum jemand etwas einwenden kann. Allerdings heisst das, dass Schwangerschaftsabbruch generell unter Strafe gestellt wird, Rechte von Homosexuellen eingeschränkt und die heterosexuell-monogame Familie als einzig richtige Lebensform propagiert werden soll.

Am dritten Treffen 2015 diskutierte die Runde unter anderem darüber, wie der angebliche Skandal in den USA um die Verwendung von fötalem Gewebe für allerlei medizinische Zwecke «nach Europa importiert werden könne» – freilich handelt es sich bei der Geschichte um verleumderische Desinformation.

Im Jahr 2016 entwarf die Runde unter Leitung der reaktionären polnischen Organisation Ordo iuris einen später erfolgreichen Gesetzesentwurf zur Kriminalisierung der Abtreibung in Polen. Bis zur Pandemie fand das Treffen jährlich statt. Einige der Mitglieder dieser neuen, paneuropäischen Bewegung haben Beratungsmandate in der EU oder der Uno, wieder andere erreichten über Lobbyarbeit, dass Gesetzesentwürfe zur Abstimmung kamen – so auch in Schweden, wo in den letzten Jahren zehn Versuche, die eine Prohibition von Schwangerschaftsabbrüchen vorsahen, vom ­Parlament behandelt wurden.

Schweizer Akteure sind international und regional gut vernetzt. Christlich-fundamentalistische Gruppierungen profitieren schon rein ideell von der Debatte um Abtreibungsrechte in den USA und Osteuropa. So ist wohl auch die Idee für die neusten Initiativen entstanden. Organisationen wie «Marsch fürs Läbe» oder «Human Life International» geben an, ihre Finanzierung mithilfe von Privatspenden sicherzustellen. Im Gespräch sagt ein Vertreter von letzterer Organisation, dass man die neusten Volksbegehren unterstütze, am liebsten aber die Fristenlösung ganz fallen sähe.

Die Debatte über die Kriminalisierung in anderen Ländern spielt Schweizer Abtreibungsgegnern in die Hände. In diesen Kontroversen werden die immergleichen Argumente wiederholt, bis sie sich zu vermeintlichen Wahrheiten verdichtet haben. Eines ist die angebliche Traumatisierung der Frauen durch eine Abtreibung. Dieses Argument allein können die meisten Frauen mit Anekdoten aus dem Freundeskreis widerlegen. Auch eine kürzlich publizierte Langzeitstudie demontiert das Lieblingsargument der Abtreibungsgegner.

Diana Greene Forster von der Universität Kalifornien hat 1132 Frauen aus den Warteräumen von Kliniken aus dem ganzen Land rekrutiert und befragte sie über zehn Jahre immer wieder. Eine Gruppe bestand aus Frauen, denen eine Abtreibung aufgrund gesetzlicher Bestimmung verwehrt wurde, die andere aus solchen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen konnten. Über 95 Prozent der Frauen, die abgetrieben hatten, sagten fünf Jahre später, sie würden gleich handeln, wenn sie wieder vor der Entscheidung stünden. Nach zehn Jahren konnte die Forscherin keine Unterschiede mehr zwischen den Gruppen finden: weder im Bezug auf psychische Beschwerden noch auf Drogen- oder Alkoholmissbrauch.

Die Schweiz steht vor der Neuauflage einer alten Debatte, für die keine neuen Argumente vorliegen. Der einzige Unterschied zu früher ist, dass sie stark beeinflusst ist von einer christlich-fundamentalistischen Minderheit aus den USA.

Bleibt festzuhalten, dass jeder Mensch für sich entscheiden soll, was von Abtreibungen zu halten ist oder aus welchen Gründen er sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden würde. Finden Sie Abtreibungen schlimm? Das ist okay, Sie müssen auch keine machen lassen.
(https://nzzas.nzz.ch/magazin/debatte-um-abtreibung-es-liegen-keine-neuen-argumente-vor-ld.1665428)


+++HISTORY
Präsident des Anne Frank Fonds: «Verschwörungstheorien bleiben lange haften»
Die Stiftung kritisiert die Forscher-Gruppe, die erklärt, sie hätten Verräter von Anne Frank gefunden. Der Anne Frank Fonds ist über die Untersuchung enttäuscht, sagt deren Präsident John D. Goldsmith im Interview.
https://www.blick.ch/schweiz/praesident-des-anne-frank-fonds-verschwoerungstheorien-bleiben-lange-haften-id17170069.html